Cat Stevens in Stockholm

Das Schöne daran, in einer Hauptstadt zu leben, ist, dass so gut wie jeder interessante internationale Gast hier Halt macht. Man braucht eigentlich nur mit wachen Augen durch die Straßen zu gehen und wird früher oder später ein Plakat entdecken, das ein vielversprechendes Event anpreist. Ich wäre neulich z.B. gerne zu den Söhnen Mannheims gegangen. Nicht weil ich sie besonders mag, aber wann verirren sich schon einmal mittelmäßig bekannte deutsche Künstler nach Schweden?

An internationaler Bekanntheit dürfte es Cat Stevens freilich nicht mangeln. Aber diese kommt frei Haus mit dem Wissen, dass er seit 30 Jahren Yusuf Islam heißt und sich mehr der religiösen Erleuchtung als der Musik widmet. Daher zögerte ich nicht, als ich die Anzeige für sein Konzert auf einer Werbefläche eines Parkscheinautomaten sah: da muss ich hin.

Plätze waren nicht leicht zu bekommen, was aber nicht zuletzt an der grottenschlechten Platzsuchesoftware von Ticnet liegt. So wurden es sündhaft teure Tickets mit guter Sicht am linken Rand.

Stimme: immer noch so gut – Konzept: vielleicht nicht ganz so

Der Mann ist zwar gealtert – 62 ist er mittlerweile, und er wirkt mit Sicherheit keinen Tag jünger – aber seine Stimme ist so gut wie vor 35 Jahren. Das Konzept des Konzerts war allenfalls etwas durcheinander: erst begann er autobiographisch über seine Anfänge zu erzählen. Dabei erwähnte er auch zur Freude des Publikums, dass er in Gävle einmal zur Schule ging – seine Mutter war Schwedin – aber leider kaum noch schwedisch spricht. Er streute aber immer wieder kleine Fetzen schwedisch ein. Er wechselte thematisch dann zu einem Musical, das er anscheinend gerade schreibt und neue wie alte Lieder kombiniert. Die Bühne füllte sich nach und nach, beginnend mit seinem alten Weggefährten Alun Davies. Zur Pause standen 8 Musiker auf der Bühne.

Bis dahin waren von den richtig bekannten Titeln nur „Matthew & Son“ und „The First Cut is the deepest“ gekommen – er stachelte das Publikum etwas an, indem er auf die Titel „Moonshadow“ und „Father & Son“ hin leitete, sie anspielte und dann abrupt sagte, dass er das für später aufhob. Zwischendrin begannen schon einige Zuschauer nach bekannten Titeln zu rufen, worauf Yusuf sie zu vertrösten suchte.

Das Musical wurde in Teilen präsentiert, aber es blieb bei einer Art Vorschau. Es folgte eine 30-minütige Pause, nach der ich eigentlich einen Gassenhauer nach dem anderen erwartete.

Das Warten auf „Wild World“

Daraus wurde leider erstmal nichts. Für meinen Geschmack dauerte das zu lange – aber es ist auch irgendwo verständlich, denn wie jeder Altkünstler hat Stevens das Problem, dass alle nur kommen, um die bekannten Uralthits zu hören. Zwar verfügt Cat Stevens über ein beachtliches Œuvre, aber die bekannten Titel füllen eben keinen Abend. Trotzdem hätte ich mir gewünscht, er hätte wie in der ersten Hälfte mehr Hits eingestreut. Indem er die Spannung bis zum Schluss aufhob, war das Publikum dann aber auch schlagartig begeistert, als er „Morning Has Broken“ spielte, gefolgt von „Wild World“ – da standen die Leute schon – und „Father & Son“. Die Zugabe enthielt dann auch noch „Moonshadow“ und „Peace Train“.

Das stark durchwachsene Fazit von Anders Dahlbom von Expressen würde ich jedenfalls nicht teilen. Man kriegte im Endeffekt das, für das man bezahlt hatte, wenn auch etwas später als erwartet. Die Rezension in DN war auch freundlicher, ist aber leider nicht online.

Da ich mich vor dem Konzert damit nicht beschäftigt hatte, erfuhr ich erst jetzt, dass es sich um das erste Konzert der ersten Europa-Turnee seit 30 Jahren handelt. Ab Morgen ist er übrigens in Deutschland, später auch noch in Rotterdam, Paris, Wien und Brüssel. Das sollte man nicht verpassen – es könnte das letzte Mal sein.

