Raider heißt jetzt Twix

Alle paar Monate (oder noch öfter) spielt der schwedische Staat das Spiel „Behördchen wechsel dich“: bestehende Behörden werden aufgelöst, neue Behörden gegründet und Kompetenzen zwischen den bestehenden Behörden umverteilt.
Das ist durchaus nicht unwichtig. Die schwedischen Behörden sind nämlich nur an die Gesetze gebunden, aber an keine Weisungen eines Ministeriums. Wie diese Behörden strukturiert sind hat also viel damit zu tun, wie gut der Staatsapparat als Gesamtes funktioniert. Auch für den Bürger muss ersichtlich sein, wer für was zuständig ist und wie man am besten an die entsprechende Person herankommt. Das funktioniert nach meiner Erfahrung meist auch recht gut.

Bei derzeit 471 Behörden ist das ein sich permanent veränderndes System, ein interessantes wie seltsames Schauspiel. So wurden seit Beginn dieses Jahres 9 Behörden neu gegründet und 17 aufgelöst. Im Jahr 2008 waren es gar 26 neue und 22 aufgelöste. Insgesamt sinkt aber die Zahl der Behörden, wie es scheint.

Besonders augenfällig ist das Trafikverket, eine neue Verkehrsbehörde. In dem Bereich geht es nämlich Schlag auf Schlag. Erst Anfang 2009 war das Transportstyrelsen gegründet worden, das Aufgaben zweier gleichzeitig aufgelöster Behörden übernahm – darunter die des Järnvägsstyrelsen (Eisenbahnbehörde), welchem zuvor nur eine 4jährige Lebensdauer beschieden war. Das Transportstyrelsen kümmert sich nun u.a. um die Führerscheine, die zuvor im Bereich des Vägverket lagen. Dieses gibt es aber wiederum auch nicht mehr, denn trotz einer bis ins Jahr 1841 zurückgehenden Tradition wurde es wenig humorig am 1. April 2010 abgewickelt und ging zusammen mit dem 23 Jahre alten Banverket (noch eine Bahnbehörde) in besagtem Trafikverket auf.

Ob dabei wirklich etwas effizienter wird, ist für mich bei diesem munteren Spielchen kaum zu erkennen. Man kann es pragmatisch als permanente Weiterentwicklung des Staatswesens sehen. Vielleicht ist es aber wie damals bei einem bekannten Schokoriegel: Raider heißt jetzt Twix – sonst ändert sich nix.

Etwas skeptisch bin ich auch, was die Kosten dieser Umstruktierung angeht.

Der Trafikverketaufbau ist nämlich deswegen so augenfällig, weil innerhalb weniger Wochen praktisch sämtliche Schilder, die den blauen Schriftzug des Vägverket trugen, durch die neuen Schilder des Trafikverket getauscht. Man fühlt sich an die Wirtschaft erinnert, wo jeder Wechsel des Namens oder des Designs mit sich führt, jegliche Spuren der vormaligen Firmenstrukturen zu vernichten. So ist es auch hier. Es genügt nicht, zu sagen, dass es das Vägverket nicht mehr gibt, und beim Neudruck von Schildern den neuen Namen zu verwenden. Man muss gleich den Eindruck erwecken, es habe den Vorgänger nie gegeben.

Dass bei diesen ganzen Änderungen Mitarbeiter betroffen sind, umziehen müssen und die interne Infrastruktur für teures Geld umgebaut werden muss, steht dabei wohl auch außer Frage.

Es bleibt zu hoffen, dass die Kosten den Nutzen wirklich rechtfertigen.

