Ein historischer Tag

Ich musste schon eine Träne verdrücken, als Winfried Kretschmann heute morgen zum Minischderpräsident des Landes Baden-Württemberg gewählt wurde. Dass nach der Wahl Ende März nun das Realität wird, was ich nie zu erleben glaubte. Dass ein Nicht-CDU-Mann in dieses Amt gewählt wird, haben nicht einmal meine Eltern erlebt.

Geradezu erbärmlich dieses mitleidige Gelaber im Fernsehen über die CDU-Abgeordneten, die nun ihre Lebensträume durchkreuzt sehen. Wer Wahlen als Bestätigungsveranstaltungen ansieht und eine politische Karriere als unaufhaltsamen Karrierezug, der kann einem bestenfalls leid tun, dass er ein Produkt der Verfilzung Baden-Württembergs ist. Demokratieverständnis muss bei der CDU erst noch einsickern. Vielleicht ist das auch schonmal der erste positive Effekt dieses Wechsels.

Ich bin aber auch Realist genug, zu wissen: in 5 Jahren ist es wieder vorbei. In einer gigantischen Ausnahmesituation wurde die CDU unter 40% gedrückt und die FDP fast über den 5%-Abgrund geschoben. Die grün-rote Regierung, die das allein durch überzeugende Arbeit noch einmal schaffen will, kann ich mir kaum vorstellen. Dazu waren die letzten Woche zu verhalten und unharmonisch, als dass man allzu große Hoffnungen haben könnte. Selbst wenn die Regierung ihre Arbeit gut macht, wird es für eine Wiederholung kaum reichen.

Eigentlich müssten sie jetzt 5 Jahre lang regieren, als ob es keinen Morgen gäbe. Eine spektakuläre Maßnahme nach der anderen, damit die Leute auch etwas davon merken, dass sie von jemand anderem regiert werden. Nur ist Deutschland nicht anfällig für einen reißerischen Politikstil, und Baden-Württemberg schon zweimal nicht. Natürlich wäre dann auch die Frage, ob dabei etwas vernünftiges herauskäme, und das darf doch in den klassischen Landespolitikfeldern Bildung und Justiz bezweifelt werden.

Aber die Zeiten ändern sich auch und mit ihr die politische Landschaft. Es bleibt eben nicht immer alles so, wie es ist – und das ist ab heute auch in Baden-Württemberg so. Ich wünsche Winfried Kretschmann jedenfalls viel Erfolg bei ihrer Arbeit. Sie haben einiges vor sich.

[Danke an Franzi für den Link]

Heute: Volksabstimmung in Baden-Württemberg

Wer dachte, dass es sich heute in BaWü nur um eine schnöde Landtagswahl handele, irrt.

Heute ist eine Volksabstimmung, in der es im Grunde darum geht, ob man in Baden-Württemberg künftig überhaupt noch Wahlen durchführen muss. Wenn nämlich die CDU gewinnt, dann kann man sich künftig die Abhaltung dieses teuren Regierungsbestätigungsinstruments auf absehbare Zeit sparen. Wer ca. so lange an der Macht ist wie Gaddafi und Honecker zusammen, dann ziemlich eindrücklich darlegt, dass es doch egal ist, was die Leute denken und anschließend von der Jahreshauptversammlung des Atomkraftfanclubs direkt zum Castorprotest geht, und trotzdem wiedergewählt wird – der ist unabwählbar, und zwar im besten demokratischen Sinne, weil die Leute es nicht anders wollen. So einfach ist das.

Wie man inhaltlich so aufgestellt ist, legte folgende Anzeige gestern dar:

Wahlanzeige der CDU (Ausriss aus dem Badischen Tagblatt vom 26. März 2011)

Besonders perfide ist der dritte Punkt: als wäre die Schlichtung die Erfindung der CDU, soll man nun der Garant dafür sein, dass der Kompromiss umgesetzt wird.
Auch der Rest ist fragwürdig: neben einem fast schon adenauerschen „Keine Experimente“, die man bei einer so selbstgefälligen Partei wohl erwarten muss, bleibt für mich vor allem die Frage, welche Steuern denn grün-rot bitteschön erhöhen kann. Liegen irgendwelche Steuern, die den Durchschnittsmenschen betreffen, überhaupt in der Gewalt der Länder? Oder noch allgemeiner: haben die Länder überhaupt die Kontrolle über Steuern jenseits der Mitwirkung im Bundesrat?