Nachtrag: Die Rezension von Dagens Nyheter ist mittlerweile auch online.

Feuer in der Architekturhochschule

Die Architekturschule der KTH - nach Meinung vieler das hässlichste Gebäude Stockholms (Bild: Oscar Franzén, Public Domain)

Über Großbrände zu berichten ist zwar nicht gerade mein Metier, aber in dem Fall ist das Feuer keine 1,5 Kilometer von hier entfernt: die Architekturschule der KTH brennt, und zwar mächtig. Glücklicherweise kam niemand zu Schaden, aber das Dach wurde schon gesprengt, und zur Stunde ist der Brand noch nicht unter Kontrolle.

Das Ganze hat vor allem eine gewisse Ironie, weil die Architekturschule ein ausnehmend hässliches Gebäude ist. Als ich es vor gut 5 Jahren zum ersten Mal sah, dachte ich, es handele sich um ein Parkhaus oder etwas anderes wenig heimeliges. Dass darin ausgerechnet Architekten ausgebildet werden, wäre mir nicht in den Sinn gekommen.

Besonders witzig ist irgendwie, dass das Feuer noch nicht einmal aus und schon die ersten Spekulationen im Umlauf sind, ob man das Gebäude denn nicht lieber abreißen und durch etwas ansehnlicheres ersetzen sollte. Worüber wir hier im Büro diesen Morgen noch scherzten, ist jetzt schon schlagzeilentauglich. Spontan wäre ich dafür – das bisherige ist nun wirklich keine Zierde für Stadt und Hochschule.

Slussen in Farbe (und bunt)

Ausschnitt aus dem Lageplan für das neue Slussen: der Verehr wird unter die Erde verlegt, der öffentliche Nahverkehr in den Berg hinein. Der Rest wird zur Fußgängerzone. (Bild und Copyright: Stockholms Stad)

Seit gestern darf man im Sjömanshemmet (Seemansheim) an Peter Myndes Backe 3 auf Södermalm – direkt neben dem Stadtmuseum bei Slussen – eine Ausstellung zur Neugestaltung von Slussen begutachten. Das geht bis zum 19. Juni und zeigt hoffentlich die definitiv endgültige Version der Umbaupläne.

Heute morgen war der Leserbrief einer Frau aus Solna in der Zeitung, die meinte: was beschweren sich die Leute aus Nacka denn über die Situation? Immerhin sind es vom Bus zur U-Bahn nur wenige Schritte. Man sollte Slussen behutsam erneuern.

Blick von Södermalm aus auf den Neubau (Bild und Copyright: Stockholms Stad)

Da hat die Frau nicht ganz unrecht, lässt aber außer Acht, dass das jetzige Busterminal im Winter schweinekalt ist, was sich auch durch einen noch so guten Umbau kaum beheben lässt, denn es ist auf zwei Seiten offen. Außerdem müssen die Passagiere bis zu zwei Busspuren kreuzen, was weder für Busfahrer noch für Pendler angenehm ist und die Unfallgefahr erhöht. Mir ist kein Busterminal vergleichbarer Größe im Großraum Stockholm bekannt, wo ein derartiger Zustand Realität ist: weder Gullmarsplan noch Danderyds Sjukhus oder Liljeholmen verlangen das Überqueren von Fahrspuren.

Nebenbei bemerkt ist das Slussenterminal schon jetzt an der Grenze seiner Belastbarkeit. Viel mehr Busse als jetzt kann man bei der Anlage dort nicht durchschicken, und die beiden hierüber angeschlossenen Kommunen Nacka und Värmdö wachsen schnell. Auch ein Art Stuttgart-21-Argument kann man hier anbringen: der Plan ist schon so weit fortgeschritten, dass jeder Schwenk wiederum mehrere Jahre Verzögerung brächte, die das alternde bestehende Bauwerk beim besten Willen nicht hat.

Blick von der Altstadt aus auf den Neubau (Bild und Copyright: Stockholms Stad)

Freilich bedeutet das nicht, dass das neue Terminal bessere Kapazitäten haben wird – aber hoffen kann man, dass hier vernünftig geplant wird.

Ich war jedenfalls einmal so frei, die Bilder, die man auf der Stadthomepage nur nach Download betrachten kann, hier einmal auszustellen. Vielleicht möchte sich auch jemand die Präsentation im Sjömanshemmet ansehen – ich werde es bei Gelegenheit tun.

