Mehr im Geldbeutel – was die Regierung so plant

Nach dem gestrigen Beitrag sollte man vielleicht noch erklären, was die Regierung genau vorhat. Schweden kommt ziemlich gut aus der Krise, und das will die Regierung gleich zu weiteren Steuersenkungen nutzen.

Eine Reihe Reformen wurde gerade auf den Weg gebracht:

  1. Weitere Senkung der Einkommenssteuer: Nachdem die Regierung schon in der vorigen Legislaturperiode die Steuern gesenkt hat, will sie das wieder tun. Soweit ich das verstehe, funktioniert das so, dass je nach Bruttoeinkommen ein Teil des Einkommens als eine Art Grundfreibetrag abgezogen wird. Dieser Teil soll nun nochmals erhöht werden. Genaueres kann man hier berechnen lassen.
  2. Die Grenze zur staatlichen Einkommenssteuer wird erhöht: im schwedischen Steuersystem wird abzüglich der erwähnten Freibeträge alles Einkommen einer Steuer unterworfen, die an die Kommunen und die Provinzen geht. Erst ab einer gewissen Grenze wird das darüber hinausgehende Einkommen mit eine Steuer belegt, die an den Gesamtstaat geht. Diese Grenze soll nun angehoben werden.
  3. Für im Ausland Wohnende wird die Steuer gesenkt: wer sich weniger als das halbe Jahr in Schweden aufhält, unterliegt einer anderen Besteuerung. Dies soll nun auch gesenkt werden.
  4. Absenkung der Mehrwertsteuer für Catering- und Restaurantdienste
  5. Steuersenkung für Pensionäre: diese profitieren nicht von den oben erwähnten Steuersenkungen und erhalten getrennt eine Senkung.
  6. Mehr Geld an die Justiz
  7. Weiterhin gesenkter „Vorteilswert“ für umweltfreundliche Autos (bis 2013): besonders umweltfreundliche Autos werden in einigen Bereichen steuerlich besser gestellt. Der „Vorteilswert“ (Förmånsvärde) betrifft Dienstwagen. Da die Bereitstellung eines solchen einen geldwerten Vorteil darstellt, wird der Wagen berechnet wie eine Art zusätzliches Einkommen, das dann zu versteuern ist. Der „Vorteilswert“ gibt die Höhe dieses zusätzlichen Einkommens an. Durch den gesenkten Vorteilswert ist es also steuersparend, einen solchen Dienstwagen zu haben anstatt eines weniger umweltfreundlichen Modells.
  8. Absetzbarkeit von Spenden an gemeinnützige Organisationen: bisher kann man spenden, soviel man will – steuerlich macht es keinen Unterschied.
  9. Steuern auf Alkohol und Tabak werden erhöht: die einzige Steuererhöhung, die mir bislang untergekommen ist. Zigaretten wird 10% höher besteuert, Snus 13%, Wein und Bier 12,7% sowie Spirituosen mit 5%.

Am meisten Wellen schlägt freilich die zuerst genannte Steuersenkung für Arbeitnehmer – daher auch der gestrige Beitrag. Von linker Seite wird kritisiert, dass diese Steueränderungen die Reichen begünstigen. Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen.

Geschönte Zahlen

Das Finanzministerium führt nämlich in seinen Berechnungen auf, dass eine Pflegehelferin mit 23.200 kr Bruttoeinkommen im Monat um ganze 189 kr Steuern erleichtert wird. Klingt gut, aber der Haken ist: man muss erstmal eine Pflegehelferin finden, die derart viel verdient, um ihr die frohe Botschaft mitzuteilen. Schon 20.000 kr im Monat sind für diesen Job ziemlich ambitioniert. Auch die Krankenschwester mit 28.800 kr ist die absolute Ausnahme. Allgemein hat die Regierung also die Zahlen etwas aufgehübscht, um die Steuersenkungen größer aussehen zu lassen.

Ich bin allgemein sehr skeptisch gegenüber diesen Änderungen. Zwar entlasten sie den Bürger, aber wie ich gestern dargelegt habe, darf durchaus bezweifelt werden, dass dies zur Verbesserung der finanziellen Situation der Haushalte beiträgt. Es dürfte in erster Linie den Konsum ankurbeln.

Verkomplizierung des Steuersystems

Besonders kritisch sehe ich es in der Hinsicht, dass die Stärke des schwedischen Steuersystems die Einfachheit ist. Mit zusätzlichen Detaillösungen und Korrekturen wird es komplizierter – und wie das deutsche System eindrücklich zeigt, haben solche Verschiebungen oftmals kaum positive Effekte, machen das System aber weniger gerecht und erhöhen den bürokratischen Aufwand.

Ich frage mich auch, ob man damit nicht den Kommunen das Leben schwermacht. Die Einkommenssteuer geht schließlich größtenteils an die Kommunen, und mit einem weiteren Freibetrag sinkt das Steueraufkommen in diesem Bereich.

Mehrwertsteuersenkung für Restaurants: Unfug

Ziemlich ärgerlich finde ich die Mehrwertsteuersenkung für Restaurants und Catering.

Ich bin der Meinung, dass jegliche Mehrwertsteuerausnahmen nicht sinnvoll sind. Sie werden vom Verbraucher nicht wahrgenommen, weil sie in der allgemeinen Preisentwicklung untergehen – der Markt ist viel schneller als die Steuergesetzgebung, und jede Steuersenkung ist bald kaum noch wahrnehmbar. Will man sie abschaffen, ist das fast nicht mehr möglich, weil die betroffenen Gruppen aufschreien.

