Happy Birthday

Da sich die Medien schon Tage im Voraus auf den 10. Geburtstag der Online-Enzyklopädie Wikipedia stürzten, will ich hier keine große Lobeshymnen mehr schreiben. Zumal ich selbst mitarbeite bei diesem Werk, dem feste Daten eigentlich eher fremd sind, denn jede Sekunde wird dort etwas verändert.

Daher verweise ich auch gerne auf dieses tolle Spielzeug, das immer anzeigt, was gerade so geändert wird in der deutschen Wikipedia:

In diesem Sinne: Alles Gute und auf weitere zehn Jahre!

Zur Geburtstagsparty werde ich aber leider nicht kommen – ich weile in einer Stadt, wo es keine solche gibt.

Börks

Ich schaue mir gerade heldenmutig den am 5. Dezember im ZDF gelaufenen Film „Inga Lindström – Millionäre küsst man nicht“

Die ersten 10 Minuten enthielten: ein schnöseliger Millionär mit einem gescheiterten Unternehmer als Butler wird heute heiraten. Währenddessen hat die zukünftige Braut einen Streit mit ihrer Mutter, die eine alternativ angehauchte Malerin (mit schickem Häuschen, versteht sich) ist und den turbokapitalistischen Bald-Schwiegersohn noch gar nicht kennt, aber wenig von ihm hält. Die Braut ist auf dem Weg ins Brautmodengeschäft, als sie einen Mann mit Karohemd anfährt, der glücklicherweise unverletzt bleibt. Sie kennt ihn offenbar.

Den Rest der Geschichte (frei von der Leber weg geraten): sie verknallt sich in den Karomann, zweifelt an ihrem Neuehemann, und am Ende schnappt sich die beste Freundin der Braut, die gerade vorkam, den schicken Millionär. Ende.

Ich werde mal austesten, ob ich recht habe. Börks ist übrigens kein schwedisches Wort, könnte aber eines bei Inga Lindström und beschreibt den Laut, den ich machen möchte, wenn ich an das intellektuelle Niveau dieses Schunds denke.

Bester Satz:
1. „Tut mir leid, dass ich dich überfahren hab.“
2. „Was fällt ihnen ein, in meine Beziehung hereinzuplatzen?“

Unglaubwürdigste Szene: der ganze Film, aber v.a.:
1. Die Szene, als die Mutter der Braut den Bräutigam bei einem Geschäftstermin kennenlernt. Anscheinend weiß sie zwar, dass ihr Schwiegersohn in spe Tubrokapitalist ist, aber seinen Namen scheint sie nicht zu kennen.
2. Als die Braut zu ihrem Ex aufs Boot kommt und er ganz begeistert ist, nachdem er ihr kurz vorher gesagt hat, sie solle ihn in Ruhe lassen.

Unglaubwürdigster Charakter: Carin C. Tietze als die Mutter der Braut, der man beim besten Willen nicht abkaufen kann, dass sie eine linksalternative Künstlerin sein soll. Dazu sind aber auch ihre Dialoge zu platt.

Unwahrscheinlichste Szene: der Bräutigam trifft die Schwiegermutter zunächst, als er den vergessenen Brautstrauß abholen will, und dann wieder, als er nackt an einem verlassenen Strand schwimmen geht. Und später nochmal bei einem Geschäftstermin.

Bemerkenswerter Dialog:
Frau: „Sind sie…..“ (stockt)
Mann: „Ihrer Frage fehlt noch ein Adjektiv.“
Frau: „… verletzt.“
Gute Nacht Grammatik. Ich kaufe ein ä und will lösen: Prädikat wäre der richtige Begriff gewesen, von mir aus auch Verb.

Fazit: Anscheinend ist Frau Sadlo gerade auf dem Ende ihres Hochzeits-Trips und hat irgendwo was über Kunstgeschichte und die Ungerechtigkeit in der Welt gelesen. Die Geschichte ist natürlich (wie immer) vollkommen hanebüchen. Ich hatte teilweise recht, denn die Braut (Lina) kriegt natürlich den Karomann (Max), der dafür aber seine Verlobte in den Wind schießt. Die ist damit aber in dem Fall die einzige Unglückliche, denn die Mutter der Braut kommt mit dem Ex-Bräutigams-Millionär zusammen. Und die beste Freundin der Protagonistin ist nun doch mit einem anderen liiert. Das Ganze ist immerhin erträglicher als das letzte Mal, zumal die Geschichte soweit von Schweden losgelöst ist, was das Land zwar wieder mal zu einer Naturkulisse erniedrigt, aber immerhin die Zuschauer nicht permanent für blöd verkauft.

