Es fährt ein Zug nach Göteborg

Ich kann mich noch sehr genau an den Tag erinnern, als ich das erste Mal in Göteborg war. Es war der letzte Mittwoch.

Meine innerschwedische Reiseaktivität ist nicht sonderlich hoch, auch weil Schweden als Reiseziel nicht mehr ganz so spannend ist, wenn man einmal hier wohnt. So hat es z.B. für Malmö, Sundsvall, Söderköping, Valdemarsvik und Lund gereicht, aber nie für Schwedens zweitgrößte Stadt.

Da traf es sich gut, dass ein Länderspiel anstand. Ein Freundschaftsspiel nur, aber man kann es sich nicht aussuchen oder warten, bis das Losglück Schweden und Deutschland bei irgendeiner Qualifikation in dieselbe Gruppe platziert.

Der Plan: nachmittags mit dem X2000 nach Göteborg, zum Spiel ins Ullevi-Stadion, Übernachtung in der Jugendherberge und früh morgens wieder zurück. Angesichts der Tageslichtverhältnisse um diese Jahreszeit und dieses knappen Zeitbudgets haben wir also nicht viel von Göteborg gesehen. Auch das Spiel war nicht übermäßig spannend.

Zwar war es nicht ganz so langweilig, wie einem das vor dem Fernseher erschienen sein muss, aber ein 0:0 ist per Definition nur beschränkt begeisterungsfähig. Die Schweden hatten sich auch so defensiv aufgestellt, dass da nicht viel passieren konnte. So scheiterten unsere Jungs an der gefühlt 15-köpfigen schwedischen Abwehr und die Schweden an dem eigenen Unvermögen. Dagens Nyheter war auch wenig begeistert und schreibt von „tapferen Zuschauern“ und einem schwedischen Rekord, bei einem Heimspiel in 90 Minuten kein einziges Mal aufs Tor geschossen zu haben.

Wir hatten trotzdem unseren Spaß. Im Gegensatz zum WM-Qualifikationsspiel gegen Albanien froren wir uns dieses Mal wenigstens nicht den Hintern ab. Ein neuerliches Anschauen des Spiels im Fernsehen mit einem eventuellen Kurzfernsehauftritt meinerseits (man weiß ja nie) habe ich aber unterlassen. So spannend war es nun wirklich nicht.

Trotzdem schön war die Anmerkung des Fernsehkommentars, die Schweden brächten es sogar fertig, Nationalhymnen weihnachtlich klingen zu lassen. Diese wurden nämlich von einem Chor vornehmlich blonder Frauen vorgetragen. Man muss schließlich Klischees bedienen.

Vorweihnachtlich war es in Göteborg aber in der Tat. Vielleicht ist es mir in Stockholm einfach nicht so aufgefallen, aber Weihnachtsdekoration war in Göteborg schon sehr präsent. Viel mehr habe ich von der Stadt freilich nicht gesehen – das muss ich auf ein anderes Mal verschieben.

Unköniglich

Ein mittelschwerer Skandal schwappt durch Schweden: Geliebte und Besuche in illegalen Bordellen sind nicht gerade das, was man mit Schwedens sonst sehr braven, wenn auch gelegentlich medial etwas ungeschickten König verbindet. Ein gerade erschienenes Buch „Carl XVI Gustav – den motvillige monarken“ („Carl XVI Gustav – der widerwillige Monarch“) tut aber genau dies und geht noch weiter. Der Sicherheitsdienst soll Wohnungen durchsucht und unschmeichelhafte bzw. kompromittierende Fotos beschlagnahmt haben.

Starker Tobak also, das Ganze. Eine an dem Buch beteiligte Journalistin des schwedischen öffentlichen-rechtlichen Rundfunk wurde auch gleich beurlaubt. Das Buch verkauft sich blendend. Die erste Auflage ist fast vergriffen und eine zweite wird vorbereitet.

Und was macht der König selbst? Er äußerte sich bei einer improvisierten Pressekonferenz zu allem möglichen, aber nur teilweise zum Buch.

Hier die relevanten Passagen aus seinem Statement:

[…] und es gibt ja ein großes Interesse […] für ein Buche, das sozusagen zu meinen Ehren erschienen ist. Das kommt darauf an, wie man es sieht. Und ich habe, nur damit ihr das versteht, es bislang nicht geschafft, das Buch zu lesen. Wir erhielten es sehr spät gestern Nachmittag, und ich war den ganzen oder zumindest den halben Tag gestern bei einem anderen Auftrag. Ich habe leider nicht den ganzen Tag Zeit, mich hinzusetzen und Bücher zu lesen, wie ihr es vielleicht macht, sondern ich war in der Sankt-Klara-Kirche in Stockholm, was ein sehr interessanter Besuch war.
[…] ich kann kein Buch rezensieren, das ich nicht gelesen habe. Ich habe mittlerweile wegen einer ganzen Reihe Schlagzeilen mitbekommen, um was dieses Buch handeln kann […] Es ist klar, dass es nicht so lustig ist, ein Buch zu rezensieren, wo man, ja, verschiedene Schlagzeilen bekommt, die man vielleicht nicht so nett anzuschauen findet. Und mit dem Gedanken an diese Schlagzeilen habe ich natürlich mit der Familie und der Königin gesprochen. Und wir blättern jetzt um, ungefähr wie ihr es in euren Zeitungen macht, und schauen stattdessen nach vorne. Weil das etwas ist, das, wie ich es verstanden habe, laut dem Buch und meinen Informationen eine sehr lange Zeit her ist. Wir schauen nach vorne und es soll schön und interessant für uns werden, zu arbeiten.
Aber um arbeiten zu können müssen wir eine Möglichkeit haben – und nun wende ich mich an euch – zur Ruhe zu kommen. Wir haben gewisse Verpflichtungen zu erfüllen und wir haben fast jeden Tag zu arbeiten.

Sprach’s und schritt zur Elchjagd.