Das gilt insbesondere in diesem Fall. In Frankreich hat vor knapp zwei Jahren die Mehrwertsteuer in Restaurants massiv von 19,6% auf 5,5% gesenkt. Dort wurde das heftig diskutiert, weil man zurecht befürchtete, die Restaurants würden einfach ihre Gewinnmarge erhöhen. Man verpflichtete die Restaurants zu Preissenkungen, und dies wird bis heute auf vielen Speisekarten dem Gast präsentiert.

Genau dies wird in Schweden angesichts der geringen Aufmerksamkeit kaum passieren. Ich gehe davon aus, dass schon wenige Monate nach der Steuersenkung die Preise wieder das vorige Niveau erreicht haben werden. Es landet dann nicht mehr im Steuersäckel sondern irgendwo anders – vermutlich nicht in den Lohntüten der Arbeitnehmer.

Steuerbefreiung von Spenden

Auch für die Steuerbefreiung von Spenden kann ich nicht viel erübrigen. Mir kommt gerade dies in Deutschland immer als eine Art Schattenwirtschaft vor, bei dem die Gelder hin- und hergeschoben werden, wobei vollkommen unklar ist, wieviel das Ganze der Allgemeinheit wirklich bringt. Haben denn gemeinnützige Organisationen in Schweden Finanzprobleme? Das Thema scheint vom heiteren Himmel zu fallen.

Hätte man besser verwenden können

Ich hätte es wieder einmal begrüßt, wenn man zuerst geschaut hätte, was man mit den Überschüssen so alles machen kann, anstatt sie sofort in Kanäle zu leiten, die vermutlich keinen großen Nutzen erbringen werden.

Eigentlich hätte man erwarten müssen, dass die Regierung diese Änderungen erst kurz vor der nächsten Wahl macht, um Popularität zu gewinnen. Vielleicht will sie aber ihre Stammklientel beglücken, wie sie es schon vor vier Jahren machte. Restaurantbesuche, Dienstwagen und hohe Einkommenssteuer betreffen vor allem die Reichen. Man darf gespannt sein, welche Bonbons sie zum Ende der Legislaturperiode verteilen wollen.

Auswandererguide Teil XII – Die Bürokratie: Geld verdienen und Kaffee trinken

Großartig einen Job in Schweden suchen musste ich bisher noch nicht. Dennoch ist mir einiges begegnet, was das Arbeitsleben hier deutlich von Deutschland unterscheidet.

Jobsuche

Es wäre sehr schwer, hier eine komplette Liste von Jobsucheportalen anzubieten – von einer Beurteilung der Seriösität ganz zu schweigen.

Hier einige Beispiele, bei denen ich von einer einigermaßen Seriösität ausgehe, da die meisten dieser Portale namhafte Partner haben:

Natürlich sind viele Jobanzeigen dieser Seiten für hochqualifizierte Jobs, die international ausgeschrieben werden.
Es gibt natürlich auch eine schwedische Entsprechung der Arbeitsagentur, die Arbetsförmedlingen. Die Datenbank mit Jobanzeigen findet man unter „Platsbanken“. Dort ist die Bandbreite vielleicht etwas größer.

Diee Suche vom Ausland aus ist wohl auch EURES interessant, wo Stellen EU-weit ausgeschrieben werden.

Bewerbung

Wenn man fündig geworden ist, ist es vielleicht wert, die Eigenheiten einer Bewerbung in Schweden ein bisschen zu kennen. Soweit mir das zugetragen wurde, sieht man das erheblich lockerer als in Deutschland.

Daher geht es dabei weniger um schwedische als um deutsche Eigenarten. Das hat einfach den Hintergrund, dass man in Deutschland eine unglaubliche Wissenschaft um die Jobsuche betreibt. Nicht nur, dass man am besten sein ganzes Leben mit Zeugnissen vom Kindergarten bis zum Altersheim dokumentieren soll. Die Zeugnisse werden dazu auch noch in einer Geheimsprache geschrieben, bei der jedes Komma über Absage oder Vorstellungsgespräch entscheiden kann. Nicht zu reden von dem Zwang zu Bewerbungsfotos, die natürlich vom Profifotografen aufgenommen werden müssen.
In Schweden ist man im Vergleich dazu unglaublich locker. Eine Bewerbung besteht in der Regel aus einem Anschreiben und einem Lebenslauf. Ein Foto ist nicht Pflicht, und wenn man eines beilegt, sollte man lediglich darauf achten, dass es kein Party- oder Urlaubsfoto ist. Das Anschreiben kann in vielen Fällen auch vollkommen formlos sein und nach dem Muster „Hallo, ich heiße … und möchte mich als … bewerben.“ erstellt werden. Die deutsche Unterwürfigkeit kann man hier also auch erheblich reduzieren. Der Lebenslauf muss auch nicht jedes Detail enthalten und etwas kompakter sein – das in Amerika praktizierte Prinzip, Unwesentliches und weniger Schmeichelhaftes zu verschweigen und dafür positive Punkte hervorzuheben, gilt hier in ähnlicher Form.
Als Krönung des Ganzen ist es anscheinend auch nicht selten von Erfolg gekrönt, einfach zum potenziellen Arbeitgeber hinzugehen und zu sagen „Hallo, ich suche einen Job.“

Trotz allem sollte man sich keine Illusionen machen: Arbeitsplätze kriegt man selten hinterhergeworfen.

