Auswandererguide Teil X – Die Bürokratie: ein Prolog auf die weniger angenehmen Dinge im Leben

Schweden galt lange Zeit als idealer Mittelweg zwischen Kapitalismus und Sozialismus, besonders vor dem Zweiten Weltkrieg, wo solche Sozialromantik noch bedenkenlos gelebt werden konnte. Als sich dann die Blöcke bis auf die Zähne bewaffnet in Deutschland gegenüber standen, wurde es gerade deswegen oft in eine Nähe zum Kommunismus gerückt.
Dennoch, es waren idealistische Zeiten: die Wirtschaft funktionierte, und jeder war rundum versorgt. Noch heute gehört es praktisch zum Pflichtprogramm, mindestens einmal in jeder sozialdemokratischen Rede Olof Palme zu erwähnen, der wohl wie kein anderer diese goldenen Zeiten sozialdemokratischer Politik repräsentiert – am besten mit einem Zitat.

1986 wurde Palme dann ermordet, und schon wenige Jahre später ging es auch mit dem Sozialstaat bergab. Eine Wirtschaftskrise brach Anfang der 90er über das Land herein, was die bürgerliche Regierung jener Zeit zu harten Schnitten veranlasste. Zyniker werden allerdings anmerken, dass Einschnitte in das Sozialwesen von den bürgerlichen Parteien auch in wirtschaftlich guten Zeiten vorgenommen werden. Dennoch gilt Schweden heute immer noch als der „bessere“ Teil Europas, wo die Welt ein bisschen heiler zu sein scheint, gerade in Zeiten von Hartz IV.

Das Credo des hiesigen Systems lautet nämlich nach wie vor, dass keiner bevorzugt werden soll wegen seines Geschlechts, seiner Herkunft, seines Familienstands oder seiner finanziellen Verhältnisse.

Das klingt vernünftig und wird wohl auch von den meisten Menschen außerhalb Skandinaviens so gesehen. Der Unterschied ist nur, dass man dies im Norden notfalls mit der Brechstange umsetzt. In Norwegen schreibt man mittlerweile unter Androhung der Firmenzerschlagung vor, dass in Firmenvorständen jedes Geschlecht zu mindestens 40% vertreten sein muss. In Schweden geht man nicht so weit, aber die 40% sind ebenso quasi als Verpflichtung zu verstehen. Bei Stellenanzeigen findet sich öfters der Hinweis, dass die Auswahl auch unter den Gesichtspunkten von Gleichstellung und Vielfalt erfolgt. Besonders bei Sicherheitsleuten und Polizisten, bei denen in Deutschland klar die Männer vorherrschen, fällt mir immer wieder auf, wieviele Frauen darunter sind.

