Im Dunkeln

Gruppenfoto im geschmackvoll eingerichteten Svartkrogen, dem einzigen Dunkelrestaurant Schwedens - der Clown und das Pferd waren übrigens nur Attrappen

Vor über 10 Jahren eröffnete das erste Dunkelrestaurant in Zürich, bald danach gab es das erste in Deutschland. Das Konzept ist simpel und faszinierend: es ist stockdunkel, so dass man nicht auf das Ambiente achtet, sondern auf Geräusche und den Geschmack. Und man kann sich die Welt der Blinden begeben. Die Kellner sind üblicherweise auch blind, was wiederum für diese eine tolle Erfahrung ist, denn ausnahmsweise sind sie diejenigen, die den sensorischen Vorteil haben.

Mich hat so etwas schon seit langem mal interessiert, aber leider hat es sich nie ergeben. Das liegt schon alleine daran, dass sich das Konzept zwar erfolgreich zu behaupten scheint, aber deswegen noch lange kein Flächenphänomen ist. In Deutschland gibt es eine Reihe solcher Lokale, vornehmlich in größeren Städten. In Schweden gibt es (nach eigener Aussage) jedoch nur eines: den Svartkrogen.

Svart ist unschwer als das Wort „Schwarz“ zu erkennen. „Krog“ (gesprochen „Krug“) ist fast unübersetzbar, da es von der Landgaststätte über das schicke Restaurant bis zum Nachtclub anscheinend nahezu alles gastronomische sein kann.

Leider handelt es sich beim Svartkrogen um keine ständige Einrichtung. Es gibt vielleicht ein oder zwei Öffnungstage im Monat. Man muss den Besuch also langfristig planen. Das Ganze hat auch mehr einen Eventcharakter: alle gehen gemeinsam rein und auch wieder raus. Der Preis ist auch nicht von schlechten Eltern: 895 Kronen (derzeit ca. 100 €) kostet es pro Person, und angesichts dessen musste man die Buchung auch schriftlich bestätigen. Ich habe es geschenkt bekommen und konnte insofern vollkommen unbeschwert genießen.

Dafür bekommt man auch etwas geboten. Das Restaurant ist nämlich nicht mitten in der Stadt, sondern ist ein klein wenig idyllischer gelegen:

Die Schären vor dem Konferenzzentrum Almåsa - landschaftliche Idylle

Es befindet sich im Konferenzzentrum Almåsa, gut 30 Kilometer südlich von Stockholm in der Gemeinde Haninge. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln unerreichbar, bleibt nur das eigene Auto oder ein Taxi – hier hat man ein Abkommen mit einem lokalen Taxiunternehmen, das besonderen Rabatt gibt. Es liegt direkt am Wasser mit Blick auf die südlichen Schären von Stockholm und wurde in den 1950er Jahren von Sehbehinderten aufgebaut. Es ist daher auf deren Bedürfnisse eingerichtet. Alles ist auch in Braille markiert, und an bestimmten Punkten stehen Lautsprecher, die in regelmäßigen Abständen einen bestimmten Ton oder ein bestimmtes Geräusch abgeben, um die Orientierung zu erleichtern. Die vier Sterne an der Tür machen deutlich, dass es sich hier für Sehende und Nichtsehende um höchsten Standard handelt.

Wer schon vorher Zeit hat, darf auch Sauna, Pool etc. nutzen, bevor es losgeht. Der Abend beginnt mit einem Sektempfang und einer Einführung durch (in unserem Fall) Joakim, der sozusagen der Conferencier ist. Man wird gebeten, bitte alle Lichtquellen abzuschalten oder zu verstecken – viele vergessen gerne, dass viele Uhren leuchten. Im Alltag ist das unbedeutend, in vollkommener Dunkelheit aber merkbar. Doch die will man hier erreichen.

Daher wies man uns auch noch darauf hin: wer besondere Essenswünsche hat, solle diese bitte – falls noch nicht geschehen – sofort anmelden, denn es ist nicht so, dass man als Allergiker oder Vegetarier in völliger Dunkelheit Teile des Essens aussortieren könnte, die man nicht zu sich nehmen kann oder möchte. Das Drei-Gänge-Menü war zudem geheim, denn es ging um das Geschmackserlebnis ohne die sonst so wichtigen optischen Sinneseindrücke.

Der weitere Ablauf war simpel: in einem Nebengebäude gab es einen Vorraum, von dem aus es in den Speisesaal ging. Ein Gang, bei dem man nach zwei Windungen schon keinerlei Licht mehr hatte, führte hinein. Man sollte eine Hand immer an der Wand halten, um nicht vollkommen die Orientierung zu verlieren. Die Wand war als kleines Extra mit Dingen zum Ertasten ausgestattet. Am Ende wartete ein Kellner auf uns, der uns zum Tisch führte.

