Münte kommt

Nachdem ich es mir in meinem neuen Domizil so langsam gemütlich mache, kann auch wieder gebloggt werden.

Meine Zeit als Busfahrer geht auch zu Ende. Glücklicherweise ging etwas mit meinen Dienstplänen schief, so dass ich morgen nicht arbeiten ist.
Es eröffnet nämlich eine Ausstellung über Willy Brandt, eine Kooperation des Palmecenter und der Friedrich-Ebert-Stiftung. Da Willy ja auch einen Teil seines Exils hier verbracht hat, passt dies auch gut.

Das wird großes Kino, denn die Gästeliste ist mehr als nur ansehnlich:

Es kommen:

  • Ingvar Carlsson, ehemaliger Regierungschef Schwedens
  • Franz Müntefering, bekanntermaßen Vizekanzler

Das ist schon bemerkenswerte Prominenz. Es fehlt eigentlich nur noch Egon Bahr.
Natürlich werden nur Sonntagsreden geschwungen werden, aber alleine, dass sich Münte wegen so etwas nach Schweden begibt, ist schon großartig.

Der ganze Spaß findet morgen von 11 bis 13 Uhr im ABF-Huset statt, Sveavägen 41, Stockholm.

Gedanken zum Tage

Es ist fast halb 3 Uhr in der Nacht. Ich bin gerade von der Arbeit zurückgekommen und fühle mich gerade noch so in der Lage, ein paar Dinge über die letzten Tage loszuwerden.

  • Letztes Wochenende war OB-Wahl in Rastatt. Positiv ist aus meiner Sicht ist, dass es zu einer Stichwahl kommt und es zumindest einen aussichtsreichen Gegenkandidaten zum Amtsinhaber gibt, der das Rennen noch spannend machen könnte. Allerdings hat Walker gute Chance auf eine neue Amtszeit, da ihn aus dem Stand 46 % gewählt haben. Es ist mir echt ein Rätsel, wie so etwas zustande kommt. Viele Freunde hat Walker sich in den letzten Jahren ja nicht gemacht.
  • Beim Lesen dieses Artikels kam mir dann auch ein, wer eventuell Kanzlerkandidat der SPD im Jahr 2009 werden könnte: Klaus Wowereit. Wenn wir verlieren, hatten wir wenigstens eine gute Party. Wenn wir gewinnen, haben wir den ersten homosexuellen Regierungschef, was auch sehr innovativ wäre.
  • Nochmal Politik: hier in Schweden hatte die Regierung gerade einjähriges Jubiläum. Die meisten Kommentatoren bescheinigen der Regierung eine mittelmäßige Leistung. Eine umfassende Analyse spare ich mir hier, aber grob gesagt ist es eigentlich so, dass die Regierung genau das macht, was sie im Wahlkampf angekündigt hat – und die Schweden merken so langsam, dass ihnen das doch nicht so gefällt. Die Umfragenwerte sind im Keller und im Detail bemerkt man Dissonanzen zwischen den Regierungsparteien – deren Forderungen stehen sich teilweise diametral entgegen. Das wird die Regierung sicher nicht zerbrechen lassen, aber Zeichen des Bröckelns sind ohne Frage medienwirksam. Der Rücktritt des Verteidigungsministers Odenberg und der Verlust der bürgerlichen Mehrheit in dem an Stockholm nördlich angrenzenden Sundbyberg machten sich deutlich bemerkbar.
  • Seit letztem Wochenende hat der Umzug in eine neue Wohnung begonnen. Mittlerweile war ich schon dreimal bei einem namhaften schwedischen Möbelhaus.
  • Köttbullar und Fressalien am Ausgang sind übrigens nicht etwa ein Exportgag von IKEA – das ist in Schweden selbs nicht viel anders.
  • Ich möchte an dieser Stelle auch die schwedische Ehrlichkeit loben. Bei einem IKEA-Besuch habe ich meinen MP3-Player irgendwo verloren. Tags darauf hatte ich ihn wieder zurück. Ich bin begeistert.
  • Übrigens haben wir nicht alle Möbel von IKEA. Zur Unterstützung der deutschen Wirtschaft haben wir unsere Lampen bei Bauhaus gekauft.
  • Einen sehr mondänen Schreibtisch wollte ich bei einer Konkursauktionenwebseite ergattern. Leider wurde mir das dann doch zu teuer und ich stieg aus. Stattdessen habe ich nun ein vergleichbares Modell, das neu ist und nicht viel teurer. Einen Schreibtischstuhl konnte ich aber für rund 50 € erwerben. Ich hatte mich dabei zunächst gar nicht damit auseinandergesetzt, welche Firma denn da abgewickelt wurde. Jetzt bei der Abholung sah ich es umso deutlicher: es war die Kinokette Astoria Cinemas, deren Niedergang ich schon neulich bedauert hatte. Da ich heute der Zerfledderung der Büroräume beiwohnen durfte und an den Kinos Plakate hängen, dass jetzt gerade Sommerpause sei, ist damit das Ende von Astoria definitiv besiegelt – mit einer Rettung durch einen Investor ist da wohl nicht mehr zu rechnen.

