Stockholm City ist tot – ein Nachruf

Time to say goodbye – Stockholm verliert ein herausragendes Presseorgan. Stockholm City ist nach langer schwerer Krankheit von uns gegangen. Noch vor einem Jahr sah es so aus, als könne sie sich noch einmal erholen. Nun ist es zum hoffentlich unabänderlichen gekommen.

Sie hat Stockholm mit ihrer Anwesenheit bereichert, und ich schätze mich froh, dieses Druckerzeugnis in den späten seiner insgesamt 9 Jahre erlebt zu haben. Wie dröge wäre unser Leben doch gewesen, wenn nicht ab und zu ein Lichtstrahl des mutigen, weil ethisch vollkommen untragbaren Journalismus, uns gewärmt hätte. Die Veranstaltungstipps erfüllten mich immer mit Freude, wenn ich die wie immer inhaltlich unzureichend bestückte Studentenradiosendung mit irgendetwas füllen musste. Die Wärme spürten wir v.a. im Winter, wenn City jedes Jahr zur Wahl von Stockholms Lucia aufrief. Junge Damen, die von ihren Kochkünsten erzählten, stellten sich zur Wahl, und wir Leser wussten, dass hier ein großes kulturelles Ereigneis stattfand.

Einmal durfte ich auch selbst erleben, wie die Lucia sang. Nachdem sie und ihre Helferinnen Liedchen im NK geträllert hatten, fuhren sie ins Skansen, wo wir uns gerne 60 Kronen Eintritt abknöpfen ließen, um bei eisiger Kälte dieselben Lieder noch einmal zu hören. Die Menschen jubelten, als ein Vertreter Siziliens der Lucia eine Reise in dieses südliche Land schenkte, nachdem ein Moderator die kaum 20 Minuten Musik mühsam um ein paar Minuten gestreckt hatte. Fast vergessen ist dieser Wintertag. Nur das polnische Fernsehen war dort, um diese Farce zu dokumentieren.

Die späten Jahre waren ja von einem gesundheitlichen Auf und Ab geprägt. Zwar schienen die Texte von früheren Tippfehlern erholt, aber sie vermochte nur noch an wenigen Tagen in der Woche zu erscheinen. Doch in wachen Momenten gelangen immer noch die alten, belanglosen und an den Haaren herbeigezogenen Geschichten. Diese gingen tief, ganz tief, so wie die Onanieschule vor gut zwei Jahren, die Frauen unnötigerweise erklärte, wie Masturbation denn geht, und mir bis heute einen regen Strom Besucher auf dieser Seite beschert. Doch am Ende war das Leben unerbittlich, und ein herzloser Mutterkonzern war nicht bereit, der bereits verlorenen Milliarde Kronen das eine oder andere Milliönchen hinterher zu werfen.

Wir werden es vermissen, dieses sympathische Schundblatt ohne Belang. Bald wird die letzte Ausgabe vom Winde verweht sein und nur noch vergilbte Seiten in ungereinigten Ecken davon künden, was City einst war. Möge sie in Frieden ruhen. Für immer. Bitte.

Die Angehörigen bitten darum, von Beileidsbekundungen am Altpapiercontainer abzusehen.

Absturzgefahr in der Innenstadt

Noch bis zum Sonntag kann man diese interessante Fotoinstallation auf dem Sergels Torg sehen.

Absturzgefahr besteht freilich nicht bei dieser Fotoillusion. Sieht trotzdem spannend aus.

Viele Stockholmer wünschten sich wohl, der ganze Platz würde mitsamt den Bausünden der 60er und 70er Jahre in dem Loch verschwinden, damit man diesen doch arg in Mitleidenschaft gezogenen Stadtteil erneuern könnte.

[via Stockholm, här är vi! und Geeks are Sexy]

Raymond & Maria mit neuem Album

Jobs Where They Don’t Know Our Names from Raymond & Maria on Vimeo.

Ich dachte eigentlich, sie wären in der Versenkung verschwunden. Die Myspace-Seite schien tot – OK, das trifft heute irgendwie auf ganz Myspace zu – und eine Homepage schien es nicht mehr zu geben. Die Rede ist von Raymond & Maria, eine Band, die angeblich ihren Namen von einem Swingerclub bezog. Sie macht freundliche wohlklingende Musik, die darin enthaltene kritische Botschaften schön versteckt.

