Es bleibt einem auch nichts erspart




Media Markt Sverige

Originally uploaded by HansBaer.

Die Wahl ist verloren, der ungarische Ministerpräsident lügt, dass sich die Balken biegen, ich bin meine Erkältung immer noch nicht los – kann es noch schlimmer kommen?

Ja, Media Markt kommt nach Schweden.

Es gibt bisher ja nur ElGiganten, Siba und OnOff, die die Leute mit überhöhten Preisen bescheißen.

„It’s the end of the world as we know it…

…and I feel fine“

REM – End of the World

Gestern morgen hatte man ja noch leise Hoffnungen. Mein erster schwedischer Urnengang war spannend – man darf die Briefe nicht selbst in die Urne werfen, und man muss sie zukleben. Das sind im Wesentlichen die Hauptunterschiede zu Deutschland.
Ich möchte nicht behaupten, ich hätte es schon vorher gewusst, aber eine leise Vorahnung hat mich den ganzen Tag begleitet. Eigentlich hatte ich schon die ganze Woche das Gefühl, dass das eigentlich nichts werden kann.

Wenn man auf einen knappen Sieg spekuliert, geht das immer schief. Das vermeintlich kontrollierbare tut letztendlich doch, was es will. Professor Murphy lässt grüssen.Dann kommt es so wie beim Autounfall, wo ein Meter fehlt, beim WM-Halbfinale, wo man doch nur noch zwei Minuten hätte aushalten müssen, oder bei Steve Irwin. Und letztendlich ist es nicht anders bei den schwedischen Sozialdemokraten, die wussten, dass sie dieses mal nicht die Trümpfe in der Hand und den schlechteren Spitzenkandidaten haben. 70 Jahre annähernde Dauerregierung sind letztendlich doch kein Garant.

So sind wir gestern abend mit gemischten Gefühlen zur offiziellen Wahlparty in Norra Latin, einer der Zentralen schwedischer Sozialdemokratie gegangen. Ich hatte zuvor sogar meine bescheidenen Krawattenbindkünste angestrengt, um auch etwas herausgeputzt zu erscheinen. Die Wahlparty war gross, das Fernsehen war da, und man konnte zwischen dem öffentlich-rechtlichen SVT und dem privaten TV4 entscheiden. Leider muss ich konstatieren, dass SVT zumindest anfangs die erheblich schlechtere Wahl war.

In einem Tiefpunkt der Medienpädagogik zeigten sie, wie man die Prognose nicht präsentieren sollte. Kurz hier der Ablauf:

  • 20 Uhr: der Balken der Linkspartei schnellt hoch. Es wird gejubelt, bis einen Moment später klar wird, dass es sich um das Ergebnis von 2002 handelt.
  • der Prognosebalken schnellt hoch, keiner jubelt. 2 Prozent minus für die Linkspartei – die werden uns nachher auch fehlen.
  • jeder wartet auf den nächsten Balken. Stattdessen wird zunächst ein Linksparteiler interviewt, der bitte jetzt kommentieren soll, dass seine Partei möglicherweise wahrscheinlich eventuell zwei Prozentpunkte eingebüsst hat. Idiotisch, zumal keiner die anderen Ergebnisse kennt. Auf der TV4-Seite des Gebäudes schlagen dagegen die Emotionen hoch. Ich hätte dort sein sollen.
  • Als nächstes die Sozis. Wieder Jubel – 39,9 % – aber wieder nur das Ergebnis von 2002.
  • Der Jubel verstummt, als die Prognose auftaucht – 34 %, ein Debakel.
  • Nach dem Schema geht das weiter. Nach 10 Minuten wissen wir endlich, was Sache ist.

Nun beginnt die eigentliche Zählerei. Hochrechnungen sind in Schweden auch noch genau das: Hochrechnungen. Man nimmt einfach die schon angekommenen Ergebnisse und rechnet sie hoch. Gut gemeint aber unrealistisch. Die Grossstädte sind traditionell eher konservativ. Dementsprechend führen wir auch bis kurz vor 23 Uhr. Wenigstens konnten wir so vorher noch jubeln.

Ich rede mit einigen Genossen, sehe Mädchen weinen. Sie tragen es mit Fassung, aber es scheint ein bisschen durch, dass sie im inneren nur bedingt darauf gefasst waren. Viele werden Tage, vielleicht sogar noch länger brauchen, um zu verstehen, dass auch im Sozi-Land Schweden eine rot geführte Regierung nicht gottgegeben ist. Dass die immer hoch gehaltene Demokratie heissen kann, ja sogar heissen muss, in die Opposition zu gehen. Ich frage mich leise, ob sie denn das können. Die SPD konnte es 1982 nicht. 16 Jahre Kohl waren die Folge.