Wahltag

Ich will mich nicht lange darüber auslassen, aber eine Erwähnung ist es auf alle Fälle wert. Heute ist OB-Wahl in meiner Heimatstadt Rastatt. Eine konkrete Wahlempfehlung zugunsten eines Kandidaten möchte ich nicht aussprechen, aber ich möchte ganz klar Position gegen den jetzigen Amtsinhaber Klaus-Eckhard Walker beziehen, der in den letzten Jahren alles daran gesetzt hat, die ganze Stadt gegen sich aufzubringen und Rastatt im ganzen Land vorzuführen. Insofern hoffe ich inständig, dass es einer seiner Gegenkandidaten machen wird.

Breaking News

Wie mir gerade brandheiß mitgeteilt wurde, gibt es bei der Oberbürgermeisterwahl in Rastatt nach der zunächst erfolglosen Gegenkandidatensuche gleich fünf Konkurrenten für Amtsinhaber OB Klaus-Eckhard Walker: neben den beiden CDU-Kandidaten Christof Nitz (offiziell CDU) und Hans Jürgen Pütsch (auch CDU, aber von einer Bürgerinitiative unterstützt) tritt als unabhängiger Kandidat Wolfgang Weinbrecht, ein örtlicher Unternehmer, an. Unglaublich, aber wahr: kurz vor Bewerbungsschluss gab Klaus Josef Muth, Student und ehemaliger Klassenkandidat von mir, seine Unterstützerunterschriften ab. Da sage ich nur: Klaus for President! Das verspricht, ein sehr spaßiger Wahlkampf zu werden.

Midsommar

Früher machte IKEA damit Werbung, dass blonde Menschen mit Blumenkränzen im Sommer um eine Art Maibaum herumtanzten. Konkret geht es dabei um den Brauch zu Midsommar, in ganz Skandinavien ein ziemlich bedeutender Tag. Den Grund dafür erkennt man leicht aus folgenden Werten:

Beginn der Morgendämmerung 1:58 Uhr
Sonnenaufgang 3:30 Uhr
Sonnenuntergang 22:08 Uhr
Ende der Abenddämmerung 23:40 Uhr

Das sind die Daten für heute. Das geißt, dass es praktisch keine Nacht mehr gibt. Gestern war natürlich der längste Tag des Jahres und damit noch geringfügig länger. Im Gegensatz zur manchen landläufigen Meinung war Midsommar aber nicht gestern, sondern ist immer am Samstag nach dem 21. Juni, also morgen. Heute ist hingegen auch so gut wie Feiertag, der sogenannte Midsommarafton. Er ist einer dieser inoffiziellen de-facto-Feiertage. Dieses Wochenende passiert wirklich überhaupt nichts. Keine Fahrstunde heute, und auch mein ICA schließt schon um 14 Uhr. Entgegen der IKEA-Darstellung tanzen allerdings viele Schweden nicht um die Stange herum. Hauptbeschäftigung für die meisten ist, sich hoffnungslos zu besaufen.

Mein zweites Midsommar wird aber genauso unspektakulär sein wie letztes Jahr. Zwar gießt es nicht in Strömen, aber der Himmel ist grau, und ich habe keine Ahnung, was ich machen soll, weil praktisch alle Bekannten und Freude ausgeflogen sind. Also lasse ich es mir einfach etwas gut gehen.
Ab heute ist auch zwei Monate lang gesellschaftlicher Stillstand angesagt. Öffentliche Einrichtungen haben, wenn überhaupt, nur sehr eingeschränkt offen, und die Stadt ist merklich leerer.

