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Führerschein

Gestern 8 Uhr. Das Telefon klingelt.
„Fabian, weißt du, was ich für dich habe“, sagt eine Frau auf schwedisch.
„Ja“, lüge ich perplex und unwissend. Sie scheint das nicht zu irritieren
„Ich habe einen Prüfungstermin für die Theorieprüfung. Nämlich morgen um 9.45 Uhr“
„Aber ich habe kommende Woche Prüfungen an der Uni, und außerdem habe ich ohnehin schon einen Termin für kommende Woche Donnerstag.“, argumentiere ich zurück. Wegen der langen Verzögerung beim Umtausch meines Führerscheins bin ich gelinde gesagt auch etwas aus der Übung.
„Ja, aber du machst ja schon seit März, und wird jetzt langsam Zeit.“
Widerwillig akzeptiere ich den neuen Termin. In der Tat ist ja auch etwas Eile geboten, denn meine ersten Kontakte mit der Busfahrerwelt sind schon mehr als drei Monate her, und schon in einem Monat soll ich die Straßen unsicher machen. Nachmittags sitze ich dann am Computer in der Fahrschule und mache Testprüfungen. Nach rund 12 Durchläufen habe ich wirklich auch die letzte Frage einmal gesehen und kenne viele Antworten schon auswendig. Das ist trügerisch, denn die Fragen sind natürlich nicht identisch mit denen in der offiziellen Prüfung. Also pauke ich mir noch Arbeitszeitregelungen und Achslasten ein.

Heute morgen dann einmal wieder die Begegnung mit dem modernen schwedischen Staat. Der helle Vorraum der Prüfungsräume beherbergt eine Reihe Fotokabine, wo man selbst das Foto für den Führerschein machen kann – alles elektronisch, versteht sich. Spaßeshalber nehme ich bei der Sprachenauswahl deutsch. Daher könnte ich mir auch ein Lächeln nicht verkneifen, denn die Computerstimme spricht vernehmbar mit österreichischem Akzent.
Die Prüfung selbst ist auch am Computer, und zwar browsergestützt. 60 Fragen gibt es. 5 sind Dummy-Fragen, die anscheinend Kandidaten zur Übernahme in den offiziellen Fragekatalog sind und die man zuerst an realen Versuchskaninchen testen will. Leider kriegt man bei diesen Fragen auch keine Punkte. Von den verbleibenden 55 Fragen muss man mindestens 44 richtig beantworten. Nach knapp 40 Minuten (so viel Zeit hat man) dann der Moment der Spannung. Ich klicke auf „Avsluta“ (Abschließen) und das Ergebnis erscheint. 45 richtige! Bestanden!

Netterweise zeigt das System dann auch an, welche Fragen falsch waren. Weniger nett ist allerdings, dass einem nur gesagt wird, dass die Antwort falsch war, aber nicht, welche richtig gewesen wäre.

Ist ohnehin egal – auch knapp bestanden ist bestanden, und wenn man rund 24 Stunden vorher bescheid kriegt, dass man Prüfung hat, schaut man weniger auf die Punktzahl.

Nächste Woche geht es also auf die Piste, hoffe ich.

PS: das Bild oben zeigt meinen neuen schönen schwedischen Führerschein. Ein Detail wurde vom deutschen Führerschein nicht übernommen: mit diesem darf ich keine Lastzüge mehr fahren, bei denen der gesamte Zug schwerer ist als 12 Tonnen. Da das Zugfahrzeug nur 7,5 Tonnen wiegen darf und der Anhänger nur eine Achse haben darf, ist dieser Fall aber ohnehin hypothetisch. Ein weiterer kleiner Nachteil: der Führerschein muss alle 10 Jahre verlängert werden. Das ist aber auch nicht weiter tragisch, denn das wird in Deutschland – wenn auch mit großzügigen Übergangsfristen – auch kommen. Ein Schmankerl hat die ganze Sache in jedem Fall: da ich ja die alte Klasse 3 gemacht habe und somit Inhaber des Führerscheins CE (Lkw mit Anhänger, in meinem Fall natürlich auf 7,5 t beschränkt) bin, kriege ich beim Erwerb des Busführerscheins nicht etwa Klasse D (Bus), sondern gleich Klasse DE (Bus mit Anhänger). Das beruht wohl darauf, dass die Macher der Regeln davon ausgingen, dass jemand, der einen Lkw mit Anhänger fahren kann, auch einen Bus mit Anhänger fahren kann. Eine kleine Lücke im System in diesem Fall, denn natürlich ist nicht bedacht worden, dass man in Deutschland früher auch einen CE-Führerschein, wenn man gar kein Lkw fahren konnte, schon gar nicht mit Anhänger. Ich selbst bin auch nicht gerade ein Anhängervirtuose, aber den DE-Führerschein nehme ich gerne. Dass ich jemals einen Bus mit Anhänger fahren werde, ist ohnehin unwahrscheinlich. Ein Gelenkbus zählt nämlich nicht als Bus mit Anhänger.