Anstellung

Hat man denn eine Arbeitsstelle, verläuft alles weitere wieder sehr schnell und unbürokratisch. Der Arbeitsvertrag ist häufig ein einzelnes DIN A4-Blatt. Das hat seinen Hintergrund darin, dass in Schweden die meisten Branchen in Tarifverträgen organisiert sind, in denen alle weiteren arbeitsrechtlichen Details geregelt sind.
Ist die Gewerkschaft im eigenen Betrieb, kriegt man eventuell gleich einen Einführungstermin dort, wo einem die Mitgliedschaft angeboten wird. Die Möglichkeit, in die sogenannte Arbeitslosigkeitskasse, kurz „A-Kassa“ einzutreten, wird dort auch gleich beworben – dazu aber gleich mehr. Freilich sind viele Firmen nicht in einem Tarifvertrag, so dass man nicht überall auf unglaublich arbeiterfreundliche Bedingungen trifft. Allerdings sind die Gewerkschaften sehr aggressiv unterwegs. Ein leuchtendes Beispiel ist die Belagerung einer Salatbar in Göteborg, die sich doch frecherweise geweigert hatte, für ihre ganze Belegschaft (2 Mitarbeiter) einen Tarifvertrag abzuschließen. Letztendlich musste sie schließen.

Dieser Quasi-Zwang zum Tarifvertrag bedingt auch, dass es in Schweden keinen Mindestlohn gibt und auch keine Debatte darum entstehen wird. Ein weiterer Nebeneffekt davon ist auch, dass das Lohngefälle recht gering ist. Überspitzt gesagt gibte es keinen Niedriglohnsektor. Ein Busfahrer verdient rund 20000 kr brutto im Monat (ca. 2200 €), ein qualifizierter Akademiker häufig kaum mehr als 30000 kr. Umgekehrt verdienen hochqualifizierte Berufe deutlich weniger im Verhältnis. So verdient ein Rundfunkredakteur kaum mehr als ein Busfahrer, und ein ausgebildeter Arzt kommt auch nur auf das Doppelte. Das ist zwar beileibe nicht gleich viel, aber wenn man bedenkt, dass in Schweden ein Lohngefälle von 1:2 herrscht, in Deutschland jedoch eines von 1:4 oder 1:5, dann sind die schwedischen Verhältnisse geradezu egalitär. Selbst die Ackermanns Schwedens verdienen nicht soviel – in einer Auflistung von Dagens Nyheter vom 13. Oktober 2007 wird als bestverdienendes Firmenvorstandsmitglied Marcus Wallenberg genannt. Sein Gehalt: 6.850.000 kr (ca. 750.000 €). Ackermann erhält mehr als das Zehnfache.
Tätigkeiten ohne Qualifikationsanforderungen liegen ungefähr bei 16000 kr im Monat, so dass man auch da nicht am Hungertuch nagen muss, obwohl die Lebenshaltungskosten deutlich höher sind als in Deutschland. Für die vielzitierten 3,50 € in der Stunde macht ein Schwede jedenfalls keinen Finger krumm.

Urlaub

Ein massiver Unterschied zu Deutschland ist der Urlaub. Während in Deutschland ja nie mehr als ein paar Prozent der Bevölkerung gleichzeitig in Urlaub sind, stirbt das öffentliche Leben in Schweden regelrecht aus.
Von Midsommar, also Ende Juni, bis Mitte August ist Sommerloch angesagt. Viele Geschäfte schließen über weite Teile dieses Zeitraums, der Nahverkehr hat einen reduzierten Sommerfahrplan, und oft wirkt alles wie ausgestorben.
Das Gesetz garantiert drei zusammenhängende Wochen Urlaub. Die Statistik zeigt, dass rund ein Drittel der Schweden mindestens fünf Wochen im Sommer Urlaub haben. Eine weitere typische Urlaubszeit ist der „Sportlov“ – das sind die einwöchigen Schulferien im Frühjahr.
Irgendwoher müssen die Urlaubstage allerdings kommen. Laut Wikipedia haben die Schweden im Schnitt stolze 33 Tage Urlaub im Jahr. Als Doktorand werde ich voraussichtlich 28 Tage Urlaub im Jahr haben werden. Mit zunehmendem Alter werden es entsprechend mehr.

Hinzu kommt eine weitere schwedische Einrichtung. An Brückentagen („Klämdagar“) und Tagen vor Feiertagen ist es üblich, einen oder einen halben Urlaubstag geschenkt zu bekommen. So wird u.a. am Gründonnerstag und am Tag vor Midsommar („Midsommarafton“) bestenfalls ein halber Tag gearbeitet.

Im Gegensatz zu Deutschland ist es nicht so, dass man zwingend Urlaubstage nehmen muss. Als Teilzeitangestellter, der nach der Stunde bezahlt wird, erhält man 13% der Lohns als Urlaubsgeld hinzu. Den Urlaub kann man sich dann nach entsprechender Übereinkunft nehmen, erhält aber dann kein weiteres Geld in diesem Zeitraum.

Eine weitere Besonderheit ist, dass man auch freinehmen kann, wenn das eigene Kind krank ist. Man muss hierfür also nicht besonders Urlaub nehmen, aber es gelten dann ähnliche Bedingungen wie wenn man selbst krank ist.

Steuern

Man geht ja immer davon aus, dass man in Nordeuropa unglaublich viel verdiene und damit trotz irrsinnig hoher Steuern noch sehr gut davon leben könne. Wie man oben sieht, sind die Gehälter aber nicht abgehoben. Auch das mit den Steuern stimmt nur teilweise. Generell ist das schwedische Steuersystem erheblich simpler und ähnelt dem Modell, das dereinst Friedrich Merz mit einem Bierdeckel propagierte.

