Landvetter und Krakosien

Hat einen ständigen Bewohner: der Flughafen Göteborg-Landvetter (Foto: Daniel Hausner)

Im Flughafen Göteborg-Landvetter sieht man in letzter Zeit anscheinend regelmäßig einen Mann. Er ist freundlich und stört niemanden. Das ist auch gut für ihn, denn er lebt auf dem Flughafen.

Als ich von der Geschichte las, dachte ich sofort an den Film „Terminal“ mit Tom Hanks, in dem die Hauptperson wegen politischer Unruhen in seinem fiktiven Heimatland Krakosien im Flughafen JFK in New York festsitzt. Er kann nicht einreisen, aber auch sonst nirgendwohin. Also richtet er sich in dem Flughafen häuslich ein. Es gibt einige reale derartige Fälle. Der bekannteste ist wohl Mehran Karimi Nasseri, der fast zwanzig Jahre im Terminal 1 des Pariser Flughafen Charles de Gaulle verbrachte. Der Film basiert auch lose auf dem Fall, wobei der fundamentale Unterschied sein dürfte, dass Nasseri nach all der Zeit gar nicht mehr weg wollte. Was umso seltsamer aus meiner Sicht ist, denn wenn ich einen Flughafen zu meiner Wohnung machen müsste, dann wäre der Pariser Flughafen ganz weit hinten auf der Liste, insbesondere Terminal 1 mit seinem Mangel an Geschäften, der höchst seltsamen und ungemütlichen Architektur.

Der Grund, warum ich hier von dem Mann in Göteborg spreche, ist aber recht banal: er kommt aus Deutschland, und er ist Einwanderer. Oder so etwas in der Art. Da enden also die Parallelen zu den vorgenannten Fällen, denn er müsste keineswegs dort bleiben. Als der 27-jährige vor rund zwei Monaten nach Göteborg kam, wollte er nicht mehr nach Hause. Er schläft meistens im Gebetsraum und hat kein Geld. Er lebt davon, was ihm die Cafés im Flughafen zustecken, und wenn ihm jemand ein paar Kronen aus Mitleid zusteckt, fährt er in die Stadt. Bislang kam er aber immer wieder zurück.

Gefragt von Aftonbladet sagt er

Ich schäme mich. Ich habe ein schlechtes Leben gehabt. Ich kann nirgends hin.

Das Konsulat und die Kirche haben versucht, ihm zu helfen, und auch der Grenzschutz ist um ihn besorgt. Es gibt derzeit keine Pläne, ihn zu vertreiben. Laut dem Bericht will er in Schweden wohnen und leben.

Eine merkwürdige Geschichte irgendwie. Es ist ja nicht so, dass es keine staatliche Unterstützung für europäische Arbeitssuchende gäbe. Keiner ist gezwungen, ohne Geld auf einem schwedischen Flughafen auszuharren, und in Deutschland hätte er Anspruch auf Sozialleistungen. Er will aber anscheinend genau dort bleiben. Aus den spärlichen Informationen ist kaum herauszulesen, ob es sich hier um eine gescheiterte Auswanderung handelt, um eine Verzweiflungstat oder den Entschluss eines verwirrten Mannes.

Ich wünsche ihm jedenfalls viel Glück – ob nun in Schweden oder Deutschland.

Schöne neue Verlagswelt

Ein Buch aus dem Hause Alphascript - erstklassige Wikipedia-Artikel auf Papier. (Bild: Wikipedia, Lizenz: GFDL))

Kürzlich kontaktiere mich ein gewisser Dmitrii G. über Facebook. Er schreibe mir im Namen eines in Saarbrücken ansässigen internationalen Verlagshauses, der Lambert Academic Publishing, und sei über eine Arbeit von mir gestolpert.

Sie planen Publikationen in diesem Bereich, und fragten sich, ob ich an einer Veröffentlichung interessiert sei. Ich habe mir mal die Broschüre kommen lassen:

  • Eine Kopie für den Autor gibt es umsonst.
  • Man kann das Cover selbst gestalten. Weitere Kopien kann man zu vergünstigen Preisen erhalten.
  • 12% der Einnahmen gehen an den Autor.
  • Es erhält eine ISBN-Nummer und kann z.B. bei Amazon bestellt werden.

Klingt schön, oder? Ist es leider nicht.

Dmitrii lügt gar nicht mal, wenn er meint, sie planten Veröffentlichungen in dem Fachgebiet. Das Problem ist, dass Lambert Academic Publishing wahrscheinlich in so ziemlich jedem Fachgebiet publizieren will.

Es geht nämlich nicht um wissenschaftlichen Anspruch oder gar redaktionelles Interesse. Man begibt sich hier in die Gosse des Verlagswesens:

  • Es ist ein On-Demand-Verlag: Bücher werden nur gedruckt, wenn eine Bestellung vorliegt. Bücher, die sich schlecht bis gar nicht verkaufen, verursachen also kaum Kosten.
  • Es findet keinerlei Redaktion statt. Die vermeintliche Freiheit, das Cover selbst gestalten zu können, ist in Wirklichkeit eine Methode des Verlags, Geld zu sparen. Vermutlich kommt man so auch umhin, teure Bildrechte zu bezahlen.

Es ist also schlicht eine billige Methode, Inhalte zu akquirieren, die man teuer weiterverkaufen kann. Was man druckt, ist egal, solange es Geld bringt.

Der Verlag ist telefonisch nicht erreichbar, weil das angeblich zuviel Geld kostet. Lagerhaltungskosten fallen nicht an. Die Kosten sind annähernd Null, die Gewinnmargen groß.

Der Verlierer bei dem Spiel ist dabei nicht unbedingt der Autor. Der junge Nachwuchswissenschaftler freut sich vielleicht über die Publikation seines Werks.