Raymond&Maria im Jahr 2005 bei einem Auftritt. Mal ehrlich: hinter der Fassade würde man keine sozialkritischen Texte erwarten, oder? (Bild: Alexander Augst, PD)

Sie hatten zwei kleine Hits, „Ingen vill veta var du köpt din tröja“ und „Storstadskvinnor faller ner och dör“. Dann war Ruhe.

Nun, ganze 5 Jahre später, gibt es nicht nur eine neue Homepage. Die Band ist auch wieder da und singt jetzt auf englisch (siehe oben). Am Sound hat sich nicht viel geändert. Das freut mich. Hoffentlich hört man noch etwas mehr von ihnen.

PS: Peinlich, dass die Embed-Funktion von Vimeo fehlerhafte URLs ausspuckt. Natürlich müssen die & in der Url einfache & sein.

Baden-Baden zum Hinlegen

Wenn man einen Schweden nach "Baden-Baden" fragt, denkt er an das: einen Liegestuhl. (Bild: Killibupp, PD)

Kürzlich bei der Montage im Labor. Ein Kollege sagt zu einem anderen Kollegen, der gerade in höchst unbequemer Lage unter der Anlage sitzt und etwas verschraubt: „Brauchst du einen Baden-Baden?“

Das machte mich stutzig – v.a. angesichts dem hier – und ich recherchierte nach. In der Tat: „Baden Baden“ ist kein Name für besagten Liegestuhl, sondern die schwedische Bezeichnung für solche Liegestühle im Allgemeinen.

Wie die Schweden zu dieser obskuren Wortschöpfung gekommen sind, ist mir vollkommen rätselhaft.

Tragisches Unglück bei Slussen und die überhastete Suche nach Schuldigen

Während in aller Friedlichkeit der Stockholm-Marathon (Bilder kommen noch) abgehalten wurde, bot sich gleich um die Ecke ein Bild des Grauens.

Das meine ich ernst. Am Samstag geriet bei Slussen ein Bus außer Kontrolle und fuhr auf einen gut frequentierten Platz. Ein Mann wurde schwer verletzt, zwei weitere Frauen leicht. Ein Kinderwagen wurde angefahren und das darin liegende 17 Monate alte Kind herausgeschleudert. Das Kind kam zum Glück mit kleineren Verletzungen davon. In manchen Berichten ist von bis zu 6 Verletzten die Rede.

Um dem geneigten Leser ein Bild der Örtlichkeiten zu geben:

Ausblick von Süden auf Slussen und die Stockholmer Skyline. Das Unglück trug sich auf dem Platz im Vordergrund zu (Bild: Alex Nordstrom; CC-2.5)

Oder, um es noch etwas deutlicher zu machen:

Der Bus fuhr über die Treppe im Vordergrund auf den Platz. (Bild: Alex Nordstrom; CC-2.5)

Der im Hintergrund zu sehende Platz ist der Södermalmstorg, auf dem mehrere Buslinien halten, u.a. auch die Linie 55, die hier involviert war. Soweit ich das rekonstruieren kann, trug sich die Sache folgendermaßen zu: die Linie 55 hatte an diesem Tag auf dem Södermalmstorg ihre Endhaltestelle, denn der weitere Linienverlauf Richtung Altstadt war aufgrund des Marathons gesperrt. Der Bus hatte also vermutlich an der Haltestelle Richtung Hjorthagen (hier zu sehen) oder um die Ecke Aufenthalt bis zu seiner nächsten Abfahrt. Die Haltestelle in der anderen Richtung, wo der Bus neue Passagiere hätte aufnehmen sollen, ist auf dem verlinkten Bild von Hecken verdeckt. Dass die Runde also noch nicht begonnen hatte, war ein großes Glück: es waren keine Passagiere an Bord. Tragisch ist die ganze Sache für die Busfahrerin, die über 10 Jahre Erfahrung verfügt und den Bus gerade übernommen hatte. Die Fahrt endete schon nach wenigen Sekunden. Sie bog wohl rechts ab, um den Platz zu umrunden, und hätte daher gleich wieder rechts abbiegen sollen (wie hier zu sehen bei diesem Bus kurz vor der Kurve).

