Ich hatte es ja schon erwähnt: derzeit ist internationaler Markt am Sergels Torg. Es ist nicht das erste Mal, aber das deutsche Angebot ist dieses Mal das bislang umfassendste.
Neben dem obligatorischen Bratwurststand
gab es einen Salamiverkaufstand, der auch Landjäger und Dosenwurst anbot. 10 Meter weiter dann der sehr dezente Brezelstand:
Der Name „Breznhütte“ ist Programm – es gab Brezeln in verschiedensten Varianten. Gespart hat man nicht in der Größe:
Das ist schon ein ordentliches Gerät, das auch sehr gut schmeckt, wie ich eben im selbstlosen Test herausgefunden habe.
Am Stand daneben gleich der nächste Knaller: Strudel in verschiedenen Varianten, darunter natürlich der obligatorische Apfelstrudel. Feilgeboten wurde außerdem eine Art Kräuterbrotaufstrich und andere Dinge, die ich aber nicht näher unter die Lupe genommen habe. Das Personal war auch weitgehend authentisch importiert.
Die englischen Marmeladen, griechischen Oliven und niederländischen Pfannkuchen sahen auch lecker aus.
Das alles hat freilich seinen Preis: die Würste am Bratwurststand kosteten 50 Kronen (derzeit rund 5,50 €). Die Salami ging auch nicht deutlich darunter los, die einzelne Brezel kostete 40 Kronen (4,40 €), der halbe Strudel 120 Kronen (13,30 €). Aber hierzulande sind das Delikatessen, die man nicht alle Tage hat. Dementsprechend groß ist meine Freude über die Leckereien.
Unten auf dem Platz demonstrierten die Syrer für oder gegen irgendwas, dazwischen eine Menge kurdischer Flaggen. Im Allgemeinen wechseln sich die Kurden, die Tibeter und die Kubaner auf dem Platz beim Demonstrieren ab. Die Hartnäckigkeit ist bewundernswert, aber der Effekt darf bezweifelt werden.
Allgemein ist das Ambiente am Sergels Torg nicht das allerbeste. Ich frage mich, ob es in Stockholm keinen besseren Platz hierfür geben. Wie wäre es mit dem Stortorget oder Kornhamnstorg in Gamla Stan, dem Kungsträdgården, dem Norrmalmstorg oder dem Nybroplan? Ein Betonplatz wie der Sergels Torg, eng, laut und stark befahren, macht das Verweilen wenig angenehm. Da gäbe es doch sicher bessere Alternativen.
Übrigens: über zwei Jahre lang lebte ich in unmittelbarer Nähe des einzigen schwedischen IMAX-Kinos ohne es zu besuchen. Dabei bin ich eigentlich IMAX-Fan und habe früher nie eine Gelegenheit ausgelassen.
Es ist das „Cosmonova“ und befindet sich im Naturhistoriska Riksmuseet, einem Naturkundemuseum bei der Universität. Der Besuch – sowohl im Museum als auch im Kino – lohnt sich. Im Museum war ich schon mehrfach, aber heute habe ich endlich auch das Kino besucht. Es lohnt sich natürlich.
Der Vergleich liegt eigentlich nahe, wird aber selten gemacht: während die deutsche Piratenpartei derzeit in aller Munde ist und bei einer Fortsetzung des Trends im Herbst 2013 locker 65 Prozent der Stimmen einheimsen wird, schaut keiner mehr auf die Wurzeln dieser Bewegung: Schweden.
Hier wurde dereinst im Jahr 2006 die erste Piratenpartei gegründet. Der Name stammte von der Trackerseite The Pirate Bay, die Links zu allerlei urheberrechtlich geschütztem Material anbietet. Gegen die Verantwortlichen der Seite wurden im Januar 2008 hierfür angeklagt. Eigentlich begann an diesem Punkt die Geschichte der schwedischen Piratenpartei erst richtig. Scharen von jungen Menschen traten der Partei bei, was freilich nicht zuletzt damit zu tun hatte, dass die Mitgliedsbeiträge freiwillig sind.
Als von Februar bis April 2009 der Prozess stattfand, war diese Welle auf dem Höhepunkt. Kurz danach, im Juni 2009, fanden die Europawahlen 2009 statt, und die Piratenpartei holte stolze 7,1 Prozent.
