Arithmetik für Fortgeschrittene

Diese Passage in einem Artikel zu den Wahlen 2008 ist mir gerade auf SPIEGEL Online aufgefallen.

Nach diesem Ergebnis hätte Koch auch mit der FDP keine Mehrheit mehr. Andererseits könnten aber auch SPD, Grüne und Linke zusammen keine Regierung bilden.

Wenn also CDU und FDP keine Mehrheit haben, SPD, Grüne und Linke zusammen auch nicht – wie kann das gehen?

Gedanken zum Tage

Es ist fast halb 3 Uhr in der Nacht. Ich bin gerade von der Arbeit zurückgekommen und fühle mich gerade noch so in der Lage, ein paar Dinge über die letzten Tage loszuwerden.

  • Letztes Wochenende war OB-Wahl in Rastatt. Positiv ist aus meiner Sicht ist, dass es zu einer Stichwahl kommt und es zumindest einen aussichtsreichen Gegenkandidaten zum Amtsinhaber gibt, der das Rennen noch spannend machen könnte. Allerdings hat Walker gute Chance auf eine neue Amtszeit, da ihn aus dem Stand 46 % gewählt haben. Es ist mir echt ein Rätsel, wie so etwas zustande kommt. Viele Freunde hat Walker sich in den letzten Jahren ja nicht gemacht.
  • Beim Lesen dieses Artikels kam mir dann auch ein, wer eventuell Kanzlerkandidat der SPD im Jahr 2009 werden könnte: Klaus Wowereit. Wenn wir verlieren, hatten wir wenigstens eine gute Party. Wenn wir gewinnen, haben wir den ersten homosexuellen Regierungschef, was auch sehr innovativ wäre.
  • Nochmal Politik: hier in Schweden hatte die Regierung gerade einjähriges Jubiläum. Die meisten Kommentatoren bescheinigen der Regierung eine mittelmäßige Leistung. Eine umfassende Analyse spare ich mir hier, aber grob gesagt ist es eigentlich so, dass die Regierung genau das macht, was sie im Wahlkampf angekündigt hat – und die Schweden merken so langsam, dass ihnen das doch nicht so gefällt. Die Umfragenwerte sind im Keller und im Detail bemerkt man Dissonanzen zwischen den Regierungsparteien – deren Forderungen stehen sich teilweise diametral entgegen. Das wird die Regierung sicher nicht zerbrechen lassen, aber Zeichen des Bröckelns sind ohne Frage medienwirksam. Der Rücktritt des Verteidigungsministers Odenberg und der Verlust der bürgerlichen Mehrheit in dem an Stockholm nördlich angrenzenden Sundbyberg machten sich deutlich bemerkbar.
  • Seit letztem Wochenende hat der Umzug in eine neue Wohnung begonnen. Mittlerweile war ich schon dreimal bei einem namhaften schwedischen Möbelhaus.
  • Köttbullar und Fressalien am Ausgang sind übrigens nicht etwa ein Exportgag von IKEA – das ist in Schweden selbs nicht viel anders.
  • Ich möchte an dieser Stelle auch die schwedische Ehrlichkeit loben. Bei einem IKEA-Besuch habe ich meinen MP3-Player irgendwo verloren. Tags darauf hatte ich ihn wieder zurück. Ich bin begeistert.
  • Übrigens haben wir nicht alle Möbel von IKEA. Zur Unterstützung der deutschen Wirtschaft haben wir unsere Lampen bei Bauhaus gekauft.
  • Einen sehr mondänen Schreibtisch wollte ich bei einer Konkursauktionenwebseite ergattern. Leider wurde mir das dann doch zu teuer und ich stieg aus. Stattdessen habe ich nun ein vergleichbares Modell, das neu ist und nicht viel teurer. Einen Schreibtischstuhl konnte ich aber für rund 50 € erwerben. Ich hatte mich dabei zunächst gar nicht damit auseinandergesetzt, welche Firma denn da abgewickelt wurde. Jetzt bei der Abholung sah ich es umso deutlicher: es war die Kinokette Astoria Cinemas, deren Niedergang ich schon neulich bedauert hatte. Da ich heute der Zerfledderung der Büroräume beiwohnen durfte und an den Kinos Plakate hängen, dass jetzt gerade Sommerpause sei, ist damit das Ende von Astoria definitiv besiegelt – mit einer Rettung durch einen Investor ist da wohl nicht mehr zu rechnen.

