Von Zensurursala und den Schwächen der Polemik

Vieles ist in der Blogosphäre über die Internetsperren in Deutschland geschrieben worden. Dementsprechend möchte ich nicht mehr die schon geschlagene Schlacht schlagen, aber vielleicht etwas einen schwedischen Blickwinkel einfließen lassen. Hierzulande gibt es nämlich solche Sperren schon seit einigen Jahren. Aus meiner Sicht bringen sich nichts, aber schaden auch nicht – da ersteres weit schwerer wiegt, sollte man sie abschaffen.

Ein Argument der Sperrengegner ist ja, dass die meisten gesperrten Seiten im Ausland gar keine Kinderpornographie enthielten – ja dass sogar politisch missliebiges gesperrt werde. Hier ist beispielsweise die Liste aus Finnland, und die enthält in der Tat kaum nachweisliche Kinderpornographie. Jedoch vergessen die Gegner dabei eines vollkommen: nur weil dort heute keine Kinderpornographie zu sehen ist, heißt das noch lange nicht, dass dies zum Zeitpunkt der Sperrung auch so war. Zudem unterstellen sie hier indirekt, dass man Kinderpornographie und „normale“ Pornographie klar unterscheiden könne. Dies ist jedoch nicht der Fall, denn das Alter einer Person lässt sich an einer Abbildung nicht eindeutig ersehen – was besonders ein Problem darstellt, wenn eine Branche von der pornographischen Darstellung junger Frauen als unschuldigen Mädchen lebt. Die Grenzen sind hierbei fließend, insbesondere bei den Massen amateurhaft produzierten Materials.
Die finnische Liste mag also derzeit 84% „normale“ Pornographie enthalten, was aber nicht automatisch heißt, dass dies immer so war. Die Behauptung, es sei ein Beweis dafür, dass man willkürlich Seiten sperre, ist auf dieser Datenbasis zumindest irreführend. Zudem ist die Hauptbefürchtung nicht bewiesen, denn politisch brisantes Material konnte ich auf der Liste nicht finden. Aber: es illustriert, dass ein solches System ohne sehr häufige Kontrollen der Listen nicht akkurat sperren kann. Wenn wie in Deutschland nur alle 3 Monate eine vom Bundesdatenschutzbeauftragten eingesetztes Expertengremium über die Listen urteilt, wird es so sein, dass zahlreiche Seiten ungerechtfertigt über Wochen und Monate gesperrt sind. Das ganze Verfahren steht bedenklich außerhalb der rechtsstaatlichen Strukturen.

In diesem Zeit-Streitgespräch sagt Ursula von der Leyen:

Aus den skandinavischen Ländern wissen wir, dass in Norwegen am Tag rund 15.000 Klicks auf diese Seiten geblockt werden; in Schweden sind es rund 50.000 Klicks. Ich glaube, es ist eine müßige Diskussion, hier zu behaupten, es gäbe keinen Bedarf, Kinderpornografie im Internet zu bekämpfen.

Sie unterstellt also diesen 50.000 schwedischen Klickern, dass sie in die Sperre geraten sind, weil sie auf der Suche nach Kinderpornographie waren. Da ein erheblicher Anteil der gesperrten Seiten solche Inhalte „regulär“ nicht verbreitet, ist eher anzunehmen, dass die Suchenden nicht auf Kinderpornographie aus waren. „Normale“ Pornographie dürfte unverändert zu den gefragtesten Internetangeboten überhaupt gehören, und dass sich dann ein paar zehntausend Klicks auf solche zu Unrecht gesperrten Seiten verirren, dann ist das noch kein Beweis dafür, dass genauso viele Leute nach Kinderpornographie suchen. Außerdem hat dieses Argument etwas davon, dass man Straßen verbieten sollte, weil darauf jemand nach Drogendealern suchen könnte.

Man kann nur hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht die ganze Sache gerade rückt.

Etwas angewidert bin ich von Jörg Tauss (hier der Anlass dieser Anmerkung). Er hat in vielem ja recht, sehr recht sogar. In der Tat ist der Internetverständnis der Abgeordneten doch eher gering. An den Reaktionen auf Onlinepetitionen kann man sehen, dass die Politik vielfach glaubt, solche Partizipationsmöglichkeiten seien bestenfalls noch ein Anlass mehr, dass man dem Bürger die eigene Position erklären, aber sie nicht ändern muss.

Aber seien wir mal realistisch: Jörg Tauss ist ein gefallener Polit-Star. Seinen bombensicheren Listenplatz für die Bundestagswahl ist er los, seit in seinem Computer Kinderpornos gefunden wurden – was er auch zugegeben hat. Der Mann hätte dem nächsten Bundestag ohnehin nicht mehr angehört und hat nichts mehr zu verlieren. Er kann sich nun als Politiker mit Rückgrat präsentieren, der aus Geradlinigkeit seinen Hut genommen hat. Die Linie war vorher aber schon so gerade Richtung politisches Aus gerichtet, dass die ganze Veranstaltung als Heuchelei daherkommt, die ihm manche abkaufen mögen – ich nicht. Die anderen Abgeordneten der Koalition, die dagegen gestimmt haben, ziehen deswegen keine solche Show ab. Sie verdienen genauso viel Respekt für ihre Entscheidung, werden aber bei so einer Schmierenkomödie nicht wahrgenommen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.