Natürlich gab es die Möglichkeit, zwischendrin auf die Toilette zu gehen – und diese hatte sogar Licht! Dazu musste man aber jedes Mal wieder heraus ins Vorzimmer. Ich verzichtete darauf, was dazu beitrug, dass ich bis zum Schluss nur wenig Ahnung hatte, wo der Ausgang ist und wie der Raum aufgebaut ist. Ich wusste nicht einmal, wer neben uns saß und hätte unsere Nachbarn auch draußen nicht wiedererkannt.

Einfachste Dinge geraten zur geraten Herausforderung. Die Wasserflaschen hatten Kronkorken. Also musste man erst einmal herausfinden, wo der Öffner am Tisch war. Wenn man einschenkte, hatte man zudem keine Ahnung, wie voll das Glas war. Ich behalf mir damit, einen Finger in das Glas zu halten, um rechtzeitig den kritischen Wasserstand zu bemerken. Ähnlich schwierig war das Essen. Ich benutzte das Besteck, soweit es ging, aber man schiebt viel auf den Rand (und darüber hinaus). Letzten Endes helfen nur die Finger bei der Erfassung der Lage. Manche aßen gleich ohne Besteck – gesehen hat es schließlich keiner. Wenn man nicht weiß, was man da auf dem Teller hat, ist es schwer, Tischmanieren aufrecht zu erhalten.

Man versteht schnell, mit welchen Schwierigkeiten Sehbehinderte konfrontiert sind, wenn es darum geht, solche alltäglichen Dinge zu meistern und dabei auch noch gesellschaftlichen Normen zu entsprechen. Für die Kellner muss es eine ebenso spannende Erfahrung sein, hier einmal Rollentausch spielen zu können.

Apropos Kellner: was man vorher nicht geahnt hatte und dem ganzen das Sahnehäubchen aufsetzte, war die „Nebenbeschäftigung“ der Kellner. Sie waren nämlich nicht nur Personal, sondern auch die Comedy- und Musikgruppe „De synliga“ („Die Sichtbaren“), die mehrere ihrer selbstgeschriebenen Stücke zum besten gaben. In diesen setzten sie sich auf fröhliche und hintersinnige Art mit ihrer Behinderung auseinander. Die Ansagen der Lieder hatten schon Kabarettqualität.

Das machte den Abend kurzweilig, und da konnte ich nur dankbar dafür sein. Das Netzhautflimmern hört zwar nicht auf, aber wenn man länger in absoluter Dunkelheit sitzt, verliert man jedes Zeitgefühl. Und mit der Abwesenheit von Licht assoziert mal vor allem eines: Schlaf. Ohne die Musik wäre ich zwischendrin bestimmt einmal weggedöst.

Nach einer tollen „Show“ (absurdes Wort in diesem Zusammenhang) und einem opulenten Essen ging es dann wieder ins Licht. Es waren drei Stunden vergangen. Ich hätte zu gerne den Raum einmal im Licht gesehen. Es muss chaotisch ausgesehen haben.

Der Abend klang aus bei Kaffee und Tee.

Das alles war den Preis wert. Es ist sicherlich nichts, was man öfter machen kann, und auch nicht gerade etwas, das man einfach so verschenken kann. Aber es ist definitiv ein spannendes Erlebnis, das man jedem, der nicht gerade panische Angst vor dem Dunkeln hat, ans Herz legen kann.

Der Nobelpreis und ich im Radio

Wer mich vermisst, kann mich immerhin hören: letzte Woche war ich einer von drei Gästen zum Thema Nobelpreis bei der Sendung „Redaktionskonferenz“ von dradio Wissen.

Das Thema ist seit jeher ein Steckenpferd von mir, und die Sendung eine wunderbare Gelegenheit, auch jenseits von 1:30-Beschränkungen mal etwas zu einem Thema zu erzählen. Zu Gast waren außerdem Tim Krohn, ARD-Hörfunkkorrespondent in Stockholm, und Holger Motzkau, der wie ich Physikdoktorand sowie Wikipedianer ist und der sich in letzterer Eigenschaft stark engagiert, so dass er bei allerlei Nobelevents anwesend ist. Auf der Seite der Sendung sieht man auch unser kleines improvisiertes Studio, in dem Holger und ich saßen. Moderiert wurde der ganze Spaß von Thilo Jahn.