Midsommar

Früher machte IKEA damit Werbung, dass blonde Menschen mit Blumenkränzen im Sommer um eine Art Maibaum herumtanzten. Konkret geht es dabei um den Brauch zu Midsommar, in ganz Skandinavien ein ziemlich bedeutender Tag. Den Grund dafür erkennt man leicht aus folgenden Werten:

Beginn der Morgendämmerung 1:58 Uhr
Sonnenaufgang 3:30 Uhr
Sonnenuntergang 22:08 Uhr
Ende der Abenddämmerung 23:40 Uhr

Das sind die Daten für heute. Das geißt, dass es praktisch keine Nacht mehr gibt. Gestern war natürlich der längste Tag des Jahres und damit noch geringfügig länger. Im Gegensatz zur manchen landläufigen Meinung war Midsommar aber nicht gestern, sondern ist immer am Samstag nach dem 21. Juni, also morgen. Heute ist hingegen auch so gut wie Feiertag, der sogenannte Midsommarafton. Er ist einer dieser inoffiziellen de-facto-Feiertage. Dieses Wochenende passiert wirklich überhaupt nichts. Keine Fahrstunde heute, und auch mein ICA schließt schon um 14 Uhr. Entgegen der IKEA-Darstellung tanzen allerdings viele Schweden nicht um die Stange herum. Hauptbeschäftigung für die meisten ist, sich hoffnungslos zu besaufen.

Mein zweites Midsommar wird aber genauso unspektakulär sein wie letztes Jahr. Zwar gießt es nicht in Strömen, aber der Himmel ist grau, und ich habe keine Ahnung, was ich machen soll, weil praktisch alle Bekannten und Freude ausgeflogen sind. Also lasse ich es mir einfach etwas gut gehen.
Ab heute ist auch zwei Monate lang gesellschaftlicher Stillstand angesagt. Öffentliche Einrichtungen haben, wenn überhaupt, nur sehr eingeschränkt offen, und die Stadt ist merklich leerer.

Weniger schön ist Midsommar dieses Jahr für die Inhaber des Professorn – das ist das „Restaurant“ gegenüber meines Zimmers – wo eine Scheibe zu Bruch ging.

Mir persönlich verschönt gerade dieses Interview mit Egon Bahr den Tag. Schön zu wissen, dass es in der SPD noch Leute gibt, die etwas vernünftiges zu sagen haben. Weniger schön ist allerdings, dass diese Leute meist schon im Greisenalter sind.

Ich for President

Meine lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger, liebe Genossinen und Genossen

es scheint mir der Zeitpunkt gekommen, Ihnen eine wichtige Mitteilung zu machen.

Hiermit gebe ich bekannt, dass ich zur Spitzenkandidatur der Hamburger SPD bei den kommenden Bürgerschaftswahlen im Jahr 2008 bereit bin. Meine zahlreichen Unterstützer haben mir in den letzten 48 Stunden zu verstehen gegeben, dass es gerade in diesen Zeiten der Krise eines glaubwürdigen Kandidaten bedarf. Die Hamburger brauchen einen Mann, der zu seinem Wort steht, Ehrlichkeit und Integrität ausstrahlt. Dieser Mann bin ohne Zweifel ich.

Niemand kann mir Verwicklungen in dunkle Machenschaften nachsagen oder zumindest nachweisen. In Wahlskandale war ich nie verwickelt, zumindest in keine grossen. Meine Weste ist blütenweiss, wenn man von zwei Strafzetteln für Falschparken und abgelaufenen TÜV absieht.