Nun ist es mir seit jeher schleierhaft, warum der europäische Hochadel als selbsterklärte Elite und moralische Instanz praktisch durchweg dem fragwürdigen Hobby nachgeht, irgendwelche Tiere über den Haufen zu schießen. Dass man auf sein Hobby verzichten sollte, wenn man sich in der Öffentlichkeit ungeheuerlichen Vorwürfen ausgesetzt sieht, versteht sich aber eigentlich von selbst.

Er hätte sich das Buch in der Zwischenzeit ja durchaus mal durchlesen können. Ich konnte zwar nicht herausfinden, wieviele Seiten es hat, aber zum Durchschmökern sollte es auf alle Fälle reichen. Vielleicht hat er es auch getan. Jedenfalls wurde von ihm selbst anscheinend beschlossen, keine rechtlichen Schritte gegen die Verfasser einzuleiten. Man werde nichts weiter dazu sagen.

Das Ganze liest sich wie die Blaupause eines PR-Debakels. Dass es sich vielleicht für einen König nicht ziemt, bei einer Klage gegen ein Schmutzgeschichtenbuch vor Gericht auszusagen, mag ja noch nachvollziehbar sein. Aber nicht einmal ein Dementi?

Durch seine Wortwahl sagt er eigentlich nur: das ist lange her, lasst uns in Ruhe, ich will nicht darüber reden. Damit lässt er die Tür für Spekulationen weit offen und setzt sich dem Verdacht aus, dass etwas dran sein könnte. Man sollte sich an der Stelle auch vor Augen führen, dass Prostitution in Schweden illegal ist und die besagten Nachtclubs damals in der Hand von Kriminellen waren. Damit geht es nicht nur um Seitensprünge, sondern möglicherweise sogar um Rechtsverletzungen.
Man hätte zumindest etwas Haltung bewahren können, wenn man gesagt hätte, dass man sich nichts zu Schulden kommen lassen hat und haltlose Stellungen nicht kommentieren wird. So wirkt das aber nur wie ein Ausweichmanöver, um die Sache auszusitzen, weil man glaubt, so fest im Sattel zu sitzen, dass das schon irgendwie vorbeigehen wird. Moralische Überlegenheit und vorbildhaftes Verhalten sieht anders aus.

Die Unterstützung für das Königshaus ist seit 15 Jahren am Sinken und liegt weit unter dem Niveau anderer Monarchien in Europa. Wenn der König nun nicht nur durch unglückliche Statements auffällt, sondern auch durch Eskapaden, dann wird das den Trend nur noch verstärken. Schweden wird jetzt zwar nicht gleich republikanisch werden, aber ein Ruhmesblatt ist die ganze Aktion nun wirklich nicht.

Wo Amerikaner gerne leben würden

Die folgenden zwei Videos sind ein alter Hut, so dass ich sie nur der Vollständigkeit halber hier präsentiere (und allen, die sie noch nicht gesehen haben, das Anschauen wärmstens ans Herz lege):

The Daily Show With Jon Stewart Mon – Thurs 11p / 10c
The Stockholm Syndrome Pt. 1
www.thedailyshow.com
Daily Show Full Episodes Political Humor Rally to Restore Sanity
The Daily Show With Jon Stewart Mon – Thurs 11p / 10c
The Stockholm Syndrome Pt. 2
www.thedailyshow.com
Daily Show Full Episodes Political Humor Rally to Restore Sanity

Damit wissen wir schon nach rund der Hälfte: die Schweden (und ich) leben in einem sozialistischen Alptraum.

Und Sozialismus ist etwas, das die Amerikaner gar nicht mögen, selbst wenn sie keine Ahnung haben, was das eigentlich ist.

Demonstrant am 12. September 2009 in Washington, DC (Foto: Andrew Aliferis, Lizenz: CC Attribution-NoDerivs 2.0 Generic)

Was passiert, wenn man zu Dingen, von denen man keine Ahnung, aber zu denen man selbstverständlich eine Meinung hat, haben wir vorgestern bei den Midterms vortrefflich gesehen.

Daher ist es auch nicht so wirklich überraschend, dass wenn man einmal nicht nur fragt, welchen Marktschreier man denn hinterher läuft, sondern wirklich mal eine sachliche Frage untersucht, ganz andere Ergebnisse herauskommen.

Genau dies hat die Harvard Business School getan. Sie hat Amerikaner in einer Studie gefragt, welche Wohlstandsverteilung in den USA ihrer Ansicht nach herrscht und welche Verteilung ihrer Meinung nach herrschen sollte. Um das zu sortieren, haben sie die Gesamtbevölkerung in 5 Teile (á 20% logischerweise) aufgeteilt. Es ging also darum, zu bestimmen, wieviel die oberen 20%, die untersten 20% und die drei Gruppen dazwischen besitzen sollten. Die Ergebnisse sind hochinteressant.

Eine Aufgabe war nämlich, dass die Teilnehmer zwischen drei möglichen Verteilungen die ihrer Ansicht nach beste wählen sollten. Zur Wahl standen:

  • Die reale Verteilung des Besitzes in Schweden
  • Eine gleichmäßige Verteilung, d.h. jede der 5 Gruppen besitzt genau 20%
  • Die reale Verteilung des Besitzes in den USA

Das Ergebnis: im direkten Vergleich hätten 92% gerne eine Verteilung wie in Schweden. Das überrascht mich nicht wirklich, denn die Verteilung in den USA ist sehr ungleich: die oberen 20% besitzen über 80% des Wohlstandes. Das werden wohl auch die herzlosesten Turbokapitalisten nur mit Einschränkungen unterstützen. Interessanterweise würden aber auch 77% die vollkommen gleiche Verteilung gegenüber der realen Verteilung in den USA vorziehen. Das ist deswegen etwas überraschend, denn mit etwas Hirnschmalz kann man sich schnell ausrechnen, dass das bedeutet, drei Viertel der Befragten hätten gerne eine Gesellschaft, in der jeder praktisch gleich viel besitzt und damit, wenn man das noch weiter spinnt, auch gleich viel Einkommen hat.

Mit anderen Worten: Sozialismus!

Ein bisschen beliebter als der Sozialismus ist aber: Schweden. Die Amerikaner wollen also im Grunde eigentlich gar nicht dort, sondern hier leben. Wer hätte das gedacht?