Eurovision

In Telefonaten mit Deutschland wurde mir in den letzten Tagen viel von der Osteuropa-Connection geklagt, die da den Eurovision Song Contest entschieden haben soll. Ich möchte diese Klagen nicht unterstützen – ein paar Gedanken zum Thema:

  • Das BILDblog bemerkt richtig, dass Serbien auch ohne Schützenhilfe aus dem Osten gewonnen hätte. Die Rechnung dort belegt das recht deutlich.
  • Die Liste bringt auch das Auswandererargument ins Wanken – so viele Ukrainer und Bulgaren wohnen nicht im Westen, dass es dafür reicht. In Sachen Türkei ist das Argument sicherlich nicht von der Hand zu weisen. Deutschland gibt ja schon seit Jahren Spitzenpunktzahlen an die Türkei, egal wie gut oder schlecht das Lied ist. Allerdings muss man auch die Deutschen da in die Pflicht nehmen. Wenn 1,76 Millionen Türken das Votum der restlichen ca. 80 Millionen Einwohner Deutschlands überstimmen können, dann sind die letzteren selbst schuld.
  • Die TED-Demokratie ist eigentlich keine – sie ist stark verzerrt, aber in vieler Hinsicht auch ehrlicher als eine Jury. Eine solche wäre nämlich genauso fragwürdig, da über ihre Besetzung irgendwelche Rundfunkgranden entscheiden dürften. Auf die jetzige Art kommt man den Leuten doch schon etwas näher.
  • Wir sind eigentlich schon ein ziemlich arroganter Haufen – die Schweden wie die Deutschen. Wir interessieren uns im Normalfall nicht dafür, was in Osteuropa passiert, und wir gehen davon aus, dass die Künstler von dort von vorneherein schonmal unbekannt sein müssen. Roger Cicero war ja immerhin schonmal eine nationale Größe, aber eben nirgendwo sonst. Die Serbin Marija ŠERIFOVIĆ ist bei sich zuhause anscheinend eine echte Hausnummer und eben auch in den Nachbarländern bekannt. Für den ach so fürchterlichen Ukrainer gilt dasselbe. Wann haben wir das letzte Mal jemanden hingeschickt, den außerhalb Deutschland jemand kennt?
  • In Schweden hat man notorisch zu hohe Erwartungen, weil man für die nationale Vorauswahl so einen Riesenaufwand macht. In Deutschland hingegen zahlt man die Zeche und ist noch nicht einmal bereit, ein vernünftiges Auswahlverfahren zu schaffen – trotz vorhandener föderaler Strukturen und inspirierender Vorbilder á la Stefan Raabs Bundesvision Song Contest. Stattdessen jedes Jahr Party auf der Reeperbahn – auch dem NDR kann man durchaus Arroganz vorwerfen, die Veranstaltung norddeutsch zu besetzen und damit die zahlreichen anderen Zentren der Republik außer Acht zu lassen. Miese Resultate und geringes Interesse sind die Folge. Bei Guildo war das noch etwas anders. Außerdem schaue man sich doch mal nur die Ergebnisse der letzten 15 Jahre an:
    • 1995: Stone & Stone kriegen nur einen Punkt und fahren das mieseste Ergebnis überhaupt ein.
    • 1996: Leon mit Blauer Planet scheiterte an einer vorgeschalteten Zwischenrunde, weil der Titel zu schlecht war. Daraufhin hat man die Regel eingeführt, dass wir immer im Finale sind – und damit auch geschickt davon abgelenkt, dass man zuletzt einfach nur noch unbekannten Schrott ins Rennen geschickt hatte.
    • 1997: Deutschland schneidet mit „Zeit“ von Bianca Shomberg wiederum miserabel auf Platz 18 ab.
    • 1998: Ein Komplott aus Guildo Horn und Stefan Raab bricht in das wohlbehütete Paralleluniversium ESC ein und macht das Dauerabo von Ralf Siegel kaputt. Deutschland kriegt einen prächtigen 7. Platz und ganz Deutschland interessiert sich plötzlich wieder für den Wettbewerb. Die Veranstalter können natürlich nichts dafür – außer, dass sie Guildo Horn haben teilnehmen lassen.
    • 1999-2003: in schönem Wechsel gewinnen Siegel und seine Gegner. Die guten Ergebnisse halten sich, bis auch Europa genug von Siegel hat und Corinna May im Jahr 2002 mit einem 21. Platz nach Hause schickt. Zwar kommt Lou das Jahr darauf noch einmal ganz gut weg, aber beim NDR macht man sich Gedanken, wie man die Sache noch interessanter machen könnte.
    • 2004: Stefan Raab eilt zur Rettung und schickt Max Mutzke ins Rennen, der auch recht erfolgreich ist. Das neue Regelwerk, nachdem man Chartplatzierungen haben muss für die Teilnahme, scheint zu funktionieren.
    • 2005: Gracia hat manipuliert und gewinnt den nationalen Vorausscheid, aber erreicht beim ESC nur den 24. Platz
    • 2006-heute: Um jede Peinlichkeit und echte Einflussnahme auf den Teilnehmer zu vermeiden, wird das Regelwerk gestrafft. Der Erfolg bleibt trotzdem oder gerade deswegen aus. 2006 war es ganz schlimm – wenn man die Wahl zwischen Vicky Leandros, Thomas Anders und einer Kombo von Olli Dittrich hat, muss man ja wohl oder übel letztere nehmen.

    Alles in allem also ein höchst absurdes Spektakel, das uns da der NDR jedes Jahr präsentiert.

