Studentenschwund – die Folgen der Studiengebühren in Schweden (2)

Helsinki

Als ich noch Masterstudent war, bezahlte mir die KTH einmal eine Fahrt nach Helsinki samt Übernachtung. Das war in der Tat sehr großzügig, aber nicht ganz so großzügig wie in den Jahren zuvor – da fuhr der ganze Kurs Reaktorphysik nach Belgien. Der Grund dafür war schlicht, dass man einen entsprechenden Reaktor für die Experimente in Schweden nicht mehr hat.

Eine kleine Geschichte zwischen Finnland, Schweden, Pakistan und einem Forschungsreaktor

In meiner Gruppe waren zwei pakistanische Studenten, die ich in dem Rahmen etwas kennenlernen durfte. Ich zeigte ihnen das bisschen von Helsinki, das ich kannte. Die beiden waren sehr nett, zurückhaltend und bescheiden. Es war recht offensichtlich, dass sie mit sehr begrenzten Mitteln wirtschafteten. Wohl nicht nur aus religiösen Gründen hatten sie etwas Toastbrot und Brotaufstrich dabei, um ein paar Mahlzeiten zu ersetzen. Bei politischen Fragen wollte ich nicht allzu tief bohren, aber es war schon interessant zu hören, dass sie unumwunden sagten, es lohne sich bei ihnen nicht, zur Wahl zu gehen, weil sie sowieso nicht sauber verlaufe. Die Aussage, dass die Taliban es immerhin geschafft hätten, Afghanistan einigermaßen stabil zu regieren, konnte ich zwar bestätigen – freilich aus einem anderen Blickwinkel. Vor einem Sex-Shop in Helsinkis Innenstadt fragten sie, ob sie denn da reingehen dürften. Ich antwortete, dass sie das natürlich dürften. Ausprobiert haben sie es nicht. Schade eigentlich, denn das hätte dieser interkulturellen Begegnungsreise noch einiges hinzugefügt.

Wir führten allerlei kleine Experimente an einem Forschungsreaktor in Helsinki durch, die wir anschließend auswerten und in einem Bericht zusammenfassen sollten. Frisch vom blauen Tscherenkow-Licht angestrahlt kehrten wir nach Stockholm zurück. Ab dem Zeitpunkt ging es bergab. Wir einigten uns darauf, dass ich den Bericht zusammenstellen sollte und jeder ein Drittel der Aufgaben bearbeiten würde. Die Stücke, die meine Mailbox erreichten, waren weitaus schlimmer als erwartet.
Nicht dass ich ein perfektes Englisch erwarten würde – wir sind alle keine Muttersprachler – aber dass die Texte auch einmal gelesen werden schien nicht zuviel verlangt. Stattdessen erhielt ich Texte, die mit Fehlern übersät waren. Die Analysen waren weitgehend nicht nachvollziehbar gemacht, die Resultate unvollständig.

Als wir das einreichten, war das Urteil wenig überraschend: nicht akzeptiert. Man musste sich also zusammensetzen und alles noch einmal überarbeiten. Das scheiterte schon daran, dass einer der beiden im Sommer nach Pakistan gereist und seither nicht mehr erreichbar war. Es musste angenommen werden, dass er nicht mehr zurückkehren würde. Das Ende kann man erahnen: der andere zeigte immerhin noch etwas Interesse, aber das allermeiste blieb an mir hängen. Das Gemachte konnte man wegen Unverständlich- und Unbrauchbarkeit in die Tonne treten. Stattdessen machte ich die Aufgaben selbst.

Die Situation war schon grotesk: ich hatte den Kurs nur spaßeshalber belegt und brauchte die Punkte nicht. Die beiden hingegen machten einen Reaktorphysik-Master, bei dem dies natürlich ein Pflichtkurs war. Wichtigkeit und Engagement standen in deutlichem Widerspruch. Ich beschloss, in diesem Fall einmal unsolidarisch zu sein und den Tutoren zu empfehlen, dem entschwundenen Kommilitonen den Kurs nicht anzurechnen – physische Anwesenheit war schon irgendwo vorauszusetzen, fand ich. Es ist nicht ganz ohne Unbehagen, wenn ich mir überlege, dass er vielleicht mit seiner halbfertigen Ausbildung und derart offenkundigen fachlichen Mängeln in Pakistan an den Reglern eines dortigen Kernkraftwerkes sitzen könnte.

