Einen Tag später sind die Dinge oft klarer zu sehen. Umso erfreulicher ist, dass allem Anschein nach sich keiner berufen fühlte, nach den zwei Todesfällen beim Midnattsloppet letzten Samstag irgendwelche wilden Forderungen an die Veranstalter des Midnattsloppet zu stellen. Vielleicht liegt das auch daran, dass schon im Vorjahr ein Mann beim Midnattsloppet in Göteborg nach dem Ziel kollabierte und verstarb.
Schlecht organisierte Wasserstationen
Vereinzelt liest man Kritik an der Wasserversorgung. In der Tat war diese schlechter als in vergangenen Jahren, zumindest im Ziel. Ich stand auch mehrere Minuten an, um mir einen Wasserbecher zu ergattern, weil die Helfer nicht mehr hinterherkamen. Später gingen die Becher aus und mussten mehrfach verwendet werden. Das mag an dem sicherlich wetterbedingt höheren Wasserbedarf liegen. Hier hätte man aber vorsorgen können. Die Kritik, zwei Wasserstationen auf 10 km seien zu wenig, teile ich nicht. Es gibt genügend 10-km-Läufe, bei denen überhaupt kein Wasser auf der Strecke angeboten wird. Wer 10 km laufen will, sollte diese bei normalen Wetterverhältnissen theoretisch auch ohne Wasser durchstehen können. Zwei Wasserstationen sind da definitiv genug.
Für kritikwürdig halte ich jedoch den Aufbau der Wasserstationen. Diese sind seit jeher so aufgestellt, dass man eigentlich stehen bleiben muss, um etwas zu erhalten. Dieses Jahr war es eher noch schlimmer, vor allem nach dem Zieleinlauf.
Eine Beschilderung der Stationen fehlte dieses Jahr ganz, was das Risiko von Staus und Zustammenstößen erhöhte. Da gibt es eine Menge Verbesserungsbedarf.
Unrealistisch ist der Ratschlag von Dagens Nyheter, während des Laufs 0,5 bis 1 Liter zu trinken. Wer die 10 km als Spaziergang absolvieren will, schafft das vielleicht. Alle anderen können froh sein, wenn sie vielleicht 200 ml während des Laufs in sich hineinbringen können.
Heute morgen war in der DN auch zu lesen, dass man vielleicht bei der Anmeldung eine Art Erklärung zum eigenen Gesundheitszustand abgeben sollte, so dass die Organisatoren bei Risikogruppen ein ärztliches Attest einholen könnten. Das klingt nichtmal so abwegig, aber es bleibt natürlich fraglich, ob dies etwas bringt. Immerhin waren zwei der drei Toten in den besagten Läufen noch weit unter 40. Mir erschiene sinnvoller, Warnhinweise zu platzieren, dass dies nicht nur ein Spaß ist, sondern durchaus auch bitterer Ernst werden kann. Diese fehlten bislang völlig.
Massive Kommerzialisierung über Jahre hinweg
Die Organisatoren des Midnattsloppet fahren mittlerweile die Ernte dessen ein, für die sie jahrelang gearbeitet haben. Als ich 2005 zum ersten Mal mitlief, war die Veranstaltung noch ein gutes Stück kleiner. Sie war noch nicht ganz das vollkommen durchkommerzialisierte Produkt von heute.
In der Zwischenzeit ist viel passiert. Seit 2006 erhält man jedes Jahr ein T-Shirt, das verpflichtend zu tragen ist, was für den tollen Effekt eines endlosen Stroms gleich gekleideter Läufer sorgt. Da es Chips am Schuh gibt, braucht man schließlich keine Startnummern mehr. Dass ein kollabierter Läufer dann nicht mehr identifizierbar sein kann, ist vorhersehbar, wird aber wohl als vernachlässigbar erachtet.
Gleichzeitig hat man den Lauf zu einem großen (und vermutlich lukrativen) Geschäft aufgebaut. Seit 2009 druckt man nicht mehr für jede Startgruppe einzelne Shirts, sondern es gibt Aufkleber oder Bänder – wahrscheinlich, um Geld zu sparen. Für die Shirts selbst dürften die Organisatoren ohnehin wenig bezahlen, denn die Sponsoren, darunter auch der Shirtlieferant Nike, erhalten genügend Raum, um sich in Szene zu setzen. Dieses Jahr gab es seitens einen spektakulär beleuchteten Tunnel und schöne Beleuchtung am Wasser. Das Aufwärmprogramm kam von der Fitnessstudiokette SATS, die natürlich auch zu den Sponsoren gehören.