Steuersatz Wann zu entrichten
25 % Bei kurzzeitiger Arbeit in Schweden (z.B. Erntehelfer)
ca. 31 % Auf alle Einkünfte
20 % Einkünfte, die über 360.000 kr im Jahr hinausgehen
25 % Einkünfte, die über 460.600 kr im Jahr hinausgehen

Diese Angaben beziehen sich auf das Steuerjahr 2006. Die genauen Grenzen ändern sich jedes Jahr.

Man muss also auf jede verdiente Krone diese ca. 31% bezahlen. Hat man im Jahr 2006 beispielsweise 360.001 kr verdient, dann werden die 360.001 kr mit ca. 31% besteuert. Auf die über 360.000 kr hinausgehende Krone zahlt man noch 20% zusätzlich. Es gibt also keine abrupten Steuersprünge, sondern für jede Krone brutto erhält man auch mehr netto – nur die Geschwindigkeit des Anstiegs bremst sich immer mehr ein. In diesem vereinfachten Beispiel sind allerdings bestimmte Abzüge für die Pensionskasse usw. nicht eingerechnet.
Dass dort ca. 31% steht, hat den Grund, dass diese Summe nicht an den Staat als Gesamtes, sondern an die Kommunen entrichtet wird. Je nachdem, wie dort die einzelnen Steuersätze für das Län und die Kommune festgelegt sind, schwankt dieser Steuersatz. In Stockholm liegt dieser derzeit bei ca. 31%, in Lund bei ca. 32,6 % und in Kiruna bei 33%. Ist man Kirchenmitglied, erhöht sich der Steuersatz noch geringfügig. Dies ist ähnlich wie in Deutschland organisiert, d.h. man ist automatisch in der Gemeinde Mitglied, die für den eigenen Wohnbezirk zuständig ist. Eine Ausnahme ist, wenn man in einer „nicht-territorialen“ Gemeinde Mitglied ist. Dies sind u.a. die deutschen Gemeinden in Stockholm und Göteborg. Die genaue Kirchensteuer ist wiederum von der Gemeinde abhängig.

Ab einer gewissen Schwelle absetzbar sind die Fahrtkosten, sonst aber kaum etwas. Da ist also nichts mit dem Sammeln von Quittungen, um auch noch die letzte Packung Kopierpapier auf die Steuer angerechnet zu bekommen. Steuerklassen je nach Familienstand sind ebenso unbekannt. Das schwedische System arbeitet hier nämlich nicht mit indirekten Subventionen wie Steuernachlässen, sondern nur mit direkten Subventionen wie der Bereitstellung von Kindergarten- und Krippenplätzen sowie Ganztagesschulen. Jeder zahlt also gleich viel Steuern.

Auch wenn die obigen Ausführungen illustrieren dürften, dass das schwedische Steuersystem auch nicht unbedingt auf einen Bierdeckel passt, so kann kein Zweifel daran bestehen, dass es deutlich weniger komplex ist als das deutsche System, weil es auf allerlei Sonderregelungen verzichtet. Insofern ist es auch klar das bessere System, da ein einfacher Bürger mit etwas Mühe in der Lage ist, alles, was seine Steuer betrifft, zu verstehen. Steuerberater mag es wohl geben, aber nicht so, wie man es aus Deutschland kennt. Laut meinem Wörterbuch heißt „Steuerberater“ auf Schwedisch „skatterådgivare“. Sucht man danach im Internet, stößt man auf Beratungsangebote von Firmen. Das Heer von Steuerberatern, das in Deutschland damit beschäftigt ist, für teures Geld noch mehr teures Geld dem Fiskus vorzuenthalten, wird hierzulande nicht gebraucht.

Eine Steuererklärung muss man trotzdem machen. Sie ist auch nicht halbfreiwillig wie in Deutschland, sondern man erhält eine vorläufige Abrechnung zugeschickt, die gleichzeitig auch das Formular zur Steuererklärung ist. Das ganze Dokument umfasst gerade mal eine beidseitig bedruckte Seite. Da man meist sowieso nichts abzusetzen hat und daher auch nichts mehr ändern braucht, geht es oft einfach nur darum, der vom Skatteverket erstellten Zusammenstellung zuzustimmen. Dies kann man mittlerweile sogar per SMS tun.

Hat man dennoch etwas hinzuzufügen, liegt eine Broschüre bei, die im Wesentlichen alle wichtigen Informationen enthält. Auch per E-Mail kann man Hilfe erhalten – im besten Fall innerhalb von wenigen Stunden. Dass man Quittungen und dergleichen einschicken muss, ist auch nicht zwingend erforderlich.

Die Steuererklärung geht also schneller und viel einfacher. Bei einer Sache sind die Behörden aber knallhart: die Deadline, die üblicherweise kurz nach dem 1. Mai ist, muss eingehalten werden – ansonsten muss man Strafe zahlen.

Das Steuersystem ist also simpler als in Deutschland, und wenn man vergleicht, was man in Deutschland in Steuerklasse 1 an den Fiskus und für die Krankenversicherung zahlen muss, sind die schwedischen Steuersätze auch nicht sonderlich hoch.

Dennoch muss das Geld ja irgendwo herkommen. Die Vermögenssteuer wurde abgeschafft. Die Frage ist, wie lange das bleibt, denn bei einem Wahlsieg der Sozialdemokraten bei der nächsten Wahl 2010 dürfte es eines der ersten Projekte sein, die Steuer wieder einzuführen. Bleiben nur noch spezielle Steuern wie die Fahrzeugsteuer – und natürlich die Mehrwertsteuer, die in Schweden bei rekordverdächtigen 25 % liegt. Wer will sich da noch über 19 % beschweren?
Die reale Steuerlast kann man sich bei diesem Rechner ausrechnen.

