Wo die Deutschen sind – der Großraum Stockholm und die deutschen Einwanderer

Anteil der in Deutschland geborenen Einwohner an der Gesamtbevölkerung in der jeweiligen Gemeinde. Für Botkyrka, Upplands Väsby und Sundbyberg ist mir die Zahl der Deutschen nicht bekannt, weswegen nur eine obere Grenze, dargestellt durch einen Farbverlauf, angegeben werden kann. (Bild: eigene Erstellung auf Basis der Daten in der DN, Daten des Statistiska Centralbyrån und der Kommunengrenzenkarte des Wikipedianutzers Lokal_Profil, Lizenz CC-BY-SA 2.5)

Es ist nicht zwingend investigativ, wenn Journalisten sich ein paar statistische Daten kommen lassen und daraus ein Thema basteln. Das Ergebnis kann dennoch interessant sein.

Meine tägliche Zeitung, die in Stockholm erscheinende Dagens Nyheter, hatte Ende 2009 den Lokalteil abgeschafft. Auf Anfrage sagte man mir, dass man die entsprechenden Themen lieber auf die entsprechenden Fachrubriken verteilen wolle. Das fand ich nicht so gut, und viele andere wohl auch nicht. Seit dem neuen Layout, das wohl so vor ca. einem Jahr eingeführt wurde, gibt es wieder einen umfänglichen Stockholmer Lokalteil.

Teil der Chronistenpflicht ist natürlich, festzustellen, wie sich die Region entwickelt. Das tat die Zeitung vorige Woche auf mehreren Seiten zu dem Thema, woher die Einwanderer stammen, die mittlerweile gut 20% der Bevölkerung des Großraum Stockholms ausmachen. Das Ergebnis ist eine Doppelseite mit allerlei Grafiken. Woher die Daten stammen, steht zwar nicht direkt dabei, aber es kann dafür nur eine Quelle geben: die Statistikbehörde Statistiska Centralbyrån (SCB). Diese erhebt u.a. die Staatsbürgerschaft und das Geburtsland der Einwohner. Letzteres ist ein gutes Maß für die Zahl der Einwanderer, auch wenn es z.B. natürlich im Ausland geborene Schweden gibt.

Schweden hat sich erst spät zum echten Einwanderungsland entwickelt – heute ist es eines der wenigen Länder, die das Asylrecht sehr ernst nehmen und entsprechend handeln. Daher gibt es viele Einwanderer aus dem Irak, Somalia und anderen Krisenregionen. Lange Zeit kamen Einwanderer aber vor allem aus einem Land: Finnland, das seit jeher eine schwedischsprachige Minderheit hat und zudem erst in letzter Zeit so wohlhabend wurde.

Bis heute sind die Finnen in 23 der 26 Gemeinden im Großraum Stockholm die größte Einwanderergruppe, aber das ändert sich langsam aber sicher. Einwanderung aus und Auswanderung nach Finnland ist praktisch ausgeglichen, so dass die aus Finnland stammenden Menschen langsam aber sicher in der Mehrheitsgesellschaft aufgehen und andere Einwanderergruppen stärker werden. In Botkyrka gibt es mittlerweile deutlich mehr Türken. Södertälje ist mittlerweile für die Aufnahme von Irakern bekannt, die dort mittlerweile fast 10% der Bevölkerung ausmachen. In Sollentuna sind die Iraner knapp stärker vertreten. In Huddinge werden die Iraker die Finnen wohl auch bald überholt haben. Wachsende Einwanderergruppen sind die Polen, die zumindest im Sommer die schwedischen Baustellen bevölkern, und Asiaten, neben Einwanderern aus dem Nahen Osten.

Warum ich diese Erhebung so interessant finde? Als deutscher Einwanderer finde ich es spannend, zu sehen, wie die Deutschen hier vertreten sind und ob es irgendwelche Verdichtungen gibt. Nach Kommunen aufgeschlüsselt sind diese Daten kostenlos bei SCB nicht verfügbar. So kann ich zwar anhand der dortigen Datenbank herausfinden, dass es 48442 in Deutschland geborene Menschen in Schweden gibt (Stand: 2011), aber nicht, wie diese regional verteilt sind, denn diese Daten sind wiederum nur allgemein auf im Ausland geborene Menschen verfügbar, aber nicht nach Herkunftsland aufgeschlüsselt. Die Deutschen sind eine kleine, aber nicht unerhebliche Einwanderergruppe. Über uns wird wenig gesprochen, so dass es für mich umso interessanter ist, zu sehen, wo wir sind und welchen Anteil an der Bevölkerung wir stellen.

Die Tabellen der Dagens Nyheter geben hier einen Einblick. Laut denen waren 2011 insgesamt 11757 in Deutschland geborene Menschen in der Provinz Stockholm wohnhaft – das ist ja schonmal eine deutsche Kleinstadt und reicht für einen siebten Platz hinter Finnland, Irak, Polen, Iran, der Türkei und Chile. Mit Ausnahme von Botkyrka im Südwesten, Upplands Väsby im Norden und der flächenmäßig kleinsten schwedischen Gemeinde Sundbyberg direkt nördlich der Hauptstadt sind die Deutschen in den Top 10 der Einwanderernationen.

Anteil der in Deutschland geborenen Menschen an allen im Ausland geborenen Menschen. Für Botkyrka, Upplands Väsby und Sundbyberg ist mir die Zahl der Deutschen nicht bekannt, weswegen nur eine obere Grenze, dargestellt durch einen Farbverlauf, angegeben werden kann.(Bild: eigene Erstellung auf Basis der Daten in der DN, Daten des Statistiska Centralbyrån und der Kommunengrenzenkarte des Wikipedianutzers Lokal_Profil, Lizenz CC-BY-SA 2.5)

Bleibt die Frage, wie sie sich auf die Region verteilen. Dazu habe ich zwei Grafiken ähnlich denen in der DN erstellt. Es entsteht der Eindruck einer relativ gleichmäßigen Verteilung, der aber angesichts der geringen Zahlen etwas täuscht. Zwar machen die Deutschen ungefähr 0,6 % der Gesamteinwohnerschaft aus und sind nirgendwo komplett abwesend, aber die Schwankungsbreite liegt in den 23 erfassten Kommunen zwischen 0,3 % und 0,8 %.

