Heute: Volksabstimmung in Baden-Württemberg

Wer dachte, dass es sich heute in BaWü nur um eine schnöde Landtagswahl handele, irrt.

Heute ist eine Volksabstimmung, in der es im Grunde darum geht, ob man in Baden-Württemberg künftig überhaupt noch Wahlen durchführen muss. Wenn nämlich die CDU gewinnt, dann kann man sich künftig die Abhaltung dieses teuren Regierungsbestätigungsinstruments auf absehbare Zeit sparen. Wer ca. so lange an der Macht ist wie Gaddafi und Honecker zusammen, dann ziemlich eindrücklich darlegt, dass es doch egal ist, was die Leute denken und anschließend von der Jahreshauptversammlung des Atomkraftfanclubs direkt zum Castorprotest geht, und trotzdem wiedergewählt wird – der ist unabwählbar, und zwar im besten demokratischen Sinne, weil die Leute es nicht anders wollen. So einfach ist das.

Wie man inhaltlich so aufgestellt ist, legte folgende Anzeige gestern dar:

Wahlanzeige der CDU (Ausriss aus dem Badischen Tagblatt vom 26. März 2011)

Besonders perfide ist der dritte Punkt: als wäre die Schlichtung die Erfindung der CDU, soll man nun der Garant dafür sein, dass der Kompromiss umgesetzt wird.
Auch der Rest ist fragwürdig: neben einem fast schon adenauerschen „Keine Experimente“, die man bei einer so selbstgefälligen Partei wohl erwarten muss, bleibt für mich vor allem die Frage, welche Steuern denn grün-rot bitteschön erhöhen kann. Liegen irgendwelche Steuern, die den Durchschnittsmenschen betreffen, überhaupt in der Gewalt der Länder? Oder noch allgemeiner: haben die Länder überhaupt die Kontrolle über Steuern jenseits der Mitwirkung im Bundesrat?

Schauen wir mal kurz zur Konkurrenz:

Wahlanzeige der SPD mit dem lokalen Landtagskandidaten Ernst Kopp (Ausriss aus dem Badischen Tagblatt vom 26. März 2011)

Ich bin natürlich als Sozi vorbelastet. Zudem kommt Ernst Kopp auch noch aus dem Ort, aus dem ich selbst stamme. Ich bemühe mich trotzdem um eine nüchterne Betrachtung. Die üblichen „Zukunft ist gut für uns alle“-Versprechen sind natürlich nicht wirklich etwas Neues. Ich finde es erfreulich, dass man sich nicht dem Populismus hingegeben hat und das offenkundige Atom-Thema nicht gleich als erstes bringt. Die Umschiffung des Themas Stuttgart 21 ist irgendwo auch nicht verwunderlich, denn die SPD hat dabei auch keine gute Figur gemacht. Man darf gespannt sein, ob das viele Wähler überzeugen wird.

Die Grünen, vielleicht heute abend die zweitstärkste Kraft im Land, haben übrigens keine Anzeige in der Zeitung geschaltet.

Dafür aber die FDP, und zwar dieses geniale Stück:

Wahlanzeige der FDP-Kandidatin Irene Ritter (Ausriss aus dem Badischen Tagblatt vom 26. März 2011)

Mit Verlaub, liebe FDP: wenn eine Kandidatin betonen muss, dass sie hellwach und somit gerade in vollstem Besitz ihrer geistigen Kräfte ist – was ist dann der Standard bei der FDP?

Das muss man vor allem fragen, wenn man diesen hochnotpeinlichen PR-Ausrutscher anschaut:

Da ist noch Luft nach oben in Sachen Wahlwerbung. Hoffentlich jedoch nicht in den Wahlergebnissen. Wer immer noch nicht eingesehen hat, dass die FDP eine populistische Klientelpartei mit nur einem Programmpunkt ist, kann in den letzten zwei Jahren nicht so oft hellwach gewesen sein.

Ich bin gespannt auf 18 Uhr und darauf, ob ich in meinem Leben doch tatsächlich mal einen Regierungswechsel in Baden-Württemberg erleben darf.

Es fährt ein Zug im Wendland…

Schon gehört? Derzeit fährt ein Zug mit Castorbehältern durchs Wendland.