Gedanken zum Tage

  • Etwas kurios ist dieser Artikel von Liza Marklund, der aus einem Merian-Heft stammt und bei SPIEGEL Online veröffentlicht wurde. Das ist schon deswegen so, weil Liza Marklund in letzter Zeit viel Kritik dafür bekommen hat, dass ein von ihr geschriebener dokumentarischer Roman wohl doch nicht ganz so faktentreu wahr, obwohl der Untertitel „eine wahre Geschichte“ dies andeuten sollte. Marklund schreibt über ihr Stockholm, also anscheinend jenes für alle, die soviel Geld haben, dass der Preis keine Rolle mehr zu spielen scheint. Zu denen gehört sie offenkundig, und so ist ihre Beschreibung von Stockholm zwar irgendwo passend, aber auch ansatzweise snobistisch. Es ist nicht verwunderlich, dass sie nur einen Steinwurf vom Mälaren entfernt wohnt und ihr Büro in der Altstadt hat. Die Vorstädte erwähnt sie vor allem im Zusammenhang mit dem Arlanda Express, einem reichlich teuren Direktzug vom Flughafen in die Stadt. Von Betriebsunfällen spricht sie, wenn sie über diese hässlichen Betonburgen erzählt. Und sie hat recht. Aber man hat gut reden, wenn man in so privilegierter Lage wohnt, und unweit des Stureplan, der offiziellen Sammelstelle für unbezahlbare Nobelboutiquen, seine Klamotten einkauft. Kurios ist auch eine Bildunterschrift. Dort heißt es

    Starke Schwedenkrone: Der Kurswert Stockholms bei Touristen, die hier von Skeppsholmsbron nach Gamla Stan hinüberschauen können, ist genauso hoch

    Interessant, Anspielungen auf einen starken Kronenkurs zu machen, während die Krone gerade in der schwächsten Phase überhaupt ist und im letzten halben Jahr über 10% gegenüber dem Euro nachgegeben hat – vom Dollar erst gar nicht zu reden. Das ist fast schon ein Fall für die Spiegelkritik

  • Letzte Woche Mittwoch war mein Rekord leider vorbei. In den genau 1269 Tagen seit meiner Ankunft in Schweden hatte ich es geschafft, einen eisbedingten Sturz zu vermeiden. Ich bin gerutscht, aber nie gestürzt. Nun eben doch – der Weg vom Schwimmbad zur U-Bahn war spiegelglatt. Ich begann sofort einen neuen persönlichen Rekordversuch. Die 1269 Tage werden erst am 13. Juli 2012 vorbei sein. Drückt mir die Daumen!
  • Ich habe es endlich angegangen, mein Auto nach Schweden umzumelden. Das Verfahren ist unglaublich schnell. Vom Antrag am 13. Januar vergingen gerade einmal 6 Tage bis zur fertigen Bearbeitung. Gestern hatte ich dann den Termin bei Bilprovningen (schwedischer TÜV), bei dem die Identität des Autos und den einwandfreien technischen Zustand des Gefährts bescheinigt wurde. Die zukünftige Autonummer bekam ich gleich mit. Ab dem Moment war ich also aktenkundig, und das Auto ist als „stillgelegt“ verzeichnet. Eine Versicherung zu buchen ist leider nicht so leicht, denn importierte Autos fehlen im Computer, so dass man nicht eben online nachschauen kann, was das denn kosten würde. Ich habe verschiedene Angebote eingeholt, die zwischen 210 € und 350 € pro Jahr schwanken. Da habe ich natürlich bei den 210 zugeschlagen. Derweil fertigt die neue Behörde Transportstyrelsen die Schilder. Sobald ich den neuen Fahrzeugbrief/-schein habe, kann ich das Auto in den Verkehr bringen, indem ich es einfach online anmelde und die Steuer entrichte. Manchmal ist die schwedische Bürokratie echt beeindruckend: vom Antrag bis zum ersten Tag im Verkehr sind es drei Wochen, wenn man sich etwas beeilt.
  • Interessant ist auch, dass ich dank der Steuersenkung der Regierung nun trotz Umzugs in eine höher besteuerte Kommune mehr Gehalt bekomme – glaube ich zumindest, denn ich weiß noch nicht, ob mein Umzug schon in die Berechnung mit einfließt.

Auswandererguide Teil VIII – Die Bürokratie: Personnummer oder die Eleganz, keinen Datenschutz zu haben und es trotzdem irgendwie gut zu finden

Der Mitbewohner meiner Freundin hat ein Buch auf dem Schrank stehen, das den Titel „Gesetze“ trägt. Offenkundig enthält es alle schwedischen Gesetze. Es ist ungefähr 1200 Seiten stark.

Würde man in Deutschland ein solches Buch herausbringen wollen, müsste man dies in mehreren Bänden tun, die vermutlich das ganze Zimmer komplett ausfüllen würden, und zwar vom Boden bis zur Decke.