Die finanzielle Gleichstellung wird in Schweden auch weniger extrem betrieben als beispielsweise in Finnland. Dort gibt es keine Superreichen, weil die Steuersätze irgendwann so hoch werden, dass es technisch fast unmöglich ist, noch reicher zu werden. Ein illustres Beispiel sind Bußgelder im Straßenverkehr. Die werden in Finnland nämlich nach den Einkommensverhältnissen berechnet. Ein Millionär zahlt für sein Knöllchen also Unsummen. Hier kann man sich ausrechnen, wieviel man denn selbst zahlen müsste.
In Schweden ist man da weniger radikal, auch wenn man in der Vergangenheit ebenso unglaublich hohe Steuersätze für gute Verdiener verlangte. Berühmt ist der Protest Astrid Lindgrens gegen diese Besteuerung, die in Extremfällen dazu führte, dass man praktisch das gesamte Einkommen an den Staat abführen musste. Der sozialdemokratischen Regierung kostete das damals die Wiederwahl.
Heute verlangt man weit weniger, aber die Gleichstellung von Familien und Kinderlosen, Ledigen und Verheirateten ist fest in das System integriert. Man versucht, über staatliche Angebote wie Kindergartenplätze und Studienkredite die freie Entfaltung aller zu unterstützen. Eliteuniversitäten und andere Kaderschmieden gibt es praktisch nicht. Selbst die Kronprinzessin ging, soweit man das anhand der Homepage ersehen kann, auf eine normale Schule. Auch ein Standesdenken wie in Großbritannien ist in Schweden, obwohl auch eine Monarchie, kaum vorhanden. Der König hat praktisch ausschließlich repräsentative Aufgaben, und daher sieht es mit der Vergabe von Grafschaften, Ritterschlägen und Orden eher mau aus. Alle duzen sich, die Organisationsstrukturen in den Firmen sind sehr flach, und so ist auch die Ansprache mit Titeln nicht mehr üblich. Dieser Wunsch nach allgemeiner Gleichheit ist sehr schön im sogenannten Jantelagen zusammengefasst.
In der Theorie spielt die Herkunft also keine Rolle, alle Ausbildungen stehen offen, und so ist die Chancengleichheit für alle gewahrt. In der Praxis gibt es freilich doch Unterschiede, denn besser Betuchten ist es immer gelungen, ihren Wohlstand zur Schau zur tragen, selbst wenn dies nicht im Geiste der Zeit war.
Wie auch überall sonst fahren die Reichen in Schweden teure Autos, spielen Golf, gehen auf die Jagd und haben noble Ferienhäuser. Natürlich wohnen sie auch in den eher noblen Wohngegenden. Ein interessantes Phänomen ist die sogenannte „Stureplanskulturen“. Der Stureplan liegt im Stockholmer Stadtzentrum und ist der Treffpunkt für alle, die reich sind oder gerne vorgeben, es zu sein. Die wichtigen Nobelmarken der Welt haben hier ihre Filialen und bringen unverschämt teure Produkte an den Mann oder die Frau. Der Effekt, der von dort ausgeht, ist, dass die dort gerade angesagte Kleidung und anderer Schnickschnack sich langsam ihren Weg in die breite Gesellschaft bahnt. Offenbar ist das, was dort getragen, begehrlich, und in bemerkenswerter Gleichförmigkeit passt sich die schwedische Mode an solche Trends an. Manchem Besucher dürfte nicht nur auffallen, dass sich diese Mode häufig von der mitteleuropäischen unterscheidet. Noch auffälliger ist allerdings, wieviele Menschen sich dieser Mode anpassen. Ein Beispiel sind die Jacken von Canada Goose. Diese sind vor allem daran zu erkennen, dass sie hinten am Kragen eine Stück Pelz (anzunehmenderweise im Sinne der political correctness natürlich ein Imitat) haben. Sie breiteten sich vor einigen Jahren vom Stureplan aus, und heute wimmelt es jeden Winter nur noch so davon. Das Streben nach Gleichheit hat so auch ein bisschen dazu geführt, dass diejenigen, die aus dieser Masse herausstehen wollen, nämlich die Reichen, auch stilbildend sind.
Trotz aller Wirrungen hat der schwedische Stil einen äußerst guten Ruf im Ausland. Ich kann mich aber des Eindrucks nicht erwehren, dass er im Lande selbst eigentlich eher einen gewissen Snobismus verkörpert. Ob das gut ist, das sei dahingestellt.

Die folgenden Ausführungen trachten nicht danach, das Bild vom blonden und allgemein in jeder Hinsicht besseren Schweden zu zerstören. Dennoch erscheint es mir wichtig, ein paar Eindrücke zu schildern, die nach dreijährigem Aufenthalt in diesem Land zusammengekommen sind. Diese Beiträge werden sich daher schon daher von den bisherigen Teilen unterscheiden, dass sie nicht beabsichtigten, das Thema in allen Facetten zu behandeln.
Ein Grund hierfür ist schlicht, dass ich mit den meisten Sozialsystemen hierzulande bislang keine Berührung hatte und auch keine intensiven Erfahrungen mit dem Steuersystem habe. Daher ist dies mehr als Streifzug zu verstehen.

Vorbild Schweden

Teil 10 und 11 meines Auswandererguides sind zwar immer noch nur halbfertig und werden daher erst demnächst veröffentlich – jedoch habe ich gerade etwas auf SPIEGEL online gesehen, das gut zu Teil 11 passen würde.