Spräng Slussen Nu!

Slussen im Jahr 1939, fünf Jahre nach Eröffnung. (Fotograf unbekannt; in Schweden gemeinfrei)

Am Samstag – wenn ich mich recht erinnere – war ein Leserbrief in meiner Tageszeitung Dagens Nyheter. Der Titel war „Spräng Slussen Nu!“ („Sprengt Slussen jetzt!“).

Der Inhalt (sehr frei wiedergegeben): derjenige, der Slussen in dem Leserbrief vor kurzem so toll fand, sollte sich das Elend mal anschauen. Alle, die so wie ich jeden Tag durch diese Station müssen, finden dieses Bauwerk widerlich. Es ist eine nach Urin stinkende, mit Graffitis übersäte Müllkippe. Der Putz bröckelt von den Wänden. Man sollte es sofort sprengen.

Zugegebenermaßen: ich habe hier auch meine eigene Meinung eingebracht, aber der Mann sprach mir aus dem Herzen. Slussen ist die zweitwichtigste Station im Stockholmer U-Bahn-Netz: 79.000 Menschen gehen hier jeden Tag hindurch. Jeder Bus, der Richtung Nacka und Värmdö nach Osten fährt, beginnt seine Fahrt im Busterminal im Untergeschoss. Daneben beginnt die mittlerweile fast als Museumsbahn anmutende Saltsjöbanan. Darüber befindet sich ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt der Stadt.

Es muss einmal der Stolz der Stadt gewesen sein. Komplex geschwungene Fahrwege verteilten den Autoverkehr auf seine Bahn. Und unter Brücke ist von alters her die Schleuse – daher der Name „Slussen“ – zwischen Mälarensee und Meer. Nichts könnte Modernität und Tradition in Stockholm besser symbolisieren als dieses Bauwerk – wenn heute noch 1950 wäre.

Slussen im Jahr 2009: der Beton bröckelt (Bild: Holger.Ellgaard, Lizenz: CC 3.0)

Im Jahr 2011 ist Slussen jedoch nur noch ein heruntergekommener Schandfleck. Ich habe auch jeden Tag das zweifelhafte Vergnügen, dort umzusteigen, und was man sieht, kann einem nicht gefallen. Das Bauwerk ist in seinen schönen Teilen ungemütlich, überall sonst eine Zumutung. Wo der Beton herausbröckelt, werden notdürftig Stahlnetze angebracht, damit sich niemand verletzt wird. Graffiti und Aufkleber überall – vom Geruch will ich gar nicht reden.
Wenn man sich die Bilder von 1935 anschaut, fragt man sich, ob sich seither irgendetwas geändert hat – wenn man einmal von der Umstellung auf Rechtsverkehr im Jahr 1967 absieht. Es sieht alles noch genauso aus, nur viel viel zerfallener.

Doch Rettung naht, oder vielmehr will die Stockholmer Politik, dass man es glaubt. Denn seit Jahren versucht man im Nachgang eines Architekturwettbewerbs einen Vorschlag zu finden, den man doch tatsächlich umsetzen will. Es wundert mich nicht, dass viele Stockholmer – mich eingeschlossen – die Schnauze voll haben. Es kommt einem so vor, als würde man in dieser Stadt noch über das Design der Arche diskutieren, wenn einem das Wasser der Sintflut schon bis zur Brust steht.

Hier ein paar Beispiele:

Ich würde gerne sehen, wie sich die ganzen 60-jährigen Spaßbremsen am Betonfundament festketten […]

(Herr_hur in den Kommentaren zu diesem Artikel)

So gemütlich ist es in weiten Teilen des Bauwerks. (Bild: Holger.Ellgaard, Lizenz: CC 3.0)

Gestern oder heute […] wurde ich zu einem Treffen eingeladen, um über Slussens Zukunft zu diskutieren. Die haben auch eine Webseite […] http://slussensframtid.se/.

Da sitzen die Leute und quatschen darüber, dass Slussen einer der schönste Europas und so weiter wäre.

Bitte, was? Slussen ist ein verdammtes Dreckloch! Ich bin dort aufgewachsen. […] Und ich sage: Slussen stinkt, Slussen ist eklig, Slussen ist verfallen und unangenehm wie noch was.