Schauen wir mal kurz zur Konkurrenz:

Wahlanzeige der SPD mit dem lokalen Landtagskandidaten Ernst Kopp (Ausriss aus dem Badischen Tagblatt vom 26. März 2011)

Ich bin natürlich als Sozi vorbelastet. Zudem kommt Ernst Kopp auch noch aus dem Ort, aus dem ich selbst stamme. Ich bemühe mich trotzdem um eine nüchterne Betrachtung. Die üblichen „Zukunft ist gut für uns alle“-Versprechen sind natürlich nicht wirklich etwas Neues. Ich finde es erfreulich, dass man sich nicht dem Populismus hingegeben hat und das offenkundige Atom-Thema nicht gleich als erstes bringt. Die Umschiffung des Themas Stuttgart 21 ist irgendwo auch nicht verwunderlich, denn die SPD hat dabei auch keine gute Figur gemacht. Man darf gespannt sein, ob das viele Wähler überzeugen wird.

Die Grünen, vielleicht heute abend die zweitstärkste Kraft im Land, haben übrigens keine Anzeige in der Zeitung geschaltet.

Dafür aber die FDP, und zwar dieses geniale Stück:

Wahlanzeige der FDP-Kandidatin Irene Ritter (Ausriss aus dem Badischen Tagblatt vom 26. März 2011)

Mit Verlaub, liebe FDP: wenn eine Kandidatin betonen muss, dass sie hellwach und somit gerade in vollstem Besitz ihrer geistigen Kräfte ist – was ist dann der Standard bei der FDP?

Das muss man vor allem fragen, wenn man diesen hochnotpeinlichen PR-Ausrutscher anschaut:

Da ist noch Luft nach oben in Sachen Wahlwerbung. Hoffentlich jedoch nicht in den Wahlergebnissen. Wer immer noch nicht eingesehen hat, dass die FDP eine populistische Klientelpartei mit nur einem Programmpunkt ist, kann in den letzten zwei Jahren nicht so oft hellwach gewesen sein.

Ich bin gespannt auf 18 Uhr und darauf, ob ich in meinem Leben doch tatsächlich mal einen Regierungswechsel in Baden-Württemberg erleben darf.

Meine 5 Cent zu Stuttgart 21

Ich sage ganz offen: mir ist Stuttgart 21 egal.

Es ist ein tolles Projekt, aber irrsinnig teuer. Man kann es machen, aber es bleibt jedem selbst überlassen, zu beurteilen, ob sich das Geschäft lohnt.
Das Ganze riecht nach der Art Größenwahnsinn, die auch die Bayern beseelt hat, als sie den Transrapid in München haben wollten. Wenn man schon hinnehmen muss, dass Nauru ein souveräner Staat ist und man selbst nicht. Dass Berlin weit weg ist und man von dem Rest der Republik als putzig-bieder belächelt wird. Dann muss man eben auf anderem Gebiet zeigen, dass man in Wirklichkeit der Größte ist.

Die Gegner wurden erst dann laut, als die Bagger schon rollten. Dabei hätten zahlreiche Bedenken wie die Gefährdung der Heilwasserquellen und die vermeintlich mangelnde Kapazität des neuen Bahnhofs schon vor Jahren geäußert werden können. Man kann es nicht nur auf die Finanzen schieben, die nun aus scheinbar heiterem Himmel aus dem Ruder liefen. Die Befürworter haben sich aber auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert durch die Ignoranz, mit der man dies alles nun durchpeitschen will.

Ich habe gestern mit an Entsetzen grenzenden Erstaunen die Räumungsaktion bei Twitter und entsprechenden Livestreams verfolgt. Auf die dort oft verwendete Hausbesetzerargumentation lasse ich mich nicht ein. Ein Projekt ist nicht erst dann demokratisch legitimiert, bis man auch den letzten Sitzblockadler überzeugt hat, aufzustehen. Demokratie ist nicht, dass der Wille des Einzelnen geschieht, sondern der der Mehrheit. Rechtstaat ist nicht, dass es immer gerecht zugeht, sondern dass ein Staat sich an die Spielregeln hält.

Wie Baden-Württemberg regiert wird

Deswegen gilt meine Kritik auch nicht der Polizei, sondern denen, die dies angeordnet haben, denn über die sagt der ganze Vorgang sehr viel aus. Nämlich, dass Baden-Württemberg von einer Gruppe selbstgefälliger Politiker regiert wird, die glaubt, sie hätte die Macht gepachtet.

