Crazy times

  • Tragisch: In Russland muss IKEA sein neuestes Kaufhaus in Nischni Nowgorod für 30 Tage schliessen, weil es ein Gericht angeordnet hat. Der Grund: ein fünfjähriger Junge kam um, weil ein Kunde die Kontrolle über seinen Einkaufswagen verlor und die 200 kg schweren Einkäufe aus dem Wagen und auf den Jungen fielen.
  • Erfreulich: Christer Fuglesang wird morgen als erster Schwede mit dem Space Shuttle ins All fliegen. Mit dabei sind vier andere Weltraum-Neulinge und Elchwurst
  • Störrisch: Margot Wallström will immer noch nicht aus Brüssel zurückkommen, um den sozialdemokratischen Karren aus dem Dreck zu ziehen. Das hat sie zwar schon hundert mal gesagt, aber man kann ja immer nochmal fragen.
  • Skandalös: Zwei Jungs haben in der Schule schmutzige Wörter an die Tafel geschrieben. Daraufhin zeigte die Lehrerin ihre Brüste. Nun wurde sie dafür verurteilt. Schade, dass mir das in der Schule nie passiert ist. Also das mit den Brüsten, nicht die Verurteilung.
  • Diskriminiert: Eine Eishockeyjungenmannschaft einer Schule posiert seit Jahren mit nacktem Oberkörper im Jahrbuch der Schule. Nun wollte die Mädchenmannschaft gleichziehen, und wurde von der Schulleitung gestoppt. Die Zeitungen sind entrüstet angesichts derartiger Ungleichheit – die Schulleitung entschuldigte sich unbeholfen.
  • Ausgelassen: eine christliche Schule in Arkansas hat beschlossen, das bisherige absolute Tanzverbot zu lockern. Ab sofort sind Tänze zu genehmigten Anlässen erlaubt, sofern es sich um solche mit „strukturierten Bewegungsmustern“ handelt. Ordnung muss sein – get the party started.
  • Gefährlich: als glatzköpfiger Elvis-Imitator lebt hat man es fast genauso schwer wie als Ex-KGB-Spitzenagent. Dieser kahle Waliser musste jedenfalls schon Todesdrohungen hinnehmen.
  • Unglaublich: der HSV hat 3:2 gewonnen. Ich dachte erst, der Online-Ticker wäre kaputt.

Ein Kessel Buntes

Weil mir nach den letzten trockenen Themen hier gerade mal nichts dringendst auf den Nägeln brennt (außer meine wie fast immer festgefahrenen Studien), beginne ich die Woche, in der ich voraussichtlich 26 werden werde, mit einem bunten Streifzug dessen, was mir so über den Weg gelaufen ist.

Letzten Freitag war ich beim deutschen Stammtisch, der irgendwie mit der deutsch-schwedischen Handelskammer zusammen hängt, aber offiziell nichts mit ihr zu tun. Während ich also noch nicht wirklich begriffen habe, wie die Organisation hinter dieser Veranstaltung funktioniert, steht aber zumindest fest, dass er jeden ersten Freitag im Monat um 20 Uhr in der Gaststätte „Löwenbrau“ in Kungsholmen (das ist eine der Inseln von Stockholm) stattfindet. Gut 30 Deutsche und Schweden (welche natürlich deutsch sprechen) waren dort, alle ziemlich jung. Highlight neben netten Gesprächen war das authentische Bier: Bitburger und Erdinger so gezapft, wie es sich gehört und dazu auch noch ohne unpassende „Extras“ wie Zitronenscheiben.

Samstag war ich auf dem Skansen-Weihnachtsmarkt und im neuen Bond-Film. Beides sehr gut – alles weitere dieses Tages wird nicht öffentlich, aber ich kann mit Sicherheit sagen, dass es weit weniger gut war.

