Midsommar

Früher machte IKEA damit Werbung, dass blonde Menschen mit Blumenkränzen im Sommer um eine Art Maibaum herumtanzten. Konkret geht es dabei um den Brauch zu Midsommar, in ganz Skandinavien ein ziemlich bedeutender Tag. Den Grund dafür erkennt man leicht aus folgenden Werten:

Beginn der Morgendämmerung 1:58 Uhr
Sonnenaufgang 3:30 Uhr
Sonnenuntergang 22:08 Uhr
Ende der Abenddämmerung 23:40 Uhr

Das sind die Daten für heute. Das geißt, dass es praktisch keine Nacht mehr gibt. Gestern war natürlich der längste Tag des Jahres und damit noch geringfügig länger. Im Gegensatz zur manchen landläufigen Meinung war Midsommar aber nicht gestern, sondern ist immer am Samstag nach dem 21. Juni, also morgen. Heute ist hingegen auch so gut wie Feiertag, der sogenannte Midsommarafton. Er ist einer dieser inoffiziellen de-facto-Feiertage. Dieses Wochenende passiert wirklich überhaupt nichts. Keine Fahrstunde heute, und auch mein ICA schließt schon um 14 Uhr. Entgegen der IKEA-Darstellung tanzen allerdings viele Schweden nicht um die Stange herum. Hauptbeschäftigung für die meisten ist, sich hoffnungslos zu besaufen.

Mein zweites Midsommar wird aber genauso unspektakulär sein wie letztes Jahr. Zwar gießt es nicht in Strömen, aber der Himmel ist grau, und ich habe keine Ahnung, was ich machen soll, weil praktisch alle Bekannten und Freude ausgeflogen sind. Also lasse ich es mir einfach etwas gut gehen.
Ab heute ist auch zwei Monate lang gesellschaftlicher Stillstand angesagt. Öffentliche Einrichtungen haben, wenn überhaupt, nur sehr eingeschränkt offen, und die Stadt ist merklich leerer.

Weniger schön ist Midsommar dieses Jahr für die Inhaber des Professorn – das ist das „Restaurant“ gegenüber meines Zimmers – wo eine Scheibe zu Bruch ging.

Mir persönlich verschönt gerade dieses Interview mit Egon Bahr den Tag. Schön zu wissen, dass es in der SPD noch Leute gibt, die etwas vernünftiges zu sagen haben. Weniger schön ist allerdings, dass diese Leute meist schon im Greisenalter sind.

Hot, Hot, Hot

Thermometer - 41,7 °C

Wie ich gerade gehört habe, soll die Zinssatzerhöhung einer Überhitzung der Wirtschaft entgegenwirken. Die Konjunktur läuft nämlich super. Bis 2010 soll der Satz bis 4,4 % steigen.

Überhitzungsbedenken habe ich auch, wenn ich auf meinen Thermometer schaue. Oben sieht man die Anzeige von vor 5 Minuten. Sie hat allerdings auch schon 44,6 °C erreicht. Es ist also vermutlich unglaublich heiß hier in Stockholm. Es könnte allerdings auch daran liegen, dass der Fühler auf einem Stück schwarzen Metall liegt. Meine Wetteranzeige im Browser zeigt nämlich nur 21 °C an.

Euroisiert

Euro - sxc.hu

Meine Freunde kennen mich als großen Fan der EU und des Euro. Umso betrüblicher ist es für mich, dass mein Wohnland sich so zurückhaltend in Sachen EU verhält. Bei den Schweden geht es immer ums Prinzip, und bei einem Bürokratiemonster mit oft nicht mehr wirklich durchschaubaren Strukturen, wie es die EU heutzutage ist, halten sie lieber Abstand.

Es ist dennoch erstaunlich, dass sich in der letzten Zeit das Thema Euro hierzulande wieder mehr zu bewegen scheint. Die bürgerliche Koalition nähert sich nämlich langsam dem Thema an: die Zentrumspartei, bei der Volksabstimmung 2003 noch klar ablehnend gegenüber dem Euro, ließ durchblicken, dass man zumindest über eine Kursänderung nachdenken könnte. Aus der liberalen Volkspartei kamen kürzlich sogar Vorschläge, man könne schon 2010 wieder eine Volksabstimmung durchführen.