[via The Baseline Scenario und Fiket]

Betrug mit deutschen Autokennzeichen in Schweden

Ungültige Kennzeichen im schwedischen Straßenverkehr

Der größte Lump im ganzen Land ist bekanntermaßen der Denunziant. Dementsprechend habe ich mir überlegt, ob ich überhaupt etwas schreiben soll, aber es dreht sich nicht gerade um ein Kavaliersdelikt. Ich habe es auch mal der Zeitung gesteckt, damit sie der Sache nachgeht, aber die scheint nicht interessiert.

Ich bin es aber, denn was man oben sieht, geschieht mit System und ist nicht nur ein Fall von Steuerhinterziehung und Versicherungsbetrug, sondern auch eine potenzielle Gefährdung des Straßenverkehrs. Das wirklich Schlimme ist aber, dass dieses Auto mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in keiner Polizeikontrolle gestoppt würde. Diese laufen in Schweden nämlich immer gleich ab: Führerscheinkontrolle, Alkoholkontrolle, und während das abläuft, schaut der Kollege im Auto nach, ob das Auto gestohlen gemeldet wurde.

Bei dem oben gezeigten Auto ist das aber wohl nicht so, denn es war nie angemeldet und kann daher kaum auffallen. Die Stelle, wo die Registrierungsplakette sitzen müsste, ist noch komplett jungfräulich. Mit anderen Worten: das Kennzeichen wurde offenkundig allein zum Zweck beschafft, damit illegal in Schweden herumzufahren.

Nun wäre das nicht schlimm, wenn es ein Einzelfall wäre. In den 5 Jahren hier sind mir immer wieder Autos mit ungültigen deutschen Kennzeichen aufgefallen. Meistens standen sie aber vor einem Autohändler herum, an dem ich jeden Tag vorbeikomme. Wenn die mit ihren entstempelten Schildern mal ein paar Meter bewegt werden – geschenkt. Aber im letzten halben Jahr habe ich mehrfache Fälle wie den oben abgebildeten gesehen, die sich ganz normal im Straßenverkehr bewegten.

Das lässt nur den Schluss zu, dass dahinter eine Menge krimineller Energie steckt. Die Polizei tut anscheinend nichts dagegen, oder kann vielmehr nichts tun, weil sie die ungültigen Schilder erst gar nicht erkennt. Ich kann nur hoffen, dass diese Autos nicht in Unfälle verwickelt sind.

Bröd

Sauerteigbrotschweden im Überblick (Ausriss: surdegskartan.se)

Eigentlich sollte man keine solchen Pauschalurteile machen, aber in dem Fall scheint eines geboten: Deutsche hassen schwedisches Brot.

Warum? Es ist weich wie Toastbrot und stets gesüßt. Da das Lebensmittelhandwerk im heutigen Schweden ein Schattendasein fristet, sind Supermärkte der Hauptlieferant für das beliebte Grundnahrungsmittel. Das Angebot dort besteht zu guten Teilen aus Kastenbroten, die schon geschnitten sind und somit gleich Toastform habe. Es gibt zwar verschiedene Sorten, die teilweise sogar Körner und solche exotischen Dinge beinhalten, aber an der Grundproblematik nichts ändern. Größere Supermarkte backen auch selbst, aber auch wenn diese anders aussehen – es ist meist Weißbrot, und selbst wenn nicht: viel zu weich, viel zu süß.

Im Grunde ist das die Klage jedes Auslandsdeutschen, denn das übliche Angebot in deutschen Bäckereien ist um einiges größer als in praktisch jedem anderen Land der Welt. Überall anders gibt es wenige Sorten Brot, flankiert von etwas Süßkram. An Brezeln oder ähnlich exotisches darf man gar nicht erst denken.

Was tut man also in der Backwarendiaspora? Eine Lösung ist selbst backen. Lidl hat beispielsweise ganz passable Backmischungen. Trotzdem ist das natürlich ein bescheidener Ersatz, weil selten so wie vom Profi und zudem aufwändig, besonders wenn man backtechnisch alle Register zieht und nicht nur die Backmischung nimmt.

Glücklicherweise gibt es auch in Schweden Sauerteigenthusiasten, die ihr Brot gerne weniger süß haben. Ein herausragendes Beisspiel ist Per Åström, der sich der Auffindung dieses Produkts verschrieben und dafür die Seite Surdegskartan.se (Sauerteigkarte) ins Leben gerufen hat.

Hier sind, komfortabel auf einer Google-Maps-Karte durchsuchbar, zahlreiche Bäckereien und Konditoreien aufgeführt. Natürlich gibt es auch Links, sofern vorhanden. Noch besser ist, dass man sogar Tipps einreichen kann, wo sich Sauerteigerzeugnisvertriebsstätten befinden. Das habe ich gleich getan, und so hat die Karte nun zwei neue Einträge.

Wie man an obigem Screenshot sehen kann, sind es gar nicht mal so wenige Bäckereien, zumindest in den drei Großstadtregionen. Als kleinen Tipp für die Stockholmer möchte ich zusätzlich noch etwas anmerken, was diese Karte nicht abdecken kann: das Brothaus Moberg verkauft sein Brot nicht nur in eigenen Filialen in Åkersberga und Stockholm, sondern auch in vielen Supermärkten der Region. Ein Blick in die Liste auf der Homepage kann also ein kleines unerwartetes Sauerteigparadies ganz in der Nähe auftun.

[danke an Holger für den Tipp]

Inga Lindström – Die Prinzessin des Herzens oder wie man Zuschauern ein Nashorn als Elch verkauft

Eine der besten Szenen kommt gleich zu Anfang. Die Hauptfigur – eine Prinzessin, aber dazu später mehr – ist in Stockholm auf der Flucht vor Paparazzi. Sie rennt ihnen davon, und zwar ungefähr auf diesem Weg:


Visa Weg der „Prinzessin“ på en större karta

Neben der offenkundigen geographischen Unsinnigkeit der Szenen ist die Geschwindigkeit beeindruckend: ca. 5,4 km in 45 Filmsekunden – das macht 419 km/h im Schnitt. Eine beachtliche Leistung, das muss man schon sagen. Ich erinnere mich noch genau an den Drehtag, als ich den von der Prinzessin verursachten Überschnallknall vernahm.

