Wahltag

Ich will mich nicht lange darüber auslassen, aber eine Erwähnung ist es auf alle Fälle wert. Heute ist OB-Wahl in meiner Heimatstadt Rastatt. Eine konkrete Wahlempfehlung zugunsten eines Kandidaten möchte ich nicht aussprechen, aber ich möchte ganz klar Position gegen den jetzigen Amtsinhaber Klaus-Eckhard Walker beziehen, der in den letzten Jahren alles daran gesetzt hat, die ganze Stadt gegen sich aufzubringen und Rastatt im ganzen Land vorzuführen. Insofern hoffe ich inständig, dass es einer seiner Gegenkandidaten machen wird.

Vorbild Schweden

Teil 10 und 11 meines Auswandererguides sind zwar immer noch nur halbfertig und werden daher erst demnächst veröffentlich – jedoch habe ich gerade etwas auf SPIEGEL online gesehen, das gut zu Teil 11 passen würde.

Dort geht es um eine Arbeitsgruppe, die Autozulassungen leichter machen soll. Vorbild ist in diesem Fall Schweden, das mit seiner ländlichen Struktur wohl schon länger die Not von mitten in der Pampa lebenden Menschen sah, die eine ganze Tagesreise auf sich nehmen mussten, nur um ein Auto anzumelden. Hierzuland bleibt nämlich das Kennzeichen ein Autoleben lang montiert. Wechselt der Besitzer, werden nur die Daten entsprechend geändert. Ebenso zentral wird erfasst, wann das Auto das letzte Mal beim TÜV war und ob es versichert ist.

Das soll in Deutschland auch kommen – und bislang gibt es wohl nur einen Gegner: die bisherigen Zulassungsstellen. Die sind nämlich der Meinung, das bisherige System sei gar nicht verbesserungsbedürftig.

Naja, da erinnere ich mich nur an meinen letzten Besuch in dieser Stelle. Nach etwas Wartezeit wurde ich hereingerufen. Just in dem Moment, als ich die Tür öffnete, rief jemand drinnen „Mist, jetzt ist die Verbindung zum Rechenzentrum abgebrochen. Ich gehe jetzt aber nicht raus und sage den Leuten, das nichts mehr geht.“

Nicht verbesserungsbedürftig also – aha.

Breaking News

Wie mir gerade brandheiß mitgeteilt wurde, gibt es bei der Oberbürgermeisterwahl in Rastatt nach der zunächst erfolglosen Gegenkandidatensuche gleich fünf Konkurrenten für Amtsinhaber OB Klaus-Eckhard Walker: neben den beiden CDU-Kandidaten Christof Nitz (offiziell CDU) und Hans Jürgen Pütsch (auch CDU, aber von einer Bürgerinitiative unterstützt) tritt als unabhängiger Kandidat Wolfgang Weinbrecht, ein örtlicher Unternehmer, an. Unglaublich, aber wahr: kurz vor Bewerbungsschluss gab Klaus Josef Muth, Student und ehemaliger Klassenkandidat von mir, seine Unterstützerunterschriften ab. Da sage ich nur: Klaus for President! Das verspricht, ein sehr spaßiger Wahlkampf zu werden.

Schwarzwaldbröd

Schwarzwaldbröd

Eine Sache, die fast alle Deutschen in Schweden vermissen, ist deutsches Brot. Schwedisches ist nämlich süß und irgendwie anders – nur wenige Teutonen können sich voll damit anfreunden. Eine echte deutsche Bäckerei wie die in Malmö gibt es in Stockholm zwar nicht, aber einige Stellen, wo man angeblich deutsches Brot kaufen kann. Von einer wurde mir schon mehrfach berichtet: die Delikatessläden in den Hötorgshallen. Heute war ich dann endlich einmal dort, um danach zu schauen. Ich war begeistert. In einer Metzgerei gab es Thüringer Bratwürste. An dem Brotstand gab es dann aber tatsächlich Brezeln, die sich als ziemlich authentisch herausstellten und auch mit denen von einigen Karlsruher Bäckereien konkurrieren könnten. Unter anderem gab es auch verschiedene Brotsorten aus Deutschland. Ich erwarb natürlich das „Schwarzwaldbröd“, das zwar etwas zu weich ist, aber ansonsten recht authentisch schmeckt. Ich probiere bei Gelegenheit auch einmal die anderen Sorten aus.