Interessant ist, dass es kein klares Muster gibt – die 10 Gemeinden mit dem höchsten Anteil an Deutschen sind:

  1. Lidingö: 0,84 % (371 in Deutschland geborene)
  2. Danderyd: 0,84 % (268)
  3. Södertälje: 0,83 % (731)
  4. Täby: 0,81 % (520)
  5. Österåker: 0,75 % (297)
  6. Solna: 0,68 % (473)
  7. Vallentuna: 0,63 % (193)
  8. Salem: 0,60 % (94)
  9. Upplands-Bro: 0,60 % (144)
  10. Nacka: 0,58 % (527)

(Anmerkung: in Botkyrka ist die Anzahl unbekannt, aber der Anteil liegt irgendwo im Intervall 0 % bis 0,74 %)

Es scheint im Wesentlichen zwei Kategorien zu geben:

  1. Gutsituierte Vorortgemeinden: Lidingö, Danderyd, Täby und Nacka sind wohlhabende Vorortgemeinden. Dass die Deutschen eher dort wohnen, mag daran liegen, dass es sich bei ihnen den tendenziell um besser ausgebildete und damit auch besser verdienende Einwanderer handelt. Es dürfte aber auch etwas damit zu tun haben, dass diese Gemeinde allgemein unterdurchschnittlich viele Einwanderer haben.
  2. Landschaftlich attraktive ländliche Gemeinden: bei Södertälje, Vallentuna, Österåker, Salem und Upplands-Bro dürfte sich vor allem das Bullerbü-Syndrom Wirkung zeigen: es handelt sich um großflächige, eher ländliche Kommunen, wo man sich den Traum vom roten Holzhäuschen im Grünen erfüllen kann, ohne weit von den Arbeitsplätzen in der Stadt entfernt zu sein. Zudem sind die Häuser dort relativ gut bezahlbar. Man muss aber auch sagen, dass man Nacka und Täby hier auch hinzurechnen kann – die Immobilienpreise sind zwar hoch, aber die Struktur ist in weiten Teilen schon recht ländlich.

Solna passt in keine der Kategorien. Ich kenne Deutsche, die dort leben, aber wieso gerade diese Gemeinde deutlich weiter oben steht ist mir nicht ersichtlich. Eine Erklärung ist vielleicht, dass Solna de facto eigentlich ein Teil Stockholms und nur aus historischen Gründen administrativ eigenständig ist. Das Gemeindegebiet schließt sich unmittelbar an das Stockholmer Stadtgebiet hat und ist sehr dicht besiedelt. Meine Vermutung ist, dass Solna damit am ehesten den mittelständischen und gut bürgerlichen Teilen Stockholms entspricht, in denen deutsche Einwanderer etwas überdurchschnittlich anzutreffen sind, während in anderen städtisch geprägten Gemeinden wie Stockholm, Sundbyberg oder Botkyrka auch große Mietshaussiedlungen, nicht selten soziale Brennpunkte, die Deutschen etwas weniger anziehen oder sie zumindest nicht lange halten.

Hier zeigt sich auch die Schwäche einer solchen Erhebung: die Gemeinden in sich selbst sind natürlich auch nicht homogen. Stockholm hat mit Östermalm das wohl teuerste Wohngebiet des ganzen Landes, aber mit z.B. Rinkeby und Tensta eben auch große soziale Brennpunkte. Södertälje ist als Anziehungspunkt für irakische Flüchtlinge bekannt, hat aber auch eine große Fläche, wo Einfamilienhäuser die Regel sind. Ein Gesamtdurchschnitt der Gemeinde kann dies nicht wiedergeben.

Interessant ist ein Blick auf die Platzierungen unter den Einwanderergruppen. Nirgends sind die Deutschen die größte Gruppe, aber in Danderyd und Täby schaffen sie es auf Platz 4, in Österåker und Lidingö auf Platz 3. Der zweite Platz wird aber nur in einer Gemeinde erreicht: Värmdö (auf den Karten ganz rechts mit den Inseln), mein Wohnort. Nun wird vielleicht jemand unken, ich hätte mich hier in ein Nest von Landsmännern begeben – die Grafiken oben zeugen vom Gegenteil. Die Erklärung ist simpel. Värmdö ist trotz seines gewaltigen Wachstums in den letzten Jahrzehnten noch sehr klassisch strukturiert: beim Einwandereranteil liegt die Kommune mit 11% auf Platz 23 (von 26), und die Finnen übertreffen alle anderen Einwandergruppen bei weitem. So leben hier 1342 Finnen, die also gut ein Viertel der 4337 hier lebenden im Ausland geborenen Einwohnern stellen. Weit abgeschlagen folgen dann die 211 Deutschen.

Das Fazit ist also ein bisschen so wie erwartet: es gibt zwar deutliche Unterschiede, aber ein deutsches Nest gibt es wahrscheinlich nirgends, und wenn, dann bräuchte man noch feiner aufgeschlüsselte Daten.

Die U-Bahn kommt – besser spät als nie

Zwei vorgeschlagene Routen für die neue U-Bahn, grob skizziert (Bild: Openstreetmap, CC-BY-SA 2.0)

Wie der Zufall es will, wurde gestern ein Thema in den Zeitungen groß präsentiert, das ich vorgestern angerissen hatte: Schienenverkehr dahin, wo ich derzeit lebe. Die Frage, ob die U-Bahn überhaupt ausgebaut werden soll, wurde von den regierenden Moderaten lange Zeit mit „Nein“ beantwortet. Man betrachtete das Netz als abgeschlossen, und überhaupt seien Straßenbahnen viel toller. Dann kam heraus, dass der zuständige Minister nebenberuflich auch Lobbyist für Straßenbahnen ist, was ihn dann doch zu der Ansicht veranlasste, dass U-Bahnen auch ganz ok seien.