Es liegt also nahe, dass der in Stockholm sitzende ARD-Korrespondent Albrecht Breitschuh einen Blick auf die schwedischen Piraten warf. Ich schätze seine Arbeit im Allgemeinen sehr, aber dieses Stück ist doch irgendwie ziemlich misslungen.
Bei ihm geht die Geschichte ungefähr so: auf einmal waren die 2009 da und alle waren total überrascht. Dann hat der Vorsitzende vorgeschlagen, auch Kinderpornos zu legalisieren, und Bumm waren sie weg, bekamen nur noch 0,7 Prozent im Jahr 2010 bei den Reichstagswahlen. Seither siecht die Partei.
Nicht ganz so, aber doch zumindest in Ansätzen ähnlich geht ein Artikel des Spiegels vor, der die verschiedenen europäischen Piratenparteien zum Thema hat. Dort ist die Geschichte verkürzt auf: erst ging’s hoch, dann runter. Flankiert wird das von einem wenig vertrauenserweckenden Foto der schwedischen Piratenvorsitzenden Anna Troberg.
Das alles ist – freundlich ausgedrückt – bestenfalls die halbe Wahrheit. Die Piraten schafften es aus genau zwei Gründen in das Europaparlament:
Seien wir realistisch: die Europawahlen interessieren keine Sau. Die Wahlbeteiligung ist niedrig und die Chancen für irgendwelche populistischen Quatschbananen (z.B. FDP und deren entdoktorierte blonde Vorzeigefrau) groß. In Schweden schaffte es so 2004 die „europakritische“ Juniliste souverän ins Parlament und 2009 ebenso souverän wieder hinaus. Die Piraten fallen genau in dieses Schema, dass bestimmte Wählergruppen sich bei solchen wenig beachteten Wahlen leichter hervortun können.
Die Unterstützung basierte einzig und allein auf dem Thema Pirate Bay. Jugendliche, die weiterhin frei Sachen aus dem Netz ziehen wollen, wählten eine Partei, die genau für dies eintrat.
Dummerweise lässt sich auf so einer Plattform nicht lange bestehen, und genau das ist das Problem der schwedischen Piratenpartei. Die zigtausend Menschen, die ihrer Partei beitraten, haben sie genauso schnell wieder verlassen. Denn in Zeiten der Klickdemokratie war eine Partei, die keine zwingenden Mitgliedsbeiträge hat, perfekt für Leute, die keinesfalls etwas für ihre Downloads bezahlen wollen. Diese wollen aber auch keinen Aufwand betreiben, und so hatte man nicht plötzlich Scharen von Aktivisten, die Plakate klebten, demonstrierten und Flyer verteilten, sondern ein Mitgliederdatenbank voller Karteileichen.
Die schwedischen Gepflogenheiten in Sachen Parteienmitgliedschaft tun ihr übriges. Eintrittsanträge muss man nämlich genauso wenig stellen wie Austrittsanträge. Wer Mitglied werden bzw. bleiben will, zahlt, wer nicht, eben nicht. Die schwedischen Piraten machen dies ähnlich: die Mitgliedschaft gilt immer 365 Tage. Wer sie nicht erneuert, fliegt automatisch raus – und genau das ist offenkundig tausendfach passiert.
Es handelte sich also nicht um einen Massenexodus, sondern um eine geplatzte Scheinmitgliederblase.
Man braucht eben mehr als ein Thema, mehr als nur einen vielbeachteten Gerichtsprozess. Zum Zeitpunkt der Reichstagswahl 2010 waren die Leute von der Pirate Bay schon lange verurteilt. Das kurz danach verkündigte Ergebnis der Revision (schuldig) fand so gut wie kein Interesse mehr. Dummes Geschwätz des Vorsitzenden hatte auf den Untergang wenig Einfluss, denn die Wähler, die sie gebraucht hätten, waren da schon lange entschwunden.
Der Unterschied zu den deutschen Piraten
Genau diese Gemengelage macht auch den Unterschied zu den deutschen Piraten aus. Ich gebe gerne zu, dass ich den Piraten noch vor kurzem nicht viel zugetraut habe. Mir erschien es unwahrscheinlich, dass eine Partei mit so einem seltsamen Namen und für den Normalbürger so exotischen Themen wie der Netzpolitik punkten kann. Zudem galten sie als ziemlich zerstritten.