Es ist vielmehr der Kunde, der dabei verliert. Die Bücher sind, um es einmal freundlich auszudrücken, nicht gerade im Niedrigpreissegment angesiedelt. So kommt z.B. eine Arbeit mit moderaten 84 Seiten auf einen Preis von stolzen 49 €. Jenseits der 100 Seiten scheint der Preis auf 59 € zu steigen, jenseits der 200 auf 79 €.
Ich habe mal einen Durchschnitt über 6 Bücher genommen und kam auf einen Seitenpreis von 42 Cent.

Nun sind stattliche Preise im Bereich Fachbücher, insbesondere wissenschaftlicher Fachbücher, nicht selten. Jedoch liegen diese trotz Redaktion, Lagerhaltung etc. wohl kaum über 20 Cent pro Buchseite.
Witzigerweise habe ich die Arbeit, nach der G. fragte, auch drucken lassen. Obwohl ein Teil der Auflage sogar in Farbe war, kam ich auf einen Seitenpreis von ca. 6 Cent (!). Selbst wenn man da alle anderen Kosten großzügig aufrechnet, kommt man niemals auf 42 Cent.

Das Perfide an der ganzen Angelegenheit ist zudem, dass die Inhalte, die da für teures Geld angeboten werden, häufig auf den Seiten der entsprechenden Hochschulen frei zum Download angeboten werden. Letzten Endes werden Inhalte, die ohnehin frei sind und, wie in meinem Fall, mit öffentlichen Geldern finanziert wurden, zu hohen Preisen verkauft.

Eine Sache ist mir zudem aufgefallen: sucht man auf Amazon nach Büchern des Verlags, so wird nicht nur klar, dass die tolle Covergestaltung im Wesentlichen aus der Auswahl eines Bildes besteht. An den Autorenbeschreibungen fällt auf, dass auffällig viele aus Entwicklungsländern kommen – auf Anhieb fand ich Nigeria, Südafrika und Tansania. Über die Hintergründe kann man nur spekulieren, aber man muss wohl annehmen, dass dies zumindest eine willkommene Zweiteinkommensquelle ist.

Apropos Hintergründe: ich habe den Prospekt der Firma nur interessehalber angefragt, weil ich schon wusste, um was es sich handelt – dank dieses Artikels der taz. Dmitri G. hat sich bei mir nicht noch einmal gemeldet, was mich auch nicht wundert. Ich nehme an, dass er noch nie in Saarbrücken war und die Autorenbeschaffung nach einem Drückerkolonnensystem funktioniert, bei der man eine Art Abschussprämie für jeden Vertragsabschluss erhält. Dementsprechend werden täglich massenweise Autoren angeschrieben, und wenn die nicht gleich mitziehen, dann lohnt sich die Weiterverfolgung nicht.

Lambert gehört zur VDM Publishing Group, wobei das VDM für den ersten Verlag der Gruppe, „Verlag Dr. Müller“, steht. Die anderen Subunternehmen der Gruppe zeichnen sich durch ein noch unseriöseres Geschäftsmodell aus: sie verkaufen ausgedruckte Wikipedia-Artikel, was natürlich noch billiger ist, weil es da keine Autoren gibt, die für ihre Arbeit Geld haben wollen. Das freie Lizenzmodell der Wikipedia erlaubt es nämlich, die Artikel ohne Genehmigung der Autoren zu vervielfältigen, solange das Zielprodukt auch noch unter einer entsprechenden freien Lizenz steht.

Besagter Dr. Müller heißt komplett Wolfgang Philipp Müller und ist nonchalant, wenn es um seine Verlage geht.

Aus einem Interview mit ihm:

Sie beantworten Fragen zum VDM-Verlag nur schriftlich? Warum ist das so?
Weil ich nur mit meiner Frau und meinen Kindern telefoniere. Da Sie wie unsere Autoren weder zur einen noch zur anderen Gruppe gehören, telefoniere ich auch mit Ihnen nicht.

Was wohl passend ausdrückt, wieviel Respekt er der Arbeit der Autoren entgegenbringt. Das Interview ist insgesamt recht interessant – er gibt sich als Michael O’Leary des Verlagswesens.

Viele Verlage klagen, dass es Ihnen in Zeiten des kostenfreien Internets immer schwerer fiele, kostenpflichtige Bücher zu verkaufen. Wie ist die Situation bei Ihnen?
Das liegt daran, dass diese Verlage falsch arbeiten. Ein Fehler ist es, sich mit Inhalten zu beschäftigen. Klassische Modelle, bei denen der Verlag den Autor für seine Nichtleistung bezahlen lässt, funktionieren tatsächlich nicht mehr. Wer kreativ ist, hat keine Probleme.

Derart markig zieht es sich hindurch. Teilweise geht es schon ins Hanebüchene:

Kritiker werfen Ihnen vor, Sie würden sich an fremdem Wissen bereichern. Wie begegnen Sie diesem Vorwurf?
Es gibt mehrere Milliarden Menschen auf der Welt, die keinen Internetzugang haben und Wikipedia gar nicht einsehen können. Auch viele ältere Menschen in Deutschland. Oder andere, die gar keine Lust haben, die 600seitige Geschichte der Päpste online zu lesen, sondern lieber das Buch für 49 Euro bei uns erwerben, obwohl sie wissen, dass sie sich das alles in stundenlanger Arbeit zusammenstellen und selber ausdrucken könnten. Wer kauft, hat Gründe. Wer nicht kauft, auch.

Das ist natürlich ausgemachter Blödsinn. Menschen, die keinen Internetzugang haben, werden zu einem Onlinebuchhändler gehen – woanders lassen sich die Bücher wohl kaum auffinden – und sich dort ein teures Buch kaufen. Es gibt nur einen Grund, die Bücher seiner Verlage zu kaufen: die Unwissenheit darüber, um was es sich bei dem bestellten Produkt eigentlich handelt.