Nun wird eine Voruntersuchung eingeleitet, damit irgendwann nach 2020 mit dem Bau eines östlichen Zweigs der blauen U-Bahn-Linie begonnen werden kann. Vorher ist kein Geld da, denn die Kosten werden deutlich jenseits einer Milliarde Euro liegen. Die zwei vorgeschlagenen Wege sind in dem Bild oben skizziert. Für Nacka ist das ohne Frage ein Fortschritt, auch wenn er erst sehr spät kommen wird. In dem Bericht ist schon die Rede davon, dass die Brücke nach Stockholm schon jetzt an der Kapazitätsgrenze ist. Es wird also Zeit, etwas zu untenehmen.

Ich finde ja, man hätte die Tvärbana an die Saltsjöbanan ankoppeln können, was irgendwann auch mal gemacht werden soll – aber sei’s drum: U-Bahn ist super.

Lage Gustavsberg im Verhältnis zur vorgeschlagenen Strecke (Bild: Openstreetmap, CC-BY-SA 2.0)

Nur hat die Sache auch Schwächen – neben den horrenden Kosten betrifft es v.a. diejenigen, die hinter der U-Bahn wohnen – also z.B. mich. Denn sollten in Zukunft die Busse in Nacka enden statt in der Stockholmer Innenstadt, dann würden sich die Pendlerzeiten wohl eher verlängern als verkürzen. Statt in 30 Minuten zu einem zentralen Anknüpfungspunkt in der Innenstadt gebracht zu werden würde man nur zwei Drittel des Weges kommen, müsste mit Zeitverlust umsteigen und dann eher langsam mit der U-Bahn Richtung Stadt fahren. Wie die obige Karte zeigt, ist Gustavsberg, der Hauptort Värmdös, viel weiter draußen. Darauf weisen daher auch die Politiker Värmdös in der heutigen Zeitung hin – man sei auf den gut funktionierenden Busverkehr angewiesen und dränge daher auch eher darauf, die Brückenanbindung zu Nacka zu verbessern.

Von optimistischen Planungen, dass der neue U-Bahn-Zweig irgendwann bis Orminge reichen würde, ist man anscheinend abgerückt, bzw. das ist so weit in der Zukunft, dass ich schon Rentner bin, bis das aktuell wird.
Trotzdem erfreulich, dass die Planungen weitergehen. 15 Jahre lang ohne jeden Ausbau oder zumindest konkrete Planung die U-Bahn so zu belassen war ein großer Fehler, und ich hoffe, dass sich da in Zukunft einiges tun wird.

Wachsen, dass es kracht

Hat in den letzten Jahren 30 Jahren 35,1% seiner Bevölkerung verloren: Åsele (Bild: Flickr-Benutzer utomjording, CC-BY-NC-SA 2.0)

Die Hauptstadt hat im Rest Schweden angeblich keinen besonders guten Ruf. Man sage den Stockholmern nach, sie seien arrogant. Aus erster Hand wurde das zwar noch nie an mich herangetragen, und als Zugewanderter bin ich nicht unmittelbar tangiert, aber man kann das Ganze schon etwas nachvollziehen.
Ohne irgendjemanden herabwürdigen zu wollen: es handelt sich wohl um eine Art Minderwertigkeitskomplex. Nicht umsonst kokettiert die schwedische Nummer zwei in Sachen Bevölkerung, Göteborg, gerne, sie sei die „Vorderseite“ Schwedens, was im geografischen Umkehrschluss bedeutet, dass Stockholm die Rückseite sein muss.

Man kann es sich aus deutscher Sicht vielleicht gar nicht so recht vorstellen, aber Schweden kein ungefähr gleichmäßig dicht besiedeltes Land. Natürlich gibt es auch in Deutschland dünn bevölkerte Regionen wie Mecklenburg-Vorpommern. Die Dimensionen sind in Schweden aber ganz anders.
Die vier nördlichsten Provinzen haben rund 55% der Fläche, aber nur gut 9% der Bevölkerung. Im Großraum Stockholm hingegen leben rund 20% der Bevölkerung – auf Deutschland übertragen wäre das ungefähr so, als wären die 30 größten deutschen Städte allesamt im Großraum Berlin versammelt. Man kann also erahnen, wie groß der Kontrast ist und dass dies bedeutet, dass in den Großstadtregionen und insbesondere Stockholm viel passiert und im Rest des Landes eben wenig. Die Ballungsräume sind Anziehungspunkte.

Vor kurzem hat die Zeitung Dagens Nyheter die Bevölkerungsstatistik genommen der Jahre 1981 und 2011 genommen und daraus eine interessante Grafik erstellt. Sie zeigt, wie sich die Bevölkerungszahl der 290 schwedischen Kommunen entwickelt hat.
Das Ergebnis ist deutlich und zeigt ein großes Problem dieses Landes. Nicht nur, dass es eine Kluft zwischen Stadt und Land gibt. Dieser Unterschied wird immer größer. Nordschweden hat prozentual sogar noch am meisten verloren. Zwar kann diese Erhebung nicht zeigen, ob sich die Entvölkerung eingebremst hat, aber das Gesamtbild ist deutlich.

Auf der einen Seite könnte insbesondere der nördliche Teil Schwedens Probleme bekommen, Teile der öffentlichen Infrastruktur mit so wenigen Leuten aufrechtzuerhalten. Wenig verwunderlich war ein Randthema in der letzten Wahl, diese Gebiete durch Steuervergünstigungen attraktiv zu machen. Durchaus möglich, dass dies in kommenden Jahren bei der Verschärfung der Problematik eine wichtige Frage werden wird.