Die Botschaft des Ganzen ist vereinfacht gesagt: während man in Deutschland gerne alles haarklein regelt, mag man es in Schweden eher simpel. Soweit ich informiert bin, liegt das auch am Grundaufbau des Staates. Die einzelnen staatlichen Institutionen sind nämlich nicht an die Regierung gebunden. Das heißt konkret, dass beispielsweise die Straßenverkehrsbehörde Vägverket im Rahmen der Gesetze freie Entscheidungen trifft und der Verkehrsminister hier nicht direkt eingreifen kann – viel wird also von den Behörden selbst geregelt. In Deutschland gibt es hingegen Bundes- und Landesbehörden, die jeweils wiederum ihrem Minister unterstehen usw. und somit viel umfangreicher und komplexer gesteuert werden müssen.

Das weist auch noch auf einen weiteren fundamentalen Unterschied hin: Schweden ist im Wesentlichen ein zentralistischer Staat. Auch wenn es einzelne föderale Elemente gibt, so werden doch die wichtigen Entscheidungen nur einer Stelle getroffen, nämlich im Reichstag in Stockholm.
Zwar bin ich überzeugter Föderalist, aber das Kompetenzengewirr in Deutschland kann mit dieser klaren Struktur natürlich nicht mithalten.

So ist es auch kein Wunder, dass man bei jeder deutschen Behörde irgendwelche umfangreichen Formulare ausfüllen muss. Die Daten sind nur teilweise miteinander vernetzt, so dass jede Behörde für sich selbst die Informationen abfragen muss.

Als alter Datenbanker weiß ich, dass es am elegantesten ist, für jeden zu speichernden Datensatz eine eindeutige Bezeichnung zu haben. Aus dieser Logik heraus ist es natürlich am praktischsten für die Bürokratie, dass jeder Einwohner eine eindeutige Nummer hat. Auf diese Weise kann jeder Pass, jede Steuererklärung und jede Autoanmeldung eindeutig zugeordnet werden – schnell und effizient.

Die Personnummer

Genau dies hat man in Schweden schon vor genau 60 Jahren erkannt. 1947 wurde die sogenannte Personnummer eingeführt. Jeder Schwede hat eine und behält sie sein Leben lang. Dieses System ist nicht nur auf die Schweden beschränkt. Jeder ständige Einwohner dieses Landes erhält eine Personnummer.

Sie wird in zahlreichen Anwendungen genutzt:

  • Als zentrales Adressregister. Zieht man um, muss man der Bank und vielen anderen wichtigen Stellen die Adressänderung nicht mitteilen, weil diese das über das Register erfahren.
  • Das ganze Steuersystem und auch alle möglichen anderen amtlichen Dinge wie beispielsweise der Führerschein sind mit ihr organisiert.
  • Beim Gang zum Arzt sind nach Angabe der Personnummer Adress- und Patientendaten bekannt. Da auch die Krankenversicherung als zentrales Register die Personnummer verwendet, ist auch die Bezahlung erledigt.
  • Die Eröffnung eines Bankkontos ohne den Besitz einer Personnummer ist nur in besonderen Ausnahmefällen möglich – so erhalten Austauschstudenten oft nur unter Sonderkonditionen ihr Konto.
  • Die Mitgliedschaft in der Kirche. Dies ist zwar als Einwanderer zunächst kein Thema, aber die Organisation ist ähnlich wie in Deutschland, so dass man automatisch Mitglied in der lokalen Gemeinde wird. Der Unterschied ist nur, dass es nur eine Kirche (die evangelische) gibt und Katholiken eine kleine Minderheit sind. Für Deutsche, die nach Stockholm oder Göteborg ziehen, ist zudem interessant, dass es dort deutsche Gemeinden gibt. Wenn man in deren Einzugsgebiet wohnt, wird man per Post gefragt, ob man Gemeindemitglied werden möchte.
  • Der Zugang zum Bankkonto. Die Nordea verwendet die Personnummer ohnehin gleich als Kontonummer, aber auch bei der SEB dient die Personnummer als Benutzername beim Login ins Online-Banking.
  • Gelegentlich muss man sie auch bei Kartenzahlung angeben.

Für vorübergehende Arbeit hier in Schweden gibt es auch noch temporäre Personnummern, um die Steuern abrechnen zu könen. Bei diesen ist der Geburtstag um 60 erhöht. Ist man also am 26. Oktober 1973 geboren, hat man dann eine Personnummer 731086-XXXX statt des üblichen 731026-XXXX. Bei der Anwendung dieser Nummer bei weniger offiziellen Zusammenhängen wie der Eröffnung eines Bankkontos kann es natürlich irritierte Blicke geben. Manche Software ist zu dem so eingerichtet, dass die ersten sechs Ziffern ein gültiges Geburtsdatum darstellen müssen, was hier natürlich nicht der Fall ist.