Auch ohne dies sind die Lebenshaltungskosten in Schweden höher als in Deutschland. Dies hat etwas mit den deutschen Marktgegebenheiten und Einkaufgewohnheiten zu tun. Marktforscher sagen: der Engländer achtet auf die Auswahl, der Franzose auf die Qualität und der Deutsche auf den Preis. Da ist auch etwas dran, denn in Deutschland sind Teile des Lebensmittelmarktes von einem ruinösen Wettbewerb geprägt, was für den Verbraucher billige Preise bedeutet, aber gleichzeitig auch schlechtere Qualität und brotlose Zeiten für die Erzeuger. In Schweden ist man hingegen gerne bereit, mehr zu zahlen, solange das Ganze dann etwas mehr „rättvis“ („gerecht“) ist. Das ist wohl auch ein Grund, warum LIDL trotz günstiger Preise nie wirklich bei den Schweden angekommen ist und in nur wenigen der mittlerweile 170 Märkte alle Kassen besetzen muss.

LIDL läuft auch mit seinem Verständnis von Arbeit und Bezahlung dem schwedischen Wesen deutlich zuwider. Mein Eindruck ist, dass hierzulande manchmal ein Arbeitsklima herrscht, bei dem in Deutschland irgendwann der Chef käme und riefe „Sagt mal, für was bezahle ich euch eigentlich?“. Der „Fika“, also das gemeinsame Kaffeetrinken, ist nämlich essentieller Bestandteil des Arbeitstages. Bevor man morgens anfängt, wird erst einmal eine halbe Stunde Kaffee getrunken und geredet. Um halb zwölf geht es dann in die Kantine, um dann um 14 Uhr nochmals Kaffee zu trinken. Ab 16 Uhr gehen dann die meisten nach hause, da ja auch die Kinder vom Kindergarten oder Schule abgeholt werden müssen. Dennoch arbeitet die schwedische Wirtschaft mit hoher Effizienz – wie das geht, ist mir manchmal ein Rätsel.

Nicht-Arbeiten

Manche Leute müssen aber aus unterschiedlichen Gründen ihren Kaffee zuhause trinken.

Es mag viele erstaunen, aber Kündigungsschutz ist im vermeintlichen sozialdemokratischen Paradies Schweden keineswegs so präsent wie in Deutschland. Es gibt eigentlich nur zwei verschiedene Anstellungsformen:

  • Tidsbegränsad anställning: Zeitlich begrenzte Anstellung
  • Tillsvidareanställning: Anstellung bis auf weiteres

So etwas wie eine Festanstellung, die einen praktisch unkündbar macht, gibt es also nicht. Allerdings schreibt das Arbeitsrecht auch vor, dass gute Gründe (Arbeitsmangel, Fehlverhalten) vorliegen müssen, um eine Tillsvidareanställning zu kündigen. Soweit ähnelt das ja auch dem deutschen System. Jedoch spielt die Größe der Firma keine Rolle, sondern alleine, wie lange man dort gearbeitet hat. Für jede Zweijahresperiode, die man dort gearbeitet hat, erhält man eine längere Kündigungsfrist.

Eine Arbeitslosenversicherung, die sogenannte A-Kassa, gibt es in Schweden nur auf einer freiwilligen Basis. Schließt man keine ab, dann landet man sofort bei der Sozialhilfe.

Organisiert ist das System ähnlich den Krankenversicherungen in Deutschland, d.h. es gibt eine Reihe quasistaatlicher Versicherungen, die zu gesetzlich vordefinierten Bedingungen ihre Mitglieder aufnehmen. Eine weitere Ähnlichkeit ist, dass hier auch die Arbeitgeber eingebunden sind. Sie müssen auch einen Beitrag zahlen und ziehen den Beitrag des Arbeitnehmers oft direkt vom Lohn ab.

Um Mitglied zu werden, muss man 4 Wochen lang mindestens 17 Stunden pro Woche gearbeitet haben und sollte dies auch weiterhin tun. Allerdings überprüft das anscheinend keiner – erreicht man diesen Schnitt danach nicht mehr, ist es also auch nicht tragisch. Allerdings muss man sich dann irgendwann fragen, ob man die Versicherung dann noch braucht, wenn es bei Verlust der Arbeit keinen großen Lohn gibt, der ersetzenswert wäre.

Ist man ein Jahr lang Mitglied, erhält man im Falle von Arbeitslosigkeit maximal 80% seines vorigen Lohns.

Die A-Kassa wurde von der bürgerlichen Regierung, die 2006 an die Macht kam, schon bald reformiert. Seither sind die Leistungen eingeschränkt und die Abgaben stark erhöht. Das hat viele aus der Versicherung getrieben, weil sie zunehmend unattraktiv geworden ist. Das wird sich aber wohl bei einem Regierungswechsel wieder ändern. So haben die Grünen vorgeschlagen, die A-Kassa verpflichtend für alle Arbeitnehmer zu machen.

Zusammengefasst

Diesen Bereich zusammenfassen ist schwierig. Zweifellos ist das Arbeitsleben formloser als in Deutschland, was von der Bewerbung bis zu den Strukturen geht. Dennoch sollte man diese Lockerheit nicht zu leicht nehmen – auch ein Chef, der im Büro nebenan sitzt und locker in jeder Kaffeepause plaudert, kann einen vor die Tür setzen.