Das misslang aber offenkundig. Der Bus ging geradeaus die Treppe (siehe oben im Bild) hinunter und kam erst ein Stück später zum Stehen.

Die Frage ist: Wie konnte das passieren?

Viele sind ganz schnell dabei, die Privatisierung des Busverkehrs, angeblich schlechte Wartung der Busse und das Alter der Busse als Ursachen zu sehen. Die Wahrheit ist aber ganz einfach: man kann es zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht sagen.

Ich habe weder die Linie 55 gefahren noch jemals in der dafür zuständigen Südgarage gearbeitet. Ich habe die Wartung der Busse auch in meiner eigenen Garage immer nur fragmentarisch erlebt. Aber ich kann durchaus etwas zu diesem Bustyp und einigen anderen allgemeinen Dingen sagen:

  • Er mag zwar nicht mehr so hübsch aussehen, aber der hier verunglückte Bustyp gehört zu den zuverlässigsten. Die meisten dieser Busse haben weit über 500.000 km auf dem Buckel, aber machen weitaus weniger Probleme als neuere Busmodelle. Natürlich haben auch sie ihre Macken, aber keine davon ist sicherheitsrelevant oder beeinträchtigt den Betrieb nennenswert. Das kann man von vielen neueren Bussen wirklich nicht behaupten. Beispielsweise sind die neueren Scania-Gelenkbusse mit solchen Mängeln behaftet, dass es in kritischen Zeiten (z.B. extrem heiße Tage) schwer fällt, überhaupt genügend Rollmaterial auf der Straße zu halten. Deswegen sind die alten Scania-Busse bei den Busfahrern auch erheblich beliebter als die neuen Modelle.
  • SL hat die Belastungsgrenze dieser Busse selbst gewählt. Der Nahverkehrsverbund schreibt eine Höchstbetriebsdauer von 16 Jahren vor. Man kann den beuftragten Firmen wohl nicht vorwerfen, dass sie den im Regelwerk vorgegebenen Spielraum ausnutzen. Das Alter der Busse halte ich also für zweitrangig, solange kein Befund vorliegt, dass diese Busse tickende Zeitbomben sind.
  • Nie, ich wiederhole, nie musste ich einen Bus übernehmen, der offenkundige Sicherheitsmängel hatte. Solche waren zu jedem Zeitpunkt ein hinreichender Grund, einen Fahrzeugtausch zu verlangen. Natürlich kann es sein, dass in der Werkstatt geschludert wurde. Dass dies in großem Umfang geschieht, wäre mir aber neu.
  • Interessant ist auch, dass sich jetzt bei allen möglichen Medien Busfahrer melden, die sich über Qualitäts- und Sicherheitsmängel auslassen. Das mag ja alles stimmen, aber es ist noch lange keine Beweisführung für systematische Fehler. Als die Gorch Fock in die Schlagzeilen kam, meldeten sich plötzlich allerlei Leute, die von schrecklichen Zuständen auf dem Schiff berichteten. Der Kommandant wurde demontiert und dann abserviert. Der Untersuchungsbericht kam hingegen klar zum Schluss, dass dies alles unhaltbar war. Ich hoffe, man kommt nun nach diesem Unglück nicht auf die Idee, die allgemeine Qualität anhand der Aussagen Unzufriedener zu beurteilen, die sich im Schutz der Anonymität aus der Deckung wagen.
  • Auch wenn ich mich in die arme Busfahrerin sehr gut hineindenken kann, kann man menschliches Versagen nicht ausschließen.
    Als solche rechne ich nicht, die alternativen Bremsmöglichkeiten nicht zu verwenden. Wenn man nämlich die Handbremse zieht oder die Türen öffnet, blockieren die Hinterräder. Jedoch ist man als Busfahrer dazu trainiert, eben diese Bremsen im Verkehr sehr vorsichtig einzusetzen, denn sie wirken sehr abrupt und sind daher normalerweise eine Gefahr für alle Insassen. Also kann man nicht erwarten, dass die Fahrerin diese Bremsen sofort betätigt.
    Für den Unfall hätten zwei zentrale Systeme auf einmal versagen müssen: Lenkung und Bremsen. Laut der Aussage der Fahrerin merkte sie nämlich, dass der Bus aus der Spur lief, und versuchte zu bremsen, was aber nicht ging. Dass beides zusammenfällt, ist extrem unwahrscheinlich. Es ist also durchaus denkbar, dass hier noch eine menschliche Komponente mitgewirkt hat.
    Die Vermutung in der Presse, die Fahrerin habe Gas und Bremse verwechselt, ist jedoch wenig plausibel. Diese Busse rühren sich ohne Druck auf das Gaspedal kaum von der Stelle. Die Fahrerin muss also schon auf dem Gas gestanden haben, um den Bus überhaupt zu beschleunigen. Möglich, wenn auch angesichts der Kürze der Strecke unwahrscheinlich, erscheint mir, dass sie den Fuß von den Pedalen nahm – was man eigentlich nicht machen soll, aber natürlich trotzdem ab und zu tut – und vor der nächsten Kurve bremsen wollte, aber stattdessen Gas gab. Der Bus wäre in dem Fall fast zwangsläufig auf die Treppe zu geschossen, denn dieser Bustyp ist im Leerzustand doch recht flott und wäre kaum um die Kurve zu bringen gewesen. Ein unwahrscheinlicher Hergang,der sich zudem nicht mit den Aussagen der Fahrerin deckt.
    Wahrscheinlicher erscheint mir da doch die Möglichkeit, dass die Lenkung wirklich versagte und die Fahrerin einfach nicht mehr rechtzeitig reagieren konnte. Dass die Bremsen dann wirkungslos erschienen, kann in der Paniksituation durchaus so erschienen sein.