Zwischen 1981 und 2011 um 114,4% in der Einwohnerzahl gewachsen: Värmdö

Auf der anderen Seite wächst die Infrastruktur nicht hinreichend mit, wie ich schon mehrfach thematisiert habe.

Besonders augenfällig war für mich die Liste schlicht deswegen, weil meine Wohnsitzkommune Värmdö auf Platz 1 ist. Mit 114,4 Prozent Bevölkerungswachstum ist sie die einzige Gemeinde Schwedens, die in den letzten 30 Jahren ihre Einwohnerschaft mehr als verdoppelt hat. Trotzdem ist sie immer noch recht ländlich, was annehmen lässt, dass hier draußen früher außer der Porzellanfabrik, Ferienhäusern und Schäreninseln nichts war. Ich hätte vermutet, dass dies durch einen zwischenzeitlichen Bau der Autobahn hierher begünstigt wurde – diese existierte aber schon vor 1981. Es sieht also mehr so aus, dass durch das allgemeine Wachstum der Region vormals abgelegene Ecken attraktiv wurden, und Värmdö hatte und hat schlicht eine Menge Platz für den Ausbau.

Mich macht das etwas nachdenklich. Die Busse sind so schon gut ausgelastet, und mit den weiteren geplanten Ausbauten wird Gustavsberg in den kommenden Jahren große Mengen Einwohner gewinnen, die alle irgendwie zur Arbeit wollen. Das Terminal des neuen Slussen soll zwar die Kapazität von 50.000 Passagieren täglich auf 80.000 Passagiere erhöhen. Jedoch glaube ich, dass dies bedenklich nahe an die Grenze dessen geht, was mit Bussen noch vernünftig zu machen ist. Ich würde mir eine S-Bahn hier wünschen, aber alles, was geplant ist, ist eine U-Bahn-Linie, die im letzten Ausbaustadium bis Orminge Centrum am Westende unserer Insel reichen soll – und da reden wir von 2030 oder später, denn das ist noch ein großes Fragezeichen, ob es denn überhaupt so kommen wird. Gut möglich, dass die Lebensqualität dadurch ein gutes Stück sinken wird.

Dass ich bis dahin noch hier leben werde, ist leider stark zu bezweifeln. Denn obwohl die allgemeine Situation hier vielleicht schlechter werden könnte, so ist wohl nicht davon auszugehen, dass die Immobilienpreise hinreichend sinken werden, um hier etwas zu erwerben.

Was mich zu einem Thema bringt: der Zustand des Wohnungsmarktes, der derzeit wieder in der Diskussion ist – aber dazu mehr ein anderes Mal.

Slussen in Farbe (und bunt)

Ausschnitt aus dem Lageplan für das neue Slussen: der Verehr wird unter die Erde verlegt, der öffentliche Nahverkehr in den Berg hinein. Der Rest wird zur Fußgängerzone. (Bild und Copyright: Stockholms Stad)

Seit gestern darf man im Sjömanshemmet (Seemansheim) an Peter Myndes Backe 3 auf Södermalm – direkt neben dem Stadtmuseum bei Slussen – eine Ausstellung zur Neugestaltung von Slussen begutachten. Das geht bis zum 19. Juni und zeigt hoffentlich die definitiv endgültige Version der Umbaupläne.

Heute morgen war der Leserbrief einer Frau aus Solna in der Zeitung, die meinte: was beschweren sich die Leute aus Nacka denn über die Situation? Immerhin sind es vom Bus zur U-Bahn nur wenige Schritte. Man sollte Slussen behutsam erneuern.

Blick von Södermalm aus auf den Neubau (Bild und Copyright: Stockholms Stad)

Da hat die Frau nicht ganz unrecht, lässt aber außer Acht, dass das jetzige Busterminal im Winter schweinekalt ist, was sich auch durch einen noch so guten Umbau kaum beheben lässt, denn es ist auf zwei Seiten offen. Außerdem müssen die Passagiere bis zu zwei Busspuren kreuzen, was weder für Busfahrer noch für Pendler angenehm ist und die Unfallgefahr erhöht. Mir ist kein Busterminal vergleichbarer Größe im Großraum Stockholm bekannt, wo ein derartiger Zustand Realität ist: weder Gullmarsplan noch Danderyds Sjukhus oder Liljeholmen verlangen das Überqueren von Fahrspuren.

Nebenbei bemerkt ist das Slussenterminal schon jetzt an der Grenze seiner Belastbarkeit. Viel mehr Busse als jetzt kann man bei der Anlage dort nicht durchschicken, und die beiden hierüber angeschlossenen Kommunen Nacka und Värmdö wachsen schnell. Auch ein Art Stuttgart-21-Argument kann man hier anbringen: der Plan ist schon so weit fortgeschritten, dass jeder Schwenk wiederum mehrere Jahre Verzögerung brächte, die das alternde bestehende Bauwerk beim besten Willen nicht hat.

Blick von der Altstadt aus auf den Neubau (Bild und Copyright: Stockholms Stad)

Freilich bedeutet das nicht, dass das neue Terminal bessere Kapazitäten haben wird – aber hoffen kann man, dass hier vernünftig geplant wird.

Ich war jedenfalls einmal so frei, die Bilder, die man auf der Stadthomepage nur nach Download betrachten kann, hier einmal auszustellen. Vielleicht möchte sich auch jemand die Präsentation im Sjömanshemmet ansehen – ich werde es bei Gelegenheit tun.

Ausgezählt

Heute, also 12 Tage nach der Wahl, ist die Auszählung der Stimmen endlich beendet. Die Stimmenzähler hier im Län, die als letzte fertig wurden, werden wahrscheinlich Freudestänze aufgeführt haben.