Die Nobelpreise in diesem Jahr waren eher unspektakulär. Es setzte sich auch der bemerkenswerte Trend fort, dass die Presse im Vorfeld die Preisträger richtig rät. So hatte Karin Bojs von Dagens Nyheter den richtigen Riecher in Sachen Medizinpreis und hatte die beiden Preisträger auf ihrer Shortlist stehen. Auch der Literaturpreis war ja vorhergesagt worden, wobei man sich immer fragen kann, wie es kommt, dass Schriftsteller, die seit Jahrzehnten schreiben und in den letzten Jahren nicht einmal erwähnt wurden, plötzlich zum selbstverständlichen Favoriten werden.

Der Preis an die Europäische Union hat mich ein bisschen überrascht, aber ich fand ihn überaus passend. Wie erwartet wimmelte es in den Kommentaren und Foren nur so von kleingeistigen Kommentaren zum Thema. Man ist leider nicht in der Lage, einer Organisation Respekt zu zollen, die einen jahrhundertelang von Kriegen heimgesuchten Kontinent zu einem eng verwobenen Konglomerat gemacht hat, das Probleme gemeinsam löst statt sie zu einem Anlass für Feindseligkeiten zu nutzen. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass Geld die historische Vision trübt. Bedauerlich, und daher auch umso besser, dass zumindest das Komitee in Oslo die Erfolge würdigt, statt immer nur auf die Schwächen einzudreschen.

Mit dem Wirtschaftspreis vorgestern kam der erwartete Abschluss. Wie immer waren es Amerikaner, die gewonnen haben. Leider für mich auch wieder einmal ein Anlass, zu sagen, dass dieser Preis noch nie eine gute Idee war und es auch nach über 40 Jahren immer noch nicht ist. Ein Preis, der flüchtige soziale Theorien belohnt und schon durch die Verhältnisse in diesem Bereich immer an dieselben Kreise geht, ist von der ganzen Konstruktion her leider keinem der von Nobel gestifteten Preise ebenbürtig.

Auf der anderen Seite gehört genau dies auch zu der Faszination dieses Preis, von dem immer Perfektion erwartet wird, der sich aber darum nicht kümmert und einfach jedes Jahr neue Preisträger liefert, die viel Ehre erhalten, aber auch viel geschmäht werden. Wie oft wurde gerade dem Literatur- und Friedenspreis bescheinigt, er verliere seine Bedeutung, obwohl er jedes Jahr aufs Neue genauso heftig diskutiert wird.

Darum ging es auch in der Sendung: das Event Nobelpreis mit seinen kleinen Geschichten außenherum. Ich wünsche viel Spaß beim anhören.

Hier der Link: dradio Wissen – Nobelpreis:Zeremonielles Brimborium

Studienjahrbeginn

Heute morgen: diese fünf Herren stehen an der Straßenseite

Das Leben in Schweden kehrt zurück. Gestern sah ich die ersten Führungen der KTH für die neuen Studenten. Wieder einmal bin ich erstaunt über diesen Teil der Studentenkultur in Schweden, insbesondere an der KTH. Viele Studenten tragen Overalls, deren Farbe je nach Fachrichtung verschieden ist, und Mützen, die auch die fünf Herren auf dem Bild tragen. Dieses Quintett zeigt auch die alternative Uniform: Frack, Sonnenbrille, Studentenmütze und nach Möglichkeit ein Bart. Um das Ganze noch beeindruckender zu machen, stellen sie sich wie hier in Pose und bewegungslos irgendwohin oder marschieren in Formation. Die Kleidung wird oft mit allen möglichen Aufnähern dekoriert.

Einen tieferen Sinn hinter solchen Studententraditionen vermag ich nicht zu erkennen, und man sollte ihn wohl auch nicht vermuten.

Dass die Fünf sich genau dort aufgestellt haben – die Anlage rechts neben ihnen war übrigens nicht angeschaltet – liegt wohl darin, dass sie etwas Eindruck auf die zahlreichen zur KTH strömenden Studenten machen wollen. Oder sie warten auf jemanden bestimmten. Auf jeden Fall traute sich niemand, mich eingeschlossen, direkt an ihnen vorbeizugehen,

Ich habe großen Respekt für die vielfältige und kreative Studentenaktivität an der KTH. Jedes Jahr findet ein sogenannte Studentenkarneval statt: jedes dritte Jahr mit einer großen Parade durch die Stadt (Quarnevalen), und die übrigen Jahre durch eine Bootparade, bei der Gruppen ihre Boote selber bauen müssen (Squvalp). An letzterem habe ich sogar selbst schon einmal teilgenommen. Die Studentenschaft hat ein eigenes Ferienhaus (Osqvik), macht massig Partys in seinem Haupthaus, und auch die mittlerweile zur unabhängigen Studentenradiostation Studentradi08 umgewidmete Radiostation THSRadio, Heim meiner einst geliebten Hello-Everybody-Show, war Teil der Organisation.