Kurz zu den Fakten: der Euro geht bekanntermaßen auf den Vertrag von Maastricht aus dem Jahr 1992 zurück. Alle Länder, die danach der EU beigetreten sind, haben damit gleichzeitig die Einführung zugesichert. Die Länder, die vorher schon Mitglied waren, haben ein Ausstiegsricht (sogenanntes Opt-Out). Da Schweden erst seit 1995 in der EU ist, muss der Euro also eigentlich eingeführt werden. Man behilft sich allerdings mit einem Trick: für die Euro-Einführung muss die eigene Währung erst einmal 2 Jahre lang im sogenannten Wechselkursmechanismus II (WKM II) fest an den Euro gekoppelt werden. Die Älteren werden sich erinnern: ein Euro war mal 1,95583 DM. Schweden geht aber nicht in den WKM II und kann somit den Euro nicht einführen. Eine Volksabstimmung im Jahr 2003 brachte eine Ablehnung von 56% – das nächste Mal wollte man eigentlich erst 2013 abstimmen lassen. Die schwedische Währung bewegt sich also nach wie vor frei, wobei man natürlich versucht, allzu große Schwankungen zu vermeiden. Normalerweise pendelt die Krone irgendwo um 9,20 kr pro Euro, momentan ist sie aber bei fast 9,40 kr pro Euro, was sich auf den Import durchaus auswirken dürfte.

Die Reichsbank hat reagiert und den Zinssatz von 3,25 % auf 3,5 % angehoben. Der Markt reagierte nicht sonderlich begeistert darauf. Da ich kein Wirtschaftsexperte bin, kann ich hierzu kaum qualifizierte Kommentare abgeben. Manchmal frage ich mich allerdings, ob Schweden mit dem „Euro light“, wie ihn die Dänen haben, nicht besser fahren würde. Dort hat man die Währung früher an die D-Mark und heute an den Euro gekoppelt. Die Währung hängt also fest am europäischen Markt – und sollte man sich irgendwann doch zur Einführung des Euro-Bargelds entscheiden, könnte man das schneller machen als hier in Schweden. Das einzige, was dagegen spricht, ist der Druck der EU, wenn man die Konvergenzkriterien alle erfüllen sollte und trotzdem den Euro nicht einführt.

Gestern ging übrigens diese Meldung herum: 54% der Schweden sind laut der Umfrage gegen den Euro. Das bemerkenswerte daran ist, dass 2007 sicher nicht als Jahr der Euro-Euphorie in die Geschichte eingehen wird und dennoch 26% der Befragten nicht wussten, ob sie dafür oder dagegen sind. Wenn man dieser fragwürdigen Stichprobe glaubt, dann hat man einen erheblichen Anteil der Bevölkerung, die sich noch vom Euro überzeugen lassen würden. Sollten wieder bessere Zeiten für die EU kommen, wird auch die Mehrheit dagegen etwas abschmelzen. Ob es aber für eine Mehrheit dafür reichen wird, steht noch in den Sternen. Zweifel an einem neuen Referendum gibt es jedenfalls genügend. Ich bin der Ansicht, dass sich in zwei bis drei Jahren aber auch einiges verändern kann.

Meine größte Hoffnung ist, dass die baltischen Länder den Ausschlag geben werden. Wenn diese auch den Euro einführen, vereinsamt Schweden langsam aber sicher als Ostseeanrainer ohne Euro-Anbindung.

Restart

Nach 13 Tagen Ruhe hier wird es Zeit für ein kleines Update:

  • Ich habe meine Masterarbeit präsentiert. Es lief ganz gut, fand ich. Ich hatte nur 5 Besucher, aber das war auch zu erwarten. Einer machte sich die ganze Zeit Notizen, und ich erwartete, dass er mich am Schluss in die Pfanne hat. Dem war aber nicht so – es wurde eher ein Nostalgietrip darüber, wie man solche Messungen vor 40 Jahren durchführte.
  • Die Klausuren liefen nicht gut. Same old story.
  • Zwischenzeitlich hatte ich gute Hoffnungen, zusammen mit Anita eine Wohnung zu kriegen. Diese Hoffnung hat sich zerschlagen. Nun beobachten wir etwas den allgemeinen Wohnungsmarkt. Über das irrwitzige schwedische System und Parallelen zwischen Trabis und diesem System in Kürze mehr.
  • Ich habe mittlerweile schon eine Menge Busfahrstunden gehabt. So ein Bus ist schon verdammt lang – 12 Meter, um genau zu sein. Das bedeutet, dass man in Kurven sehr weit ausholen und rechtzeitig gegenlenken muss, damit man nicht gegen die Ecke fährt. Allgemein wirkt die Fahrspur auch sehr klein. Die Regel, dass man in einem Tempo-50-Bereich nach Möglichkeit auch 50 fahren soll, sofern es vertretbar ist, sollte man ignorieren. Tempo 30 in der Stadt geht vollkommen in Ordnung, weil mit Autos am Rand möchte man ungern heizen. Das Ganze läuft mittlerweile ganz gut, aber es müssen nun nur noch wenige Ecken daran glauben, und ich übe nun an dem wohl schwierigsten: Kreisverkehre. Sobald die Sachen einigermaßen im Griff sind, hoffe ich, dass es dann auch bald losgeht.
  • Mittsommer steht vor der Tür. Ab Freitag verbringen die allermeisten Schweden ihre Zeit damit, Schnaps und Milch zu trinken, Erdbeeren zu essen und um eine Art Maibaum herumzutanzen. Ich weiß noch nicht so recht, was ich machen werde. Es ist allerdings gut möglich, dass mir das Wetter die Entscheidung abnimmt. Es ist nämlich Regen angekündigt.
  • Ich habe den längst überfälligen Schritt vollzogen und mich aus Deutschland abgemeldet. Das heißt für mich nun, dass ich meine Erwerbseinkünfte aus Deutschland hier versteuern muss, womit ich sicherlich noch viel Freude haben werde. Der Anlass ist am ehesten, dass in Kürze mein Pass abläuft und ich nicht ewig in zwei Ländern gemeldet bleiben kann – anderen Länderm mag das egal sein, aber das deutsche Melderecht mag das gar nicht.
  • Etwas schade ist nur, dass ich im Herbst bei der Rastatter OB-Wahl nicht mitstimmen kann. Eigentlich betrifft es mich ja nicht mehr direkt, aber nach all den Ausfällen von Klaus-Eckhard Walker in den letzten Jahren hätte ich gerne aktiv abgewählt. Die Rastatter sind auch selbst schuld, wenn sie ihm für all die Geschichten noch einmal das Vertrauen aussprechen würden. Umso schockierter war ich, dass die Parteien anscheinend nicht beabsichtigen, Gegenkandidaten aufzustellen. Der CDU war es letztes Mal immerhin gelungen, mit ihrer recht schwachen Kandidatin Margret Mergen fast den Sieg einzufahre. Dieses Jahr sollte dies mit einem anständigen Kandidaten ein leichtes sein. Zum Glück ist ein Gegenkandidat in Sicht, der Interesse angemeldet hat.
  • Zur anderen Politik: Michael Moores neuer Film „Sicko“ geistert schon herum. Ich habe ihn einmal angeschaut. Es ist natürlich wie immer die gleiche Leier: böse Wirtschaftsbosse in den USA und deren Komplizen aus der Politik sind daran interessiert, ein System am Laufen zu halten, das ihnen selbst am meisten nützt. Das ganze wird gewürzt mit plakativen Einzelbeispielen – eines aus Moores Heimatstadt Flint im Staat Michigan – und etwas Bush-Bashing. Letzteres ist aber erfreulicherweise nur in einer stark abgeschwächten Form vorhanden. Eine Weiterentwicklung im filmischen Bereich ist jedoch kaum zu erkennen. Es wäre schön, wenn Moore auch einmal neue Konzepte ausprobieren würde. Sein Anliegen ist wie jedes Mal nicht abwegig: erhebliche Teile der amerikanischen Bevölkerung haben keine Krankenversicherung. Hinzu kommt, dass die Krankenhäuser auch für kleine Behandlungen Unsummen verlangen und die auf Gewinnmaximierung bedachten Krankenversicherungen gerne jede Leistung zweimal in Frage stellen, bevor sie bezahlt wird. Das muss sich ändern, sagt Moore, aber wie immer legt er keine Alternativkonzepte vor. Immerhin zeigt er Gegenbeispiele – wie in „Bowling for Columbine“ ist das Kanada, wo laut ihm alles besser sein soll. Das zweite Beispiel ist Großbritannien, wo der National Health Service für jeden kostenlos sorgt. Dass die Briten mit der kränkelnden Struktur des NHS massive Probleme haben, erwähnt er freilich nicht. Großbritannien erscheint