Ausgezählt

Heute, also 12 Tage nach der Wahl, ist die Auszählung der Stimmen endlich beendet. Die Stimmenzähler hier im Län, die als letzte fertig wurden, werden wahrscheinlich Freudestänze aufgeführt haben.

Zur Stunde warten einige Ergebnisse noch auf ein genehmigtes Protokoll, so dass die endgültige Sitzeinteilung vorläufig oder noch nicht bekanntgegeben ist. Diese ist z.B. für den Landsting in Stockholms Län noch nicht bekannt.

Jedoch ist klar, dass die Moderaterna dazugewonnen haben, aber damit nicht die Verluste der anderen bürgerlichen Parteien ausgleichen konnten. Der linke Block hat allerdings gewonnen, wenn auch nur dank der Stimmengewinne bei den Grünen. Eine gute Nachricht ist auch, dass die Schwedendemokraten mit 2,83% an der für den Landsting gültigen 3-Prozent-Hürde gescheitert sind. Im Wesentlichen bleibt alles beim alten: die Bürgerlichen haben trotz Verlusten noch eine Mehrheit. Die Verluste gehen praktisch direkt an die Grünen.

Auch beim Stadtrat Stockholms ist noch keine Sitzzuteilung gemacht. Hier stellt sich die Sache etwas anders dar: die Moderaterna haben 2,86% eingebüßt, während die Zentrumspartei und Volkspartei (liberal) zugelegt haben. Insgesamt hat aber auch hier der bürgerliche Block rund 2% verloren, was wiederum die Mehrheit auch nicht gefährdet – laut vorläufigem Protokoll reicht es für 52 bürgerliche Mandate bei insgesamt 101 Stadträten. Auf der linken Seite sind wiederum die Grünen die Gewinner. Sie haben 4,67% zugelegt und gewinnen 6 Mandate hinzu. Ich sollte mich eigentlich auch hier freuen, dass die Schwedendemokraten nicht hineingekommen sind. Das Ergebnis verwundert mich aber etwas. In den Kommunen gibt es nämlich keine Prozent-Hürden, und so müssten die 2,62%, die die Schwedendemokraten bekommen haben, eigentlich für mindestens 2, wenn nicht 3 Mandate reichen. Bislang wird ihnen aber keines zugewiesen.

In meiner Wohnsitzgemeinde Värmdö haben sie hingegen zwei Gemeinderäte, was natürlich betrüblich ist. Auch für einen wunderhaften Sieg meines Favoriten Börge Hellström hat es nicht gereicht. Die Sozialdemokraten haben 2 Sitze verloren und stellen nun nur noch 15 Räte. Börge stand sowieso nur auf Listenplatz 19, und so musste er in jedem Fall direkt gewählt werden, um hinein zu kommen. Dafür hätte er 5% der Stimmen in einem der beiden Wahlkreis bekommen müssen. Da er als lokaler Kandidat natürlich nicht in dem anderen Wahlkreis Werbung machte, erhielt er dort so gut wie nichts. Aber auch in meinem Wahlkreis reichte es nur für 2,79% der Stimmen. Schade irgendwie.

Das Endergebnis der Wahl zum schwedischen Reichstag

Es hat gedauert, weil man wegen der Stimmknappheit mehrfach nachzählte. Diesen Nachmittag wurde nun das Ergebnis des letzten der 6063 Wahlbezirke fertiggestellt.

Hier die Angaben, in Klammern die vorläufigen Ergebnisse vom Sonntag und die Ergebnisse von 2006:

  • Moderate (Moderata Samlingspartiet): 30,03 % (Sonntag: 30,0 %, 2006: 26,1 %)
  • Zentrumspartei (Centerpartiet): 6,55 % (Sonntag: 6,6 %, 2006: 7,88 %)
  • Volkspartei die Liberalen (Folkpartiet liberalerna): 7,05 % (Sonntag: 7,1 %, 2006: 7,54 %)
  • Christdemokraten (Kristdemokraterna): 5,60 % (Sonntag: 5,6 %, 2006: 6,59 %)
  • Sozialdemokraten (Arbetarepartiet-Socialdemokraterna): 30,69 % (Sonntag: 30,9 %, 2006: 34,99 %)
  • Linkspartei (Vänsterpartiet): 5,61 % (Sonntag: 5,6 %, 2006: 5,85 %)
  • Umweltpartei die Grünen (Miljöpartiet de gröna): 7,34 % (Sonntag: 7,2 %, 2006: 5,24 %)
  • Schwedendemokraten (Sverigedemokraterna): 5,70 % (Sonntag: 5,7 %, 2006: 2,93%)
  • Piratenpartei (Piratpartiet): 0,65 % (Sonntag: als „Sonstige“ gezählt, 2006: 0,63 %)
  • Feministische Initiative (Feministiskt initiativ): 0,40 % (Sonntag: als „Sonstige“ gezählt, 2006: 0,63 %)

Wie man sieht, haben die Auslandsstimmen und andere später gezählte Stimmen das Ergebnis nur insofern beeinflusst, als dass die Moderaten etwas dazu gewonnen haben. Die letzten beiden Parteien habe ich hinzugefügt, weil sie erhebliche Aufmerksamkeit genossen haben und die beiden größten nicht in den Reichstag eingezogen sind.

Die konkrete Mandatverteilung wurde zur Stunde noch nicht bekanntgegeben. Jedoch wird nur mit minimalen Zugewinnen auf der bürgerlichen Seite gerechnet. Die drei Mandate Rückstand werden nicht auszugleichen sein. Damit hat die bürgerliche Koalition weiterhin keine Mehrheit und die Schwedendemokraten die Blockaderolle inne. Allerdings ist diese Verteilung auch gerecht, so unschön die aktuelle Situation auch sein mag. Die vier bürgerlichen Parteien haben rund 1900 Stimmen weniger erhalten als die gesamte Opposition. Eine Mehrheit wäre also nicht gerechtfertigt, sondern immer mit dem Makel behaftet, aufgrund eines unzulänglichen Wahlrechts zustande gekommen zu sein.
Dennoch ist es seltsam, dass die bürgerliche Koalition ihren Stimmenanteil steigern konnte und trotzdem keine Mehrheit hat – hier merkt man, dass eine Prozentsperre unter Umständen erhebliche Stimmanteile ausschließen kann.