An anderen schwedischen Universitäten wie Uppsala scheinen solche Aktivitäten auch üblich zu sein. Weil ich nun an der Universität Stockholm bin und es dort so etwas schlicht nicht gibt, fällt es mir umso mehr auf. So oder so ist es mein letzter Studienjahrbeginn an der Universität – nächstes Jahr ist meine akademische Karriere beendet.

Irgendwann komme ich nochmal ganz groß raus

Peter Wide – Artificial Human Sensors; der Autor ist ein schwedischer Professor aus Örebro

Meine Bekanntheit als Fotograf ist beschränkt, was vermutlich vor allem dran liegt, dass ich kein übermäßig guter bin. In letzter Zeit bin ich zunehmend unzufrieden. Dass jemand meine Machwerke drucken will, hätte ich aber auch vorher schon nicht erwartet.

Doch es kam anders. Im Februar 2010 meldete sich das Verlagshaus Pan Stanford Publishing bei mir. Man wolle ein Foto von mir verwenden, und zwar dieses:

Mein Platz beim Nobelbankett 2005 – Bild aufgenommen mit einer grottenschlechten Billigkamera und für die Wikipedia bereitgestellt.

Dieses prächtige Bild zeigt das Service, welches sich mir am Nobelbankett 2005 präsentierte. Ich hatte die Lotterie für Studenten gewonnen und durfte teilnehmen. Als Kamera diente eine ND-4020, die ich bei Lidl erworben hatte. Man kann das wohl als Beleg dafür sehen, dass man auch mit einer schlechten Kamera mal etwas Glück haben kann.

Das Foto sollte in dem Buch „Artificial Human Sensors“ von Peter Wide, der an der Universität Örebro lehrt, erscheinen. Die Bedingungen für den Deal waren: Namensnennung und ein Probeexemplar. Mit Geld hätte ich ohnehin nicht gerechnet, und so stimmte ich zu.

Man bedankte sich, und dann geschah erstmal nichts mehr. Gelegentlich schaute ich, ob das Buch denn erschienen war. Das zog sich noch eine ganze Weile hin, nämlich bis in den März dieses Jahres. Von Pan Stanford hörte ich freilich auch danach nichts. 80€ und mehr wollte ich nicht ausgeben, um mein Foto in einem Buch zu bewundern. Also fragte ich beim Verlag nochmal an.

Mit etwas Verzögerung erhielt ich also mein Probeexemplar:

Mein kleiner Beitrag zum Buch: ein Bild vom Nobelbankett 2005

Da ist es also, schwarz-weiß mit dieser etwas allgemein gehaltenen Bildunterschrift versehen. Nicht nur deswegen habe ich auch nicht verstanden, wieso das Bild in dem Buch drin sein soll. Auch die anderen Bilder erscheinen mir eher als Methode zur Vermeidung einer Textwüste, weniger als inhaltlicher Beitrag. Trotzdem diene ich natürlich gerne auf diese Art der Wissenschaft. Bei Gelegenheit werde ich das Buch mal durchschmökern.

Der Witz bei der ganzen Sache ist aber letztendlich: der „Courtesy“, das Bild abdrucken zu dürfen, hätte es gar nicht bedurft. Ich hatte das Foto ka schon in der Wikipedia unter eine Creative-Commons-Lizenz bereitgestellt, die eine Weiterverwendung erlaubt hätte. Man hätte mich also gar nicht nach Erlaubnis fragen müssen. Es hätte genügt, die Lizenz und meinen Namen irgendwo im Impressum zu nennen. Bei einem Verlagshaus müsste man das eigentlich wissen, aber vielleicht wollten sie einfach die ausdrückliche Genehmigung.

Mir soll es recht sein – schließlich wird einem nicht jeden Tag eine solche Ehre zuteil.

Der künstliche Schwede: Take a chance on Stephen

Ein kleiner Nachfolgebericht zum Versuch des amerikanischen Komikers Stephen Colbert, als Nicht-Schwede die Bestückung des Twitterkontos @Sweden eine Woche lang übernehmen zu dürfen. An dem Tag, als ich zuletzt darüber schrieb, war es nur ein Vermerk auf dessen Internetseite.

Aber der Colbert Report belässt es natürlich nicht dabei. Die Redaktion fädelt solche Kampagnen geschickt ein und betreibt sie dann über Wochen mit voller Energie – um sie letzten Endes meist ohne ein Wort zu beerdigen.

