Das Bullerbü-Syndrom

Eingefleischte Inga-Lindström-Gucker wissen: so sehen alle Häuser in Schweden aus.

Es ist fast soweit. Wer in Schweden wohnt und überhaupt gar nichts besseres zu tun hat, kann sich an diesem Samstag vor den Fernseher setzen und SVT2 einschalten. Dieser öffentlich-rechtliche Fernsehkanal besticht häufig durch die Ausstrahlung von Gottesdiensten sowie Sendungen, die sogar Marcel Reich-Ranicki erfreuen würden. Nächtens glänzt er mit dem Testbild oder subtilem Rauschen.

Diesen Samstagabend jedoch stellt er sich zur Verfügung, einen erschreckenden Einblick in die Wünsche und Sehnsüchte der Deutschen zu geben.

Um 21:25 Uhr läuft nämlich
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Inga Lindström: Sandbergens Magie

Schwedisch duftende deutsche Romantik von 2008.
Auf einer seiner täglichen Fischtouren findet Magnus Sigge eine bewusstlose Frau an einem Strand nahe Sandbergen. Als sie aufwacht, erinnert sie sich weder daran, wer sie ist noch woher sie kommt. Lucia, wie sie beschließen, sie zu nennen, findet sich jedoch schnell zurecht mit Magnus und ihrem neuen Dasein im gesamten. Eines Tages kommt jedoch die Wahrheit heraus, als ihr Lebensgefährte Bernd an die Türe klopft. Selma Alander, wie sie eigentlich heißt, muss sich zwischen dem Idyll in Sandbergen und ihrem früheren Leben entscheiden.

Für alle Schweden, die nach diesem Schmalz noch nicht denken, dass alle Deutschen vollkommen gaga sind, wird gleich noch eine Reisereportage des deutschen Fernsehens über die Schären und Stockholm ausgestrahlt.

Dass die Filme von der aus Oberschwaben stammenden Christiane Sadlo, wie Inga Lindström wirklich heißt, mit der schwedischen Realität nichts zu tun haben, ist allgemein bekannt. Das beginnt mit dem Namen, denn Lucia heißen in Schweden gerade einmal 2400 Menschen (für die Top 100 bräuchte es schon 20000) – von Bernd ganz zu schweigen – , und endet mit dem ganzen Rest.
Das schwedische Publikum mit diesem Paralleluniversumsschweden zu konfrontieren ist aber neu.

Was die Drehbuchschreiberin antreibt, sich ein ganzes Land als Szenerie für seichte Unterhaltung hinzubiegen, kann man schön in einem Artikel der Berliner Morgenpost nachlesen.

Dort ist auch von dem Soziologen Bernhold Franke die Rede, der die Vorliebe der Deutschen für diese Filme das „Bullerbü-Syndrom“ nennt. Laut ihm ist es nicht die Sehnsucht nach Schweden, sondern der Wunsch nach einer Idylle. Wie es der Autor gut auf den Punkt bringt:

Die Sehnsucht der Deutschen nach Schweden ist nichts weiter als die Sehnsucht der Deutschen nach einem besseren Deutschland.

Was sich in vieler Hinsicht auch mit dem deckt, was ich in verschiedenen Schwedenforen von auswanderwilligen Deutschen so lese. Schweden wird zur Projektionsfläche des Wunsches nach einer besseren Welt. Auch wenn die meisten Deutschen es weit von sich weisen: ein bisschen glauben wir doch alle daran, dass es besser ist, wo die Wiesen weit, die Häuser rot und die Elche allgegenwärtig sind.

Dass dieses Land genauso seine Probleme hat, schiebt man lieber weit von sich, denn das Gras auf der anderen Seite muss per Definition grüner sein.

Die Schweden werden dieser Einstellung etwas unverständig und amüsiert gegenüber stehen. Die gestrige Ausgabe des Magazins „KOBRA“, ebenfalls in SVT2, hat dies anscheinend schon getan.

Inga Lindström in Schweden

Eine der abstrusesten Absurditäten des deutschen Fernsehens wird nun auch nach Schweden kommen: Inga Lindström. Unter diesem Label laufen bekanntermaßen schon lange Filme im ZDF, die zwar in Schweden gedreht wurden, aber sonst rein gar nichts mit Schweden zu tun haben. Die Drehbuchautorin Christiane Sadlo, eine gebürtige Schwäbin, hat damit einen vollen Erfolg gelandet, aber den Deutschen kann man ja immer mit drei Elchen und einer blonden Frau ein bisschen Schweden vormachen.

Das staatliche Fernsehen SVT zeigt am 25. Oktober zwei Folgen dieser gefühlsduseligen Machwerke – ich bin gespannt, ob es irgendwelche Reaktionen darauf geben wird. Das Svenska Dagbladet hat jedenfalls schon einmal angemerkt, dass die Begrüßungs- und Abschiedsfloskeln „Hej“ und „Hej då“ einfach mal zwischendrin eingeworfen werden.