Während man noch auf die weiteren Details wartet, kann man wie immer einen Blick auf die sonstigen Parteien richten, die gewählt wurden. Das ist immer recht spaßig, denn man darf in Schweden nach Lust und Laune irgendjemanden aufschreiben, was zu allerlei kreativen Auswüchsen führt.

Zunächst die Parteien, die sich im Vorfeld registriert haben:

  • Spritpartiet (Schnapspartei oder auch Alkoholpartei): ein Blick auf deren Homepage machte mir nicht auf den ersten Blick klar, ob sie denn nun für oder gegen Alkoholgenuss sind. Sie sind dagegen und wollen den Konsum halbieren. Immerhin 236 Stimmen haben sie dafür bekommen, wohl auch dank etwas Medienaufmerksamkeit.
  • Europeiska Arbetarpartiet-EAP (Europäische Arbeiterpartei): unter diesem verwirrenden Namen verbirgt sich die Schwesterpartei der deutschen BüSo, die beide in der sogenannten LaRouche-Bewegung vereint sind. Die Inhalte sind im Wesentlichen die gleichen. Wirr ist auch sonst allerlei, was die Partei plant. Sie sagt seit jeher den Zusammenbruch des Finanzsystems voraus, was sich natürlich gut trifft, wenn es ausnahmsweise wirklich mal schwächelt. Die Wähler kamen in Scharen: 187 Stimmen gab es dafür und damit 104 mehr als letztes Mal.
  • Alexander’s Lista (Deppenapostroph beachten) und Li Yu Chen Anderssonpartiet haben zwei Dinge gemeinsam: sie haben 4 Stimmen erhalten und traten beide in Gävleborgs Län. Bei beiden ist der Name Programm – zumindest bei letzterer weiß man das. Die Li Yu Chen Anderssonpartiet hat wirklich nur einen Kandidaten: Li Yu Chen Andersson, 44 Jahre, Übersetzer. Alexander’s Lista hingegen stellt vermutlich auch nur den Alexander auf, aber deren Wahlzettel glänzt mit Leere.

Nun die unregistrierten Parteien:

  • Kalle Anka Partiet (Donald-Duck-Partei): Der Klassiker unter den satirischen Scherzparteien, die seit jeher für freie Alkoholausgabe und breitere Bürgersteige steht. 123 Stimmen gab es für dieses Programm, was obige Ergebnisse ziemlich relativiert.
  • Junilistan (Juniliste): 30 Stimmen gab es von ganz hartnäckigen Wählern für diese „EU-kritische“ (eher EU-feindliche) Partei, die 2004 mit 14,5 % der Stimmen in das Europaparlament einzog und fünf Jahre darauf mit 0,47 % wieder auszog.
  • Jesus Kristus (bzw. nur Jesus): 4 Wähler haben dem Heiland persönlich die Stimme gegeben. Soviel Hingabe ist löblich, aber mir scheint zweifelhaft, dass er die Wahl angenommen hätte.
  • Mig Själv (mich selbst): zwei Wähler trauen offenkundig nur einem Menschen in der Welt zu, die Geschicke Schwedens zu leiten.
  • Tomma Stolar (leere Stühle): diese zwei Wähler haben nicht mal zu sich selbst Vertrauen und wollen den Reichstag gleich ganz leer lassen.
  • Älska mer! (Liebe mehr!): diese positive Aufforderung brachten weitere zwei Wähler vor.

451 „Parteien“ wurden nur von einem Wähler gewählt. Viel ist purer Politikfrust und Verschwörungstheorie. Darunter sind aber auch Knaller wie „All makt åt kungen“ (Alle Macht dem König) oder „Jan Lennartssons röda byxparti“ (Jan Lennartssons Rote-Hosenpartei). Man kann die Daten hier als Excel-Datei herunterladen. Eigentlich schade, dass Deutschland kein so humoriges Wahlsystem hat. Bei so vielen Wählern käme da noch allerlei mehr lustiges Zeugs heraus.
Update (18:40 Uhr): Nun ist auch die Mandatverteilung fertig. Gegenüber der Wahlnacht haben sich kleinere Veränderungen ergeben. Obwohl die bürgerlichen Parteien auf 173 Sitze erhöhen konnten, fehlen natürlich immer noch zwei zur Mehrheit. Die Zentrumspartei hat nun 23 statt 22 Abgeordneten. Die Sozialdemokraten verlieren eben diesen Abgeordneten.

Insgesamt 59 Abgeordnete wurden per Direktwahl in den Reichstag gewählt. D.h. sie wurden auf dem Wahlzettel ihrer Partei von den Wählern so oft angekreuzt, dass dies mindestens 8% der Stimmen der jeweiligen Partei im jeweiligen Wahlkreis ausmachte. Allerdings wären viele von diesen direkt gewählten Kandidaten ohnehin in den Reichstag eingezogen – so auch Reinfeldt und Sahlin.

Die Zählerei ist damit aber noch lange nicht abgeschlossen. Schließlich fanden zeitglich Wahlen für die Kommunen und die Län statt. Anscheinend machen die Zählhelfer erst einmal bei den Kommunen weiter. Dort sind derzeit aber erst knapp 2500 der 6063 Wahlkreise ausgezählt. Nur in Norrbotten, wo es naturgemäß nicht so viel zu zählen gibt, hat man schon mit der Auszählung der Wahlen im Län begonnen.

Nach der Wahl ist während der Auszählung

Das internationale Echo auf das vorgestrige Wahlergebnis war bemerkenswert. Aber, und daran habe ich auch nicht gedacht (aber dafür Thomas): die eigentliche Zählarbeit beginnt in Schweden erst am Montag. Das offizielle Endergebnis wird nach einer kompletten Neuzählung der Stimmen erstellt. Das vorläufige Wahlergebnis des Wahlabends ist nämlich bei weitem nicht komplett. Da man in Schweden nicht nur Parteilisten wählt, sondern auch einen einzelnen Kandidaten auf der Liste ankreuzen kann, müssen alle Stimmen genau erfasst werden. Überspringt der Kandidat dabei eine gewisse Hürde, kann er in das jeweilige Parlament einziehen, obwohl er einen zu schlechten Listenplatz hat. Hier kann man die Auszählung live verfolgen.