Ich sehe es trotz allem mit einem gewissen Amüsement. Die SAP hat 9 % mehr als ihr stärkster Herausforderer bekommen und ist dennoch im Tal der Tränen. Aus deutscher Sicht eine groteske Situation. Als leidgeprüfter ehemaliger Einwohner von Baden-Württemberg kann ich da nur Schmunzeln.

Der NDR ist übrigens auch da und interviewt eines der weinenden Mädchen und deren beiden Freundinnen. Letztere sind eher gefasst. Er redet minutenlang mit ihnen. Ich zweifle stark daran, dass diese Aufnahmen viel hergeben. Ich frage den Reporter, wann der Beitrag läuft. Heute morgen – nehme ich mir auf.
Die Schweden haben ihre Regierung abgewählt. Ob mit Recht oder nicht, das ist nicht mehr das Thema. Nun heisst es analysieren, und Fragen stellen – auch unbequeme.

Wir haben auf allen Ebenen verloren. Nicht nur der Reichstag, auch der Landsting (eine Art grosser Kreistag) und vor allem der Stockholmer Stadtrat sind nicht mehr links dominiert. Es ist klar, dass die Leute uns nicht mehr wollen.

Woran lag das?

Der offensichtlichste Grund hat zwei Namen: Fredrik Reinfeldt und Göran Persson. Reinfeldt wird der neue Statsminister (Ministerpräsident) werden. Er ist alles, was Persson nicht ist: jung und dynamisch. Die Leute hatten die Schnauze voll von Persson, der sich zwischenzeitlich nicht gerade schlau angestellt hatte, aber auch einiges Pech hatte. 2003 verlor er seine Kronprinzessin Anna Lindh durch einen irren Mörder. 2004 kam der Tsunami, und Tausende Schweden sassen in den betroffenen Gebieten fest. Vor allem Laila Freivalds, die Nachfolgerin Lindhs als Aussenministerin, musste sich Vorwürfe gefallen lassen, halbherziges Krisenmanagement betrieben zu haben. Im Frühjahr 2006 trat sie dann endgültig zurück. Ihr Nachfolger Jan Eliasson wurde gestern 65 Jahre alt – ein Kronprinz kann er nicht sein, soll er nicht sein und will es wohl auch nicht werden. Auch sonst musste Persson einiges einstecken. Sein mondänes Anwesen ausserhalb Stockholms, das rund 2 Millionen Euro gekostet hatte, machte auf die Schweden, die immer ein sehr genaues Auge auf die Diäten der Politiker werfen, alles andere als einen guten Eindruck.

Persson ging aus diesen Unbillen nicht unbeschadet hervor. In den Beliebtheitswerten rangierte er zuletzt auf mittelmäßigen Plätzen, während Reinfeldt strahlte. Kein Wunder, dass man mit dem Plakatieren von Perssons Konterfei bis fast zum Ende wartete – und dann bekam er auch immer mindestens einen Minister zur Seite gestellt, damit er nicht ganz so verloren da steht. Der krönende Abschluss war der ein Versuch, sich den bürgerlichen Parteien anzubiedern – die Presse zerriss das als Hilferufe eines Ertrinkenden, und hatte wahrscheinlich nicht einmal unrecht damit. Dazu kam noch die Ankündigung, keine volle Legislaturperiode mehr machen zu wollen. „Ihr seid mich eh bald los“ – diese Wahlkampfbotschaft ist schlichtweg töricht.
Reinfeldt hatte so unnötig leichtes Spiel. Dass die Fernsehdebatten im Allgemeinen ausgeglichen gewertet wurden, konnte die Gesamtsituation nicht verdecken.
Die entscheidende Frage, die sich nun stellt, ist, wie sehr die Sozialdemokraten als Partei darunter gelitten haben. Dies war das niedrigste Wahlergebnis seit 1920 – deutet sich hier vielleicht ein strukturelles Problem an? Laut den Statistiken sind die Moderaten bei Gewerkschaftern komplett gescheitert – der Schachzug, sich als neue Arbeiterpartei darzustellen, ist also gescheitert. Woher kamen dann aber dann die Wähler? Verlieren wir vielleicht gewisse Bevölkerungsschichten als Stammklientel? Oder war es letztendlich „nur“ der Erdrutschsieg in Stockholm? Diese Probleme sind aus Deutschland zur Genüge bekannt – die CDU gewinnt nicht bei den Frauen und in den Städten, die SPD nicht bei den Bauern. Man wird sich damit auseinandersetzen müssen.
Nun hat die „Allianz“, wie sich der bürgerliche Block nennt, eine knappe aber klare Mehrheit. Die Allianz, das sind 4 Parteien, die in der Vergangenheit nicht immer dicke Kumpels waren. Nun arbeiten sie zusammen. Ob dieses Bündnis weit kommen wird, ist mehr als fraglich.
Was aber, wenn doch? Viele Sozialdemokraten mögen wohl nun denken, man müsse sich einfach vier Jahre in einer Höhle verkriechen und abwarten.
Das aber wäre ein fundamentaler Fehler. Die Partei muss sich personell und programmatisch erneuern, und das schnell genug, um in 4 Jahren wieder angreifen zu können.