Die Flucht gelingt, auch weil sie sich von einem herumstehenden Motorrad einen Helm nimmt. Der Besitzer des Gefährts kehrt aber zurück, ist ausgesprochen gutaussehend und die Prinzessin ist peinlich berührt.

Die meiste Zeit des Films ist es aber eher der Zuschauer, dem das Gezeigte die Schamesröte ins Gesicht treibt. Nicht wegen solcher sehr freien Interpretationen der Stockholmer Geografie wie oben dargestellt. Die Geschichte ist nämlich derart hanebüchen, dass es auch hartgesottenen Rosamunde-Pilcher-erprobten ZDF-Zuschauern reichlich obstrus vorkommen muss.

Weniger rasant, aber mindestens genauso unsinnig: die Handlung

Die Prinzessin heißt Christina, und ist nicht etwa Tochter eines Königs, sondern des Herzogs von Köping, einem Adelsspross aus einer Nebenlinie des Königshauses. Der ist mit Rufus Beck besetzt, der v.a. dank seiner Frisur ungefähr so gut in die Rolle eines schwedischen Aristrokraten passt wie Pete Doherty in die Rolle eines Entzugsklinikchefs. Christina wird in Kürze heiraten, und zwar den schnieken Henrik, seines Zeichens Prinz von Lappland. Und wenn der König von Lappland einmal abdankt oder den Löffel abgibt, dann wird sie Königin vom allseits bekannten Königreich Lappland mit all seinen Rentieren, Elchen, Wölfen, Bären und Rentieren – ach ne, die hatten wir ja schon. Ein Superdeal also, und der Herzog macht ihr deutlich, dass es ja wohl eine Sache des Pflichtbewusstseins sei, diese Ehe einzugehen.

Wenn da nicht Sven wäre, der wiederum Landschaftsarchitekt ist – das sind in dem Film Gärtner, die mit einem Bauplan herumstehen – und das Motorrad besitzt, an dem sich die Prinzessin eines Helms bemächtigt hat. Rein zufällig natürlich begegnen sich die beiden wieder bei der Eröffnung eines Golfclubs, die die Prinzessin durchführen soll. Sie hat ein bisschen Zeit und kommt beim Umherschlendern unter die Sprinkleranlage für den Rasen. Und wie man das eben so macht, bleibt man gleich im Wasser stehen und unterhält sich angeregt. Trocknen kann man schließlich später. Sven ist nämlich ein echter Gentleman und nimmt sie auf dem Motorrad mit zu sich nach Hause. Sein Haus ist – Achtung, jetzt wird es anarchisch – gelb und nicht rot, hat aber einen Kleiderschrank mit Klamotten seiner Schwester, woraus ihre Durchlaucht ein (trockenes) Kleid erhält. Sven ist nämlich Single und in Royal-Sachen ziemlich unbewandert. Deswegen ist ihm auch nicht ganz klar, wen er sich da ins Haus geholt hat. Seinen Schwestern – er hat zwei davon – aber schon, weswegen sie auch prompt einen Take-That-Gedächtniskreischer loslassen.

Es ist immer der Gärtner, pardon, Landschaftsarchitekt

Zur Familie von Sven gehört noch eine bezaubernde Nichte und ein Statist, der Fische durch die Gegend trägt und vermutlich der einzige echte Schwede in der Veranstaltung ist. Deswegen darf er sicherheitshalber nur ein paar Halbsätze sagen, und sogar die wurden auch noch synchronisiert. Die ganze Baggage lernt Christina kennen, als sie das Kleid zurückbringt. Natürlich findet sie Sven höchst charmant, und es kommt, wie es in solchen Filmen kommen muss: die beiden mögen sich ziemlich.

Dumm nur, dass die Gute ja schon kurz vor dem Traualtar steht. Dieser wiederum steht, wie man eingangs bei der Generalprobe sieht, sozusagen unter einem Partyzelt vor dem herzöglichen Landschloss. Der Herzog selbst ist übrigens Witwer und hat eine Affäre mit einer Klatschjournalistin, die den fast schon comichaften Namen Mona Misselholm trägt. Sie verlangt, dass er sich zu ihr bekennt, was er aber noch nicht so recht möchte. Das findet sie tendenziell eher nicht so gut. Es kommt zum Zerwürfnis. Was er nicht weiß: sie ist schwanger.

Derweil geht es auf einer schönen Insel – vermutlich auf dem Mälaren – zwischen Christina und Sven heiß her. Wie das so in Filmen ist, war das bescheidene königliche Boot (ohne Ironie: es ist eine Nussschale) unzureichend betankt und die beiden stranden auf jenem Eiland, weswegen die Durchlauchte das Krankenhaus nicht einweihen kann, das ihre selige Mutter einst auf den Weg brachte. Das gibt mächtig Ärger, als sie zurückkommt: sie muss ohne Abendessen ins Bett, und Henrik zeigt zwar, dass er sie liebt, aber im Grunde doch ein ziemlicher Schnösel ist. Sven ist mächtig deprimiert und beschließt, nach Finnland zu gehen.

Irgendwann hat der Herzog auch noch einen Autounfall, aber das ist nur Vorgeplänkel für den großen Schlussakt: er entdeckt in Monas Handtasche ein Ultraschallfoto. Die Gute ist nämlich schwanger, und zwar in der 12. Woche. Das Kind auf dem Foto ist aber eher in der 36. Woche und macht vermutlich eine Woche nach Geburt seinen Schulabschluss. Aber zurück zum Herzog: der hat Schwierigkeiten, mit Gips am Bein auf die Knie zu gehen, tut es aber trotzdem, denn er will Mona heiraten. Das findet sie tendenziell eher gut und sagt ja. Sie will aber den Artikel über die Sache selbst schreiben. Vielleicht kann sie an dem Artikel weiterschreiben, den sie angefangen hatte, als sie von dem Autounfall erfuhr. Er begann so:

Danpå en, som en sen
Som mycktiga här sides synenetta

Was soviel heißt wie „Das halten wir beim Produktionsteam für Schwedisch.“.