Seither herrscht Lethargie, auch ob dieser wunderbar kurzen Tage im Moment. Heute war Sonnenuntergang schon vor 15 Uhr und das Wetter gewohnt schlecht. Zur Krönung habe ich auch noch die Küche geputzt. Es wird Zeit, dass ich meine kitschige Weihnachtskette anbringe, um Licht ins Dunkel zu bringen. In dieser Hinsicht zuvorgekommen ist mir Yvonne, eine Freundin von mir. Die hat ihren Lichterbogen aufgestellt und ist in damit Sachen Stil weit vor meiner Blinkmaschine.

Was ist sonst noch so passiert?

Die Frage würde sich gar nicht erst stellen, wenn ich ganz großer KSC-Fan wäre – was ich aber zugegebenermaßen langsam werden. Die Jungs spielen nämlich unglaublich gut diese Saison, was meine Theorie bestätigt, dass meine Abwesenheit ein Segen für den badischen Fußball ist. Zumindest den mittel- und nordbadischen. Freiburg ist in der Zeit ja nicht wirklich vom Fleck gekommen.
Im Moment ist aber die Trauer groß – der KSC hat seine Serie nach 14 Spielen beendet und wurde von Erzgebirge Aue mit 1:0 geschlagen. Jammerschade, denn nun ist Hansa Rostock die einzige Mannschaft im europäischen Profifußball, die ungeschlagen ist. Naja, Aufbau Ost muss ja auch vorankommen.

Zum Abschluss noch ein kleines Fundstück, auf das Jörn gestoßen ist: irgendwelche Idioten schicken ja immer noch die wahnsinnig tolle Entdeckung herum, dass wenn man in Google „failure“ oder auch „miserable failure“ eingibt, die Homepage von George W. Bush kommt. Man solle das ganz schnell anschauen, bevor Google das wieder entferne – nun, auch nach 2 Jahren ist es noch da. Der Grund ist simpel: Google wertet Links aus, und da die Homepage von W ziemlich hoch im Kurs steht, ist es eben auch bei diesen Suchbegriffen ganz weit vorne.

Wie aber die Suche „mail to news“ als ersten Treffer eine Feministenseite ausspuckt, ist mir ein Rätsel:

Ich habe gleich einen Screenshot davon gemacht, denn das ist definitiv ein Fehler, weil die Suchbegriffe darin gar nicht vorkommen, und wird wohl bald aus der Datenbank verschwinden. Lustig ist es trotzdem.

PS: keine Sorge – es ist Nobelwoche und bald kommen auch wieder bildliche Kontraste zu diesen Textwüsten.

Fabian Seitz Radiostar

Vor einer Viertelstunde war besagtes Radioninterview, das, obwohl live, erstaunlich gut lief. Letztendlich hat es mir doch ein bisschen noch den gestrigen Tag versüßt, denn im Gegensatz zu den anderen 82 Millionen Deutschen wollte bei mir gestern keine so richtige Feierlaune aufkommen.

Um wirklich authentische Eindrücke zu erhalten, wagte ich mich in die Höhle des Löwen und schritt mit deutlich sichtbarem Germany-T-Shirt sowie deutlich weniger sichtbaren Deutschland-Socken durch Södermalm, um mir irgendwo einen guten Platz zu sichern. Die Stadt war schon merklich leerer als am Dienstag – Midsommar zeigt seine Wirkung und alle sind in Urlaub. Außer ein paar beiläufigen Blicken habe ich auf dem Hinweg nichts kassiert, keine Pöbeleien oder Zurufe – erstaunlich. Im Snaps, einer Kneipe mit Biergarten, saßen dann sogar einige Deutsche mit bemalten Backen. Noch mehr erstaunt hat mich allerdings eine vollbusige Verkäuferin, die in einem Klamottengeschäft arbeitete und ein Germany-Top trug. Insbesondere deswegen, weil sie ja eigentlich was verkaufen will. Ich war also zumindest nicht komplett alleine. Nachdem im Snaps alle interessanten Plätze belegt waren und im Big Ben Pub, wo ich am Dienstag Schwedens Spiel anschaute, das obere Stockwerk schon voll und das untere noch nicht belegt war, ging ich in die Bar daneben.