Dort geht es um eine Arbeitsgruppe, die Autozulassungen leichter machen soll. Vorbild ist in diesem Fall Schweden, das mit seiner ländlichen Struktur wohl schon länger die Not von mitten in der Pampa lebenden Menschen sah, die eine ganze Tagesreise auf sich nehmen mussten, nur um ein Auto anzumelden. Hierzuland bleibt nämlich das Kennzeichen ein Autoleben lang montiert. Wechselt der Besitzer, werden nur die Daten entsprechend geändert. Ebenso zentral wird erfasst, wann das Auto das letzte Mal beim TÜV war und ob es versichert ist.

Das soll in Deutschland auch kommen – und bislang gibt es wohl nur einen Gegner: die bisherigen Zulassungsstellen. Die sind nämlich der Meinung, das bisherige System sei gar nicht verbesserungsbedürftig.

Naja, da erinnere ich mich nur an meinen letzten Besuch in dieser Stelle. Nach etwas Wartezeit wurde ich hereingerufen. Just in dem Moment, als ich die Tür öffnete, rief jemand drinnen „Mist, jetzt ist die Verbindung zum Rechenzentrum abgebrochen. Ich gehe jetzt aber nicht raus und sage den Leuten, das nichts mehr geht.“

Nicht verbesserungsbedürftig also – aha.

Auswandererguide Teil VIII – Die Bürokratie: Personnummer oder die Eleganz, keinen Datenschutz zu haben und es trotzdem irgendwie gut zu finden

Der Mitbewohner meiner Freundin hat ein Buch auf dem Schrank stehen, das den Titel „Gesetze“ trägt. Offenkundig enthält es alle schwedischen Gesetze. Es ist ungefähr 1200 Seiten stark.

Würde man in Deutschland ein solches Buch herausbringen wollen, müsste man dies in mehreren Bänden tun, die vermutlich das ganze Zimmer komplett ausfüllen würden, und zwar vom Boden bis zur Decke.

Die Botschaft des Ganzen ist vereinfacht gesagt: während man in Deutschland gerne alles haarklein regelt, mag man es in Schweden eher simpel. Soweit ich informiert bin, liegt das auch am Grundaufbau des Staates. Die einzelnen staatlichen Institutionen sind nämlich nicht an die Regierung gebunden. Das heißt konkret, dass beispielsweise die Straßenverkehrsbehörde Vägverket im Rahmen der Gesetze freie Entscheidungen trifft und der Verkehrsminister hier nicht direkt eingreifen kann – viel wird also von den Behörden selbst geregelt. In Deutschland gibt es hingegen Bundes- und Landesbehörden, die jeweils wiederum ihrem Minister unterstehen usw. und somit viel umfangreicher und komplexer gesteuert werden müssen.

Das weist auch noch auf einen weiteren fundamentalen Unterschied hin: Schweden ist im Wesentlichen ein zentralistischer Staat. Auch wenn es einzelne föderale Elemente gibt, so werden doch die wichtigen Entscheidungen nur einer Stelle getroffen, nämlich im Reichstag in Stockholm.
Zwar bin ich überzeugter Föderalist, aber das Kompetenzengewirr in Deutschland kann mit dieser klaren Struktur natürlich nicht mithalten.

So ist es auch kein Wunder, dass man bei jeder deutschen Behörde irgendwelche umfangreichen Formulare ausfüllen muss. Die Daten sind nur teilweise miteinander vernetzt, so dass jede Behörde für sich selbst die Informationen abfragen muss.

Als alter Datenbanker weiß ich, dass es am elegantesten ist, für jeden zu speichernden Datensatz eine eindeutige Bezeichnung zu haben. Aus dieser Logik heraus ist es natürlich am praktischsten für die Bürokratie, dass jeder Einwohner eine eindeutige Nummer hat. Auf diese Weise kann jeder Pass, jede Steuererklärung und jede Autoanmeldung eindeutig zugeordnet werden – schnell und effizient.

Die Personnummer

Genau dies hat man in Schweden schon vor genau 60 Jahren erkannt. 1947 wurde die sogenannte Personnummer eingeführt. Jeder Schwede hat eine und behält sie sein Leben lang. Dieses System ist nicht nur auf die Schweden beschränkt. Jeder ständige Einwohner dieses Landes erhält eine Personnummer.