  • Manche meinen ja, die Musik wäre dieses Jahr schlecht gewesen. Das stimmt nicht. In den letzten Jahren haben die ganzen Balkanländer immer irgendwelche Volksmusikmenschen zum Wettbewerb geschickt. Will man ihnen jetzt etwa vorwerfen, dass sie die Zeichen der Zeit erkannt haben und moderne Musik einbringen?
  • Wer jetzt über die Ostmafia schimpft, sollte sich auch mal die Frage stellen, wo denn die ganzen osteuropäischen Länder letztes Jahr waren. Die Antwort ist: sie waren fast alle dabei. Dennoch hat Lordi klar gewonnen.
  • Die einzige Wahrheit über diesen Wettbewerb ist: er ist unberechenbar. Die Abstimmungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass die Meinungsbilder aus den verschiedenen Ländern häufig gleichförmig sind. Ein Siegertitel zeichnet sich nicht dadurch aus, dass er viele 12-Punkte-Wertungen geholt hat, sondern dadurch, dass er fast von überall Punkte bekommen hat. Um zu gewinnen, muss man also einen Titel haben, der in fast allen Ländern zumindest ein paar Punkte erhält. Der serbische Titel war so einer.

Trotz allem Mäkeln: der ESC bleibt eine außergewöhnliche europäische Institution, die jenseits der EU existiert und jedes Jahr hunderte von Millionen Zuschauer interessiert. Es gibt weltweit nichts vergleichbares – und es ist ohne Frage ein Stück gelebtes Europa.

Höchster Feiertag

Nach weniger inspirierenden letzten Tagen ist es hier etwas leer geworden.

Es darf allerdings eine Sache nicht unerwähnt bleiben. Heute ist der Tag, der für viele Schweden scheinbar so wichtig ist wie Weihnachten, zumindest aber soviel wie der Nationalfeiertag.

Wie dem auch sei – heute ist Eurovision Song Contest, oder wie man es hierzulande nennt: Schlager-EM.

Kein Land dürfte derart verrückt nach diesem Wettbewerb sein wie Schweden. Der Teilnehmer wird einer langwierigen Prozedur mit Hilfe von 4 Vorentscheiden, einer „zweiten Chance“, einem Finale sowie zahlreichen lokalen Jurys ermittelt. Dagegen wirkt das deutsche Finale mit gerade einmal drei Teilnehmern ziemlich bescheiden.

Heute ist er also, der große Abend. Zu meinem Erstaunen scheint es kein public viewing oder ähnliches zu geben. Auch die entsprechenden Veranstaltungsseiten schweigen sich doch ziemlich aus zu dem Thema. Es ist wie das schwedische Silvester wohl eher etwas für den Genuss zuhause.

Steffen und ich haben am Donnerstag auch das Halbfinale begutachtet. Unsere Favoriten, die Punkrockband „Anonymous“ aus Andorra, konnte sich leider nicht qualifizieren. So hoffen wir doch einmal für Schweden. Ich werde aus reinem Patriotismus für Deutschland stimmen, auch wenn ich starke Zweifel habe, dass Roger Cicero sich mit seinem Swing zwischen diesen ganzen schnellen Pop- und Rocknummern behaupten können wird.

Ein großes Fest wäre jedenfalls ein schwedischer Sieg – ich schätze, die Stadt würde dann nächstes Jahr wochenlang im Ausnahmezustand verbringen.

Politische Bedenken habe ich gegen einen weißrussischen Sieg – das Lied ist zwar echt nicht schlecht, aber dass die Veranstaltung nächstes Jahr in Lukaschenko-Land stattfinden soll, wäre schon etwas traurig.

Paranoia

Ein Thema, das mich in den letzten Tagen etwas beschäftigt hat, ist die Kriminalität. Anlass war Thomas‘ Blogeintrag und der zugehörige Artikel in der ZEIT (sehr empfehlenswert übrigens).

Es geht um eines der sichersten Länder Europas, in dem die Menschen irrationalerweise Angst vor Verbrechen haben: Schweden. Die Sache hat mich deswegen so beschäftigt, weil selbst jemandem wie mir, der nur einen sehr oberflächlichen Einblick in die schwedische Gesellschaft hat, die Effekte nicht entgehen.

Da ist zum Einen der Väktare-Wahn – ein Väktare ist direkt übersetzt ein Wächter. In Deutschland kennt man sie auch. Sie bewachen manche Firmen und natürlich Geldtransporte. In Schweden bewachen sie alles. Manchmal meint man, vor jeder Klotür stünde ein solcher Väktare. Jede Kneipe beschäftigt mindestens einen Sicherheitsmann, jede Firma sowieso – letztere natürlich noch in Verbindung mit Sicherheitskarten und Türcodes. Mag es hier noch verständlich erscheinen, so gerät es spätestens im privaten Bereich ins Absurde. Bei einem Spaziergang durch die Schärenstadt Vaxholm fällt einem auf, dass jede Gartenhütte den Aufkleber einer namhaften Sicherheitsfirma hat. Mein Wohnheim hat ebenfalls solche Aufkleber. Einen Sicherheitsmann habe ich hier zwar noch nie gesehen, aber prophylaktisch sollen alle potenziellen Missetäter wissen, dass man hier besser nicht einbricht. Nächtens sind Sicherheitsleute sowohl auf dem SU-Campus als auch auf dem KTH-Campus unterwegs – in Karlsruhe habe ich so etwas nie gesehen.
Es ist zwar beruhigend, dass man in Urlaub fahren kann, ohne dass gleich eingebrochen wird. Dennoch stelle ich mir die Frage, ob Sicherheit hier nicht mit einem zu hohen Preis erkauft wird. Das meine ich wörtlich, denn mir geht es nicht um Datenschutz und Privatsphäre, sondern um das liebe Geld. Der Arbeitsmarkt für Sicherheitsleute ist derart groß, dass es ein Sicherheitsgymnasium gibt, wo die Schüler auf dem Weg zum Abitur zu Sicherheitsfachleuten ausgebildet werden. Dass man im Gymnasium gleich eine Berufsausbildung macht, ist in Schweden normal. Dennoch steht dies beispielhaft dafür, dass ein beträchtlicher Teil derjenigen, die weder sehr niedrig noch sehr hoch ausgebildet sind, in diesem Markt Anstellung finden. Firmen wie Falck Security oder Securitas profitieren sicherlich davon. Was zahlt also der gemeine Bürger für seine Sicherheit? Ich habe keine Ahnung, aber es dürfte ein nennenswerter Beitrag sein.