Persson hat heute seinen Rücktritt eingereicht, was aber ohnehin die übliche Formalie ist. Das Entscheidende: im März wird ein Sonderparteitag einen neuen Vorsitzenden wählen. Doch wer kommt in Frage?

Einer der in den Raum geworfenen Namen ist Wanja Lundby-Wedin. Sie ist die Vorsitzende von LO, einer Art schwedischem DGB. Der Verband steht der Partei äußerst nahe – soweit, dass sie sogar Hauptrednerin beim Kampagnenauftakt im Frühjahr war. Ob sie das Zeug dazu hat, bezweifle ich aber. Sie scheint mir keine Ikone zu sein.

In einer Webumfrage der Tageszeitung Dagens Nyheter führt derzeit die schwedische EU-Kommisarin Margot Wallström. Auch der recht junge nun Ex-Justizminister Thomas Bodström scheint laut dieser Umfrage passable Chancen zu haben.

Die Diskussion wird sicherlich die nächsten Wochen und Monate in Anspruch nehmen. Für mich als halb Außenstehender wird dies eine spannende Zeit werden und wahrscheinlich auch eine einzigartige Gelegenheit sein,diese ungewöhnliche politische Konstellation zu sehen. Das alles kann aber nicht verdecken, wie ernst das alles ist – die Zukunft der Partei und damit auch des Landes wird damit eng verknüpft sein.

In Da Ghetto (Hey, Ho)


Valstuga Hjulsta

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Der letzte Tag der Wahlkampagne, und meine Genossen machten ausgerechnet da Wahlkampf, wo wir ohnehin die meisten Stimmen abräumen: in Tensta.

Der Ort ist Suburbia vom Feinsten. Mittel bis sehr hässliche Gebäude gruppiert, die Straßen bevölkert von Leuten, die nicht gerade dem schwedischen Klischee in Sachen Aussehen entsprechen. Wer trotzdem blond ist, sieht zumindest arbeitslos aus.

Kurzum: Der Ausländeranteil ist gigantisch hoch, die Arbeitslosigkeit nicht gerade niedrig. Hier wählen uns die Menschen, weil sie sich von einer konservativen Regierung nicht gerade eine Verbesserung der Situation versprechen können.

Vielleicht ist es deshalb gerade da so wichtig, trotzdem Wahlkampf zu machen. Denn – ohne jetzt gehässig oder polemisch sein zu wollen – ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung dort ist sich der Bedeutung einer Wahl wohl nicht bewusst. Wenn wir dort viele erreichen, haben wir gleichzeitig eine große Ausbeute. Denn moderat wählen die bestimmt nicht.

Das Foto zeigt übrigens das „Zentrum“ von Hjulsta, Endstation der U-Bahn und wohl auch von so manchem, der hier wohnt. Links am Bildrand hat sich der Kurdenverein einquartiert.

Morgen wird in Schweden erstaunlicherweise weiter um Wähler gekämpft. Man verteilt Rosen und Stimmzettel – eine Besonderheit der Wahl hier nämlich ist, dass man Stimmzettel oft als eine Art Werbung zugeschickt bekommt, oder eben vor dem Wahllokal in die Hand gedrückt bekommt. Wähler exotischer Parteien können sich daher nicht einmal darauf verlassen, dass ein Stimmzettel für sie im Wahllokal ist. Nur Parteien, die schonmal einen gewissen Erfolg hatten, sind auch garantiert zu finden.

Dass Sozis Stimmzettel verteilen, ist aber etwas fragwürdig, denn zum Einen haben die Leute ihre Wahl schon beim Weg zum Wahllokal getroffen. Zum Anderen aber können sie die Stimmzettel ohnehin drinnen bekommen. Vielleicht werde ich mich morgen aber trotzdem noch beteiligen.

Morgen abend geht es auf jeden Fall auf die Wahlparty. Und um 20 Uhr wissen wir wirklich mehr.

(Wenig) Neues

Eigentlich sollte an dieser Stelle ein überragender Erlebnisbericht von meinen ersten Schwimmversuchen stehen, aber ich habe bisher noch nicht recht die Muse dazu gefunden.