Das Format der Personnummer hat man mehrfach geändert. Die letzte Version ist genau 40 Jahre alt und folgt folgendem Muster:

JJMMTT-AAAB

Gelegentlich gibt es eine erweiterte Version:

JJJJMMTT-AAAB

Die Buchstaben bedeuten im einzelnen:

  • J: Das Geburtsjahr (normalerweise die letzten beiden Stellen, in der erweiterten Fassung auch mit dem Jahrhundert versehen)
  • M: Der Monat, in dem man geboren wurde, ggf. mit führender Null (d.h. im September Geborene haben 09)
  • T: Der Tag, an dem man geboren wurde, ggf. mit führender Null
  • A: eine dreistellige Zahl zufällige Zahl, die den Einwohner in Verbindung mit dem Geburtsdatum eindeutig identifiziert. Es werden ja üblicherweise mehrere Leute an einem Tag geboren, so dass eine solche Zahl zusätzlich vergeben werden muss. Bis 1990 wurde diese Zahl nach dem Län (sozusagen das Bundesland) vergeben, in dem man geboren wurde, wobei ein Nummerblock für im Ausland geborene reserviert wurde. Seither gilt dies nicht mehr – meine Personnumemer stammt auch nicht mehr aus dem Nummernblock für Ausländer.
  • B: eine Kontrollziffer. Ihr Wert aus den ganzen Zahlen davor errechnet. Sie kann dann wie bei Kreditkartennummern dazu verwendet werden, um festzustellen, ob der Betreffende eine frei erfundene Zahl angegeben hat oder eine, die zumindest existieren könnte. Ob sie auch wirklich existiert, kann man alleine mit Hilfe der Nummer nicht feststellen.

Wie ich kürzlich erfahren musste, haben sich über die Frage, ob und wie man eine Personnummer erhält, falsche Informationen breit gemacht.
Hier daher die Fakten:

  • Eine Personnummer erhält jeder, der über ein Jahr lang in Schweden bleibt.
  • Dabei ist es eigentlich egal, was man hier macht, solange dies zu einem Aufenthalt über 3 Monaten berechtigt (siehe vorangegangener Teil). Man muss also die Bescheinigung des Aufenthaltsrechts vorlegen können. Wenn man also in Schweden arbeiten möchte, sollte man sich daher schon lange vor der Einreise online um das Aufenthaltsrecht bemühen, damit die Zuteilung nach Ankunft schnell erfolgen kann.
  • Weiterhin sollte man halbwegs glaubwürdig belegen, dass man in Schweden auch etwas zu tun hat, was länger als 12 Monate dauern wird. Das haben auch schon Leute geschafft, die es eigentlich nicht wirklich belegen konnten – ich kenne zumindest einen.
  • Die Beantragung kann also zu Beginn des Aufenthalts erfolgen. Man braucht nicht erst 12 Monate zu warten.

Zur Beantragung sollte man persönlich zur nächsten Skatteverket-Filiale gehen. Neben dem Bescheid des Migrationsverket sollte man eine Bescheinigung über die eigene Tätigkeit hier sowie einen Pass mitbringen.
Für die Stockholmer ist das in der Regel die Hauptstelle in der Magnus Ladulåsgatan auf Södermalm – leider ist keine U-Bahn-Station in direkter Nähe.

Das Öffentlichkeitsprinzip

Die Geschichte der Personnummer wäre aber nur halb erzählt, wenn man nicht auf das Öffentlichkeitsprinzip (Offentlighetsprincipen) hinwiese.

Dieses Prinzip ist in einer unscheinbaren Vorschrift in der Verordnung zur Pressefreiheit enthalten. Es legt im Grunde fest, dass alle amtlichen Dokumente öffentlich sind. Dies soll dafür sorgen, dass man als einfacher Bürger sämtliche Vorgänge im Staat nachvollziehen kann, so dass Machtmissbrauch nicht so leicht hinter dem Rücken des Wählers stattfindet.
Es gibt natürlich ein paar Ausnahmen, aber nur wenige, was teilweise seltsame Nebeneffekte erzeugt. So musste beispielsweise das Nobelkomitee für den Medizin-Nobelpreis in eine eigene Organisation ausgelagert werden, damit die beim Nobelpreis geltende Pflicht zur Geheimhaltung aller Informationen über Nominierung und Auswahl der Preisträger in einem Zeitraum von 50 Jahren nach Preisverleihung eingehalten werden kann. Andernfalls wäre das Komitee ein Teil der Universität und müsste dies alles offenlegen.