Doch passen sie sehr gut in die Zeit von Stuttgart 21 und dem Wutbürger, der sich von der Politik nicht mehr hinreichend repräsentiert fühlt. Die deutschen Piraten kommen daher mit ihren Zielen an. Genau dies fehlt den schwedischen Piraten aber. Der schwedische Bürger empfindet zumindest noch nicht eine so große Kluft zu seinen Politikern, und mangelnde Transparenz kann auch nur wenig beklagt werden, nicht zuletzt wegen des Öffentlichkeitsprinzips. Die schwedische Allgemeinheit – wohl auch dank der umfänglichen Auswahl von ganzen 8 Parteien – hat anscheinend nicht das Bedürfnis nach noch einer Partei. Solange die schwedischen Piraten nicht irgendein nachhaltig relevantes Thema finden, haben sie keine Chance.
Der oben gezeigte Artikel aus Dagens Nyheter – leider anscheinend nicht online – zeigte nun auch die schwedische Sicht auf die deutschen Piraten. Die fällt nüchtern aus: sympathisch, aber ohne richtiges Programm und wahrscheinlich auch nicht mit dem Potenzial, sich dauerhaft zu etablieren. Ich bezweifle, dass die schwedischen Wähler ihre Piraten da wiedererkennen werden.
Denn das ist der Punkt: der Vergleich zwischen deutschen und schwedischen Piraten ist einer zwischen Äpfel und Birnen. Außer den gemeinsamen Wurzeln haben sie nichts miteinander gemein. Die schwedische Öffentlichkeit schaffte für kurze Zeit ein höchst fragiles Biotop für das zarte Pflänzchen – als dieses vorteilhafte Klima schnell zusammenbrach, war es vorbei. Die deutsche Piraten hingegen wuchsen unter kühlen Bedingungen langsam heran, um dann bei der nun schon etwas länger anhaltenden Wärme zu gedeihen.
Ob sie danach genügend Kraft haben werden, auch den Winter zu überstehen, wird sich freilich noch zeigen.
Während unser alter Bundespräsident sich zwei Monate lang geweigert hat, das einzig Anständige zu tun, hatte ich Zeit, zu überlegen, wer dem Amt den Anstand zurückgibt, den es verdient.
Sicherlich gibt es viele gute Kandidaten – neben Joachim Gauck, der es aber wohl nicht noch einmal machen wird, wären da Klaus Töpfer und Norbert Lammert. Doch ich möchte einen weiteren Kandidaten in die Diskussion werfen, der meiner Ansicht nach genauso gut geeignet wäre und dazu über allerlei Qualitäten verfügt, die die anderen Kandidaten nicht oder nur eingeschränkt mitbringen: Ulrich Wickert.
Ulrich Wickert ist nicht nur bekannt und beliebt in Deutschland. Er hat als langjähriger Moderator der Tagesthemen Seriösität und Integrität gezeigt. Er kann das Amt angemessen ausüben. Als Diplomatensohn ist er mit den Gepflogenheiten internationaler Politik vertraut. Zudem war er über lange Jahre Korrespondent in den Metropolen der Welt. Er spricht nicht nur mehrere Sprachen hervorragend. Er kennt auch die Kulturen und ist überall auf der Welt zuhause.
Dazu kommt ein gewinnender Sinn für Humor und eine umfängliche Bildung. Er ist kein Politiker und dennoch politisch. Er ist vor allem überparteilich.
Darum möchte ich an dieser Stelle eine kleine Kampagne starten und hoffe auf etwas Unterstützung 🙂 .
Es gibt schon eine Facebook-Gruppe und eine Seite bei Google+.
Im Flughafen Göteborg-Landvetter sieht man in letzter Zeit anscheinend regelmäßig einen Mann. Er ist freundlich und stört niemanden. Das ist auch gut für ihn, denn er lebt auf dem Flughafen.
Als ich von der Geschichte las, dachte ich sofort an den Film „Terminal“ mit Tom Hanks, in dem die Hauptperson wegen politischer Unruhen in seinem fiktiven Heimatland Krakosien im Flughafen JFK in New York festsitzt. Er kann nicht einreisen, aber auch sonst nirgendwohin. Also richtet er sich in dem Flughafen häuslich ein. Es gibt einige reale derartige Fälle. Der bekannteste ist wohl Mehran Karimi Nasseri, der fast zwanzig Jahre im Terminal 1 des Pariser Flughafen Charles de Gaulle verbrachte. Der Film basiert auch lose auf dem Fall, wobei der fundamentale Unterschied sein dürfte, dass Nasseri nach all der Zeit gar nicht mehr weg wollte. Was umso seltsamer aus meiner Sicht ist, denn wenn ich einen Flughafen zu meiner Wohnung machen müsste, dann wäre der Pariser Flughafen ganz weit hinten auf der Liste, insbesondere Terminal 1 mit seinem Mangel an Geschäften, der höchst seltsamen und ungemütlichen Architektur.