Die Schwimmerei ist Teil meines Masterplans zur Erlangung überragender Fitness in diesem Winter. Außerdem will ich noch Saunagänge, mittellange Läufe (5-15 km) und etwas Fitnessstudio (es gibt eines hier im Lappis) einbauen.

Apropos Lauf: der Staffellauf mit den Genossen war recht erfolgreich. Zwar waren wir mit 2:08 Stunden natürlich viel langsamer als letztes Jahr, waren aber immerhin die zweitschnellste Sozi-Staffel – von drei, nur damit da keine falschen Rückschlüsse aufkommen.

Der Wahlkampf geht in die Endphase. Leijongate ist fast vergessen und andere dicke Skandale zeichnen sich auch nicht ab. Stattdessen wird mir mehr und mehr einer der Hauptgründe klar, warum die Regierungsmehrheit gefährdet scheint: Göran Persson. In den Beliebtheitsumfragen ist Persson nicht einmal unter den Top 5, weshalb es auch nicht verwundert, dass man bei den Sozis erst seit kurzem Personen auf den Wahlplakaten zeigt, und dann auch nur mit Ministern zusammen. Eine auf Persson zugeschnittene Kampagne brächte keine Vorteile. Nach 12 Jahren Persson haben die Leute keine rechte Lust mehr auf ihn, und das zeigt sich wohl oder übel auch beim Wahlverhalten. Meine Genossen sagen zwar, dass es vor vier Jahren genauso aussah und dann doch noch ein klarer Sieg herauskam. Aber damals hatte man noch Anna Lindh, eine Lichtgestalt und Ministerpräsidentin in spe. Die letzten Wahlduelle liefen trotzdem ganz gut für uns, wenn auch der Vorstoß Perssons Richtung Volkspartei und Zentrumspartei eher als unbeholfener Versuch gewertet wurde, sich an der Macht festzuklammern. Die beiden Parteien lehnten das natürlich prompt ab – ob das nur Wahlkampftaktik ist, wird sich nur dann zeigen, wenn der Sonntag sehr überraschend verläuft. Ansonsten heißt es Persson gegen Reinfeldt, links gegen bürgerlich, rot gegen blau. Und am Sonntagabend wissen wir mehr.

Rechtsradikale muss man hier glücklicherweise wenig fürchten. Die Sverigedemokraterna, auf den ersten Blick zumindest ein rechtspopulistischer Haufen im Stile der Republikaner, liegen zwar unter 4%, könnten aber wohl durch ein paar unglückliche Konstellationen mit einem Abgeordneten einziehen – das ist aber recht unwahrscheinlich. Sehr schön übrigens dieser Bericht. Wie man in die Parlamente reinkommt, haben die Nazis offenbar mittlerweile gelernt. Wie man aber auch wirklich was erreicht, nicht. Nach Muster 1933 kann es nicht funktionieren – seien wir froh drum.

Und nun zu etwas völlig Anderem: Meine unglaubliche Radiokarriere geht weiter. Heute abend moderiere ich ab 21 Uhr die Studentradio Top 20 – also die Charts der schwedischen Studentenradios. Zugegebenermaßen nicht übermäßig anspruchsvoll, aber eine neue Spielweise mit Potenzial.
Wer reinhören will: die Webseite von THSRadio.

Leijongate

Es gibt Skandale, die sehen erst gross aus und sind nachher nur heisse Luft, während es andere gibt, die immer grösser werden.

Ich habe mich jedenfalls gründlich getäuscht – dieser Folkpartiet-Skandal, von der U-Bahn-Zeitung Metro schon einmal passend Leijongate getauft, weitet sich jedenfalls immer weiter aus.

Mittlerweile sind nicht nur die Pressesprecher sowohl des liberalen Jugendverbandes LUF als auch der liberalen Folkpartiet selbst zurückgetreten, sondern auch der Parteisekretär Johan Jakobsson, weil der offenbar früher schon von der Geschichte wusste.

Aber auch der Stuhl des Parteivorsitzenden Leijonborg wackelt mächtig, weil er zwei Tage zurückhielt, wer noch in die Sache verstrickt ist.

Nun kam auch noch heraus, dass schon 1999 so etwas passiert war, und dass man die aktuellen Vorgänge ein halbes Jahr lang geheimhielt. Weiterhin wurde heute ein Reporter von Expressen rausgeworfen, weil er davon wusste.
Dass die Spione etwas wirklich wichtiges gesehen haben, bezweifle ich zwar immer noch, aber ohne Frage haben die Liberalen ihrer Sache einen Bärendienst erwiesen. Nach neuesten Umfragen ist die Partei klar unter die 10%-Marke gerutscht. Da war sie zwar schon mehrfach, aber die Talfahrt wird wohl noch etwas weitergehen. Da konservativer und linker Block nahezu gleichauf liegen, könnte dies möglicherweise letztendlich die Wahl zugunsten des linken Blocks drehen.