Der nun milde gestimmte Herzog kann letzten Endes akzeptieren, dass Christina den werten Henrik doch nicht mehr heiraten will. Dieser ist ein bisschen geknickt und muss alleine auf dem Elch nach Hause reiten. Christina hingegen ist außerordentlich glücklich, aber Sven ja schon auf dem Weg nach Finnland. Die schnellste Prinzessin der Welt schafft es in bemerkenswerten 30 Minuten, vom Landschloss am Mälaren zum Viking-Line-Terminal auf Södermalm zu fahren, wo Sven sich scheinbar gerade auf das Schiff Mariella (Farbe: rot) begibt, um kurz darauf mit dem Schiff Cinderella (Farbe: weiß) wegzufahren. In Wirklichkeit sitzt er aber an einem Aussichtspunkt und denkt intensivst nach. Da kommt ihm Christina natürlich gerade recht. Friede, Freude, Eierkuchen.

Vergessen wir einmal den ganzen Schmalz dieser Geschichte. Selbst wenn man über die üblichen unplausiblen Darstellungen Schwedens in den Lindström-Filmen hinwegsieht, so erreicht dieses Machwerk eine neue Dimension. Da braucht man gar nicht so sehr ins Detail zu gehen.

Zuschauer für dumm verkaufen

Für Royal-Desinteressierte muss die Darstellung des Adels schon absurd erscheinen. Für Royal-Begeisterte ist es der blanke Hohn.
Nun ist es nicht ausgeschlossen, dass ein Herzog auch eine Prinzessin hat. Aber nicht in Schweden. Die einzigen Herzöge, die dieses Land heute noch hat, sind die Kinder des Königs. Und selbst wenn es noch Herzöge gäbe, dann bestimmt keinen von Köping – wobei ich immerhin hoch anrechnen muss, dass Köping im Film korrekt als „Schöping“ ausgesprochen wird. Zudem sind Geographienamen in Adelsnamen in Schweden eher ungebräuchlich, soweit ich weiß. Erst recht abstrus wird es, wenn der Umgang mit der Prinzessin dargestellt wird. Der Umgang mit der aus irgendeiner Nebenlinie stammenden Adeligen schwankt zwischen Superstar und vollkommen unbekannt. Alle, die sie kennen, verfallen in eine Untertänigkeit, die man selbst in England nur bei der königlichen Familie selbst zeigen würde. Alle, die sie nicht kennen, sind überrascht, dass die anderen sie kennen. Als Sahnehäubchen macht sie auch noch einen auf Prinzessin auf der Erbse, die sich bei der ihr natürlich vollkommen unbekannten Tätigkeit des Kartoffelschälens nach 100 Millisekunden in die Finger schneidet.

Der Abschuss ist freilich der Prinz von Lappland. Musste es gleich ein Königssohn sein? Ich kann ja noch verstehen, dass man sich mit keinem existierenden Königshaus anlegen wollte, aber dass man ausgerechnet mit Lappland einen der dünnsten besiedelten Landstriche des Kontinents gewählt hat, der zudem auch noch teilweise zu Schweden selbst gehört, ist ein schlechter Witz.

Noch grotesker ist der zentrale Konflikt des Films: die Prinzessin fühlt sich aus Pflichtbewusstsein dazu genötigt, den Spitzenadligen Henrik zu heiraten und nicht den gewöhnlichen Bürgerlichen Sven. Und das wohl gemerkt in einem Jahr, in dem die schwedische Thronfolgerin ihren ehemaligen Fitnesstrainer heiratete!! Das hätte man sich nicht schlechter aussuchen können, zumal dieser Film offenkundig ein Trittbrettfahrer in Sachen Prinzessinnenhochzeit ist.

In diesem Film stimmt also so ziemlich gar nichts – mit dem feinen Unterschied, dass auch diejenigen, die wirklich glaubten, das Ganze habe etwas mit Schweden zu tun, sich gründlich verarscht vorkommen müssen.

Christiane Sadlo, wie Inga Lindström wirklich heißt, hätte besser von royalen Ambitionen die Finger gelassen. Das ewig gleiche Grundthema des idealisierten schwedischen Landlebens mit Holzhäusern und Picknick im Grünen gegenüber der vermeintlich hektischen Stadt, die immer Stockholm, aber nie Göteborg oder Malmö ist, hätte ohne diese an den Haaren herbeigezogenen Adligen erheblich besser funktioniert. Dass sie das Land Schweden verhöhnt, indem sie es zu einer Naturkulisse für Schmachtgeschichten degradiert und dabei ein Kunstprodukt ohne realen Bezug erzeugt, ist schlimm genug. Ihre Zuschauer aber für derart dumm zu halten, dass sie ihr diesen gequirlten Blödsinn abkaufen, ist armselig.

Wahlkampfthema: Jugendarbeitslosigkeit in Schweden

Jugendarbeitslosigkeit in der EU, Eurozone, Dänemark, Finnland, Schweden und Deutschland
Jugendarbeitslosigkeit in der EU, Eurozone, Dänemark, Finnland, Schweden und Deutschland

Einige der zentralen Fragen dieser Wahl ist die Jugendarbeitslosigkeit. Ich sehe von ihr im Alltag natürlich nichts, weswegen ich einmal die Zahlen von Eurostat herausgesucht haben – siehe Grafik. Das Bild ist natürlich erschreckend, wenn man den Vergleich mit Dänemark oder Deutschland bemüht. Auch gegenüber der EU als Gesamtes sehen die schwedischen Zahlen wenig erbaulich aus. Hinzu kommt, dass die Jahrgänge erheblich größer sind – die Zahl der 19-jährigen ist seit 2002 um rund 30% gestiegen.