als das Paradies der Sozialgesetzgebung, was für europäische Standards nur sehr bedingt zutrifft – ich erinnere nur an Rentner, die in ihren Häusern erfrieren, weil sie kein Geld für die Heizung haben. Das dritte Beispiel ist Frankreich, was auch eine volle Salve Lob abbekommt. Auch hier gibt es schöne Sozialparadiesaufnahmen, auf die ghettoartige Bilder aus den USA folgen. Ein paar Bilder aus den Banlieus hätte das Bild durchaus abgerundet. Mit dem vierten und letzten Beispiel hat sich Moore meiner Meinung aber zu weit aus dem Fenster gelehnt: Kuba. Michale Moore hat dafür zwar einen wunderschönen Aufhänger gefunden, aber der Rest des Teils macht ihn zunichte. Er hat nämlich herausgefunden, dass die US-Basis auf Guantanamo Bay – für alle, die es nicht wissen: das liegt auf Kuba und ist von den USA durch einen exzellenten Knebelvertrag bis in alle Ewigkeit gemietet – kostenlose medizinische Versorgung für alle Gefangenen auf hohem Niveau hat. Also charterte er ein Boot und wollte von Florida aus mit Kranken, die sich keinen Arztbesuch leisten können, dorthin fahren. Was daraus wird, ist nicht zu sehen, da es, wie es im Film heißt, durch Vorschriften im Heimatschutzgesetz der USA nicht erlaubt, dies zu zeigen. Man kann es sich denken: die Küstenwache fängt ihn ein, bevor er in kubanische Gewässer fährt. Stattdessen fliegt er wohl mit einigen Kranken nach Kuba und chartert dort wiederum ein Boot. Wenig überraschend erhält er keine Antwort. Und weil er da ja schon einmal in Kuba war, kann man gleich dort schauen, wie es um die Gesundheitsversorgung steht. Eigentlich eine nette Überleitung. Meines Wissens ist das kubanische Gesundheitssystem tatsächlich richtig gut. Mit einer „Es ist ja nicht alles schlecht“-Attitüde kann man aber auch die DDR nachträglich zum Paradies auf Erden machen, was sie erwiesenermaßen nunmal nicht war. Also zeigt er keine Bilder von ärmlichen Verhältnissen, gleichgeschalteter Presse und polizeilicher Repression. Stattdessen fährt er in ein Krankenhaus, wo man die Kranken – schätzungsweise nach kurzer Rücksprache mit dem entsprechenden Ministerium – kostenlos und herzerweichend freundlich behandelt.So täuschen die Computertomographie-Geräte schön darüber hinweg, dass nicht alles in Kuba toll ist. Ausgerechnet den US-Erzfeind Kuba zum netten Diktatürchen zu verniedlichen und die dortige Gesundheitsversorgung anzupreisen, wird sogar die eher liberalen Zuschauer in den USA vergrätzen. Das zeigt leider zu deutlich, was Moores Botschaft ist: wir machen es schlecht, und nahezu alle anderen machen es besser. Kuba als Gegenbeispiel darzustellen zeigt nur zu deutlich, wie oberflächlich Moore in der Sache ist. Hätte er besser mit den Briten abgeschlossen – die stehen den USA in vielen Dingen nahe und könnten ein schönes Gegenmodell abgeben. Dennoch muss ich sagen, dass der Film bei mir besser wegkommt als „Fahrenheit 9/11“. Weniger Pathos, weniger herumheulende Leute, obwohl das Thema und die dahinter liegenden Geschichten nicht sehr erbaulich sind. Moore sollte sich nach diesem Film aber einmal etwas Neues überlegen, denn mit dieser Art Film wird er nicht auf ewig volle Kinosäle haben.
  • Zweiter Film des Tages: „Befreiung“, ein Fünfteiler aus der Sowjetunion, der die zweite Hälfte des Zweiten Weltkriegs darstellt. Neben exzellenten Darstellern für Stalin, Hitler, Churchill und Roosevelt hat er auch eine detailgetreue und dennoch propagandistisch hingebogene Version der Ereignisse zu bieten. So ist Graf von Stauffenberg laut dem Film zwar kein Kommunist, aber hält diese für den Wiederaufbau von Deutschland für notwendig – die in den Mund gelegte Aussage kann natürlich nie widerlegt werden. Die „Anglo-Amerikaner“, wie sie nach offizieller DDR-Sprache hießen, haben ohnehin nur Probleme, während Stalin als schlauer Fuchs genau weiß, was abläuft, und den Krieg praktisch alleine gewinnt. Die Franzosen werden als Weiberhelden dargestellt, die die hübschen Sekretärinnen der Sowjets angraben. Rotarmisten, die nicht heldenmütig sind, finden sich nur vereinzelt und werden zur Strafe entweder erschossen oder degradiert. Als sie dann nach Berlin einmarschieren, versuchen sie auch sogleich, die deutsche Bevölkerung mit Wodka und netten Phrasen aus dem Wörterbuch für sich zu gewinnen. Immerhin wurde die Reaktion der Deutschen als skeptisch zurückhaltend dargestellt, damit die Tatsachen nicht vollkommen verzerrt sind. Alles in allem sehr sehenswert und mit gewaltigem Aufwand gemacht.