Ein Teil der Stimmen wird aber erst morgen in der sogenannten Onsdagsräkning (Mittwochsrechnung) gezählt.
Dort kommen Stimmen auf den Tisch, die über die Möglichkeit der vorzeitigen Wahl in fremden Wahllokalen abgegeben wurden. Diese Möglichkeit bestand bis zum Wahltag. Solche Stimmen kamen eventuell nicht mehr rechtzeitig zum Ziel und werden nachträglich gezählt. Weiterhin werden als ungültig gezählte Stimmen noch einmal angesehen und die Briefwahlstimmen aus dem Ausland – u.a. von 7213 in Deutschland lebenden Schweden – erst dann gerechnet. Rund 100.000 Stimmen warten also noch auf Behandlung.

Kann das noch etwas drehen? Ja, denn Auslandswähler wählen tendenziell bürgerlich (und wohl nur ganz selten Schwedendemokraten), und da die linke Seite nach aktuellem Stand bei der Mandatzuteilung etwas überbewertet ist, können rein rechnerisch schon 7108 Stimmen reichen, um doch noch eine Mehrheit zu erhalten. Letztes Mal erhielten die Bürgerlichen ein Plus von rund 6000 Stimmen auf diesem Weg. Vielleicht gibt es also eine Sensation.

Nicht nur das internationale, sondern auch das nationale Echo war übrigens bemerkenswert. Viele Schweden sind bestürzt über diesen Wahlausgang.

Der Umgang mit den Schwedendemokraten ist interessant. Eben sind mir diese beiden Beiträge von Nikke Lindqvist aufgefallen. Im ersten erwähnt er sein eigenes Projekt sverigedemokraterna.de vor, das die Politik der Partei beleuchtet und offenkundig darauf spekuliert, dass so mancher beim Tippen das S verfehlt und beim D landet. Jedenfalls hatte die Seite sehr viele Besucher, auch wenn sie den Wahlerfolg nicht verhindern konnte.

Weniger schön ist hingegen die Aktion sverigedemokrater.se, die ich nicht verlinke. Offenkundig wurde die Webseite der Partei gehackt und nun wird die dortige Personendatenbank frei im Internet verbreitet, auch über die genannte Seite. Dass es sich wirklich um das Mitgliederverzeichnis handelt, darf aber bezweifelt werden, denn da sind auch einige seltsame Datensätze dabei. Das ist natürlich eine Art von Mobbing, die ich nicht so sehr schätze. Nikke fand heraus, dass die Domain auf den Namen des Hackers Per Gottfrid Svartholm Warg ist. Dessen Mittäterschaft darf bezweifelt werden, denn ein Profi wäre wohl kaum so dämlich. Humorig ist hingegen, dass der Provider der Internetseite, PRQ, von Mikal Viborg geleitet wird, der juristischer Berater der Schwedendemokraten ist.

Ich bin mir nicht so sicher, ob die Schwedendemokratenwähler sich bewusst waren, was für Leute sie da gewählt haben. Vorraussichtlich wird beispielsweise der Parteisekretär Björn Söder im Reichstag sitzen, der die Färöer-Inseln für eine ideale Gesellschaft hält (weil man da auch mal Trachten trägt) und alle Kultursubventionen streichen bis auf die zum Erhalt des schwedischen Kulturerbes (Wikingerdörfer z.B. nach seinem Verständnis).
Ich hoffe, die Wähler haben aus Unwissenheit diesen Verein in den Reichstag gebracht.

Blue Monday

„Vad blir det? Rött eller blått?“, fragte der Kollege – was wird es? rot oder blau?

Blau natürlich – die Farbe der Moderaterna und damit der Regierungskoalition. Die Umfragen hatten im Wesentlichen recht und die Zeitungen überschlagen sich: zum ersten Mal ist es einem bürgerlichen Regierungschef gelungen, wiedergewählt zu werden. Das ist aber geschönt – Reinfeldts Leistung zeichnet sich nur dadurch aus, dass er es geschafft hat, die Regierung zusammenzuhalten. Die Bürgerlichen hatten nämlich schon in den 1970er Jahren zwei Wahlperioden in Folge die Mehrheit, und hätten sie sich nicht über die Kernkraft gezofft, wäre Thorbjörn Fälldin auch die direkte Wiederwahl gelungen.

Das eigentlich Historische: der Abstieg der Sozialdemokraten

Viel schwerer wiegt etwas anderes: den Sozialdemokraten ist es nicht gelungen, Wähler zurück zu gewinnen. Hier liegt die eigentliche historische Dimension. Über Jahrzehnte war es so, dass die Sozialdemokraten eine Art Staatspartei waren. Sie stellten im Normalfall die Regierung, und nur wenn die Wähler einmal richtig unzufrieden waren, übernahm vorübergehend die Konkurrenz die Macht. Diese Epoche schwedischer Politik endete gestern abend, vermutlich für immer. 30,9% – das letzte derart schlechte Ergebnis stammt vom März 1914, nicht einmal drei Jahre nach Einführung allgemeiner Wahlen.

Die Ursachen wird man noch eine Weile analysieren. Entgegen meinen Erwartungen deutete gestern einiges darauf hin, dass die Unbeliebtheit von Mona Sahlin, Vorsitzende der Sozialdemokraten, nicht der Hauptfaktor war. Ihr rot-rot-grünes Bündnis fiel beim Wähler wohl auch durch, weil eine tiefe Abneigung gegenüber der Linkspartei besteht. Aber auch die Inhalte zogen nicht. Alleine das bürgerliche Schreckgespenst an die Wand zu malen hat jahrzehntelang die Wähler bei der Stange gehalten, aber das schwedische Modell ist ebenso im Wandel begriffen wie der Rest der Welt. Die bürgerlichen Parteien haben gelernt, auf die Wähler zuzugehen. Nun ist es Zeit für die Sozialdemokraten, ebenso einen solchen Prozess zu starten.

Die Bündnisbildung hat noch zu einem weiteren, beklagenswerten Zustand geführt: obwohl sieben Parteien im Reichstag sind, gab es nur zwei Regierungsoptionen. Genau diese Absage an jegliche Flexibilität erzeugt nun einen Patt.

Internationaler Medienmagnet: die Schwedendemokraten

Denn mit den Schwedendemokraten ist eine fremdenfeindliche Partei in den Reichstag eingezogen. Nach dem vorläufigen Ergebnis liegen sie knapp vor den Linken und den Christdemokraten, was ihnen auch einen Sitz mehr beschert. Die internationale Presse hat sich auf diese Meldung mit Begeisterung gestürzt – wenig verwunderlich.