Der Unterstützung aus meiner Partei bin ich mir gewiss. Schon in der Vergangenheit konnte ich auf überragendes Vertrauen zählen – meine letzte Spitzenkandidatur zum Vorsitzenden der Jusos Rastatt 2001 gewann ich klar mit 7:6 Stimmen. Auch meine Wahl die Auslosung zum 2. Ersatzdelegierten beim letztjährigen sozialdemokratischen Studentenkongress in Schweden konnte ich deutlich für mich entscheiden. In Kürze werde ich als Vertreter meines Klubs an höchster Stelle die Jugend Stockholms vertreten – und das nicht nur, weil es mehr Plätze als Kandidaten gibt – nein, das Vertrauen meiner Partei ist mir auch in solch widrigen Bedingungen sicher.

In aller Bescheidenheit möchte ich auch anmerken, dass ich über vielfältige Auslandserfahrung verfüge und deswegen das internationale Parkett nicht fürchte.

Es gilt aber, das Herz der Hamburger zu gewinnen. Zwar wohne ich weder in Hamburg noch in Deutschland und bin daher für rund 98,5 % der Bevölkerung derzeit noch nicht vermittelbar. Dass dies kein Grund für einen Rückzug sein muss, zeigt Kurt Beck jeden Tag eindrucksvoll. Zudem kann mir keiner nachsagen, dass mir die Stadt nicht wichtig ist: ich war schon in Hamburg, sogar mehrmals.

Wichtig wird sein, den Bürgern zu vermitteln, dass hier eine SPD steht, die es mit der CDU und Ole von Beust aufnehmen können wird – wahrscheinlich. Mit unserem Slogan „Gut für Hamburg“ stehen wir für klare Ziele. Welche dies sind, wird sich sicher noch klären lassen.

Eines steht aber jetzt schon fest – mein Bekenntnis zu sozialer Gerechtigkeit, dem Rechtsfahrgebot auf deutschen Strassen und Biozucker von glücklichen Zuckerrüben ist nicht verhandelbar.

In diesem Sinne, liebe Genossinnen und Genossen, bin ich bereit, in die Bresche zu springen und den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Ich bin zu grössten Opfern bereit und würde meine Karriere für einen Platz im Hamburger Rathaus auch für einige Zeit ruhen lassen. Meine Parole ist: „Mit Anstand verlieren“

Vielen Dank!

Kindergarten

Ich tue mir „Sabine Christiansen“ schon seit geraumer Zeit nicht mehr an, was allerdings auch an den technischen Gegebenheiten liegt. Top-Politiker und solche, die sich dafür halten, können von einer offenkundig überforderten Moderatorin ungestoppt die grössten Albernheiten von Bundestagsdebatten und Parteiengeplänkel in epischer Breite von sich geben.

Für montägliche Meldungen und Leitartikel reicht es aber doch noch.

Bis das Ganze aber in Schweden ankommt, ist nicht selten Dienstag.

Heute schreibt nämlich die U-Bahn-Zeitung Metro, dass es in der Debatte angeblich um schwedische Kindergärten ginge – das war mir allerdings auch neu, und es steht auch drin, woher sie das haben:

Die Fernsehdebatte zeigt, wie weit die familienpolitischen Vorstellungen in der heutigen EU voneinander entfernt sind. Firmenchef Wolfgang Grupp warnte die CDU davor, es Schweden gleichzutun:
„Eine richtige Mutter verdient gerne weniger, wenn sie ganz in ihrer Mutterrolle aufgehen kann. In unserer Firma ist es den Männern verboten, überhaupt nach Vaterschaftsurlaub zu fragen.“ […]
In der FAZ schrieb die TV-Koluministin Sandra Fomferek ironisch darauf über die „verrückten Schweden“:
„Nun wissen wir, warum Pippi Langstrumpf verschiedenfarbige Strümpfe anhatte. Es muss am schwedischen Kindergarten gelegen haben.“