Diese kleine Anekdote zeigt aber nicht die wirkliche Tragweite des Prinzips auf.

Es bedeutet beispielsweise, dass das Adressregister nicht nur sehr praktisch ist, sondern auch komplett öffentlich. Schwierigkeiten, einen ehemaligen Klassenkameraden nicht mehr aufzufinden, sind so undenkbar. So kann ich zum Beispiel leicht herausfinden, wieviele Leute noch außer mir den Nachnamen Seitz haben. Es sind 62 in ganz Schweden. Auch Deutschlands häufigster Nachname Müller ist in Schweden anzutreffen, und zwar genau 1313 mal. Die älteste Trägerin dieses Namens ist Katrin Annemarie Müller, die 1911 geboren wurde und in Vällingby lebt.
Dies illustriert, dass es einen Rückzug in die Anonymität in Schweden nicht gibt. Jeder kann nach Belieben herausfinden, wo man wohnt und wann man Geburtstag hat. Das Marketing ist in Schweden zwar nicht so penetrant wie in Deutschland, aber schon jetzt wird man mit Werbung bombardiert, wenn man von einer anderen Kommune nach Stockholm zieht. Dass man Werbung einfach so bekommt, ist normal – und man kann sich nicht beschweren, dass man seine Adresse nie für diese Zwecke freigegeben habe. Schließlich sind ja alle Adressen freigegeben!

Das Öffentlichkeitsprinzip geht aber noch viel weiter. So sind die Einkommen aller Schweden öffentlich. Man kann also einsehen, wer wieviel verdient. Die Politikergehälter machen regelmäßig Schlagzeilen, aber eben auch die Einkünfte seines Nachbarn kann man überprüfen.

Endgültig ins Informationszeitalter wurde das Öffentlichkeitsprinzip durch die Seite Ratsit.se getragen. Mit Hilfe dieser Seite kann man ohne Probleme Geburtsdaten, Namen und Adressen von jedem Einwohner recherchieren. Das Echo bei der Eröffnung der Seite war groß, und erstmals merkten wohl auch viele Schweden, dass die Freiheit auch ihre Schattenseiten haben kann. Die Webseite erlaubte allen Nutzern eine wöchentlich begrenzte Anzahl von Anfragen über Personen. So konnte auch man herausfinden, wieviel die betreffende Person verdiente.
Die Daten stammten von Organisationen, die die Kreditwürdigkeit überprüfen – was auch der eigentliche Zweck von Ratsit sein sollte. Diese hatten sie wiederum direkt von der Steuerbehörde.
Nach einigen Monaten war allerdings Schluss mit der großen Freiheit. Die Steuerbehörde verkündete, dass man die Zusammenarbeit mit solchen Organisationen nicht fortführen werde, wenn diese nicht garantieren könnte, dass die von der Datenabfrage betroffene Person über den Vorgang informiert werde. Daten über das Einkommen kann man aber weiterhin durch einen Anruf bei der Steuerbehörde erhalten. Das Öffentlichkeitsprinzip wurde also nicht in Frage gestellt, nur die Abfragemethode. Mittlerweile ist nur noch die Abfrage von grundlegenden Personendaten möglich. Die weitergehende Untersuchung des Einkommens und der Kreditwürdigkeit kostet Geld und führt zur Benachrichtigung des Abgefragten.

Ein weiteres Beispiel, das mich vor kurzem auch wieder ins Erstaunen fallen ließ, war ein SMS-Dienst der Straßenverkehrsbehörde Vägverket. Diese hat die Nummer 71456 eingerichtet – schickt man an diese per SMS eine beliebige Autonummer, erhält man umgehend Informationen zu Fahrzeugtyp, Farbe, Alter, Steuer und dem Fahrzeughalter. Kombiniert mit Ratsit und anderen Suchdiensten kann man so innerhalb von wenigen Minuten eine bemerkenswerte Menge an Daten zusammensuchen, nachdem man ein x-beliebiges Auto auf der Straße gesehen hat. Ähnliches erlebte ich neulich bei einem Autoteilehändler. Dort fragte man mich einfach nach der Autonummer – über diese kann man den Typ dann genau feststellen.