So spektakulär und überraschend ist das alles aber nicht. Ich erinnere mich noch vage an einen Artikel, den ich vor vier Jahren in der Zeitschrift der sozialdemokratischen Studenten auf englisch schrieb. Da prophezeite ich, dass die so nett erscheinenden Schwedendemokraten – sie sind immer bestens angezogen und haben eine Blume als Symbol – noch lange nicht gestoppt sind und man sie erst nehmen müsse. Und wie es aussieht, hatte ich damit ziemlich recht. Einfach nur ignorieren und verabscheuen ist zu wenig.

Viel wird spekuliert werden über die Ursachen für den Erfolg. Ist es nur Protestwählertum gegen das Establishment? Die Umfragen zeigen v.a. eine Abwanderung von den beiden großen Parteien. Oder brennt den Leuten das Thema Einwanderung so unter den Nägeln? Wahrscheinlich ist es beides. Vor allem aber ist es eines nicht: ein Strohfeuer. Die Schwedendemokraten haben seit 1991 einen kontinuierlichen Aufstieg geschafft. Heute erreichen sie in 24 der 29 Reichstagswahlkreise mehr als 4% der Stimmen. Ihre Hochburgen haben sie nach wie vor in Skåne, aber sie sind kein regional begrenztes Phänomen. Das ist eine allgemein Stimmung in Teilen des Volkes, und damit sehr ernst zu nehmen.

Daher wäre es auch der größte Fehler aller anderen Parteien, zu versuchen, einfach an den Schwedendemokraten vorbeizuregieren. Nyamko Sabuni, die Integrationsministerin, sprach gestern von einer „missglückten Integration“. Das konterkariert natürlich deutlich Artikel wie diesen. Hier muss etwas geschehen.

Völlig unklar: wer wird Schweden künftig regieren?

Die Regierungsbildung ist in jedem Fall eine spannende Frage. Mona Sahlin, die Vorsitzende der Sozialdemokraten, hat es schlau gemacht: die Niederlage eingestanden und Reinfeldt die Regierungsbildung überlassen. Die Wähler haben ihr schließlich klar gesagt, dass sie keinen Anspruch darauf hat, auch wenn die Sozialdemokraten gerade so noch stärkste Partei sind.

In Schweden ist es anscheinend so, dass der Regierungschef im Amt bleibt, bis er zurücktritt, stirbt oder vom Reichstag per Misstrauensvotum abgewählt wird. Reinfeldt wird also nicht zurücktreten, und die Abwahl wird nur mit Hilfe der Schwedendemokraten möglich sein, auf deren Hilfe die linke Opposition nicht angewiesen sein will.

Minderheitsregierungen haben eine lange Tradition in diesem Land, und sogar welche mit mehreren Parteien hat es gegeben. Man muss trotzdem Partner finden, mit denen man Mehrheiten erzielen kann. Beide Seiten haben schon vor der Wahl ausgeschlossen, dass dies die Schwedendemokraten sein können. Ein Abweichen davon könnte Reinfeldts Karriere innerhalb kürzester Zeit pulverisieren.

Also hat er schon gestern abend durchblicken lassen, er wolle mit den Grünen reden. Diese erteilte gleich eine Absage an diese Überlegungen. Sie würden gerne Gespräche mit allen Parteien haben.

Das kann nur Taktik sein. Es ist fast zu hoffen, dass die Grünen einfach an der Regierung beteiligt sein wollen und dafür die Blöcke aufbrechen wollen. Die Geschlossenheit der vier Regierungsparteien, die in der letzten Wahlperiode viele Beobachter erstaunt hat, beruhte möglicherweise nur auf der klaren eigenen Mehrheit. Sie könnte schon bald bröckeln, wenn man einen Regierungskompromiss auch noch irgendjemandem in der Opposition schmackhaft machen muss.

Die Bildung einer neuen Regierung mit einer neuen Kombination von Regierungsparteien ist daher mehr als wünschenswert. Nur, ist das realistisch? Rein rechnerisch würde es schon genügen, die Zentrumspartei oder die Christdemokraten in die Opposition zu schicken und stattdessen die Grünen ins Boot zu holen. Doch es bliebe in jedem Fall eine Vier-Parteien-Koalition und würde viel Kompromissfindung erfordern, insbesondere im Bereich Kernkraft.

Eine Minderheitsregierung nur mit den Moderaterna vielleicht? Auch nicht unbedingt realistisch, denn sie sind nicht die größte Partei, und die derzeitigen Partner werden hierfür wohl kaum ihre schönen Pöstchen abgeben wollen.

Bleibt am Ende nur die Große Koalition – für die müssten aber beide Seiten über mächtig große Schatten springen, denn das gab es in der schwedischen Politik wirklich noch nie.

Mehr zur Wahl in deutschsprachigen Medien:

Valvaka

Ich habe soeben meine Bürgerpflicht erledigt und war wählen. Es war ausgesprochen viel los – ich dürfte 5 Minuten anstehen, und das wohlgemerkt im Bezirk mit der niedrigsten Wahlbeteiligung. Meine bessere Hälfte werde ich mit etwas Süßem bestechen, damit sie später auch noch ins nahegelegene Wahllokal geht.

Nun gilt es nur noch abzuwarten. Eine traditionelle Beschäftigung am Wahlabend ist die sogenannte „Valvaka“, übersetzt „Wahlwache“. In Deutschland würde man es bei den Parteien wohl Wahlparty nennen, was natürlich eine sehr beschönigende Bezeichnung sein kann. In Schweden ist die Wahlbeobachtung am Abend etwas umfänglicher – zumindest wurde ich zweimal von Freunden darauf angesprochen, ob wir nicht zusammen Wahl eine Valvaka machen sollen.

Leider geht dies aus zeitlichen Gründen, und ich werde heute abend keine großartige Live-Berichterstattung machen können. Meine Valvaka findet hinter dem Steuer eines Busses statt, wo ich bestenfalls twittern kann. Daher verweise ich die geneigten Leser gerne an Thomas, der heute abend an allen aktuellen Ereignissen dranbleiben wird.

(K)eine Wahlempfehlung

Der Wahlkampf geht zu Ende. Im Gegensatz zum letzten Mal habe ich mich nicht aktiv eingeklinkt, wenn man einmal von meinen Berichten hier absieht.