Sehenswert sind auch die Bilder der pompösen Zentrale: ein schlichtes Mietshaus. Wenn der Verlag nicht Amazon mit seinen Erzeugnissen fluten würde, könnte man das für ein Agglomerat von Briefkastenfirmen halten.

Auch in Müllers Blog geht es nicht gerade zimperlich zu – die Verteidigungslinie ist: es geht, es ist legal, was wollt ihr eigentlich?
Damit hat er zwar recht. Das kann aber ein Bordellbesitzer genauso sagen – der erwartet aber auch nicht, dass man es gut findet, was er da macht. Nicht alles, was erlaubt ist, ist auch ethisch und moralisch.

Leuten Texte auf Papier zu verkaufen, die es eigentlich auch kostenlos gibt, ist eine findige Geschäftsidee, aber kein Fortschritt des Verlagswesens. Zwar haben anscheinend allerlei Bibliotheken diese Bücher auf den Index gesetzt, aber es finden sich wohl zunehmend auch dort derlei Titel.
Die Idee, Wikipedia-Artikel zu verkaufen, haben anscheinend auch andere Verleger wie Hephaestus Books gefunden.
Die einzigen, die dem einen Riegel vorschieben können, sind wohl die Onlinehändler wie Amazon – aber solange die nicht allzu viele Beschwerden haben, verdienen sie wohl gerne mit. Mehr noch: das Buch, das oben im Bild als Beispiel gezeigt wird, wurde von Amazon selbst gedruckt. So hat die VDM Publishing Group auch die Druckerei eingespart.

Das schwedische Du (und sein vermeintlicher Niedergang)

Werden noch gesiezt: König Carl XVI. Gustaf und seine Frau Silvia (Foto: Holger Motzkau 2010, Wikipedia/Wikimedia Commons, CC-BY-SA 3.0)

Gerade kam mir dieser Artikel in der FAZ unter. Dort schreibt Sebastian Balzter darüber, dass die schwedische formelle Anrede, vergleichbar mit dem deutschen Siezen, wieder etwas in Mode käme.

Er beginnt mit einem Klischee, das aber meiner Erfahrung nach stimmt: viele Deutsche, die in Schweden Urlaub machen, finden es so schön, unkompliziert und freundlich, dass man sich in Schweden gemeinhin duzt. Mit Ausnahme der königlichen Familie gilt das Duzen hier schließlich für alle.

Aber dann:

Seit einigen Jahren aber greift unter den jungen Schweden eine Unsicherheit um sich, die diese positiven Vorurteile in Frage stellt. Gesiezt wird zwar auch weiterhin niemand zwischen Malmö und Kiruna. Das Nizen aber macht dem Duzen zusehends Konkurrenz. „Wenn wir darüber reden, gibt es immer Streit“, berichtet die Stilratgeberin Magdalena Ribbing, die in der Tageszeitung „Dagens Nyheter“ eine Kolumne über gute Manieren schreibt.

Vor allem im Geschäftsleben, in Restaurants und Kaufhäusern, gebrauchen nach ihrer Erfahrung jüngere Angestellte gegenüber älteren Kunden oder Gästen zunehmend die altertümliche Anredeform „Ni“. Dazu werden sie bisweilen sogar von ihren Vorgesetzten aufgefordert.

Ich war doch einigermaßen verwirrt – das „Ni“ hielt ich für eine vollkommen abgeschaffte Anrede, und im Alltag ist sie mir in den letzten Jahren noch nicht bewusst begegnet. Allerdings bin ich wohl noch nicht alt genug, dass man mir so begegnen würde.

Nach einer Recherchen ist mir der Begriff des „Ny-Niandet“ („Neusiezen“) untergekommen. Besonders im Dienstleistungsbereich sei das so. In der Kolumne der erwähnten Magdalena Ribbing ging es auch schon öfters darum. Soweit stimmt das also.

Jedoch denke ich, dass Balzter ein bisschen über das Ziel hinausgeschossen ist. Eine „Debatte“, wie sie die FAZ erkannt haben will, würde ich das nicht nennen. Dahingehende Blogeinträge sind teilweise über 5 Jahre alt, und für mich ist nicht ersichtlich, was nun plötzlich eine „Unsicherheit“ hervorrufen sollte. Es mag sein, dass der Sprachrat, der im Artikel erwähnt, irgendwann langsam tätig werden musste und das vielleicht irgendeine nachrichtenrelevante Rolle spielt – aber bei dem wurde ich auch nicht fündig.

Es ist aus meiner Sicht eine Randerscheinung, ein vorübergehender Trend – da hat der Artikel wiederum recht – aber keine Sache, die an den Fundamenten rüttelt, die Ende der 1960er Jahre gelegt wurden. Es fehlt schlicht der Neuigkeitswert, und auch der gesellschaftliche Disput, der da suggeriert wird.

Ein Punkt stellt der Artikel auch leider nicht richtig, was sehr bedauerlich ist. Ich konnte immer nur mit Kopfschütteln auf die deutsche Interpretation des schwedischen Du reagieren. Die Begeisterung der Deutschen für diesen schwedischen Brauch rührt beruht meines Erachtens nämlich auf einem grundlegenden Missverständnis.

Das deutsche Sie drückt zwar auch Respekt gegenüber Mitmenschen aus, insbesondere älteren. Jedoch ist ein weiterer wichtiger Aspekt die Schaffung eines Abstands zwischen einem selbst und der gesiezten Person. Das Sie drückt aus, dass man der angesprochenen Person nicht nahesteht. Das Du hat hingegen einen jovialen Charakter und findet bei einer Begegnung auf Augenhöhe zwischen jüngeren Menschen Anwendung.