Zur Stunde warten einige Ergebnisse noch auf ein genehmigtes Protokoll, so dass die endgültige Sitzeinteilung vorläufig oder noch nicht bekanntgegeben ist. Diese ist z.B. für den Landsting in Stockholms Län noch nicht bekannt.

Jedoch ist klar, dass die Moderaterna dazugewonnen haben, aber damit nicht die Verluste der anderen bürgerlichen Parteien ausgleichen konnten. Der linke Block hat allerdings gewonnen, wenn auch nur dank der Stimmengewinne bei den Grünen. Eine gute Nachricht ist auch, dass die Schwedendemokraten mit 2,83% an der für den Landsting gültigen 3-Prozent-Hürde gescheitert sind. Im Wesentlichen bleibt alles beim alten: die Bürgerlichen haben trotz Verlusten noch eine Mehrheit. Die Verluste gehen praktisch direkt an die Grünen.

Auch beim Stadtrat Stockholms ist noch keine Sitzzuteilung gemacht. Hier stellt sich die Sache etwas anders dar: die Moderaterna haben 2,86% eingebüßt, während die Zentrumspartei und Volkspartei (liberal) zugelegt haben. Insgesamt hat aber auch hier der bürgerliche Block rund 2% verloren, was wiederum die Mehrheit auch nicht gefährdet – laut vorläufigem Protokoll reicht es für 52 bürgerliche Mandate bei insgesamt 101 Stadträten. Auf der linken Seite sind wiederum die Grünen die Gewinner. Sie haben 4,67% zugelegt und gewinnen 6 Mandate hinzu. Ich sollte mich eigentlich auch hier freuen, dass die Schwedendemokraten nicht hineingekommen sind. Das Ergebnis verwundert mich aber etwas. In den Kommunen gibt es nämlich keine Prozent-Hürden, und so müssten die 2,62%, die die Schwedendemokraten bekommen haben, eigentlich für mindestens 2, wenn nicht 3 Mandate reichen. Bislang wird ihnen aber keines zugewiesen.

In meiner Wohnsitzgemeinde Värmdö haben sie hingegen zwei Gemeinderäte, was natürlich betrüblich ist. Auch für einen wunderhaften Sieg meines Favoriten Börge Hellström hat es nicht gereicht. Die Sozialdemokraten haben 2 Sitze verloren und stellen nun nur noch 15 Räte. Börge stand sowieso nur auf Listenplatz 19, und so musste er in jedem Fall direkt gewählt werden, um hinein zu kommen. Dafür hätte er 5% der Stimmen in einem der beiden Wahlkreis bekommen müssen. Da er als lokaler Kandidat natürlich nicht in dem anderen Wahlkreis Werbung machte, erhielt er dort so gut wie nichts. Aber auch in meinem Wahlkreis reichte es nur für 2,79% der Stimmen. Schade irgendwie.

Die kleine Plakateschau (3): Börge for President

Nach unten: der Geldbeutel regiert; nach oben: Pflege nach Bedarf; Du wählst - wir können nicht warten

Noch 12 Tage bis zur Wahl. Mal sieht es so aus, als laufe alles auf einen Patt hinaus. Mal führt die Regierung leicht.

Die Opposition muss also etwas tun, insbesondere die Sozialdemokraten, die nicht einmal sicher sein können, dass sie stärkste Partei werden – das wäre alles in allem das schlechteste Ergebnis seit 1914.

Also wird kräftig geworben, u.a. mit obigem Plakat. Alles nicht gerade originell, aber immerhin wird versucht, so etwas wie Inhalt zu verkaufen. Der Wähler wird hiervon aber kaum etwas mitnehmen können.

Börge Hellströms Wahlplakat: Ich kann nicht warten - niemand soll im Stich gelassen werden

Viel präsenter sind aber Plakate wie dieses, die mit dem Slogan „Jag kan inte vänta“ bzw. „Vi kan inte vänta“ („Ich kann nicht warten“ bzw. „Wir können nicht warten“) versehen sind und Bezug darauf nehmen, was nach Ansicht der Sozialdemokraten dringend getan werden müsste.

Ich bin mittlerweile recht sicher: Börge werde ich wählen – dies aber aus teilweise egoistischen Gründen. Ich wohne im sozial schwächsten Viertel von Värmdö, das 2006 nicht ganz zufällig die niedrigste Wahlbeteiligung der Kommune hatte. Lediglich 73% gingen hier vor vier Jahren zur Wahl, während der Gemeindedurchschnitt bei 85% lag. Gerade deswegen ist das Risiko, dass niemand aus unserer Ecke gewählt wird, höher, obwohl gerade hier etwas passieren sollte.

Hellström ist eine Person mit interessanter Biographie. Nach einer Kindheit mit sexuellem Missbrauch und einer gewalttätigen Jugend mit Drogen ist er heute Schriftsteller. Nicht gerade ein typischer Kandidat – sein Programm wirkt auch etwas hemdsärmelig. Aber: er sagt, dass er seit 14 Jahren in unserem Viertel wohnt und etwas ändern möchte. Dazu gehört unter anderem eine Verbesserung der Sicherheit und etwas Druck auf die kommunale Wohnungsgesellschaft, die ihren Job nicht sonderlich gut macht. Genau diese Themen betreffen auch mich. Am 19. August habe ich mich mit zwei Anliegen an meinen Vermieter gewandt. Auf Antwort warte ich bis heute.

Börge ist auf Listenplatz 19, die Sozialdemokraten haben derzeit aber nur 17 Sitze. Daran wird sich vermutlich auch nicht viel ändern in der nächsten Wahl, weswegen Hellström zwangsläufig sein Heil in einer Direktwahl suchen muss.

Daher werde ich ihm wohl meine Stimme geben. Wenn er es nicht schafft, dann erhalten immerhin die Sozialdemokraten in Värmdö eine Stimme. Die können sie gut gebrauchen, denn die bürgerlichen Parteien haben eine ziemlich solide Mehrheit.