Die CDU passt in ihrer Biederkeit erschreckend gut zum Ländle, und so regiert sie seit 1953 ununterbrochen. Das Ergebnis ist, dass jeder, der politisch etwas auf dem Kasten hat, früher oder später nach Berlin geht. In Stuttgart bleiben übermäßig wohl genährte Politbürokraten zurück, die nicht einmal den Anschein erwecken wollen, sie seien einst wegen idealistischer Ziele zur Politik gekommen. Ob Teufel, Oettinger oder Mappus: sie würden es in den USA nichtmal zum Kleinstadtbürgermeister bringen.

In BaWü saßen bzw. sitzen sie aber fest im Sattel, denn das Volk wählt „ihre“ CDU aus Gewohnheit immer wieder. Die Situation ist derart deprimierend, dass bei SPD und Grünen die Talente auch nach Berlin geflohen sind und sich im Landtag die gleiche Sorte provinzieller Langeweile als immerwährende Opposition eingerichtet hat.

Wenn man wie Stefan Mappus 25 Jahre lang erlebt hat, dass eigentlich immer das gemacht wird, was CDU (und ggf. FDP) untereinander ausgekungelt haben, dann ist das absolute Unverständnis über die aktuelle Entwicklung kein Wunder. So etwas hat man in diesen Kreisen noch nicht erlebt und man ist auch nicht darauf vorbereitet.

Desillusionierte Jugend

Der eklatante Mangel an Feingespür wird tiefe Spuren hinterlassen, denn nun hat auch das konservative CDU-freundliche Milieu gemerkt, dass es der Partei und v.a. ihrer Führung ziemlich egal ist, was die Leute über ihre Vorhaben denken. Wäre es anders, hätte man gewusst, dass das Vertreiben weitgehend friedlicher Demonstranten – zu guten Teilen Kinder und Jugendliche – unter Einsatz solcher Mittel nur kontraproduktiv sein kann.

Wie haben diese Leute sich das vorgestellt? Unsummen in Polizei und Sicherheitsdienste stecken, um zehn Jahre lang unter Hochsicherheitsbedingungen zu bauen?

Die derzeitigen Ereignisse haben und werden tiefe Wunden reißen, die lange nicht verheilen werden. Man schafft sich eine Zeitbombe, indem man jungen idealistischen Menschen vermittelt, dass ihre Meinung nichts zählt und sie das im Fall der Fälle auch mit Gewalt zu spüren bekommen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie nach Hause gekommen sind mit dem Gefühl, in einer Demokratie zu leben. Sie tun es trotz allem – aber werden sie sich künftig an ihr beteiligen?

Die Landesregierung hat mit ihrem Vorgehen offenbart, wie es wirklich steht um die Landespolitik im Ländle. Ich hoffe, die Wähler werden am 27. März dafür die Quittung präsentieren.

Aufruhr im Ländle (vielleicht)

Wie ich hier vor drei Tagen anmerkte, bin ich nun 5 Jahre in Schweden. Dennoch beobachte ich interessiert und aktiv die Vorgänge in meiner Heimat, mit der ich meine Verbundenheit nie verloren habe. Ich weiß, dass das Folgende fürchterlich kleinkariert erscheinen muss. Vermutlich muss man aus dem Ländle kommen, um so etwas nachvollziehen zu können. Heute morgen las ich nämlich in meiner alten Heimatzeitung Badisches Tagblatt über das Vorhaben einer Landesbehörde, das sicherlich noch für allerlei Wirbel sorgen wird.

In meiner Heimatstadt Rastatt steht ein Schloss, nämlich dieses hier:

Autor: Wikipedia-Benutzer Manecke/Lizenz: CC 3.0

Es wurde dereinst vom Markgraf von Baden erbaut und ist nicht ganz zufällig Versailles sehr stark nachempfunden. Als besonderes Feature hat es vier Flaggenmasten, die bislang mit zwei Ausgaben der baden-württtembergischen Flagge

Flagge Baden-Württembergs

und zwei Ausgaben der Flagge des früheren Landes Baden (und dessen Vorgängern) bestückt wurden.

Flagge des Landes Baden

Nun sind letztere vom vielen Wehen schon ganz zerschlissen und sollen ersetzt werden. Man nimmt hierfür aber nicht etwa neuerlich badische Flaggen, sondern künftig sollen nur noch die baden-württembergischen Flaggen zu sehen sein. Das erzeugt bei mir ein leichtes lokalpatriotisches Unbehagen.