Bis man aber definitive Ergebnisse hat, wird man abwarten müssen. Es hat jedenfalls keinen Sinn, schon einmal die Wartung der Busse und alle daran Beteiligten in Sippenhaft zu nehmen. Man kann nur hoffen, dass die ganze Sache für die Verletzten glimpflich abgeht.

Schweden im Podcast: Vasa, nochmal Vasa und eine Republikanerin plädiert

Ich höre immer noch fleißig Podcasts in der letzten Zeit aufmerksam beobachtet und stelle wieder einmal eine interessante Häufung von schwedischen Themen fest, die auch für Deutsche interessant sein können.

  • Zunächst mal diesen Podcast des schwedischen Rundfunks. Natürlich sind dort schwedische Themen nicht wirklich überraschend, aber dieses Mal geht es um das bekannte Schiff Vasa, zu dem es dann doch etwas mehr zu erzählen gibt, als man im Vasamuseum erfährt. Konkret geht es um zwei Schatzsucher, die schon in den 1920er Jahren auf der Suche nach der Vasa waren. Interessant ist auch das Porträt des Vasa-Entdeckers Anders Franzén, der dort als nicht ganz einfacher Charakter erscheint.
  • Das Deutschlandradio beschäftigt sich auch mit der Vasa, allerdings mehr mit dem Problem ihrer Erhaltung, Seit sie nämlich aus dem Wasser ist, muss man sie auch konservieren.
  • Die BBC hat im Vorfeld einer gewissen Hochzeit neulich ein Art zweiteilige Debatte gemacht: in der ersten Folge darf ein Republikaner erklären, warum er Monarchie für keine gute Idee hält. In der zweiten Folge dann das Umgekehrte. Das Schöne an diesen BBC-Sendungen ist, dass sie nicht einen ihrer Journalisten als Vertreter einer Position hinstellen, sondern Leute, die im Normalfall gar nicht beim Radio arbeiten. In diesem Fall führt Mona Abou-Jeib Broshammar durch das Programm, die Generalsekretärin der republikanischen Vereinigung in Schweden. Es sind auch einige Interviews zu hören, u.a. mit dem Vorsitzenden der Linkspartei, Lars Ohly. Gerade letzteres zeigt für mich ein bisschen, dass Republikanismus in Schweden immer noch etwas am Rande steht, auch wenn er schwer im Kommen ist. Es ist schon ein bisschen ein Kuriosum, dass gerade ein Land wie Schweden, das Gleichberechtigung aller zu einem seiner höchsten Ziele auserkoren hat, noch einen Monarchen als Staatsoberhaupt hat. Ich gehe allerdings davon aus, dass ich die Republikwerdung Schwedens noch erleben werde. Die Argumente der Sendung werden zum Glück nicht in wildem Bekehrungseifer vorgebracht, was es sehr angenehm zum Anhören macht. Nebenbei werden auch einige Dinge angemerkt, die sehr interessant sind – z.B. dass der König per Definition keine Verbrechen begehen kann, weil er über dem Gesetz steht.