Weniger authentisch ist allerdings der Preis. 5 kr (ca. 60 Cent) für eine Brezel ist ja noch annehmbar, aber 25 kr (ca. 2,75 €) erscheint mir doch schon recht teuer.

Verschiedenes

Weil ich momentan irgendwie wenig zum Schreiben finde, mal wieder einer meiner etwas uninspirierten Posts:

  • Das Wetter ist mittelmäßig bis schlecht. Der schwedische Sommer ist bislang stark reklamationsbedürftig. Ich bin dabei, die entsprechende Beschwerdestelle zu suchen.
  • Die schwedische Steuerbehörde „Skatteverket“ hat mir ein Formular zukommen lassen, mit dem ich meine Einkünfte aus Deutschland korrekt versteuern kann. Irgendwas sagt mir, dass ich dabei ungefähr genauso viel Spaß haben werde wie bei einer Zahnwurzelbehandlung. Allem Anschein nach werde ich bis Ende des Jahres monatlich einen mehr als nur grob abgeschätzten Beitrag versteuern, um dann nächstes Jahr konkrete Zahlen vorzulegen. Die Steuerbehörde kann wohl froh sein, dass mein Fall ausgesprochen selten ist – ansonsten wäre das nämlich ein erstklassiger Anreiz zur Steuerhinterziehung, denn das Verfahren beruht natürlich zu guten Teilen auf der Ehrlichkeit des Lohnempfängers. Ich werde jedenfalls alles korrekt angeben. Im Gegensatz zur Schweiz ist Steuerhinterziehung nämlich auch hierzulande ein Verbrechen.
  • Ähnlich freudig ist, dass meine praktische Prüfung wohl frühestens am 27. Juli stattfinden können wird, weil Prüfungstermine knapp sind. Das ist ärgerlich, aber nicht zu ändern. Bis dahin kann ich jedenfalls sehr gut fahren, so dass die Prüfung nur bei sehr viel Pech danebengehen dürfte.
  • Da genügend Zeit ist, werden nun eher ungewöhnliche Fahrstunden eingeschoben. So durfte ich heute morgen testweise die Linie 62 fahren, die von Fredhäll nach Storängsbotten geht – beides Stadtteile, in denen ich zuvor noch nie gewesen war. Spannend wurde es dann in der Innenstadt, wo nicht nur unzählige Touristen und die Marschkapelle des Wachwechsels am Schloss herummarschierten, sondern auch viel Verkehr ist und die Straßen häufig mehr als eng sind.
  • Am Freitag und am Montag werde ich dann alles über Fahrkarten und Brandschutz lernen. Ich bin gespannt.
  • Das Auswendiglernen der Linien ist wohl weniger wild, als ich ursprünglich dachte. Die Garage, in der ich fahren werde, bedient ungefähr 18 bis 20 Linien – das sollte also bald überschaubar sein.