Kampagne von Dagens Nyheter (4)


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Vor lauter aufregender Vorgänge gestern habe ich natürlich kein weiteres Bild posten können. Nun, hier ist es – das vierte und letzte der Kampagne. Es gehört definitiv zu meinen Favoriten.

Der Skandal gestern wurde gegen Abend von einem viel wichtigeren hinweggefegt. Der schwedische Nationaltrainer Lars Lagerbäck hat todesmutig unmittelbar vor dem EU-Qualifikationsspiel gegen Angstgegner Liechtenstein drei Superstars, nämlich Zlatan Ibrahimovic, Olof Mellberg und Christian Wilhelmsson nach Hause geschickt, weil sie anscheinend für etwas Unruhe in der Mannschaft sorgen. Die ersteren beiden haben mittlerweile verlauten lassen, dass sie zwar die Entscheidung für unbegründet halten, sie aber akzeptieren. Sie wissen wohl selbst nur zu gut, dass sie ansonsten Nationalmannschaft bis auf weiteres abschreiben könnten.

Die Spionagegeschichte plätschert nun vor sich hin. Mittlerweile hat Göran Persson sich entrüstet gezeigt. Der Chef der Folkpartiet, Lars Leijonberg, präsentiert sich als reuiger Sünder. Es sollen nun noch mehr Leute verhört werden. Kommentatoren sprechen davon, dass der Wahlkampf jetzt schmutzig geworden sei. Warum das angeblich so sein soll, ist mir allerdings schleierhaft. Bislang sind die Parteien in ihrer Werbung kaum auf Konfrontation und Diffamierungen aus. Das kennt man aus anderen Ländern durchaus ganz anders.

Die Folkpartiet tut dennoch alles, um Stimmen zu verlieren. Direkt hinter der Schlagzeile findet sich heute beim Svenska Dagbladet ein Bericht über ein Vorkommnis, das am Wochenende in Solna (direkt nördlich von Stockholm) passiert sein soll. Ein Pornokino habe die Polizei verständigt, weil ein Mann, der mutmasslich eine Pistole in der Tasche hatte, dort etwas Theater veranstaltete. Es stellte sich heraus, dass er betrunken war, und er wurde prompt von der Polizei zur Ausnüchterung einkassiert. Das Pikante ist, dass es ein Stadtrat der Folkpartiet war. Im Interview mit Svenska Dagbladet erklärte er, er sei noch nie in so einem Laden gewesen. Er sei „bei der falschen Gelegenheit am falschen Ort gelandet“ – was das nun heissen soll, möge man sich bitte selbst zusammenreimen. Ich glaube jedenfalls, dass das in der Tasche keine Pistole war…

Skandal, Skandal (Update)

Es scheint sich doch mehr zu tun als zunächst zu erwarten war.Immerhin war es der Pressechef von LUF, der da herumspioniert hat.
Die Sozialdemokraten (SAP) haben mittlerweile Strafanzeige gestellt. Der Vorsitzende der Folkpartiet (fp), Lars Leijonborg, hat sich auch gleich mal bei Göran Persson gemeldet.
Anscheinend kam der Hinweis letztlich von der fp selbst, weil da jemand die „schmutzigen Methoden“ nicht mittragen wollte. Aber auch bei der SAP scheint man schon etwas vermutet zu haben.

Mittlerweile sollen es schon 3 Zugänge sein, die geknackt worden waren. 78 Zugriffe wurden registriert im Zeitraum zwischen Januar und März dieses Jahres.

Mich würde natürlich nach wie vor interessieren, wie die denn an die Zugänge gekommen sind, und ob die Infos wirklich so brisant waren.
Aber dass es jetzt politische Wellen gibt, ist nur allzu verständlich und auch gerechtfertigt. Man stelle sich nur vor, der Juso-Vorsitzende hätte auf Angies Computer herumgeschnüffelt. Experten meinen offenbar, die ganze Aktion beeinflusse zumindest unsichere Wähler. Ein DN-Kommentator vermutet gar, die SAP hätte das aus taktischen Gründen erst jetzt auffliegen lassen.
Die Moderaterna sind offenkundig schlau genug, ihren Mund zu halten. Zumindest hört man von allen anderen Parteien momentan nichts in den Nachrichten.

Skandal, Skandal

Da wurde ich heute morgen doch mächtig aus meiner Lethargie gerissen, als ich das Blog von Eric Sundström betrachtete: dass sich da ein „grösserer politischer Skandal“ anbahne, steht dort.

