Nur selten im Leben hat man die Gelegenheit, eine Prüfung zu schreiben, die einem eigentlich vollkommen egal sein kann. Noch seltener ist es, dass diese Prüfung für die meisten anderen im Zimmer entscheidend für die Zukunft ist.
Gestern war das so, denn die schwedische „Högskoleprovet„, also die „Hochschulprüfung“, stand an. Trotz des Namens ist es nicht mit dem Abitur vergleichbar, denn Wissen ist weniger gefragt, sondern es geht um mehrere Fähigkeiten, die für das Studium nützlich sind. Das schwedische System arbeitet hier zweigleisig. Man erwirbt im Gymnasium allgemeine Qualifikationen. Für dieses gibt es auch Noten, die nach einem nicht ganz nachvollziehbaren System zu einer Punktzahl kumuliert werden – 20 Punkte sind maximal zu erreichen, und wer soviel hat, wird bei fast allen Studiengängen auf Anhieb zugelassen werden. Allerdings gibt es auch Szenarien, wo diese 20 Punkte nicht mehr erreichbar sind. Wer nach dem Gymnasium noch qualifizierende Kurse nachholt, kriegt diese wenn überhaupt nur bei Bestnoten vergütet, und dann auch nur sehr mäßig. Ich habe einmal mein deutsches Abitur konvertieren lassen und erreiche trotz eines ansehnlichen Schnitts von 1,6 im baden-württembergischen Abitur gerade einmal 18 Punkte.
Bei allen Studiengängen werden nur die besten zugelassen – selbst wenn man also alle qualifizierenden Kurse, die im entsprechenden Studium vorausgesetzt werden, abgeschlossen hat, reicht es deswegen noch lange nicht zum Studium, denn eine Wartesemesterregelung gibt es nicht. So braucht man für ein Medizinstudium schon 20 Punkte, um sich Chancen auszurechnen. Aber auch sonst kann es schwer sein, sich entsprechend zu platzieren.
Daher gibt es seit 3 Jahrzehnten die Högskoleprovet, die einen alternativen Weg zur Studienzulassung bietet. Ein Teil der Studienplätze wird nämlich für die besten dieser Prüfung vergeben. Wer also alle Qualifikationen hat und in dieser Prüfung gut abschneidet, kann sich trotzdem noch Chancen ausrechnen.
Die Prüfung ist daher eine ernste Sache, die genauso rigoros gehandhabt wird wie das Abitur. Wer stört oder die Regeln verletzt, wird zumindest von Teilen der Prüfung ausgeschlossen.
Geprüft wird in 5 Blöcken, die jeweils 50 Minuten umfassen. Alle Fragen sind Multiple-Choice-Fragen. In den Blöcken werden die folgenden Gebiete nacheinander abgearbeitet:
- Schwedisches Leseverständnis: Man erhält mehrere Texte, die man lesen und dann einige Fragen beantworten muss. Die Fragen sind aber sehr allgemein und beziehen sich auch auf den Text als Gesamtheit. Es reicht also nicht, einfach ein paar Informationen herauszufischen. (20 Aufgaben in 50 Minuten)
- Logisches Denken/Mathematik: 22 Aufgaben, bei den man bei mathematischen Problemen beurteilen muss, ob und welche der angegebenen Hinweise zur Lösung führen. Es sind fast alles Textaufgaben. Zumeist handelt es sich um lineare Gleichungssysteme, aber teilweise werden auch bewusst hohe Zahlen verwendet, so dass man mangels Taschenrechner mathematischen Sachverstand anwenden muss. Es sind auch einige Aufgaben aus den Bereichen Kombinatorik und Wahrscheinlichkeitsrechnung enthalten. Insgesamt muss man also die Logik dahinter verstehen – reines Ausrechnen reicht nicht aus. (22 Aufgaben in 50 Minuten)
- Englisches Leseverständnis und Schwedische Wortsynonyme in einem zweiteiligen Abschnitt: Zunächst wird ähnlich wie zu Anfang das Verstehen von englischen Texten geprüft, wozu allerdings auch sehr kurze Texte gehören, bei denen man sprachliche Finessen erfassen soll. Außerdem gibt es einen Lückentext. Dieser Teil umfasst 20 Aufgaben und man hat 35 Minuten Zeit. Im zweiten Teil geht es dann um Synonyme. Ein schwedisches Wort ist gegeben, und man soll das Wort unter den Wahlmöglichkeiten finden, das eine ähnliche Bedeutung hat. Es stehen nur 15 Minuten für insgesamt 40 Aufgaben zur Verfügung.