  • Interessant wird übrigens ein anderes Mobilitätsthema – die Frage, was mit dem Auto, das ich hier habe, geschehen soll, ist immer noch nicht geklärt. Sicher ist jedoch, dass ein Ölwechsel fällig ist, den ich auch selbst vornehmen werde. Ansonsten bleibt mir aber wohl nur, eventuelle Mängel – sofern mir möglich – festzustellen, denn das einzige, was ich sonst noch in Eigenregie wechseln würde, sind Lampen und Zündkerzen. An Bremsen wage ich mich jedenfalls nicht heran – zuviel Fehlerpotenzial. Zudem muss ich auch eine Werkstatt finden. Glücklicherweise gibt es so genannte „Gör-det-själv-hallar“ (also „Mach-es-selbst-Hallen“), wo man die Werkstatt stundenweise anmieten kann. Manches Werkzeug gibt es da auch, so dass zumindest einem erfolgreichen Ölwechsel nichts im Wege stehen sollte. Sollte ich das Auto nach Schweden ummelden, folgt zu Anfang eine Art TÜV, bei dem dann ohnehin alles herauskommen wird. Das System ist aber recht gut durchdacht: jeder Autobesitzer bekommt einmal jährlich einen Termin beim schwedischen TÜV zugewiesen. Ist alles ok, bekommt man die neue Plakette. Wenn nicht, muss man es bei einer autorisierten Werkstatt reparieren lassen und bekommt dann die Plakette. Der schwedische Staat nimmt also Inspektionsfaulen zwangsweise etwas ab, denn so ist ein jährlicher Check garantiert.
  • Letzten Freitag war deutscher Stammtisch. Dort wurde etwas belustigt über die Inga-Lindström-Filmreihe im ZDF gesprochen. Christine hat sich neulich am Telefon auch darüber aufgeregt. Kurz gesagt, in Filmen wie „Sehnsucht nach Marielund“, „Im Sommerhaus“, „Sprung ins Glück“ und „Vickerby für immer“ werden Schwedenklischees meterdick aufgetragen und mit allerlei grob falschem vermischt. Zu den Mängeln kam mir bisher unter:
    • Schon in den Bildern ist offenkundig, dass dort wohl so gut wie alle in Häusern wohnen, die so ähnlich aussehen wie das von Michel aus Lönneberga.
    • Auf den Schäreninseln vor Stockholm wimmelt es laut den Filmen nur so von Elchen. Ich weiß zwar nicht, ob die Elche begeisterte Schwimmer sind, aber auf den doch meist sehr kleinen Schäreninseln ist mir noch nie einer begegnet. Das will aber für sich genommen noch nichts heißen, denn nach knapp 2 Jahren in diesem Land ist mir überhaupt noch nie ein Elch begegnet.
    • Fahrräder sind zu erstaunlichen Geschwindigkeiten fähig. Anscheinend kommen in den Filmen mehrere Szenen vor, wo jemand von den Schäreninseln ebenso mal schnell in einer Viertelstunde nach Sigtuna fährt. Da Sigtuna rund 50 km Luftlinie von den Schären entfernt liegt, kommt man da also grob geschätzt auf eine Geschwindigkeit von 200 km/h. Es geht aber erstaunlicher. Offenkundig liegt auch ein Ort namens Sundsvall nur 15 Minuten von den Schären entfernt. Das echte Sundsvall ist jedoch stolze 340 km von Stockholm entfernt. Allen Radfahrern in den Filmen ist daher dringend zu empfehlen, ihre Fahrräder zum Patent anzumelden und geeignete Schutzkleidung zu tragen.
    • Midsommarszenen wurden anscheinend im Winter gedreht, weswegen diverse Akteure offenbar ausgesprochen dick eingepackt waren für Ende Juni.

