Bitter

Unter normalen Umständen wäre das ein genervter Beitrag über den neuerlichen Achter an meinem Fahrrad. Ist es aber nicht.

Zwei Kilometer vorher flog nämlich eine Krähe mir genau vors Vorderrad. Und kam darunter. Sie rappelte sich wieder auf und versuchte, wegzufliegen. Vergeblich. Der Flügel war gebrochen.

Die anderen Krähen kreischten.

Ich sah, wie sie im Gebüsch saß, tief verstört und verängstigt. Sie versuchte, sich von mir zu entfernen, und landete nur auf dem Boden.

Ich dachte an eine Tiernotaufnahme oder etwas in der Art. Eniro schickte mir die Nummer von einer Notfallnummer für Wildunfälle. Keiner ging ran, nur eine automatische Nachricht vom Band, dass man doch bitte eine SMS schicken möge. Dann habe ich 112 angerufen, in Schweden die Nummer für alle Notfälle (110 gibt es hier nicht). Nach besorgniserregend langer Wartezeit (mindestens 5mal klingte es) antwortete jemand. Ich wurde zur Polizei weitergeleitet. Der Polizist sagte nur, dass nur jemand kommen würde, wenn es sich um etwas exotischeres als eine Krähe handelt. Ich solle sie totschlagen oder weiterfahren.

Das waren dann auch genau die Optionen, die zur Verfügung standen. Das arme Tier totschlagen. Wenn ich den Mut dazu habe. Oder nicht, und es stattdessen qualvoll verhungern zu lassen.

Beim Wildunfallnotdienst ging immer noch keiner ran. Ich schickte eine SMS hin. Mir wurde klar, dass ich das auf niemanden abschieben kann. Also entschied ich mich, sie zu erschlagen.

Es lagen wie überall hier in der Gegend Steine im Gebüsch. Ich nahm einen großen und wollte sie damit erschlagen. Ich traf sie, aber sie rappelte sich erneut auf und hüpfte auf die andere Straßenseite, wo sie sich unter die Leitplanke duckte. Ich kletterte im Gebüsch herum und versuchte, weitere Steine zu finden – ich weiß nicht mehr, wie viele. Nach dem nächsten Stein lag die Krähe an der Böschung. Sie atmete noch. Der letzte Stein war so groß, dass ich ihn kaum tragen könnte.

Danach rührte sie sich nicht mehr. Ich kann nur hoffen, dass sie tot war. Und wenn nicht, dass sie in Kürze an den schweren Verletzungen sterben würde.

Objektiv habe ich vermutlich das richtige getan. Aber daran, ein Tier, das einen angsterfüllt anblickt, mit einem Stein zu erschlagen, ist nichts richtiges. Zumindest fühlt es sich nicht so an.

A ferry tale

Man kann es erahnen: ich war im Urlaub.

Wie ich vor einiger Zeit erfahren musste, stirbt man früher, wenn man nicht vier Wochen am Stück Urlaub im Jahr hat. Dreißig Prozent der Einwohner Schwedens müssen unter solchen vermeintlich unwürdigen Umständen leben. Aus deutscher Sicht wirkt sie grotesk.

Nun, auch ich muss mit einem frühen Tod rechnen, denn ich habe nur zwei Wochen Urlaub gehabt, und erholsam waren sie nicht unbedingt – aber gut.

Wegen einer wichtigen Familienfeier, zu der meine Freundin nach Leipzig musste, hatten wir ein großes Programm zusammengestellt, das wir komplett mit dem Auto bzw. Fähre absolvierten:

