Ausgepowert

Nachtrag von der gestrigen Rückreise:

Dieser Eintrag entsteht im Zug zurück – seit gestern hatte ich nicht wirklich die Zeit und Energie, noch etwas zu schreiben. Weltbewegendes ist ohnehin nicht mehr passiert, denn ungewöhnlicherweise endete der Kongress schon um 16 Uhr – seither war er nur noch ein „Konvent“, bestehend aus einer Reihe Seminare. Das gestern – Thema war der europäische Arbeitsmarkt – habe ich ausfallen lassen, weil mir eine Stunde Schlaf im Hotel attraktiver erschein. Mein ohnehin bescheidenes Hörverständnis der schwedischen Sprache nimmt zudem erheblich ab, wenn ich müde bin. England gewann derweil gegen Paraquay. Für das nachfolgende Spiel, Schweden gegen Trinidad und Tobago, hatte ich eigentlich einen gewaltigen Auflauf im Versammlungssaal erwartet. Stattdessen war dort gähnende Leere. Letztendlich landete ich in der Hotelbar und schaute es mir dort fast alleine an.

Das 0:0 wurde von den schwedischen Medien wie auch von den Schweden selbst als Katastrophe angesehen. Sicherlich ist es kein Ruhmesblatt, gegen einen Nobody wie das Inselpaar nicht zu gewinnen, aber man muss denen auch zugestehen, dass sie gar nicht mal so schlecht gespielt haben. Heute titelten die Zeitungen dazu Sachen wie „Mardrömsmatch“ (Albtraumspiel) oder „VM-fiasko“. Allerdings ist noch nichts verloren, wenn es auch gegen Paraquay und England nicht leichter werden dürfte. Meine zwei aus Argentinien stammenden Genossen deuteten im Übrigen mittlerweile an, die Gruppenauslosung sei getürkt gewesen, so dass Deutschland eine solch leichte Gruppe bekommen hätte. Glauben tue ich es zwar nicht, aber auch in einer schwereren Gruppe wären wir weiter gekommen.

Der gestrige Abend wurde mit einem Fest beschlossen – allerdings ist das nicht so wie bei den Juso-Landesdelegiertenkonferenzen, wo irgendwo in der Halle eine Rumpelkapelle spielt. Hier geht das alles etwas nobler zu. Etwas festliche Kleidung wurde erwartet, wenn auch kein Anzug vorgeschrieben war. Es gab ein ansehnliches Dinner, immer wieder unterbrochen durch Danksagungen und vor allem Gesang. Der Durchschnittsschwede kennt 167 Lieder inklusive Text, wovon mindestens 166 Trinklieder sind – das 167. ist die Nationalhymne. Genossen kennen zusätzlich noch die Internationale. Im Ernst: das Liedrepertoire der meisten ist echt beeindruckend. Zudem hat jeder Studentenklub ein eigenes Lied. Mein Klub, SSK aus Stockholm, hat auch eines, das zwar keiner von uns kannte, aber da wir ja die größte Delegation waren, war der Blamagefaktor etwas reduziert. Um mich herum saßen drei Damen, zur linken eine Genossin aus Lund in Skåne (also Südschweden). Die war mir schon in ihren Redebeiträgen etwas aufgefallen, weil sie klar vernehmlich den Dialekt dieser Region spricht. Mir gegenüber saß eine Genossin meines eigenen Klubs. Man erlebt immer wieder Überraschungen hier: die Skånerin war ein Jahr in Hamburg und spricht deutsch, und auch meine Klubkameradin kann etwas deutsch. Das Wochenende war sprachlich für mich ohnehin eine interessante Mischung aus meinen drei Sprachen, wobei sich natürlich bei meinem Schwedisch traurige Abgründe hervortun. Auch wenn es sehr nett, hat es natürlich auch einen besonderen peinlichen Aspekt, wenn mir dann angeboten wird, es doch einfach auf deutsch zu sagen. Interessanterweise saß heute morgen eine vor dem Versammlungssaal und machte „Das große Stern-Soduko“. Wenig später sprach sie mit jemandem Englisch. Ich hatte zwar keine Gelegenheit, mich mit mir unterhalten, aber anscheinend war ich doch nicht ganz so exotisch bei der Veranstaltung, wie ich ursprünglich gedacht hatte.