Wolfang Grupp also hatte etwas erzählt, und Schweden regt sich auf. Wem dieser Name nicht geläufig sein sollte, kann beruhigt sein: auch ich musste nachschauen. Der gute Mann ist Chef von Trigema und Dauergast bei Christiansen, weil er mit seinen pragmatisch hinterwäldlerischen Ansichten das Publikum zu Begeisterungsstürmen hinreisst – und zwar für sein Bekenntnis zum Standort Deutschland und seinem direkten Kontakt zu den Mitarbeitern, der die Existenz einer Mitarbeitervertretung vermeintlich überflüssig mache.
Sprüche wie die obigen zeigen, was die Self-Made-Geschäftsmanns-Wundertüte Grupp noch so alles hergibt: Dorfkapitalismus vom Feinsten – die soziale Verantwortung liegt nicht beim Staat, sondern beim Chef. Und der habe von Natur aus ja nur das Beste für seine Mitarbeiter zu wollen. Reiner Altruismus regiert also die Welt – dass es auch Chefs wie Klaus Esser und Josef Ackermann gibt, die bei der Prioritätenliste erst einmal ihr eigenes Konto obenan stellen, ist da wohl nur ein kleines Detail.
Eigentlich hätte man in diese Runde gleich noch Eva Herman einladen sollen, damit diese über den natürlichen Abstand zwischen Frau und Herd fabuliert. Willkommen in den 1950er Jahre, als die Welt noch in Ordnung war…

Die Zeitung Svenska Dagbladet hat das nach gut 36 Stunden doch schon etwas angestaubte Thema aufgegriffen (The Local übrigens auch) und als Überschrift das Zitat „Kindergarten schadet den Kindern“ gewählt.
Interessant wird es bei den Kommentaren.

Dort schreibt „Lasse2“ unter der Überschrift „Deutschland viel besser“:

In Deutschland kümmert man sich wirklich um die Kinder und nicht nur um die Karriere der Eltern und deren Bequemlichkeit. Das deutsche Steuersystem macht es möglich für eine Familie, von einem Einkommen zu leben […]
Auf diese Art schafft man wirkliche Gerechtigkeit, indem alle Paare gleich viel bezahlen unabhängig davon, wie das Einkommen verteilt ist. Dadurch gewinnen die Kinder viel!

Das meint er offenbar nicht ironisch – anscheinend ist ihm nicht bekannt, dass man für diese Steuervorteile heiraten muss und sich nicht etwa wie hier als „Sambo“ (zusammenwohnend) registrieren kann. Vor lauter Kinderfreundlichkeit hat Deutschland nebenbei bemerkt auch eine der miesesten Geburtenraten der EU.

Doch schauen wir weiter. „Ernie“ schreibt:

Der Kindergartenplatzmangel ist schreiend in Deutschland. Was jetzt passiert ist, ist, dass die christdemokratische Familienministerin(!) Ursula von der Leyen nun diejenige ist, die für die Modernisierung der deutschen Familienpolitik steht und das alle erzkonservativen Opas in CDU/CSU aufgeschreckt hat. SPD-Chef Kurt Beck hat Bischof Mixa mit Recht mit einer kastrierten Katze verglichen.

Schön, dass Beck ab und zu auch mal was vernünftiges von sich gibt. Ich bin auch davon beeindruckt, dass Ernie so treffend die Situation beschreibt.

Es finden sich auch polemische Beiträge wie

„Zoobesuch“ – wie gut ist es, dass kleine Kinder gezwungen werden, eingesperrte Tiere anzuschauen? Das ist wahrscheinlich so, damit man ein deutscher Dyslektiker wird.

als Antwort auf die Meinung, dass Kinder keine „Aufbewahrungsanstalt“ (genauso im Text zu finden) bräuchten, sondern nur Aufmerksamkeit.