Es fährt ein Zug nach Göteborg

Ich kann mich noch sehr genau an den Tag erinnern, als ich das erste Mal in Göteborg war. Es war der letzte Mittwoch.

Meine innerschwedische Reiseaktivität ist nicht sonderlich hoch, auch weil Schweden als Reiseziel nicht mehr ganz so spannend ist, wenn man einmal hier wohnt. So hat es z.B. für Malmö, Sundsvall, Söderköping, Valdemarsvik und Lund gereicht, aber nie für Schwedens zweitgrößte Stadt.

Da traf es sich gut, dass ein Länderspiel anstand. Ein Freundschaftsspiel nur, aber man kann es sich nicht aussuchen oder warten, bis das Losglück Schweden und Deutschland bei irgendeiner Qualifikation in dieselbe Gruppe platziert.

Der Plan: nachmittags mit dem X2000 nach Göteborg, zum Spiel ins Ullevi-Stadion, Übernachtung in der Jugendherberge und früh morgens wieder zurück. Angesichts der Tageslichtverhältnisse um diese Jahreszeit und dieses knappen Zeitbudgets haben wir also nicht viel von Göteborg gesehen. Auch das Spiel war nicht übermäßig spannend.

Zwar war es nicht ganz so langweilig, wie einem das vor dem Fernseher erschienen sein muss, aber ein 0:0 ist per Definition nur beschränkt begeisterungsfähig. Die Schweden hatten sich auch so defensiv aufgestellt, dass da nicht viel passieren konnte. So scheiterten unsere Jungs an der gefühlt 15-köpfigen schwedischen Abwehr und die Schweden an dem eigenen Unvermögen. Dagens Nyheter war auch wenig begeistert und schreibt von „tapferen Zuschauern“ und einem schwedischen Rekord, bei einem Heimspiel in 90 Minuten kein einziges Mal aufs Tor geschossen zu haben.

Wir hatten trotzdem unseren Spaß. Im Gegensatz zum WM-Qualifikationsspiel gegen Albanien froren wir uns dieses Mal wenigstens nicht den Hintern ab. Ein neuerliches Anschauen des Spiels im Fernsehen mit einem eventuellen Kurzfernsehauftritt meinerseits (man weiß ja nie) habe ich aber unterlassen. So spannend war es nun wirklich nicht.

Trotzdem schön war die Anmerkung des Fernsehkommentars, die Schweden brächten es sogar fertig, Nationalhymnen weihnachtlich klingen zu lassen. Diese wurden nämlich von einem Chor vornehmlich blonder Frauen vorgetragen. Man muss schließlich Klischees bedienen.

Vorweihnachtlich war es in Göteborg aber in der Tat. Vielleicht ist es mir in Stockholm einfach nicht so aufgefallen, aber Weihnachtsdekoration war in Göteborg schon sehr präsent. Viel mehr habe ich von der Stadt freilich nicht gesehen – das muss ich auf ein anderes Mal verschieben.

Zeichen und Wunder

Totgesagte leben länger: die "neue" Strecke Karlsruhe-Stockholm bei Ryanair

Vor gut 2 Monaten beklagte ich an dieser Stelle die Einstellung der Linie Karlsruhe-Stockholm nach Ryanair. Laut Flughafen war nicht damit zu rechnen, dass die Strecke zurückkommt.

Umso bemerkenswerter, dass dies nun doch geschieht. Vor einigen Tagen entdeckte ich, dass die Verbindung unter „Neue Strecken“ verzeichnet ist mit Start ab dem 28. März 2011. Und gestern konnte man die Strecke erstmals buchen. So wird ein Auslaufmodell zu einem Newcomer.

Allerdings gilt weiterhin, dass nur freitags und montags geflogen wird. Die Preise sind auch nicht gerade niedrig – selbst wenn man die neuen 8 € Flugsteuer wegrechnet, sind die angepriesenen 20 € schon ein gutes Stück über dem, was Ryanair ursprünglich anpries. Außerdem ist dies zur Stunde gar nicht erhältlich. Sämtliche Flugpreise von Ende März bis Juli betragen entweder 26,99€ oder 36,99€.