Die bürgerliche Regierung hat in den letzten Jahren verschiedene Programme dazu aufgesetzt, darunter sogenannte Einstiegsjobs für junge Einwanderer, deren Anstellung zu erheblichen Teilen subventioniert wurde. Außerdem gibt es ein Förderprogramm, das vollmundig eine Jobgarantie verspricht. Sonderlich gefruchtet scheint das nicht zu haben, wenn man sich die Zahlen oben anschaut. Die Regierung schlägt deswegen vor, junge Erwachsene, die kein Abitur gemacht haben, also ohne Abschluss von der Schule gingen, eine höhere finanzielle Förderung zur Weiterführung ihrer Ausbildung zukommen zu lassen. Außerdem will sie eine sogenannte Lehrlingsprobeanstellung einführen, bei der junge Erwachsene für ein geringeres Gehalt eine Anstellung bekommen können sollen.

Die Sozialdemokraten und Gewerkschaften gefällt vor allem letzterer Vorschlag nicht. Die rot-grüne Opposition wirft der Regierung hier vor, sie hätte durch Kürzungen im Bereich der Erwachsenenbildung die Situation verschlimmert. Sie schlägt vor, die Jobgarantie mit einem Programm „Jobstart für Junge“ zu ersetzen, bei dem mir aber die Unterschiede im Detail zu liegen scheinen. Für das Ausbildungsproblem will sie ein eigenes Ausbildungsprogramm ins Leben rufen, bei dem die jungen Arbeitslosen, die aktiv an ihrer Weiterbildung haben, mehr Geld erhalten. Auch hier scheinen die Unterschiede eher im Detail zu liegen. Die übrigen Maßnahmen schlagen in die gleiche Kerbe: finanzielle Anreize und Weiterbildungsförderung.

So weit voneinander weg scheint mir das alles nicht zu liegen. Allerdings bin ich nicht so tief in der Materie drin, dass ich das mit endgültiger Gewissheit sagen könnte. Wer hier eine bessere Einsicht hat, kann gerne in den Kommentaren etwas dazu sagen.

Glücklicherweise trommelt sich keine auf die Brust, denn versagt haben anscheinend beide Seiten: die Sozialdemokraten mit dem Unvermögen, den Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit zu bremsen, die Regierung mit den vergeblichen Versuchen, sie nennenswert zu senken.

Einen interessanten Beitrag aus dem frühen Sommer habe ich beim Schweizer Radio gefunden. Hier kann man sich einmal aus einem anderen Blickwinkel einen Überblick verschaffen. Lediglich eine Sache scheint mittlerweile veraltet: leider sind die rechtspopulistischen Schwedendemokraten nicht so chancenlos wie dort dargestellt.

Die kleine Plakateschau: Folkpartiet

Die heiße Wahlkampfzeit bricht an, und ein untrügliches Zeichen hierfür ist das Sprießen der Plakate allerorten. Ab heute darf sogar schon gewählt werden, was die Wahl bequemer machen soll, aber mangels Briefwahlmöglichkeit auch den Zugang zur Urne sichern soll. Gezählt wird freilich erst am 19. September.

Bis dahin wird munter versprochen und vorgeschlagen. Besagte Plakate sind ein Ausdruck davon. Man unterstellt ihnen gerne (und zurecht), sie würden nur hohle Allgemeinplätze verbreiten. Dennoch habe ich einige fotografiert und werde sie hier zeigen, denn ich wage die These, dass sie trotzdem etwas über die Macher und deren Motive aussagen.

Werbung der Folkpartiet in T-Centralen

Dieses verunglückte Foto zeigt zwei U-Bahn-Plakate, die als Vorzeigeminister Jan Björklund (Bildung) und Nyamko Sabuni (Integration) zeigen. Er sagt „Die Zukunft beginnt im Klassenzimmer“, sie sagt „Die schwedische Sprache. Der Schlüssel zur Integration“. Das sind natürlich Sprüche, die man sich auch auf einen Topflappen häkeln könnte. Dass man ausgerechnet die beiden so prominent platziert, hat aber einen anderen Grund: sie sind prominent. Viele Minister hat die Partei nämlich nicht, und insbesondere Björklund als Parteichef zu präsentieren hat Bedeutung. Schließlich läuft gerade eine große Schulreform, und er hat sich als Advokat von härteren Anforderungen an die Schüler hervorgetan – was mir nebenbei bemerkt als erstrebenswert erscheint.

Auch sonst könnte man den Eindruck haben, die Folkparti fahre vor allem einen Personality-Wahlkampf:

Jan Björklund auf einem Auto, das (hoffentlich) nicht sein Wahlkampfbus ist

Das ist aber nicht der Fall. Von den 20 Wahlplakaten zeigen nur 7 einen Politiker, darunter 3 Björklund.

Männern können es. Gleichstellungsbonus für Eltern, die (die Elternzeit) gleich aufteilen.

Dieses Plakat gehört dabei aber noch zu den konkreteren. Die meisten gehen aber in die Richtung „mehr Jobs, mehr Firmen, mehr mehr – und Zukunft ist gut für uns alle“.

Zwei Dinge stechen aber aus meiner Sicht besonders hervor.

Zum Einen ist es Marit Paulsen, die sich mutig hinstellt und sagt

Kernkraft. Für das Klima. (Quelle: folkpartiet.se)

Dass eine Partei mit einem Bekenntnis zur Atomkraft Werbung macht, ist beachtlich. Woanders wäre das politischer Selbstmord, aber angesichts dessen, dass die Kernkraft mittlerweile wieder von einer Mehrheit der Schweden befürwortet wird und das liberale Wählerpotenzial, in dem Partei fischt, eher wenig grün ist, kann das vielleicht Stimmen ziehen. Man kann es vermutlich auch als Positionierung gegenüber den Moderaterna sehen, denn die Christdemokraten und das Zentrum dürften zu den eher kernkraftskeptischen Teilen der Regierung gerechnet werden.

Die andere auffällige Sache ist ein klares Bekenntnis zum Euro. Nichts neues, denn die Partei war schon immer eher eurofreundlich – aber er ist kein heißes Wahlkampfthema, und derzeit (noch) kein Thema, mit dem man viel gewinnen könnte.