So geht es weiter – teilweise sind die Beiträge nicht einmal Positionen zuzuordnen. Nichtsdestotrotz überrascht mich die Bandbreite der Meinungen. Eigentlich sollte man denken, die Schweden erschauern angesichts des deutschen Sozialsystems. Dem ist offenbar nicht ganz so.

Unterschwellig kommt hier aber auch durch, was man als grössten Kritikpunkt am schwedischen System auffassen kann: die vermeintliche Wahlfreiheit ist keine. Während in Deutschland zu beklagen ist, dass eine Mutter ihren Beruf nicht ausüben kann, weil es keine geeignete Betreuung gibt, so ist es in Schweden genau umgekehrt. Die Freiheit in der Karriere hat dazu geführt, dass von der Frau erwartet wird, arbeiten zu gehen – die freie Entscheidung, nur Mutter zu sein, wird nicht akzeptiert.

Deutschland als gelobtes Land hinzustellen, wie es Lasse darstellt, ist dennoch grotesk. Amokläufer in Schulen, Rütli, zu Tode gehungerte vernachlässigte Kinder – all das ist in Schweden unbekannt, und das hat mit Sicherheit nicht zuletzt mit dem Sozialsystem zu tun.

Gewerkschaften

Meine Genossen gefällt das zwar nicht so, aber ich bin schon seit längerem recht skeptisch gegenüber Gewerkschaften. Inwieweit diese nämlich die Interessen ihrer Mitglieder und der Allgemeinheit vertreten, ist höchst zweifelhaft – in zahlreichen Einzelfällen ist es eher so, dass der Tarifvertrag die Interessen der Mitarbeiter mit Füssen tritt. Wenn jetzt ein Gewerkschafter über solch blasphemische Äusserungen aufgeregt sein mag, lasse ich mich gerne eines besseren belehren. Dann darf er mir aber auch gleich noch erklären, wieso ungelernte Mitarbeiter in deutschen Autofabriken jenseits jeder Rechtfertigung überbezahlt werden. Und woher die angeblich so dem kleinen Mann nahen Gewerkschaften das Geld nehmen, prächtige Gewerkschaftszentralen zu bauen. Nebenbei wüsste ich auch noch gerne, ob er wirklich der Meinung ist, dass jemand, der seit 30 Jahren Berufsgewerkschafter ist, wirklich noch als Vertreter der Beschäftigten gesehen werden kann.

Ein rein deutsches Phänomen ist aber Ärger mit Gewerkschaften nicht. In Götebörg gibt es eine Salatbar, deren Besitzerin – 25 Jahre alt und daher auch Jungunternehmerin – sich weigert, den Tarifvertrag für gastronomische Betriebe zu unterschreiben. Die Unterzeichnung dieses Vertrags ist übrigens freiwillig, was aber die entsprechende zuständige Gewerkschaft wenig kümmert. Wer eben nicht unterschreibt, wird gefügig gemacht, zu unterschreiben. Dabei scheint nicht zu gelten, dass die ganze Aktion rechtsstaatlichen Prinzipien widerspricht und ganz nebenbei auch keine Beschwerden von Mitarbeitern vorliegen. Letzteres kann ohnehin kaum passieren, denn die Besitzerin hat ohnehin nur einen Teilzeitangestellten, und der sei dazu auch noch ziemlich zufrieden.

Also betreibt die Gewerkschaft seit Anfang Dezember eine Blockade der Salatbar, um die Kundschaft zu vergraulen und doch noch die Unterschrift zu bekommen. Mit Erfolg: die Besitzerin Sofia Appelgren blieb hart, aber musste sich offenkundig aus finanzieller Hinsicht letztendlich doch beugen. Nachdem das einjährige Jubiläum ihres Geschäfts von einer Demonstration der Gewerkschaft begleitet wurde, entschloss sie sich zum Verkauf. Offenbar war der „Druck der Strasse“ stärker als die überwiegende Unterstützung in der Öffentlichkeit.