Im Anschluss an das Dinner war eine Party. Ich zog mich einigermaßen zeitig zurück. Da der Sonntag nur aus Seminaren bestehen sollte, wollte ich mich früher auf den Heimweg begeben. Der Plan klang brilliant, nur hatte er massive Schwächen. Am Bahnhof stellte ich fest, dass der Verkaufsschalter geschlossen hatte (ist ja auch Sonntag), dass die Schließfächer außer Betrieb waren und ich zu allem Überfluss noch mein Handy vergessen hatte – großartig. Also zurück zum Hotel, Handy holen, zurück zum Bahnhof. Beim Anruf bei der SJ-Hotline (SJ ist die schwedische Eisenbahn) bekam ich erst nach 10 Minuten einen Gesprächspartner, der mich auch sofort mit „one moment please“ abspeiste, als ich meine Absicht verkündete, Englisch reden zu wollen. Weitere 2 Minuten später dann endlich jemand, der mir helfen konnte – die Antwort war recht kurz: nein, eine anderweitige Nutzung des Tickets ist nicht möglich. Das ist wie Sparpreis bei der Deutschen Bahn. Nur, dass man bei SJ wirklich spart.

So bin ich geblieben und habe mir ein Seminar zur Hälfte angetan. Bis ich hinausging, saß die Hälfte der Zuhörerschaft da und fächerte sich Luft zu, weil so warm in dem Raum war. Leider konnte ich mich nicht mehr konzentrieren, so dass ich auch nicht mehr den Redebeiträgen zum Thema „Mäns våld mot kvinnor“ (Männergewalt gegen Frauen) folgen konnte.

Nach einem netten Abschluss in einem Café geht es jetzt nach Hause. Mein vorläufiges Resümee: interessant, aber leider für mich sehr schwierig, alles zu verfolgen, und außerdem einen ziemlich unglücklichen Zeitplan. Wenn ich Zeit und Lust habe, kommt später ein stilistisch schöneres Resümee später 🙂

Life goes on

Deutsche Gründlichkeit ist etwas Schönes, eben weil es sie nur in Deutschland gibt und woanders folglich in dieser Form nicht existiert. So ist auch mit meinem Strafzettel, den ich letzte Woche bekommen habe. Bei der Wohnungsverwaltung erklärte man mir auf Anfrage lapidar, dass es natürlich schade sei, dass mich der Hausmeister falsch informiert habe. Man könne auf dieser Müllhalde hier nicht kostenlos parken. Dass das außer mir und ein paar Bauarbeitern auch niemand will und somit eine marktwirtschaftliche Schieflage in Bezug auf Angebot und Nachfrage besteht, scheint noch niemandem aufgefallen zu sein.
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Es geht los

Es ist soweit, in 90 Minuten beginnt meine erste Vorlesung.

Nachdem ich nun gestern abend beim SSU, dem Stockholms Socialdemokratiska Ungdomsdistrikt, war und die ersten organisatorischen Dinge hier auf dem Flur geregelt habe, ist die vorlesungsfreie Zeit vorbei.

Der SSU war recht spannend, da ich über zwei Stunden lang normalem Schwedisch lauschen konnte, was im Normalfall nicht immer so leicht möglich ist. Im Radio wird schließlich keine Umgangssprache gesprochen. Immerhin schaffte ich es, rund 10 bis 20 Prozent zu verstehen. Da ist also noch viel Luft nach oben. Jedenfalls wurde ich sehr herzlich aufgenommen und werde nächste Woche wohl wieder hingehen.

Hier auf dem Flur habe ich mal ein paar Schilder zur Aufteilung der Schränke aufgehängt. Langsam sieht man auch die Abgründe hier. Der nervige Moldawier hier ist mit seiner Frau/Freundin/was auch immer eingezogen. Das ist unverständlich, weil die Räume nicht gerade spottbillig sind und es für zwei Personen sicher passenderes gäbe. Es entsteht auch nicht gerade der Eindruck, als wäre sie sonderlich glücklich hier: sie meidet Kontakt und ist im Allgemeinen sehr selten zu sehen. Auch zwei Chinesinnen bewohnen ein Zimmer zusammen. Der Mietvertrag besagt, dass der Raum nur vom Mieter bewohnt werden darf – ich glaube nicht, dass da eine zweite Person vorgesehen ist.
Der Moldawier hat auch aus anderen Gründen meinen Unmut auf sich gezogen. Gestern verkündete er doch einigen Mitbewohnern, die sich über die Möglichkeiten, einen Sprachkurs zu belegen, unterhielten, dass man doch gar nicht Schwedisch lernen müsse – wozu denn, schließlich könne hier jeder Englisch. Ich wies ihn deutlich darauf hin, dass der schwedische Staat ihm seine Ausbildung schenke und dass es dann wohl eine Frage des Respekts sei, sich etwas mit diesem Land zu beschäftigen.

Mit dem Beginn der Vorlesungszeit heute ist es Zeit, die Rubrik „Die ersten Wochen in Stockholm“ zu schließen. Ich habe mich eingelebt hier – nun gilt es die Herausforderungen des neuen Alltags zu meistern.