Demonstranten

Sehr erfreulich, dass ich vorwiegend Zustimmung zu meinem recht emotionalen Beitrag über den fragwürdigen Artikel in DN bekommen habe. Vergessen hatte ich zu erwähnen, dass ich Lewenhagen einen Leserbrief geschrieben habe, wo ich auch darum bat, dass man den Artikel etwas mehr in den Kontext hätte setzen müssen. Wenn man eine derart unglaubwürdige Interviewaussage präsentiert, sollte man soweit mit umgebenden Fakten ausstaffieren, dass der Leser sofort merkt, dass da etwas faul ist. Das war leider bei dem DN-Artikel nicht so.

Heute nun das wieder in der DN – Demonstranten von den schwedischen Grünen wurden festgenommen, weil in deren Bus Masken gefunden wurden. Zwar muss man dem Korrespondeten zu Gute halten, dass er auch über andere Dinge im Umfeld von Heiligendamm berichtet. Dennoch wird hier schon der Eindruck erweckt, in Deutschland würde man einfach so mal wegen nichts verhaftet – was von der Realität sehr weit enfernt ist.

Ich frage mich, was in Schweden los wäre, wenn es Krawalle mit brennenden Autos und 400 verletzten Polizisten gäbe: Aftonbladet und Expressen würden ein Jahr lang am Stück das Blatt mit „EXTRA“-Schriftzügen vollkleistern. Metro käme mit der superexklusiven Geschichte, dass irgendwer mit irgendwem irgendwas gemacht habe, was wahrscheinlich illegal, aber zumindest superschockierend für den Durchschnittsschweden sein soll, und das sich nachher als Ente herausstellt. Svenska Dagbladet brächte wahrscheinlich einen Bildband heraus…
Genug gesponnen: die Polizei würde nicht minder hart zugreifen, das ist sicher. Wenn die deutsche Regierung schlau wäre, hätte sie nicht so ein Theater um die Geschichte gemacht oder – noch viel schlauer – den Quatsch einfach nicht bei sich veranstaltet.

Biermädchenrechnung

Ein leckeres Bier kostet in einem schwedischen Pub normalerweise mindestens 4 € – ein gar nicht leckeres Bier übrigens genauso viel. Dazu ist der Alkoholverkauf massiv eingeschränkt – fast alles muss über die staatliche Monopolgesellschaft Systembolaget laufen.

Das macht erfinderisch. So bestellten sich viele bei Internetversänden Wein – und wurden vom Zoll abgefangen. Heute wurde nun ein neues Urteil des EU-Gerichtshofs zu dem Fall gesprochen.
Der Inhalt ist kurz gefasst: wer Alkohol nicht persönlich einführt, muss die Alkoholsteuern im eigenen Land bezahlen. Den Import für private Zwecke darf aber kein Land verbieten.

Das verleitet mich zu folgender Rechnung:

1x Kasten Rothaus Tannenzäpfle (24×0,33) (aktuelles Real-Angebot ink. Pfand) 16,71 € 155,89 Skr
Alkoholsteuer (1,47 pro Volumen-% und Liter) für 8 Liter und 6 % 7,57 € 70,56 Skr
Versand mit DHL (grobe Maße, ca. 11 kg) 32 € 298,41 Skr
Gesamt 56,28 € 524,86 Skr

Macht also 2,35 € bzw. 21,87 Skr pro Flasche. Das klingt nach unglaublich viel, aber es kommt auf den Blickwinkel an. Zwar kostet die Flasche Bitburger (0,33 l) bei Systembolaget „nur“ 9,90 Skr, aber da man für etwas speziellere Biere wie für eine Flasche Erdinger Weissbier schon über 19 Skr zahlt, ist das nicht vollkommen abwegig.
Außerdem ist das Ganze „unoptimiert“ – beispielsweise habe ich angenommen, dass ein leerer Kasten Bier schwerer als 2 kg ist. Das muss nicht stimmen. Sollte das Gesamtgewicht unter 10 kg liegen, spart man 10 € und die Flasche wird über 40 Cent billiger. Da wäre man schon bei 18 Skr. Verzichtet man auf den Kasten, könnte man vielleicht sogar noch mehr herausholen. Mit den 9,90 Skr des Systembolaget wird diese Methode zwar nicht konkurrieren können, aber wenn man wirklich mal Lust hat auf regionale Biere, dann kommt man auf annähernd konkurrenzfähige Preise. Bei Bieren, die im Systembolaget verfügbar sind, lohnt sich die Rechnung jedoch nicht.
Letztendlich machen es die Versandkosten aus: auch mit Steuern läge der Preis einer Flasche Weissbier (mit Pfand, aber ohne Kasten) bei gerade mal 1,45 € (13,51 Skr), wenn man deutsche Preise nimmt. Das sind rund 6 Skr weniger als bei Systembolaget – die lassen sich den Import teuer bezahlen.