Kurz die Geschichte: heute nacht gaben die schwedischen Sozialdemokraten bekannt, dass die interne Kommunikationsplattform „inflitriert“ worden sei – und zwar auf höchster Ebene. Dahinter steckt anscheinend jemand mit engen Bindungen zur liberalen Folkpartiet. Es klang nach einem Super-GAU für die Liberalen. Sofort spielte ich mögliche Verschiebungen im Wählerverhalten durch. Am wahrscheinlichsten schien mir, dass liberale Wähler zu den Moderaterna wechseln würden, was mir ehrlich gesagt noch weniger behagen würde. Diese spielen jetzt kurz vor der Wahl ihren vermeintlich grössten Trumpf aus, die Arbeitslosigkeit. Arbeitslose qualifizierte Menschen werden auf den Wahlplakaten mit Lebenslauf vorgestellt. Das passt natürlich wunderbar zur bisherigen Kampagne der Partei, die eigentlich nur aus dem Aufzeigen vermeintlicher Probleme besteht: Sicherheit in Östermalm, mehr Polizei, sicherere U-Bahn, mehr Strassenbeleuchtung, und, ach ja, wir sind übrigens die neue Arbeiterpartei. Das alles garniert mit ein paar Steuersenkungsversprechen.

Das alles kommt viel neoliberaler daher als die Folkpartiet, die Wahlkampf mit echten Inhalten macht und auf einigen ihrer Wahlplakate sogar vernünftig klingende Sachen verkündigt – etwas, das man bei den restlichen bürgerlichen Parteien schmerzlich vermisst. Wählerwanderung von den Liberalen zu den Moderaterna? Nein, danke.

Bei Lichte besehen ist der ganze Megaskandal allerdings viel dünner als zuerst angenommen. Wie Svenska Dagbladet in einem Bericht schreibt, gibt die Folkpartiet die ganze Sache auch zu. Laut denen hat sich ein Mitglied des liberalen Jugendverbands LUF einen Zugang zu der Kommunikationsplattform beschafft, indem es irgendwie an die Logindaten eines „lokalen Ombudsman“ gekommen ist. Dann habe er Informationen, die eben an solche lokale Vertreter der Partei gerichtet worden seien, abgerufen, und zwar 78 mal von November 2005 bis März 2006.
Zugegebenermassen ist das sehr schlechter Stil, und das kann sogar rechtliche Folgen haben. Abgesehen davon ist der Skandal nach diesem Informationsstand bestenfalls ein Skandälchen. Rein spekulativ ist also folgendes passiert: ein stets adrett gekleidetes LUF-Mitglied hatte etwas Langeweile bei seinem Job in einer Firmenberatung und dachte sich, er könne ja mal versuchen, sich als Sozi XY da einzuloggen. XY wiederum, internetaffin, wie er ist, hat als Passwort den Namen seiner Frau gewählt, oder vielleicht den seines Sohnes, oder gar seinen eigenen – eventuell hat er aber was ganz originelles benutzt wie „olofpalme“. Jedenfalls kam der LUF-Mensch hinein und hat dann 5 Monate lang den lokalen Newsletter der Partei mitgelesen, der sicher spektakuläre Ankündigungen wie „Die Versammlung beginnt eine halbe Stunde früher“ oder „Per feiert in einer Woche seinen 50igsten“ enthielt. Der böse LUF-Hacker hat wohl auch versucht, die Webcam auf Göran Perssons Klo anzuzapfen, ist dabei aber wohl gescheitert.

Im Ernst: ich möchte die Konkurrenz ja nicht in Schutz nehmen, aber wenn es bei der Faktenlage bleibt, ist der vermeintliche Skandal ein schlechter Witz.

Die eigentliche Knüllermeldung des Tages ging bei der ganzen Sache leider vollkommen unter: der geneigte Leser wird sich ja noch an die Steuersenkungen erinnern. 1000 Kronen (ungefähr 107 €) mehr im Geldbeutel hatten die versprochen. Daneben immer das Konterfei des sympathisch wirkenden Moderaterna-Chefs Fredrik Reinfeldt.
Jetzt gestand er ein bisschen kleinlaut in einem Interview, dass dieser Wert sich auf ein schwedisches Durchchschnittspaar bezöge. 1000 durch 2 ergibt nach aktuellem Stand der Wissenschaft aber lediglich 500 kr – man könnte also sagen halb so viel. Ich bin ja kein Experte, aber es drängt sich der Eindruck auf, die Moderaterna sind entweder zu blöd für Wahlkampf oder sie schaffen es nicht, irgendwelche Inhalte zu verkaufen, die auch für die „Arbeiter“, denen sie sich ja anbiedern wollen, irgendeine Relevanz hätten.