Damit hier keine Missverständnisse aufkommen: ich bin überzeugter Baden-Württemberger und trage heute zufällig sogar ein Shirt des Bundeslandes. Jedoch hat Baden-Württemberg schon aus historischen Gründen stark geprägte Regionalidentitäten. Diesen muss man nicht unbedingt in der Verwaltung etc. Rechnung tragen, aber wenn es um Geschichte und Kultur geht, kann dies durchaus anders sein. Für mich ist nicht ersichtlich, wieso eine Landesbehörde, deren Zweck die Präsentation des Kulturgutes im Ländle ist, hier eine einheitliche Lösung wählt, die die Geschichte des Schlosses und seine derzeitige Nutzung einfach nicht hergeben.

Rastatt hatte eine nicht unerhebliche Rolle in der Revolution 1848/49. Heute befindet sich die „Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte“ im Schloss, was am ehesten eine schwarz-rot-goldene Beflaggung rechtfertigen würde. Dass dort auch der Stammsitz des Hauses Baden-Baden war, spräche für eine badische Beflaggung. Für die baden-württembergische Flagge spricht hingegen lediglich, dass im Schloss auch das Amtsgericht ist. Weder hat das Schloss eine große Rolle in Entstehung und Entwicklung von Baden-Württemberg gespielt noch hat Baden-Württemberg eine besondere Bedeutung für die Geschichte dieses Gebäudes – wenn man einmal davon absieht, dass es heute der Besitzer ist.

Wäre auch ein guter Kandidat gewesen: Flagge der Revolution 1848/49 und heutige Bundesflagge

Wenn es nur einen Flaggenmast gäbe, hätte jeder der drei Kandidaten ein gutes Recht, dort gehisst zu werden. Dass aber bei vier Flaggenmasten gleich alle vier Masten mit der Flagge bestückt werden sollen, die im berechtigten Verdacht steht, den geringsten Anspruch darauf zu haben, ist bedauerlich.

Ich bin jedenfalls gespannt auf die Leserreaktionen in der morgigen Ausgabe. Ich habe das jedenfalls zum Anlass genommen, in sinnlosen Aktionismus zu verfallen und eine Facebook-Gruppe „Badische Fahnen auf dem Rastatter Schloss“ einzurichten.

Baden-Württemberg hat gewählt…

Wie weite Teile der Nation lässt auch mich der Abgang von Bundespräsident Köhler nicht kalt. Und schon gar nicht die Wahl seines Nachfolgers.

Ob Rau, Schipanski, Herzog oder Schwan war mir eigentlich ziemlich Banane – die haben bzw. hätten alle passable Amtsinhaber abgegeben. Dieses Mal jedoch ist recht klar, dass der Favorit der schlechtere Kandidat ist. Ein 100%iger Parteimann soll es werden anstatt eines honorigen Bürgerrechtlers, der für alle Seiten wählbar wäre. Das dazu noch in Zeiten allgemeiner Parteienverdrossenheit.

Deswegen bin ich natürlich auch begeistert davon, dass sich im Netz eine Bewegung formiert, um vielleicht ein paar Wahlmänner zu bewegen.

Gestern hat der Landtag von Baden-Württemberg seine Wahlmänner für die Bundesversammlung gewählt. Es ist wieder einmal ein Armutszeugnis für die Internetarbeit von Fraktionen und Landtag, denn nur zwei der vier Fraktionen haben ihre Kandidatenlisten im Netz veröffentlicht. Der Landtag selbst hält es auch nicht für nötig, die Listen zu publizieren.

Also habe ich selbst gewühlt, und hier ist das, was ich bislang gefunden habe (werde ich fortlaufend aktualisieren):

Wem die Frage auch am Herzen liegt, kann ja gerne einen oder mehrere der Wahlmänner anschreiben und ihnen mitteilen, was er als einfacher Bürger gerne für einen Präsidenten hätte und warum.

Nachtrag 11:56 Uhr: Anscheinend wurden bislang nur die Kandidatenlisten aufgestellt. Die formelle Wahl wird erst morgen sein. Vielleicht werden dann auch noch die restlichen Kandidaten veröffentlicht.
Nachtrag 20:52 Uhr: Mittlerweile haben auch CDU und Grüne ihre Listen veröffentlicht.

A ferry tale

Man kann es erahnen: ich war im Urlaub.

Wie ich vor einiger Zeit erfahren musste, stirbt man früher, wenn man nicht vier Wochen am Stück Urlaub im Jahr hat. Dreißig Prozent der Einwohner Schwedens müssen unter solchen vermeintlich unwürdigen Umständen leben. Aus deutscher Sicht wirkt sie grotesk.