Die Straßen sind kurvig, dunkel und kompliziert. Die Luft ist eingeschlossen und stinkt nach Müll. Nachts gibt es keinen anderen Ort in Stockholm, wo ich genauso viel Angst hätte […].

Sprengt Slussen in die Luft.

Es gibt nichts, absolut überhaupt nichts, was Slussen schlimmer machen könnte als heute. Reißt es ab, und zwar schnell!

Ich habe keinerlei Verständnis für Leute, die Slussen bewahren wollen.

(Hanna Fridén in ihrem Blog)

Auch eine Facebook-Gruppe „Slussen – spräng skiten omedelbart“ („Slussen – sprengt den Scheiß sofort“) existiert, wenn auch mit nur wenigen Mitgliedern.
Es gibt sogar eine Internetseite, die Buttons und T-Shirts „Riv Slussen“ (Reißt Slussen ab) verkauft.

Das klingt alles krass, aber mir geht es sehr ähnlich. Die Leute, die Slussen erhalten wollen, können mir ehrlich gesagt gestohlen bleiben – wo waren sie denn, als Slussen zu dieser Katastrophe zerfiel? Man hätte erhalten müssen, als es noch etwas erhaltenswertes gab. Slussen ist keine gotische Kirche, sondern ein verrottender Betonklotz.

Die Stockholmer Verkehrspolitik ist gekennzeichnet durch verschlafenes Vorgehen. Es wird etwas getan, wenn es eigentlich schon zu spät ist. Slussen hatte schon längst umgebaut werden müssen, nicht erst jetzt. Jeden Tag stauen sich die Autos auf der Essingeleden, aber die Umgehungsstraße um Stockholm ist noch nicht einmal im Bau. Weite Teile der Region sind nur über Busse angebunden und wachsen schnell, aber ein S-Bahn-Netz, das diesen Namen verdienen würde, ist noch nicht einmal in Planung.

Ich hoffe, die Stockholmer Politik ist bald so gnädig, endlich mal Gas zu geben und den Umbau zu beschließen. Heute wird jedenfalls ein neuer Vorschlag vorgelegt, der den Hauptkritikpunkt der eingeschränkten Aussicht auf das Wasser beheben soll. Der ganz große Wurf wird das alles vielleicht nicht werden. Hauptsache, es passiert endlich etwas.

John Cleese in Stockholm – ein amüsanter Abend des Geldes wegen

Es ist ein bisschen so, wie wenn Paul McCartney ein neues Album veröffentlicht: er braucht nicht so zu tun, als sei es sein bestes. Er weiß, dass es das nicht ist und er hat die Größe, zu wissen, dass das auch gut so ist.

Wenn also John Cleese mit seinen 71 Jahren noch einmal die Bühne besteigt, dann braucht man nicht zu erwarten, dass der Flying Circus hier fortgeführt wird. Seine Motivation für die ganze Sache ist banal: seine Ex-Frau hat bei der Scheidung ganz unbescheiden Alimente von 20 Millionen Dollar (!) herausgeschlagen, und irgendwoher muss das Geld ja kommen. Mir ist zwar schleierhaft, welche nachvollziehbare Begründung es für diese irrwitzige Summe geben könnte, aber ein gute Sache hat es: es brachte einen der größten Komiker des 20. Jahrhunderts nach Stockholm.

Ich kann nicht behaupten, das Publikum hätte sich weggeschmissen vor Lachen. Darum geht es auch nicht, denn was Cleese präsentierte, war ein humorvoller Rückblick auf seine Karriere, beginnend mit seinem Elternhaus bis zu einem „Fisch namens Wanda“. Das war streckenweise amüsant und vor allem immer kurzweilig.

Wenn er in seinen Ausführungen abfällig über seine Frau spricht – was er auch nur anfangs tat – dann hat er natürlich keine ausgewogene Sicht darauf. Aber eine Frau, die 20 Mio. Dollar kassiert, muss diesen Spott ertragen. Wenn er über Marketing und BBC-Verantwortliche spricht, dann kann ich ihm in jedem Falle nur beipflichten: der Mut, eine unausgegorene Idee wie den Flying Circus ohne Konzept gleich mit 13 Folgen ins Programm zu nehmen, wäre heute nur noch selten zu finden.

Dies ist nur ein Beispiel dafür, dass nicht nur 71 Jahre Lebenserfahrung sondern auch ein klarer Verstand hier Einsichten ergeben, zu denen ein Mario Barth nie fähig sein wird. Vielleicht ist es ganz gut, dass die Halle nicht einmal halb voll war. Diese Show war eher etwas für den interessierten Fan als für den unbedarften Zuschauer, der einen Gag nach dem anderen erwartet.