Weniger schön ist Midsommar dieses Jahr für die Inhaber des Professorn – das ist das „Restaurant“ gegenüber meines Zimmers – wo eine Scheibe zu Bruch ging.

Mir persönlich verschönt gerade dieses Interview mit Egon Bahr den Tag. Schön zu wissen, dass es in der SPD noch Leute gibt, die etwas vernünftiges zu sagen haben. Weniger schön ist allerdings, dass diese Leute meist schon im Greisenalter sind.

Euroisiert

Euro - sxc.hu

Meine Freunde kennen mich als großen Fan der EU und des Euro. Umso betrüblicher ist es für mich, dass mein Wohnland sich so zurückhaltend in Sachen EU verhält. Bei den Schweden geht es immer ums Prinzip, und bei einem Bürokratiemonster mit oft nicht mehr wirklich durchschaubaren Strukturen, wie es die EU heutzutage ist, halten sie lieber Abstand.

Es ist dennoch erstaunlich, dass sich in der letzten Zeit das Thema Euro hierzulande wieder mehr zu bewegen scheint. Die bürgerliche Koalition nähert sich nämlich langsam dem Thema an: die Zentrumspartei, bei der Volksabstimmung 2003 noch klar ablehnend gegenüber dem Euro, ließ durchblicken, dass man zumindest über eine Kursänderung nachdenken könnte. Aus der liberalen Volkspartei kamen kürzlich sogar Vorschläge, man könne schon 2010 wieder eine Volksabstimmung durchführen.

Kurz zu den Fakten: der Euro geht bekanntermaßen auf den Vertrag von Maastricht aus dem Jahr 1992 zurück. Alle Länder, die danach der EU beigetreten sind, haben damit gleichzeitig die Einführung zugesichert. Die Länder, die vorher schon Mitglied waren, haben ein Ausstiegsricht (sogenanntes Opt-Out). Da Schweden erst seit 1995 in der EU ist, muss der Euro also eigentlich eingeführt werden. Man behilft sich allerdings mit einem Trick: für die Euro-Einführung muss die eigene Währung erst einmal 2 Jahre lang im sogenannten Wechselkursmechanismus II (WKM II) fest an den Euro gekoppelt werden. Die Älteren werden sich erinnern: ein Euro war mal 1,95583 DM. Schweden geht aber nicht in den WKM II und kann somit den Euro nicht einführen. Eine Volksabstimmung im Jahr 2003 brachte eine Ablehnung von 56% – das nächste Mal wollte man eigentlich erst 2013 abstimmen lassen. Die schwedische Währung bewegt sich also nach wie vor frei, wobei man natürlich versucht, allzu große Schwankungen zu vermeiden. Normalerweise pendelt die Krone irgendwo um 9,20 kr pro Euro, momentan ist sie aber bei fast 9,40 kr pro Euro, was sich auf den Import durchaus auswirken dürfte.

Die Reichsbank hat reagiert und den Zinssatz von 3,25 % auf 3,5 % angehoben. Der Markt reagierte nicht sonderlich begeistert darauf. Da ich kein Wirtschaftsexperte bin, kann ich hierzu kaum qualifizierte Kommentare abgeben. Manchmal frage ich mich allerdings, ob Schweden mit dem „Euro light“, wie ihn die Dänen haben, nicht besser fahren würde. Dort hat man die Währung früher an die D-Mark und heute an den Euro gekoppelt. Die Währung hängt also fest am europäischen Markt – und sollte man sich irgendwann doch zur Einführung des Euro-Bargelds entscheiden, könnte man das schneller machen als hier in Schweden. Das einzige, was dagegen spricht, ist der Druck der EU, wenn man die Konvergenzkriterien alle erfüllen sollte und trotzdem den Euro nicht einführt.

Gestern ging übrigens diese Meldung herum: 54% der Schweden sind laut der Umfrage gegen den Euro. Das bemerkenswerte daran ist, dass 2007 sicher nicht als Jahr der Euro-Euphorie in die Geschichte eingehen wird und dennoch 26% der Befragten nicht wussten, ob sie dafür oder dagegen sind. Wenn man dieser fragwürdigen Stichprobe glaubt, dann hat man einen erheblichen Anteil der Bevölkerung, die sich noch vom Euro überzeugen lassen würden. Sollten wieder bessere Zeiten für die EU kommen, wird auch die Mehrheit dagegen etwas abschmelzen. Ob es aber für eine Mehrheit dafür reichen wird, steht noch in den Sternen. Zweifel an einem neuen Referendum gibt es jedenfalls genügend. Ich bin der Ansicht, dass sich in zwei bis drei Jahren aber auch einiges verändern kann.