Seltsame Mails und das Dilemma der Hilfsbereitschaft

Diese Aktivitäten im Internet haben über die Jahre einige interessante Nebeneffekte erzeugt. Neben der gelegentlichen unerwartete Besucherwelle sind das auch immer wieder unerwartete Kontaktaufnahmen. So erhielt ich neulich eine Mail eines Arztes aus meiner Heimat, der in Schweden in Urlaub machte und sich fragte, welche Schären den besuchenswert seien. Ein anderer Schreiber wies mich auf die Geschichte mit dem schlecht recherchierten Zeit-Artikel hin, den ich hier kürzlich seziert habe.

Ich helfe natürlich gerne, wenn gefragt wird, aber versuche auch, ein waches Auge zu behalten.

Vor zwei Tagen erhielt ich eine Mail, in der ein Mann mir erzählte, er habe eine Schwedin im Urlaub kennengelernt. Sie habe ihm ihre Adresse gegeben, aber er habe sie verlegt. Nun suche er sie und fragt mich, ob ich ihm sagen könne, wie das zu bewerkstelligen sei. Er habe ihre SIM-Karte, denn die habe sie vergessen, und somit auch ihre Telefonnummer.

Auf den ersten Blick gar nicht mal so abwegig das Ganze. Diese Geschichten von Urlaubsliebeleien kennt schließlich jeder. Im Detail wurde ich dann aber doch etwas stutzig. Nicht nur die Geschichte mit der SIM-Karte erschien mir etwas seltsam. Die Mail war zudem an meine private E-Mail-Adresse gerichtet, die hier nicht publiziert ist. Sie ist nicht direkt geheim, aber es ist schon fraglich, wie jemand, der mich angeblich nicht kennen soll, an sie herangekommen ist. Zudem war an der Grußfloskel zu erkennen, dass die Mail aus dem Urlaubsort stammen soll. Es wäre dann also anzunehmen, dass der Schreiber keine großen Ressourcen zur Recherche hat.

Da zögerte ich schon. Ich habe ja keinen Zugang zu irgendwelchen geheimen Daten, aber die Hinweise zu einer erfolgreichen Personensuche wollte ich nicht gleich auf dem Silbertablett präsentieren. Eine Stalking-Gefahr ist vielleicht etwas weit hergeholt, aber man weiß ja nie. Auch war ich mir nicht sicher, ob das Ganze nicht irgendeine Art schlechter Scherz war.

Also fragte ich, woher er die Adresse habe. Antwort: aus einem Forum. Nur bin ich mir ziemlich sicher, dass keines der Foren, die ich besucht habe, diese Daten einfach so weitergeben würde, und ich bin mir auch recht sicher, dass ich die Adresse selbst nicht dort publiziert habe. Selbst wenn sie aus einem Forum wäre: wieso hat der Schreiber nicht einfach in dem Forum die dort aktiven Leute gefragt?

Mir erschien das alles höchst suspekt, und ich habe (höflich) abgelehnt.

Die Antwort an mich endete mit den Worten:

Ach leck mich trottel

Kein Fehler, manchmal skeptisch zu sein.

Nachtrag: die nächste Mail war weitaus freundlicher. Ich konnte sogar die Seite ausfindig machen, die so laxe Sicherheitseinstellungen hat.

Wie Schweden vermeintlich seine Bildungskosten den Nachbarn aufbrummt

Die ZEIT gilt ja als ein sehr renommiertes Blatt. Zurecht, soweit ich das sehe. Das schließt aber keine Ausreißer nach unten aus. Ein solcher wurde mir von Jan zugetragen (Danke!).

In Zeit Campus Ausgabe 04/2010 findet sich dieser Bericht mit dem Titel „Schweden-Export“, der darlegen soll, wie dreist der schwedische Staat sich studienwilliger Einwohner entledigt, indem er sie ins Ausland schickt. Das spare nämlich Geld, weil die Zeche schließlich das jeweilige Gastland zahlt.

Nach einer nebulösen Einleitung („hatte die dortige Regierung schon vor Jahrzehnten eine Idee“) kommen dann die vermeintlichen Fakten. 300 Euro pro Monat bekämen die Studenten geschenkt, darüber hinaus „über 600 Euro“ als „zinsloses Darlehen“.

Und jetzt kommt der Skandal:

Die Staaten, in denen sie studieren, finanzieren den Studienplatz, bekommen aber keine Absolventen, die mit ihren Steuern die Investition zurückzahlen. Kaum einer der Schweden möchte später in Deutschland leben. Auch Johannes Hallquist nicht, der mit dem Stipendium sein Medizinstudium in Gießen finanzierte und heute in Schweden als Arzt arbeitet. Für ihn ist die Motivation hinter dem Förderprogramm vollkommen klar: »Der schwedische Staat spart gewaltig«, sagt er.

Das Ganze wird garniert mit folgender Rechnung: Hallquists Studienplatz habe 25.210 € pro Jahr gekostet, der schwedische Staat habe aber nur 3.600 € pro Jahr an Studienförderung bezahlt und für diesen Schnäppchenpreis einen Arzt bekommen. Deutschland sei folglich auf dem Rest der Kosten sitzen geblieben. Der Die investigativ recherchierende Autorin hat auch gleich mal bei den Bildungsministerien von drei Bundesländern angefragt, die aber nur lapidar gesagt hätten, dass in der EU eben jeder überall studieren könne.

Hätte der anonym bleibende Autor die Autorin Marie-Charlotte Maas auch jemanden gefragt, der etwas von der Materie versteht, wäre der Artikel kein Gebräu von Falschbehauptungen und Halbwahrheiten. Er ist nämlich extrem schlecht recherchiert.

Das allgemeine System gibt es seit 1965, aber die jetzige Form der Auslandsunterstützung existiert erst seit 1989. Da von Jahrzehnten zu sprechen ist weiter ausgeholt als nötig.

Das ist aber alles harmlos gegenüber den Milchmädchenrechnungen zu den Finanzen.