Als ich in der Zeitung davon las, dass Cleese in der Stadt ist und drei Abende auftreten wird, war ich fast panisch, weil ich befürchtete, keine Tickets mehr zu kriegen. Vermutlich hat der Artikel einige Zuschauer angelockt, aber die Gefahr des Ausverkaufs bestand wohl zu keiner Zeit. Als wir ankamen, hieß es, unsere Plätze – die billigsten mit eingeschränkter Sicht – wären geschlossen und wir sollten stattdessen in eine der Logen direkt an der Bühne sitzen. Wir bekamen also einen erstklassigen Blick.

Der Rest ist Geschichte – im wahrsten Sinne des Wortes. Cleese sprach viel über seine Eltern und Graham Chapman, der Ende der 1980er Jahr an Krebs verstarb. Seine frühe Karriere fand viel Beachtung sowie die Serie Fawlty Towers. Dafür verwandte er wenig Zeit auf den Flying Circus – was man natürlich als Fan der Serie etwas schade findet. Auch die späteren Jahre mit Ausnahme der berühmten Black-Knight-Szene aus Monty Python and the Holy Grail (im Deutschen bekannt unter dem albernen Namen „Die Ritter der Kokosnuss“) kamen nicht vor. Aber vielleicht ist es auch sein Wunsch, eben nicht nur immer der Cleese von Monty Python zu sein, sondern auch Beachtung für anderes findet. Alles, was nach „Ein Fisch namens Wanda“ kam, handelte er in einem 3-minütigen Videoclip ab. Das noch ähnlich breit zu besprechen hätte auch noch sehr lange gedauert.

Versprochen war ein „galen helafton med John Clesse“ („verrückter ganzer Abend mit John Cleese“). Letzten Endes waren es rund 90 Minuten, die sich gelohnt haben. Nicht weil der Abend wirklich verrückt gewesen wäre, sondern eher, weil man mit einem der ganz Großen seiner Zunft noch einmal auf das zurückblicken durfte, was schon vor 15 Jahren ein Kulturgut war.

Der Trabi-Effekt – 70% in der Wohnungswarteschlange haben keinen Bedarf

Es ist lustig, zu erleben, dass man mit dem, was man sich durch einfache Logik erschlossen hat, richtig liegt. Heute morgen hieß es in Dagens Nyheter: nach einer Umfrage haben 72% der Leute, die in der Warteliste für Mietwohnungen stehen, gar keinen Bedarf an einer Mietwohnung.

Zur Erinnerung:

  • Mieten sind in Schweden mit „Gebrauchswert“ fixiert, d.h. nicht die Lage in einer guten oder schlechten Gegend bestimmt den Preis, sondern der rein praktische Nutzwert (Fläche, Ausstattung, Nähe zu Supermarkt etc.).
  • Mieter sind fast unkündbar – wer seinen Mietvertrag nicht verletzt, kann wohnen bleiben.
  • Damit ist es wenig profitabel und interessant, zu vermieten – besonders in attraktiven Gegenden, wo Grundstückspreise und Baukosten hoch sind. Dort lohnt es sich weit mehr, Eigentumswohnungen zu errichten.
  • Eigentumswohnungen dürfen in aller Regel nicht untervermietet werden, was das Angebot an legal zu mietenden Wohnstätten massiv begrenzt.
  • Wohnungen werden in Stockholm per Warteschlange vergeben – wer am längsten drin steht, kriegt die Wohnung am leichtesten.
  • Kredite für Häuser und Wohnungen werden zu äußerst günstigen Konditionen vergeben. Bis vor einiger Zeit war es möglich, fast die ganze Kaufsumme auf Kredit zu finanzieren. Zudem verlangen viele Banken nur, dass die Zinsen bedient werden. Eine Rückzahlung wird ins Unendliche hinausgeschoben, weil mit einer Wertsteigerung gerechnet wird.