Nun, auch ich muss mit einem frühen Tod rechnen, denn ich habe nur zwei Wochen Urlaub gehabt, und erholsam waren sie nicht unbedingt – aber gut.

Wegen einer wichtigen Familienfeier, zu der meine Freundin nach Leipzig musste, hatten wir ein großes Programm zusammengestellt, das wir komplett mit dem Auto bzw. Fähre absolvierten:

  • Nach Nynäshamn, einer Stadt am südlichsten Ende der Region Stockholm (73 km). Ab dort fährt eine Fähre der polnischen Gesellschaft Polferries nach Danzig. Das hatte schlicht den Vorteil, dass wir zu Beginn wenig fahren mussten. Von der Fähre hatte ich mir nicht viel versprochen – die Baltivia ist nicht gerade das neueste Schiff, und schnell wurde auch klar, wer das Stammklientel darstellt: zuallererst polnische Gastarbeiter in Schweden und Lkw-Fahrer. Dementsprechend gab es an Bord wenige Familien und das Ambiente war schlicht. Uns hatte man mit dem Hinweis, Zwei-Bett-Kabinen seien ausgebucht, eine teurere Drei-Bett-Kabine gegeben. Allerdings musste ich feststellen, dass es Zwei-Bett-Kabinen entweder gar nicht oder nur in sehr geringer Zahl gab. Etwas ärgerlich war auch, dass man trotz noch an Land erhaltener Bordkarte nochmals an der Rezeption an Bord einchecken musste, um in die Kabine zu gelangen. Zudem roch das Bad dort ziemlich streng. Die Freizeitangebote an Bord waren ausgesprochen bescheiden. Der Bordshop war klein und hatte nur wenige Stunden am Morgen geöffnet. Die Cafeteria war das einzige Restaurant an Bord und servierte reichlich matschige und fettige Speisen. Das Frühstück war allerdings in Ordnung. Wir verbrachten die meiste Zeit der 19 Stunden an Bord mit Lesen und Schlafen, denn viele Alternativen hätte es ohnehin nicht gegeben. Einzig die weite Strecke rechtfertigte den Fahrtpreis von gut 300 €. In Danzig checkten wir nach einer kleinen Irrfahrt (Navi hielt Fußgängerbrücke für Straße) ins Hotel ein und gingen in die Stadt. Sehr schön. Eine Schiffsfahrt zur Westerplatte und zurück gönnten wir uns auch noch. Das Hotel La Petite kann man nur empfehlen – freundliches Personal, guter Preis, gutes Frühstück, saubere moderne Zimmer mit Fernseher, großes Bad, ein kleiner Parkplatz draußen und die Innenstadt ca. 30 Minuten zu Fuß weg.
  • Am nächsten Morgen dann weiter von Danzig nach Bad Muskau (548 km). Wir wussten vorher schon, dass das eine lange Fahrt werden würde, denn Polen hat praktisch keine Autobahnen. Unser neues Navigationssystem (Garmin Nüvi 205T) interpretierte das wohl so, dass alle Landstraßen ja gleich sind und folglich der kürzeste Weg der beste sein müsse. Wir landeten teilweise in der tiefsten Provinz, weitab von den größeren Verkehrswegen, die wir normalerweise genommen hätten. So haben wir viel von Polen gesehn, u.a. zahlreiche Störche, aber auch das waghalsige Verhalten polnischer Autofahrer. Wenn man in einem Land mit Landstraßen lebt, hat man offenkundig viel Zeit, Überholmanöver zu üben. Bad Muskau liegt direkt an der polnischen Grenze und ist nahezu umgeben vom Fürst-Pückler-Park, der mittlerweile zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört und durch dessen Mitte die Neiße fließt, wodurch der Park halb in Polen, halb in Deutschland liegt. Neben den schönen Parkanlagen fand ich vor allem diese Grenze interessant. Nicht nur, weil man sie unkontrolliert überqueren kann, sondern der annähernd orientalische Markt auf der polnischen Seite. Da werden in Wellblechhütten unter Beschallung mit billigstem deutschen Schlager allerlei Waren angeboten, an deren Qualität man zweifeln kann, die aber auf alle Fälle in harten Euros ausgezeichnet sind. Das Ganze ist so eng bebaut, dass dort permanenter Verkehrsstau, insbesondere vor der Tankstelle, zu herrschen scheint.