Andere Effekte der Angst vor Verbrechen sind neben der häufigen Werbung für die Polizeiausbildung auch, dass die Politik Kapital daraus schlägt. Ich erinnere mich mit Grauen an Wahlplakete der Moderaterna, die mehr Straßenbeleuchtung und Polizei für Östermalm – nicht gerade ein Zentrum des Verbrechens – ankündigten. Und die Leute wählten sie nicht zuletzt deswegen.

An den leicht paranoiden Zügen dieses Zustands ist aber vor allem die Presse schuld. Der ZEIT-Artikel beschreibt mit dem Haga-Mann (ein Massenmörder und Vergewaltiger) und der dazugehörigen Berichterstattung ein besonders krasses Beispiel. Aber auch der Alltag wird kontinuierlich mit Verbrechensmeldungen geflutet. Letzten Sommer schrieb City entrüstet, dass es im Schnitt pro Tag 40 Taschendiebstähle in der U-Bahn gäbe. Ohne andere Zahlen zu haben, kann ich beruhigt behaupten, dass die Berliner Polizei ein Fass aufmachen würde, wenn sie einmal einen Tag mit nur 40 Taschendiebstählen hätte. Busfahrer dürfen mittlerweile keine Fahrkarten mehr verkaufen, weil es einige Überfälle gab. Ein aktuelles Beispiel: in Södertälje wurden gestern nacht Polizeifahrzeuge von Jugendlichen mit Steinen beworfen, eine Scheibe ging kaputt. In den Morgennachrichten war dies die erste (!!) Meldung, und auch die nationalen Zeitungen haben sie an prominenter Stelle platziert. Man stelle sich vor, das gleiche wäre in Bochum oder Leipzig passiert – Seite 5 ganz unten, gleich neben der Meldung, dass in China ein Sack Reis umgefallen ist. In den Außenbezirken Londons, in den Banlieus in Paris, in manchen Bezirken von Berlin passiert ähnliches täglich. Sicherlich ist das schlimm, aber muss es deswegen gleich ein großes Medienecho geben? Selbst bei Kapitalverbrechen muss man die Frage stellen, ob denn gleich jeder Mord und jede Vergewaltigung ein nationales Thema darstellt.

Mir kommt es vor, als berichte man im permanenten Sommerloch. Die Ereignislosigkeit gebietet, jedes Ereignis zu publizieren. Jede Lappalie wird zur großen Tragödie, jedes Verbrechen ein Angriff auf die gesamte Gesellschaft.

Ein trauriger Zustand eigentlich – wenn dieses Land nicht so sicher wäre, müsste man sich glatt Sorgen machen.

WSEAML Teil 3: Sundsvall (oder: Orte, die man eigentlich nie zu sehen beabsichtigte, aber trotzdem hinfährt, weil die Bahntickets so billig waren)

Kirche nahe dem Bahnhof - sehr einladend
Kirche nahe dem Bahnhof – sehr einladend, oder?

Sundsvall ist eine Stadt mit 49.000 Einwohnern. In Deutschland ist das gerade mal eine Kreisstadt, in Schweden aber je nach Region durchaus ein veritables Zentrum. Als Hafen- und Handelsstadt, zwischen dem dichter besiedelten Süden und dem so gut wie gar nicht besiedelten Norden gelegen, ist sie ein wichtiger Verkehrsknoten. Soviel zur beeindruckenden Einleitung.

Sundsvall Panorama

Ein Panorama von Sundsvall – links der Hafen, hinter dem Stadion die Steinstadt, in der Mitte die Kirche, im Hintergrund ein Skigebiet

Der einzige Grund, warum ich vor kurzem dort hingefahren bin, ist schlicht und ergreifend, dass es bei der schwedischen Bahn in einer Sonderaktion billige Zugtickets gab. Die großen, interessanten Ziele wie Malmö oder Göteborg waren natürlich gleich weg, so dass nur noch Sundsvall blieb.

Das Museum in Sundsvall

Touristisch hat die Stadt nicht viel zu bieten. Im Sundsvallmuseum gibt es vorwiegend regionale Kunst zu sehen, über deren Güte ich nicht zu urteilen vermag. Seltsam war allerdings die Toilette.

Blaues Licht auf der Toilette

Das ist kein Farbfehler – die Toilette hatte blaues Licht. Das ist natürlich eine Maßnahme gegen Heroinabhängige, da man Venen in blauem Licht nicht sehen kann. Aber ist die Stadtbibliotheks- und Stadtmuseumstoilette ein solcher Drogenumschlagplatz?