Der Grund ist simpel: ich bin froh, das nationale Wahlrecht nicht zu haben, denn hätte ich es, wäre ich mir nicht sicher, was ich wählen soll. Meine Sympathien sind klar verteilt, aber so einfach ist es nicht. Es geht um Inhalte. Auch wenn die Opposition den kommenden Sonntag fast zur Schicksalswahl stilisiert: sie ist es nicht. Schweden hat in den letzten Jahren allerlei Bereiche privatisiert. Das stört manche, aber für das Funktionieren des Gemeinwesens muss der Staat weder einen Wodkahersteller, noch eine Apothekenkette oder das schwedische TÜV-Pendant in seinem Besitz haben. Man hat einige (unnötige) Geschenke an Reiche gemacht wie die Steuerreduzierung für Haushaltsdienste und die Steuerdeckelung auf Häuser. Und einige von allgemeinem Nutzen, die aber auch nicht zwingend nötig gewesen wären: ein Steuernachlass für Handwerkerarbeiten (zur Wirtschaftsankurbelung) und eine allgemeine Lohnsteuersenkung.

Gerade hier schaue ich skeptisch in beide Richtungen. Ein Pfeiler der Überlegenheit des schwedischen Steuersystems ist für mich dessen Einfachheit. Gerade diese untergräbt man aber weiter durch Gewährung von weiteren Steuerausnahmen für entsprechende Gruppen, wie sie beide Seiten in verschiedenen Varianten vorhaben. Solche Detailregelungen für irgendwelche Partikularinteressen haben das deutsche System zu dem unüberschaubaren Monstrum gemacht, das es heute ist. Nicht gut.

In anderen Bereichen ist der Fall klarer. So gefällt mir der Ansatz der Regierung, Schülern beim Abi etwas mehr abzuverlangen als nur höheres Grundschulniveau, ausgesprochen gut. In Verkehrs- und Umweltpolitik traue ich hingegen der Opposition mehr zu.

Alles in allem hat die Regierung ziemlich genau das gemacht, was sie vorher angekündigt hatte. Schweden hat es überlebt, und gar nicht mal schlecht. Egal welche Seite gewinnt: Schweden wird daran nicht zugrunde gehen.

Das haben auch die meisten Wähler verstanden. Für einen Regierungswechsel und eine echte Wechselstimmung braucht es im Grunde drei Dinge: zum Ersten eine unbeliebte Regierung, zum Zweiten eine attraktive Oppositionstruppe und zum Dritten richtungsweisende Themen. Alles drei ist nicht vorhanden, und so wundert es nicht, dass die Regierung in den Umfragen vorne liegt. Und ich mache keinen Hehl daraus: damit habe ich nicht das geringste Problem. Womit ich aber ein Problem hätte, wäre ein Einzug der rechtspopulistischen Schwedendemokraten und – noch schlimmer – ein Patt zwischen den Blöcken. In dem Fall könnte keine stabile Regierung gebildet werden. Eine sichere Mehrheit ist mir in jedem Fall zehnmal lieber als dieses Szenario.

In der regionalen und lokalen Wahl habe ich Wahlrecht und glücklicherweise weniger Bedenken. Dass ich mit Börge Hellström gerne einen Vertreter meines Wohnbezirks in den Gemeinderat schicken würde, habe ich hier schon kundgetan.

Aber auch regional werde ich Sozialdemokraten wählen. Warum? Weil mir die Nahverkehrsprojekte der Sozialdemokraten mehr zusagen als die der bürgerlichen Regierung – nicht viel, aber ein bisschen. Zudem ist mit einem Sieg der linken Parteien ohnehin nicht zu rechnen – es gilt also, sie zumindest stark zu machen. Die entscheidende Frage des regionalen Verkehrs, die Umgehungsstraße um Stockholm, wollen die linken Parteien zwar fahrlässigerweise einem Bürgerentscheid stellen, aber da dies eigentlich nicht in der regionalen Zuständigkeit liegt, wird das Projekt eher bei einem nationalen Regierungswechsel gestoppt werden als bei einem regionalen.

Blickt man auf die Personen, dann ist der Fall relativ klar. Mona Sahlin hat allem Anschein nach nicht einmal in der eigenen Partei viel Rückhalt, und das ist ein erheblicher Grund dafür, dass ihr rot-grünes Bündnis nicht so recht in Fahrt kommt. Gut möglich, dass ihre Karriere nächste Woche schon beendet ist.

Spannung verspricht der Sonntagabend trotzdem – um 20 Uhr werden die Wahllokale geschlossen, und bei eventuell knappen Verhältnissen kann es lange dauern, bis man mehr weiß.

Einen tiefen Einblick und eine gute Analyse findet man hier von Albrecht Breitschuh, dem ARD-Korrespondent in Schweden.

Im Spiegel findet man diesen Artikel von Anna Reimann. Wieso man immer vom „liberalen“ Schweden spricht, ist mir ein Rätsel. Die Niederlande sind für meine Begriffe ein liberales Land. In Schweden konnte man bis vor einiger Zeit noch nicht einmal frei wählen, welchen Arzt man besucht. Sicherlich gibt es liberale Politikbereiche, z.B. die Einführung der Homo-Ehe, aber Schweden als Musterbeispiel von Liberalität zu sehen fällt mir schwer. Ein Fehler ist mir jedenfalls aufgefallen: die Angabe, dass die Sozialdemokraten zum ersten Mal seit 1917 nicht stärkste Partei werden, stimmt nicht so ganz. 1917 war das erste Mal, dass sie stärkste Partei wurden.

Die kleine Plakateschau (5): Moderaterna

Ich würde es mir nicht verzeihen, wenn ich im Endspurt des Wahlkampfs bei meiner Rundschau über die Wahlplakate nicht auch noch bei der Hauptregierungspartei vorbeischauen würden: die Moderaterna.
Wer es nicht ahnen kann: das heißt „die Moderaten“. Moderat waren sie nicht immer, denn früher hieß Högerpartiet, also Rechtspartei (im Sinne der Richtung rechts). Nachdem sie anscheinend nachhaltig gescheitert sind, Schweden das Konservative schmackhaft zu machen, haben sie den Spieß umgedreht. Stattdessen stellen sie sich jetzt allen Ernstes als „Arbeiterpartei“ dar.