Der Grund, warum ich hier von dem Mann in Göteborg spreche, ist aber recht banal: er kommt aus Deutschland, und er ist Einwanderer. Oder so etwas in der Art. Da enden also die Parallelen zu den vorgenannten Fällen, denn er müsste keineswegs dort bleiben. Als der 27-jährige vor rund zwei Monaten nach Göteborg kam, wollte er nicht mehr nach Hause. Er schläft meistens im Gebetsraum und hat kein Geld. Er lebt davon, was ihm die Cafés im Flughafen zustecken, und wenn ihm jemand ein paar Kronen aus Mitleid zusteckt, fährt er in die Stadt. Bislang kam er aber immer wieder zurück.
Ich schäme mich. Ich habe ein schlechtes Leben gehabt. Ich kann nirgends hin.
Das Konsulat und die Kirche haben versucht, ihm zu helfen, und auch der Grenzschutz ist um ihn besorgt. Es gibt derzeit keine Pläne, ihn zu vertreiben. Laut dem Bericht will er in Schweden wohnen und leben.
Eine merkwürdige Geschichte irgendwie. Es ist ja nicht so, dass es keine staatliche Unterstützung für europäische Arbeitssuchende gäbe. Keiner ist gezwungen, ohne Geld auf einem schwedischen Flughafen auszuharren, und in Deutschland hätte er Anspruch auf Sozialleistungen. Er will aber anscheinend genau dort bleiben. Aus den spärlichen Informationen ist kaum herauszulesen, ob es sich hier um eine gescheiterte Auswanderung handelt, um eine Verzweiflungstat oder den Entschluss eines verwirrten Mannes.
Ich wünsche ihm jedenfalls viel Glück – ob nun in Schweden oder Deutschland.
Gerade kam mir dieser Artikel in der FAZ unter. Dort schreibt Sebastian Balzter darüber, dass die schwedische formelle Anrede, vergleichbar mit dem deutschen Siezen, wieder etwas in Mode käme.
Er beginnt mit einem Klischee, das aber meiner Erfahrung nach stimmt: viele Deutsche, die in Schweden Urlaub machen, finden es so schön, unkompliziert und freundlich, dass man sich in Schweden gemeinhin duzt. Mit Ausnahme der königlichen Familie gilt das Duzen hier schließlich für alle.
Aber dann:
Seit einigen Jahren aber greift unter den jungen Schweden eine Unsicherheit um sich, die diese positiven Vorurteile in Frage stellt. Gesiezt wird zwar auch weiterhin niemand zwischen Malmö und Kiruna. Das Nizen aber macht dem Duzen zusehends Konkurrenz. „Wenn wir darüber reden, gibt es immer Streit“, berichtet die Stilratgeberin Magdalena Ribbing, die in der Tageszeitung „Dagens Nyheter“ eine Kolumne über gute Manieren schreibt.
Vor allem im Geschäftsleben, in Restaurants und Kaufhäusern, gebrauchen nach ihrer Erfahrung jüngere Angestellte gegenüber älteren Kunden oder Gästen zunehmend die altertümliche Anredeform „Ni“. Dazu werden sie bisweilen sogar von ihren Vorgesetzten aufgefordert.
Ich war doch einigermaßen verwirrt – das „Ni“ hielt ich für eine vollkommen abgeschaffte Anrede, und im Alltag ist sie mir in den letzten Jahren noch nicht bewusst begegnet. Allerdings bin ich wohl noch nicht alt genug, dass man mir so begegnen würde.
Jedoch denke ich, dass Balzter ein bisschen über das Ziel hinausgeschossen ist. Eine „Debatte“, wie sie die FAZ erkannt haben will, würde ich das nicht nennen. Dahingehende Blogeinträge sind teilweise über 5 Jahre alt, und für mich ist nicht ersichtlich, was nun plötzlich eine „Unsicherheit“ hervorrufen sollte. Es mag sein, dass der Sprachrat, der im Artikel erwähnt, irgendwann langsam tätig werden musste und das vielleicht irgendeine nachrichtenrelevante Rolle spielt – aber bei dem wurde ich auch nicht fündig.