So kam es noch am selben Abend zum ersten Sketch über die Aktion ein:

The Colbert Report Mon – Thurs 11:30pm / 10:30c
Operation Artificial Swedener
www.colbertnation.com
Colbert Report Full Episodes Political Humor & Satire Blog Video Archive

Und die Colbert-Zuschauer zwitscherten, was das Zeug hielt. Bald sah sich VisitSweden dazu veranlasst, zu antworten: die Warteliste ist lang, und solange so viele Schweden warteten, kommt Colbert nicht zum Zug.

Das war natürlich eine Steilvorlage für die Autoren der Show.

The Colbert Report Mon – Thurs 11:30pm / 10:30c
Operation Artificial Swedener – Sweden’s Response
www.colbertnation.com
Colbert Report Full Episodes Political Humor & Satire Blog Video Archive

Als nun VisitSweden erneut einen draufsetzte und sich für die Aufmerksamkeit bedankte, aber bei seiner Entscheidung blieb, setzte Stephen Colbert noch eine seiner wunderbaren Musikeinlagen drauf.

The Colbert Report Mon – Thurs 11:30pm / 10:30c
Operation Artificial Swedener – C’mon Sweden, Take a Chance on Stephen
www.colbertnation.com
Colbert Report Full Episodes Political Humor & Satire Blog Video Archive

Auch wenn es nicht jeder nachvollziehen wird, so halte ich die Show im Allgemeinen für das Brillanteste, was die USA in Sachen Comedy zu bieten hat – und was nebenbei bemerkt in Europa bestenfalls halb so gut kopiert wird. Solche Stücke wie diese hier sind auch ein Grund hierfür. Sie sind lustig und bleiben in dem Rahmen der Parodie der rechtskonservativen US-amerikanischen Fernsehmeinungsmacher, schaffen es aber gleichzeitig, nicht respektlos zu sein. Es gibt auch keine Geschädigten bei der Sache: wie in einem der Stücke angemerkt wird, ist die Zahl der Follower von @Sweden beträchtlich gestiegen.

Wenn es wirklich Colberts Absicht gewesen sein sollte, Twitterer der Woche zu werden, dann ist er freilich der Verlierer bei der Sache. Das ist aber kaum anzunehmen – um den 4. Juli herum macht die Show zwei Wochen Pause, und danach werden die Beziehungen zwischen Colbert Nation und Schweden sich auf wundersame Weise normalisiert haben.

Fußballrechenspiele am Mittwoch: wieviele Punkte braucht man, um weiter zu kommen?

Es ist eine Art Fußballweisheit: bei den großen Turnieren ist man raus, wenn man zweimal verloren hat. Wenn man zweimal gewonnen hat, ist man weiter. Unter 4 Punkten kann man das Weiterkommen gleich vergessen.

Ich habe mich gefragt: ist das wirklich so?

Die Aufgabe ist überschaubar – es sind 6 Partien, die in einer Gruppe gespielt werden. Da es drei verschiedene Resultate gibt (Sieg 1. Mannschaft, Unentschieden, Sieg 2. Mannschaft), gibt es 6 hoch 3 Spielausgänge, also 729 Kombinationen.

Dabei gilt zu beachten, dass dies nur gilt, wenn man die vier Teams eindeutig festlegt. Rein kombinatorisch sind viele doppelt. Zur Erklärung: wenn man vier Teams A,B,C und D hat und alle Unentschieden spielen bis auf die Partie A gegen B, dann ist die Tabelle identisch mit dem Fall, dass alle Unentschieden spielen bis auf die Partie C gegen D. Man muss lediglich die Teamnamen tauschen und landet bei derselben Tabelle.
Letztlich gibt es 40 verschiedene Tabellen, d.h. 40 verschiedene Punktekombinationen.

Wenn man das also außer Acht lässt und mit vier festgelegten Teams alle Varianten durchspielt, kommt man zu folgendem Ergebnis:

Die Punkte des Zweitplatzierten (blau: einfach durch alle Kombinationen berechnet, rot: reale Punktzahlen von EM- und WM-Gruppen hochgerechnet)

Für die roten Balken habe ich die Weltmeisterschaften seit 1998 und die Europameisterschaften seit 1996 ausgewertet. Nur bei diesen Wettbewerben musste man zwingend Gruppenzweiter werden, um weiterzukommen. Außerdem galt davor die Zweipunkteregel.