Das Spiel fand ich furchtbar – nicht weil Deutschland schlecht gespielt hätte (im Gegenteil), nein, sondern weil die Schweden derart schlecht gespielt hatten. Zusätzlich vermiest wurde mir die Sache, dass ich mir erlaubte, bei den beiden Toren ein bisschen zu klatschen, worauf ein Barmann mir sagte, ich solle ruhig sein, weil das sonst hier Ärger verursachen könnte. Nach Randalemachern sah mir das Publikum (zu guten Teilen Frauen mittleren Alters, Schwangere und junge Mütter mit Kinderwagen) zwar nicht aus, aber der Kommentar reichte mir in jedem Fall, um zu zahlen und weiterzuziehen. Im Big Ben hatte es sich mittlerweile etwas gefüllt, die Stimmung war aber ungefähr auf Beerdigungsniveau, was angesichts dieser demütigen Vorstellung der schwedischen Kicker auf dem Platz kein Wunder war. Bei denen klappte auch wirklich gar nichts: erst hatte man sich von den Deutschen eiskalt überrumpeln lassen und schaffte es seither nicht mehr, auch nur eine gescheite Torchance herauszuspielen. Dass Lehmann einmal den Ball ins Aus befördern musste war auch schon alles. Besonders bitter wurde es, als ich vom Klo zurückkam und gerade Lucic gelb-rot für ein bisschen Trikotzupfen kassierte. Ich war zwar bei dieser Entscheidung sehr irritiert, aber mir wurde später erzählt, ZDF-Experte Urs Meier hätte das für korrekt befunden. Und einem schweizer Weltklasseschiedsrichter kann man keine Inkompetenz oder gar mangelnde Neutralität vorwerfen – letzteres würde in der Schweiz vermutlich den Tatbestand der Verleumdung erfüllen. Der Elfmeter war natürlich dann die endgültige Katastrophe – der Ball dürfte meinen Schätzungen zufolge am Dienstag auf dem Mond aufschlagen. Direkt neben dem von Beckham.

Der Rückweg war seltsam – einer zeigte mir Daumen hoch, was mich zum Grinsen verleitete. Ein prollig wirkender Schwede schaute mich etwas komisch an, worauf ich ihm prophylaktisch ein „I’m sorry“ entgegenwarf, was er wohl aus seiner jahrelangen Hooliganerfahrung politisch recht unkorrekt mit „eins, zwei, drei, Nazipolizei!“ beantwortete. Zwei Mädels und ein Betrunkener saßen an einem Tisch vor einem Imbissstand. Ein Mädchen sagte einfach nur „Springa!“ („lauft!“), der Betrunkene kam her und umarmte mich. Naja, heute wollen wir mal nicht so sein. In der U-Bahn begegnete mir noch ein Karlsruher Student, der aber strategisch klug Undercover im KTH-Pullover unterwegs war.

Mein Presseecho:

  • Expressen (Boulevardzeitung) : „Avgå! Mats Olsson: Sparka Lagerbäck!“ („Tritt ab!“ Mats Olsson: Feuert Lagerbäck!“). Besagter Mats Olsson schreibt in seinem Bericht: „Bei dem 2:0 gegen Deutschland sagen die Zahlen kaum mehr aus, als dass die Deutschen gewonnen haben. Sie sagen aber nichts darüber, welche Erniedrigung wir erlitten haben und wie wir überrollt wurden. (…) Die ersten 15 Minuten waren das schlechteste Auftreten einer schwedischen Nationalmannschaft, das ich jemals gesehen habe. (…) Andreas Isaksson spielte als Torhüter auf Weltniveau. Aber was half das schon? (…) Der Schiedsrichter machte ein Kreuz, als er das Spielfeld verließ, und es ist möglich, dass Carlos Simon aus Brasilien ahnte, dass er sich an höchster Stelle dafür verwantworten werden müsse, dass er uns eine extrem harte Strafe gegeben hat. Dagegen hatte er nichts zu tun mit Lukas Podolskis zwei Toren. Viele von euch sind sauer, dass er grinste, als er Teddy Lucic rot zeigte. Ich persönlich bin eher sauer, dass Podolski zu ihm lief und ihm zur Beglückwünschung auf die Schulter klopfte. Oder zum Dank. Oder zu was auch immer. (…) Die Zukunft der Nationalmannschaft – und des schwedischen Fußballs – sieht düster aus. (…) Am 7. Oktober spielen wir in Råsunda gegen Spanien. Spanien! Bis dahin will ich einen anderen Nationaltrainer haben.
  • Aftonbladet (auch Boulevard) ist weniger meinungsmachend. Sie schreibt „En epok är slut“ („Eine Epoche ist zu Ende“), betreibt Lebenshilfe mit „9 råd som hjälper dig ur krisen“ („9 Ratschläge, die dir aus der Krise helfen“). Der Schiedsrichter war aber in jedem Fall ein Arsch, meinen sie mit „Hånad av Domaren – Landslagets attack efter utvisningen: ‚Man ville se tyskarna vidare'“ („Vom Schiedsrichter verhöhnt – die Nationalmannschaft nach dem Platzverweis: ‚Man wollte die Deutschen weiter sehen'“) und schreiben als Bildunterschrift zur roten Karte „De tyska spelarna skriker på domaren som sedan tar upp först det gula, sedan det röda kortet. Och han gör det med ett leende på läpparna. Lucic utvisad.“ („Die deutschen Spieler rufen zum Schiedsrichter, der dann erst die gelbe, dann die rote Karte herauszieht. Und er tut das mit ein Lächeln auf den Lippen. Lucic des Platzes verwiesen.“). Der Betroffene sagte laut dem Blatt: „…der Schiedsrichter lächelte einfach. Er glaubte wohl, der Platzverweis wäre sonnenklar. Ich glaubte nicht, dass die zweite gelbe Karte kommen würde. Das passierte im Eifer des Gefechts (sehr frei übersetzt) und wir hielten uns aneinander fest. Das kam mir zuerst wie ein Scherz vor.“ Ganz unabhängig vom Spiel fand ich diesen Artikel interessant. Das Prostitutionsgeschäft scheint von der WM nicht sonderlich profitiert zu haben – sicherlich nicht wegen des vermeintlichen schwedischen Boykotts, sondern vielmehr, weil das Problem allerorten angesprochen wurde. Insofern auch ein Erfolg der Proteste.
  • Svenska Dagbladet (seriös) titelt „Sverige helt chanslöst“ („Schweden vollkommen chancenlos“). „Die erste Halbzeit war der reinste Alptraum für die Schweden, die vollkommen ausgespielt wurden. Ohne einen inspirierten Andreas Isaksson hätte der Rückstand doppelt so hoch ausfallen können. (…) ‚Ich kritisiere üblicherweise keine Schiedsrichter, aber dieses Mal bin ich der Meinung, dass er den Spielverlauf beeinflusste. Ich finde, dass Teddys Verwarnungen zu diskutieren sind. Außerdem war Ljungberg genau der gleichen Sache ausgesetzt, als Teddy seine zweite Karte bekam‘, sagte Lagerbäck. (…) Die schwedische WM-Party ist vorbei.
  • Dagens Nyheter (seriös) schreibt „Mardrömmen i München“ („Der Alptraum von München“). Im Artikel dazu steht: „Innerhalb von zwölf Minuten hatte die Heimmannschaft den Traum von einem neuen Bronzesommer [Anm.: hier wendet man das Medaillenschema auch gerne auf Plätze im Allgemeinen an.] zerschlagen. (…) Schwedens Courage erholte sich wenigstens ein bisschen gegen Ende der ersten Halbzeit. (…) Andreas Isaksson zeigte im ganzen Spiel Weltklasse und war Schwedens zweifellos bester Spieler. (…) Einer von wenigen schwedischen Lichtblicken in München.

Also war insgesamt der Schiri ein Arsch – aber das kann man ja immer sagen.

Wie dem auch sei – meine Eltern kommen heute abend, meine Deutschlandflagge hängt am Fenster und ich sage nur

54, 74, 90, 2006, ja, so stimmen wir alle ein. Mit dem Herz in der Hand und der Leidenschaft im Bein werden wir Weltmeister sein!“

Konsequent sind sie ja…

nur wie die Redakteure bei der Stockholmer U-Bahn-Zeitung Stockholm City in ihrer WM-Beilage auf die Schreibweise gekommen sind, ist mir schleierhaft.