Gustav-Adolfs-Kirche in Sundsvall

Die Gustav-Adolfs-Kiche

Weitere touristische Highlights – wenn man es so nennen kann – sind die Gustav-Adolfs-Kirche und die sogenannte Stenstaden (Steinstadt). Was spektakulär klingt, ist einfach der Name für das Stadtzentrum, das nach einem verheerenden Brand im Jahr 1888 komplett neu geplant und aufgebaut wurde. Eine Gustav-Adolfs-Kirche ist übrigens auch nicht so wahnsinnig originell. In Stockholm gibt es auch eine nach diesem König benannte Kirche.

Das Panorama weiter oben ist von einem der Berge entstanden, die man mittels einer Treppe begehen kann. Oben befindet sich auch noch ein kleines Freilichtmuseum, wo ähnlich wie in Skansen Bauernhöfe u.ä. ausgestellt sind.

Die Touristeninformation war ebenfalls sehr interessant, insbesondere wegen der Tatsachen, dass sie (ungelogen) Postkarten mit einer Elchkotkapsel verkauften. So kann man offenbar Tourismus und ABM kombinieren – oder wer hebt sonst Elchkot auf?

McDonald’s Sundsvall

Eingangstür des McDonald’s in Sundsvall – normalerweise verwendet die Burgerkette auch in Schweden den Slogan „I’m lovin‘ it“, aber hier ist er nicht nur auf Schwedisch übersetzt, sondern sogar im Dialekt von Sundsvall geschrieben. In Rikssvenska (Reichsschwedisch) müsste es „Jag tycker om det“ heißen – der Schriftzug dürfte erahnen lassen, wieso der Dialekt von Nordschweden nicht leicht zu verstehen ist.

Zum Abschluss ein wahnsinnig spannendes Video aus der Fußgängerzone. Gebannt verfolgten wir, wie zwei Männer von einem Hotelbalkon mit einer Fahne hantierten.

Dabei war nicht so ganz klar, ob sie die Fahne ab- oder aufhängen wollen. Da sie sich etwas ungeschickt anstellten, dauerte es auch seine Zeit, bis eine Richtung zu erkennen war.

Nach gut 20 Minuten hatten sie es dann endlich geschafft – die Fahne hing.

Wie man unschwer erkennen, ist ein Sundsvalltrip wahnsinnig spannend. Zumindest, wenn man für weniger als 20 € hinfährt.

Milchmädchen

Meine neulich hier dargestellte, (zurecht) kritisierte und sogar referenzierte Milchmädchenrechnung, dass die Schweden eine relativ kurze Arbeitszeit haben und dazu noch recht häufig krank sind, hat unerwartet Unterstützung erfahren.

Zumindest, wenn man nach diesem Artikel in The Local geht, in dem eine Studie über das Krankfeiern zitiert wird. Dort heisst es, dass der Durchschnittsschwede 7,62 Tage im Jahr krankfeiert. Nur die Inder (8,64 Tage) machen das noch öfter.

Wenn man also die Rechnung weiterspinnt, meldet man sich hierzulande also alle 5 bis 6 Wochen einen Tag krank, ohne es zu sein. Angesichts dessen, dass in der Gesamtrechnung von 25 Krankheitstagen im Jahr auch chronisch Kranke enthalten sind, heisst das also, dass wohl einmal im Monat krankfeiern normal ist.

Richtig krass wird die Studie, finde ich, wenn man sich die Top 5 der Krankfeierer ansieht:

  • 1: Indien (8,64 Tage)
  • 2: Schweden (7,62)
  • 3: USA (3,07)
  • 4: Italien(2,20)
  • 5: Deutschland (1,83)
  • 19: Südkorea (1,00)
  • 20: Taiwan (0,99)
  • 21: Belgien (0,93)
  • 22: Türkei (0,73)
  • 23: Bulgarien (0,67)
  • 24: Mexiko (0,62)
  • 25: Ungarn (0,54)

Man sieht deutlich, dass die Abstände zwischen den Ländern im oberen Bereich enorm sind. Deutschland belegt zwar auch keinen rühmlichen Platz, aber wenn man bedenkt, dass Schweden 4mal so oft krank machen wie Deutsche, während die Lücke zu den Plätzen darunter sowohl absolut als auch relativ beträchtlich kleiner ist, ist schon bedenklich. Interessant wäre natürlich, zu wissen, ob die anderen Skandinavier auch in der Studie enthalten waren. Ich habe nämlich den Eindruck, dass dieses Verhalten nicht nur durch ein sehr wohlwollendes Sozialsystem hervorgerufen wird – sonst würden die USA sicher nicht so weit oben stehen.

Ausgeliefert

Package - sxc.hu
Deutschland hat 19% Mehrwertsteuer, Schweden 25% – das alleine kann aber die Preisunterschiede zwischen den Ländern nicht ganz erklären. Gerade bei Elektronikartikeln tun sich erhebliche Unterschiede auf.

Das mag wohl auch daran liegen, dass Ebay in Schweden bemerkenswert dünn besetzt ist. Keine großartigen Kampagnen und dergleichen – die Schweden begnügen sich mit dem optisch wie ergonomisch wenig ansprechenden Blocket. Daher findet man auch keine Powerseller beim schwedischen Ebay, die sich auf wenige Produkte spezialisiert haben und damit die Preise drücken. Im Gegenteil.