Trara, die Post ist da! (2)

Postsack der Royal Mail

Wie es der Zufall will, kam nach der ersten Postüberraschung tags darauf gleich die zweite. Ein Paket aus Großbritannien hatte ich erwartet.

In Schweden muss man Pakete fast immer abholen. Im Normalfall bei der örtlichen Postagentur – in meinem Fall der nächste größere Supermarkt – oder einer entsprechenden Agentur eines Konkurrenten (Videotheken in der Umgebung). Manchmal zieht man bei Paketen aus dem Ausland auch den Schwarzen Peter und das Paket wird als Firmenpaket verschickt und landet in dem weniger praktisch gelegenen Firmencenter der Post. Da es praktisch keine regulären Postfilialen mehr zu geben scheint, ist das auch so ziemlich das einzige Mal, dass man direkt mit Postangestellten zu tun hat.

Diese Praxis führt auch zu interessanten Erlebnissen: einmal durfte ich beim Firmencenter von Schenker meinen neuen MP3-Player abholen. Ich fuhr mit meinem Auto durch lange Reihen von Lastern, um dann an einer Laderampe ein winziges Päckchen entgegenzunehmen. Es hätte nur noch gefehlt, dass es auf einer Palette gebracht worden wäre.

So ähnlich war das gestern auch: die Royal Mail dachte sich aus einem unerfindlichen Grund, dass es eine tolle Idee sei, das Paket für mich in einen Postsack (!) zu stecken und mit einem Kabelbinder zu verschließen. Die Motivation dahinter ist mir vollkommen schleierhaft – das Paket hat normale Größe, Gewicht und Form. Ich staunte nicht schlecht, als es mir in dieser Form überreicht wurde.

Nun habe ich also einen Postsack der Royal Mail zuhause. Damit hatte ich nicht gerechnet.

Ich habe beim gleichen Versand gleich nochmal etwas bestellt. Ich bin mal gespannt, wie das bei Ankunft aussieht.

Bostadsbubblan: ein Vergleich mit bemerkenswerten Parallelen

Zum Thema Wohnungsmarkt in Schweden hat mir Holger (Danke!) ein nettes Video zugesandt:

Nun ist das Auslegen von bedruckten A4-Seiten nicht gerade der neueste Stand der Technik, und den rauschenden Ton kann man gerne auch ausschalten. Der Inhalt verdient aber in jedem Falle Beachtung. Ich habe versucht, die ganzen Texte als Untertitel passend einzufügen, und hoffe, dass man es gut lesen kann.

Die Methodik ähnelt meiner in einem Vergleich neulich. Doch hat der Macher auch noch eine weitere Parallele zu Japan gezogen, dessen Wohnungsmarkt sich vor 16 Jahren recht ähnlich dem heutigen in Schweden verhielt. Das Ergebnis in Japan war, dass der kaum durch Rezessionen gebremste Preisanstieg einen Crash verursachte. Immobilien verloren über Jahre stetig an Wert.

Natürlich kann man an der Methodik einige Zweifel haben. Dass das Bruttoinlandsprodukt nicht der allerbeste Maßstab sein könnte, räumt der Ersteller selbst ein. Auch kann man nicht davon ausgehen, dass zwei wirtschaftlich und strukturell stark unterschiedliche Länder das gleiche Verhalten an den Tag legen. Sprich, die Ähnlichkeit der Kurven kann auch Zufall sein. Die Feststellung, dass es 1991 bestimmt auch viele Analysten gegeben habe, die nicht an eine Blase geglaubt hatten, ist zudem der Wortwahl nach zu urteilen eine Vermutung. Das kann man allerdings getrost übergehen: Crashs haben die Eigenschaft, dass sie vorher die wenigsten kommen sehen.