Nichtsdestotrotz: schon bei Wein dürfte sich die Rechnung schnell umdrehen. Da zahlt man im Normalfall 27,20 Skr pro Liter an Steuern. Bei 12 Flaschen Wein á 0,75 l in einem Paket beträgt der Aufpreis pro Flasche ca. 39 Skr. Wenn man überlegt, dass man in Deutschland schon für 5 € passable Weine kriegt, die im Systembolaget sicher deutlich über 100 kr kosten, ist man da schon bald in der Pluszone.

Letztendlich dürfte die Methode aber wohl nur ein brauchbarer Weg sein, Spezialitäten zu erwerben, die einem Systembolaget vorenthält.

PS: Ein Schelm, wer darüber nachdenkt, was denn wäre, wenn man die Steuern einfach nicht bezahlt 🙂

Ungeheuerlich

Ich verkneife mir einen längeren Kommentar zu den Vorgängen in Rostock. Aber wenn ich lese, was Dagens Nyheter heute schreibt, geht mir der Hut hoch.

Der Deutschlandkorrespondet Jan Lewenhagen berichtet da über den 27-jährigen Schweden Jonas, der in Rostock festgenommen wurde. Jener meint nämlich:

Das war das reinste Guantanamo

und sagt von sich selbst, dass er nicht besonders politisch interessiert sei. Einige Perlen der Weisheit hat er auch zu bieten:

Die G8 diktiert die Situation im Rest der Welt

Aber er sei halt trotzdem nach Rostock mitgenommen, weil da ja was los sei, und das sei toll.

Daran, dass er zufälligerweise genauso gekleidet war wie die Leute, die mit den Steinen warfen, ist aus seiner Sicht wohl nichts ungewöhnliches. Er trug nämlich schwarz, obwohl:

Da schmilzt man ja drin!

Außerdem war er maskiert – und er habe nicht gewusst, dass das in Deutschland verboten sei. Dass er wie die ganzen Steinewerfer aussah und auch noch am gleichen Ort war, ist also reiner Zufall. Auch sonst ist er natürlich ein unschuldiges Opfer der Justiz, denn er habe keinen einzigen Stein geworfen. Das halte er für falsch.

Dann habe man ihn einfach so mal verhaftet und eine Lagerhalle gesteckt. Das sei da fürchterlich laut gewesen und wegen des Neonlichts konnte man auf den dünnen Unterlagen, die man ihnen gegeben hatte, nicht schlafen. Ansonsten sei die Polizei aber sehr „seriös“ gewesen.

Heute morgen um 6 sei er dann wieder auf freien Fuß gesetzt worden, mit der Visitenkarte eines Anwalts im Gepäck, der ihn noch in Haft aufgesucht habe.

Seinen Namen wolle er aber nicht nennen:

Sonst macht sich die Mama Sorgen!

Mal im Ernst: Wer soll denn die Geschichte glauben?

Ein angeblich unpolitischer Schwede, der sich rein zufällig genauso kleidet wie gewalttätige Autonome, treibt sich ebenso zufällig bei Krawallen in Rostock herum und wird von der Polizei verhaftet.

Die 10 Stunden in Gewahrsam, in denen sich die Polizisten „seriös“ verhalten haben sollen und man ihm einen Anwalt sowie einen Schlafplatz gab, sollen wie Guantanamo gewesen sein? Wie stellt der sich denn deutsche Gefängnisse vor? Federbetten mit reichlich Bier und Wurst im Kühlschrank???
Und vor allem: wie stellt der sich Guantanamo vor? Er kann sich ja bei Gelegenheit mal mit Murat Kurnaz unterhalten.

Ganz nebenbei, lieber Jonas: wenn man sich vermummt, ist das auch in Deutschland vollkommen legal, sofern man nicht gerade mit einer Waffe in eine Bank läuft oder dabei ist, Polizisten niederzuknüppeln.

Nachtrag: da irrte ich mich selbst – es gibt ein Vermummungsverbot. Im neuen Layout wird die Streichung des einen Zitats oben leider nicht korrekt angezeigt (korrigiert).