Und nun die logischen Schlussfolgerungen:

  • Wer eine Wohnung hat, vermietet sie schwarz unter – das ist risikolos, denn aus einer Mietwohnung, die man nicht braucht, kann man so viel Kapital schlagen, und wenn das auffliegt, ist der rechtlose Untermieter der Leidtragende, nicht man selbst. Diese Schlussfolgerung wurde mir schon vor einem Jahr bestätigt, als bei einer Untersuchung großer Wohnungsgesellschaften herauskam, dass 40% der Wohnungen regelwidrig vermietet waren.
  • Das verknappte Mietwohnungsangebot sorgt für enorme Wartezeiten. Derzeit warten die meisten 4 bis 6 Jahre auf eine Wohnung.
  • Wer eventuell irgendwann mal eine Wohnung braucht, stellt sich in die Warteschlange für Wohnungen. Egal, ob aktuell Bedarf besteht oder nicht, denn in der Schlange zu stehen kostet wenig. Ich nenne das gerne den Trabi-Effekt, weil man in der DDR wohl auch kaum erst einen Trabi bestellte, wenn man einen brauchte, sondern am besten immer eine Bestellung laufen hatte, damit man im Falle eines Falles nicht mehr so lange warten musste. Dies ist durch den heutigen Artikel voll bestätigt: die meisten der Leute in der Warteschlange stehen dort nur sicherheitshalber. Und, ich bin da ganz offen: ich gehöre auch dazu, denn wenn ich mich erst dann in die Schlange stelle, wenn Bedarf abzusehen ist, dann kriege ich nie rechtzeitig eine brauchbare Wohnung.
  • Die Leute fliehen zum Eigentumswohnungsmarkt – denn dort regelt der Preis, wie man wohnt, nicht eine absurde Wartezeit.
  • Irgendwann wird der Eigentumswohnungsmarkt kollabieren – die Preise steigen seit langer Zeit schneller als die Löhne. Irgendwann werden die Kredite für normale Menschen untragbar werden. Dann bleibt nur der Zwangsverkauf. Die Wohnungspreise werden fallen, was Schuldenberge allerorten zurücklassen wird. In letzter Zeit ist immer wieder von einer „Bostadsbubbla“ („Wohnungsblase“) die Rede. Die Experten sind sich nicht sicher, ob sie kommen wird. Mir ist schleierhaft, wie sie nicht kommen kann bei diesen Verhältnissen.
  • Segregation wird zementiert: wer es sich leisten kann, wohnt innenstadtnah. Wer nicht, wohnt woanders. Passend dazu wurde kürzlich eindrücklich illustriert, dass die Einkommensunterschiede steigen und die Anzahl der Mietwohnungen sinkt.

Damit ist für mich klar: die Regulierung des schwedischen Wohnungsmarkts ist auf ganzer Linie gescheitert. Dieses System soll allen unabhängig von Einkommen und sozialer Herkunft Wohnungen bieten, die bezahlbar sind und gut liegen. Das genaue Gegenteil ist das Resultat: eine Segregation in arme und reiche Viertel, ein blühender Wohnungsschwarzmarkt, und eine Warteschlange, bei der die Wartezeit ein willkürliches Auswahlkriterium ohne Bezug zum realen Bedarf ist.

Es gibt aus meiner Sicht nur einen Weg: Abschaffung der festgesetzten Mietpreise und Lockerung der Mietregelungen, um dem Schwarzmarkt das Wasser abzugraben und den Bau von Mietwohnungen wirtschaftlich interessant zu machen.

Hier zeigt die schwedische Politik eine Angst vor unpopulären Entscheidungen, denn ich sehe niemanden, der so einen Weg gehen will oder einen anderen vorschlägt.

Stockholm im Panorama

Ich versuche mich auch immer mal wieder an Panoramen – mal mehr, mal weniger erfolgreich.

So etwas wie das hier würde ich aber keinesfalls hinbekommen: ein 360-Grad-Panorama Stockholms vom Turm des Stadshuset herunter. Das schon einmal deswegen, weil diese Bilder mit einer Sondergenehmigung aufgenommen wurden.

Noch imponierender ist dieses 80 Gigapixel (!) große Panorama von London.

Ein Blick lohnt sich jedenfalls – auch auf viele andere Panoramen auf 360cities.net.

[via DN und PetaPixel]

Terroranschlag in Stockholm

Ich kann schlecht Reporter spielen, aber möchte über die gestrigen Ereignissen einige Dinge anfügen, die in deutschen Medien vielleicht bislang gar nicht oder nur verkürzt zu finden sind.

Hier eine Übersetzung der Bekennermail, die bei der Nachrichtenagentur TT einging (arabische Teile sind kursiv):

Im Namen des barmherzigen Gottes. Gebet und Frieden dem Prophen Mohammed, Friede sei mit ihm.