Meine größte Hoffnung ist, dass die baltischen Länder den Ausschlag geben werden. Wenn diese auch den Euro einführen, vereinsamt Schweden langsam aber sicher als Ostseeanrainer ohne Euro-Anbindung.

Restart

Nach 13 Tagen Ruhe hier wird es Zeit für ein kleines Update:

  • Ich habe meine Masterarbeit präsentiert. Es lief ganz gut, fand ich. Ich hatte nur 5 Besucher, aber das war auch zu erwarten. Einer machte sich die ganze Zeit Notizen, und ich erwartete, dass er mich am Schluss in die Pfanne hat. Dem war aber nicht so – es wurde eher ein Nostalgietrip darüber, wie man solche Messungen vor 40 Jahren durchführte.
  • Die Klausuren liefen nicht gut. Same old story.
  • Zwischenzeitlich hatte ich gute Hoffnungen, zusammen mit Anita eine Wohnung zu kriegen. Diese Hoffnung hat sich zerschlagen. Nun beobachten wir etwas den allgemeinen Wohnungsmarkt. Über das irrwitzige schwedische System und Parallelen zwischen Trabis und diesem System in Kürze mehr.
  • Ich habe mittlerweile schon eine Menge Busfahrstunden gehabt. So ein Bus ist schon verdammt lang – 12 Meter, um genau zu sein. Das bedeutet, dass man in Kurven sehr weit ausholen und rechtzeitig gegenlenken muss, damit man nicht gegen die Ecke fährt. Allgemein wirkt die Fahrspur auch sehr klein. Die Regel, dass man in einem Tempo-50-Bereich nach Möglichkeit auch 50 fahren soll, sofern es vertretbar ist, sollte man ignorieren. Tempo 30 in der Stadt geht vollkommen in Ordnung, weil mit Autos am Rand möchte man ungern heizen. Das Ganze läuft mittlerweile ganz gut, aber es müssen nun nur noch wenige Ecken daran glauben, und ich übe nun an dem wohl schwierigsten: Kreisverkehre. Sobald die Sachen einigermaßen im Griff sind, hoffe ich, dass es dann auch bald losgeht.
  • Mittsommer steht vor der Tür. Ab Freitag verbringen die allermeisten Schweden ihre Zeit damit, Schnaps und Milch zu trinken, Erdbeeren zu essen und um eine Art Maibaum herumzutanzen. Ich weiß noch nicht so recht, was ich machen werde. Es ist allerdings gut möglich, dass mir das Wetter die Entscheidung abnimmt. Es ist nämlich Regen angekündigt.
  • Ich habe den längst überfälligen Schritt vollzogen und mich aus Deutschland abgemeldet. Das heißt für mich nun, dass ich meine Erwerbseinkünfte aus Deutschland hier versteuern muss, womit ich sicherlich noch viel Freude haben werde. Der Anlass ist am ehesten, dass in Kürze mein Pass abläuft und ich nicht ewig in zwei Ländern gemeldet bleiben kann – anderen Länderm mag das egal sein, aber das deutsche Melderecht mag das gar nicht.
  • Etwas schade ist nur, dass ich im Herbst bei der Rastatter OB-Wahl nicht mitstimmen kann. Eigentlich betrifft es mich ja nicht mehr direkt, aber nach all den Ausfällen von Klaus-Eckhard Walker in den letzten Jahren hätte ich gerne aktiv abgewählt. Die Rastatter sind auch selbst schuld, wenn sie ihm für all die Geschichten noch einmal das Vertrauen aussprechen würden. Umso schockierter war ich, dass die Parteien anscheinend nicht beabsichtigen, Gegenkandidaten aufzustellen. Der CDU war es letztes Mal immerhin gelungen, mit ihrer recht schwachen Kandidatin Margret Mergen fast den Sieg einzufahre. Dieses Jahr sollte dies mit einem anständigen Kandidaten ein leichtes sein. Zum Glück ist ein Gegenkandidat in Sicht, der Interesse angemeldet hat.
  • Zur anderen Politik: Michael Moores neuer Film „Sicko“ geistert schon herum. Ich habe ihn einmal angeschaut. Es ist natürlich wie immer die gleiche Leier: böse Wirtschaftsbosse in den USA und deren Komplizen aus der Politik sind daran interessiert, ein System am Laufen zu halten, das ihnen selbst am meisten nützt. Das ganze wird gewürzt mit plakativen Einzelbeispielen – eines aus Moores Heimatstadt Flint im Staat Michigan – und etwas Bush-Bashing. Letzteres ist aber erfreulicherweise nur in einer stark abgeschwächten Form vorhanden. Eine Weiterentwicklung im filmischen Bereich ist jedoch kaum zu erkennen. Es wäre schön, wenn Moore auch einmal neue Konzepte ausprobieren würde. Sein Anliegen ist wie jedes Mal nicht abwegig: erhebliche Teile der amerikanischen Bevölkerung haben keine Krankenversicherung. Hinzu kommt, dass die Krankenhäuser auch für kleine Behandlungen Unsummen verlangen und die auf Gewinnmaximierung bedachten Krankenversicherungen gerne jede Leistung zweimal in Frage stellen, bevor sie bezahlt wird. Das muss sich ändern, sagt Moore, aber wie immer legt er keine Alternativkonzepte vor. Immerhin zeigt er Gegenbeispiele – wie in „Bowling for Columbine“ ist das Kanada, wo laut ihm alles besser sein soll. Das zweite Beispiel ist Großbritannien, wo der National Health Service für jeden kostenlos