45

Führerschein

Gestern 8 Uhr. Das Telefon klingelt.
„Fabian, weißt du, was ich für dich habe“, sagt eine Frau auf schwedisch.
„Ja“, lüge ich perplex und unwissend. Sie scheint das nicht zu irritieren
„Ich habe einen Prüfungstermin für die Theorieprüfung. Nämlich morgen um 9.45 Uhr“
„Aber ich habe kommende Woche Prüfungen an der Uni, und außerdem habe ich ohnehin schon einen Termin für kommende Woche Donnerstag.“, argumentiere ich zurück. Wegen der langen Verzögerung beim Umtausch meines Führerscheins bin ich gelinde gesagt auch etwas aus der Übung.
„Ja, aber du machst ja schon seit März, und wird jetzt langsam Zeit.“
Widerwillig akzeptiere ich den neuen Termin. In der Tat ist ja auch etwas Eile geboten, denn meine ersten Kontakte mit der Busfahrerwelt sind schon mehr als drei Monate her, und schon in einem Monat soll ich die Straßen unsicher machen. Nachmittags sitze ich dann am Computer in der Fahrschule und mache Testprüfungen. Nach rund 12 Durchläufen habe ich wirklich auch die letzte Frage einmal gesehen und kenne viele Antworten schon auswendig. Das ist trügerisch, denn die Fragen sind natürlich nicht identisch mit denen in der offiziellen Prüfung. Also pauke ich mir noch Arbeitszeitregelungen und Achslasten ein.

Heute morgen dann einmal wieder die Begegnung mit dem modernen schwedischen Staat. Der helle Vorraum der Prüfungsräume beherbergt eine Reihe Fotokabine, wo man selbst das Foto für den Führerschein machen kann – alles elektronisch, versteht sich. Spaßeshalber nehme ich bei der Sprachenauswahl deutsch. Daher könnte ich mir auch ein Lächeln nicht verkneifen, denn die Computerstimme spricht vernehmbar mit österreichischem Akzent.
Die Prüfung selbst ist auch am Computer, und zwar browsergestützt. 60 Fragen gibt es. 5 sind Dummy-Fragen, die anscheinend Kandidaten zur Übernahme in den offiziellen Fragekatalog sind und die man zuerst an realen Versuchskaninchen testen will. Leider kriegt man bei diesen Fragen auch keine Punkte. Von den verbleibenden 55 Fragen muss man mindestens 44 richtig beantworten. Nach knapp 40 Minuten (so viel Zeit hat man) dann der Moment der Spannung. Ich klicke auf „Avsluta“ (Abschließen) und das Ergebnis erscheint. 45 richtige! Bestanden!

Netterweise zeigt das System dann auch an, welche Fragen falsch waren. Weniger nett ist allerdings, dass einem nur gesagt wird, dass die Antwort falsch war, aber nicht, welche richtig gewesen wäre.

Ist ohnehin egal – auch knapp bestanden ist bestanden, und wenn man rund 24 Stunden vorher bescheid kriegt, dass man Prüfung hat, schaut man weniger auf die Punktzahl.

Nächste Woche geht es also auf die Piste, hoffe ich.

PS: das Bild oben zeigt meinen neuen schönen schwedischen Führerschein. Ein Detail wurde vom deutschen Führerschein nicht übernommen: mit diesem darf ich keine Lastzüge mehr fahren, bei denen der gesamte Zug schwerer ist als 12 Tonnen. Da das Zugfahrzeug nur 7,5 Tonnen wiegen darf und der Anhänger nur eine Achse haben darf, ist dieser Fall aber ohnehin hypothetisch. Ein weiterer kleiner Nachteil: der Führerschein muss alle 10 Jahre verlängert werden. Das ist aber auch nicht weiter tragisch, denn das wird in Deutschland – wenn auch mit großzügigen Übergangsfristen – auch kommen. Ein Schmankerl hat die ganze Sache in jedem Fall: da ich ja die alte Klasse 3 gemacht habe und somit Inhaber des Führerscheins CE (Lkw mit Anhänger, in meinem Fall natürlich auf 7,5 t beschränkt) bin, kriege ich beim Erwerb des Busführerscheins nicht etwa Klasse D (Bus), sondern gleich Klasse DE (Bus mit Anhänger). Das beruht wohl darauf, dass die Macher der Regeln davon ausgingen, dass jemand, der einen Lkw mit Anhänger fahren kann, auch einen Bus mit Anhänger fahren kann. Eine kleine Lücke im System in diesem Fall, denn natürlich ist nicht bedacht worden, dass man in Deutschland früher auch einen CE-Führerschein, wenn man gar kein Lkw fahren konnte, schon gar nicht mit Anhänger. Ich selbst bin auch nicht gerade ein Anhängervirtuose, aber den DE-Führerschein nehme ich gerne. Dass ich jemals einen Bus mit Anhänger fahren werde, ist ohnehin unwahrscheinlich. Ein Gelenkbus zählt nämlich nicht als Bus mit Anhänger.