Der Vergleich scheint mir ingesamt gar nicht so unpassend. Japan ist zwar ein mit hoher Dichte besiedeltes Land und Schweden so ziemlich genau das Gegenteil davon. Jedoch konzentriert sich die Bevölkerung in beiden Ländern auf geographisch eng begrenzte Bereiche. Schweden ist schließlich in weiten Teilen fast unbesiedelt. Die Situation, dass viele Leute in dieselbe Region ziehen wollen und so die Preise nach oben treiben, ist also schon irgendwo vergleichbar.

Sollte es wie in Japan kommen, wäre das höchst bedenklich. Die ganze Kreditsystematik in Schweden würde in sich zusammenfallen.

Ich selbst habe auch nochmal meine Statistik von neulich angeschaut und vier Änderungen auf Basis von SCB-Daten eingebaut:

  1. Die Verkaufspreise für Kleinhäuser (Småhus) ersetzen die vorige Kurve für Hauspreise. Dafür gibt es keinen spezifischen Grund – ich hatte die alte Kurve gerade nicht zur Hand. Die Preise beziehen sich auf die Häuser im Allgemeinen. Es wird also kein Bezug pro Quadratmeter oder derlei gemacht. Angesichts der Masse der verkauften Immobilien und der Annahme, dass die Häuser wohl auch ähnlich groß geblieben sind, dürfte das ein brauchbarer Wert sein.
  2. Leider gibt es die Verkaufspreise nicht nach Regionen getrennt. Deswegen habe ich noch den Fastighetsprisindex (Immobilenpreisindex) für den Großraum Stockholm eingefügt. Man kann nun einwenden, dass ich auch die landesweiten Verkaufspreise in diesem Index gezeigt werden sollten. Das stimmt, aber der Verlauf ist annähernd identisch, wie ich in einem Test gesehen habe. Insofern ist es egal, was man verwendet.
  3. Um auch den gewünschten Vergleich mit den Mieten zu machen, habe ich den Quadratmetermietpreis für Neubauwohnungen eingefügt. Leider stehen diese nur für die Jahre 1997 bis 2007 zur Verfügung. Ich habe diese Kurven daher mit einem Wert von 102 starten lassen, um die Vergleichbarkeit mit den Löhnen zu erhalten. Aus irgendeinem Grund werden zwei Kategorien ausgewiesen: „exploatering“ (ich nehme an, die Neuerschließung von Gebieten) und „sanering“ (ich nehme an, Sanierung von bestehenden Beständen).
  4. Zwischendrin versteckt sich noch eine kleine Kurve, die ich auch an den Index angepasst habe und die die allgemeine Miete pro Quadratmeter zeigt. Ich bin nicht sicher, was ich davon halten soll. Sie stand auch nur für wenige Jahre zur verfügung, weswegen ich hier auch eine Indexanpassung vornahm.

Das Ergebnis:

Preisverlauf im Wohnungsmarkt im Vergleich zur Lohnentwicklung

Das Bild des Ganzen ist ernüchternd. Neubauwohnungen wurden zeitweise sogar billiger (!) und steigen langsamer als die Löhne, was nur allzu gut ins Bild passt: es lohnt sich nicht, Mietwohnungen zu bauen.

Ich würde mir wünschen, das Ganze einmal im Kontext der Expertise eines echten Immobilienmarktsexperten dargestellt zu bekommen. Dieses Zusammenschustern eingeholter Datenserien kann korrekt sein, aber es ist keineswegs garantiert.

Eine weitere interessante Grafik hier:

Bevölkerungsentwicklung im Vergleich zum Wohnungsbau; rote Linie: Bevölkerungswachstum, grüne Balken: Wohnungsbau (Foto: Holger Motzkau, Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0)

Man sieht deutlich, dass seit rund 40 Jahren jedes Jahr weniger Wohnungen gebaut werden als die Bevölkerung eigentlich bräuchte.

Das alles komplettiert das Bild weiter und macht wenig Hoffnung auf Besserung: der Markt rennt in den Kollaps hinein, und es gibt kaum Anzeichen, dass dies aufgehalten wird.