sorgt. Dass die Briten mit der kränkelnden Struktur des NHS massive Probleme haben, erwähnt er freilich nicht. Großbritannien erscheint als das Paradies der Sozialgesetzgebung, was für europäische Standards nur sehr bedingt zutrifft – ich erinnere nur an Rentner, die in ihren Häusern erfrieren, weil sie kein Geld für die Heizung haben. Das dritte Beispiel ist Frankreich, was auch eine volle Salve Lob abbekommt. Auch hier gibt es schöne Sozialparadiesaufnahmen, auf die ghettoartige Bilder aus den USA folgen. Ein paar Bilder aus den Banlieus hätte das Bild durchaus abgerundet. Mit dem vierten und letzten Beispiel hat sich Moore meiner Meinung aber zu weit aus dem Fenster gelehnt: Kuba. Michale Moore hat dafür zwar einen wunderschönen Aufhänger gefunden, aber der Rest des Teils macht ihn zunichte. Er hat nämlich herausgefunden, dass die US-Basis auf Guantanamo Bay – für alle, die es nicht wissen: das liegt auf Kuba und ist von den USA durch einen exzellenten Knebelvertrag bis in alle Ewigkeit gemietet – kostenlose medizinische Versorgung für alle Gefangenen auf hohem Niveau hat. Also charterte er ein Boot und wollte von Florida aus mit Kranken, die sich keinen Arztbesuch leisten können, dorthin fahren. Was daraus wird, ist nicht zu sehen, da es, wie es im Film heißt, durch Vorschriften im Heimatschutzgesetz der USA nicht erlaubt, dies zu zeigen. Man kann es sich denken: die Küstenwache fängt ihn ein, bevor er in kubanische Gewässer fährt. Stattdessen fliegt er wohl mit einigen Kranken nach Kuba und chartert dort wiederum ein Boot. Wenig überraschend erhält er keine Antwort. Und weil er da ja schon einmal in Kuba war, kann man gleich dort schauen, wie es um die Gesundheitsversorgung steht. Eigentlich eine nette Überleitung. Meines Wissens ist das kubanische Gesundheitssystem tatsächlich richtig gut. Mit einer „Es ist ja nicht alles schlecht“-Attitüde kann man aber auch die DDR nachträglich zum Paradies auf Erden machen, was sie erwiesenermaßen nunmal nicht war. Also zeigt er keine Bilder von ärmlichen Verhältnissen, gleichgeschalteter Presse und polizeilicher Repression. Stattdessen fährt er in ein Krankenhaus, wo man die Kranken – schätzungsweise nach kurzer Rücksprache mit dem entsprechenden Ministerium – kostenlos und herzerweichend freundlich behandelt.So täuschen die Computertomographie-Geräte schön darüber hinweg, dass nicht alles in Kuba toll ist. Ausgerechnet den US-Erzfeind Kuba zum netten Diktatürchen zu verniedlichen und die dortige Gesundheitsversorgung anzupreisen, wird sogar die eher liberalen Zuschauer in den USA vergrätzen. Das zeigt leider zu deutlich, was Moores Botschaft ist: wir machen es schlecht, und nahezu alle anderen machen es besser. Kuba als Gegenbeispiel darzustellen zeigt nur zu deutlich, wie oberflächlich Moore in der Sache ist. Hätte er besser mit den Briten abgeschlossen – die stehen den USA in vielen Dingen nahe und könnten ein schönes Gegenmodell abgeben. Dennoch muss ich sagen, dass der Film bei mir besser wegkommt als „Fahrenheit 9/11“. Weniger Pathos, weniger herumheulende Leute, obwohl das Thema und die dahinter liegenden Geschichten nicht sehr erbaulich sind. Moore sollte sich nach diesem Film aber einmal etwas Neues überlegen, denn mit dieser Art Film wird er nicht auf ewig volle Kinosäle haben.
  • Zweiter Film des Tages: „Befreiung“, ein Fünfteiler aus der Sowjetunion, der die zweite Hälfte des Zweiten Weltkriegs darstellt. Neben exzellenten Darstellern für Stalin, Hitler, Churchill und Roosevelt hat er auch eine detailgetreue und dennoch propagandistisch hingebogene Version der Ereignisse zu bieten. So ist Graf von Stauffenberg laut dem Film zwar kein Kommunist, aber hält diese für den Wiederaufbau von Deutschland für notwendig – die in den Mund gelegte Aussage kann natürlich nie widerlegt werden. Die „Anglo-Amerikaner“, wie sie nach offizieller DDR-Sprache hießen, haben ohnehin nur Probleme, während Stalin als schlauer Fuchs genau weiß, was abläuft, und den Krieg praktisch alleine gewinnt. Die Franzosen werden als Weiberhelden dargestellt, die die hübschen Sekretärinnen der Sowjets angraben. Rotarmisten, die nicht heldenmütig sind, finden sich nur vereinzelt und werden zur Strafe entweder erschossen oder degradiert. Als sie dann nach Berlin einmarschieren, versuchen sie auch sogleich, die deutsche Bevölkerung mit Wodka und netten Phrasen aus dem Wörterbuch für sich zu gewinnen. Immerhin wurde die Reaktion der Deutschen als skeptisch zurückhaltend dargestellt, damit die Tatsachen nicht vollkommen verzerrt sind. Alles in allem sehr sehenswert und mit gewaltigem Aufwand gemacht.