Wobei das noch geschönt ist – nein, nicht wegen irgendwelcher obskurer Zusatzgebühren. Zwar kommen die 5€ Check-In-Gebühr zu, aber der 26,99€-Preis kommt teurer als der 36,99€-Preis. Wie das geht? Ganz einfach: zum billigeren Preis kommen noch Steuern hinzu, und diese betragen jeweils gut 25€. Somit kostet ein Flug, bei dem beide Strecken vorgeblich mit 26,99€ zu Buche schlagen, stolze 116,18€ – inkl. Check-In-Gebühr, aber exklusive Gepäckgebühren und „Bearbeitungsgebühr“. Der Flug kostet am Ende also mal schnell 140€. Für kaum mehr Geld bringt einen die Lufthansa zu jedem Punkt Deutschlands.

Der Endpreis bei Flügen für 36,99 € ist erheblich niedriger. Da landet man bei 83,98 € für beide Strecken, was schon eher attraktiv ist. Der vermeintlich teurere Flug ist also in Wirklichkeit rund 30€ billiger. Das Ganze belegt eindrücklich die vollkommene Unsinnigkeit der Preisgestaltung von Ryanair.

Nichtsdestotrotz bin ich ganz froh über die wiedererstandene Verbindung, auch wenn es erstmal dabei bleibt: echt billig werden Reisen in die alte Heimat nicht mehr.

Es fährt ein Zug im Wendland…

Schon gehört? Derzeit fährt ein Zug mit Castorbehältern durchs Wendland.

Die Frage ist rhetorisch. Natürlich weiß man davon. Es ist schließlich überall in den Medien. Ich frage mich, wieso eigentlich. Was macht den Transport so besonders, dass man sogar per Live-Ticker über jeden Meter, den dieser Zug zurücklegt, berichten muss? Na gut, die Proteste fielen dieses Mal ungewöhnlich groß aus, was auch nicht wirklich verwunderlich ist. Aber: diese Castor-Transporte kommen wie Olympia immer wieder – nur dort ist wenigstens der Ausgang unklar.

Castor-Transporte funktionieren aber wie G8-Proteste: die Polizei kommt, die Gegner kommen. Es kommt zu Zusammenstößen. Die Polizei sagt (per Pressekonferenz), die Demonstranten sind schuld. Die Demonstranten sagen (per Pressekonferenz), die Polizei ist schuld. Das Event läuft bis zum Ende durch mit Verletzten, Verhaftungen und einigen Prozessen. Der Zug kommt ans Ziel, der Gipfel findet statt. Am Ende gehen alle nach Hause.

Um beim nächsten Mal wiederzukommen.

Ich bin offen gestanden genervt davon, dass dieses sinnlose Protest-Schmierentheater immer wieder gespielt wird. Das vor allem deswegen, weil an dem Ganzen nichts konstruktives ist. Welchen Sinn hat es, diesen Zug aufzuhalten? Haben die Leute, die dies tun wollen, etwa einen besseren Plan? Es geht hier nur darum, gegen etwas zu sein, aber nicht für irgendetwas. Selbst wenn man morgen alle Kernkraftwerke abschalten würde, so säßen wir immer noch auf dem Abfall. Wo gibt es denn nach deren Ansicht eine angemessene Lagerungsmöglichkeit? Würde man den Müll mit einer Rakete in die Sonne schießen – nebenbei bemerkt die einzige wirklich dauerhafte Lösung für das Zeug – dann würden sie sich an ihr festketten. Der Plan, die Nutzung der Kernkraft durch das Aufhalten von Transporten zu stoppen, ist so oft fehlgeschlagen, dass wohl niemand ernsthaft daran glauben kann.

Darum geht es aber vielen anscheinend gar nicht. Protestieren um des Protestierens Willen – das ist wohl eher das, was sich bei Gorleben abgespielt hat. Ich kaufe zumindest bestimmten Leuten nicht ab, dass es hier wirklich um eine bessere Welt gehen soll.

Ich halte deswegen auch den so gerne gezogenen Vergleich mit Stuttgart 21 für verfehlt. In der baden-württembergischen Landeshauptstadt wird aus der Mitte der Gesellschaft heraus demonstriert gegen ein Projekt, das weite Teile der Bevölkerung für falsch oder zumindest für finanziell überzogen halten, und gegen eine politische Klasse, die versucht hat, es selbstherrlich durchzudrücken. Der Protest dort bietet aber eine Alternative, ein Gegenkonzept. Dies ist eine ganz eigene Qualität, die durch die Gleichsetzung mit allem, wogegen viele demonstrieren, verwässert wird.

Mich würde nicht wundern, wenn diejenigen, die sich mit soviel Begeisterung vor diesen Transport werfen, zuhause kein Problem damit haben, Atomstrom zu nutzen. Die großen Stromanbieter machen wohl gerne etwas mehr Geld locker für den Castor – zumal der Polizeieinsatz wahrscheinlich vom Steuerzahler getragen wird. Weniger gefallen dürfte ihnen aber, wenn die Kunden zur Konkurrenz gehen. Oder vielleicht sogar Parteien wählen, die nicht im Hinterzimmer auf Basis von maßgeschneiderten Gutachten eine Laufzeitverlängerung aushandeln.