Nur eine Arbeiterpartei kann Jobs besorgen

Wie beispielsweise auf diesem Plakat hier. Schweden hat keine sonderlich hohe Arbeitslosigkeit (wenn man mal von der Jugend absieht), aber irgendwie ist das zum Wahlkampfthema geworden. Die Masche mit der Arbeiterpartei wurde freilich schon vor vier Jahren in ähnlicher Form aufgefahren. Man fühlt sich an Jürgen Rüttgers erinnert.

Das Ziel ist nämlich das gleiche: den Sozialdemokraten, die die Arbeiterpartei sogar noch im Namen tragen, das Recht abzusprechen, diese Gruppe zu vertreten. Soziologisch ist das bestimmt interessant, denn den Arbeitern fühlen sich bestimmt viele „einfache Leute“ nahe, obwohl Schweden mittlerweile längste eine Nation von Dienstleistern geworden ist, wo der klassische Arbeiter bestimmt nicht mehr so oft vorkommt. Insofern ist das auch albern.

Umgehung Stockholm - Ja/Nein

Genau das trifft auch ein bisschen auf diesen Teil der Kampagne zu. Parteizugehörigkeiten werden in Schweden mit Kürzeln in Klammern bezeichnet. (S) für Sozialdemokraten, (M) für die Moderaterna. So ist die Symbolik klar, jedoch gibt es einen Knackpunkt: hier soll der Eindruck erweckt werden, es sei ein Stockholmer Thema. Ist es aber nicht – die Umgehungsstraße (Förbifart) um Stockholm liegt in der Zuständigkeit des Reichstags. Das ist die Gefahr bei so einer großen Wahl: was eigentlich in welche Schublade gehört, ist eigentlich egal, denn es entscheidet sich sowieso an einem Tag, und dass jemand verschiedene Parteien an einem Tag wählt, ist eher unwahrscheinlich.

Die blaue Gestaltung der Plakate weiter oben ist übrigens auch das Hauptmotiv. Diese gibt es in tausenden Varianten mit der jeweils lokal relevanten Version.

Macht Humlan für Teenager zugänglich und sicher

Dieses hier ist z.B. für die Innenstadt. Bei uns hier draußen versprechen sie die Unterstützung der wunderbaren Wirtschaft.

Gemeinsam machen wir Schweden zu einem Erfolgsland

Aber auch Gesichter gibt es zu sehen. Obiges Plakat dürfte das häufigste sein: Ministerpräsident Reinfeldt locker und leger. Bei dem Slogan stellt sich natürlich die Frage, wieso es in den letzten vier Jahren nicht gelungen ist, Schweden zu einem Erfolgsland zu machen.

Vielmehr frage ich mich, ob es System hat, dass viele der Fotos auf den Plakaten so aussehen wie ein Familienfoto: so, jetzt stell dich mal dahin. Das wirkt alles sehr improvisiert. Auf mich machen da die stilvollen sozialdemokratischen Plakate in Schwarz-Weiß mehr Eindruck. Diese sind größtenteils im Studio entstanden, und das sieht man auch. Neuerdings haben sie sogar Farbe – um Mona Sahlin herum stehen Jugendliche mit Boxhandschuhen in rot und weiß. Sehr seltsam, wenn man mich fragt.

Fazit? Schwer zu sagen – die moderate Kampagne versucht, Inhalte auf sehr, nun ja, plakative Weise zu verkaufen. Im Gegensatz zu manchen ihrer kleineren Koalitionsparteien haben sie sich hingegen für Inhalt entschieden. Im Stil können sie aber nicht voll überzeugen.

Die kleine Plakateschau: Folkpartiet

Die heiße Wahlkampfzeit bricht an, und ein untrügliches Zeichen hierfür ist das Sprießen der Plakate allerorten. Ab heute darf sogar schon gewählt werden, was die Wahl bequemer machen soll, aber mangels Briefwahlmöglichkeit auch den Zugang zur Urne sichern soll. Gezählt wird freilich erst am 19. September.

Bis dahin wird munter versprochen und vorgeschlagen. Besagte Plakate sind ein Ausdruck davon. Man unterstellt ihnen gerne (und zurecht), sie würden nur hohle Allgemeinplätze verbreiten. Dennoch habe ich einige fotografiert und werde sie hier zeigen, denn ich wage die These, dass sie trotzdem etwas über die Macher und deren Motive aussagen.

Werbung der Folkpartiet in T-Centralen

Dieses verunglückte Foto zeigt zwei U-Bahn-Plakate, die als Vorzeigeminister Jan Björklund (Bildung) und Nyamko Sabuni (Integration) zeigen. Er sagt „Die Zukunft beginnt im Klassenzimmer“, sie sagt „Die schwedische Sprache. Der Schlüssel zur Integration“. Das sind natürlich Sprüche, die man sich auch auf einen Topflappen häkeln könnte. Dass man ausgerechnet die beiden so prominent platziert, hat aber einen anderen Grund: sie sind prominent. Viele Minister hat die Partei nämlich nicht, und insbesondere Björklund als Parteichef zu präsentieren hat Bedeutung. Schließlich läuft gerade eine große Schulreform, und er hat sich als Advokat von härteren Anforderungen an die Schüler hervorgetan – was mir nebenbei bemerkt als erstrebenswert erscheint.

Auch sonst könnte man den Eindruck haben, die Folkparti fahre vor allem einen Personality-Wahlkampf:

Jan Björklund auf einem Auto, das (hoffentlich) nicht sein Wahlkampfbus ist

Das ist aber nicht der Fall. Von den 20 Wahlplakaten zeigen nur 7 einen Politiker, darunter 3 Björklund.

Männern können es. Gleichstellungsbonus für Eltern, die (die Elternzeit) gleich aufteilen.

Dieses Plakat gehört dabei aber noch zu den konkreteren. Die meisten gehen aber in die Richtung „mehr Jobs, mehr Firmen, mehr mehr – und Zukunft ist gut für uns alle“.

Zwei Dinge stechen aber aus meiner Sicht besonders hervor.

Zum Einen ist es Marit Paulsen, die sich mutig hinstellt und sagt

Kernkraft. Für das Klima. (Quelle: folkpartiet.se)

Dass eine Partei mit einem Bekenntnis zur Atomkraft Werbung macht, ist beachtlich. Woanders wäre das politischer Selbstmord, aber angesichts dessen, dass die Kernkraft mittlerweile wieder von einer Mehrheit der Schweden befürwortet wird und das liberale Wählerpotenzial, in dem Partei fischt, eher wenig grün ist, kann das vielleicht Stimmen ziehen. Man kann es vermutlich auch als Positionierung gegenüber den Moderaterna sehen, denn die Christdemokraten und das Zentrum dürften zu den eher kernkraftskeptischen Teilen der Regierung gerechnet werden.