Wie sieht es aber jenseits meiner kleinen Gemeinde aus?

Wir können nicht warten: Mona Sahlin mit jungen Unterstützern

Die Parallelen sind klar erkennbar – nur dass in den meisten Plakaten wie hier mehrere Menschen zu sehen sind. Meist sind es Kandidaten, hier jedoch anscheinend junge Unterstützer Sahlins. Auffällig ist, dass die Spitzenkandidatin nie alleine zu sehen ist. Das kann man als Bekenntnis zum Teamgeist interpretieren, aber ich sehe Parallelen zu 2006. Damals plakatierte man erst überhaupt keine Menschen. Dann zum Ende der Kampagne hin rückte man doch mit Plakaten heraus, die den damaligen Statsminister (Premierminister) Göran Persson zeigten. Auch der war nie alleine auf einem Plakat, und das war ziemlich eindeutig dem Umstand geschuldet, dass er als ausgesprochen unbeliebt galt.

Die Plakate sollten damals wohl sagen: seht, wir haben auch andere patente Leute. Was sie dieses Mal sagen soll, ist nicht so klar, aber angesichts der eher bescheidenen Umfragewerte Sahlins ist zu vermuten, dass ihr Konterfei alleine wohl eher als kontraproduktiv gilt.

Auch eine echte Wechselstimmung zu vernehmen fällt schwer. Etwas nachhelfen will hier der Gewerkschaftsbund LO, der früher sogar organisatorisch mit den Sozialdemokraten verbunden war und bis heute wenig überraschend die Partei unterstützt. Er tritt daher mit folgender Kampagne in Erscheinung.

Maud Olofsson, Vorsitzende der Zentrumspartei, auf einem Plakat von LO
Maud Olofsson, Vorsitzende der Zentrumspartei, auf einem Plakat von LO

Zunächst waren Bilder plakatiert mit auf den Kopf stehenden Regierungspolitikern, verbunden mit stark vereinfachten Aussagen über deren (nach LO-Sicht) falschen Politik und wenig schmeichelhaften Adjektiven.

Dann erschien diese Serie mit dem genau umgekehrten für die Oppositionspolitik.

Pro-Oppositionsplakat von LO
Pro-Oppositionsplakat von LO

Über Geschmack und Wirkung dieser Kampagne lässt sich streiten.

Noch 100 Tage bis zur Wahl

In exakt 100 Tagen öffnen die Wahllokale zur Reichstagswahl in Schweden. Und nicht nur das: die Parlamente der Provinzen und Kommunen, die auch von Ausländern (EU und einige andere) mitgewählt werden dürfen, stehen gleichzeitig zur Wahl. Dies macht den Tag zum Höhepunkt des politischen Lebens in diesem Lande, denn bis 2014 steht dann keine einzige Wahl mehr an.

Richtig los geht es freilich erst im Sommer, wenn überall die Hütten (sogenannte valstugor) an zentralen Punkten der Orte stehen, um den Wähler nahezukommen.

Debattiert wird aber jetzt schon im Fernsehen, und die Demoskopen sind auch fleißig. Letztere haben Zahlen erhoben, die vor allem dies sagen: es wird eng und es wird spannend. Die Blöcke sind in den Umfragen der letzten Zeit teilweise gleichauf, und das praktisch zum ersten Mal in dieser Legislaturperiode. Die „Allianz“, eine Koalition aus 4 bürgerlich-konservativen Parteien, hat nämlich gehalten und funktionierte so geräuscharm wie es sich Angela Merkel derzeit in ihren Träumen ausmalen dürfte. Daher stehen auch die Blöcke geschlossen gegeneinander: die Allianz auf der einen Seite, die „Rotgrünen“ mit den Sozialdemokraten, den Grünen und der Linkspartei auf der anderen Seite. Daran wird sich wohl nichts mehr ändern.

Eine Minderheitsregierung scheint ausgeschlossen, denn die Sozialdemokraten haben sich nach ihrem Wahldebakel 2006t nie ganz gefangen und suchten den Schulterschluss mit den anderen beiden linken Parteien. Es ging zwar aufwärts, aber die Zeiten, als sie wie gottgegeben jede andere Partei mit großem Abstand abhängten, scheinen vorbei: nach aktuellen Umfragen ist nicht einmal gesichert, dass sie stärkste Partei werden.

Hoffnung kann man sich aber machen, denn die gestern veröffentlichten Daten der schwedischen Statistikbehörde, die in der Vergangenheit immer richtig lag, sieht Rotgrün vorne.

Wie ich mich selbst entscheiden werde, muss ich noch mit mir ausmachen. Zum Reichstag bin ich ohnehin nicht wahlberechtigt. Egal kann es mir aber natürlich nicht sein. Aber auch wenn ich wählen dürfte, wäre nicht klar, wen. Zwar bin ich nach wie vor Sozi, aber ich sehe trotzdem nicht so ganz, was sie so viel besser machen würden als die bestehende Regierung. Das Angebot, das über das reine Zurückdrehen der Reformen der letzten Jahre hinausgeht, sehe ich (noch) nicht ganz. Vielleicht liegt es aber auch an der Spitzenkandidatin Mona Sahlin, mit der ich einfach nie richtig warm geworden bin. Zudem muss ich sagen, dass ich zwar nicht mit allem in den letzten Jahren einverstanden war, aber die aktuelle Regierung hat ihren Job ganz passabel gemacht.