Wenn man mit den neuen Begebenheiten umgehen kann, wird man sich sicher bald wohlfühlen. Großzügige Urlaubsregelungen und angenehme Arbeitszeiten machen das Leben sicher nicht unangenehmer.

Das Steuersystem ist angenehm einfach. Man zahlt zwar nicht wenig Steuern, aber im Allgemeinen genügend zum Leben. Das System ist auch sehr gut durchschaubar, so dass man es sich sparen kann, Sozialneid auf die zu haben, die mit Steuertrickserein zum Billigtarif beim Fiskus davon kommen. Spätestens, wenn man seine erste Steuererklärung in Schweden gemacht hat, möchte man nie wieder eine deutsche machen.

Auswandererguide Teil VIII – Die Bürokratie: Personnummer oder die Eleganz, keinen Datenschutz zu haben und es trotzdem irgendwie gut zu finden

Der Mitbewohner meiner Freundin hat ein Buch auf dem Schrank stehen, das den Titel „Gesetze“ trägt. Offenkundig enthält es alle schwedischen Gesetze. Es ist ungefähr 1200 Seiten stark.

Würde man in Deutschland ein solches Buch herausbringen wollen, müsste man dies in mehreren Bänden tun, die vermutlich das ganze Zimmer komplett ausfüllen würden, und zwar vom Boden bis zur Decke.

Die Botschaft des Ganzen ist vereinfacht gesagt: während man in Deutschland gerne alles haarklein regelt, mag man es in Schweden eher simpel. Soweit ich informiert bin, liegt das auch am Grundaufbau des Staates. Die einzelnen staatlichen Institutionen sind nämlich nicht an die Regierung gebunden. Das heißt konkret, dass beispielsweise die Straßenverkehrsbehörde Vägverket im Rahmen der Gesetze freie Entscheidungen trifft und der Verkehrsminister hier nicht direkt eingreifen kann – viel wird also von den Behörden selbst geregelt. In Deutschland gibt es hingegen Bundes- und Landesbehörden, die jeweils wiederum ihrem Minister unterstehen usw. und somit viel umfangreicher und komplexer gesteuert werden müssen.

Das weist auch noch auf einen weiteren fundamentalen Unterschied hin: Schweden ist im Wesentlichen ein zentralistischer Staat. Auch wenn es einzelne föderale Elemente gibt, so werden doch die wichtigen Entscheidungen nur einer Stelle getroffen, nämlich im Reichstag in Stockholm.
Zwar bin ich überzeugter Föderalist, aber das Kompetenzengewirr in Deutschland kann mit dieser klaren Struktur natürlich nicht mithalten.

So ist es auch kein Wunder, dass man bei jeder deutschen Behörde irgendwelche umfangreichen Formulare ausfüllen muss. Die Daten sind nur teilweise miteinander vernetzt, so dass jede Behörde für sich selbst die Informationen abfragen muss.

Als alter Datenbanker weiß ich, dass es am elegantesten ist, für jeden zu speichernden Datensatz eine eindeutige Bezeichnung zu haben. Aus dieser Logik heraus ist es natürlich am praktischsten für die Bürokratie, dass jeder Einwohner eine eindeutige Nummer hat. Auf diese Weise kann jeder Pass, jede Steuererklärung und jede Autoanmeldung eindeutig zugeordnet werden – schnell und effizient.

Die Personnummer

Genau dies hat man in Schweden schon vor genau 60 Jahren erkannt. 1947 wurde die sogenannte Personnummer eingeführt. Jeder Schwede hat eine und behält sie sein Leben lang. Dieses System ist nicht nur auf die Schweden beschränkt. Jeder ständige Einwohner dieses Landes erhält eine Personnummer.

Sie wird in zahlreichen Anwendungen genutzt:

  • Als zentrales Adressregister. Zieht man um, muss man der Bank und vielen anderen wichtigen Stellen die Adressänderung nicht mitteilen, weil diese das über das Register erfahren.
  • Das ganze Steuersystem und auch alle möglichen anderen amtlichen Dinge wie beispielsweise der Führerschein sind mit ihr organisiert.
  • Beim Gang zum Arzt sind nach Angabe der Personnummer Adress- und Patientendaten bekannt. Da auch die Krankenversicherung als zentrales Register die Personnummer verwendet, ist auch die Bezahlung erledigt.
  • Die Eröffnung eines Bankkontos ohne den Besitz einer Personnummer ist nur in besonderen Ausnahmefällen möglich – so erhalten Austauschstudenten oft nur unter Sonderkonditionen ihr Konto.
  • Die Mitgliedschaft in der Kirche. Dies ist zwar als Einwanderer zunächst kein Thema, aber die Organisation ist ähnlich wie in Deutschland, so dass man automatisch Mitglied in der lokalen Gemeinde wird. Der Unterschied ist nur, dass es nur eine Kirche (die evangelische) gibt und Katholiken eine kleine Minderheit sind. Für Deutsche, die nach Stockholm oder Göteborg ziehen, ist zudem interessant, dass es dort deutsche Gemeinden gibt. Wenn man in deren Einzugsgebiet wohnt, wird man per Post gefragt, ob man Gemeindemitglied werden möchte.
  • Der Zugang zum Bankkonto. Die Nordea verwendet die Personnummer ohnehin gleich als Kontonummer, aber auch bei der SEB dient die Personnummer als Benutzername beim Login ins Online-Banking.
  • Gelegentlich muss man sie auch bei Kartenzahlung angeben.