Das vermeintliche „Geschenk“ des Staates von 300 € im Monat nimmt sich beträchtlich kleiner aus, wenn man sich anschaut, dass der BAföG-Bedarfssatz für Hochschulstudenten derzeit mindestens 414 € beträgt, von dem die Hälfte, also 212 €, in jedem Fall geschenkt sind. Wer z.B. besonders gut ist oder nach Studienende besonder schnell zurückzahlt, erhält darauf auch Abschläge. Der Maximalsatz beträgt übrigens 648 € – da fällt das Geschenk schon deutlich größer ist als 300 €.

Noch weiter geht der Autor die Autorin bei dem vermeintlich zinslosen Darlehen, das zu dem „Geschenk“ hinzukommt. Der Betrag von 600 € kommt noch einigermaßen hin: derzeit sind es 1500 kr (ca. 160 €) pro Woche. Für Zusatzkosten kann man bis 1350 kr (ca. 145 €) pro Woche extra erhalten. Das alles bezieht sich auf Studien in Deutschland. Die jeweiligen Beträge sind nämlich abhängig von den Lebenshaltungskosten im Gastland. In den USA gibt es wegen der längeren Heimreise und den hohen Studiengebühre bis zu 450 € pro Woche als Darlehen. Zinsfrei ist das alles aber mitnichten. Derzeit fallen 2,4% p.a. an, und irgendwelche Abschläge für Schnellzahler gibt es auch nicht. Es wird auch verschwiegen, dass diese Zahlungen nur für Studienwochen geleistet werden. In den Semesterferien erhält man gar nichts.

Ebenso für nicht erwähnenswert wird wohl auch gehalten, dass dieses System nicht dazu gedacht ist, die Studenten ins Ausland zu jagen. Der schwedische Staat besitzt schlicht die Dreistigkeit, seine Studenten so zu unterstützen, dass sie von den Zahlungen nicht nur studieren, sondern tatsächlich auch noch davon leben können. Was nebenbei dazu führt, dass weit mehr Abiturienten ein Hochschulstudium aufnehmen als z.B. in Deutschland. Dass diese Unterstützung auch Auslandsstudien ermöglichen und so die Mobilität fördern soll, ist für den Autor Maas aber anscheinend eine verwerfliche Zielsetzung.

Der Artikel versucht zudem, durch pauschalisierende Behauptungen zu übertünchen, dass offenkundig kaum Daten eingeholt wurden.

So kann man sich schon fragen, woher die Aussage kommt, dass kaum einer der Schweden in Deutschland bleiben möchte. Gibt es dazu irgendwelche belastbaren Fakten? Das schwedische System hat nämlich erhebliche Probleme mit ehemaligen Studenten, die im Ausland bleiben und ihre Schulden nicht bezahlen.

Die genannte Zahl von 29.600 im Ausland studierenden Schweden stammt auch aus einer nicht nachvollziehbaren Quelle. Laut der zuständigen Behörde CSN betrug die Zahl der im Ausland studierenden Schweden – d.h. keine Austauschstudenten – seit 1997 nie mehr als 28.132. Derzeit sind 25.519 Studenten im Ausland. Das ist ja noch einigermaßen verzeihlich. Die Behauptung, das sei „alles auf Kosten der Nachbarländer“, hat der Autor Maas aber anscheinend ohne Kenntnis der Verteilung der Auslandsstudenten gemacht. In der Tat studieren 2.100 Schweden in Dänemark, was angesichts der engen Bindungen untereinander und der Lage Kopenhagens vor Südschwedens Haustür kein Wunder ist. Aber 4.700 studieren in Großbritannien, 4.100 in den USA, 1.800 in Australien und 1.300 in Frankreich – alles Länder, die stattliche Studiengebühren verlangen und sich wohl kaum übers Ohr hauen lassen. Zusammengerechnet sind das nebenbei bemerkt knapp die Hälfte aller Studenten. Dass der schwedische Staat hier viel spart, ist also höchst zweifelhaft. Unter den Ländern mit geringeren Studiengebühren finden sich lediglich Spanien (1.600 Studenten) und Deutschland (1.000 Studenten), die vierstellige Studentenzahlen erreichen.

Interessant ist auch, wenn man sich einmal anschaut, wieviele Ausländer in Schweden studieren. Die Hochschulbehörde Högskoleverket schreibt in ihrem Bericht zur internationalen Mobilität im Studienjahr 2008/09:

[Seit 1999/2000] hat sich die Zahl einreisender Studenten verdreifacht und erreichte 36.600 im Jahr 2008/09. Im Durchschnitt ist das eine Steigerung von 14 Prozent pro Jahr. Dies beinhaltet, dass die Anzahl der einreisenden Studenten nunmehr größer ist als die der ausreisenden Studenten.

Zuletzt studierten über 4.000 Studenten aus Asien in Schweden, die nicht über ein Austauschprogramm gekommen waren.

Nebenbei bemerkt sei auch, dass Schweden auch bei den Austauschstudenten ausgesprochen großzügig ist. Schweden nahm 8.840 Erasmus-Studenten entgegen, schickte selbst aber nur 2.684 ins Ausland. Deutschland hingegen beherbergte 21.939 Studenten, schickte aber 27.894 ins Ausland.

Schweden schickt also viele Leute ins Ausland, nimmt aber noch mehr selbst auf. Bis Mitte dieses Jahres war das sogar gänzlich studiengebührenfrei. Nun werden Nicht-EU-Bürger zur Kasse gebeten.

Eine Reihe von Recherchefehlern und -nachlässigkeiten machen aus dem Zeit-Artikel ein ins Absurde verdrehtes Pamphlet, bei der eine Ausnutzung ausländischer Studiensysteme herbeigeschrieben wird, die eigentlich nicht existiert.

Man kann sogar eine gewisse Böswilligkeit unterstellen, wenn ein vorbildliches – und nebenbei bemerkt erfreulich unbürokratisches – Studienförderungssystem dafür an den Pranger gestellt, dass es seinen Empfängern zuviel Möglichkeiten bietet.

Ein journalistisches Trauerspiel.

Nachtrag: Ich hatte den Namen der Autorin übersehen. Sie heißt Marie-Charlotte Maas. Danke an Jan.