  • Nach Nynäshamn, einer Stadt am südlichsten Ende der Region Stockholm (73 km). Ab dort fährt eine Fähre der polnischen Gesellschaft Polferries nach Danzig. Das hatte schlicht den Vorteil, dass wir zu Beginn wenig fahren mussten. Von der Fähre hatte ich mir nicht viel versprochen – die Baltivia ist nicht gerade das neueste Schiff, und schnell wurde auch klar, wer das Stammklientel darstellt: zuallererst polnische Gastarbeiter in Schweden und Lkw-Fahrer. Dementsprechend gab es an Bord wenige Familien und das Ambiente war schlicht. Uns hatte man mit dem Hinweis, Zwei-Bett-Kabinen seien ausgebucht, eine teurere Drei-Bett-Kabine gegeben. Allerdings musste ich feststellen, dass es Zwei-Bett-Kabinen entweder gar nicht oder nur in sehr geringer Zahl gab. Etwas ärgerlich war auch, dass man trotz noch an Land erhaltener Bordkarte nochmals an der Rezeption an Bord einchecken musste, um in die Kabine zu gelangen. Zudem roch das Bad dort ziemlich streng. Die Freizeitangebote an Bord waren ausgesprochen bescheiden. Der Bordshop war klein und hatte nur wenige Stunden am Morgen geöffnet. Die Cafeteria war das einzige Restaurant an Bord und servierte reichlich matschige und fettige Speisen. Das Frühstück war allerdings in Ordnung. Wir verbrachten die meiste Zeit der 19 Stunden an Bord mit Lesen und Schlafen, denn viele Alternativen hätte es ohnehin nicht gegeben. Einzig die weite Strecke rechtfertigte den Fahrtpreis von gut 300 €. In Danzig checkten wir nach einer kleinen Irrfahrt (Navi hielt Fußgängerbrücke für Straße) ins Hotel ein und gingen in die Stadt. Sehr schön. Eine Schiffsfahrt zur Westerplatte und zurück gönnten wir uns auch noch. Das Hotel La Petite kann man nur empfehlen – freundliches Personal, guter Preis, gutes Frühstück, saubere moderne Zimmer mit Fernseher, großes Bad, ein kleiner Parkplatz draußen und die Innenstadt ca. 30 Minuten zu Fuß weg.
  • Am nächsten Morgen dann weiter von Danzig nach Bad Muskau (548 km). Wir wussten vorher schon, dass das eine lange Fahrt werden würde, denn Polen hat praktisch keine Autobahnen. Unser neues Navigationssystem (Garmin Nüvi 205T) interpretierte das wohl so, dass alle Landstraßen ja gleich sind und folglich der kürzeste Weg der beste sein müsse. Wir landeten teilweise in der tiefsten Provinz, weitab von den größeren Verkehrswegen, die wir normalerweise genommen hätten. So haben wir viel von Polen gesehn, u.a. zahlreiche Störche, aber auch das waghalsige Verhalten polnischer Autofahrer. Wenn man in einem Land mit Landstraßen lebt, hat man offenkundig viel Zeit, Überholmanöver zu üben. Bad Muskau liegt direkt an der polnischen Grenze und ist nahezu umgeben vom Fürst-Pückler-Park, der mittlerweile zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört und durch dessen Mitte die Neiße fließt, wodurch der Park halb in Polen, halb in Deutschland liegt. Neben den schönen Parkanlagen fand ich vor allem diese Grenze interessant. Nicht nur, weil man sie unkontrolliert überqueren kann, sondern der annähernd orientalische Markt auf der polnischen Seite. Da werden in Wellblechhütten unter Beschallung mit billigstem deutschen Schlager allerlei Waren angeboten, an deren Qualität man zweifeln kann, die aber auf alle Fälle in harten Euros ausgezeichnet sind. Das Ganze ist so eng bebaut, dass dort permanenter Verkehrsstau, insbesondere vor der Tankstelle, zu herrschen scheint.
  • Weiter nach Leipzig (236 km). Dort schöne 4 Tage mit Bowling, Familienfesten und Stadtführung.
  • Über das malerische Städtchen Greiz in Thüringen zu meinen Eltern nach Rastatt (592 km). Dort dann ein paar Tage in der Umgebung verbracht, wobei die Schwarzwälder Kirschtorte am Mummelsee eine herbe Enttäuschung war – Boden angebrannt, Sahne alt. Da das vormalige Mummelsee-Hotel vor einem Jahr abgebrannt ist, muss man das wohl den Umständen der provisorischen Bewirtung zuschreiben. Die Tage nutzten wir auch, das Auto auf Vordermann zu bringen – es hat jetzt einen neuen Kotflügel und eine neue Tür. Insofern war die Abwrackprämie ausnahmsweise zu irgendwas gut.
  • Dann weiter nach Norderstedt (676 km) – wobei die Streckenangabe hier reine Makulatur ist. Die anvisierten 6 Stunden Fahrt verdoppelten sich staubedingt auf 12 Stunden, was in erster Linie einer Vollsperrung der A7 bei Göttingen geschuldet war. Deren Ursache bleibt im Dunkeln, denn sie schien vorbereitet gewesen zu sein. Mangels Vertrauen in unser Navigationssystem fuhren wir zu früh wieder auf die Autobahn, was mehrere Stunden kostete. Immerhin konnten wir noch einen guten halben Tag in Hamburg verbringen.
  • Zur Fähre nach Lübeck-Travemünde (82 km) – wir hatten im Vorfeld beschlossen, auch auf dem Rückweg eine der größeren Fähren zu nehmen, da wir so noch länger in Hamburg bleiben konnten. Die Nacht würde zwar kurz sein, denn Abfahrt ist um 22 Uhr und Ankunft schon um 7 Uhr. Die Fährgesellschaft Nordö-Link meinte, wir sollten spätestens 2 Stunden vor Abfahrt dort sein. Nach den Erfahrungen vom Vortag planten wir großzügige Reserven ein – umso ärgerlicher, dass der Check-In 2 Stunden vor Abfahrt noch nicht einmal begonnen hatte, und als er dann begann, doch sehr gemächlich vor sich ging. An Bord war das Unterhaltungsangebot auch nicht viel größer als auf der ersten Fähre, was aber angesichts der späten Abfahrt kaum eine Rolle spielte. Das Erstaunlichste war jedoch unsere Kabine – die hatte ca. 20 Quadratmeter und 4 Betten, obwohl wir nur zu zweit waren. Den im Informationsmaterial erwähnten Fernseher gab es nicht, aber interessanter- und eigentlich auch unnötigerweise eine Minibar. Das Frühstück hatten wir dazu gebucht – man musste freilich schon um 6 Uhr morgens beginnen, denn die Fähre kam pünktlich an. Sollte ich das nochmal machen, werde ich dazu eine Kamera mitnehmen, denn man fährt währenddessen unter der Öresundbrücke hindurch. Die 200 € für die Fahrt sind nur auf den ersten Blick teuer, denn die Fähre Puttgarden-Rödby und die Öresundbrücke hätten zusammen rund 100 € gekostet. Wenn man dann noch Spritkosten und den Service einer Nacht mit Frühstück an Bord einrechnet, dann schmilzt der Preisunterschied stark zusammen – dass man ausgeruht in Schweden ankommt, wiegt es letztendlich ganz auf.
  • Nach einem Brotkauf in der deutschen Bäckerei im Hauptbahnhof von Malmö (hatten wir in Deutschland vergessen) ging es auf den letzten Abschnitt nach Hause (632 km).