Das Ergebnis aus den 48 Gruppen, die es bislang in der Form gab:

  • Zweimal hatte der Zweitplatzierte 7 Punkte. Es ist aber nicht so, dass man sie gebraucht hätte, denn auch ein Blick in die reine Kombinatorik zeigt: das kommt nur zustande, wenn die zwei stärksten Teams gegeneinander Unentschieden spielen und die jeweils anderen beiden Teams besiegen. Für die anderen beiden Teams bleiben also nur noch die Punkte des Spiels gegeneinander übrig, wodurch der Drittplatzierte maximal 3 Punkte haben kann.
  • 13 mal hatte der Zweitplatzierte 6 Punkte
  • Ebenfalls 13 mal hatte der Zweitplatzierte 5 Punkte.
  • Ganze 19 mal reichten dem Zweitplatzierten 4 Punkte. In der Kombinatorik ist das aber noch eine relativ riskante Kombination: in 40% der Fälle scheidet jemand mit 4 Punkten aus, aber deutlich über die Hälfte nur wegen des Torverhältnisses.
  • Ein einziges Mal genügten sogar 3 Punkte. Das geht in der Tat nur, wenn jedes Team genau einmal gewinnt oder wenn ein Team besonders stark ist und die anderen sich gleichmäßig verteilen. Dieser Fall ergab sich für Chile bei der WM 1998. Vier der sechs Partien ging Unentschieden aus, so dass Chile dadurch weiter kam, dass sie gegen den Gruppenersten Italien nicht verloren.
  • Nie gab es einen Fall, dass ein Team mit nur 2 Punkten weiter kam. Doch er ist möglich: wenn ein Team alle anderen besiegt (d.h. 9 Punkte) und alle anderen Teams untereinander nur Unentschieden spielt, dann hat der Gruppensieger 9 Punkte und alle anderen 2 Punkte. Freilich ein sehr exotischer Fall.

Letztere beiden Punkte dürften die einzigen Überraschungen sein, aber sie haben natürlich nur begrenzte reale Relevanz, denn kein Team spielt auf Unentschieden, und die Teamstärken sind selten so gleichmäßig verteilt, dass jede Mannschaft nur einziges Mal gewinnt.

Das rigorose Durchrechnen bestätigt letztendlich Selbstverständlichkeiten: mit drei Siegen ist man in jedem Fall Gruppensieger, und unter zwei Unentschieden kommt man nicht weiter. Ob einem ein Sieg und zwei Niederlagen reichen, kann man sich auch leicht ausknobeln: Nein, es geht nicht.

Bleibt noch die Frage, ob man mit zwei Siegen auch nicht weiterkommen kann. Erstaunlicherweise lautet die Antwort Ja, und zwar genau dann, wenn eine Mannschaft alle Spiele verliert und die anderen drei es sich so aufteilen, dass jede am Schluss genau 6 Punkte hat. Rein theoretisch reichen also auch zwei Siege nicht.

In der Praxis ist das freilich wohl noch nie aufgetreten. Daher gilt: wer zweimal verliert, ist raus. Wer zweimal gewinnt, ist nicht garantiert, aber mit größter Wahrscheinlichkeit weiter.

In diesem Sinne: heute abend einfach gewinnen.

Update 23:01 Uhr: Doof, wenn man sich selbst widerspricht – der gestrichene Satz weiter oben behauptet das Gegenteil von dem, was in der Auflistung steht. Noch blöder, wenn genau so etwas ausgerechnet jetzt passieren kann. Ein einziger Sieg (und zwei Niederlagen) können in der Tat reichen, um weiterzukommen. Entweder, wenn es dauernd unentschieden gibt, oder – wie jetzt in der Gruppe B eintreten kann – wenn eine Mannschaft alle anderen schlägt und die anderen drei jeweils einen Sieg einfahren. Sollten Deutschland und die Niederlande am Sonntag gewinnen, dann sind Niederlande, Portugal und Dänemark punktgleich. Der direkte Vergleich taugt dann auch nicht, so dass nur das Torverhältnis herhalten kann. Da noch nicht viele Tore gefallen sind, kann es da schnell eng werden. Es bleibt spannend.

Staring at the sun

Es war nicht gerade einfach, sich um 3:30 Uhr aus dem Bett zu quälen. Immerhin war der Morgen schön genug, um Hoffnungen zu haben. Ich packte die Kamera sowie meine Sonnenfinsternisbrille ein und machte mich auf den Weg.

Das Wetter war gerade gut genug, um hoffend zu bleiben, aber zu schlecht, um etwas zu sehen. Innen im Museum befindet sich ein kleiner Raum mit Bestuhlung und Projektor, in dem Vorträge gehalten werden können. Gezeigt wurden Liveaufnahmen verschiedener Teleskope rund um die Welt – vermutlich der Livestream der NASA. Da die meisten wohl zuerst erwarteten, es würde dort etwas stattfinden, füllte sich der Raum stetig.