Im Namen des barmherzigen Gottes:
Sehr kurz und umfassend an Schweden und das schwedische Volk. Dank Lars Vilks und seinen Malereien des Propheten Mohammed, Friede sei mit ihm, und euren Soldaten in Afghanistan und euer Schweigen über all dies sollen eure Kinder, Töchter, Brüder, Schwestern genauso sterben wie unsere Brüder und Schwestern und Kinder sterben.

Nun hat der islamische Staat erfüllt, was sie [sic!] euch versprochen haben . Es gibt uns nun hier in Europa und in Schweden, wir sind eine Wirklichkeit, keine Erfindung, mehr will ich dazu nicht sagen.

Unsere Aktionen werden für sich selbst sprechen. Solange ihr euren Krieg gegen den Islam und die Erniedrigung des Propheten, Friede sei mit ihm, und eure dumme Unterstützung für das Schwein Vilks nicht beendet.

Und zu allen Muslimen in Schweden sage ich: hört auf zu kriechen und euch zu erniedrigen für ein erniedrigendes Leben weit entfernt des Islam. Helft euren Brüdern und Schwestern und fürchtet niemanden und nichts, nur Gott, den ihr anbetet.

Und an meine Familie: versucht mir zu vergeben. Ich konnte nicht sitzen bleiben und zuschauen wenn alles Unrecht gegen den Islam und den Propheten Mohammed, Friede sei mit ihm gescheht, wenn das Schwein tat, was er tat. Vergebt mir meine Lügen. Ich fuhr nie in den Nahen Osten, um zu arbeiten und Geld zu verdienen, ich fuhr dorthin für den Dschihad. Ich hoffe, ihr könnt mich irgendwann verstehen. Ich hätte euch oder jemand anderem das alles niemals erzählen können. Meine liebe Frau und Kinder, ich liebe euch. Ich liebe dich, meine Frau. Meine Liebe für dich war nie eine Lüge. Vergib mir, wenn ich dir etwas nicht erzählt habe. Küsse die Kinder von mir. Sag ihnen, dass Papa sie liebt, sie immer lieben wird.

Zum Schluss grüße ich alle Mudschahidin, vergesst mich nicht in euren Gebeten. Betet für mich. Betet für mich, weil die Musline hier in Schweden so erniedrigt sind, dass sie für Nicht-Muslime in ihren Moscheen beten. Und zum Schluss an alle Mudschahidin in Europa und Schweden: jetzt wird es Zeit, zuzuschlagen, wartet nicht länger. Tut es mit was auch immer ihr habt, auch wenn es ein Messer ist, und ich weiß, dass ihr mehr habt als ein Messer. Fürchtet niemandem, fürchtet kein Gefängnis, fürchtet nicht den Tod.

Ich sage mein Wort und ich bete zu Gott, mir zu vergeben und euch zu vergeben. Brüder. Die Treuen.

Die Übersetzung ist natürlich ohne Gewähr. Ich weiß zur Stunde, zu der viele Dinge noch nicht aufgeklärt sind – eingeschlossen die Echtheit dieses Textes – nicht so recht, was ich davon halten soll.

Neben dem ganzen Fanatismus spricht eine große Traurigkeit aus diesen Zeilen.

Das Auto, in dem die Bombe war, gehörte einem 28-jährigen Mann, der im småländischen Tranås lebt und heute Geburtstag gehabt hätte. Er sei in Bagdad geboren, lebe sei seit 1992 in Schweden und habe zeitweise in England gelebt, wo er ein Studium zum Sporttherapeut machte.

Laut Expressen gehörte er vielleicht zu den Männern, die regelmäßig in der Fußgängerzone in der Drottninggatan stehen und dort Schilder mit Werbung für Restaurants hochhalten. Sollte das stimmen, dann wundert mich nicht, dass so jemand langsam aber sicher dem Wahnsinn verfällt. Seine Tage als menschliches Werbeschild zu verbringen ist einer der deprimierendsten Jobs, die ich mir vorstellen kann. Schlüssig scheint mir aber der Zusammenhang nicht zu sein. Wenn er wirklich in Tranås lebt, dann wird er wohl nicht in Stockholm gearbeitet haben. Das macht geographisch keinen Sinn.