Die Deutschen, die sich über das schwedische Du so freuen, glauben, es sei dasselbe wie das Deutsche. Ist es nicht. Wenn buchstäblich jeder mit Du angesprochen wird, dann hat es keine Bedeutung mehr. Der Polizist spricht einen Mörder bei der Verhaftung genauso mit Du an wie die Braut ihren Ehemann bei den Flitterwochen. Es ist vollkommen wertungsneutral. Wenn man also in Schweden geduzt wird, dann ist das vielleicht ein Bekenntnis zu geschwundenen Klassenunterschieden, aber es wohnt dem im Prinzip nichts joviales oder freundliches inne. Es geht nicht darum, eine Nähe zu schaffen, und wenn man glaubt, dem wäre so, dann ist das die Interpretation des Empfängers, nicht die Absicht des Senders.

Im Umkehrschluss würde ich auch davon ausgehen, dass das schwedische „Ni“ – übrigens die zweite Person Plural, nicht die dritte wie im Deutschen – eine prinzipiell eher untertänige und respektvolle Haltung transportiert. Ich möchte bezweifeln, dass einem schwedischen Polizisten einfallen würde, einen Mordverdächtigen mit Ni anzusprechen, denn Respekt hat er für den sicherlich nicht.

Das Problem, das einige der verlinkten Webseiten ausdrücken, ist, dass das Ni von älteren Menschen auch falsch als kränkend empfunden werden kann – wohl in dem Sinne, dass junge Menschen ironisch Ni verwenden und sich der angesprochene veralbert fühlt. Interessanterweise hat sich daher noch eine weitere Form herausgebildet, nämlich die Anrede in der dritten Person Singular mit Titeln. Das habe ich schon bei Interviews mit dem König gesehen, dem dann statt z.B. statt der dann statt z.B.

Was sagen Sie dazu?

gefragt wurde

Was sagt der König dazu?

Klingt seltsam, aber hat sich anscheinend etabliert.

Jenseits aller Missverständnisse und Feinheiten muss aber auch eines gesagt werden: die schwedische Lösung ist mir deutlich lieber als die deutsche. Dieses Herumrätseln, ob man nun schon Du sagen darf, weil man es mal angeboten bekommen hat, oder eben nicht, fand ich immer schwierig. Man hat im Schwedischen immer eine Lösung, ohne überlegen zu müssen. Zudem finde ich diese Konsequenz, mit der man versucht hat, eine gleichgestellte Gesellschaft zu erreichen, beachtlich. Zwar wird eine Gesellschaft dadurch nicht automatisch gleicher, aber es kann als Symbol durchaus dienen. Ich sehe auch nicht, wieso man das in Deutschland nicht könnte. Immerhin hat man es geschafft, das Fräulein abzuschaffen. Dann sollte es doch auch möglich sein, das Siezen loszuwerden.

Update 5.2.: Asche auf mein schnellschreibendes Haupt. Der letzte Aspekt des missverstandenen Du seitens der Deutschen wird in dem Artikel am Ende durchaus noch angesprochen.

Sweden’s next Top Sozi

Håkan Juholt ist als Parteivorsitzender zurückgetreten (Bild: Arild Vågen, CC-BY-SA 3.0)
Håkan Juholt ist als Parteivorsitzender zurückgetreten (Bild: Arild Vågen, CC-BY-SA 3.0)

Ich lese jeden Tag die Zeitung, habe aber manchmal das Gefühl, dass ich nicht so recht weiß, was in diesem Land eigentlich passiert. Am Samstag ist beispielsweise Håkan Juholt zurückgetreten. Den muss man nicht kennen, aber er war Parteivorsitzender der schwedischen Sozialdemokraten. Was auch schon das Problem aufzeigt. Nicht, dass er der Top-Sozi war, sondern dass ihn keiner kannte.

Vertrauen konnte er nämlich nicht aufbauen. Als er in das Amt kam, fragte man gemeinhin „Håkan wer?“. Nüchtern betrachtet war er der Vorsitzende von Rudis Resterampe: schlicht einer der wenigen, die nicht sofort mehr oder weniger dankend abgelehnt haben.

Am Samstag verlas er nun seine Rücktrittserklärung, in seinem Heimatort Oskarshamn in einem Einkaufszentrum neben einer Rolltreppe. Genauso würdig und glamorös wie seine Amtszeit.

Ich fragte mich, was denn nun eigentlich passiert war. Ich verstehe es bis heute nicht ganz. In den Tagen davor waren schon Rücktrittsandeutungen durch die Presse gegeistert. Nur warum es ausgerechnet jetzt zum Rücktritt kommen sollte, blieb unklar – im Gegensatz zu den deutschen Medien hat man es in Schweden nicht so mit Dossiers und Erklärstücken. Wer etwas verpasst hat, darf rätseln, wie das nun zustande kam.

Etwas Licht brachte für mich allenfalls diese Zusammenfassung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens SVT (für die des Schwedischen mächtigen):

Der Rücktritt ist eine Spätfolge einer Affäre aus dem Oktober 2011. Es kam heraus, dass Juholt das für auswärtige Reichstagsabgeordnete zustehende Mietgeld für die volle Miete einer Stockholmer Wohnung bezogen hat, obwohl er dort nicht allein lebte und die Miete somit geteilt hätte werden müssen. Zudem hatte er anscheinend davon gewusst, aber nicht darauf reagiert. Er ware nahe des Rücktritts, aber er machte den Wulff: entschuldigte sich und gelobte Besserung. Die Sache schien bald überstanden, auch wenn sich kleinere Ungeschicktheiten in seinen Äußerungen wiederholten.