Denn ohne die Steuersenkungen bleibt nur der ganze Law&Order-Quatsch übrig – und der spricht vor allem armani-bebrillte Snobs an, die am Stureplan herumhängen und Angst haben, dass man ihnen ihren Porsche Cayenne klaut.

Heute abend mache ich übrigens auch ein bisschen Wahlkampf. Flugblätter austeilen bei mir im Wohnheim. Mal sehen, ob dieses Mal mehr da sind als letztes Mal.

Rekordverdächtig

Laufen ist manchmal wie ein guter Freund – unbarmherzig ehrlich, wenn es darauf ankommt. Lebensberatung kann dieser Sport nicht geben, aber man merkt wirklich intensivst, wenn der Körper nicht im besten Zustand ist.

Der heutige Tag wird in meine persönliche Läufergeschichte eingehen als die schlechtesten 21,1 km, die ich jemals abgeliefert habe. Das vermag ich schon nach 3 absolvierten Halbmarathons definitiv zu sagen.

Normalerweise bin ich ja ein kleiner Uhr-Fetischist. Zumindest kilometerweise will ich wissen, wie es steht. Und meist steht es so einigermaßen. Heute hingegen habe ich sogar vergessen, beim Zieleinlauf auf Stop zu drücken. Wozu auch?

Ein kurzer Blick in die Geschichte: 2004 nahm ich als Test für meinen finisherzeitmäßig letztlich bescheidenen ersten (und bislang einzigen) Marathon in New York am Baden-Marathon teil und absolvierte einen Halbmarathon. Schnell war ich zwar nicht, aber die Strecke ging trotz mäßigen Schuhwerks vorbei – lediglich riesengroße Blasen kündeten von der Meisterleistung. 2:13 Stunden habe ich damals gebraucht. Letztes Jahr dann verbesserte ich das deutlich: 1:54 Stunden beim S:t Eriksloppet hier in Stockholm. Ich hatte meinen historischen Fitnesshöchsstand erreicht.

Eine Form, an die ich seither nicht mehr anknüpfen konnte. Wegen Gewichtszunahme, aber auch wegen mangelnden Trainings. Ich habe in den letzten Monaten meist Läufe von 6 bis 8 km absolviert, manchmal mit fiesen Steigungen, aber meist harmlos. Für eine schwedische Meile (10 km) ein halbwegs brauchbares Training, für mehr aber definitiv nicht.
Dennoch beschloss ich spontan, dieses Jahr wieder beim S:t Eriksloppet teilzunehmen. Nach meiner Ohrengeschichte diese Woche bin ich aber seit gestern auf Antibiotika. Dazu kam „Verletzungspech“: die grandiose Aktion mit dem Zeh vor einigen Tagen bewog mich dazu, Training diese Woche sein zu lassen.

Aber es sollte ganz anders kommen. Meine Stimmung hellte sich merklich auf, und die ersten Kilometer machten echt Spaß. Erst gegen 7 Kilometer merkte ich, dass meiner Leistung Grenzen gesetzt sind, aber da meine Tempovorstellungen (ca. 2 Stunden) recht moderat waren, blieb ich noch einigermaßen im Limit. Bei Kilometer 9 dann der erste Einbruch. Ich wurde immer langsamer, das Atmen fiel schwer. Eine Pause zum Luft holen war unvermeidlich.

Das Problem dabei ist, dass ein Hypochonder-Effekt entsteht. Man fragt sich dauernd: „Beeinträchtigen die Antibiotika die Lungenfunktion?“ – und sucht nach Anzeichen davon. Wenn ja, wäre das natürlich fatal gewesen und ich hätte schon kurz darauf einen Sanitäter ansteuern müssen, bevor ich auf der Strecke umkippe. Helden, die das geschafft haben, habe ich heute auch gesehen – einer lag schon bei Kilometer 12.