Damit wäre mehr getan als auf Kosten der Allgemeinheit diesen Zirkus zu veranstalten.

Wenn Journalisten langweilig wird

Was macht man, wenn eine neue Staffel einer Sendung anläuft, die sich erhebliche Verdienste für den Untergang des Abendlandes erworben hat?
Genau: man versucht zu erklären, wieso die Menschen diesen Unsinn sehen wollen.

Mal lustig

Der SPIEGEL verrät, warum 'Bauer sucht Frau' so viel Erfolg hat; Ausriss: spiegel.de

mal weniger

Der Stern verrät, warum 'Bauer sucht Frau' so viel Erfolg hat; Ausriss: stern.de

Ähnlichkeiten sind sicher Zufall.

Betrug mit deutschen Autokennzeichen in Schweden

Ungültige Kennzeichen im schwedischen Straßenverkehr

Der größte Lump im ganzen Land ist bekanntermaßen der Denunziant. Dementsprechend habe ich mir überlegt, ob ich überhaupt etwas schreiben soll, aber es dreht sich nicht gerade um ein Kavaliersdelikt. Ich habe es auch mal der Zeitung gesteckt, damit sie der Sache nachgeht, aber die scheint nicht interessiert.

Ich bin es aber, denn was man oben sieht, geschieht mit System und ist nicht nur ein Fall von Steuerhinterziehung und Versicherungsbetrug, sondern auch eine potenzielle Gefährdung des Straßenverkehrs. Das wirklich Schlimme ist aber, dass dieses Auto mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in keiner Polizeikontrolle gestoppt würde. Diese laufen in Schweden nämlich immer gleich ab: Führerscheinkontrolle, Alkoholkontrolle, und während das abläuft, schaut der Kollege im Auto nach, ob das Auto gestohlen gemeldet wurde.

Bei dem oben gezeigten Auto ist das aber wohl nicht so, denn es war nie angemeldet und kann daher kaum auffallen. Die Stelle, wo die Registrierungsplakette sitzen müsste, ist noch komplett jungfräulich. Mit anderen Worten: das Kennzeichen wurde offenkundig allein zum Zweck beschafft, damit illegal in Schweden herumzufahren.

Nun wäre das nicht schlimm, wenn es ein Einzelfall wäre. In den 5 Jahren hier sind mir immer wieder Autos mit ungültigen deutschen Kennzeichen aufgefallen. Meistens standen sie aber vor einem Autohändler herum, an dem ich jeden Tag vorbeikomme. Wenn die mit ihren entstempelten Schildern mal ein paar Meter bewegt werden – geschenkt. Aber im letzten halben Jahr habe ich mehrfache Fälle wie den oben abgebildeten gesehen, die sich ganz normal im Straßenverkehr bewegten.

Das lässt nur den Schluss zu, dass dahinter eine Menge krimineller Energie steckt. Die Polizei tut anscheinend nichts dagegen, oder kann vielmehr nichts tun, weil sie die ungültigen Schilder erst gar nicht erkennt. Ich kann nur hoffen, dass diese Autos nicht in Unfälle verwickelt sind.

Und es gibt sie doch…

Feinstaubplakette auf einem schwedischen Auto

Der überragende Erfolg der deutschen Feinstaubplakette hat nun auch Schweden erreicht. Ganz korrekt hat der Besitzer dieses Fahrzeugs eine solche erworben, um die Umweltzonen deutscher Städte vollkommen legal befahren zu dürfen. Millionen Schweden werden ihm bestimmt folgen.

In Schweden hat man sich so etwas wie die Plakette noch nicht ausgedacht. Dafür ist aber in Teilen einiger Städte die Verwendung von Spikereifen verboten. Ich nehme an, das Verbot funktioniert ähnlich gut wie die Plakette.

Meine 5 Cent zu Stuttgart 21

Ich sage ganz offen: mir ist Stuttgart 21 egal.

Es ist ein tolles Projekt, aber irrsinnig teuer. Man kann es machen, aber es bleibt jedem selbst überlassen, zu beurteilen, ob sich das Geschäft lohnt.
Das Ganze riecht nach der Art Größenwahnsinn, die auch die Bayern beseelt hat, als sie den Transrapid in München haben wollten. Wenn man schon hinnehmen muss, dass Nauru ein souveräner Staat ist und man selbst nicht. Dass Berlin weit weg ist und man von dem Rest der Republik als putzig-bieder belächelt wird. Dann muss man eben auf anderem Gebiet zeigen, dass man in Wirklichkeit der Größte ist.