Aus deutscher Sicht handelt es sich freilich um Lappalien, wenn man bedenkt, in welchem Maße sich der werte Herr Bundespräsident schon beschenken hat lassen und das alles für so gar nicht rücktrittswürdig hält. Falsche Wohnungsabrechnung und ein paar unglückliche Statements nehmen sich dagegen lächerlich aus.

Die Umfragewerte gingen in den Keller, und ich nehme an, dass es letztendlich diese Zahlen sind, die zwei Landesverbände der Sozialdemokraten dazu bewegte, Juholts Rücktritt zu fordern. Am Samstag zog er die Reißleine und wurde damit der Parteivorsitzende mit der kürzesten Amtszeit.

Ob das für die Partei gut oder schlecht ist, wird sich noch zeigen. Ich tendiere zu ersterem. Juholt hat anscheinend von Anfang an nur diejenigen voll überzeugt, die sowieso alles gut finden, was die Partei entschieden hat. Bei denen, die man von den Moderaten wieder zurückholen müsste, hat er aber nur vorübergehend Sympathien geweckt.

Unter normalen Umständen ist die Regierung ein Jahr nach der Wahl am unbeliebtesten, weil sie unbequeme Maßnahmen und Klientelpolitik auf den Anfang der Legislaturperiode legt, während man Wohltaten kurz vor die Wahlen legt, um danach weitermachen zu dürfen. In Schweden ist es derzeit genau umgekehrt: bis auf die Grünen steht die Opposition so schlecht da wie nie.

Ich denke, die Sozialdemokraten haben immer noch nicht gelernt, mit der nach wie vor ungewohnten Oppositionsrolle umzugehen. Es kommt mir so vor, als wolle man die altbekannten Rezepte einfach solange neu aufsagen, bis die Schweden wieder darauf anspringen. Diese Regierung gefährdet das nicht, denn die Schweden haben keine Angst mehr vor den Bürgerlichen.

Ich habe gehofft, man würde dieses Mal nicht in typisch schwedischer Manier mit einer Wahlkommission auf Kandidatensuche gehen, sondern den Posten per Parteimitgliederabstimmung besetzen.

Danach sieht es leider wieder nicht aus. Aktuellen Berichten zufolge soll Anders Sundström gefragt worden sein. Dieser ist Chef der Versicherung Folksam und war zuvor mehrfach Minister und Reichstagsabgeordneter. Ich kenne ihn nicht aber wäre enttäuscht, wenn man erneut einfach irgendjemanden aus dem Hut zaubern würde. Um 15:15 Uhr soll es eine Pressekonferenz geben.

Andere heiß gehandelte Namen sind der ehemalige Juso-Chef Mikael Damberg, der aber erstmal abgelehnt hat, und die Generalsekretärin Carin Jämtin. Bislang nehmen sich die Kandidatenlisten im Vergleich zum letzten Mal kurz aus. Man muss wohl leider davon aus gehen, dass die ehemalige EU-Kommissarin Margot Wallström, die der ganzen Veranstaltung etwas Wiedererkennungswert und Grandezza geben könnt, wiederum nicht zur Verfügung steht.

Ich bin gespannt, wie es weitergeht. Und hoffe, dass Bundespräsident Wulff doch noch den Juholt macht.

Update (15:28 Uhr): Die Pressekonferenz gab keine wirkliche Information außer, dass jetzt erst einmal beraten werden müsse. Am Freitag wird die Parteiführung zusammentreten. Sundström soll angeblich abgelehnt haben.

Update (15:43 Uhr): ein Punkt bei den letzten Querelen war auch, dass Juholt veranlasst haben soll, einen Posten aus dem oppositionellen Gegenvorschlag für den Staatshaushalt herauszustreichen. Dieser war dafür vorgesehen, die Qualität der Arbeitslosenversicherung wieder auf das Niveau zu bringen, das sie vor dem Antritt der Regierung Reinfeldt hatte. Sicherlich kein Riesenaufreger für die Allgemeinheit, aber natürlich ein Affront für weite Teile der Partei, denn das ist natürlich eine Herzensfrage für Sozialdemokraten – siehe auch diesen Artikel dazu (vielen Dank an Jan für den Hinweis).

Knut

Knut Lavard bzw. Knud Lavard, der heilige Knut und Namensgeber dieses Tages. (Foto: Fredrik Tersmeden, CC-BY-SA 3.0)

Letzte Woche in Deutschland wurde ich immer wieder darauf angesprochen: Knut.

Es ist bemerkenswert, wie stark sich das im Bewusstsein der Leute festgesetzt hat, was in erster Linie folgendem Werbespot geschuldet ist:

Er wurde über die Jahre immer wieder neu und auch in anderen Varianten aufgelegt. Es gibt ihn auch in einer englischen Fassung, der Knut auch gleich auf den 26. Dezember datiert, was zumindest in meiner Erinnerung auch im deutschen Fernsehen so gemacht wurde.

Leider stimmt daran nicht sonderlich viel. Nicht nur, dass man die Bäume nicht aus dem Fenster wirft – man kann freilich, aber deswegen ist es noch lange kein allgemeiner Brauch. Knut ist heute am 13. Januar, und es ist der Heiligentag des Knud Lavard, woher auch der Name kommt. Das wurde früher auch richtig gefeiert mit dem Verzehr der letzten Reste von Weihnachten. Mich wundert daher auch nicht, dass es früher wichtiger war als heute, denn beim schwedischen Winter aß man sich wohl gerne nochmal satt, weil schließlich noch drei kalte Monate bevorstanden.
Irgendwie passt dieser Heilige zu der ganzen Veranstaltung, denn Knud Lavard wurde laut Wikipedia nur durch nachträgliche Übertreibung seiner Taten und seine Rolle als Förderer (sprich Geldgeber) der Kirche heilig gesprochen.