Auf alberne Obstwitze verzichte ich jetzt mal.

Ein Kollege bei DASDING hat angefragt, ob ich nicht ein paar böse schwedische Fußballsprüche kenne. Leider ist bei meiner Recherche nichts herausgekommen. Die Schweden sind zuversichtlich, aber schlagen werden wir sie trotzdem 🙂

Am Wochenende wird meine Superstarkarriere einen ungeahnten Schub erhalten. Weil ich eventuell sogar gleich zweimal von Fritz, dem Jugendsender des RBB, interviewt werden werde – und zwar live. Ich befürchte Schlimmes…

Scheiße gepfiffen, trotzdem gewonnen

Die entscheidende Frage ist nicht, wer gewonnen hat – nein, es ist vielmehr die, wie oft das schwedische Fernsehen es schafft, innerhalb eines Fußballspiels den Kanal zu wechseln. Ja, richtig gelesen: Kanal zu wechseln. Die Antwort ist: 3mal, und zwar:

17:15 Uhr – Beginn der Vorberichterstattung in SVT1 (erster Fernsehkanal) mit zwei weiblichen (ich wiederhole: weiblichen) Fußballexperten. Eine davon ist aber nur kurz zu sehen. Dafür darf dann ab sofort auch ein Mann mitreden. Ich habe zu diesem Zeitpunkt gerade einen Irish Pub gefunden, wo ein paar tätowierte Vorabendprolls abhängen und meiner klar erkennbaren Attitüde zum Trotz offenbar für Costa Rica sind, obwohl es ihnen eigentlich egal ist.

17:30 Uhr – Man sieht zwei erbärmlich kurze Fetzen der Eröffnungsfeier. Ein Experte sagt dass für die Deutschen „die Mannschaft“ (O-Ton) wichtig sei. Nun, bei welchem Fußballland ist dies nicht so?

18:05 Uhr – Lahm schießt ein Tor. Das Spiel scheint entscheiden.

18:15 Uhr – Kanalwechsel 1. Es wird eingeblendet, dass es jetzt auf SVT2 weitergeht. Ich hatte das zwar vorher schon im Fernsehprogramm gelesen, wollte es aber nicht so recht glauben. Zu allem Überdruss hat Costa Rica gerade ausgeglichen. Und wenn ich das richtig in der Zeitlupe gesehen habe, durch ein Abseitstor. Aber wir wissen ja alle: Abseits ist es nur, wenn der Schiedsrichter pfeift – was er dieses Mal nicht tat.

18:45 Uhr – Die Expertenrunde beredet das Spiel. Übrigens: Schweden hat auch ein Ballack-ähnliches Problem. Der Torwart ist nämlich verletzt.

19:00 Uhr – Es hat sich gerade fast ausexpertiert, da findet der nächste Kanalwechsel statt: wieder zurück zu Kanal 1. Es wird weiter gespielt. Klose hat übrigens in der 17. Minute nochmal vorgelegt. Das Spiel scheint wieder sicher. Er beschließt spontan, noch einen reinzumachen und erweitert auf 3:1. Mittlerweile hat sich das Prolllager verdünnt und neben mir sitzen zwei Studenten, die ebenso wie ich etwas enttäuscht sind, dass in Linköping offenbar kein Mensch an dem Spiel interessiert ist. Die Kneipe ist so gut wie leer.

19:30 Uhr – Es ist soeben wieder ein Tor für Costa Rica gefallen. Wieder war es laut Zeitlupe abseits. Wieder hat der Schiedsrichter nicht gepfiffen, also war es kein Abseits. So einfach kann Fußball sein. Daraufhin wechseln wir doch Kanal: überraschend auf SVT2.