Das ist aber alles im Moment spekulativ. Ich begrüße es jedenfalls, dass die schwedische Regierung besonnen reagiert, und hoffe inständig, dass sie nicht in innenpolitischen Aktionismus verfällt. Das Ganze sollte zu keinem Wind auf den Segeln der Islamophoben und Überwachungsfanatiker werden.

Alles weitere wird man abwarten müssen.

Zeichen und Wunder

Totgesagte leben länger: die "neue" Strecke Karlsruhe-Stockholm bei Ryanair

Vor gut 2 Monaten beklagte ich an dieser Stelle die Einstellung der Linie Karlsruhe-Stockholm nach Ryanair. Laut Flughafen war nicht damit zu rechnen, dass die Strecke zurückkommt.

Umso bemerkenswerter, dass dies nun doch geschieht. Vor einigen Tagen entdeckte ich, dass die Verbindung unter „Neue Strecken“ verzeichnet ist mit Start ab dem 28. März 2011. Und gestern konnte man die Strecke erstmals buchen. So wird ein Auslaufmodell zu einem Newcomer.

Allerdings gilt weiterhin, dass nur freitags und montags geflogen wird. Die Preise sind auch nicht gerade niedrig – selbst wenn man die neuen 8 € Flugsteuer wegrechnet, sind die angepriesenen 20 € schon ein gutes Stück über dem, was Ryanair ursprünglich anpries. Außerdem ist dies zur Stunde gar nicht erhältlich. Sämtliche Flugpreise von Ende März bis Juli betragen entweder 26,99€ oder 36,99€.

Wobei das noch geschönt ist – nein, nicht wegen irgendwelcher obskurer Zusatzgebühren. Zwar kommen die 5€ Check-In-Gebühr zu, aber der 26,99€-Preis kommt teurer als der 36,99€-Preis. Wie das geht? Ganz einfach: zum billigeren Preis kommen noch Steuern hinzu, und diese betragen jeweils gut 25€. Somit kostet ein Flug, bei dem beide Strecken vorgeblich mit 26,99€ zu Buche schlagen, stolze 116,18€ – inkl. Check-In-Gebühr, aber exklusive Gepäckgebühren und „Bearbeitungsgebühr“. Der Flug kostet am Ende also mal schnell 140€. Für kaum mehr Geld bringt einen die Lufthansa zu jedem Punkt Deutschlands.

Der Endpreis bei Flügen für 36,99 € ist erheblich niedriger. Da landet man bei 83,98 € für beide Strecken, was schon eher attraktiv ist. Der vermeintlich teurere Flug ist also in Wirklichkeit rund 30€ billiger. Das Ganze belegt eindrücklich die vollkommene Unsinnigkeit der Preisgestaltung von Ryanair.

Nichtsdestotrotz bin ich ganz froh über die wiedererstandene Verbindung, auch wenn es erstmal dabei bleibt: echt billig werden Reisen in die alte Heimat nicht mehr.

Hare Krishna am Fridhemsplan

In einer Großstadt wie Stockholm rechnet man mit so einigem. Heute abend lief auf dem Ringvägen eine desorientierte wirkende Frau herum, die ihre Überquerung der Straße abbrach und stattdessen vor dem Bus trotz Fernlicht und Hupe stehen blieb. Als sie sich langsam Richtung Straßenrand bewegte, kam sie auch noch zur Tür und wollte mitfahren – darauf verzichtete ich doch gerne. Sie zog dann auf der weit sichereren Wiese ab.

Mit diesem kleinen Festumzug hatte ich jedoch nicht so ganz gerechnet.

Unter dem Pausenlokal der Busfahrer ist ein vegetarisches Restaurant – leider kantinenmäßig angelegt und nur eingeschränkt geöffnet, aber recht lecker – das zur Hare-Krishna-Bewegung gehört und gleich ein entsprechendes Zentrum angeschlossen hat. Der Fridhemsplan muss alternative Religionen anziehen, denn gegenüber hängt regelmäßig ein Banner der „New Life Church“.

Kleinere, Hare Krishna singende Gruppen habe ich dort schon öfters erspäht, aber dieser fröhliche Tanz im Kreis war mir dann doch neu. Die Frau am Imbiss war hingegen überrascht, dass ich die noch nie gesehen hatte.

Ich glaube, der allsonntägliche Umzug fällt dennoch recht bescheiden aus – mehr als einmal um den Block herum scheint er nicht zu gehen.