Heute feiert kaum noch einer Knut, aber im Kalender steht der Tag noch. Stattdessen ist das große Ereignis die „Mellandagsrea“, ein Schlussverkauf zwischen den Jahren, bei dem die Weihnachtswaren vergünstig zu haben sind.

Ich für meinen Teil werde morgen den Baum hinausbefördern – aber durch’s Treppenhaus.

Vor einem Jahr an Weihnachten

Der heutige Tag erinnert unweigerlich daran, wie man letztes Jahr Weihnachten verbracht hat. Wie man schon an meinen sporadischen Safari-Bildern sehen konnte: wir waren in Afrika.

Nach einer Busfahrt durch den nördlichen Teil Tansanias kamen wir in Dar-Es-Salaam an, der wichtigsten Stadt des Landes, wenn auch nicht Hauptstadt. Von dort aus setzten wir mit einer hochmodernen Fähre zu unserem eigentlichen Ziel nach Sansibar über.
Wir wohnten im Zenji Hotel, das wir über hostelworld.com gebucht hatten und ein echter Glücksgriff war. Es liegt zwar nicht in der touristischsten Ecke von Stonetown, der Hauptstadt von Sansibar, aber die Zimmer sind ein Traum, der Service erstklassig und die Preise günstig. Dort buchte man auch für den Heiligabend für uns einen Tisch im 236 Hurumzi, einem Nobelhotel in der Altstadt. Es hat ein Restaurant auf dem Dach, von dem man die ganze Stadt und auf’s Meer blicken kann.
Das Essen war ein Traum, aber mit 75 US-Dollar auch weit jenseits dessen, was wir erwartet hatten. Also musste ich mit dem Mopedtaxi (die Straßen in der Altstadt sind für Autos zu eng) zum Hotel zurück und Geld holen. Das anschließende Dinner war ein Traum – viele Gänge, exzellenter Wein, exzellenter Service. Eine Musikgruppe und eine Tanzgruppe machten abwechselnd die Unterhaltung, dazwischen liefen Weihnachtslieder, gesungen von Frank Sinatra, womit dies auch das erste Weihnachtsfest seit vielen Jahren war, an dem ich „Last Christmas“ von Wham entkommen bin.

Wir hatten also ein schönes Weihnachten in der Stadt, und Neujahr verbrachten wir an der Ostküste in einem kleinen Dorf am Strand. Aber davon berichte ich vielleicht ein anderes Mal.

Ich wünsche allen Lesern ein frohes und besinnliches Weihnachtsfest!

Talsinki und der Ostseeraum

Talsinki - dynamischer Raum in der Ostsee (Bild: Flickr-User Marjut, CC BY-NC-SA 2.0)

Gestern fiel mir ein Podcast von SWR2 Wissen auf, der vor kurzem die Verkehrsentwicklung im Ostseeraum an schönen Beispielen beschrieb.

Eines davon ist die dynamische Entwicklung der Hauptstädte Tallinn und Helsinki, die spätestens seit dem EU- und Schengenbeitritt Estlands durch geringe Entfernung (rund 70 km über das Meer) und ähnliche Sprache sehr nah aneinandergerückt sind. Man spricht mittlerweile schon von Talsinki. Interessant auch, dass dort relativ offen über eine direkte Verbindung der Städte durch einen Tunnel gesprochen wird. Ich halte es allerdings wegen der Abstände und den zu erwartenden exorbitanten Kosten für Träumerei.

Weit realer ist das andere und hier schon öfters diskutierte Beispiel der Fehmarnbeltquerung. Es kommt u.a. der Malte Siegert zu Wort, der das Aktionsbündnis gegen den Bau der Querung anführt. Immerhin begrüßt er, dass nun statt einer Brücke ein Tunnel gebaut werden sollte, wenn auch kein gebohrter Tunnel.
Die restlichen Argumente sind bekannt: ökologische Bedenken wegen des Eingriffs ins Meer und eventuelle Effekte auf den lokalen Tourismus.

Alles sehr hörenswert – ich störte mich aber an einem Argument, das von Karl-Heinz Breitzmann, Direktor am Ostseeinstitut Rostock, ins Feld geführt wird. Breitzmann sagt zunächst:

Man muss also als Ökonom […] eine Nutzen-Kosten-Gegenüberstellung machen. […] Welchen Nutzen würde denn eine solche feste Querung haben im Vergleich zur jetzigen hocheffizienten Lösung? […] wenn man sich einmal […] die hohen Investitionen und auch die nicht unerheblichen Betriebskosten, wenn der Tunnel dann genutzt wird, im Vergleich zur jetzigen Fährlösung ansieht, dann kommt man auf ein sehr ungünstiges Nutzen-Kosten-Verhältnis. Und dann fragt man sich: Haben wir nicht viele andere große Projekte, Verkehrs- und Infrastrukturprojekte im Ostseeraum, die ein besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis haben?

Direkt im Anschluss sagt der Sprecher:

Projekte wie die Anbindung des Hinterlands im östlichen Teil Europas etwa, die fehlt vor allem in Teilen Russlands und in den baltischen Staaten. Autobahnen nach westlichem Vorbild gibt es dort fast keine, und in Estland beispielsweise ist ein Schienennetz quasi nicht vorhanden.

Das Problem dabei ist, dass ein Zusammenhang entsteht, der meines Erachtens nicht existiert. Der Tunnel wird meines Wissens nämlich zu 100% vom dänischen Staat finanziert, der sein Geld für Dänemark ausgeben will und nicht für Eisenbahnstrecken in Estland.
Das Ganze so hinzustellen, als käme das Geld aus irgendeinem EU-Fördertopf, der sein Geld nach Priorität verteilen soll, ist also irreführend. Wenn das Geld nicht dort ausgegeben würde, dann woanders in Dänemark, aber bestimmt nicht in anderen Teilen des Ostseeraums.