Die Frage ist rhetorisch. Natürlich weiß man davon. Es ist schließlich überall in den Medien. Ich frage mich, wieso eigentlich. Was macht den Transport so besonders, dass man sogar per Live-Ticker über jeden Meter, den dieser Zug zurücklegt, berichten muss? Na gut, die Proteste fielen dieses Mal ungewöhnlich groß aus, was auch nicht wirklich verwunderlich ist. Aber: diese Castor-Transporte kommen wie Olympia immer wieder – nur dort ist wenigstens der Ausgang unklar.

Castor-Transporte funktionieren aber wie G8-Proteste: die Polizei kommt, die Gegner kommen. Es kommt zu Zusammenstößen. Die Polizei sagt (per Pressekonferenz), die Demonstranten sind schuld. Die Demonstranten sagen (per Pressekonferenz), die Polizei ist schuld. Das Event läuft bis zum Ende durch mit Verletzten, Verhaftungen und einigen Prozessen. Der Zug kommt ans Ziel, der Gipfel findet statt. Am Ende gehen alle nach Hause.

Um beim nächsten Mal wiederzukommen.

Ich bin offen gestanden genervt davon, dass dieses sinnlose Protest-Schmierentheater immer wieder gespielt wird. Das vor allem deswegen, weil an dem Ganzen nichts konstruktives ist. Welchen Sinn hat es, diesen Zug aufzuhalten? Haben die Leute, die dies tun wollen, etwa einen besseren Plan? Es geht hier nur darum, gegen etwas zu sein, aber nicht für irgendetwas. Selbst wenn man morgen alle Kernkraftwerke abschalten würde, so säßen wir immer noch auf dem Abfall. Wo gibt es denn nach deren Ansicht eine angemessene Lagerungsmöglichkeit? Würde man den Müll mit einer Rakete in die Sonne schießen – nebenbei bemerkt die einzige wirklich dauerhafte Lösung für das Zeug – dann würden sie sich an ihr festketten. Der Plan, die Nutzung der Kernkraft durch das Aufhalten von Transporten zu stoppen, ist so oft fehlgeschlagen, dass wohl niemand ernsthaft daran glauben kann.

Darum geht es aber vielen anscheinend gar nicht. Protestieren um des Protestierens Willen – das ist wohl eher das, was sich bei Gorleben abgespielt hat. Ich kaufe zumindest bestimmten Leuten nicht ab, dass es hier wirklich um eine bessere Welt gehen soll.

Ich halte deswegen auch den so gerne gezogenen Vergleich mit Stuttgart 21 für verfehlt. In der baden-württembergischen Landeshauptstadt wird aus der Mitte der Gesellschaft heraus demonstriert gegen ein Projekt, das weite Teile der Bevölkerung für falsch oder zumindest für finanziell überzogen halten, und gegen eine politische Klasse, die versucht hat, es selbstherrlich durchzudrücken. Der Protest dort bietet aber eine Alternative, ein Gegenkonzept. Dies ist eine ganz eigene Qualität, die durch die Gleichsetzung mit allem, wogegen viele demonstrieren, verwässert wird.

Mich würde nicht wundern, wenn diejenigen, die sich mit soviel Begeisterung vor diesen Transport werfen, zuhause kein Problem damit haben, Atomstrom zu nutzen. Die großen Stromanbieter machen wohl gerne etwas mehr Geld locker für den Castor – zumal der Polizeieinsatz wahrscheinlich vom Steuerzahler getragen wird. Weniger gefallen dürfte ihnen aber, wenn die Kunden zur Konkurrenz gehen. Oder vielleicht sogar Parteien wählen, die nicht im Hinterzimmer auf Basis von maßgeschneiderten Gutachten eine Laufzeitverlängerung aushandeln.

Damit wäre mehr getan als auf Kosten der Allgemeinheit diesen Zirkus zu veranstalten.

Meine 5 Cent zu Stuttgart 21

Ich sage ganz offen: mir ist Stuttgart 21 egal.

Es ist ein tolles Projekt, aber irrsinnig teuer. Man kann es machen, aber es bleibt jedem selbst überlassen, zu beurteilen, ob sich das Geschäft lohnt.
Das Ganze riecht nach der Art Größenwahnsinn, die auch die Bayern beseelt hat, als sie den Transrapid in München haben wollten. Wenn man schon hinnehmen muss, dass Nauru ein souveräner Staat ist und man selbst nicht. Dass Berlin weit weg ist und man von dem Rest der Republik als putzig-bieder belächelt wird. Dann muss man eben auf anderem Gebiet zeigen, dass man in Wirklichkeit der Größte ist.