Es ist aus meiner Sicht eine Randerscheinung, ein vorübergehender Trend – da hat der Artikel wiederum recht – aber keine Sache, die an den Fundamenten rüttelt, die Ende der 1960er Jahre gelegt wurden. Es fehlt schlicht der Neuigkeitswert, und auch der gesellschaftliche Disput, der da suggeriert wird.
Ein Punkt stellt der Artikel auch leider nicht richtig, was sehr bedauerlich ist. Ich konnte immer nur mit Kopfschütteln auf die deutsche Interpretation des schwedischen Du reagieren. Die Begeisterung der Deutschen für diesen schwedischen Brauch rührt beruht meines Erachtens nämlich auf einem grundlegenden Missverständnis.
Das deutsche Sie drückt zwar auch Respekt gegenüber Mitmenschen aus, insbesondere älteren. Jedoch ist ein weiterer wichtiger Aspekt die Schaffung eines Abstands zwischen einem selbst und der gesiezten Person. Das Sie drückt aus, dass man der angesprochenen Person nicht nahesteht. Das Du hat hingegen einen jovialen Charakter und findet bei einer Begegnung auf Augenhöhe zwischen jüngeren Menschen Anwendung.
Die Deutschen, die sich über das schwedische Du so freuen, glauben, es sei dasselbe wie das Deutsche. Ist es nicht. Wenn buchstäblich jeder mit Du angesprochen wird, dann hat es keine Bedeutung mehr. Der Polizist spricht einen Mörder bei der Verhaftung genauso mit Du an wie die Braut ihren Ehemann bei den Flitterwochen. Es ist vollkommen wertungsneutral. Wenn man also in Schweden geduzt wird, dann ist das vielleicht ein Bekenntnis zu geschwundenen Klassenunterschieden, aber es wohnt dem im Prinzip nichts joviales oder freundliches inne. Es geht nicht darum, eine Nähe zu schaffen, und wenn man glaubt, dem wäre so, dann ist das die Interpretation des Empfängers, nicht die Absicht des Senders.
Im Umkehrschluss würde ich auch davon ausgehen, dass das schwedische „Ni“ – übrigens die zweite Person Plural, nicht die dritte wie im Deutschen – eine prinzipiell eher untertänige und respektvolle Haltung transportiert. Ich möchte bezweifeln, dass einem schwedischen Polizisten einfallen würde, einen Mordverdächtigen mit Ni anzusprechen, denn Respekt hat er für den sicherlich nicht.
Das Problem, das einige der verlinkten Webseiten ausdrücken, ist, dass das Ni von älteren Menschen auch falsch als kränkend empfunden werden kann – wohl in dem Sinne, dass junge Menschen ironisch Ni verwenden und sich der angesprochene veralbert fühlt. Interessanterweise hat sich daher noch eine weitere Form herausgebildet, nämlich die Anrede in der dritten Person Singular mit Titeln. Das habe ich schon bei Interviews mit dem König gesehen, dem dann statt z.B. statt der dann statt z.B.
Was sagen Sie dazu?
gefragt wurde
Was sagt der König dazu?
Klingt seltsam, aber hat sich anscheinend etabliert.
Jenseits aller Missverständnisse und Feinheiten muss aber auch eines gesagt werden: die schwedische Lösung ist mir deutlich lieber als die deutsche. Dieses Herumrätseln, ob man nun schon Du sagen darf, weil man es mal angeboten bekommen hat, oder eben nicht, fand ich immer schwierig. Man hat im Schwedischen immer eine Lösung, ohne überlegen zu müssen. Zudem finde ich diese Konsequenz, mit der man versucht hat, eine gleichgestellte Gesellschaft zu erreichen, beachtlich. Zwar wird eine Gesellschaft dadurch nicht automatisch gleicher, aber es kann als Symbol durchaus dienen. Ich sehe auch nicht, wieso man das in Deutschland nicht könnte. Immerhin hat man es geschafft, das Fräulein abzuschaffen. Dann sollte es doch auch möglich sein, das Siezen loszuwerden.
Update 5.2.: Asche auf mein schnellschreibendes Haupt. Der letzte Aspekt des missverstandenen Du seitens der Deutschen wird in dem Artikel am Ende durchaus noch angesprochen.