Gut, dass wir mal drüber gesprochen haben

So soll der Tunnel einmal von innen aussehen (Bild: Femern A/S)

Es hat ja lange gedauert, aber der geplante Tunnel zwischen Puttgarden auf Fehmarn und Rödby in Dänemark hat es endlich auch in die schwedischen Medien geschafft. Vor gut zwei Wochen war dieser Artikel im Svenska Dagbladet, der im Wesentlichen die Fakten auf den Tisch legt und durchscheinen lässt, dass die deutsche Seite so aus der Affäre gezogen hat, dass sie minimale Verantwortung und minimale Kosten hat.

Viel mehr aufgefallen ist mir aber dieser Beitrag, der schon Ende August im Deutschlandfunk lief. Er entstand aus dem Anlass, dass ein „Dialogforum“ zum Bau der festen Querung eingerichtet wurde. Ich habe auch schon zuvor keinen Hehl daraus gemacht: spätestens seit die geplante Brücke durch einen Tunnel ersetzt wurde, bin ich vorbehaltlos für dieses Projekt. Die Umweltfolgen sind gering, der langfristige Nutzen erheblich.

Daher bin ich auch bei dem Dialogforum etwas skeptisch. Es wirkt nämlich wie eine Überreaktion der Politik, die bei einem Bürgerprotest gleich ein neues Stuttgart 21 befürchtet. Also bietet man an, über etwas zu reden. Nur wie bei S21 sind Verträge geschlossen, so dass es im Grunde eigentlich nichts mehr zu bereden gibt und damit die Gegner nicht zufrieden sein kann. Das „Ob“ steht außer Frage, nur das „wie“ ist noch gestaltbar. Der Vergleich mit S21 hinkt aber an so vielen Stellen, dass es ein Witz ist, auch nur andeutungsweise beides auf eine Ebene zu stellen. Das beginnt schon damit, dass nicht einmal die Fehmarner selbst voll hinter den Gegnern stehen.

Das Forum könnte allenfalls die sinnvolle Planung der Hinterlandbindung unterstützen, aber darum geht es den Gegnern des Projekts wiederum nicht. Insofern sehe ich nicht, wohin eine solche Plattform führen soll. Ich bin gespannt, wie sich die Sache weiter entwickelt – und hoffe, dass die nächsten Beiträge sich eher mit den Plänen beschäftigen als mit der übersteigerten Reaktion auf Protest.

Die synchronisierten Untreuen von Granlunda

Vielleicht liegt es an meiner nachweislichen handwerklichen Unfähigkeit, aber unter all den Tätigkeiten, die die Heimwerkerei umfasst, ist das eigenhändige Schleifen mit Sandpapier eine derjenigen, die ich am wenigsten mag. Das habe ich nicht mit Jonas Västervik gemein, denn dieser macht sich mit Begeisterung und Hingabe an das Abschleifen einer Stelle an einem alten reparaturbedürftigen Boot. Er ist nicht der einzige unglaubwürdige Charakter des Films.

Ich konnte es einmal wieder nicht lassen und habe mir den Film „Inga Lindström – der Erbe von Granlunda“ nebenbei zu Gemüte geführt, denn meine ganze Aufmerksamkeit wollte ich diesem Machwerk nicht widmen. Dass ich von der Filmreihe nicht viel halte, ist kein Geheimnis. Wenn man aber in der Region wohnt, in dem diese ganzen Schmachtfetzen spielen, dann ist es schon einmal interessant, zu sehen, was denn nun wieder verbrochen wurde. Außerdem: zuletzt war ein beängstigender Aufwärtstrend in der Qualität zu beobachten.

Das war aber wie gesagt zuletzt – „Der Erbe von Granlunda“ stammt aber aus dem Jahr 2008 und wurde als Sommerlückenfüller gezeigt. Dementsprechend kriegt man die alte Leier präsentiert: Jonas ist Tochter von Karin Västervik, ihres Zeichen Tierärztin, anscheinend einer der häufigsten Berufe in diesen Filmen. Diese wiederum ist mit dem Gutsverwalter Paul Eding liiert, der von der Fernsehfilm-Allzweckwaffe Michael Greiling verkörpert wird. Die beiden wollen zusammenziehen. Er sieht nicht schlecht aus, aber irgendwie ist die Kombination für das junge Glück doch etwas seltsam, denn zwischen Simone Heher, die Karin spielt, und Greiling liegt ein Altersunterschied von 24 Jahren.

Die Geschichte an sich ist Makulatur: der Besitzer des Guts, das Eding verwaltet, ist Magnus Hansson. Er hat sich vor vielen Jahren mit seiner Tochter verkracht, und als er stirbt, ist deswegen der Enkel Tomas wenig gewillt, den Hof zu behalten. Dann verliebt er sich aber in Karin, der er „zufällig“ zuvor in Stockholm das Leben gerettet hat. Zudem ist er auch noch ein Mitglied der fremden Spezies „Städter“, der natürlich nicht naturkompatibel ist.

Mir scheint, dieser Plot ist mit leichten Abwandlungen in nahezu jedem Inga-Lindström-Film zum Einsatz gekommen. Immer gibt es irgendwelche persönlichen Zerwürfnisse und das Dilemma eines der Protagonisten, sich zwischen zwei Kopulationspartner entscheiden zu müssen. Immer gibt es gerade zu absurde Zufälle, bei denen sich die Hauptfiguren wiedersehen. Immer ist das idyllische erstrebenswerte Landleben dem hektischen Stadtleben entgegengesetzt.