Demonstranten

Sehr erfreulich, dass ich vorwiegend Zustimmung zu meinem recht emotionalen Beitrag über den fragwürdigen Artikel in DN bekommen habe. Vergessen hatte ich zu erwähnen, dass ich Lewenhagen einen Leserbrief geschrieben habe, wo ich auch darum bat, dass man den Artikel etwas mehr in den Kontext hätte setzen müssen. Wenn man eine derart unglaubwürdige Interviewaussage präsentiert, sollte man soweit mit umgebenden Fakten ausstaffieren, dass der Leser sofort merkt, dass da etwas faul ist. Das war leider bei dem DN-Artikel nicht so.

Heute nun das wieder in der DN – Demonstranten von den schwedischen Grünen wurden festgenommen, weil in deren Bus Masken gefunden wurden. Zwar muss man dem Korrespondeten zu Gute halten, dass er auch über andere Dinge im Umfeld von Heiligendamm berichtet. Dennoch wird hier schon der Eindruck erweckt, in Deutschland würde man einfach so mal wegen nichts verhaftet – was von der Realität sehr weit enfernt ist.

Ich frage mich, was in Schweden los wäre, wenn es Krawalle mit brennenden Autos und 400 verletzten Polizisten gäbe: Aftonbladet und Expressen würden ein Jahr lang am Stück das Blatt mit „EXTRA“-Schriftzügen vollkleistern. Metro käme mit der superexklusiven Geschichte, dass irgendwer mit irgendwem irgendwas gemacht habe, was wahrscheinlich illegal, aber zumindest superschockierend für den Durchschnittsschweden sein soll, und das sich nachher als Ente herausstellt. Svenska Dagbladet brächte wahrscheinlich einen Bildband heraus…
Genug gesponnen: die Polizei würde nicht minder hart zugreifen, das ist sicher. Wenn die deutsche Regierung schlau wäre, hätte sie nicht so ein Theater um die Geschichte gemacht oder – noch viel schlauer – den Quatsch einfach nicht bei sich veranstaltet.