Der Kampf gegen ungerechte Löhne ist eine ehrenwerte Sache – aber die Gewerkschaften sollten sich auf die Fälle konzentrieren, wo es wirklich Ungerechtigkeit gibt. Für Gewerkschafter scheint dieser Begriff aber mit dem Tarifvertrag identisch zu sein.

Aktuelle Wendung in dem Fall: Fredrik Federley, ein anscheinend etwas snobbig daherkommender Abgeordneter der konservativ-grünen Zentrumspartei, hat nun Kaufinteresse bekundet und steht in Konkurrenz zu zwei weiteren Bietern. Witzigerweise war es auch er, der der Fachschaft „Mafiamethoden“ vorwarf. Ganz im Gegensatz zum aktuellen Arbeitsminister Sven Otto Littorin, der an der ganzen Blockade nichts falsches sehen konnte.

Der Fall wird damit fürs erste wohl auch einzigartig bleiben, denn die Aktion der Gewerkschaft hat schon Nachahmer gefunden. In Kristianstad gab eine Geschäftsbesitzerin schon nach einem halben Tag Blockade nach. Die hat zwar auch nur einen Angestellten – aber es ging ja, wie so oft in Schweden, ums Prinzip.

Ehrlich gesagt bin ich mir im Moment nicht sicher, ob mir die deutschen oder die schwedischen Gewerkschaften unsympathischer sind.

Politik mit Zukunft

Manchmal gibt es ja noch Hoffnung im Leben. Wenn es aber um Baden-Württemberg und Politik geht, kann man das gleich vergessen, denn spätestens seit 26. März wissen wir: die CDU hat ein höchstpersönlich von Gott gegebenes Recht, in Baden-Württemberg zu regieren. Eigentlich hätten die ganzen CDU-Oberen einfach in Urlaub fahren und stattdessen einen Sack Kartoffeln als Spitzenkandidaten aufstellen können – gemerkt hätte es keiner, denn die Leute machen so mechanisch ihr Kreuz bei der CDU, dass man eigentlich statt dem Urnengang gleich ein Stimmen-Abo einführen hätte können: einfach unterschreiben und man wählt die nächsten 25mal automatisch gleich nochmal CDU. Dafür gibts dann ein tolles Paket mit der CD „Konnis schönste Reden“ und dem Buch „Traumschiff BaWü“ von Lothar S. selbst signiert. Die Leute haben ja auch allen Grund, die CDU toll zu finden – PISA-mäßig prima abgeschnitten, weil man die ganzen Pfeifen einfach von der Schule geschmissen hat, und niedrige Arbeitslosenquoten, weil so lange man sich der Illusion hingibt, in Deutschland würden bis in alle Ewigkeit Autos gebaut, dass jeder bei der Firma mit dem Stern einen überbezahlten Job kriegt.

Allerdings sollte man bei dem ganzen Konservativen-Bashing nicht vergessen: bei der SPD ist so gut wie jeder, der etwas auf dem Kasten hat, schon längst in Berlin. Ute Vogt mag zwar im Wahlkampf intime Details ausgeplaudert haben, aber das macht sie bei aller Jugendlichkeit noch lange nicht zu einer brauchbaren Landesmutter. Mich persönlich hat sie rhetorisch auch noch nie vom Hocker gerissen.
Der Rückzug aus Berlin war aus ihrer Sicht jedenfalls ein ziemlicher Griff ins Klo, schätze ich. Nach den furiosen Zugewinnen 2001 nun mit dem zweitschlechtesten Ergebnis aller Zeiten abgestraft und vom Ministerpräsidentensessel weiter entfernt denn je, darf sie nun eine bescheidene Fraktion anführen, die sie mit klarer, aber nicht überragender Mehrheit zur Vorsitzenden gewählt hat. Die Aussicht auf die Spree wäre da wohl schöner als der Blick auf den Neckar.