Für vorübergehende Arbeit hier in Schweden gibt es auch noch temporäre Personnummern, um die Steuern abrechnen zu könen. Bei diesen ist der Geburtstag um 60 erhöht. Ist man also am 26. Oktober 1973 geboren, hat man dann eine Personnummer 731086-XXXX statt des üblichen 731026-XXXX. Bei der Anwendung dieser Nummer bei weniger offiziellen Zusammenhängen wie der Eröffnung eines Bankkontos kann es natürlich irritierte Blicke geben. Manche Software ist zu dem so eingerichtet, dass die ersten sechs Ziffern ein gültiges Geburtsdatum darstellen müssen, was hier natürlich nicht der Fall ist.

Das Format der Personnummer hat man mehrfach geändert. Die letzte Version ist genau 40 Jahre alt und folgt folgendem Muster:

JJMMTT-AAAB

Gelegentlich gibt es eine erweiterte Version:

JJJJMMTT-AAAB

Die Buchstaben bedeuten im einzelnen:

  • J: Das Geburtsjahr (normalerweise die letzten beiden Stellen, in der erweiterten Fassung auch mit dem Jahrhundert versehen)
  • M: Der Monat, in dem man geboren wurde, ggf. mit führender Null (d.h. im September Geborene haben 09)
  • T: Der Tag, an dem man geboren wurde, ggf. mit führender Null
  • A: eine dreistellige Zahl zufällige Zahl, die den Einwohner in Verbindung mit dem Geburtsdatum eindeutig identifiziert. Es werden ja üblicherweise mehrere Leute an einem Tag geboren, so dass eine solche Zahl zusätzlich vergeben werden muss. Bis 1990 wurde diese Zahl nach dem Län (sozusagen das Bundesland) vergeben, in dem man geboren wurde, wobei ein Nummerblock für im Ausland geborene reserviert wurde. Seither gilt dies nicht mehr – meine Personnumemer stammt auch nicht mehr aus dem Nummernblock für Ausländer.
  • B: eine Kontrollziffer. Ihr Wert aus den ganzen Zahlen davor errechnet. Sie kann dann wie bei Kreditkartennummern dazu verwendet werden, um festzustellen, ob der Betreffende eine frei erfundene Zahl angegeben hat oder eine, die zumindest existieren könnte. Ob sie auch wirklich existiert, kann man alleine mit Hilfe der Nummer nicht feststellen.

Wie ich kürzlich erfahren musste, haben sich über die Frage, ob und wie man eine Personnummer erhält, falsche Informationen breit gemacht.
Hier daher die Fakten:

  • Eine Personnummer erhält jeder, der über ein Jahr lang in Schweden bleibt.
  • Dabei ist es eigentlich egal, was man hier macht, solange dies zu einem Aufenthalt über 3 Monaten berechtigt (siehe vorangegangener Teil). Man muss also die Bescheinigung des Aufenthaltsrechts vorlegen können. Wenn man also in Schweden arbeiten möchte, sollte man sich daher schon lange vor der Einreise online um das Aufenthaltsrecht bemühen, damit die Zuteilung nach Ankunft schnell erfolgen kann.
  • Weiterhin sollte man halbwegs glaubwürdig belegen, dass man in Schweden auch etwas zu tun hat, was länger als 12 Monate dauern wird. Das haben auch schon Leute geschafft, die es eigentlich nicht wirklich belegen konnten – ich kenne zumindest einen.
  • Die Beantragung kann also zu Beginn des Aufenthalts erfolgen. Man braucht nicht erst 12 Monate zu warten.

Zur Beantragung sollte man persönlich zur nächsten Skatteverket-Filiale gehen. Neben dem Bescheid des Migrationsverket sollte man eine Bescheinigung über die eigene Tätigkeit hier sowie einen Pass mitbringen.
Für die Stockholmer ist das in der Regel die Hauptstelle in der Magnus Ladulåsgatan auf Södermalm – leider ist keine U-Bahn-Station in direkter Nähe.

Das Öffentlichkeitsprinzip

Die Geschichte der Personnummer wäre aber nur halb erzählt, wenn man nicht auf das Öffentlichkeitsprinzip (Offentlighetsprincipen) hinwiese.

Dieses Prinzip ist in einer unscheinbaren Vorschrift in der Verordnung zur Pressefreiheit enthalten. Es legt im Grunde fest, dass alle amtlichen Dokumente öffentlich sind. Dies soll dafür sorgen, dass man als einfacher Bürger sämtliche Vorgänge im Staat nachvollziehen kann, so dass Machtmissbrauch nicht so leicht hinter dem Rücken des Wählers stattfindet.
Es gibt natürlich ein paar Ausnahmen, aber nur wenige, was teilweise seltsame Nebeneffekte erzeugt. So musste beispielsweise das Nobelkomitee für den Medizin-Nobelpreis in eine eigene Organisation ausgelagert werden, damit die beim Nobelpreis geltende Pflicht zur Geheimhaltung aller Informationen über Nominierung und Auswahl der Preisträger in einem Zeitraum von 50 Jahren nach Preisverleihung eingehalten werden kann. Andernfalls wäre das Komitee ein Teil der Universität und müsste dies alles offenlegen.

Diese kleine Anekdote zeigt aber nicht die wirkliche Tragweite des Prinzips auf.