Sie wird in zahlreichen Anwendungen genutzt:

  • Als zentrales Adressregister. Zieht man um, muss man der Bank und vielen anderen wichtigen Stellen die Adressänderung nicht mitteilen, weil diese das über das Register erfahren.
  • Das ganze Steuersystem und auch alle möglichen anderen amtlichen Dinge wie beispielsweise der Führerschein sind mit ihr organisiert.
  • Beim Gang zum Arzt sind nach Angabe der Personnummer Adress- und Patientendaten bekannt. Da auch die Krankenversicherung als zentrales Register die Personnummer verwendet, ist auch die Bezahlung erledigt.
  • Die Eröffnung eines Bankkontos ohne den Besitz einer Personnummer ist nur in besonderen Ausnahmefällen möglich – so erhalten Austauschstudenten oft nur unter Sonderkonditionen ihr Konto.
  • Die Mitgliedschaft in der Kirche. Dies ist zwar als Einwanderer zunächst kein Thema, aber die Organisation ist ähnlich wie in Deutschland, so dass man automatisch Mitglied in der lokalen Gemeinde wird. Der Unterschied ist nur, dass es nur eine Kirche (die evangelische) gibt und Katholiken eine kleine Minderheit sind. Für Deutsche, die nach Stockholm oder Göteborg ziehen, ist zudem interessant, dass es dort deutsche Gemeinden gibt. Wenn man in deren Einzugsgebiet wohnt, wird man per Post gefragt, ob man Gemeindemitglied werden möchte.
  • Der Zugang zum Bankkonto. Die Nordea verwendet die Personnummer ohnehin gleich als Kontonummer, aber auch bei der SEB dient die Personnummer als Benutzername beim Login ins Online-Banking.
  • Gelegentlich muss man sie auch bei Kartenzahlung angeben.

Für vorübergehende Arbeit hier in Schweden gibt es auch noch temporäre Personnummern, um die Steuern abrechnen zu könen. Bei diesen ist der Geburtstag um 60 erhöht. Ist man also am 26. Oktober 1973 geboren, hat man dann eine Personnummer 731086-XXXX statt des üblichen 731026-XXXX. Bei der Anwendung dieser Nummer bei weniger offiziellen Zusammenhängen wie der Eröffnung eines Bankkontos kann es natürlich irritierte Blicke geben. Manche Software ist zu dem so eingerichtet, dass die ersten sechs Ziffern ein gültiges Geburtsdatum darstellen müssen, was hier natürlich nicht der Fall ist.

Das Format der Personnummer hat man mehrfach geändert. Die letzte Version ist genau 40 Jahre alt und folgt folgendem Muster:

JJMMTT-AAAB

Gelegentlich gibt es eine erweiterte Version:

JJJJMMTT-AAAB

Die Buchstaben bedeuten im einzelnen:

  • J: Das Geburtsjahr (normalerweise die letzten beiden Stellen, in der erweiterten Fassung auch mit dem Jahrhundert versehen)
  • M: Der Monat, in dem man geboren wurde, ggf. mit führender Null (d.h. im September Geborene haben 09)
  • T: Der Tag, an dem man geboren wurde, ggf. mit führender Null
  • A: eine dreistellige Zahl zufällige Zahl, die den Einwohner in Verbindung mit dem Geburtsdatum eindeutig identifiziert. Es werden ja üblicherweise mehrere Leute an einem Tag geboren, so dass eine solche Zahl zusätzlich vergeben werden muss. Bis 1990 wurde diese Zahl nach dem Län (sozusagen das Bundesland) vergeben, in dem man geboren wurde, wobei ein Nummerblock für im Ausland geborene reserviert wurde. Seither gilt dies nicht mehr – meine Personnumemer stammt auch nicht mehr aus dem Nummernblock für Ausländer.
  • B: eine Kontrollziffer. Ihr Wert aus den ganzen Zahlen davor errechnet. Sie kann dann wie bei Kreditkartennummern dazu verwendet werden, um festzustellen, ob der Betreffende eine frei erfundene Zahl angegeben hat oder eine, die zumindest existieren könnte. Ob sie auch wirklich existiert, kann man alleine mit Hilfe der Nummer nicht feststellen.