Ähnlich zwiespältig ist es bei den Parlamenten, die ich wählen darf. Auf Provinzebene, wo es in erster Linie um Nahverkehrsfragen und das Gesundheitswesen geht, bin ich mit der Verkehrspolitik beider Blöcke nicht so ganz glücklich. Die Umgehungsstraße Förbifart wird von linker Seite in Zweifel gezogen und soll einer seltsam konstruierten Volksabstimmung unterzogen werden. Ich halte sie für zwingend nötig und frage mich, welche Alternative es da geben soll. Auf rechter Seite ist man jedoch ziemlich lethargisch, was den Ausbau des Nahverkehrs auf Schienen angeht. Ein paar Straßenbahnprojekte hier und da, aber die U-Bahn ist für die fertig. Ich tendiere klar zu meiner Partei in diesem Fall, aber ich werde mich eingehend mit den Programmen auseinandersetzen. Ein ähnliches Dilemma habe ich in meiner Kommune. Das einzige Thema, bei dem meine Genossen bisher hier in Erscheinung getreten sind, ist der Protest gegen die gewählte Lösung zum Neubau einer Brücke von der Insel herunter. Die konservative Mehrheit will eine neue Brücke schnell bauen und sie über eine Maut refinanzieren. Meine Partei ist dagegen, soweit ich das mitbekommen habe. Dumm nur, dass ich ausgerechnet dabei stark zur Mautlösung tendiere, denn die bestehende Brücke ist jetzt schon jeden Werktag überlastet. Allerdings könnte ich aber auch sagen, dass sie meine Unterstützung gut gebrauchen können, denn Värmdö ist ohnehin sehr konservativ.

Es steht also noch einiges bevor. Den ersten Wahl-O-Mat-Test habe ich schon einmal beim Svenska Dagbladet gemacht. Das Ergebnis finde ich allerdings wenig erbaulich:

Ausriss: svd.se

Vorbeifahren

Vor einiger Zeit gab es eine Werbekampagne hier in Stockholm. Dort war auf schwarzem Grund groß zu lesen:

Es gibt nur zwei europäische Länder, deren Hauptstadt keine Umgehungsstraße hat.

Und darunter klein:

Albanien ist das eine.

Womit sich jeder denken, welches das andere ist: Schweden.

In der Tat gibt es derzeit genau drei Möglichkeiten, die Region Stockholm zu umfahren – und von denen sind zwei so abwegig, dass sie nie jemand dafür benutzen würde.
De facto gibt es also nur einen Weg, nämlich den Essingeleden, eine Autobahn über Kungsholmen, auf der trotz vierspurigen Ausbaus jeden Morgen Stau ist.

Die Schaffung einer Alternative tut also not. Diese soll die „Förbifart Stockholm“ werden, also die Vorbeifahrt an Stockholm. Eine Autobahn, größtenteils unterirdisch verlegt wird – 17 der 21 km werden Tunnel sein – soll einen Bogen im Westen über die Inseln der Gemeinde Ekerö schlagen und dann im Nordwesten die Anbindung an die großen Straßen E4 und E18 schaffen. Bis 2020 „kann“ der Bau fertig sein, was soviel heißt, dass er bis dahin nicht fertig sein wird.

Kritik wird laut von einigen Seiten. Man fürchtet um den Umwelt- und vor allem den Klimaschutz. Auch die Bewohner der Insel Lovö, unter der ein Teil des Tunnels verlaufen und die auch eine Autobahnabfahrt bekommen soll, sind nicht begeistert.

Die Argumente dieser Gegner sind mir doch einigermaßen schleierhaft. Ein Tunnel schadet ja wohl kaum der Natur. Wenig stichhaltig erscheint mir das Argument, der CO2-Ausstoß werde dadurch erhöht, denn dies beruht auf der Annahme, der Verkehr werde weniger wachsen, wenn man einfach keine Straßen für ihn baut. Diejenigen, die so argumentieren, verweisen auch auf die Stadtmaut, die man dafür benutzen könne, den Verkehr fernzuhalten.

Dabei hat gerade die Trängselskatt gezeigt, dass eine solche Maßnahme bestenfalls lenken kann – fernhalten kann es den Verkehr aber nicht wirklich. Die Straßen Stockholms sind mittlerweile genauso verstopft wie vor Einführung der Maut. Man hat sie seit 2007 nicht mehr angehoben, was einen starken Gewöhnungseffekt erzeugt.

Der Bau der Förbifart ist mehr als überfällig und ich kann sie eigentlich nur unterstützen. Außerdem erscheinen mir Klagen aus Ekerö übertreiben, weil Ekerö eine der Kommunen ist, die die schlechteste Verkehrsanbindung haben – die meisten werden wohl froh darum sein, wenn sie keine Fähre mehr nehmen oder den endlosen Umweg über Bromma fahren müssen.

Der Ablauf der Planung scheint mir aber symptomatisch zu sein für Verkehrsplanung im Raum Stockholm.

Slussen baut man erst um, nachdem es zu einem heruntergekommenen und nach Urin stinkenden Schandfleck geworden ist. Die Citybanan, ein S-Bahn-Tunnel unter Stockholm zur Entlastung des südwärts gerichteten Schienennetzes, wird in Angriff angenommen, nachdem die S-Bahn Pendeltåg schon seit vielen Jahren ein Synonym für Unzuverlässigkeit und Störungsanfälligkeit ist. Die am schnellsten wachsenden Kommunen sind nur durch Busse angebunden und haben nichtmal in Aussicht, Schienenverkehr zu erhalten. Zu der Insel, auf der ich wohne, gibt es nur eine altersschwache und überlastete Brücke, aber eine neue Brücke soll es erst in 15 Jahren geben – von einer Anbindung an den Schienenverkehr wird erst gar nicht gesprochen, obwohl jetzt schon die Busse in kurzen Takten fahren und trotzdem voll sind.

Wenn man von dem zukunftsweisenden Projekt der Tvärbanan absieht, baut man immer erst dann, wenn die Situation eine Zumutung geworden ist. Man repariert einen Schaden erst, wenn er eingetreten ist, aber versucht nicht, ihn vorsorglich zu verhindern.

Insofern kann ich der Förbifart eigentlich nur einen Kritikpunkt entgegen bringen, nämlich den, warum das Projekt nicht gleich durch eine Erweiterung des Nahverkehrs ergänzt hat. Eine direkte S-Bahn von Södertälje nach Akalla und Hjulsta wäre der Region sehr zuträglich.