    Ich bin mir nicht so sicher, ob ich einen dieser Filme sehen möchte.

  • Interessante Meldung am Rande, die mich stark an eien Geschichte im SPIEGEL erinnert hat: Diplomaten zahlen ihre Strafzettel für Falschparken nicht. Das müssen sie auch nicht, denn sie sind ja immun. In der SPIEGEL-Geschichte ging es um einen interessanten Zusammenhang zwischen Strafzetteln und Korruption – zwei Wissenschaftler haben die Menge der unbezahlten Strafzettel von in New York stationierten Diplomaten untersucht und mit der Korruption im entsprechenden Land verglichen. Im dortigen Ranking sind zwischen den Listen wenige Ähnlichkeiten zu erkennen. Dies liegt aber daran, dass Tickets pro Diplomat gerechnet wurden. In absoluten Zahlen sieht die Sache schon ähnlicher aus: Russland führt in beiden Listen dann klar, und auch China bekleckert sich nicht mit Ruhm. Deutschland allerdings peinlicherweise auch nicht. Eine Methode der New Yorker war übrigens in den Berichten hier nicht zu lesen: Dort hat man einfach zur Bestrafung die Anzahl der vergebenen Diplomatenkennzeichen auf ein Minimum reduziert. Wer kein Auto hat, kann auch nicht falsch parken.
  • Hier ein Blog-Artikel über Prostitution. Ich habe mich ja hier zum Thema schon ein paar Mal ausgelassen. Kurz gesagt: in Schweden macht sich der Freier strafbar, die Prostituierte jedoch nicht. Der Autor scheint die Politik hierzulande gut zu finden – obwohl der Artikel durchaus die Problematik anspricht, dass die Straffreiheit der Werbung dazu führt, dass etwas versteckter im Internet um Freier geworben wird anstatt auf der Straße. Eine besonders seltsame Werbungsmethode ist das Bekleben von Ampelpfosten mit Telefonnummern und dem Wort „Massage“ oder auch „Erotische Massage“. Dann weiß jeder bescheid, und da Handynummern in Schweden im Gegensatz zu ziemlich allem anderen anonym sein können, fällt es leicht, Spuren zu verwischen. Der Artikel erweckt leider etwas den Eindruck, Prostitution ginge einfach unvermindet im Hinterzimmer weiter. Dem ist nicht so – wenn hier in Schweden einmal ein großes Bordell auffliegt, hat dieses weniger als 10 Angestellte. Im Vergleich zu den regelrechten Bordellburgen in anderen Teilen Europas ist das so gut wie nichts. Hinzu kommt, dass einfach auch sehr wenig geduldet wird. Keine Zeitungsanzeigen unter der nebulösen Überschrift „Kontakte“, kein Straßenstrich, keine roten Lampen – die Werbung erfolgt vergleichsweise versteckt und wird daher nur wenige anziehen. Die Abschaffung der Prostitution bleibt natürlich eine Utopie, aber man kommt ihr in Schweden schon recht nahe, denke ich.
  • Zum Abschluss etwas Amüsantes: Yvonne über einige seltsame Dinge hier in Schweden und die schwedische Alternative zum Sommerfest der Volksmusik

Weißbierfrühstück

Heute abend wurde ich doch bei Systembolaget tatsächlich nach dem Ausweis gefragt – zwar hängen die an den Ausgang prophylaktisch mehrsprachige Poster, die um Verständnis dafür bitten. Aber mal im Ernst: sehe ich aus wie 19?

Irgendwie passend dazu war dieser Bericht heute in SPIEGEL Online, der schön illustriert, welche aberwitzigen Auswüchse das schwedische System hat. Das Urteil vor kurzem dürfte die Situation noch verstärken. Auf einen Bierversand warte ich aber noch.

Jetzt habe ich zum Preis von 2 € pro Flasche Weizenbier erworben. Da steht dem Weißwurstfrühstück am Sonntag nur noch wenig entgegen. Die Brezeln backen wir selber und eingefrorene Weißwürste habe ich noch.

Update: hier noch eine kleine Geschichte zum Thema. Es ist wohl für schwedische Behörden nicht so leicht verständlich, dass Firmen in anderen Ländern nicht so leicht Daten nach Belieben herausgeben.

Restart

Nach 13 Tagen Ruhe hier wird es Zeit für ein kleines Update:

  • Ich habe meine Masterarbeit präsentiert. Es lief ganz gut, fand ich. Ich hatte nur 5 Besucher, aber das war auch zu erwarten. Einer machte sich die ganze Zeit Notizen, und ich erwartete, dass er mich am Schluss in die Pfanne hat. Dem war aber nicht so – es wurde eher ein Nostalgietrip darüber, wie man solche Messungen vor 40 Jahren durchführte.
  • Die Klausuren liefen nicht gut. Same old story.
  • Zwischenzeitlich hatte ich gute Hoffnungen, zusammen mit Anita eine Wohnung zu kriegen. Diese Hoffnung hat sich zerschlagen. Nun beobachten wir etwas den allgemeinen Wohnungsmarkt. Über das irrwitzige schwedische System und Parallelen zwischen Trabis und diesem System in Kürze mehr.
  • Ich habe mittlerweile schon eine Menge Busfahrstunden gehabt. So ein Bus ist schon verdammt lang – 12 Meter, um genau zu sein. Das bedeutet, dass man in Kurven sehr weit ausholen und rechtzeitig gegenlenken muss, damit man nicht gegen die Ecke fährt. Allgemein wirkt die Fahrspur auch sehr klein. Die Regel, dass man in einem Tempo-50-Bereich nach Möglichkeit auch 50 fahren soll, sofern es vertretbar ist, sollte man ignorieren. Tempo 30 in der Stadt geht vollkommen in Ordnung, weil mit Autos am Rand möchte man ungern heizen. Das Ganze läuft mittlerweile ganz gut, aber es müssen nun nur noch wenige Ecken daran glauben, und ich übe nun an dem wohl schwierigsten: Kreisverkehre. Sobald die Sachen einigermaßen im Griff sind, hoffe ich, dass es dann auch bald losgeht.
  • Mittsommer steht vor der Tür. Ab Freitag verbringen die allermeisten Schweden ihre Zeit damit, Schnaps und Milch zu trinken, Erdbeeren zu essen und um eine Art Maibaum herumzutanzen. Ich weiß noch nicht so recht, was ich machen werde. Es ist allerdings gut möglich, dass mir das Wetter die Entscheidung abnimmt. Es ist nämlich Regen angekündigt.
  • Ich habe den längst überfälligen Schritt vollzogen und mich aus Deutschland abgemeldet. Das heißt für mich nun, dass ich meine Erwerbseinkünfte aus Deutschland hier versteuern muss, womit ich sicherlich noch viel Freude haben werde. Der Anlass ist am ehesten, dass in Kürze mein Pass abläuft und ich nicht ewig in zwei Ländern gemeldet bleiben kann – anderen Länderm mag das egal sein, aber das deutsche Melderecht mag das gar nicht.
  • Etwas schade ist nur, dass ich im Herbst bei der Rastatter OB-Wahl nicht mitstimmen kann. Eigentlich betrifft es mich ja nicht mehr direkt, aber nach all den Ausfällen von Klaus-Eckhard Walker in den letzten Jahren hätte ich gerne aktiv abgewählt. Die Rastatter sind auch selbst schuld, wenn sie ihm für all die Geschichten noch einmal das Vertrauen aussprechen würden. Umso schockierter war ich, dass die Parteien anscheinend nicht beabsichtigen, Gegenkandidaten aufzustellen. Der CDU war es letztes Mal immerhin gelungen, mit ihrer recht schwachen Kandidatin Margret Mergen fast den Sieg einzufahre. Dieses Jahr sollte dies mit einem anständigen Kandidaten ein leichtes sein. Zum Glück ist ein Gegenkandidat in Sicht, der Interesse angemeldet hat.
  • Zur anderen Politik: Michael Moores neuer Film „Sicko“ geistert schon herum. Ich habe ihn einmal angeschaut. Es ist natürlich wie immer die gleiche Leier: böse Wirtschaftsbosse in den USA und deren Komplizen aus der Politik sind daran interessiert, ein System am Laufen zu halten, das ihnen selbst am meisten nützt. Das ganze wird gewürzt mit plakativen Einzelbeispielen – eines aus Moores Heimatstadt Flint im Staat Michigan – und etwas Bush-Bashing. Letzteres ist aber erfreulicherweise nur in einer stark abgeschwächten Form vorhanden. Eine Weiterentwicklung im filmischen Bereich ist jedoch kaum zu erkennen. Es wäre schön, wenn Moore auch einmal neue Konzepte ausprobieren würde. Sein Anliegen ist wie jedes Mal nicht abwegig: erhebliche Teile der amerikanischen Bevölkerung haben keine Krankenversicherung. Hinzu kommt, dass die Krankenhäuser auch für kleine Behandlungen Unsummen verlangen und die auf Gewinnmaximierung bedachten Krankenversicherungen gerne jede Leistung zweimal in Frage stellen, bevor sie bezahlt wird. Das muss sich ändern, sagt Moore, aber wie immer legt er keine Alternativkonzepte vor. Immerhin zeigt er Gegenbeispiele – wie in „Bowling for Columbine“ ist das Kanada, wo laut ihm alles besser sein soll. Das zweite Beispiel ist Großbritannien, wo der National Health Service für jeden kostenlos sorgt. Dass die Briten mit der kränkelnden Struktur des NHS massive Probleme haben, erwähnt er freilich nicht. Großbritannien erscheint