Es hat ja lange gedauert, aber der geplante Tunnel zwischen Puttgarden auf Fehmarn und Rödby in Dänemark hat es endlich auch in die schwedischen Medien geschafft. Vor gut zwei Wochen war dieser Artikel im Svenska Dagbladet, der im Wesentlichen die Fakten auf den Tisch legt und durchscheinen lässt, dass die deutsche Seite so aus der Affäre gezogen hat, dass sie minimale Verantwortung und minimale Kosten hat.
Viel mehr aufgefallen ist mir aber dieser Beitrag, der schon Ende August im Deutschlandfunk lief. Er entstand aus dem Anlass, dass ein „Dialogforum“ zum Bau der festen Querung eingerichtet wurde. Ich habe auch schon zuvor keinen Hehl daraus gemacht: spätestens seit die geplante Brücke durch einen Tunnel ersetzt wurde, bin ich vorbehaltlos für dieses Projekt. Die Umweltfolgen sind gering, der langfristige Nutzen erheblich.
Daher bin ich auch bei dem Dialogforum etwas skeptisch. Es wirkt nämlich wie eine Überreaktion der Politik, die bei einem Bürgerprotest gleich ein neues Stuttgart 21 befürchtet. Also bietet man an, über etwas zu reden. Nur wie bei S21 sind Verträge geschlossen, so dass es im Grunde eigentlich nichts mehr zu bereden gibt und damit die Gegner nicht zufrieden sein kann. Das „Ob“ steht außer Frage, nur das „wie“ ist noch gestaltbar. Der Vergleich mit S21 hinkt aber an so vielen Stellen, dass es ein Witz ist, auch nur andeutungsweise beides auf eine Ebene zu stellen. Das beginnt schon damit, dass nicht einmal die Fehmarner selbst voll hinter den Gegnern stehen.
Das Forum könnte allenfalls die sinnvolle Planung der Hinterlandbindung unterstützen, aber darum geht es den Gegnern des Projekts wiederum nicht. Insofern sehe ich nicht, wohin eine solche Plattform führen soll. Ich bin gespannt, wie sich die Sache weiter entwickelt – und hoffe, dass die nächsten Beiträge sich eher mit den Plänen beschäftigen als mit der übersteigerten Reaktion auf Protest.
Es ist nicht mehr unbedingt nötig, sich noch weiter über die gestrige Niederlage auszulassen. Natürlich war ich auch etwas geknickt. Bis zum Halbfinale hätte es schon weitergehen können und sollen.
Man muss das Positive sehen – Fußball ist aus zwei Gründen ein interessanter Sport. Zum Ersten, weil wenige Tore fallen und damit ein einziges Tor den Spielverlauf komplett umwerfen kann. Lange Zeit war es im Frauenfußball aber so, dass Spiele erdrutschartig in wenigen Minuten gewonnen wurden. Das ist vorbei. Zum Zweiten ist es wichtig, dass Spiele unerwartet ausgehen können. Das ist bei den Männern so, wenn Griechenland Europameister wird und Frankreich in der Vorrunde sieg- und torlos ausscheidet. Das ist bei den Frauen nun auch so. Frauenfußball ist eben normaler Fußball geworden. Gut so.
Ich kann immerhin noch auf mein zweites Pferd umsatteln: Schweden. Die sind nämlich auch unerwartet, aber unerwartet gut. Vielleicht schaffen die es ja, die Japanerinnen zu besiegen.
Die Überschrift ist übrigens die weibliche Variation eines geflügelten Wortes im schwedischen Fußball – vielleicht vergleichbar mit „Aus, aus, das Spiel ist aus“. Es geht auf den unerwarteten Sieg Japans über Schweden bei den Olympischen Spielen 1936 zurück, bei dem der Radioreporter Sven Jerring den verzweifelten Ausruf:
Der beste Beitrag kam gleich zu Beginn des Abends:
Besser geht’s nicht – Raab ist einfach großartig, und zwar so sehr, dass man über das eher peinliche Englisch hinwegsehen kann. Man merkte auch: das Moderationsteam hat sich aufeinander abgestimmt. Raab schien mir am Donnerstag als überschüssig – Rakers und Engelke hätten die Show auch alleine geschmissen. Gestern war er Gold wert.
Die meisten Beiträge waren ja schon bekannt. Das zweite Halbfinale, welches an dieser Stelle noch nicht behandelt wurde, fand ich im Allgemeinen eher schwach. Während ich im ersten Halbfinale auf Anhieb eine Reihe brauchbarer Titel fand, fiel mir das beim zweiten schwer.