Otti der Otter

Nachdem hier wenig los war in den letzten zwei Wochen, ein kleiner Abriss über die letzten Tage:

  • Ich habe meinen schwedischen Führerschein erhalten. Damit geht es hoffentlich bald auch in Sachen Bus voran. Überraschung beim Abholen des Ausweises im lokalen Postcenter. Die Dame von der Post reißt doch vor meinen Augen einfach so den Brief auf. Ich dachte nur „Hallo Postgeheimnis?“. Genauso baff war ich neulich beim Lesen der Zeitschrift der Straßenverkehrsbehörde. Dort steht doch tatsächlich auf der letzten Seite:

    SMS-Dienst
    – Wem gehört das Fahrzeug? Schicken Sie die Kennzeichennummer an 71456
    Service-Telefon 07221-252525
    – Fahrzeugschein, Schilder und TÜV-Stempel bestellen
    – Angaben über Fahrzeug nachfragen (z.B. wem es gehört und ob die Steuer bezahlt ist)
    – Fahrzeug an- oder abmelden

    Auf gut deutsch: jeder kann per SMS zu jedem x-beliebigen Auto den Besitzer herausfinden. Wenn er anruft, kann er gleich auch noch herausfinden, ob derjenige die Steuer bezahlt hat und – wenn er etwas pfiffig ist – das Auto gleich abmelden. Ganz nebenbei kann man per Ratsit oder direktem Anruf bei der Steuerbehörde Gehalt und Kreditwürdigkeit herausfinden. Geschickte Dataminer wissen so innerhalb kurzer Zeit alles mögliche über eine Person. Man fühlt sich doch gelegentlich etwas wie im Big-Brother-Staat hier. Das Offentlighetsprincipen (deutsch „Öffentlichkeitsprinzip“), das praktisch alle amtliche Dokumente öffentlich macht, in allen Ehren – im 21. Jahrhundert wird das zunehmend bedenklich. Über Datenschützer in Deutschland kann man da fast nur schmunzeln, denn das hier ist alles ein erheblich deutlicherer Eingriff in die Privatsphäre. Offenbar bin ich auch nicht ganz der einzige, der solche Bedenken hat.

  • Ich war kürzlich in Deutschland bei meinen Eltern. Das Wetter war extrem heiß, was wir nun wirklich nicht mehr gewont waren. Trotz allem natürlich schön. Kurz die Highlights: Mein Heimatdorf Ottersdorf veranstaltet im Sommer die „Heimattage“. Dazu hat man sich als Logo „Otti“, den Otter, ausgesucht. Nicht dass dieses Tier ein Wahrzeichen des Dorfes wäre, aber die Namensähnlichkeit ist bestechend, und man kann lustige Anstecker verkaufen, die dann etwas Geld für die Heimattage eintreiben. Ich bekam einen Otti von Sven Planet (den ich an dieser Stelle herzlich grüße) geschenkt, da die Anstecker offenbar weggingen wie geschnitten Brot. Leider muss ich gestehen, dass Otti bislang verschollen geblieben ist – ich habe ihn hier in Stockholm noch nicht gesehen, aber vielleicht steckt er ja noch irgendwo in den Untiefen meines Rucksacks. Ansonsten waren wir noch exzellent Spargelessen – seit langem mal wieder Spargel-All-You-Can-Eat (auch wenn es offiziell nicht so heißt) für 19,70 € beim Restaurant Schoko in Rheinstetten-Forchheim. Das ist zwar ungewöhnlich viel Werbung für meine Verhältnisse, aber einen solchen Geheimtipp sollte man etwas propagieren. Leider ist der Urlaub ja schon wieder vorbei. Wegen der untragbaren Zuständen auf der A8 zwischen Karlsruhe und Stuttgart schafften wir es erst auf die Minute zum Flughafen – letztendlich hat uns die Möglichkeit zum Internet-Check-In gerettet. Dann war es auch egal, dass wir die Leberwurst (könnte ja C4-Sprengstoff sein) bei der Sicherheitskontrolle abgeben mussten.
  • Seither war das spektakulärste Ereignis das Pokalfinale Stuttgart-Nürnberg, das Benjamin, ein ehemaliger Kollege von DASDING, der derzeit beim schwedischen Rundfunk arbeitet – und ich im Irish Pub des Hauptbahnhof anschauten. Erstaunlicherweise gesellte sich noch eine Gruppe Schwaben und Franken dazu. Insofern ein herrlicher Abend.

Seither ist lernen angesagt – Klausuren stehen an, mein Führerscheintest und die Präsentation meiner Masterarbeit.