als das Paradies der Sozialgesetzgebung, was für europäische Standards nur sehr bedingt zutrifft – ich erinnere nur an Rentner, die in ihren Häusern erfrieren, weil sie kein Geld für die Heizung haben. Das dritte Beispiel ist Frankreich, was auch eine volle Salve Lob abbekommt. Auch hier gibt es schöne Sozialparadiesaufnahmen, auf die ghettoartige Bilder aus den USA folgen. Ein paar Bilder aus den Banlieus hätte das Bild durchaus abgerundet. Mit dem vierten und letzten Beispiel hat sich Moore meiner Meinung aber zu weit aus dem Fenster gelehnt: Kuba. Michale Moore hat dafür zwar einen wunderschönen Aufhänger gefunden, aber der Rest des Teils macht ihn zunichte. Er hat nämlich herausgefunden, dass die US-Basis auf Guantanamo Bay – für alle, die es nicht wissen: das liegt auf Kuba und ist von den USA durch einen exzellenten Knebelvertrag bis in alle Ewigkeit gemietet – kostenlose medizinische Versorgung für alle Gefangenen auf hohem Niveau hat. Also charterte er ein Boot und wollte von Florida aus mit Kranken, die sich keinen Arztbesuch leisten können, dorthin fahren. Was daraus wird, ist nicht zu sehen, da es, wie es im Film heißt, durch Vorschriften im Heimatschutzgesetz der USA nicht erlaubt, dies zu zeigen. Man kann es sich denken: die Küstenwache fängt ihn ein, bevor er in kubanische Gewässer fährt. Stattdessen fliegt er wohl mit einigen Kranken nach Kuba und chartert dort wiederum ein Boot. Wenig überraschend erhält er keine Antwort. Und weil er da ja schon einmal in Kuba war, kann man gleich dort schauen, wie es um die Gesundheitsversorgung steht. Eigentlich eine nette Überleitung. Meines Wissens ist das kubanische Gesundheitssystem tatsächlich richtig gut. Mit einer „Es ist ja nicht alles schlecht“-Attitüde kann man aber auch die DDR nachträglich zum Paradies auf Erden machen, was sie erwiesenermaßen nunmal nicht war. Also zeigt er keine Bilder von ärmlichen Verhältnissen, gleichgeschalteter Presse und polizeilicher Repression. Stattdessen fährt er in ein Krankenhaus, wo man die Kranken – schätzungsweise nach kurzer Rücksprache mit dem entsprechenden Ministerium – kostenlos und herzerweichend freundlich behandelt.So täuschen die Computertomographie-Geräte schön darüber hinweg, dass nicht alles in Kuba toll ist. Ausgerechnet den US-Erzfeind Kuba zum netten Diktatürchen zu verniedlichen und die dortige Gesundheitsversorgung anzupreisen, wird sogar die eher liberalen Zuschauer in den USA vergrätzen. Das zeigt leider zu deutlich, was Moores Botschaft ist: wir machen es schlecht, und nahezu alle anderen machen es besser. Kuba als Gegenbeispiel darzustellen zeigt nur zu deutlich, wie oberflächlich Moore in der Sache ist. Hätte er besser mit den Briten abgeschlossen – die stehen den USA in vielen Dingen nahe und könnten ein schönes Gegenmodell abgeben. Dennoch muss ich sagen, dass der Film bei mir besser wegkommt als „Fahrenheit 9/11“. Weniger Pathos, weniger herumheulende Leute, obwohl das Thema und die dahinter liegenden Geschichten nicht sehr erbaulich sind. Moore sollte sich nach diesem Film aber einmal etwas Neues überlegen, denn mit dieser Art Film wird er nicht auf ewig volle Kinosäle haben.
  • Zweiter Film des Tages: „Befreiung“, ein Fünfteiler aus der Sowjetunion, der die zweite Hälfte des Zweiten Weltkriegs darstellt. Neben exzellenten Darstellern für Stalin, Hitler, Churchill und Roosevelt hat er auch eine detailgetreue und dennoch propagandistisch hingebogene Version der Ereignisse zu bieten. So ist Graf von Stauffenberg laut dem Film zwar kein Kommunist, aber hält diese für den Wiederaufbau von Deutschland für notwendig – die in den Mund gelegte Aussage kann natürlich nie widerlegt werden. Die „Anglo-Amerikaner“, wie sie nach offizieller DDR-Sprache hießen, haben ohnehin nur Probleme, während Stalin als schlauer Fuchs genau weiß, was abläuft, und den Krieg praktisch alleine gewinnt. Die Franzosen werden als Weiberhelden dargestellt, die die hübschen Sekretärinnen der Sowjets angraben. Rotarmisten, die nicht heldenmütig sind, finden sich nur vereinzelt und werden zur Strafe entweder erschossen oder degradiert. Als sie dann nach Berlin einmarschieren, versuchen sie auch sogleich, die deutsche Bevölkerung mit Wodka und netten Phrasen aus dem Wörterbuch für sich zu gewinnen. Immerhin wurde die Reaktion der Deutschen als skeptisch zurückhaltend dargestellt, damit die Tatsachen nicht vollkommen verzerrt sind. Alles in allem sehr sehenswert und mit gewaltigem Aufwand gemacht.