Etwas aus dem Fenster gelehnt: was die beiden hierher brachte

Was hat diese Anekdote mit dem Thema zu tun? Mehr als man denkt.

Die beiden Kollegen scheinen mir nicht untypisch zu sein. Bei beiden hatte die Familie schon eine Ehe arrangiert. Sie lebten in bescheidenen Verhältnissen dicht gepackt in einem Zimmer. Sie verdienten sich etwas Geld durch das Verteilen von U-Bahn-Zeitungen hinzu.

Ich glaube nicht, dass der Grund ihrer Anwesenheit in Schweden akademische Bildung oder gar Exzellenz war, ja nicht einmal die Ausbildung an sich. Sie waren eher Vertreter der pakistanischen gehobenen Mittelschicht, die mit den Mitteln der Familie ins Ausland geschickt wurden, um dort irgendetwas zu studieren, auf dass man einen vorzeigbaren Sohnemann habe. In Schweden zu bleiben war zu keinem Zeitpunkt eine Option, und die Wahl fiel auf das Land nur, weil man hier eine englischsprachige Ausbildung ohne Studiengebühren erhalten konnte.

Die Frage ist, ob dies wirklich so typisch ist. Dazu habe ich morgen einen recht authentischen Erfahrungsbericht eines ehemaligen pakistanischen Studenten.

What’s going on?

Mancher mag sich ja fragen, wieso so wenig hier passiert in letzter Zeit. Nun ja, es hat wohl damit zu tun, dass ich ab und zu auch mal was Vernünftiges mache 🙂

Trotzdem hier einige Dinge, die sich aktuell gerade so abspielen:

  • DASDING.de hat einen Relaunch gemacht, und dafür mussten ein paar Nächte dran glauben. Leider ist die Arbeit noch lange nicht fertig.
  • Trotz allem konnte ich mittlerweile die meisten meiner Praktikumsprotokolle einreichen, so dass nun „nur“ noch das Protokoll für den Reaktortrip nach Finnland übrig ist.
  • Die mittlerweile nahezu unendliche Geschichte meines Furunkels am Hintern geht weiter. Nachdem ich nun geschlagene zwei Monate auf einen ersten termin beim Chirurgen gewartet habe, darf ich nun noch einen Monat warten, bis das endlich operiert wird. In solchen Bereichen hat das schwedische Gesundheitssystem massive Schwächen, denn man hätte den Aufwand und die Kosten massiv reduziert, hätte man den Eingriff schon Ende November gemacht. Stattdessen lässt man die Leute warten und hat als Sicherheitsnetz die Notaufnahme, die dann wiederum allen möglichen Kleinkram behandeln muss, der normalerweise nicht in ihren Bereich fällt.
  • Heute Nacht ist Tsunami Tuesday, der größte Tag bei den amerikanischen Vorwahlen. Ich überlege schon jetzt, wie ich das mit meiner Vorlesung morgens um 8 vereinbaren kann.
  • Wenn wir schon bei weniger essentiellen Dingen des Lebens sind: seit einiger Zeit interessiere ich mich sehr für Genealogie. Mein Stammbaum bei verwandt.de hat mittlerweile 207 Mitglieder, vor allem dank meiner Mutter, die ein geradezu unglaubliches Wissen über die Verwandtschaft hat. Das in der Seite verankerte Social-Networking-Prinzip kann nämlich nur sehr bedingt fruchten, da natürlich nur Personen teilnehmen können, die noch leben. Daher geht der Stammbaum zwangsläufig sehr in die Breite, aber wenig in die Höhe. Soll heißen: Man kann zwar die Zusammenhänge zwischen den lebenden Verwandten sehr gut erstellen, wenn man sie etwas befragt, aber weiter als bis zu den Urgroßeltern wird man ohne eigene Recherchen nicht vorstoßen können. Der Weg dazu war mir anfangs nicht so klar. Nach etwas Recherchen habe ich nun begonnen, bei den Standesämtern anzufragen. Diese erfassen nämlich die Daten seit 1876, was mit etwas Glück sogar bis zur Generation der Ururgroßeltern reicht.