  • Weiter nach Leipzig (236 km). Dort schöne 4 Tage mit Bowling, Familienfesten und Stadtführung.
  • Über das malerische Städtchen Greiz in Thüringen zu meinen Eltern nach Rastatt (592 km). Dort dann ein paar Tage in der Umgebung verbracht, wobei die Schwarzwälder Kirschtorte am Mummelsee eine herbe Enttäuschung war – Boden angebrannt, Sahne alt. Da das vormalige Mummelsee-Hotel vor einem Jahr abgebrannt ist, muss man das wohl den Umständen der provisorischen Bewirtung zuschreiben. Die Tage nutzten wir auch, das Auto auf Vordermann zu bringen – es hat jetzt einen neuen Kotflügel und eine neue Tür. Insofern war die Abwrackprämie ausnahmsweise zu irgendwas gut.
  • Dann weiter nach Norderstedt (676 km) – wobei die Streckenangabe hier reine Makulatur ist. Die anvisierten 6 Stunden Fahrt verdoppelten sich staubedingt auf 12 Stunden, was in erster Linie einer Vollsperrung der A7 bei Göttingen geschuldet war. Deren Ursache bleibt im Dunkeln, denn sie schien vorbereitet gewesen zu sein. Mangels Vertrauen in unser Navigationssystem fuhren wir zu früh wieder auf die Autobahn, was mehrere Stunden kostete. Immerhin konnten wir noch einen guten halben Tag in Hamburg verbringen.
  • Zur Fähre nach Lübeck-Travemünde (82 km) – wir hatten im Vorfeld beschlossen, auch auf dem Rückweg eine der größeren Fähren zu nehmen, da wir so noch länger in Hamburg bleiben konnten. Die Nacht würde zwar kurz sein, denn Abfahrt ist um 22 Uhr und Ankunft schon um 7 Uhr. Die Fährgesellschaft Nordö-Link meinte, wir sollten spätestens 2 Stunden vor Abfahrt dort sein. Nach den Erfahrungen vom Vortag planten wir großzügige Reserven ein – umso ärgerlicher, dass der Check-In 2 Stunden vor Abfahrt noch nicht einmal begonnen hatte, und als er dann begann, doch sehr gemächlich vor sich ging. An Bord war das Unterhaltungsangebot auch nicht viel größer als auf der ersten Fähre, was aber angesichts der späten Abfahrt kaum eine Rolle spielte. Das Erstaunlichste war jedoch unsere Kabine – die hatte ca. 20 Quadratmeter und 4 Betten, obwohl wir nur zu zweit waren. Den im Informationsmaterial erwähnten Fernseher gab es nicht, aber interessanter- und eigentlich auch unnötigerweise eine Minibar. Das Frühstück hatten wir dazu gebucht – man musste freilich schon um 6 Uhr morgens beginnen, denn die Fähre kam pünktlich an. Sollte ich das nochmal machen, werde ich dazu eine Kamera mitnehmen, denn man fährt währenddessen unter der Öresundbrücke hindurch. Die 200 € für die Fahrt sind nur auf den ersten Blick teuer, denn die Fähre Puttgarden-Rödby und die Öresundbrücke hätten zusammen rund 100 € gekostet. Wenn man dann noch Spritkosten und den Service einer Nacht mit Frühstück an Bord einrechnet, dann schmilzt der Preisunterschied stark zusammen – dass man ausgeruht in Schweden ankommt, wiegt es letztendlich ganz auf.
  • Nach einem Brotkauf in der deutschen Bäckerei im Hauptbahnhof von Malmö (hatten wir in Deutschland vergessen) ging es auf den letzten Abschnitt nach Hause (632 km).