Dinge aus dem Ausland zu bestellen ist und bleibt hochinteressant – mein aktueller MP3-Player, ein minderwertiges und schlecht verarbeitetes Gerät, hat 2 GB Speicher und kostete mit Versandkosten knapp 50 €. Für den gleichen Preis kann man bei schwedischen Ketten gerademal ein ähnlich schlechtes Gerät mit 1 GB Speicher erhalten. Einen USB-Hub konnte ich für 10 € erwerben – in Schweden kostet er mindestens 20 €. Die Liste solcher Beispiele ist lang.

Im Ausland einkaufen lohnt sich also, selbst wenn es die betreffenden Produkte auch im Inland gibt.

Die große Einkaufsfreude wird aber etwas getrübt. Das Elend sind die Paketdienste in Schweden. Nach mehreren Lieferungen dachte ich, ich hätte alle absurden Varianten des Systems schon gesehen. Ich hatte mich getäuscht.

Die große Paketdienstrevue:

  • Posten (privat): Die Post ist ja eigentlich der offensichtlichste Lieferant für Pakete. Dieser Begriff trifft aber leider nicht zu. Hier wird gar nichts ausgeliefert. Kein netter Mann an der Tür mit einem Paket unter dem Arm, stattdessen ein Zettel an der Tür, man könne das Paket jetzt bei der nächsten Postagentur abholen. Glücklicherweise ist die bei mir im Haus – zumindest für mich ist das annehmbar. Dass Pakete von der Post ausgeliefert werden, ist aber fast nur bei rein privaten Paketen der Fall, d.h. keine Bestellungslieferungen.
  • Posten (geschäftlich): Wenn das Paket aber irgendwie als Firmenpost deklariert ist, muss man zum nächsten Firmenzentrum der Post. Für mich heißt es in dem Fall in die Innenstadt fahren. Kam bisher einmal vor.
  • DHL: bei diesem gelben Logo kommen Heimatgefühle auf. Und es macht ja auch Sinn, dass ein bei DHL in Deutschland aufgegebenes Paket auch von DHL in Schweden ausgeliefert wird. Und in diesem Fall ist das sogar wörtlich zu nehmen – man muss das Paket nicht selbst abholen. Da hören die Vorteile aber schon auf. Statt eines Paketboten findet man nur einen lausig kopierten Zettel im Briefkasten vor – das wirkt schonmal unprofessionell. Der Zettel verkündet einem, man habe ein Paket erhalten und könne es nun irgendwo abholen oder liefern lassen. Ich entscheide mich natürlich für letzteres. Die Krönung ist dann, dass man nicht etwa sagen kann „kommen sie doch einfach morgen um 14 Uhr vorbei“. Nein, das wäre ja zu einfach. Stattdessen muss man einen Werktag angeben, an dem ausgeliefert werden soll. Das Zeitfenster ist dann 10 bis 14 Uhr, wobei nicht genau gesagt werden kann, wann man das Paket erhält. Abgesehen davon, dass das von Berufstätigen kaum zu bewältigen ist: ich wartete das letzte mal die ganzen 4 Stunden, und um 14:05 Uhr klingelte es dann. Eine effiziente Auslieferung sieht anders aus.
  • UPS: Mit diesem amerikanischen Dienst habe ich bisher nur Erfahrung beim Versand. Ich sollte für einen Bekannten ein Paket verschicken, dass Übergröße hatte und daher mit UPS rausgehen sollte. Erster Versuch: das Paket lag auf dem Flur, UPS war benachrichtigt, dass das Paket abgeholt werden sollte. Plötzlich rumpelte es vor meiner Tür. Als ich heraustrat, stand der Mann von UPS gerade da und inspizierte das Paket. Er begann sofort auf Englisch, dass da kein Label drauf sei und dass er jetzt keine Zeit habe. Dann drückte er mir ein Formular in die Hand und ging wieder. Vermutlich zu seiner nächsten Lieferung in der Bronx. Zweiter Versuch: ich klickte mich durch das unübersichtliche Onlinesystem von UPS und druckte dann das Label aus. Soweit, so gut. Dieses Mal hörte ich nichts rumpeln. Stattdessen war das Paket einfach irgendwann verschwunden und der Onlinetracker zeigte an, es sei auf dem Weg. Schön und gut, aber er hätte zumindest klingeln können. Fazit: seltsames Gebaren, aber dafür sehr komfortabel. Ärgerlich war später nur, dass die Bezahlung über Kreditkarte wegen eines Computerfehlers nicht ging und ich daher eine Rechnung geschickt bekam.
  • Schencker: mir ist nicht bekannt, mit welchem deutschen Paketdienst dieses Tochterunternehmen von DB Logistics verbandelt ist. Der Zettel im Briefkasten sah professioneller aus als der von DHL. Ich entschied mich für die Selbstabholung, weil es Ostern war und die Auslieferung gedauert hätte. Das Logistikzentrum war außerhalb, und ich kam mir vor wie zu meinen Zivi-Zeiten, als ich auch öfters Lieferscheine stempeln und stempeln lassen musste. So musste ich zuerst zur Rezeption, wo man meine Identität prüfte und ich den Empfang quittieren musste. Dann weiter zum Lager. Man hätte denken können, ich hätte eine Tonne Dünger oder 20 Haustüren bestellt. Das Lager war riesig und überall fuhren Gabelstapler umher. Da war es fast schon peinlich, als ich mein kleines federleichtes Paket überreicht bekam. Nachdem ich mich zwischen LKW-Ungetümern durchgeschlängelt hatte, konnte ich dann wieder in die normale Welt zurückkehren.