Die andere auffällige Sache ist ein klares Bekenntnis zum Euro. Nichts neues, denn die Partei war schon immer eher eurofreundlich – aber er ist kein heißes Wahlkampfthema, und derzeit (noch) kein Thema, mit dem man viel gewinnen könnte.

Parteinähenteststest

Ich darf den Reichstag nicht mitwählen. Eine aktive Teilhabe an dieser Gesellschaft beinhaltet für mich aber trotzdem, mich mit den Parteien und ihren Zielen auseinanderzusetzen. Zudem darf ich schließlich in Kommune und Län mitentscheiden.

Es wird also Zeit, sich die Themen dieser Wahl anzuschauen und Position zu beziehen. Die Allzweckkeule hierfür ist natürlich der Wahl-O-Mat. Den gibt es in Schweden nicht zentral von einer Stelle, sondern von verschiedenen Anbietern. Was dazu anregt, alle einmal durchzumachen und zu vergleichen.

Mein Ergebnis beim Test von Dagens Nyheter (Ausriss: dn.se)

Der Test von Dagens Nyheter ist recht schlicht. Man hat zu jeder der 28 Thesen zwei ablehnende und zwei zustimmende Optionen. Außerdem kann man wählen, dass man keine Ansicht hierzu hat.

Hier bin ich also Sozialdemokrat, was mich fast etwas überrascht. Vor einiger Zeit habe ich diesen Test schonmal gemacht, und da stand ich bei der Linkspartei hoch im Kurs.

Mein Ergebnis bei Aftonbladet (Ausriss: aftonbladet.se)

Aftonbladet hat bei seinem Test offenbar den Anbieter des EUProfilers gewinnen können.

Er versucht viel mehr ins Detail zu gehen und erlaubt genauere Analysen. Bei jeder der 30 Thesen gibt es zwei zustimmende, zwei ablehnende und eine neutrale Stufe sowie die Möglichkeit, sich nicht zu äußern. Zum Schluss soll man die Parteichefs auf Skalen von 0 bis 10 bewerten – diese Erhebung wird aber getrennt ausgewertet.

Das Ergebnis wird, wie oben dargestellt, auf zwei Achsen gezeigt, so dass man die eigene politische Heimat etwas genauer verorten können sollte.

Wie man sieht, habe ich eine solche nicht. Für die Linken bin ich zu unsozial, für die Rechten zu progressiv. Aber auch hier stehe ich den Sozialdemokraten relativ nahe, wenn man einmal von den Piraten absieht.

Zusätzlich zu dieser Grafik kann man nach Themengebieten getrennt analysieren, welchen Parteien man am nähesten steht. Sogar weitere biographische Angaben kann man machen – darauf habe ich dann aber verzichtet.

Mein Testergebnis von Makthavare.se (Ausriss: makthavare.se)

Auch das unabhängige Politikportal makthavare.se hat wieder einen Test, der gleich prominent auf der Startseite platziert ist. Hier gibt es 26 Thesen, denen man entweder in zwei Stufen zustimmen kann oder sie genauso abgestuft ablehnen kann. Dazwischen gibt es die Option „Weiß nicht“. Nach jedem Thesenklick kann man angeben, wie wichtig einem dieses Thema ist. Auch hier 5 Optionen: zwei Stufen für wichtig, zwei für unwichtig und eine „Weiß nicht“.

Am Ende steht ein Prozentsatz. Laut dem stehe ich also den Grünen nahe, aber auch den Sozialdemokraten und der Feministischen Initiative. Letztere Partei ist für mich immer noch einigermaßen unergründlich. Ursprünglich war das ja eine Abspaltung der Linkspartei. Sie ist notorisch erfolglos, aber erhält nach wie vor nicht unerhebliche mediale Aufmerksamkeit. Weder die ganz linke noch die feministische Ecke ist mein angestammter Platz – trotzdem wurde mir die Partei schon mehrfach bei solchen Tests als zu mir passend ausgespuckt.

Mein Testergebnis beim Wahlportal des Schwedischen Rundfunks (Ausriss: valpejl.se)

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat sich auch nicht lumpen lassen und wartet mit dem Portal Valpejl.se (Wahlpeilung) auf. Neben vielen Details zu allen Kandidaten – u.a. wird aufgelistet, welcher Kandidat am besten verdient – bei dieser Wahl findet sich auch ein Test namens „kompassen“ (Übersetzung nicht notwendig).

Es gibt 50 Thesen zu begutachten. Zu jeder These kann man sagen, ob das ein guter Vorschlag oder ein schlechter Vorschlag ist – mit je 2 Stufen. Weiterhin kann man angeben, dass man nicht antworten möchte. Als Zusatz kann man bestimmte Fragen als Herzensfrage markieren, wenn einem dieses Thema besonders wichtig ist.

Wenn man fertig ist, sieht man ein Resultat wie das obige. Ich finde es betrüblich, dass ich soviel Übereinstimmung mit den Schwedendemokraten habe. Auch hier sind die Sozialdemokraten, Grünen und die Feministinnen gut im Rennen.

Der Clou an diesem Portal ist, dass alle Kandidaten dazu aufgerufen werden, sich auch zu äußern, so dass man individuell die Übereinstimmung überprüfen kann. Hier ist das Bild eindeutig:

Die Kandidaten, die mit mir am meisten übereinstimmen. (Ausriss: valpejl.se)

So stark entfremdet kann ich also von meiner Partei nicht sein.

Offen gestanden erstaunen mich diese ganzen Ergebnisse ein bisschen – dass ich trotz einiger Abweichungen am Ende doch so einmütig den Sozialdemokraten am nähesten stehe, hätte ich nicht gedacht.

Die Frage bleibt wie bei jedem Wahl-O-Mat, ob das wirklich als Wahlhilfe taugt. Schließlich sollte man sich als Wähler mit den Inhalten auseinandersetzen.