Bei den Piraten

Natürlich war ich gestern wählen, auch wenn ich mir bis zuletzt Gedanken machte, was es nun werden sollte. Letztendlich habe ich mich wieder für meine Partei entscheiden, habe aber bewusst nicht die Liste einfach abgesegnet, sondern die Möglichkeit verwendet, einen bestimmten Kandidaten anzukreuzen.
Die Spitzenkandidatin Marita Ulvskog ist eine typische Parteikarrieristin, die als EU-kritisch gilt und im Allgemeinen keinerlei Vorerfahrung in Sachen EU zu haben scheint. Es kommt einem wohl nicht nur so vor, als sei sie der typische Fall vom verdienten Politiker, für den man keine andere Verwendung mehr hat und deswegen nach Europa abschiebt. Ihr wollte ich meine Stimme nicht geben. Auch Anna Hedh, die als einzige in der ganzen sozialdemokratischen Fraktion des EU-Parlaments gegen den Lissabon-Vertrag gestimmt hat, wollte ich beim besten Willen keine Stimme geben – soviel Dummheit sollte nicht belohnt werden.

Während ich das so schreibe, frage ich mich schon wieder ein bisschen, ob andere Parteien nicht besseres Spitzenpersonal gehabt hätten.

Meine Wahl fiel auf Åsa Westlund – jung und in Stockholm wohnhaft, profiliert als EU-Parlamentarierin in Umweltfragen. Das schien mir eine akzeptable Mischung zu sein.

Beim Durchschauen der Ergebnisse konnte ich auch etwas lernen über meinen Wohnort. Gustavsberg, wo ich jetzt lebe, gehört zu Värmdö, eine Kommune, die schon recht ländlich ist und im Sommer vor allem von zahlreichen Ferienhausbesitzern bevölkert wird. Es ist also auch allerlei Wohlstand versammelt – Gustavsberg hat die niedrigste Arbeitslosigkeit im ganzen Land.

Dementsprechend wurden die Moderaterna auch mit Abstand stärkste Partei, während die Sozialdemokraten gerade einmal auf Platz 3 kamen. Dass ich in einem der sozial schwächsten Teile der Kommune wohne, wurde mir nun durch die Ergebnisse illustriert: hier kommen die Parteien der aktuellen Mitte-Rechts-Regierung zusammen auf gerade einmal 22,4%, wobei das Zentrum fast schon eine Splitterpartei ist. Die Sozialdemokraten hingegen landeten bei 25,9%, die Grünen bei 16,8% und die Linken bei 13%. Spannend ist aber auch, dass hier auch eine Hochburg der Piratenpartei ist: 11,9% hat die Partei hier erhalten, und damit über 4 Prozentpunkte mehr als in jedem anderen Wahlbezirk der Kommune. Ich befinde mich also in einer interessanten Gesellschaft hier.

Die Piratenpartei macht auch landesweit Schlagzeilen, denn nach dem vorläufigen Endergebnis hat sie einen Sitz im Europaparlament errungen. Spannend ist hier die Wählerverteilung.

Laut eigener Statistik hat die Partei am meisten Mitglieder pro Wähler in der Kommune Hylte. Dort sind angeblich 3,5% der Wähler Parteimitglieder. Das Wahlergebnis spricht aber eine andere Sprache: 4,9% haben Piratenpartei gewählt, und damit liegt Hylte auf dem letzten Platz im Hallands Län und zudem weit unter dem Landesschnitt von 7,1%. Die zweitgrößte Mitgliederdichte hat die Partei in Salem, einer Kommune im Süden der Region Stockholm, mit 1,9%. Hier schneidet die Partei überdurchschnittlich ab, aber liegt immer noch hinter anderen ähnlich ländlichen Kommunen. Für mich ist es ein Indiz dafür, dass meine Vermutung richtig ist, was die Mitgliederbasis der Partei angeht. Die Mitgliedschaft kostet nämlich nichts und kann schnell über die Homepage abgeschlossen werden. Auf diese Art hat die Partei nach dem Medienecho um den Pirate-Bay-Prozess gewaltigen Zulauf erhalten und ist nun zumindest auf dem Papier drittstärkste Partei des Landes. Ich gehe davon aus, dass diese Parteimitglieder eben auch nur auf dem Papier existieren. Diese Leute dürften größtenteils nicht daran interessiert sein, sich in der Partei einzubringen. Dass jenseits des Themas Filesharing irgendein gemeinsamer Nenner existiert, halte ich ebenso für unwahrscheinlich. So ist die Mitgliederbasis genau so zustandegekommen, wie sonst sinnlose Onlinepetitionen entstehen – Flagge zeigen ja, aber bitte ohne Engagement oder Kosten.
So lebte der Wahlerfolg von der guten Organisation der Partei und der hohen Medienpräsenz. Es wird sich noch zeigen, wie weit solch eine Basis tragen kann.

PS: Einige interessante Beiträge zu den Europawahlen hat Thomas auf Fiket veröffentlicht.

Gustavsberg

Das Leben ordnet sich langsam. Knapp 6 Wochen nach dem Umzug sind alle Möbel beschafft, und auch die letzten Kisten leeren sich. Heute war auch einmal ein bisschen Zeit, zu Fuß die Teile des Orts zu sehen, die ich bislang nur im Bus an mir vorbeiziehen sah.
Hier einige Bilder vom Hafen und der ansässigen Porzellanfabrik. Für diese ist Gustavsberg nämlich bekannt, da praktisch jede Toilettenschüssel im Lande von dort stammt. Man werfe also beim nächsten Stuhlgang einen Blick auf das gute Stück, ob nicht der Anker mit dem Schriftzug „Gustavsberg“ darauf zu finden ist – und denke bei Bedarf an mich.