Das Ganze lässt die Frage offen, wieso die Schweden denn als Kunden nicht mehr Komfort verlangen. Es kann doch nicht zuviel verlangt sein, ein Paket einfach auszuliefern – oder?

Der ultimative Ligatest

Stadionpanorama

Das Stockholmer Stadion – gut besetzt vor dem Spiel

Stimmung zum Anfang des Spiels

Passend zum Pokalhalbfinale heute einmal ein Fußballbeitrag. Letzten Sommer durfte ich ja schon erleben, wie man es mit dem Fußball in Schweden so hält.

Christine und ich wollten uns aber am letzten gemeinsamen Abend dann auch Fußball vor Ort gönnen. Es sopllte ein Spiel der Spitzenklasse sein, bei dem Real Madrid alt aussehen würde. Unser Ziel war daher klar: die Fotbollsallsvenskan, das schwedische Pendant zur Bundesliga. Zwar spielen insgesamt vier Stockholmer Clubs in der Liga, aber die einzige terminlich passende Begegnung war Djurgården IF gegen Halmstads BK. Ersterer ist der Stockholmer Club – die anderen drei wären übrigens AIK Solna, Hammarby IF und die neu aufgestiegenen Brommapojkarna (übersetzt „die Brommajungs“) gewesen.

Halmstad ist eine kleine Stadt an der Westküste, und der Verein ist laut Wikipedia finanziell nicht sonderlich stark. So ist es auch nicht verwunderlich, dass kaum Ausländer im Team sind. Allerdings trifft diese Aussage auch auf alle anderen schwedischen Clubs zu. Ausländer verirren sich selten hierher, und das ist auch verständlich – die Liga ist schwach und mit Ausnahme eines UEFA-Cup-Gewinns des IFK Göteborg im Jahr 1982 ist kein Verein jemals weit gekommen.

Djurgården IF war in dem Spiel ganz klar Favorit insofern, als dass sie in den letzten 6 Jahren 3mal Meister geworden sind. Allerdings hatten sie in der ersten Begegnung der Saison etwas geschwächelt gegen die Brommapojkarna und daher gleich einmal verloren.

Ein Sieg musste also her. Die Stimmung war gut, das Stadion voll – bei einem geringen Fassungsvermögen von vielleicht 15000 Zuschauern war es mit 10747 Besuchern auch leicht zu füllen. Wir hatten die billigen Plätze und saßen dementsprechend hinter dem Tor.

Gegnerische Fans

Die gegnerischen Fans

Am beeindruckendsten war allerdings die großartige Anwesenheit gegnerischer Fans. Erst dachte ich, es wären gar keine da. Dann habe ich sie doch entdeckt, und zwar direkt neben uns. Das Häufchen war so armselig, dass man sie kaum entdecken konnte.

Das Spiel selbst war nicht minder armselig. Ich bin zwar in Sachen Fußball nun wirklich keine Koryphäe, aber brauchbare Pässe sah man selten. So etwas wie Spielaufbau habe ich jedenfalls kaum gesehen, und die Deckung funktionierte so wahnsinnig gut, dass einige Spieler auch öfters vollkommen ungedeckt Bälle entgegennehmen konnten. Lauffreude war ebenso Fehlanzeige.

Das erste Tor war höchst seltsam hineingestolpert, das zweite dann halbwegs brauchbar. Djurgården führte also 2:0, und Halmstad machte keinerlei Anstalten, dass Spiel vielleicht noch zu drehen. Man hatte eher den Eindruck, sie fügten sich in ihr Schicksal.

Viele dieser Beobachtungen mag an mangelndem Sachverstand oder dem schlechten Blickwinkel gelegen haben. Dennoch war ich doch einigermaßen überrascht, was ich da so in den Zeitungen las.

Aftonbladet feierte Mattias Jonson für seine Leistung und bezeichnete das Spiel als „Jonsons show“ – er habe hinter dem „Erwachen Djurgårdens“ gelegen.

Ein Tor ist gefallen

Ähnlich begeistert von Jonson war Expressen.

Super Stimmung – kein Wunder, wenn man gewinnt

Dagens Nyheter schrieb gar:

Djurgården revanchierte sich

In Frage gestellt und verhöhnt nach dem 0:1 gegen die Brommapojkarna im Råsunda-Stadion. Da sammelte sich Djurgårdens Fußballmannschaft ernsthaft. Der 2:0-Sieg gegen Halmstad im Stadion war laut dem Giganten des Platzes, Mattias Jonson, das beste Spiel des Teams 2005.

Metro nicht minder positiv über Jonson:

Fliegende Heimpremiere

[…]“Er war lebensgefährlich für Halmstad in 90 von 93 Minuten“, sagte Djurgårdens Trainer Paul Lindholm[…]

Stockholm City zog auch eine positive Bilanz, wenn auch eher in Richtung Mikael Dahlberg:

Dahlbersg schöne Revanche

[…]Ein ganz anderes Djurgården als vor einer halben Woche, das wir da gestern sahen.

Gewonnen

Vielleicht habe ich falsche Erwartungen, ein anderes Spiel gesehen oder: die Allsvenskan ist einfach grottenschlecht. Christine und ich waren uns jedenfalls einig, dass das Spiel wirklich nicht gut war und Djurgården nur deswegen gewonnen hat, weil Halmstad einfach noch weniger gebacken kam.