Alles in allem also alleine auf diesen Wegen über 2800 km. Mit den ganzen Fahrten dazwischen landeten wir bei weit über 3000 km. Das kann man nicht jedes Jahr machen – dementsprechend war das Auto mit deutschen Leckereien beladen.

Politik mit Zukunft

Manchmal gibt es ja noch Hoffnung im Leben. Wenn es aber um Baden-Württemberg und Politik geht, kann man das gleich vergessen, denn spätestens seit 26. März wissen wir: die CDU hat ein höchstpersönlich von Gott gegebenes Recht, in Baden-Württemberg zu regieren. Eigentlich hätten die ganzen CDU-Oberen einfach in Urlaub fahren und stattdessen einen Sack Kartoffeln als Spitzenkandidaten aufstellen können – gemerkt hätte es keiner, denn die Leute machen so mechanisch ihr Kreuz bei der CDU, dass man eigentlich statt dem Urnengang gleich ein Stimmen-Abo einführen hätte können: einfach unterschreiben und man wählt die nächsten 25mal automatisch gleich nochmal CDU. Dafür gibts dann ein tolles Paket mit der CD „Konnis schönste Reden“ und dem Buch „Traumschiff BaWü“ von Lothar S. selbst signiert. Die Leute haben ja auch allen Grund, die CDU toll zu finden – PISA-mäßig prima abgeschnitten, weil man die ganzen Pfeifen einfach von der Schule geschmissen hat, und niedrige Arbeitslosenquoten, weil so lange man sich der Illusion hingibt, in Deutschland würden bis in alle Ewigkeit Autos gebaut, dass jeder bei der Firma mit dem Stern einen überbezahlten Job kriegt.

Allerdings sollte man bei dem ganzen Konservativen-Bashing nicht vergessen: bei der SPD ist so gut wie jeder, der etwas auf dem Kasten hat, schon längst in Berlin. Ute Vogt mag zwar im Wahlkampf intime Details ausgeplaudert haben, aber das macht sie bei aller Jugendlichkeit noch lange nicht zu einer brauchbaren Landesmutter. Mich persönlich hat sie rhetorisch auch noch nie vom Hocker gerissen.
Der Rückzug aus Berlin war aus ihrer Sicht jedenfalls ein ziemlicher Griff ins Klo, schätze ich. Nach den furiosen Zugewinnen 2001 nun mit dem zweitschlechtesten Ergebnis aller Zeiten abgestraft und vom Ministerpräsidentensessel weiter entfernt denn je, darf sie nun eine bescheidene Fraktion anführen, die sie mit klarer, aber nicht überragender Mehrheit zur Vorsitzenden gewählt hat. Die Aussicht auf die Spree wäre da wohl schöner als der Blick auf den Neckar.

Ich persönlich hatte ja ein bisschen gehofft, sie würde abtreten – denn ich meine, auch langfristig gesehen wird sie nicht das Format einer Heide Simonis erreichen. Aber die macht mittlerweile auch bei albernen Tanzshows mit – es ist also nichts unmöglich. Im Falle eines Rücktritts hätte sich bei der Nachfolgesuche auch schnell eine Frage gestellt: Wer denn? – ist ja keiner da sonst, der es könnte. So kann sie noch mindestens die nächsten zwei Wahlen üben, bis sie das Alter des vermeintlich jungen jetzigen Minischterpräsidenten erreicht hat. Und selbst, wenn es dann nicht klappt – in BaWü gilt sowieso: Das haben wir schon immer so gemacht, das haben wir noch nie so gemacht, da könnte ja jeder kommen.
Ich räume meiner Partei aus aktueller Sicht eigentlich nur eine Hoffnung ein: wenn ein neues Flowtex mit wirklich nennenswerten Enthüllungen in Kombination mit starkem Rückenwind aus Berlin aufträte, dann könnte es eventuell reichen. Die Frage ist, ob ich das noch erlebe.

Wie gut, dass es noch echte Helden in der Politik gibt, die einem eine solch verfahrene Situation erheblich erleichtern. In den USA beispielsweise gibt es einen, der die Weltpolitik ab 2008 mit zwei Klorollen und einer Büroklammer in Ordnung bringen wird: MacGyver for President!

Klassenkampf im Eisschrank

Während andernorts nach offiziellem Frühlingsbeginn auch wirklich so etwas ähnliches wie Frühling anfangt, fährt der Winter hier nochmal die schweren Geschütze auf. Die Sonne strahlt zwar, und auch die Vögel zwitschern, aber die Temperaturen pendeln zwischen -3°C und -10°C. So bringen mir auch die längeren Tage nicht viel, und das Joggen ist fast unmöglih, da der Schnee sich an vielen Stellen zu nicht ganz ungefährlichem Eis verdichtet hat.