Auch die Titel der Big Five plätscherten größtenteils an mir vorbei. Mit dem italienischen Titel konnte ich nicht so wahnsinnig viel anfangen, aber dass er etwas ambitionierter ist, merkte man schon. Man musste Italien fast eine Stimme geben, damit sie den Wettbewerb nicht wieder für die nächsten 15 Jahre boykottieren. Beim französischen Titel schien es mir so, dass sich da einer in der Tür geirrt hat. Blue waren im Vorfeld genauso unnötig hochgejubelt wurden wie die gefönten Iren. Und Spanien trat wie immer mit einem netten Titel an, der nachher auf den hinteren Plätzen an.
Und dann Lena.
In Sachen Show war er definitiv einer der besten Titel. Musikalisch nicht der schlechteste. Aber ob man damit nochmal den gesamteuropäischen Nerv treffen kann, war mehr als fraglich.
Saades Titel fand ich von Anfang an ganz ok, aber nicht großartig. Er ist eben zu sehr Euro-Dance-Trash, der einem vom ESC so bekannt vorkommt: dort erfolgreich, aber eben nur dort. Irgendwie passend dazu ist das Ergebnis.
Mir schien kaum vorstellbar, dass der Titel so einschlagen würde, aber als der Sieg möglich schien, hoffte ich natürlich darauf. Im Globen den ESC zu haben wäre schon cool. Trotzdem: es wäre schade irgendwo, wenn man ausgerechnet mit einem Beitrag gewonnen hätte, dem einfach irgendwo das Format fehlte.
Letzten Endes also Aserbaidschan, was bemerkenswerterweise einer meiner Favoriten war. Aber: mit Finnland und Schweiz lag ich vollkommen daneben. Finnland hatte auch den Nachteil des frühen Startplatzes. Für die Schweiz gilt das freilich nicht. Ich hatte nicht gedacht, dass dieses nette Lied mit der ebenso netten Sängerin derart abgestraft wird. Es zeigt sich wieder einmal, dass die Halbfinals hervorragende Vorsortierer sind: der Schweizer Beitrag hatte es mit nur einem Punkt Vorsprung ins Finale geschafft.
Deutschland braucht sich nicht zu schämen: ein passabler 10. Platz und eine gute Show.
Nächstes Jahr also Baku, und das ist das einzig bittere daran: Aserbaidschan ist ein autoritär regierter Staat und damit nicht viel besser als Weißrussland. Man wird damit einem höchst fragwürdigen Regime eine Bühne bieten.
Ich finde, man (d.h. Deutschland oder Schweden) sollte deshalb nächstes Jahr wieder gewinnen, damit der Wettbewerb nicht in falsche Hände gerät 🙂
Ich musste schon eine Träne verdrücken, als Winfried Kretschmann heute morgen zum Minischderpräsident des Landes Baden-Württemberg gewählt wurde. Dass nach der Wahl Ende März nun das Realität wird, was ich nie zu erleben glaubte. Dass ein Nicht-CDU-Mann in dieses Amt gewählt wird, haben nicht einmal meine Eltern erlebt.
Geradezu erbärmlich dieses mitleidige Gelaber im Fernsehen über die CDU-Abgeordneten, die nun ihre Lebensträume durchkreuzt sehen. Wer Wahlen als Bestätigungsveranstaltungen ansieht und eine politische Karriere als unaufhaltsamen Karrierezug, der kann einem bestenfalls leid tun, dass er ein Produkt der Verfilzung Baden-Württembergs ist. Demokratieverständnis muss bei der CDU erst noch einsickern. Vielleicht ist das auch schonmal der erste positive Effekt dieses Wechsels.
Ich bin aber auch Realist genug, zu wissen: in 5 Jahren ist es wieder vorbei. In einer gigantischen Ausnahmesituation wurde die CDU unter 40% gedrückt und die FDP fast über den 5%-Abgrund geschoben. Die grün-rote Regierung, die das allein durch überzeugende Arbeit noch einmal schaffen will, kann ich mir kaum vorstellen. Dazu waren die letzten Woche zu verhalten und unharmonisch, als dass man allzu große Hoffnungen haben könnte. Selbst wenn die Regierung ihre Arbeit gut macht, wird es für eine Wiederholung kaum reichen.
