Klassenkampf im Eisschrank

Während andernorts nach offiziellem Frühlingsbeginn auch wirklich so etwas ähnliches wie Frühling anfangt, fährt der Winter hier nochmal die schweren Geschütze auf. Die Sonne strahlt zwar, und auch die Vögel zwitschern, aber die Temperaturen pendeln zwischen -3°C und -10°C. So bringen mir auch die längeren Tage nicht viel, und das Joggen ist fast unmöglih, da der Schnee sich an vielen Stellen zu nicht ganz ungefährlichem Eis verdichtet hat.

Da ist es doch schön, als altes sozialdemokratisches Schlachtross in trauter Runde der Genossen Arbeiterlieder zu schmettern und wirre Anträge mit Titeln wie „Kaboom“ zu diskutieren. Letztes Wochenende war nämlich die ARSK (gesprochen „Arschk“), die jährliche Konferenz des SSU Stockholm. Unter anderem wurde beschlossen, dass die norwegische Frauenquote von 40 % in Firmenvorständen auch in Schweden eingeführt werden soll und Feuerwerkskörper allgemein verboten werden sollen. Eine Entschärfung der staatlichen Alkoholpolitik wird abgelehnt, und auch Bargeldzahlung in Nahverkehrsbussen soll abgeschafft werden. Das klingt alles etwas albern, ist es aber eigentlich nicht. Wie in jedem politischen Verband muss die eigene Linie gefunden und diskutiert werden, genauso wie die Landesdelegiertenkonferenz (LDK) der Jusos Baden-Württemberg eher das politische Zusammenspiel und Selbstfindung fördern. Gerade an diese Konferenzen erinnert mich die ARSK sehr. War ich allerdings bei den LDKs der Jusos zwar dreimal anwesend, aber kein einziges Mal Ersatzdelegierter geschweige denn Delegierter, so hat man mich hier, ohne mich zu einer Wahl stellen zu müssen, zum Delegierten ernannt, was bei mir starke Irritationen hervorrief, als ich beim Verlesen der Namensliste genannt wurde und eigentlich hätte „Ja“ rufen sollen. Mein Wochenende als „Röstboskap“ (exakte Übersetzung „Stimmvieh“) habe ich jedenfalls genossen. Zwar entzogen sich die meisten Redebeiträge meinen doch noch etwas eingeschränkten Sprachinterpretationsvermögen, aber dank Antragspapieren konnte ich halbwegs folgen.

Die Verfahrensweise beim SSU (das ist auch die Abkürzung für den ganzen sozialdemokratischen Jugendverband in Schweden) und wohl auch anderen Parteien und deren Organisationen ist allgemein etwas anders als in Deutschland. So wird bei Abstimmungen einfach kollektiv ein „Ja“ geschmettert. Erst, wenn es Zweifel gibt, wird mit Hochhalten der Stimmkarten abgestimmt. Führt auch das zu keinem klaren Ergebnis, wird gezählt. Die Möglichkeit, sich zu enthalten, existiert dabei nicht. Allgemein geht man auch eher pragmatische Wege bei solchen Dingen. Bei der Jahreshauptversammlung meines Klubs vor einem Monat wurden die Kandidaten für die Posten im Vorfeld von einem Wahlkomitee (auch eine Art Ältestenrat, weil es vorwiegend altgediente Genossen waren) gesucht, um somit für jeden zu wählenden Posten jemanden zu haben. Das ist prinzipiell natürlich gut, allerdings war ich sehr irritiert, dass auch diese Wahlen per Akklamation stattfanden, da es immer nur einen Kandidaten gab. Lediglich bei der Wahl der Nominierung für einen Posten im Redaktionskomitee der Verbandszeitung eine Woche später fand eine geheime Wahl statt. Die Krönung war nun am Sonntagmorgen, als es einen 15:15 Patt bei der Abstimmung gab und am Schluss gelost wurde, welcher der beiden gegeneinander gestellten Anträge angenommen wurde.
Vielleicht liegt es an der offenen schwedischen Art, dass hier nicht hinter dem Rücken Mehrheiten zusammengeschmiedet werden, die dann im Geheimen verteidigt werden können. Dennoch würde dieses allzu offene Vorgehen in Deutschland misstrauisch beäugt werden – was auch verständlich ist, denn unser Verfahren erzeugt zwar viel mehr Aufwand, ist aber prinzipiell die korrektere, denke ich. Eigentlich steht es mir jedoch nicht zu, die schwedischen Verfahren zu beurteilen. Politik ist sowieso immer ein schmutziges Geschäft.

Apropos Politik: am Sonntag wird ja mächtig gewählt. Das habe ich per Brief schon getan – natürlich meine eigene Partei. Eine Hoffnung auf Schwarz-Rot in Baden-Württemberg habe ich allerdings nicht wirklich. Rot-Grün wäre illusorisch. Dennoch hoffe ich, dass zumindest die FDP in Baden-Württemberg nach ihren ganzen Spenden- und Flowtexaffären auch einmal einen Denkzettel verpasst bekommt und wieder lernt, wie es in der Opposition ist. Es würde der Landespolitik auch endlich etwas Bewegung verschaffen, die sie auch nötig hat. Meine unrealistische Hoffnung lautet daher zwar Rot-Grün, aber meine realistische Hoffnung ist Schwarz-Grün. Ich hoffe inständig, dass Kurt Beck in Rheinland-Pfalz wiedergewählt wird. Anscheinend machen die dort ganz gute Arbeit, und Christoph Böhr ist jetzt auch nicht gerade eine übermäßig sympathische Figur.

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