Doch außer den Bildern gab es nichts zu sehen. Man konnte drinnen noch einen schnellen Blick in das Museum werfen, aber die Musik spielte draußen. Im Garten hielt jemand einen Vortrag zum Venustransit. Ich war positiv überrascht vom Zuspruch – insgesamt dürfte eine dreistellige Anzahl Besucher dort gewesen sein, die sich die Vorträge anhörten und selbst versuchten, den Transit zu sehen.

Der kleine Park mit Bänken und einer schönen Aussicht war perfekt geeignet für die Beobachtung. Einige hatten Fernrohre mit Filtern mitgebracht. Manche versuchten es mit geschwärzten Gläsern oder Fotofilm, was beides nicht zu empfehlen ist. Allerdings war die Gefahr überschaubar, denn die Sonnenscheibe war zumeist von Wolken verdeckt.

Ich setzte mich hin und wartete. Manche Partygänger der Nacht davor hatten auch ihren Weg dorthin gefunden. Es war eine interessante Menschenmenge, die sich da versammelt hatte. Ein Mann erzählte davon, dass er schon in alle möglichen Ecken der Welt gereist sei, um Sonnenfinsternisse zu beobachten. Unter anderem war er 1999 in Stuttgart, aber das Wetter war etwas zu schlecht.

Die Stimmung erinnerte mich genau an diesen 11. August 1999. Ich hatte meinen Sommerjob in einer Werkstatt für geistig Behinderte angetreten, aber an dem Tag wurde nicht viel gearbeitet. Wir alle – die Abteilungsleiter eingeschlossen – waren draußen und beobachteten das Ereignis. Ich hatte mein Teleskop aufgebaut und hoffte auf gute Sicht. Doch die wollte sich nicht so recht einstellen. Es blieb bewölkt, aber ausgerechnet bei der Totalität hatten wir einen klaren Moment und konnten die verdeckte Sonne sehen. SWR3 spielte „Staring at the sun“ von U2.

Ich genoss es heute morgen genauso, obwohl sich die Wolken nicht so recht verziehen wollten. Zwischendrin, als es einmal wieder gar nichts zu sehen gab, schaute ich nochmal nach drinnen. Ein Mitarbeiter erzählte etwas über das Museum. Der Saal mit dem Projektor war fast leer – dass es dort nicht mehr geben würde, hatte sich wohl herumgesprochen.

Die Wolken wurden immer dichter. Um 6 Uhr beschloss ich, wieder aufzubrechen.

Ob ich denn die Venus nun gesehen habe?

Ja, für wenige Minuten gaben die Wolken den Blick frei, und ganz rechts oben war ein kleiner scharfer Punkt. Und in meinem Kopf lief U2 – „I’m not the only one staring at the sun…“

Helga Lately

Die DN erwähnte dieses Video am Sonntag am Rande. Es ist ein Sketch aus Saturday Night Live (SNL) – wem das nichts sagt: die Sendung inspirierte einst RTL Samstag Nacht, ist aber erfolgreicher und v.a. langlebiger, denn sie läuft seit 37 Jahren.

Der Sketch zeigt eine fiktive schwedische Talkshow „Helga Lately“. Alle sprechen ein Pseudo-Schwedisch, das nur bedeutungsloses Kauderwelsch ist, welches wohl wie schwedisch klingen soll. Damit man irgendetwas versteht, werden zwischendrin englische Wörter eingebaut. Vereinzelt finden sich auch echte schwedische Phrasen.

Kein Leser wird bei dem Sketch schallend lachen. Manche werden Schweden sogar veralbert sehen.

Dem würde ich vorsorglich schon einmal entgegnen, dass es sich um eine Parodie auf die Talkshow Chelsea Lately handelt, die das Schwedenthema als Spielwiese verwendet, um die Eigenheiten des Originals auf die Schippe zu nehmen. Die ganze Aufmachung ist mit Chelsea Lately praktisch identisch. Wie fast jede Parodie funktioniert diese aber nur richtig, wenn man das Original kennt.

Das letzte Mal in unserem Leben

Es kommt schon sehr dramatisch daher, aber es ist nicht übertrieben: am Mittwoch erwartet uns ein globales Ereignis ein, das keiner von uns jemals wieder erleben wird. Das ist jetzt etwas gestelzt, aber kommt hin, denn am 6. Juni findet ein Venustransit statt. Der nächste wird am 11. Dezember 2117 sein, und ich übertreibe wohl nicht, wenn ich sage: bis dahin sind wir alle tot.