Ich persönlich hatte ja ein bisschen gehofft, sie würde abtreten – denn ich meine, auch langfristig gesehen wird sie nicht das Format einer Heide Simonis erreichen. Aber die macht mittlerweile auch bei albernen Tanzshows mit – es ist also nichts unmöglich. Im Falle eines Rücktritts hätte sich bei der Nachfolgesuche auch schnell eine Frage gestellt: Wer denn? – ist ja keiner da sonst, der es könnte. So kann sie noch mindestens die nächsten zwei Wahlen üben, bis sie das Alter des vermeintlich jungen jetzigen Minischterpräsidenten erreicht hat. Und selbst, wenn es dann nicht klappt – in BaWü gilt sowieso: Das haben wir schon immer so gemacht, das haben wir noch nie so gemacht, da könnte ja jeder kommen.
Ich räume meiner Partei aus aktueller Sicht eigentlich nur eine Hoffnung ein: wenn ein neues Flowtex mit wirklich nennenswerten Enthüllungen in Kombination mit starkem Rückenwind aus Berlin aufträte, dann könnte es eventuell reichen. Die Frage ist, ob ich das noch erlebe.

Wie gut, dass es noch echte Helden in der Politik gibt, die einem eine solch verfahrene Situation erheblich erleichtern. In den USA beispielsweise gibt es einen, der die Weltpolitik ab 2008 mit zwei Klorollen und einer Büroklammer in Ordnung bringen wird: MacGyver for President!

Klassenkampf im Eisschrank

Während andernorts nach offiziellem Frühlingsbeginn auch wirklich so etwas ähnliches wie Frühling anfangt, fährt der Winter hier nochmal die schweren Geschütze auf. Die Sonne strahlt zwar, und auch die Vögel zwitschern, aber die Temperaturen pendeln zwischen -3°C und -10°C. So bringen mir auch die längeren Tage nicht viel, und das Joggen ist fast unmöglih, da der Schnee sich an vielen Stellen zu nicht ganz ungefährlichem Eis verdichtet hat.

Da ist es doch schön, als altes sozialdemokratisches Schlachtross in trauter Runde der Genossen Arbeiterlieder zu schmettern und wirre Anträge mit Titeln wie „Kaboom“ zu diskutieren. Letztes Wochenende war nämlich die ARSK (gesprochen „Arschk“), die jährliche Konferenz des SSU Stockholm. Unter anderem wurde beschlossen, dass die norwegische Frauenquote von 40 % in Firmenvorständen auch in Schweden eingeführt werden soll und Feuerwerkskörper allgemein verboten werden sollen. Eine Entschärfung der staatlichen Alkoholpolitik wird abgelehnt, und auch Bargeldzahlung in Nahverkehrsbussen soll abgeschafft werden. Das klingt alles etwas albern, ist es aber eigentlich nicht. Wie in jedem politischen Verband muss die eigene Linie gefunden und diskutiert werden, genauso wie die Landesdelegiertenkonferenz (LDK) der Jusos Baden-Württemberg eher das politische Zusammenspiel und Selbstfindung fördern. Gerade an diese Konferenzen erinnert mich die ARSK sehr. War ich allerdings bei den LDKs der Jusos zwar dreimal anwesend, aber kein einziges Mal Ersatzdelegierter geschweige denn Delegierter, so hat man mich hier, ohne mich zu einer Wahl stellen zu müssen, zum Delegierten ernannt, was bei mir starke Irritationen hervorrief, als ich beim Verlesen der Namensliste genannt wurde und eigentlich hätte „Ja“ rufen sollen. Mein Wochenende als „Röstboskap“ (exakte Übersetzung „Stimmvieh“) habe ich jedenfalls genossen. Zwar entzogen sich die meisten Redebeiträge meinen doch noch etwas eingeschränkten Sprachinterpretationsvermögen, aber dank Antragspapieren konnte ich halbwegs folgen.