Die Gegner wurden erst dann laut, als die Bagger schon rollten. Dabei hätten zahlreiche Bedenken wie die Gefährdung der Heilwasserquellen und die vermeintlich mangelnde Kapazität des neuen Bahnhofs schon vor Jahren geäußert werden können. Man kann es nicht nur auf die Finanzen schieben, die nun aus scheinbar heiterem Himmel aus dem Ruder liefen. Die Befürworter haben sich aber auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert durch die Ignoranz, mit der man dies alles nun durchpeitschen will.

Ich habe gestern mit an Entsetzen grenzenden Erstaunen die Räumungsaktion bei Twitter und entsprechenden Livestreams verfolgt. Auf die dort oft verwendete Hausbesetzerargumentation lasse ich mich nicht ein. Ein Projekt ist nicht erst dann demokratisch legitimiert, bis man auch den letzten Sitzblockadler überzeugt hat, aufzustehen. Demokratie ist nicht, dass der Wille des Einzelnen geschieht, sondern der der Mehrheit. Rechtstaat ist nicht, dass es immer gerecht zugeht, sondern dass ein Staat sich an die Spielregeln hält.

Wie Baden-Württemberg regiert wird

Deswegen gilt meine Kritik auch nicht der Polizei, sondern denen, die dies angeordnet haben, denn über die sagt der ganze Vorgang sehr viel aus. Nämlich, dass Baden-Württemberg von einer Gruppe selbstgefälliger Politiker regiert wird, die glaubt, sie hätte die Macht gepachtet.

Die CDU passt in ihrer Biederkeit erschreckend gut zum Ländle, und so regiert sie seit 1953 ununterbrochen. Das Ergebnis ist, dass jeder, der politisch etwas auf dem Kasten hat, früher oder später nach Berlin geht. In Stuttgart bleiben übermäßig wohl genährte Politbürokraten zurück, die nicht einmal den Anschein erwecken wollen, sie seien einst wegen idealistischer Ziele zur Politik gekommen. Ob Teufel, Oettinger oder Mappus: sie würden es in den USA nichtmal zum Kleinstadtbürgermeister bringen.

In BaWü saßen bzw. sitzen sie aber fest im Sattel, denn das Volk wählt „ihre“ CDU aus Gewohnheit immer wieder. Die Situation ist derart deprimierend, dass bei SPD und Grünen die Talente auch nach Berlin geflohen sind und sich im Landtag die gleiche Sorte provinzieller Langeweile als immerwährende Opposition eingerichtet hat.

Wenn man wie Stefan Mappus 25 Jahre lang erlebt hat, dass eigentlich immer das gemacht wird, was CDU (und ggf. FDP) untereinander ausgekungelt haben, dann ist das absolute Unverständnis über die aktuelle Entwicklung kein Wunder. So etwas hat man in diesen Kreisen noch nicht erlebt und man ist auch nicht darauf vorbereitet.

Desillusionierte Jugend

Der eklatante Mangel an Feingespür wird tiefe Spuren hinterlassen, denn nun hat auch das konservative CDU-freundliche Milieu gemerkt, dass es der Partei und v.a. ihrer Führung ziemlich egal ist, was die Leute über ihre Vorhaben denken. Wäre es anders, hätte man gewusst, dass das Vertreiben weitgehend friedlicher Demonstranten – zu guten Teilen Kinder und Jugendliche – unter Einsatz solcher Mittel nur kontraproduktiv sein kann.

Wie haben diese Leute sich das vorgestellt? Unsummen in Polizei und Sicherheitsdienste stecken, um zehn Jahre lang unter Hochsicherheitsbedingungen zu bauen?

Die derzeitigen Ereignisse haben und werden tiefe Wunden reißen, die lange nicht verheilen werden. Man schafft sich eine Zeitbombe, indem man jungen idealistischen Menschen vermittelt, dass ihre Meinung nichts zählt und sie das im Fall der Fälle auch mit Gewalt zu spüren bekommen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie nach Hause gekommen sind mit dem Gefühl, in einer Demokratie zu leben. Sie tun es trotz allem – aber werden sie sich künftig an ihr beteiligen?

Die Landesregierung hat mit ihrem Vorgehen offenbart, wie es wirklich steht um die Landespolitik im Ländle. Ich hoffe, die Wähler werden am 27. März dafür die Quittung präsentieren.