Wie ich kürzlich erfahren musste, haben sich über die Frage, ob und wie man eine Personnummer erhält, falsche Informationen breit gemacht.
Hier daher die Fakten:

  • Eine Personnummer erhält jeder, der über ein Jahr lang in Schweden bleibt.
  • Dabei ist es eigentlich egal, was man hier macht, solange dies zu einem Aufenthalt über 3 Monaten berechtigt (siehe vorangegangener Teil). Man muss also die Bescheinigung des Aufenthaltsrechts vorlegen können. Wenn man also in Schweden arbeiten möchte, sollte man sich daher schon lange vor der Einreise online um das Aufenthaltsrecht bemühen, damit die Zuteilung nach Ankunft schnell erfolgen kann.
  • Weiterhin sollte man halbwegs glaubwürdig belegen, dass man in Schweden auch etwas zu tun hat, was länger als 12 Monate dauern wird. Das haben auch schon Leute geschafft, die es eigentlich nicht wirklich belegen konnten – ich kenne zumindest einen.
  • Die Beantragung kann also zu Beginn des Aufenthalts erfolgen. Man braucht nicht erst 12 Monate zu warten.

Zur Beantragung sollte man persönlich zur nächsten Skatteverket-Filiale gehen. Neben dem Bescheid des Migrationsverket sollte man eine Bescheinigung über die eigene Tätigkeit hier sowie einen Pass mitbringen.
Für die Stockholmer ist das in der Regel die Hauptstelle in der Magnus Ladulåsgatan auf Södermalm – leider ist keine U-Bahn-Station in direkter Nähe.

Das Öffentlichkeitsprinzip

Die Geschichte der Personnummer wäre aber nur halb erzählt, wenn man nicht auf das Öffentlichkeitsprinzip (Offentlighetsprincipen) hinwiese.

Dieses Prinzip ist in einer unscheinbaren Vorschrift in der Verordnung zur Pressefreiheit enthalten. Es legt im Grunde fest, dass alle amtlichen Dokumente öffentlich sind. Dies soll dafür sorgen, dass man als einfacher Bürger sämtliche Vorgänge im Staat nachvollziehen kann, so dass Machtmissbrauch nicht so leicht hinter dem Rücken des Wählers stattfindet.
Es gibt natürlich ein paar Ausnahmen, aber nur wenige, was teilweise seltsame Nebeneffekte erzeugt. So musste beispielsweise das Nobelkomitee für den Medizin-Nobelpreis in eine eigene Organisation ausgelagert werden, damit die beim Nobelpreis geltende Pflicht zur Geheimhaltung aller Informationen über Nominierung und Auswahl der Preisträger in einem Zeitraum von 50 Jahren nach Preisverleihung eingehalten werden kann. Andernfalls wäre das Komitee ein Teil der Universität und müsste dies alles offenlegen.

Diese kleine Anekdote zeigt aber nicht die wirkliche Tragweite des Prinzips auf.

Es bedeutet beispielsweise, dass das Adressregister nicht nur sehr praktisch ist, sondern auch komplett öffentlich. Schwierigkeiten, einen ehemaligen Klassenkameraden nicht mehr aufzufinden, sind so undenkbar. So kann ich zum Beispiel leicht herausfinden, wieviele Leute noch außer mir den Nachnamen Seitz haben. Es sind 62 in ganz Schweden. Auch Deutschlands häufigster Nachname Müller ist in Schweden anzutreffen, und zwar genau 1313 mal. Die älteste Trägerin dieses Namens ist Katrin Annemarie Müller, die 1911 geboren wurde und in Vällingby lebt.
Dies illustriert, dass es einen Rückzug in die Anonymität in Schweden nicht gibt. Jeder kann nach Belieben herausfinden, wo man wohnt und wann man Geburtstag hat. Das Marketing ist in Schweden zwar nicht so penetrant wie in Deutschland, aber schon jetzt wird man mit Werbung bombardiert, wenn man von einer anderen Kommune nach Stockholm zieht. Dass man Werbung einfach so bekommt, ist normal – und man kann sich nicht beschweren, dass man seine Adresse nie für diese Zwecke freigegeben habe. Schließlich sind ja alle Adressen freigegeben!

Das Öffentlichkeitsprinzip geht aber noch viel weiter. So sind die Einkommen aller Schweden öffentlich. Man kann also einsehen, wer wieviel verdient. Die Politikergehälter machen regelmäßig Schlagzeilen, aber eben auch die Einkünfte seines Nachbarn kann man überprüfen.