Nächster Halt Baku

Der beste Beitrag kam gleich zu Beginn des Abends:

Besser geht’s nicht – Raab ist einfach großartig, und zwar so sehr, dass man über das eher peinliche Englisch hinwegsehen kann. Man merkte auch: das Moderationsteam hat sich aufeinander abgestimmt. Raab schien mir am Donnerstag als überschüssig – Rakers und Engelke hätten die Show auch alleine geschmissen. Gestern war er Gold wert.

Die meisten Beiträge waren ja schon bekannt. Das zweite Halbfinale, welches an dieser Stelle noch nicht behandelt wurde, fand ich im Allgemeinen eher schwach. Während ich im ersten Halbfinale auf Anhieb eine Reihe brauchbarer Titel fand, fiel mir das beim zweiten schwer.

Auch die Titel der Big Five plätscherten größtenteils an mir vorbei. Mit dem italienischen Titel konnte ich nicht so wahnsinnig viel anfangen, aber dass er etwas ambitionierter ist, merkte man schon. Man musste Italien fast eine Stimme geben, damit sie den Wettbewerb nicht wieder für die nächsten 15 Jahre boykottieren. Beim französischen Titel schien es mir so, dass sich da einer in der Tür geirrt hat. Blue waren im Vorfeld genauso unnötig hochgejubelt wurden wie die gefönten Iren. Und Spanien trat wie immer mit einem netten Titel an, der nachher auf den hinteren Plätzen an.

Und dann Lena.

In Sachen Show war er definitiv einer der besten Titel. Musikalisch nicht der schlechteste. Aber ob man damit nochmal den gesamteuropäischen Nerv treffen kann, war mehr als fraglich.

Saades Titel fand ich von Anfang an ganz ok, aber nicht großartig. Er ist eben zu sehr Euro-Dance-Trash, der einem vom ESC so bekannt vorkommt: dort erfolgreich, aber eben nur dort. Irgendwie passend dazu ist das Ergebnis.

Mir schien kaum vorstellbar, dass der Titel so einschlagen würde, aber als der Sieg möglich schien, hoffte ich natürlich darauf. Im Globen den ESC zu haben wäre schon cool. Trotzdem: es wäre schade irgendwo, wenn man ausgerechnet mit einem Beitrag gewonnen hätte, dem einfach irgendwo das Format fehlte.

Letzten Endes also Aserbaidschan, was bemerkenswerterweise einer meiner Favoriten war. Aber: mit Finnland und Schweiz lag ich vollkommen daneben. Finnland hatte auch den Nachteil des frühen Startplatzes. Für die Schweiz gilt das freilich nicht. Ich hatte nicht gedacht, dass dieses nette Lied mit der ebenso netten Sängerin derart abgestraft wird. Es zeigt sich wieder einmal, dass die Halbfinals hervorragende Vorsortierer sind: der Schweizer Beitrag hatte es mit nur einem Punkt Vorsprung ins Finale geschafft.

Deutschland braucht sich nicht zu schämen: ein passabler 10. Platz und eine gute Show.

Nächstes Jahr also Baku, und das ist das einzig bittere daran: Aserbaidschan ist ein autoritär regierter Staat und damit nicht viel besser als Weißrussland. Man wird damit einem höchst fragwürdigen Regime eine Bühne bieten.
Ich finde, man (d.h. Deutschland oder Schweden) sollte deshalb nächstes Jahr wieder gewinnen, damit der Wettbewerb nicht in falsche Hände gerät 🙂

Alles wird teurer – auch SL: 790 Kronen für ein Monatsticket

Eine der wenigen großen Änderungen in den letzten Jahren: das Chipkartensystem SL Access (Bild: Morner, CC BY-NC-SA 2.0)

Gestern verkündete die Provinzregierung ihre Finanzpläne. Dazu gehörte unter anderem, dass die Monatskarte für den Nahverkehrsverbund ab September 790 kr (ca. 88€) kosten soll.

Da das so gut wie jeden im Großraum Stockholm betrifft, schlagen die Wellen natürlich hoch. Viele halten das für gierig und für ungerecht gegenüber den Ärmeren. Einige sehen Schweden im Niedergang.

