I will survive

Montagabend, 23:30 Uhr: Ich wasche mich mit „DesCutan“, einem desinfizierenden Waschmittel. Es besteht aus einem lustigen Schwamm, der aufgeht, wenn man Wasser hinzugibt. Ich fühle mich ziemlich keimfrei.

Dienstagmorgen, 6:30 Uhr:
Ich trinke anweisungsgemäß nur ein Glas Wasser. Dann dusche ich mich nochmals mit „DesCutan“. Nachdem ich meinen lädierten Popo gründlichst abgeschrubbt habe, fällt mir ein, dass noch ein zweiter Durchgang fällig ist. Ich beschließe, die Rückseite des Schwamms zu verwenden.

8:30 Uhr: wir kommen im Krankenhaus an. Man weiß von meiner Operation nichts. Das ist schade, gerade jetzt, wo ich mich doch so schön geduscht habe.

8:40 Uhr: in der Zwischenzeit hat sich herausgestellt, dass ich in einer anderen Abteilung operiert werde. Dort angekommen darf ich warten.

8:50 Uhr: Ich werde hineingerufen und erhalte ein sehr modisches Hemd, das ich exklusiv zur Operation tragen darf. Ansonsten darf ich allerdings nur noch meine Unterhosen tragen.

9:15 Uhr: Die Ärztin erscheint und fragt mich, ob ich denn brav alle Anweisungen beachtet habe. „Ja“, antworte ich mit einem großen Grinsen. Sie fragt mich, was ich denn habe. Das ist natürlich nicht allzu beruhigend. Sie fragt außerdem, ob ich schon einmal unter Vollnarkose gewesen sei. Ich sage ja, aber das sei schon sehr lange her, und frage etwas verduzt, ob ich denn eine Vollnarkose bekäme. „Ja“, sagt sie daraufhin, „das machen wir normalerweise so.“

9:20 Uhr: Ich habe die Nachricht noch nicht ganz verdaut, da setzt mir die Krankenschwester eine Kanüle an der linken Hand. Es tut weh und sie sitzt nicht gut. Der zweite Versuch passt. Nach einer Spülung erhalte ich direkt die erste Portion Drogen.

9:25 Uhr: Ein Happy Hippo und Doktor Bob aus der Muppet-Show kommen zu Besuch. Wir diskutieren angeregt über die Spargelernte des letzten Jahres.

10:00 Uhr: Ich warte immer noch. Ich solle mit leerer Blase in den OP, so dass ich brav aufs Klo gehe. Selten mit einer Kanüle an der Hand gepinkelt, aber was tut man nicht alles für den Weltfrieden. Da der Schrank mit meinen Sachen abgeschlossen ist, muss ich mir mit den ausliegenden Magazinen behelfen.

11:15 Uhr: Mir wurde gerade beim Lesen des Yacht-Magazins langweilig, da kommt die Nachricht, dass es jetzt losgehe. Ich helfe, mein Bett in den OP zu schieben. Mittlerweile wird mir klar, dass die Ärztin, die ich getroffen habe, die Anästhesistin war. Meinen echten Arzt habe ich noch nicht gesehen. Die OP-Schwestern stellen sich alle sehr nett vor. Die eine, die die Operation direkt betreuen soll, ist gekleidet, als wolle sie danach gleich noch ein Kernkraftwerk dekontaminieren. Ich kriege irgendein komisch schmeckendes Zeug zu trinken und man klebt mir einige Dioden für das EKG an. Ich darf mich hinliegen und ganz diskret die Unterhosen ausziehen. Im Grunde genommen ist das albern, die werden mich sowieso in Kürze nackt sehen. Ich scherze etwas mit den Schwestern („Ich habe heute eigentlich nichts mehr vor!“), da bekomme ich die Narkose, und es fühlt sich seltsam an. Es läuft Musik. Ich nehme mir vor, mir den Titel zu merken. Es ist jedenfalls nicht „Stairway to heaven“ oder „Knockin‘ on heaven’s door“, denn diese genießen einen allgemeinen Bann in allen OPs dieser Welt. Ich darf etwas durch eine Maske einatmen. Selten so guten Sauerstoff gehabt.

13:00 Uhr: Ich erwache in einem dunklen Raum. Eigentlich hatte ich erwartet, dass man langsam entgleiten würde wie im Film. Pustekuchen. Den Titel, der vor der Operation lief, habe ich auch vergessen. Ich frage die Schwester, ob denn überhaupt Musik da drin liefe – könnte ja auch nur Halluzination gewesen sein. Sie bejaht. Ich erzähle ihr irgendwelche wirren Dinge davon, dass ich das Gefühl gehabt hätte, einen Podcast über meinen MP3-Player zu hören. Sie akzeptiert das direkt – vermutlich ist sie in Sachen Patienten, die nach der Narkose Blödsinn verzapfen, außerordentlich erfahren.