Ich werde das in Kürze noch einmal austesten müssen schätze ich. Dann aber wohl bei einem anderen Club.

Verkehr in der Theorie

Polis
(Ausriss: Du&Jag i Trafiken)

Nachdem von meiner Masterarbeit der erste Entwurf (voller Fehler natürlich) fertig ist, kann ich einmal eine Sache hier erwähnen, die mich noch so beschäftigt – neben den vielen anderen.

Ich meine den vormals schon erwähnten Führerschein. Am Montag durfte ich zur Voruntersuchung antanzen. Zum obligatorischen Drogentest wurde mir eine Urinprobe genommen und Blut abgezapft – selten so viel Spaß gehabt. Beim Augentest brillierte ich wie gewohnt – allerdings musste ich peinlicherweise meine Wissenslücken im Bereich Alphabet auf Schwedisch anmerken. Da habe ich in meinen Kursen nämlich verpasst. Ich wusste daher schlichtweg nicht, wie J ausgesprochen wird: Je. Nachdem das im Vorfeld geklärt war, war das Lesen der kleinsten Zeile kein Problem. Der Blutzucker war auch normal. Die Urinprobe war, mmh, interessant – ich musste meine Taschen ausleeren und der Wasserhahn wurde abgeklebt, damit ich ja nicht bescheiße. Gesamtergebnis der Untersuchung: alles ok.

Nun habe ich schon drei Theoriestunden gehabt. Herausfordernd ist die Theorie nur in ihrer Menge, nicht wirklich inhaltlich. Gestern fand ich es ausgesprochen ermüdend, mir eine Stunde lang am Stück die Funktionsweise eines Fahrtenschreibers erklären zu lässen. Am Computer konnte ich die ersten beiden Level der Fragebögen bestehen. Das erste Level zwar erst nach drei Versuchen, dann aber mit 59 von 60 Fragen richtig. Das zweite schaffte ich dann auf Anhieb, und beim dritten scheiterte ich nur knapp. Bei der ganzen Sache beschäftigt mich eher, wie die Fahrstunden mit meinem Stundenplan kollidieren werden.

Besonders interessant ist allerdings Trafiksvenska – man lernt Wörter, die man im Schwedischkurs nie hören würde und oft auch gar nicht hören möchte. Es handelt sich um Verkehrsschwedisch, d.h. Vokabular, das den Straßenverkehr betrifft. Interessanter Zufall, dass Thomas auf Fiket gestern einige Fachvokabeln aus dem Bereich Astronomie präsentierte.

Hier also eine kleine Liste ganz anderer Fachvokabeln:

  • väjningsplikt: Die Pflicht, Vorfahrt zu gewähren
  • tuta: hupen
  • vägren: Seitenstreifen
  • körfält: Fahrspur (hört man leider oft in den Verkehrsnachrichten)
  • bogsering: Abschleppen
  • blinker: Ein sehr ungewöhnliches schwedisches Wort, denn Wörter, die im Deutschen auf „er“ enden, enden im Schwedischen normalerweise auf „are“ – wie z.B. lärare (Lehrer), hammare (Hammer). „blinkare“ wäre also die logischere Variante gewesen. Noch ungewöhnlicher ist allerdings der Plural „blinkers“ – einen s-Plural kennt das schwedische nämlich eigentlich nicht. Laut pauker.at gibt es auch „körriktningsvisare“ (also Fahrrichtungsanzeige), aber ich vermute stark, das ist genausowenig Alltagsschwedisch wie „Fernsprecher“ alltagsdeutsch ist.
  • medlut: ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, weil es im Wörterbuch nicht drinsteht. Ich vermute aber, es heißt „in Fahrtrichtung“. motlut gibt es nämlich auch – und das heißt vermutlich „gegen die Fahrtrichtung“.
  • prestationsförmåga: Leistungsvermögen – eigentlich kein Verkehrbegriff, aber eine der Fragen im Fragebogen, über die ich zuerst stolperte. Die richtige Antwort war, dass etwas Stress das Leistungsvermögen erhöht. Kann schon sein.

Sehr beschäftigt ist der Fragebogen übrigens mit dem Einfluss auf das Fahrverhalten, wenn man mehrere Leute im Fahrzeug hat. Die seltsamste Antwort war bislang aber, dass Erwachsene sich selbst ums Anschallen zu kümmern haben. Ist der Fahrer also nicht haftbar, wenn außer ihm keiner angeschnallt ist?

Noch ein Kuriosum:

Hörselskadade

Dieses Schild ist eine sogenannte „Tilläggstavla“, also ein Schild, das zu einem anderen hinzugefügt wird. In diesem Fall geht es um eine Behinderung. Drei Punkt auf gelbem Grund? Na, klingelts? Falsch! Das Zeichen steht groteskerweise für Hörgeschädigte.

Synskadade

Dieses Zeichen wiederum steht für Sehgeschädigte.

Eine Logik kann man wohl nur darin erkennen, dass das schwedische Wort für taub, „döv“, drei Buchstaben hat, „blind“ hingegen fünf.

Ein weiteres Fundstück ist das Bild in der Einleitung. Damit teilt ein Polizist mit, man solle die Geschwindigkeit senken. Sollte es dieses Zeichen in Deutschland jemals gegeben haben, so gehe ich davon aus, dass es nach 1945 abgeschafft wurde…