Die Provinzregierung hat die Sache auch vollkommen im Griff. Der Finanzlandrat – oder eher Finanzminister, wenn man schon irgendeinen deutschen Begriff dafür finden will – Torbjörn Rosdahl parierte die Attacken auf die Erhöhung sogleich mit einem passenden Vergleich: 100 kr entsprechen drei Tüten Chips. Stimmt vermutlich auch, aber mit einem derart bescheuerten Argument kann man wohl niemanden auf seine Seite ziehen. Er entschuldigte sich auch im Nachgang.

Kennt sich mit Chipstüten aus: Torbjörn Rosdahl

Manche finden, dass sich die Stockholmer mal nicht so anstellen sollen, denn woanders sei es doch viel teurer, z.B. in Glasgow. Göran Elmertoft findet das gar nicht so teuer, und das bloggt er gleich zweimal. Mancherorts wird sogar angedeutet, die 48% der Stockholmer, die laut DN-Umfrage jetzt nicht mehr mit dem Nahverkehr fahren wollen, würden ihre Drohung nicht wahrmachen.

Womit er sicherlich recht hat. Die Stockholmer werden diese Erhöhung schlucken wie alle anderen davor – und wenn sie es nicht wollen, dann sollen sie nächstes Mal links der Mitte wählen, was sie bislang nur in Ausnahmefällen taten.

Der Nahverkehr wird zu 50% über die Ticketeinnahmen finanziert. Im Grunde bestimmt also der Unter- oder Überschuss in der Kalkulation, wie teuer die Tickets sein müssen. So einfach ist das dann aber doch wieder nicht, weil es natürlich über Ticketauswahl und dergleichen allerhand weitere Stellschrauben gibt. Man kann in jedem Fall feststellen, dass der Ticketpreis schneller steigt als die allgemeine Preisentwicklung. Das merke ich auch: als ich 2005 nach Stockholm kam, kostete die Karte 600 kr. Sie ist also seither 31% teurer geworden, was 4,7% pro Jahr entspricht.

Die Frage ist also: ist der Nahverkehr so viel besser geworden, dass er diese Steigerungen rechtfertigt? Die Antwort ist aus meiner Sicht: leider nein.

In den letzten 6 Jahren sind nur drei Schienenprojekte in Angriff genommen worden: die Verlängerung der Tvärbanan, die Untertunnelung Stockholms für die S-Bahn und der Ausbau der Straßenbahn in der Innenstadt. Alles drei sind keine großen Würfe, und alle drei sind alles andere als fertig. Bleibt nur noch, zu sagen, dass die U-Bahn am Wochenende auch nachts fährt. Und der Busverkehr? Mag sein, dass der gewachsen ist – aber das wurde der Allgemeinheit auch mit Einführung der Trängselskatt versprochen. Für meinen Wohnort kann ich sagen, dass es fluktuiert, aber kein Trend nach oben zu erkennen ist. Kurz nach Einzug wurde uns eine Buslinie genommen, die nach einem Jahr wiederkam. Dann wurde uns eine schnelle Verbindung in die Stadt genommen, die nach einem halben Jahr eingeschränkt wieder kam. Ausbau sieht anders aus.

Zwar ist es richtig, dass auch unter sozialdemokratischer Regierung die Ticketpreise erhöht wurden. Jedoch haben die Bürgerlichen mindestens genauso zugelangt. Es wäre zumindest wünschenswert, diese Erhöhung mit irgendeiner Perspektive, irgendeinem visionären Projekt zu verbinden. Davon ist aber nichts zu hören, und so schallt die Erinnerung umso lauter, dass noch letzten Herbst hochheilig verkündet wurde, dass es 2011 keine weitere Erhöhung geben werde. Das kommt nicht gut an.

Ganz machiavellistisch kommt diese Maßnahme zum Beginn der Amtszeit – bis 2014 wird sie längst vergessen sein und keinerlei Effekt mehr haben. Immerhin kann man hoffen, dass es bis dahin eine Partei im Län gibt, die den Nahverkehr modernisieren und ausbauen will. Eine solche sehe ich bislang nämlich nicht so wirklich.