In den Kommentaren zum Artikel meint Tobbe Y, dass man für soviel kostenloses Marketing dankbar sein müsse. Die Kommentarin „Cassandra“ schreibt dazu:

Lieber Gott!

Huga!

Na dann mal abwarten, was für Gefühlsregungen sonst noch zu erwarten sind.

Verschiedenes

Weil ich momentan irgendwie wenig zum Schreiben finde, mal wieder einer meiner etwas uninspirierten Posts:

  • Das Wetter ist mittelmäßig bis schlecht. Der schwedische Sommer ist bislang stark reklamationsbedürftig. Ich bin dabei, die entsprechende Beschwerdestelle zu suchen.
  • Die schwedische Steuerbehörde „Skatteverket“ hat mir ein Formular zukommen lassen, mit dem ich meine Einkünfte aus Deutschland korrekt versteuern kann. Irgendwas sagt mir, dass ich dabei ungefähr genauso viel Spaß haben werde wie bei einer Zahnwurzelbehandlung. Allem Anschein nach werde ich bis Ende des Jahres monatlich einen mehr als nur grob abgeschätzten Beitrag versteuern, um dann nächstes Jahr konkrete Zahlen vorzulegen. Die Steuerbehörde kann wohl froh sein, dass mein Fall ausgesprochen selten ist – ansonsten wäre das nämlich ein erstklassiger Anreiz zur Steuerhinterziehung, denn das Verfahren beruht natürlich zu guten Teilen auf der Ehrlichkeit des Lohnempfängers. Ich werde jedenfalls alles korrekt angeben. Im Gegensatz zur Schweiz ist Steuerhinterziehung nämlich auch hierzulande ein Verbrechen.
  • Ähnlich freudig ist, dass meine praktische Prüfung wohl frühestens am 27. Juli stattfinden können wird, weil Prüfungstermine knapp sind. Das ist ärgerlich, aber nicht zu ändern. Bis dahin kann ich jedenfalls sehr gut fahren, so dass die Prüfung nur bei sehr viel Pech danebengehen dürfte.
  • Da genügend Zeit ist, werden nun eher ungewöhnliche Fahrstunden eingeschoben. So durfte ich heute morgen testweise die Linie 62 fahren, die von Fredhäll nach Storängsbotten geht – beides Stadtteile, in denen ich zuvor noch nie gewesen war. Spannend wurde es dann in der Innenstadt, wo nicht nur unzählige Touristen und die Marschkapelle des Wachwechsels am Schloss herummarschierten, sondern auch viel Verkehr ist und die Straßen häufig mehr als eng sind.
  • Am Freitag und am Montag werde ich dann alles über Fahrkarten und Brandschutz lernen. Ich bin gespannt.
  • Das Auswendiglernen der Linien ist wohl weniger wild, als ich ursprünglich dachte. Die Garage, in der ich fahren werde, bedient ungefähr 18 bis 20 Linien – das sollte also bald überschaubar sein.
  • Interessant wird übrigens ein anderes Mobilitätsthema – die Frage, was mit dem Auto, das ich hier habe, geschehen soll, ist immer noch nicht geklärt. Sicher ist jedoch, dass ein Ölwechsel fällig ist, den ich auch selbst vornehmen werde. Ansonsten bleibt mir aber wohl nur, eventuelle Mängel – sofern mir möglich – festzustellen, denn das einzige, was ich sonst noch in Eigenregie wechseln würde, sind Lampen und Zündkerzen. An Bremsen wage ich mich jedenfalls nicht heran – zuviel Fehlerpotenzial. Zudem muss ich auch eine Werkstatt finden. Glücklicherweise gibt es so genannte „Gör-det-själv-hallar“ (also „Mach-es-selbst-Hallen“), wo man die Werkstatt stundenweise anmieten kann. Manches Werkzeug gibt es da auch, so dass zumindest einem erfolgreichen Ölwechsel nichts im Wege stehen sollte. Sollte ich das Auto nach Schweden ummelden, folgt zu Anfang eine Art TÜV, bei dem dann ohnehin alles herauskommen wird. Das System ist aber recht gut durchdacht: jeder Autobesitzer bekommt einmal jährlich einen Termin beim schwedischen TÜV zugewiesen. Ist alles ok, bekommt man die neue Plakette. Wenn nicht, muss man es bei einer autorisierten Werkstatt reparieren lassen und bekommt dann die Plakette. Der schwedische Staat nimmt also Inspektionsfaulen zwangsweise etwas ab, denn so ist ein jährlicher Check garantiert.
  • Letzten Freitag war deutscher Stammtisch. Dort wurde etwas belustigt über die Inga-Lindström-Filmreihe im ZDF gesprochen. Christine hat sich neulich am Telefon auch darüber aufgeregt. Kurz gesagt, in Filmen wie „Sehnsucht nach Marielund“, „Im Sommerhaus“, „Sprung ins Glück“ und „Vickerby für immer“ werden Schwedenklischees meterdick aufgetragen und mit allerlei grob falschem vermischt. Zu den Mängeln kam mir bisher unter:
    • Schon in den Bildern ist offenkundig, dass dort wohl so gut wie alle in Häusern wohnen, die so ähnlich aussehen wie das von Michel aus Lönneberga.
    • Auf den Schäreninseln vor Stockholm wimmelt es laut den Filmen nur so von Elchen. Ich weiß zwar nicht, ob die Elche begeisterte Schwimmer sind, aber auf den doch meist sehr kleinen Schäreninseln ist mir noch nie einer begegnet. Das will aber für sich genommen noch nichts heißen, denn nach knapp 2 Jahren in diesem Land ist mir überhaupt noch nie ein Elch begegnet.
    • Fahrräder sind zu erstaunlichen Geschwindigkeiten fähig. Anscheinend kommen in den Filmen mehrere Szenen vor, wo jemand von den Schäreninseln ebenso mal schnell in einer Viertelstunde nach Sigtuna fährt. Da Sigtuna rund 50 km Luftlinie von den Schären entfernt liegt, kommt man da also grob geschätzt auf eine Geschwindigkeit von 200 km/h. Es geht aber erstaunlicher. Offenkundig liegt auch ein Ort namens Sundsvall nur 15 Minuten von den Schären entfernt. Das echte Sundsvall ist jedoch stolze 340 km von Stockholm entfernt. Allen Radfahrern in den Filmen ist daher dringend zu empfehlen, ihre Fahrräder zum Patent anzumelden und geeignete Schutzkleidung zu tragen.
    • Midsommarszenen wurden anscheinend im Winter gedreht, weswegen diverse Akteure offenbar ausgesprochen dick eingepackt waren für Ende Juni.