Schweden ist also der reine Albtraum für Datenschützer.

Man muss den Schweden zu Gute halten, dass es wenige Tricksereien gibt. Telefonterror von zwielichtigen Callcentern usw. gehört nicht zur Tagesordnung.
Dennoch sollte sich jeder, der in das Land einwandert, bewusst sein, dass bestimmte Informationsgeheimnisse, die man in Deutschland blind voraussetzt, in Schweden einfach nicht existent sind.

Zusammengefasst

  • Eine Personnummer ist für einen ständigen Bewohner Schwedens unabdingbar. Ohne sie geht nichts, mit ihr geht vieles.
  • Eine Personnummer kann jeder erhalten, der länger als ein Jahr lang hier ist.
  • Zum Erwerb einer Personnummer braucht man eine Aufenthaltsgenehmigung.
  • Man sollte sich bewusst sein, dass man mit der Aktenkundigkeit der eigenen Daten in Schweden einige Informationsgrundrechte aufgibt, die einem in Deutschland gewährt werden.

Zum Abschluss eine kleine Anmerkung: auch in Deutschland wird es künftig eine zentrale Nummer geben, auch wenn diese wohl nie eine derart zentrale Rolle spielen wird wie die Personnummer in Schweden. Datenschützer äußern sich – nicht völlig unbegründet – kritisch über dieses System. Aus meiner Sicht wäre ein Zentralregister auch gut, solange jeder Datenzugriff mitgespeichert wird und von der betroffenen Person eingesehen werden kann. Außerdem sollte bei der Einführung eines solchen Systems auch ein Nutzen für den Bürger herausspringen. Wenn er sich beispielsweise das Ausfüllen seitenlanger Formular erspart, hätte er auch etwas davon und die ganze Geschichte ist nicht nur eine reine EDV-Aktion.

License to drive

Körkortsremsa

Heute morgen, 8 Uhr – Vägverket, die schwedische Straßenverkehrsbehörde, hat ihre Abteilung für Busfahrprüfungen ziemlich weit draußen, nämlich auf einem Flugplatz. Dort hat man mehr oder weniger auf der grünen Wiese ein paar Container (links im Bild) hingestellt. Mein Fahrprüfer ist schon da, kontrolliert meinen Führerschein, und schon geht es los. Die mühsam eingeübte Sicherheitskontrolle wird von ihm kaum betrachtet. Er steht nämlich draußen, raucht eine und unterhält sich mit dem Vertreter meiner Fahrschule. Danach die „Funktionsprüfung“, einem kurzen Gespräch über bestimmte technische Details des Busses. Er will etwas über die Parkbremse wissen – meine Paradedisziplin.
Das Fahren lief auch gut. Der Prüfer meinte allerdings, ich wäre zu schnell von der Autobahn abgefahren. Das ist insofern seltsam, als dass ich in den Fahrstunden einen kleinen Anschiss kassierte, als ich es genau so machte, wie er es heute gerne gehabt hätte. Der Vertreter meiner Fahrschule war zudem der Meinung, ich wäre insofern zu schnell unterwegs gewesen, dass das Einbremsen vor Ampeln und Kreisverkehren für die Fahrgäste ungemütlich würde. Das erstaunte mich insofern, als dass ich solche Kritik seit mindestens 10 Fahrstunden nicht mehr gehört hatte und zudem das Gefühl hatte, in der Prüfung eher langsam gefahren zu sein.

Wie dem auch sei: ich habe den Führerschein. Der oben abgebildete Abrissstreifen gilt maximal ein Jahr lang als Führerscheinersatz innerhalb Schwedens, bis mein neuer Führerschein ausgestellt wurde. Das ist weiter aber kein Problem, denn das dauert normalerweise nur eine Woche.

Montag geht es dann mit der Ausbildung zum Linienverkehr weiter.