Nun werden sich die meisten fragen: was ist ein Venustransit?
Das ist, wenn sich der Planet Venus vor die Sonne schiebt, also ein bisschen eine Sonnenfinsternis in klein. Dunkel wird es aber nicht, denn das Ganze sieht so aus:

Bild vom Venustransit des Jahres 1882

Es zieht also ein schwarzer Punkt über die Sonne, den man ohne entsprechende Gerätschaften natürlich nie bemerken würde. Das Bild ist übrigens vom vorletzten Transit, der im Jahr 1882 stattfand. Ja, der vorletzte – kaum ein regelmäßig wiederkehrendes und einfach zu beobachtendes Himmelsereignis ist so selten wie ein Venustransit. Während man fast jedes Jahr eine totale Mondfinsternis hat und man in den meisten Jahren irgendwo auf der Erde eine totale Sonnenfinsternis sehen kann, ist der Venustransit eine sehr exklusive Sache.

Zwar ist die Venus immer zwischen Sonne und Erde. Auch ist ihr Jahr kürzer als unseres, so dass sie öfters an uns vorbeizieht. Aber durch die Besonderheiten der beiden Planetenbahnen ergibt sich ein Vorbeiziehen der Venus vor der Sonnenscheibe äußerst selten. Pro 130 Jahre gibt es nur zwei, dazu noch sehr ungleich verteilt: es sind immer 8 Jahre zwischen zwei, während dann der nächste Transit erst in 105 oder 122 Jahren folgt.

Wer zurückrechnet, wird sich also denken können, dass der letzte im Jahr 2004 war. Der fand bei bestem Wetter und zu humanen Zeiten statt. Ich habe ihn damals mit meinem Teleskop begutachtet. Das ist aber nach fast 7 Jahren in Schweden leider immer noch in Deutschland, weswegen ich mir diese schicke Brille habe kommen lassen:

Meine schicke neue Brille - alltagsuntauglich, aber sehr hilfreich, wenn man mal in die Sonne schauen will.

Ich werde versuchen, den Transit auch dieses Mal nicht zu verpassen. Jedoch gibt es einen erschwerenden Umstand: er findet von 22:09 Uhr bis 4:49 Uhr statt. Die Sonne ist also anfangs nicht zu sehen. Ich finde, es ist trotzdem einen Versuch wert.

Einen Tipp für Stockholmer: das Observatoriemuseet, das Museum in der alten Sternwarte Stockholms, in der Nähe des Odenplan ist zwischen 4:30 Uhr und 6:30 Uhr geöffnet. Alle halbe Stunde werden Vorträge über den Venustransit gehalten. Man kann es auch als indirekte Projektion am Teleskop live miterleben, sofern das Wetter mitspielt. Eine Brille wie die obige kann vielleicht dazu dienen, zu entsprechender Zeit aus dem Fenster zu sehen. Der Eintritt ist frei. Am Abend davor ist um 18 Uhr ein Vortrag zum Thema, der 90 Kronen Eintritt kostet.

Es mag nach nicht viel aussehen, aber wenn man etwas an Astronomie interessiert ist oder die Ahnung hat, dass man ein solches Interesse im Lauf des restlichen Lebens entwickeln könnte, der sollte am 6. Juni sehr früh aufstehen und nach der Sonne schauen.

Es könnte nicht das letzte Mal sein. Es wird das letzte Mal sein.

Keine Omhändertänksamhet mehr

Foto aus der U-Bahn geschossen: die Pfeiler der Brücke ganz ohne Omhändertänksamhet

In den letzten Monaten fiel mir jeden Morgen zwischen den U-Bahn-Stationen Gamla Stan und Slussen ein Schriftzug auf. Auf den Pfeilern der Centralbron war in großen roten Lettern zu lesen:

  • Om
  • Händer
  • Tänk
  • Samhet

Also: Omhändertänksamhet.

Es hatten sich wohl Straßenkünstler mit einem Boot dort zu schaffen gemacht – ein bemerkenswerter Aufwand, insbesondere weil die Botschaft etwas unklar bleibt.

Denn „Omhändertänksamhet“ ist ein erfundenes Wort. Es soll wohl ein Wortspiel sein aus:

  1. Omhänderta: in Obhut nehmen, aber meist wohl „in Gewahrsam nehmen“
  2. Omtänksamhet: Rücksichtnahme

Also vielleicht in Schutz nehmende Rücksichtnahme. Oder so ähnlich.

Der Schriftzug wurde auch anderswo angebracht, wie dieses Bild auf Flickr zeigt.

Die Behörden hielten die Sache aber wohl eher für rücksichtslos – und ließen den Schriftzug (vermutlich) aufwändig entfernen.

Schade irgendwie.