13:15 Uhr: Mein Blutdruck (140/77 oder so) ist ganz ok. Ich werde in mein Zimmer geschoben und meine Freundin darf zu mir kommen. Ich hänge an einem Tropf, der so langsam leer läuft.

13:30 Uhr: Ich fühle mich etwas schwach. Die Schwester bietet an, etwas zum Essen zu bringen. Ich warte noch etwas ab.

13:50 Uhr:
Es geht mir besser, und ich esse etwas. Lecker Käsestulle und Tee. Ich verzichte darauf, Schampus zu bestellen. Ich bin immer noch etwas blass, aber es wird besser.

14:20 Uhr: Tropf sei Dank muss ich auf die Toilette. Meine Freundin kommt diskreterweise als Tropfhalterin mit. Beim Aufstehen spüre ich erstmals Schmerzen in meinen Beinen. Meine Vermutungen gehen dahin, dass so ein OP-Tisch nicht gerade bequem ist. Ansonsten tut mir aber nichts weh, was man als positives Zeichen deuten könnte.

15:30 Uhr: Mein Arzt kommt. Er ist jung, sympathisch und fragt mich, ob ich denn schwedisch könne. Dann erklärt er mir die Details. Wenn alles gut geht, ist die Sache in 2 Wochen vorbei. Da die Wunde sauber ist, konnte sie nämlich genäht werden, was den Prozess beschleunigt. Allerdings muss die Wunde trocken bleiben – ansonsten müssen die Fäden raus.

15:50 Uhr: Die Kanüle wird abgezogen. Ich verlasse das Krankenhaus. Eine begeisterte Menschenmenge erwartet mich am Ausgang. Ich fühle mich sehr fit, beschließe aber, heute nicht mehr joggen zu gehen.

16:30 Uhr: Ich bin zuhause. Beherzt sinke ich in einen Stuhl. Entweder habe ich wirklich keine Schmerzen oder die Drogen wirken noch hervorragend.

23:30 Uhr: Ich gehe zu Bett.

Mittwochmorgen, 7:00 Uhr: Ich stehe auf. Mir tut alles weh, vor allem der Nacken. Der OP-Tisch muss meinen Knochen doch mehr angetan haben, als ich zunächst vermutete. Auf der Toilette sehe ich plötzlich Blut. Es tropft auch noch etwas weiter und beunruhigt mich, denn sollte es so bleiben, würde mir die fadenlose Heilung blühen, die erheblich länger dauert.

10:00 Uhr: Ich gehe zu meinem Hausarzt. Zwar wurde es mir nicht ausdrücklich angeraten, aber ich lasse lieber dort den Pflasterwechsel machen, denn nach 4 Monaten Wartezeit gehe ich keine Risiken mehr ein. Ich warte eine geschlagene Stunde im Stehen. Wir beschließen, noch einen Tag abzuwarten.

16:00 Uhr: Ich schlafe. Den ganzen Tag über fühle ich mich schlapp.

Donnerstagmorgen, 7:00 Uhr: Die Nackenschmerzen sind besser. Dafür tut mein Hintern weh. Eine Hose mit Gürtel tragen ist unangenehm bis schmerzhaft. Sitzen geht auch nur mit Einschränkungen. Schuhe binden ist nur unter erheblichen Schwierigkeiten möglich.

10:30 Uhr: Beim Hausarzt ist leider nicht eindeutig feststellbar, wieviel Flüssigkeit aus der Wunde kommt. Ich war nämlich zuvor duschen, und der Verband hat sich bis oben hin vollgesogen. Die untere Wunde sieht sehr gut aus, aber die obere ist leicht gerötet. Man gibt mir lustige Damenbinden mit für eventuellen weiteren Ausfluss. Es ist bemerkenswert, wie weit die Peinlichkeitsschwelle ansteigt, wenn man einmal vier Monate lang eine Fistel am Hintern hat (dieser Beitrag ist der Beweis).

Freitag:
Sitzen ist immer noch schwierig, aber zumindest der Verband kann auf ein wasserdichtes Pflaster reduziert werden. Ich gehe trotzdem wie ein alter Mann und sitze in seltsamen Verrenkungen. Wenn es zwischenzeitlich gar nicht geht, muss die liebe Pharmaindustrie etwas nachhelfen. Insgesamt bin ich aber recht zufrieden und zuversichtlich, dass ich in zwei bis drei Wochen meine Fäden los bin und damit letztendlich auch dieses unsägliche Problem…