Otti der Otter

Nachdem hier wenig los war in den letzten zwei Wochen, ein kleiner Abriss über die letzten Tage:

  • Ich habe meinen schwedischen Führerschein erhalten. Damit geht es hoffentlich bald auch in Sachen Bus voran. Überraschung beim Abholen des Ausweises im lokalen Postcenter. Die Dame von der Post reißt doch vor meinen Augen einfach so den Brief auf. Ich dachte nur „Hallo Postgeheimnis?“. Genauso baff war ich neulich beim Lesen der Zeitschrift der Straßenverkehrsbehörde. Dort steht doch tatsächlich auf der letzten Seite:

    SMS-Dienst
    – Wem gehört das Fahrzeug? Schicken Sie die Kennzeichennummer an 71456
    Service-Telefon 07221-252525
    – Fahrzeugschein, Schilder und TÜV-Stempel bestellen
    – Angaben über Fahrzeug nachfragen (z.B. wem es gehört und ob die Steuer bezahlt ist)
    – Fahrzeug an- oder abmelden

    Auf gut deutsch: jeder kann per SMS zu jedem x-beliebigen Auto den Besitzer herausfinden. Wenn er anruft, kann er gleich auch noch herausfinden, ob derjenige die Steuer bezahlt hat und – wenn er etwas pfiffig ist – das Auto gleich abmelden. Ganz nebenbei kann man per Ratsit oder direktem Anruf bei der Steuerbehörde Gehalt und Kreditwürdigkeit herausfinden. Geschickte Dataminer wissen so innerhalb kurzer Zeit alles mögliche über eine Person. Man fühlt sich doch gelegentlich etwas wie im Big-Brother-Staat hier. Das Offentlighetsprincipen (deutsch „Öffentlichkeitsprinzip“), das praktisch alle amtliche Dokumente öffentlich macht, in allen Ehren – im 21. Jahrhundert wird das zunehmend bedenklich. Über Datenschützer in Deutschland kann man da fast nur schmunzeln, denn das hier ist alles ein erheblich deutlicherer Eingriff in die Privatsphäre. Offenbar bin ich auch nicht ganz der einzige, der solche Bedenken hat.

  • Ich war kürzlich in Deutschland bei meinen Eltern. Das Wetter war extrem heiß, was wir nun wirklich nicht mehr gewont waren. Trotz allem natürlich schön. Kurz die Highlights: Mein Heimatdorf Ottersdorf veranstaltet im Sommer die „Heimattage“. Dazu hat man sich als Logo „Otti“, den Otter, ausgesucht. Nicht dass dieses Tier ein Wahrzeichen des Dorfes wäre, aber die Namensähnlichkeit ist bestechend, und man kann lustige Anstecker verkaufen, die dann etwas Geld für die Heimattage eintreiben. Ich bekam einen Otti von Sven Planet (den ich an dieser Stelle herzlich grüße) geschenkt, da die Anstecker offenbar weggingen wie geschnitten Brot. Leider muss ich gestehen, dass Otti bislang verschollen geblieben ist – ich habe ihn hier in Stockholm noch nicht gesehen, aber vielleicht steckt er ja noch irgendwo in den Untiefen meines Rucksacks. Ansonsten waren wir noch exzellent Spargelessen – seit langem mal wieder Spargel-All-You-Can-Eat (auch wenn es offiziell nicht so heißt) für 19,70 € beim Restaurant Schoko in Rheinstetten-Forchheim. Das ist zwar ungewöhnlich viel Werbung für meine Verhältnisse, aber einen solchen Geheimtipp sollte man etwas propagieren. Leider ist der Urlaub ja schon wieder vorbei. Wegen der untragbaren Zuständen auf der A8 zwischen Karlsruhe und Stuttgart schafften wir es erst auf die Minute zum Flughafen – letztendlich hat uns die Möglichkeit zum Internet-Check-In gerettet. Dann war es auch egal, dass wir die Leberwurst (könnte ja C4-Sprengstoff sein) bei der Sicherheitskontrolle abgeben mussten.
  • Seither war das spektakulärste Ereignis das Pokalfinale Stuttgart-Nürnberg, das Benjamin, ein ehemaliger Kollege von DASDING, der derzeit beim schwedischen Rundfunk arbeitet – und ich im Irish Pub des Hauptbahnhof anschauten. Erstaunlicherweise gesellte sich noch eine Gruppe Schwaben und Franken dazu. Insofern ein herrlicher Abend.

Seither ist lernen angesagt – Klausuren stehen an, mein Führerscheintest und die Präsentation meiner Masterarbeit.