Endgültig ins Informationszeitalter wurde das Öffentlichkeitsprinzip durch die Seite Ratsit.se getragen. Mit Hilfe dieser Seite kann man ohne Probleme Geburtsdaten, Namen und Adressen von jedem Einwohner recherchieren. Das Echo bei der Eröffnung der Seite war groß, und erstmals merkten wohl auch viele Schweden, dass die Freiheit auch ihre Schattenseiten haben kann. Die Webseite erlaubte allen Nutzern eine wöchentlich begrenzte Anzahl von Anfragen über Personen. So konnte auch man herausfinden, wieviel die betreffende Person verdiente.
Die Daten stammten von Organisationen, die die Kreditwürdigkeit überprüfen – was auch der eigentliche Zweck von Ratsit sein sollte. Diese hatten sie wiederum direkt von der Steuerbehörde.
Nach einigen Monaten war allerdings Schluss mit der großen Freiheit. Die Steuerbehörde verkündete, dass man die Zusammenarbeit mit solchen Organisationen nicht fortführen werde, wenn diese nicht garantieren könnte, dass die von der Datenabfrage betroffene Person über den Vorgang informiert werde. Daten über das Einkommen kann man aber weiterhin durch einen Anruf bei der Steuerbehörde erhalten. Das Öffentlichkeitsprinzip wurde also nicht in Frage gestellt, nur die Abfragemethode. Mittlerweile ist nur noch die Abfrage von grundlegenden Personendaten möglich. Die weitergehende Untersuchung des Einkommens und der Kreditwürdigkeit kostet Geld und führt zur Benachrichtigung des Abgefragten.

Ein weiteres Beispiel, das mich vor kurzem auch wieder ins Erstaunen fallen ließ, war ein SMS-Dienst der Straßenverkehrsbehörde Vägverket. Diese hat die Nummer 71456 eingerichtet – schickt man an diese per SMS eine beliebige Autonummer, erhält man umgehend Informationen zu Fahrzeugtyp, Farbe, Alter, Steuer und dem Fahrzeughalter. Kombiniert mit Ratsit und anderen Suchdiensten kann man so innerhalb von wenigen Minuten eine bemerkenswerte Menge an Daten zusammensuchen, nachdem man ein x-beliebiges Auto auf der Straße gesehen hat. Ähnliches erlebte ich neulich bei einem Autoteilehändler. Dort fragte man mich einfach nach der Autonummer – über diese kann man den Typ dann genau feststellen.

Schweden ist also der reine Albtraum für Datenschützer.

Man muss den Schweden zu Gute halten, dass es wenige Tricksereien gibt. Telefonterror von zwielichtigen Callcentern usw. gehört nicht zur Tagesordnung.
Dennoch sollte sich jeder, der in das Land einwandert, bewusst sein, dass bestimmte Informationsgeheimnisse, die man in Deutschland blind voraussetzt, in Schweden einfach nicht existent sind.

Zusammengefasst

  • Eine Personnummer ist für einen ständigen Bewohner Schwedens unabdingbar. Ohne sie geht nichts, mit ihr geht vieles.
  • Eine Personnummer kann jeder erhalten, der länger als ein Jahr lang hier ist.
  • Zum Erwerb einer Personnummer braucht man eine Aufenthaltsgenehmigung.
  • Man sollte sich bewusst sein, dass man mit der Aktenkundigkeit der eigenen Daten in Schweden einige Informationsgrundrechte aufgibt, die einem in Deutschland gewährt werden.

Zum Abschluss eine kleine Anmerkung: auch in Deutschland wird es künftig eine zentrale Nummer geben, auch wenn diese wohl nie eine derart zentrale Rolle spielen wird wie die Personnummer in Schweden. Datenschützer äußern sich – nicht völlig unbegründet – kritisch über dieses System. Aus meiner Sicht wäre ein Zentralregister auch gut, solange jeder Datenzugriff mitgespeichert wird und von der betroffenen Person eingesehen werden kann. Außerdem sollte bei der Einführung eines solchen Systems auch ein Nutzen für den Bürger herausspringen. Wenn er sich beispielsweise das Ausfüllen seitenlanger Formular erspart, hätte er auch etwas davon und die ganze Geschichte ist nicht nur eine reine EDV-Aktion.