Der Gedanke, aufzugeben, ist mir allgemein natürlich zuwider. Zumal zuhause ein T-Shirt liegt, das man dann niemals ruhigen Gewissens tragen könnte. Dennoch verfolgte mich die Erwägung dieses Schritts (ich habe noch nie einen öffentlichen Lauf abgebrochen) einige Kilometer. Letztendlich bewegten mich meine beiden Cheerleader Chris und Bine mit ihrer Zuversicht bei Kilometer 12, diese Idee zu verwerfen. Letztendlich waren es ab da nur noch 9 Kilometer – nur.
Das eigentliche Debakel begann bei Kilometer 14. Leichtes Ziehen in der linken Wade, kurz darauf ein kleiner Krampf. Ein paar Muskelstränge kontrahierten, obwohl sie es nicht sollten. Die sichtbare Einbuchtung an der Stelle verdeutlichte, dass sich etwas anbahnte. Ich hatte noch nie einen Krampf beim Laufen. Wenn mich so etwas mal erwischt hat, dann meist nach einer durchzechten Nacht, so dass eine falsche Schlafposition wohl die Durchblutung behinderte. Aber beim Sport? Nie gehabt.
Ich fühlte mich so, wie sich Frank aus „Von Null auf 42“ beim NYC-Marathon gefühlt haben muss. Man kommt wenig bis gar nicht voran, und irgendwann ist man nur noch von Rentnern umgeben. Heute trösteten mich ein paar fast schon gazellenartige (und optisch nicht zu verachtende) Frauen darüber hinweg, dass meine Zeit langsam aber sicher in den Keller rutschte. Es kommt offenbar nicht nur auf die Altersklasse an, wo man im Feld landet.

Der Höhepunkt war bei Kilometer 18 erreicht. Die angepeilten 2 Stunden waren schon verstrichen, und regelmäßig bei jedem Laufversuch machte der Muskel schnell dicht. Die Intervalle wurden kürzer, die Krämpfe stärker. Letztendlich stand ich mehrere Minuten da und wartete, dass sich der Krampf löste. Prophylaktisch zwischenzeitlich zugeführtes Wasser, isotonisches Getränk (lasse ich sonst angewidert stehen) und Bananen hatten offenbar nur bedingt geholfen. Solange ich ging, gab der Muskel Ruhe. Beim permanenten Lauf meldete er sich aber schnell zu Wort, in diesem Fall besonders stark. Ein Mitläufer fortgeschrittenen Alters stellte im Vorbeirennen die sinnige Frage „Är det kramp?“ („Ist das ein Krampf?“), worauf mir nur ein „Ja“ als Antwort einfiel. Was hätte ich sonst auch antworten sollen? Mir ist allerdings schleierhaft, was die Frage sollte. Wenn man derart weit hinten läuft und scheinbar keine gesundheitlichen Probleme hat, riskiert man im Normalfall keine dicke Lippe.

Drolliger hingegen eine Frau, die bei Kilometer 19 jubelte angesichts der Tatsache, dass sie eben jenen Kilometer 19 überschritten hatte. Kurz darauf fragt mich eine Passantin, was das denn überhaupt für ein Lauf sei. Sie ist offenbar nicht sonderlich gut informiert, und sicher auch keine begeisterte Läuferin.

Chris und Bine hatten stoisch abgewartet und sogar den Streckensprecher bei Kilometer 20 dazu überredet, mich persönlich zu nennen, was ich mit kurzem Winken quittierte. Interessanterweise gab man mir dieses Jahr wieder den Teamnamen Keesves – offenbar ein Relikt aus der letztjährigen Datenbank, denn zu der Zeit verwendete ich den noch.

Die beiden liefen sogar ein Stück mit. Die letzten paar hundert Meter schaffte ich sogar noch laufend. Das endgültige Ergebnis: ungefähr 2:40 Stunden – miserabel wäre ein Euphemismus.
Zu allem Überfluss steht nächsten Samstag der nächste Lauf an. Dann aber über angenehme 5 km. Mehr traue ich mir im Moment auch nicht zu.
Ich sage manchmal, dass ich vor dem letzten Läufer mehr Respekt habe als vor dem ersten – eben weil er es durchgezogen hat. Dennoch bleibt ein bitterer Beigeschmack. Letztendlich hat man versagt, den Schaden lediglich etwas eingedämmt. Mein Herbst- und Wintertrainingsprogramm steht schon in Grundzügen fest.

Als ich in New York auf den letzten Kilometern müde vor mich hintrottete, traf ich einen Kanadier, mit dem ich ins Gespräch kam. Ihn hatte das Verletzungspech direkt im Lauf erwischt und er humpelte etwas. Ich konstatierte kurz darauf, dass das für mich fürs erste der einzige derart lange Lauf bleiben würde. Er antwortet kurz, aber treffend: „Lügner!“

Das Schlimme ist: er hat recht.

Kampagne von Dagens Nyheter (3)


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Originally uploaded by HansBaer.

Einer meiner Favoriten aus der Kampagne – sehr lustig.

Ich bin schon etwas angespannt. Seit gestern ist mein linkes Ohr saubergespült und ich nehme Antibiotika. Meinen Zeh merke ich kaum noch. Das sind natürlich suboptimale Bedingungen für den Halbmarathon, aber ich werde in jedem fall mein bestes versuchen.