Eigentlich müssten sie jetzt 5 Jahre lang regieren, als ob es keinen Morgen gäbe. Eine spektakuläre Maßnahme nach der anderen, damit die Leute auch etwas davon merken, dass sie von jemand anderem regiert werden. Nur ist Deutschland nicht anfällig für einen reißerischen Politikstil, und Baden-Württemberg schon zweimal nicht. Natürlich wäre dann auch die Frage, ob dabei etwas vernünftiges herauskäme, und das darf doch in den klassischen Landespolitikfeldern Bildung und Justiz bezweifelt werden.
Aber die Zeiten ändern sich auch und mit ihr die politische Landschaft. Es bleibt eben nicht immer alles so, wie es ist – und das ist ab heute auch in Baden-Württemberg so. Ich wünsche Winfried Kretschmann jedenfalls viel Erfolg bei ihrer Arbeit. Sie haben einiges vor sich.
Man mag vom Eurovision Song Contest halten, was man will: es ist eine der meistbeachteten Veranstaltungen der Welt.
Ich gebe gerne zu, dass ich ihn jedes Jahr schaue. Meine Europabegeisterung lässt die Albernheit der ganzen Angelegenheit zurücktreten.
Auch wenn ich gestern nicht mitwählen durfte, so wollte ich doch einmal erleben, wie das nun mit Engelke, Raab und Rakers ist. Die Anfangsgags waren ESC-gewohnt zum Fremdschämen, aber Judith Rakers letztendlich im Green Room gut platziert. Und die Einlage von Anke Engelke und Stefan Raab, die die ESC-Teilnehmer diesen Kracher singen ließen, war dann doch ganz witzig:
Die Show gerissen hat freilich Anke Engelke, die nicht nur die zwei relevanten Fremdsprachen besser spricht als es Raab es jemals auch nur mit einer könnte. Es war fast schade, dass ihre Tanz- und Playbackeinlagen zu jedem der 10 Gewinnertitel nur kurz eingeblendet wurden.
Die Musik war wie immer mit vielen Belanglosigkeiten gespickt, die es zum Glück größtenteils nicht ins Finale geschafft haben.
Obskure Dinge waren kaum dabei, aber man darf sich schon fragen, ob die Portugiesen ernsthaft damit rechneten, mit diesem Song ins Finale einzuziehen:
Kein Land ist derart notorisch erfolglos wie Portugal: 44 Teilnahmen und das höchste der Gefühle waren ein 6. Platz. Aber man wird doch wohl nicht ernsthaft erwarten, mit einem auf portugiesisch vorgetragenen Satirepolitsong weiterzukommen.
Auf der anderen Seite ziehen auch immer Lieder ins Finale ein, wo ich nur den Kopf schütteln kann. Wieso beispielsweise Griechenland und Litauen weiterkamen, ist mir ein Rätsel.
Meine vier Favoriten waren übrigens:
Finnland: Paradise Oskars liebenswürdig-ironische Weltverbesserungsliedchen hat fast schon Ohrwurmqualitäten. Er kam auch prompt weiter, ist im Finale aber auf Startplatz 1 gesetzt, was seine Chancen natürlich verringert.
Schweiz: Auch ein beschwingt süßes Lied, das es genau deswegen ganz weit bringen könnte und auch ins Finale einzog.
Aserbaidschan: eine nette Bombast-Ballade, die es ebenso ins Finale geschafft hat.
San Marino: Die Sängerin war zwar bis vor kurzem wohl noch nie in dem Land, aber das ist ihr in dem Fall wohl auch nicht vorzuwerfen. Jedenfalls haben sie keine allzu schlechte Wahl getroffen. Den Titel fand ich ganz nett, aber mehr auch nicht. Er schaffte es auch nicht ins Finale.
Sehr beunruhigend finde ich, dass sich mein Geschmack offenbar zumindest in erheblichen Teilen mit dem der Allgemeinheit deckt. Das war bislang nie so und ist hoffentlich kein Zeichen meines fortschreitenden Alters.
Etwas peinlich war der Tonausfall während der Übertragung – das schwedische Fernsehen hatte ca. ein Drittel der Show gar keine Verbindung zu den Kommentatoren und behalf sich am Ende mit Telefonen. Das dürfte vor allem nicht ganz das sein, was die Europäer von den Deutschen erwarten. Gerüchteweise sollen Züge in Deutschland pünktlich sein.
Ich freue mich jedenfalls schon auf das morgige zweite Halbfinale. Dann hoffentlich mit Ton, und vielleicht schafft es Eric Saade sogar ins Finale.