Die Verfahrensweise beim SSU (das ist auch die Abkürzung für den ganzen sozialdemokratischen Jugendverband in Schweden) und wohl auch anderen Parteien und deren Organisationen ist allgemein etwas anders als in Deutschland. So wird bei Abstimmungen einfach kollektiv ein „Ja“ geschmettert. Erst, wenn es Zweifel gibt, wird mit Hochhalten der Stimmkarten abgestimmt. Führt auch das zu keinem klaren Ergebnis, wird gezählt. Die Möglichkeit, sich zu enthalten, existiert dabei nicht. Allgemein geht man auch eher pragmatische Wege bei solchen Dingen. Bei der Jahreshauptversammlung meines Klubs vor einem Monat wurden die Kandidaten für die Posten im Vorfeld von einem Wahlkomitee (auch eine Art Ältestenrat, weil es vorwiegend altgediente Genossen waren) gesucht, um somit für jeden zu wählenden Posten jemanden zu haben. Das ist prinzipiell natürlich gut, allerdings war ich sehr irritiert, dass auch diese Wahlen per Akklamation stattfanden, da es immer nur einen Kandidaten gab. Lediglich bei der Wahl der Nominierung für einen Posten im Redaktionskomitee der Verbandszeitung eine Woche später fand eine geheime Wahl statt. Die Krönung war nun am Sonntagmorgen, als es einen 15:15 Patt bei der Abstimmung gab und am Schluss gelost wurde, welcher der beiden gegeneinander gestellten Anträge angenommen wurde.
Vielleicht liegt es an der offenen schwedischen Art, dass hier nicht hinter dem Rücken Mehrheiten zusammengeschmiedet werden, die dann im Geheimen verteidigt werden können. Dennoch würde dieses allzu offene Vorgehen in Deutschland misstrauisch beäugt werden – was auch verständlich ist, denn unser Verfahren erzeugt zwar viel mehr Aufwand, ist aber prinzipiell die korrektere, denke ich. Eigentlich steht es mir jedoch nicht zu, die schwedischen Verfahren zu beurteilen. Politik ist sowieso immer ein schmutziges Geschäft.

Apropos Politik: am Sonntag wird ja mächtig gewählt. Das habe ich per Brief schon getan – natürlich meine eigene Partei. Eine Hoffnung auf Schwarz-Rot in Baden-Württemberg habe ich allerdings nicht wirklich. Rot-Grün wäre illusorisch. Dennoch hoffe ich, dass zumindest die FDP in Baden-Württemberg nach ihren ganzen Spenden- und Flowtexaffären auch einmal einen Denkzettel verpasst bekommt und wieder lernt, wie es in der Opposition ist. Es würde der Landespolitik auch endlich etwas Bewegung verschaffen, die sie auch nötig hat. Meine unrealistische Hoffnung lautet daher zwar Rot-Grün, aber meine realistische Hoffnung ist Schwarz-Grün. Ich hoffe inständig, dass Kurt Beck in Rheinland-Pfalz wiedergewählt wird. Anscheinend machen die dort ganz gute Arbeit, und Christoph Böhr ist jetzt auch nicht gerade eine übermäßig sympathische Figur.

Kvalet av valet

Vor ein paar Jahren durfte ich den Kirchenrat meiner Gemeinde oder irgendsoetwas wählen – es gab sechs Plätze zu vergeben, und genau sechs Kandidaten. Den knallharten Wahlkampf kann man sich ansatzweise vorstellen. Und das TV-Duell erst – spektakulär.

Hier sind morgen Kirchenwahlen, und es geht ganz anders zu. Parteien treten an, Wahlkampf in der Fußgängerzone. Nicht, dass die Kirche mehr zu melden hätte als in Deutschland, aber es ist ein Stimmungsbarometer. Zudem sind die Wahlen für den schwedischen Reichstag ziemlich genau ein Jahr entfernt.
Bei allem Interesse für die Politik hier interessiert mich die andere große Wahl morgen freilich deutlich mehr.
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