Dementsprechend ist der Ansatz des Aftonbladet-Tests sehr löblich, dass er politische Meinung nicht nur als Prozentzahl ausdrücken will. So kann man immerhin einigermaßen ersehen, in welchen Bereichen man welchen Parteien nahe steht. Er zeigt als einziger, dass ich in vielen Dingen zwischen den Blöcken stehe. Bei den anderen Tests besteht hingegen die Gefahr, dass man blind die größte Übereinstimmung nimmt, obwohl eigentlich mit keiner der Parteien etwas gemein hat – das wäre aber natürlich auch der worst case.

State of the Wahlkampf

Mein Ergebnis beim Test von Dagens Nyheter (Ausriss: dn.se)

Der Sommer geht langsam zu Ende und der Wahlkampf beginnt.

Bislang nimmt sich das alles noch recht brav aus, was auch nicht verwundert, denn das schwedische Sommerloch ist im Vergleich zum deutschen ein Krater.

Meine Hauszeitung Dagens Nyheter hatte in den letzten Wochen eine Serie über die Maßnahmen der bürgerlichen Regierung, die seit 2006 an der Macht ist. Der Eindruck daraus war, dass die meisten vorher versprochenen Maßnahmen auch durchgeführt wurden. Das wäre auch so meiner gewesen. Man kann dieser Regierung bestimmt einiges vorwerfen, aber man muss ihr lassen, dass sie ziemlich genau das gemacht hat, was vorher versprochen wurde. Und das Ganze – Frau Merkel aufgepasst! – weitgehend geräuschlos mit sage und schreibe vier Parteien in der Koalition.

Einen Skandal hatte der Wahlkampf aber auch schon. Arbeitsmarktsminister Sven Otto Littorin hat hingeworfen – zunächst hieß es, aus persönlichen Gründen, was auch nicht überraschend war, da er sich gerade in einem Sorgerechtsstreit befidnet. Dann kam aber ans Licht, dass ihm vorgeworfen werde, er habe die Dienste einer Prostituierten in Anspruch genommen. Freier machen sich in Schweden aber strafbar. Also war dies der Auslöser, der ihn zum Rückzug bewegte. Premierminister Fredrik Reinfeldt gab zunächst vor, davon nichts gewusst zu haben, musste dann aber einräumen, dass es doch so gewesen sein. Das kostete Vertrauen.

Auf den zweiten Blick war die ganze Affäre aber auch ein Skandal der Zeitung Aftonbladet. Deren Reporter hat mit der besagten Dame ihre Kontaktlisten durchgesehen, wo eine Nummer auftauchte, die zu besagtem Zeitpunkt einmal Littorin gehört haben soll. Das war es dann aber schon. Es gibt keine weiteren Beweise, keine weiteren Ermittlungen. Erst ließ Aftonbladet vermelden, man wisse etwas, aber wolle lieber nicht zuviel sagen, um es dann kurz darauf doch zu tun. Es folgten journalistisch und ethisch fragwürdige Winkelzüge. Die Prostituierte bleibt bislang anonym, und so steht Wort gegen Wort. Littorin gab dann der DN ein (schriftliches) Exklusivinterview, das Aftonbladet wohl gerne gehabt hätte, aber nicht bekam. Das alles sei ein Alptraum. Er sei zu Unrecht angeklagt und könne sich nicht wehren.
Aftonbladet hat vorgeführt, wie man mit zunächst gestreuten Gerüchten gefolgt von unbewiesenen Behauptungen einen Minister vernichten kann, ohne dass hierfür irgendein rechtsstaatliches Organ einen Finger rühren muss. Denn das vermeintliche Verbrechen soll sich vor vier Jahren zugetragen haben und ist mittlerweile verjährt. Zu einem Verfahren ist es daher nur in einer Hinsicht gekommen: die Justizkanzlerin überprüfte Anzeigen gegen Aftonbladet, die von einige Privatpersonen eingereicht worden waren, und lehnte sie ab.

So ist die Angelegenheit eingeschlafen – und das ist auch ganz gut so, denn rechtsstaatlich nicht überprüfbare, auf dünnem Beweismaterial aufgebaute Vorwürfe gegen einen Minister haben mit der Arbeit der Regierung nichts zu tun. Und genau diese soll bei einer Wahl bewertet werden.

Die ersten Umfragen nach dem Sommer zeigen daher wenig erstaunlich wieder eine Führung der Regierung.

SIFO-Umfrage für August 2010 (Ausriss: svd.se)

Für die Sozialdemokraten ist das eine ernste Lage. In dem obigen Diagramm sind sie mit 30,6% verzeichnet. Die Moderaterna sollen demnach 32,6% erhalten. Andere Umfragen sehen nicht viel anders aus. Wenn das Ergebnis der Wahl wirklich so ausfallen wird, dann verlieren die Sozialdemokraten nicht einfach noch eine Wahl. Der Nimbus der Staatspartei, die Schweden über Jahrzehnte so geprägt hat wie keine andere, wäre dahin. Es wäre das erste Mal seit September 1914, dass eine andere Partei mehr Stimmen erhält als die Sozialdemokraten, und das schwächste Wahlergebnis seit März 1914. Da ist schon fraglich, ob sich Mona Sahlin als Parteichefin wird halten können. Mein Eindruck ist, dass sie als Person nicht allzu großes Vertrauen genießt.

Über die Ursachen vermag ich nur zu spekulieren. Die letzten vier Jahre mit bürgerlicher Regierung taugen anscheinend nicht zur Abschreckung. Das verwundert nicht: Schweden hat die Krise ganz passabel gemeistert, soziale Kahlschläge sind ausgeblieben, und die Privatisierung verschiedener Bereiche wie z.B. dem Apothekenwesen scheint nicht an den Sympathien zu nagen. Ehemalige politische Harakiri-Themen wie die Fortführung der Kernkraft haben auch keine Sprengkraft mehr.
Der linken Seite scheint mir hier ein Konzept zu fehlen, das den Regierungsbonus überwinden kann.

Interessanterweise könnte es trotz allem nicht für eine Mehrheit der bürgerlichen Allianz reichen. Die rechtsradikalen Sverigedemokraterna (Schwedendemokraten), die sich rechtskonservativ-bieder wie dereinst in Deutschland die Republikaner geben, werden mit einiger Wahrscheinlichkeit die Vier-Prozent-Hürde meistern und dann möglicherweise einen Patt auslösen. Es steht zu befürchten, dass sie dann doch in die Regierungsarbeit eingebunden werden. Eine wenig ansprechende Aussicht.