19:45 Uhr – Kurz vor Schluss gibt der Schiedsrichter einen Elfmeter nicht. Ich liege zwar bei solchen Dingen notorisch falsch, aber das schien uns allen als ziemlicher klarer Strafstoß – sogar die Prollfraktion stimmt zu. Kurz darauf ist Abpfiff – wenn ich mit meiner Einschätzung nicht völlig falsch liege, auch für dieses Schiedsrichterteam. Mit solchen kapitalen Fehlern brauchen die wohl nicht mehr aufzulaufen.

Deutschland hat gewonnen – wer hätte das gedacht. Ohne Ballack und gegen einen komischen Schiedsrichter. Fußball ist bekanntermaßen das Spiel, bei dem 22 Leute über den Platz stolpern und am Ende gewinnt – naja, das kennt man ja.

Ich bin derweil zurück beim Kongress. Der Finanzminister hat übrigens ein Polo-Shirt getragen. Mehr derart brandheiße Infos kommen später.

Reiseblog…

Nach eineinhalb Monaten schreit dieses Weblog nach Belebung. Ich sitze in einem X2000, dem schwedischen ICE, und bin auf dem Weg nach Linköping (schwedische Aussprache: Linschöping). Das nicht von ungefähr, denn als eingefleischter Sozialdemokrat lasse ich es mir natürlich nicht nehmen, beim Kongress von S-Studenter, dem sozialdemokratischen Studentenverbund, dabei zu sein. Bis heute nacht um 3 sollen Anträge behandelt werden – klingt nach einer Menge Spaß. Ich bin Ersättare, also wörtlich übersetzt Ersetzer – auf deutsch passt wohl das etwas sperrige Wort Ersatzdelegierter am besten. Groteskerweise habe ich mich spontan in die Gruppe zur Behandlung der Fragen der Gleichstellung zwischen Frau und Mann angeschlossen – ein etwas heikles Feld, denn Prostitution und Pornografie kommen nach Auffassung vieler Sozis hier vom Teufel höchstpersönlich. Zur Prostitution habe ich mich vor kurzem hier ja geäußert – dankenswerterweise wird beim Kongress nicht noch einmal das Thema WM aufgegriffen.

Das würde mir heute auch mächtig die Stimmung vermiesen, denn es ist WM-Tag. Seit Tagen bewegen ich mich auf einer Woge nationalen Hochgefühls, habe Taschentücher beim Anschauen von „Das Wunder von Bern“, „Die Helden von Bern“ und „Das Wunder von Bern – die wahre Geschichte“ vollgeheult, habe nach 11 Monaten im Lande meine ansatzweise muffigen Deutschland-T-Shirts ausgelüftet und auch angezogen. So sitze ich hier: DFB-Cap, Deutschland-Schal, Germany-T-Shirt und Deutschland-Socken. Lediglich die Fahne ist im Schrank geblieben. Nichts kann einen Zweifel daran lassen, dass ich Klinsis Gurkentruppe von Herzen unterstütze.

Marc fragte, ob das nicht ein bisschen zuviel sei – nein, ist es nicht. Garantiert nicht. Ganz bestimmt nicht. Ich riskiere hier gerne, mich in der Öffentlichkeit lächerlich zu machen, denn wann darf ein Deutscher so offen Patriotismus zeigen wie an diesem Tag, der uns ein seit ein Monates herbeiersehntes, aber auch von der Werbung über alle Maßen penetrant beworbenes Ereignis bringen wird? Ich erhoffe mir vor allem eines: einen Schub – den nämlich, den Deutschland schon lange gebraucht hat, den weder schöne Ruckreden noch eine ambitionierte Kampagne wie „Du bist Deutschland“ hervorrufen konnte. Aber Fußball kann Berge versetzen – zumindest, wenn sie auf deutschem Territorium liegen. Am 4. Juli 1954 wurde Nachkriegsdeutschland geboren, 1974 wurde Helmut Schmidt Kanzler, 1990 brachte uns die Wiedervereinigung.

Und wenn am 9. Juli Michael Ballack die FIFA-Trophy entgegennehmen sollte, dürfte es zumindest für einen kleinen Schubs reichen.

Es kann beginnen…

Wegen nicht vorhandenem Internetzgang verspätet um 14:10 Uhr eingetragen.