Alles in allem also alleine auf diesen Wegen über 2800 km. Mit den ganzen Fahrten dazwischen landeten wir bei weit über 3000 km. Das kann man nicht jedes Jahr machen – dementsprechend war das Auto mit deutschen Leckereien beladen.

Todesängste

Heute am frühen Morgen kam eine Mail mit dem Betreff

Du stirbst bald.

Der dezente Verzicht auf ein Ausrufezeichen deutet hier natürlich an, dass es sich um Tiefgründiges handeln muss. Vielleicht eine Botschaft aus dem Jenseits? Der Tod, der den Absender „Viola“ angibt, macht auch nicht viele Worte, und schreibt mir

Was sagt Dein Schicksal dazu?

Teste Dich jetzt:

http://[…]

Da bin ich beruhigt. Es war nicht der Tod, sondern nur das Schicksal.

Ohne Titel

Bei der Kamera, die ich mir vor 2 Jahren bei Ebay ersteigert habe, waren Filme dabei – weit jenseits des Haltbarkeitsdatums, aber für ein paar anfängliche Versuche vielleicht noch brauchbar. Es handelt sich um ein Gerät der Marke Revue, noch in der DDR gebaut, eine Spiegelreflexkamera ohne jegliche modernen Erleichterungen wie einen Auto-Fokus oder elektrisch verstellbare Brennweite.
So lief ich herum und schoss Fotos von meiner Umgebung. Viele misslangen. Eines zeigt unseren Garten, von unserer Gartenlaube aus aufgenommen. Hinten links steht der Apfelbaum, rechts sitzt meine Oma.

Die Gartenlaube gibt es so nicht mehr – seit heute nacht gibt es auch meine Oma nicht mehr.
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