Ungeheuerlich

Ich verkneife mir einen längeren Kommentar zu den Vorgängen in Rostock. Aber wenn ich lese, was Dagens Nyheter heute schreibt, geht mir der Hut hoch.

Der Deutschlandkorrespondet Jan Lewenhagen berichtet da über den 27-jährigen Schweden Jonas, der in Rostock festgenommen wurde. Jener meint nämlich:

Das war das reinste Guantanamo

und sagt von sich selbst, dass er nicht besonders politisch interessiert sei. Einige Perlen der Weisheit hat er auch zu bieten:

Die G8 diktiert die Situation im Rest der Welt

Aber er sei halt trotzdem nach Rostock mitgenommen, weil da ja was los sei, und das sei toll.

Daran, dass er zufälligerweise genauso gekleidet war wie die Leute, die mit den Steinen warfen, ist aus seiner Sicht wohl nichts ungewöhnliches. Er trug nämlich schwarz, obwohl:

Da schmilzt man ja drin!

Außerdem war er maskiert – und er habe nicht gewusst, dass das in Deutschland verboten sei. Dass er wie die ganzen Steinewerfer aussah und auch noch am gleichen Ort war, ist also reiner Zufall. Auch sonst ist er natürlich ein unschuldiges Opfer der Justiz, denn er habe keinen einzigen Stein geworfen. Das halte er für falsch.

Dann habe man ihn einfach so mal verhaftet und eine Lagerhalle gesteckt. Das sei da fürchterlich laut gewesen und wegen des Neonlichts konnte man auf den dünnen Unterlagen, die man ihnen gegeben hatte, nicht schlafen. Ansonsten sei die Polizei aber sehr „seriös“ gewesen.

Heute morgen um 6 sei er dann wieder auf freien Fuß gesetzt worden, mit der Visitenkarte eines Anwalts im Gepäck, der ihn noch in Haft aufgesucht habe.

Seinen Namen wolle er aber nicht nennen:

Sonst macht sich die Mama Sorgen!

Mal im Ernst: Wer soll denn die Geschichte glauben?

Ein angeblich unpolitischer Schwede, der sich rein zufällig genauso kleidet wie gewalttätige Autonome, treibt sich ebenso zufällig bei Krawallen in Rostock herum und wird von der Polizei verhaftet.

Die 10 Stunden in Gewahrsam, in denen sich die Polizisten „seriös“ verhalten haben sollen und man ihm einen Anwalt sowie einen Schlafplatz gab, sollen wie Guantanamo gewesen sein? Wie stellt der sich denn deutsche Gefängnisse vor? Federbetten mit reichlich Bier und Wurst im Kühlschrank???
Und vor allem: wie stellt der sich Guantanamo vor? Er kann sich ja bei Gelegenheit mal mit Murat Kurnaz unterhalten.

Ganz nebenbei, lieber Jonas: wenn man sich vermummt, ist das auch in Deutschland vollkommen legal, sofern man nicht gerade mit einer Waffe in eine Bank läuft oder dabei ist, Polizisten niederzuknüppeln.

Nachtrag: da irrte ich mich selbst – es gibt ein Vermummungsverbot. Im neuen Layout wird die Streichung des einen Zitats oben leider nicht korrekt angezeigt (korrigiert).

Unklug

Die Website der Billigfluggesellschaft SkyEurope musste sich vor längerem etwas Spott gefallen lassen, weil sie die Texte dort etwas unüberlegt übersetzen hatte lassen: man hatte als Bezeichnung für den persönlichen Service das Wort „Sonderbehandlung“ gewählt. Ein Wort, dass leider zuvor von der SS für die Ermordung in der Gaskammer missbraucht worden war und damit für alle Zeiten unbenutzbar geworden ist.

Was sich die Herrschaften vom SPIEGEL hierbei gedacht haben, würde ich auch gerne mal wissen:

SPIEGEL - Reihen fest geschlossen

Einen Artikel über die Bundeswehr so zu bebildern ist ja in Ordnung, aber die Bildunterschrift „Die Reihen fest geschlossen“ ist mehr als unglücklich. Es gab da nämlich mal so ein Lied, das dann so weiterging: SA marschiert mit ruhigem, festen Schritt…
Dieses Lied ist in Deutschland sogar verboten – und daher disqualifiziert sich so eine Bildbetitlung automatisch.