Die Gegner wurden erst dann laut, als die Bagger schon rollten. Dabei hätten zahlreiche Bedenken wie die Gefährdung der Heilwasserquellen und die vermeintlich mangelnde Kapazität des neuen Bahnhofs schon vor Jahren geäußert werden können. Man kann es nicht nur auf die Finanzen schieben, die nun aus scheinbar heiterem Himmel aus dem Ruder liefen. Die Befürworter haben sich aber auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert durch die Ignoranz, mit der man dies alles nun durchpeitschen will.

Ich habe gestern mit an Entsetzen grenzenden Erstaunen die Räumungsaktion bei Twitter und entsprechenden Livestreams verfolgt. Auf die dort oft verwendete Hausbesetzerargumentation lasse ich mich nicht ein. Ein Projekt ist nicht erst dann demokratisch legitimiert, bis man auch den letzten Sitzblockadler überzeugt hat, aufzustehen. Demokratie ist nicht, dass der Wille des Einzelnen geschieht, sondern der der Mehrheit. Rechtstaat ist nicht, dass es immer gerecht zugeht, sondern dass ein Staat sich an die Spielregeln hält.

Wie Baden-Württemberg regiert wird

Deswegen gilt meine Kritik auch nicht der Polizei, sondern denen, die dies angeordnet haben, denn über die sagt der ganze Vorgang sehr viel aus. Nämlich, dass Baden-Württemberg von einer Gruppe selbstgefälliger Politiker regiert wird, die glaubt, sie hätte die Macht gepachtet.

Die CDU passt in ihrer Biederkeit erschreckend gut zum Ländle, und so regiert sie seit 1953 ununterbrochen. Das Ergebnis ist, dass jeder, der politisch etwas auf dem Kasten hat, früher oder später nach Berlin geht. In Stuttgart bleiben übermäßig wohl genährte Politbürokraten zurück, die nicht einmal den Anschein erwecken wollen, sie seien einst wegen idealistischer Ziele zur Politik gekommen. Ob Teufel, Oettinger oder Mappus: sie würden es in den USA nichtmal zum Kleinstadtbürgermeister bringen.

In BaWü saßen bzw. sitzen sie aber fest im Sattel, denn das Volk wählt „ihre“ CDU aus Gewohnheit immer wieder. Die Situation ist derart deprimierend, dass bei SPD und Grünen die Talente auch nach Berlin geflohen sind und sich im Landtag die gleiche Sorte provinzieller Langeweile als immerwährende Opposition eingerichtet hat.

Wenn man wie Stefan Mappus 25 Jahre lang erlebt hat, dass eigentlich immer das gemacht wird, was CDU (und ggf. FDP) untereinander ausgekungelt haben, dann ist das absolute Unverständnis über die aktuelle Entwicklung kein Wunder. So etwas hat man in diesen Kreisen noch nicht erlebt und man ist auch nicht darauf vorbereitet.

Desillusionierte Jugend

Der eklatante Mangel an Feingespür wird tiefe Spuren hinterlassen, denn nun hat auch das konservative CDU-freundliche Milieu gemerkt, dass es der Partei und v.a. ihrer Führung ziemlich egal ist, was die Leute über ihre Vorhaben denken. Wäre es anders, hätte man gewusst, dass das Vertreiben weitgehend friedlicher Demonstranten – zu guten Teilen Kinder und Jugendliche – unter Einsatz solcher Mittel nur kontraproduktiv sein kann.

Wie haben diese Leute sich das vorgestellt? Unsummen in Polizei und Sicherheitsdienste stecken, um zehn Jahre lang unter Hochsicherheitsbedingungen zu bauen?

Die derzeitigen Ereignisse haben und werden tiefe Wunden reißen, die lange nicht verheilen werden. Man schafft sich eine Zeitbombe, indem man jungen idealistischen Menschen vermittelt, dass ihre Meinung nichts zählt und sie das im Fall der Fälle auch mit Gewalt zu spüren bekommen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie nach Hause gekommen sind mit dem Gefühl, in einer Demokratie zu leben. Sie tun es trotz allem – aber werden sie sich künftig an ihr beteiligen?

Die Landesregierung hat mit ihrem Vorgehen offenbart, wie es wirklich steht um die Landespolitik im Ländle. Ich hoffe, die Wähler werden am 27. März dafür die Quittung präsentieren.