Letzteres bedient freilich das Bullerbü-Syndrom meisterhaft. Unter den Tisch gekehrt wird freilich, dass es wohl in ganz Europa keine Großstadt geben dürfte, bei der Natur und Stadtleben so nahe beieinander liegen. Stockholm ist nun wahrlich kein Moloch. Solche Zurechtbiegungen sind allerdings auch nichts neues bei diesen Filmen. Man muss immerhin zugeben: der Erbe von Granlunda ist wenig zum Fremdschämen, was man in dem Kontext schonmal als Auszeichnung sehen kann.

Interessant und bemerkenswert finde ich eine andere Sache. Das ZDF ist ein Sender mit Werbung für Granufink und Treppenlifte. Das Publikum ist betagt und wohl auch dementsprechend konservativ. Da verwundert es umso mehr, dass vollkommen wertungsfrei und unbekümmert in den Fernsehfilmen des Senders – nicht nur bei den Lindström-Streifen, wie mir scheint – das Fremdgehen präsentiert wird. Sei es nun die Prinzessin auf der Erbse, die ihren verlobten Prinzen auf der nächstbesten Insel mit einem Landschaftsgärtner betrügt, der Millionär, der sich in die Mutter seiner eigentlich zukünftigen Frau verknallt, oder eben Karin, die sich im Eiltempo verführen lässt. Sinnigerweise ist Tomas sogar Produkt einer solchen Affäre, denn Paul ist sein Vater. Es ist schon merkwürdig, dass Beziehungen so geringen Wert zu haben scheinen, obwohl es in den Filmen um nichts anderes als um die große Liebe geht. Die Filme enden daher auch meist mit dem mehr oder weniger unkomplizierten Zerbrechen der einen Liaison und dem Beginn einer anderen.

Abgesehen davon, dass in dem Film immer gutes Wetter ist und sich deswegen alle ständig draußen aufhalten, gibt es aber noch eine andere Merkwürdigkeit: zahlreiche kleine Rollen wurden nachträglich synchronisiert. Es ist wohl davon auszugehen, dass es sich um Schweden handelt. Das ist eigentlich das Bitterste an diesem Pseudo-Schweden-Kitsch: die Landschaft wird gerne genommen, aber ein Schwede darf in diesen Filmen nichtmal seine eigene Stimme hören.

Die Philanthropen vom Media Markt

Anzeige von Media Markt: tut uns leid um Onoff, aber wir wollen nichts böses.

Ich habe es nicht erwähnt, weil allerorten zu finden: Onoff, eine der größten schwedischen Heimelektronikketten, ist in Konkurs gegangen. Der Grund ist der harte Preisdruck, der durch die anderen beiden großen im Markt, Elgiganten und Media Markt, entstanden ist.

Das hat mich etwas überrascht, denn Onoff war relativ günstig und hatte eine gute Auswahl, was man z.B. von Siba nicht behaupten kann. Media Markt ist freilich der Buhmann bei der Geschichte, denn erst sie mit ihrer dümmlichen Werbeoffensive haben den Markt umgekrempelt.

Überraschenderweise fühlen sie sich bemüßigt, sich zu rechtfertigen. Heute morgen war obige Anzeige in der Zeitung.

Vor kurzem hat Onoff mitgeteilt, dass man die Firma in Konkurs gehen lässt. Als ein wichtiger Grund wird die harte Konkurrenz in der Heimelektronikbranche angegenen, die erheblich härter geworden ist, seit Media Markt nach Schweden gekommen ist und die Preise […] nach unten gezwungen hat. Das Ergebnis ist, dass Schweden heute zu den billigsten Ländern in Europa im Einkauf von Heimelektronik gehört. Das ist zum Vorteil der Verbraucher […]. Wir bedauern jedoch, dass Onoff in Konkurs gehen musste und wollen helfen, die Folgen für Kunden und Angestellte so gering wie möglich zu halten.

Media Markt kann Ihnen mit Garantiefällen helfen. Auch wenn Sie bei Onoff gekauft haben.

[…] Wir bieten eine kostenlose Abwicklung von Garantiefällen durch unser Servicesystem an, so dass Sie den Hersteller nicht selbst aufsuchen müssen. […]

Wir wachsen rasend schnell. Vielleicht wollen Sie bei uns arbeiten?

Seit Media Markt im Jahr 2006 nach Schweden kam, sind wir in fünf Jahren von 0 auf 20 Filialen gewachsen. Bis Ende des Jahres werden wir 4 weitere Filialen in Schweden eröffnen. Wir werden natürlich fähige und nette Menschen […] brauchen. Arbeiten Sie heute bei Onoff und gefällt es Ihnen in dieser dynamischen Branche […], dann sollten Sie vielleicht von Sich hören lassen. Schicken Sie gerne Ihre Bewerbung über mediamarkt.se.

Gut zu wissen

Media Markt hat ein größeres Sortiment und etwas mehr Personal als in der Branche üblich […] Wir möchten den Kunden geben, was sie brauchen und wünschen, nicht was wir loswerden wollen. Ein überzeugter Kunde kommt wieder, ein überredeter Kunde tut das nicht.

Media Markt

Die Botschaft höre ich wohl, alleine fehlt mir ein bisschen der Glaube. Eine Firma, die agressives und den Intellekt beleidigendes Marketing zu ihrer Unternehmensphilosophie gemacht hat, kann sich nachher nicht als Unschuldslamm hinstellen. Eine internationale Kette wie Media Markt kann in einem Land jahrelang ohne Risiko für das Gesamtunternehmen an der Dumping-Grenze wirtschaften. Es ging von Anfang an darum, mit möglichst viel Krawall die Leute anzulocken und sich einen fetten Marktanteil abzugreifen, bis die kleineren Marktteilnehmer die Segel streichen und nur noch ein Oligopol übrig ist.

Man kann einem Löwen nicht vorhalten, dass er Zebras frisst. Aber deswegen muss man ihm noch lange abkaufen, dass das alles ein Versehen ist und er alle lieb hat.