    Ich bin mir nicht so sicher, ob ich einen dieser Filme sehen möchte.

  • Interessante Meldung am Rande, die mich stark an eien Geschichte im SPIEGEL erinnert hat: Diplomaten zahlen ihre Strafzettel für Falschparken nicht. Das müssen sie auch nicht, denn sie sind ja immun. In der SPIEGEL-Geschichte ging es um einen interessanten Zusammenhang zwischen Strafzetteln und Korruption – zwei Wissenschaftler haben die Menge der unbezahlten Strafzettel von in New York stationierten Diplomaten untersucht und mit der Korruption im entsprechenden Land verglichen. Im dortigen Ranking sind zwischen den Listen wenige Ähnlichkeiten zu erkennen. Dies liegt aber daran, dass Tickets pro Diplomat gerechnet wurden. In absoluten Zahlen sieht die Sache schon ähnlicher aus: Russland führt in beiden Listen dann klar, und auch China bekleckert sich nicht mit Ruhm. Deutschland allerdings peinlicherweise auch nicht. Eine Methode der New Yorker war übrigens in den Berichten hier nicht zu lesen: Dort hat man einfach zur Bestrafung die Anzahl der vergebenen Diplomatenkennzeichen auf ein Minimum reduziert. Wer kein Auto hat, kann auch nicht falsch parken.
  • Hier ein Blog-Artikel über Prostitution. Ich habe mich ja hier zum Thema schon ein paar Mal ausgelassen. Kurz gesagt: in Schweden macht sich der Freier strafbar, die Prostituierte jedoch nicht. Der Autor scheint die Politik hierzulande gut zu finden – obwohl der Artikel durchaus die Problematik anspricht, dass die Straffreiheit der Werbung dazu führt, dass etwas versteckter im Internet um Freier geworben wird anstatt auf der Straße. Eine besonders seltsame Werbungsmethode ist das Bekleben von Ampelpfosten mit Telefonnummern und dem Wort „Massage“ oder auch „Erotische Massage“. Dann weiß jeder bescheid, und da Handynummern in Schweden im Gegensatz zu ziemlich allem anderen anonym sein können, fällt es leicht, Spuren zu verwischen. Der Artikel erweckt leider etwas den Eindruck, Prostitution ginge einfach unvermindet im Hinterzimmer weiter. Dem ist nicht so – wenn hier in Schweden einmal ein großes Bordell auffliegt, hat dieses weniger als 10 Angestellte. Im Vergleich zu den regelrechten Bordellburgen in anderen Teilen Europas ist das so gut wie nichts. Hinzu kommt, dass einfach auch sehr wenig geduldet wird. Keine Zeitungsanzeigen unter der nebulösen Überschrift „Kontakte“, kein Straßenstrich, keine roten Lampen – die Werbung erfolgt vergleichsweise versteckt und wird daher nur wenige anziehen. Die Abschaffung der Prostitution bleibt natürlich eine Utopie, aber man kommt ihr in Schweden schon recht nahe, denke ich.
  • Zum Abschluss etwas Amüsantes: Yvonne über einige seltsame Dinge hier in Schweden und die schwedische Alternative zum Sommerfest der Volksmusik