Da ist es doch schön, als altes sozialdemokratisches Schlachtross in trauter Runde der Genossen Arbeiterlieder zu schmettern und wirre Anträge mit Titeln wie „Kaboom“ zu diskutieren. Letztes Wochenende war nämlich die ARSK (gesprochen „Arschk“), die jährliche Konferenz des SSU Stockholm. Unter anderem wurde beschlossen, dass die norwegische Frauenquote von 40 % in Firmenvorständen auch in Schweden eingeführt werden soll und Feuerwerkskörper allgemein verboten werden sollen. Eine Entschärfung der staatlichen Alkoholpolitik wird abgelehnt, und auch Bargeldzahlung in Nahverkehrsbussen soll abgeschafft werden. Das klingt alles etwas albern, ist es aber eigentlich nicht. Wie in jedem politischen Verband muss die eigene Linie gefunden und diskutiert werden, genauso wie die Landesdelegiertenkonferenz (LDK) der Jusos Baden-Württemberg eher das politische Zusammenspiel und Selbstfindung fördern. Gerade an diese Konferenzen erinnert mich die ARSK sehr. War ich allerdings bei den LDKs der Jusos zwar dreimal anwesend, aber kein einziges Mal Ersatzdelegierter geschweige denn Delegierter, so hat man mich hier, ohne mich zu einer Wahl stellen zu müssen, zum Delegierten ernannt, was bei mir starke Irritationen hervorrief, als ich beim Verlesen der Namensliste genannt wurde und eigentlich hätte „Ja“ rufen sollen. Mein Wochenende als „Röstboskap“ (exakte Übersetzung „Stimmvieh“) habe ich jedenfalls genossen. Zwar entzogen sich die meisten Redebeiträge meinen doch noch etwas eingeschränkten Sprachinterpretationsvermögen, aber dank Antragspapieren konnte ich halbwegs folgen.

Die Verfahrensweise beim SSU (das ist auch die Abkürzung für den ganzen sozialdemokratischen Jugendverband in Schweden) und wohl auch anderen Parteien und deren Organisationen ist allgemein etwas anders als in Deutschland. So wird bei Abstimmungen einfach kollektiv ein „Ja“ geschmettert. Erst, wenn es Zweifel gibt, wird mit Hochhalten der Stimmkarten abgestimmt. Führt auch das zu keinem klaren Ergebnis, wird gezählt. Die Möglichkeit, sich zu enthalten, existiert dabei nicht. Allgemein geht man auch eher pragmatische Wege bei solchen Dingen. Bei der Jahreshauptversammlung meines Klubs vor einem Monat wurden die Kandidaten für die Posten im Vorfeld von einem Wahlkomitee (auch eine Art Ältestenrat, weil es vorwiegend altgediente Genossen waren) gesucht, um somit für jeden zu wählenden Posten jemanden zu haben. Das ist prinzipiell natürlich gut, allerdings war ich sehr irritiert, dass auch diese Wahlen per Akklamation stattfanden, da es immer nur einen Kandidaten gab. Lediglich bei der Wahl der Nominierung für einen Posten im Redaktionskomitee der Verbandszeitung eine Woche später fand eine geheime Wahl statt. Die Krönung war nun am Sonntagmorgen, als es einen 15:15 Patt bei der Abstimmung gab und am Schluss gelost wurde, welcher der beiden gegeneinander gestellten Anträge angenommen wurde.
Vielleicht liegt es an der offenen schwedischen Art, dass hier nicht hinter dem Rücken Mehrheiten zusammengeschmiedet werden, die dann im Geheimen verteidigt werden können. Dennoch würde dieses allzu offene Vorgehen in Deutschland misstrauisch beäugt werden – was auch verständlich ist, denn unser Verfahren erzeugt zwar viel mehr Aufwand, ist aber prinzipiell die korrektere, denke ich. Eigentlich steht es mir jedoch nicht zu, die schwedischen Verfahren zu beurteilen. Politik ist sowieso immer ein schmutziges Geschäft.

Apropos Politik: am Sonntag wird ja mächtig gewählt. Das habe ich per Brief schon getan – natürlich meine eigene Partei. Eine Hoffnung auf Schwarz-Rot in Baden-Württemberg habe ich allerdings nicht wirklich. Rot-Grün wäre illusorisch. Dennoch hoffe ich, dass zumindest die FDP in Baden-Württemberg nach ihren ganzen Spenden- und Flowtexaffären auch einmal einen Denkzettel verpasst bekommt und wieder lernt, wie es in der Opposition ist. Es würde der Landespolitik auch endlich etwas Bewegung verschaffen, die sie auch nötig hat. Meine unrealistische Hoffnung lautet daher zwar Rot-Grün, aber meine realistische Hoffnung ist Schwarz-Grün. Ich hoffe inständig, dass Kurt Beck in Rheinland-Pfalz wiedergewählt wird. Anscheinend machen die dort ganz gute Arbeit, und Christoph Böhr ist jetzt auch nicht gerade eine übermäßig sympathische Figur.