Das schönste Land in Deutschlands Gau’n

Badisches Wappen

Nicht nur, dass ich morgen einmal wieder meine badische Heimat wiedersehen werde. Nein, es sind geradezu glänzende Zeiten für Baden. Der KSC ist aufgestiegen, der SC Freiburg kann es eventuell noch. Die Arbeitslosigkeit ist niedrig und die Sonne scheint.

Da kommen ein paar Schwaben und faseln etwas von einem „Aufbruch nach vorn“. Heldenhafte Mannheimer haben nämlich dagegen protestiert, dass nach dem Verkauf von Chrysler die Nachfolgegesellschaft nur noch „Daimler AG“ heißen soll. Als Badener kann man das nicht ohne weiteres hinnehmen – im Geiste der internationalen Zusammenarbeiten konnt man den Namen DaimlerChrysler ja noch akzeptieren, obwohl damit der Name Benz – geboren in Karlsruhe und aktiv in Mannheim – damit unter den Tisch fiel. Nun nach dem Auseinanderbrechen der Welt-AG sollte er wieder zurückkehren. Immerhin leben ja noch einige von denen, die den Namen Daimler-Benz als solide Marke kannten, auch wenn der Konzern schon damals ab und zu in Turbulenzen geriet.
Mal im Ernst: „Daimler AG“ ist eine seltsame Wortschöpfung ohne Not – als würde der Verzicht auf Rückkehr zum alten Namen andeuten, die Chrysler-Fusion sei kein Fehlschlag gewesen. Das verleugnen kann man ohnehin nicht. Zudem ist der Konzern eine baden-württembergische Institution, so dass beide Landesteile auch vertreten sein sollten – immerhin sind einige große Produktionsstätten in Baden. Das mag anderswo belustigend wirken, aber das zeugt eher von dem Unverständnis der baden-württembergischen Verhältnisse.
Die Identifikation mit dem Landesteil ist eine wichtige Komponente der badischen wie der württembergischen Seele. Geschadet hat es dem Land nicht, und ganz vergessen wird man es in Baden auch nicht, dass wir 1956 quasi feindlich übernommen wurden. Das macht das Verhältnis und die vermeintliche Unterschiedlichkeit nun einmal gerade so interessant.

Darum sage ich auch „Danke Mannheim!“ – auch ich hatte mich spontan an dem Namen gestört.

Übrigens: rund 88% der SPIEGEL-Leser sehen das auch so.