Das Rahmenprogramm hingegen scheint dieses Jahr kleiner geworden zu sein. Jedenfalls waren am Mariatorget keine Kapelle und auch keine tanzenden Kostümwettbewerbsschiedsrichter mehr zu sehen. Auch die Versorgung der Läufer ist zusammengestrichen worden. Dieses Jahr gab es nur noch Wasser und Bananen, sonst nichts. Keiner dieser leidigen Sportdrinks, kein Süßkram oder dergleichen.
Hauptsache die Kasse stimmt
Man zahlt dafür übrigens selbst als Frühanmelder rund 35 €. Spätanmelder dürfen über 45 € auf den Tisch legen.
Es kommt einem so vor, dass es hier in erster Linie um den Profit geht. Dinge, die man an Sponsoren übergeben kann, werden gut gemacht, der Rest hingegen so billig wie möglich.
Das Ganze muss ein gewaltiges Geschäft sein. 2008 startete er erstmals in Göteborg. Dieses Mal wird man dort vermutlich die Teilnehmerzahl von 10.000 überschreiten. Seit 2009 gibt es den Lauf auch im Kopenhagener Vorort Frediksberg. Dieses Jahr startet er erstmals in Helsinki. Mich würde nicht überraschen, wenn es 2011 auch einen in Norwegen geben wird. Damit deckt man effektiv den ganzen skandinavischen Markt ab, ohne dass sich die Läufe durch zu große geographische Nähe gegenseitig das Publikum wegnehmen.
Dass jedes Jahr rund 5.000 Angemeldete erst gar nicht erscheinen, wird natürlich verschwiegen. Es kommt dem Veranstalter sicher nicht ganz ungelegen. Optisch merkt man den Unterschied nicht, aber die Kasse klingelt trotzdem. Es gibt weniger Gedränge, und für die Versorgung muss man weniger Geld ausgeben.
Der Organisator ist mittlerweile die letzten Herbst gegründete Firma „Midnattsloppet Nordic AB“, nicht mehr wie zuvor der Verein Hammarby IF. Auch das dürfte kein Zufall sein.
Damit im Einklang steht auch die Strategie, die verfolgt wurde. Über Jahre hat intensives Marketing dafür gesorgt, dass es an Teilnehmern nicht mangelte. Ab einem gewissen Punkt wird die Veranstaltung zum Selbstläufer und die Teilnehmerzahl explodiert. Dieses Jahre wurde in Stockholm schon zwei Monate im Voraus das Limit von 21.000 Anmeldungen erreichte.
Dass die organisatorische Grenze bei der Wasserversorgung offenkundig schon bei 16.000 Läufern in Kombination mit warmem Wetter erreicht war, stimmt nachdenklich. Nicht nur, dass bei dem Gedränge der sportliche Wert gemindert wird. Es ist auch gefährlich, falls Rettungskräfte kaum noch durchkommen.
Verantwortungsbewusstsein ist gefragt
Das Versprechen eines einzigartigen Erlebnisses in Kombination mit einem Herdentrieb erschließt auch Zielgruppen, die normalerweise nie bei einem 10-km-Lauf an den Start gehen würden. So wird die Anziehungskraft des Laufs irgendwann ein Problem. Wer alle anlockt, läuft Gefahr, dass auch viele starten, die körperlich einem solchen Lauf nicht gewachsen sind. Und manche von ihnen werden vielleicht schwer zu Schaden kommen oder gar sterben.
Dies liegt in deren eigener Verantwortung, und so kann man dem Veranstalter keine Mitschuld an der Tragödie geben. Aber er sollte seinen Kommerzialisierungstrip verlassen und künftig zum Wohle aller wieder mehr einen Lauf für die Läufer machen, nicht für die Sponsoren. Dazu gehört auch, auf die Gefahren dieses Sports hinzuweisen, die Versorgung der Läufer zu verbessern und die Teilnehmerzahl auf ein vernünftiges Maß zurechtzustutzen.
Wer groß sein will, sollte auch großes Verantwortungsbewusstsein zeigen.