Neues vom Elend

Für Nicht-Eingeweihte muss es erklärt werden: seit irgendwann im Herbst letzten Jahres habe ich einen Sinus pilonidalis oder – verständlicher gesagt – eine Fistel am Hintern. Als diese sich Im November mit etwas Blut und Eiter bemerkbar machte, ging ich sofort zur Närakuten, einer Art Notdienst und Hausarztersatz für Kleinigkeiten. Der Arzt hieß Mohammed und diagnostizierte das Problem erfolgreich. Das war aber auch so ziemlich das einzige, was erfolgreich war.
Die angestrebte Therapie, das Ding einfach ausheilen zu lassen, schlug nämlich fehl, und als das nach gut drei Wochen regelmäßiger Verbandswechsel durch Krankenschwestern klar wurde, sagte die herbeigerufene Ärztin, das müsse auf alle Fälle operiert werden. Also wurde ich überwiesen – da war schon fast Mitte Dezember.
Ich rief beim Krankenhaus an, dass man mir doch bitte keinen Termin in der Zeit geben solle, in der ich in Deutschland bin. Die lakonische Antwort darauf war, dass ich vorher ohnehin keinen bekommen hätte.

Am 4. Februar schließlich, also mehr als 2 Monate nach Beginn der Behandlung, schaute sich dann endlich ein Chirurg die Sache an. Und – welch eine Überraschung – es ist eine typische Fistel!

Heute, also über zwei Wochen später, habe ich nun meinen Operationstermin erfahren: 20. März, also rund 4 Monate nach Beginn der Behandlung.

Das schwedische Gesundheitssystem fällt bei mir nach und nach durch – hätte man die Operation schon Ende November durchgeführt, hätte ich mir vier Monate lang den täglichen Pflasterwechsel und viele Gänge zu meiner Vårdcentralen erspart. Unterm Strich war so der Personal- und Materialaufwand für das Gesundheitssystem erheblich höher.

Mir bleibt nur zu hoffen, dass sich an diesem Zustand bald etwas ändert – und die Sache für mich persönlich am 20. März endgültig erledigt ist.

Doppelstudent

Studentenausweise

Ein paar Dinge zum Wochenende:

  • Manche Leute sind ja schon froh, wenn sie überhaupt studieren dürfen. Ich bin seit dieser Woche Student an gleich zwei Hochschulen. Das liegt aber weniger an meiner akademischen Brillanz, sondern lediglich daran, dass ich einen Kurs an der Stockholmer Universität mache. Die Physik-Abteilung ist zwar im gleichen Gebäude wie die Physik-Abteilung der KTH, aber da endet die Kooperation auch schon, wie es mir scheint. Um nämlich einen Kurs bei der SU zu belegen, muss ich mich hochoffiziell dort einschreiben. Das heißt konkret, 480 Kronen (ca. 50 €) an die Studierendenschaft zu zahlen. Witzigerweise erfülle ich eigentlich nicht einmal die Bedingungen, weil ein Nachweis der Schwedischkenntnisse verlangt ist. Da der Kurs aber ohnehin auf Englisch ist, ließ man das als Ausnahme zu. In Kürze darf ich nun sogar bei den Wahlen zum Studentenparlament mitwählen. Ein ziemlich teures Wahlrecht ist das aber schon.
  • Wenn ich die lahmarschigste Behörde Schwedens küren müsste, hätte die Försäkringskassan bei mir schon längst gewonnen. Es handelt sich dabei um die allgemeine Sozial- und Krankenkasse für alle Schweden. Obwohl sonst ja alles sehr praktisch mit der Personnummer geregelt ist, funktioniert es bei der Försäkringskassan offenbar so, dass man sich dort trotzdem nochmals getrennt anmelden muss. Das habe ich in meiner Erinnerung schon einmal auf Aufforderung im Jahr 2005 getan. Mit meinem aktuellen medizinischen Problem musste ich aber feststellen, dass dies nicht geschehen ist. Also habe ich mich nochmals Ende November per Formular angemeldet. Dann passierte erstmal gar nichts. Erst auf Nachfragen per Telefon und Mail regte sich etwas – und siehe da: heute konnte ich endlich meine europäische Krankenversicherungskarte bestellen. Die Geschichte ist übrigens kein Einzelfall – meiner Freundin ging es kaum anders. Ich habe Hoffnungen, dass mein Arztbesuch in Deutschland noch vor 2009 ersetzt wird….
  • Nicht erheblich schneller ist die chirurgische Abteilung des Krankenhauses. Am 4.2. kündigte man mir eine Wartezeit von rund einem Monat auf meine Operation an. Bis heute weiß ich von noch keinem Termin. Telefonischer Kontakt ist nur über eine Hotline möglich, die mich rausschmeißt, sobald ich die Taste drücke, die ich laut Ansage drücken soll.
  • Dagegen sind meine Computerprobleme geradezu ein Hochgenuss. Ein neues Mainboard ist jedenfalls schon bestellt.