- Diagramme/Tabelle/Karten: Man erhält eine Seite Diagramme und soll daraus zwei Fragen beantworten. Das klingt harmlos, aber die Diagramme sind aus realen Quellen und nicht selten sehr detailliert, so dass man schon sehr genau hinsehen muss. (20 Aufgaben in 50 Minuten)
Man wird sich wundern, wieso es 5 Blöcke gibt, aber nur 4 Aufgabenbereiche. Das rührt daher, dass ein Bereich zweimal drankommt – einer der beiden wird nicht gewertet. Das hat den Hintergrund, dass potenzielle künftige Aufgaben unter realen Bedingungen an mindestens 2000 Prüflingen getestet werden sollen, um sie auf ihren Schwierigkeitsgrad zu überprüfen. Das Spannende ist, dass man nicht weiß, welcher Aufgabenbereich doppelt drankommt, und auch nicht, welcher der beiden gewertet wird. Zusätzlich geht man in jeden Block, ohne zu wissen, welcher Aufgabenbereich ansteht, denn die Reihenfolge wird nicht veröffentlicht – selbst der Prüfungsleiter weiß sie nicht.
50 Minuten pro Block klingen großzügig, aber wie bei einem Assessment Center ist die Zeit sehr knapp angesetzt. Viele sagen sogar, dass die Zeit eigentlich der entscheidende Faktor bei der Högskoleprovet ist. Aus meiner Sicht ist das zur Hälfte wahr. Bei allen Bereichen hatte ich noch einige Minuten übrig, aber ich habe meist darauf verzichtet, diese zu Korrekturen zu verwenden, da mir die Wahrscheinlichkeit, in der knappen Zeit der letzten Minuten richtige Antworten durch falsche zu ersetzen, zu hoch erschien. Es geht letztendlich ja auch darum, schnelle Entscheidungen zu treffen.
Die Antworten werden auf speziellem Papier festgehalten, das dann maschinell ausgelesen wird. Zwar erhält man erst vier Wochen später das Ergebnis, aber die Prüfung selbst samt Lösungen wird unmittelbar nach der Prüfung online zur Verfügung gestellt. Wer schwedisch kann, kann es sich hier ja einmal anschauen.
Es gibt insgesamt 122 Punkte zu holen, und bewertet wird in Punkten von 0,0 bis 2,0. Die Bewertungstabelle wird erst in einigen Wochen festgelegt, wenn die meisten Ergebnisse schon da sind. In der letzten Prüfung (und auch in der davor) war es so, dass man ab 32 Punkten eine 0,1 erhielt und ab 109 Punkten eine 2,0. Der Schnitt lag im Herbst bei 0,9 und im letzten Frühjahr bei 0,92.
Mein Ergebnis konnte ich so schon einmal vorläufig ermitteln:
- Block 1 (Schwedisches Leseverständnis): 14 von 20 Punkten
- Block 2 (Mathematik): nicht gewertet und daher auch keine Lösung
- Block 3 (Diagramme): 14 von 20 Punkten
- Block 4, erster Teil (Englisches Leseverständnis): 18 von 20 Punkten
- Block 4, zweiter Teil (Synonyme): 30 von 40 Punkten
- Block 5 (Mathematik): 19 von 22 Punkten
Macht insgesamt also sage und schreibe 95 von 122 Punkten, was 78% entspricht!
Ich gebe zwar ungern an, aber wenn man bedenkt, dass ich kein Muttersprachler bin und ich mich keine Minute auf die Prüfung vorbereitet habe, bin ich alleine schon deswegen stolz auf dieses Ergebnis.
Dass mein Ergebnis aber geradezu unglaublich gut ist, zeigt erst der Blick auf die Ergebnisse der beiden letzten Prüfungen. Dort erhielt man für 92 Punkte die Note 1,6 – nur rund 6 % der Prüflinge erreichten einen besseren Schnitt. In jedem Fall gehöre ich damit zu den besten 10%!
Mit diesem Ergebnis könnte ich an der KTH fast alles studieren, und auch an den anderen Stockholmer Hochschulen bliebe mir kaum eine Ausbildung verschlossen. Lediglich Architekt, Logopäde, Zahnarzt, Arzt oder Ökonom könnte ich damit nicht werden.
Nur an einem würde es scheitern: eine formelle Qualifikation in Schwedisch fehlt mir.