Es bedeutet beispielsweise, dass das Adressregister nicht nur sehr praktisch ist, sondern auch komplett öffentlich. Schwierigkeiten, einen ehemaligen Klassenkameraden nicht mehr aufzufinden, sind so undenkbar. So kann ich zum Beispiel leicht herausfinden, wieviele Leute noch außer mir den Nachnamen Seitz haben. Es sind 62 in ganz Schweden. Auch Deutschlands häufigster Nachname Müller ist in Schweden anzutreffen, und zwar genau 1313 mal. Die älteste Trägerin dieses Namens ist Katrin Annemarie Müller, die 1911 geboren wurde und in Vällingby lebt.
Dies illustriert, dass es einen Rückzug in die Anonymität in Schweden nicht gibt. Jeder kann nach Belieben herausfinden, wo man wohnt und wann man Geburtstag hat. Das Marketing ist in Schweden zwar nicht so penetrant wie in Deutschland, aber schon jetzt wird man mit Werbung bombardiert, wenn man von einer anderen Kommune nach Stockholm zieht. Dass man Werbung einfach so bekommt, ist normal – und man kann sich nicht beschweren, dass man seine Adresse nie für diese Zwecke freigegeben habe. Schließlich sind ja alle Adressen freigegeben!

Das Öffentlichkeitsprinzip geht aber noch viel weiter. So sind die Einkommen aller Schweden öffentlich. Man kann also einsehen, wer wieviel verdient. Die Politikergehälter machen regelmäßig Schlagzeilen, aber eben auch die Einkünfte seines Nachbarn kann man überprüfen.

Endgültig ins Informationszeitalter wurde das Öffentlichkeitsprinzip durch die Seite Ratsit.se getragen. Mit Hilfe dieser Seite kann man ohne Probleme Geburtsdaten, Namen und Adressen von jedem Einwohner recherchieren. Das Echo bei der Eröffnung der Seite war groß, und erstmals merkten wohl auch viele Schweden, dass die Freiheit auch ihre Schattenseiten haben kann. Die Webseite erlaubte allen Nutzern eine wöchentlich begrenzte Anzahl von Anfragen über Personen. So konnte auch man herausfinden, wieviel die betreffende Person verdiente.
Die Daten stammten von Organisationen, die die Kreditwürdigkeit überprüfen – was auch der eigentliche Zweck von Ratsit sein sollte. Diese hatten sie wiederum direkt von der Steuerbehörde.
Nach einigen Monaten war allerdings Schluss mit der großen Freiheit. Die Steuerbehörde verkündete, dass man die Zusammenarbeit mit solchen Organisationen nicht fortführen werde, wenn diese nicht garantieren könnte, dass die von der Datenabfrage betroffene Person über den Vorgang informiert werde. Daten über das Einkommen kann man aber weiterhin durch einen Anruf bei der Steuerbehörde erhalten. Das Öffentlichkeitsprinzip wurde also nicht in Frage gestellt, nur die Abfragemethode. Mittlerweile ist nur noch die Abfrage von grundlegenden Personendaten möglich. Die weitergehende Untersuchung des Einkommens und der Kreditwürdigkeit kostet Geld und führt zur Benachrichtigung des Abgefragten.

Ein weiteres Beispiel, das mich vor kurzem auch wieder ins Erstaunen fallen ließ, war ein SMS-Dienst der Straßenverkehrsbehörde Vägverket. Diese hat die Nummer 71456 eingerichtet – schickt man an diese per SMS eine beliebige Autonummer, erhält man umgehend Informationen zu Fahrzeugtyp, Farbe, Alter, Steuer und dem Fahrzeughalter. Kombiniert mit Ratsit und anderen Suchdiensten kann man so innerhalb von wenigen Minuten eine bemerkenswerte Menge an Daten zusammensuchen, nachdem man ein x-beliebiges Auto auf der Straße gesehen hat. Ähnliches erlebte ich neulich bei einem Autoteilehändler. Dort fragte man mich einfach nach der Autonummer – über diese kann man den Typ dann genau feststellen.

Schweden ist also der reine Albtraum für Datenschützer.

Man muss den Schweden zu Gute halten, dass es wenige Tricksereien gibt. Telefonterror von zwielichtigen Callcentern usw. gehört nicht zur Tagesordnung.
Dennoch sollte sich jeder, der in das Land einwandert, bewusst sein, dass bestimmte Informationsgeheimnisse, die man in Deutschland blind voraussetzt, in Schweden einfach nicht existent sind.

Zusammengefasst

  • Eine Personnummer ist für einen ständigen Bewohner Schwedens unabdingbar. Ohne sie geht nichts, mit ihr geht vieles.
  • Eine Personnummer kann jeder erhalten, der länger als ein Jahr lang hier ist.
  • Zum Erwerb einer Personnummer braucht man eine Aufenthaltsgenehmigung.
  • Man sollte sich bewusst sein, dass man mit der Aktenkundigkeit der eigenen Daten in Schweden einige Informationsgrundrechte aufgibt, die einem in Deutschland gewährt werden.

Zum Abschluss eine kleine Anmerkung: auch in Deutschland wird es künftig eine zentrale Nummer geben, auch wenn diese wohl nie eine derart zentrale Rolle spielen wird wie die Personnummer in Schweden. Datenschützer äußern sich – nicht völlig unbegründet – kritisch über dieses System. Aus meiner Sicht wäre ein Zentralregister auch gut, solange jeder Datenzugriff mitgespeichert wird und von der betroffenen Person eingesehen werden kann. Außerdem sollte bei der Einführung eines solchen Systems auch ein Nutzen für den Bürger herausspringen. Wenn er sich beispielsweise das Ausfüllen seitenlanger Formular erspart, hätte er auch etwas davon und die ganze Geschichte ist nicht nur eine reine EDV-Aktion.