Budgetpromenaden

Eine interessante politische Tradition in Schweden ist Budgetpromenaden, der „Haushaltsspaziergang“. Jedes Mal, wenn die amtierende Regierung ihren Haushalt vorliegt, geht der Finanzminister vom Finanzministerium aus die Drottninggatan hinunter zum Reichstag. Meist ist es ein Bündel Papiere, das hübsch mit einer blau-gelben Schleife zusammengebunden ist. In der Vergangenheit gab man sich modern mit CD-ROM oder USB-Sticks statt Papier. Ab 2006 kehrte die damals neue bürgerliche Regierung zum Papier zurück.

Die neue Finanzministerin Magdalena Andersson von den Sozialdemokraten scheint dabei geblieben zu sein, als sie heute ihren ersten Spaziergang unternahm:

Ungewöhnlich war eher, dass es sehr eng zu ging und anscheinend auch ein Fotograf zu Boden fiel.

Ich glaube allerdings nicht, dass das mit der Spannung zu tun hat, die mit diesem Haushalt verbunden ist. Er ist nicht nur der erste der neuen Regierung. Er wurde auch von der Linkspartei mit abgesegnet, obwohl diese nicht an der Regierung beteiligt ist. Die drei Parteien (Sozialdemokraten, Umweltpartei die Grünen, Linkspartei) sind jedoch weit von einer eigenen Mehrheit entfernt.

Die braucht man in Schweden streng genommen auch nicht unbedingt. Es genügt, wenn es keinen anderen Vorschlag gibt, für den mehr stimmen. Sollten die rechtspopulistischen Schwedendemokraten also einen gemeinsamen Oppositionsvorschlag unterstützen, hätte die Regierung also ein Problem. Genauer gesagt wäre sie dann erledigt, und es käme schon im Dezember zu Neuwahlen.

Das erscheint nicht übermäßig wahrscheinlich. Auch haben sich in den letzten Tagen schon erste Risse in der vormaligen Regierungskoalitionen aufgetan, als der ehemalige Bildungsminister Jan Björklund von der liberalen Volkspartei den Schwarzen Peter für die Niederlage der vorigen Regierung gleich mal dem größten Koalitionspartner, den Moderaten, zuschob.

Piraten und Birnen

Die deutsche Piratenpartei ganz groß in Dagens Nyheter vergangenen Dienstag

Der Vergleich liegt eigentlich nahe, wird aber selten gemacht: während die deutsche Piratenpartei derzeit in aller Munde ist und bei einer Fortsetzung des Trends im Herbst 2013 locker 65 Prozent der Stimmen einheimsen wird, schaut keiner mehr auf die Wurzeln dieser Bewegung: Schweden.

Hier wurde dereinst im Jahr 2006 die erste Piratenpartei gegründet. Der Name stammte von der Trackerseite The Pirate Bay, die Links zu allerlei urheberrechtlich geschütztem Material anbietet. Gegen die Verantwortlichen der Seite wurden im Januar 2008 hierfür angeklagt. Eigentlich begann an diesem Punkt die Geschichte der schwedischen Piratenpartei erst richtig. Scharen von jungen Menschen traten der Partei bei, was freilich nicht zuletzt damit zu tun hatte, dass die Mitgliedsbeiträge freiwillig sind.

Als von Februar bis April 2009 der Prozess stattfand, war diese Welle auf dem Höhepunkt. Kurz danach, im Juni 2009, fanden die Europawahlen 2009 statt, und die Piratenpartei holte stolze 7,1 Prozent.

Es liegt also nahe, dass der in Stockholm sitzende ARD-Korrespondent Albrecht Breitschuh einen Blick auf die schwedischen Piraten warf. Ich schätze seine Arbeit im Allgemeinen sehr, aber dieses Stück ist doch irgendwie ziemlich misslungen.

Bei ihm geht die Geschichte ungefähr so: auf einmal waren die 2009 da und alle waren total überrascht. Dann hat der Vorsitzende vorgeschlagen, auch Kinderpornos zu legalisieren, und Bumm waren sie weg, bekamen nur noch 0,7 Prozent im Jahr 2010 bei den Reichstagswahlen. Seither siecht die Partei.

Nicht ganz so, aber doch zumindest in Ansätzen ähnlich geht ein Artikel des Spiegels vor, der die verschiedenen europäischen Piratenparteien zum Thema hat. Dort ist die Geschichte verkürzt auf: erst ging’s hoch, dann runter. Flankiert wird das von einem wenig vertrauenserweckenden Foto der schwedischen Piratenvorsitzenden Anna Troberg.

Das alles ist – freundlich ausgedrückt – bestenfalls die halbe Wahrheit. Die Piraten schafften es aus genau zwei Gründen in das Europaparlament:

  1. Seien wir realistisch: die Europawahlen interessieren keine Sau. Die Wahlbeteiligung ist niedrig und die Chancen für irgendwelche populistischen Quatschbananen (z.B. FDP und deren entdoktorierte blonde Vorzeigefrau) groß. In Schweden schaffte es so 2004 die „europakritische“ Juniliste souverän ins Parlament und 2009 ebenso souverän wieder hinaus. Die Piraten fallen genau in dieses Schema, dass bestimmte Wählergruppen sich bei solchen wenig beachteten Wahlen leichter hervortun können.
  2. Die Unterstützung basierte einzig und allein auf dem Thema Pirate Bay. Jugendliche, die weiterhin frei Sachen aus dem Netz ziehen wollen, wählten eine Partei, die genau für dies eintrat.

Dummerweise lässt sich auf so einer Plattform nicht lange bestehen, und genau das ist das Problem der schwedischen Piratenpartei. Die zigtausend Menschen, die ihrer Partei beitraten, haben sie genauso schnell wieder verlassen. Denn in Zeiten der Klickdemokratie war eine Partei, die keine zwingenden Mitgliedsbeiträge hat, perfekt für Leute, die keinesfalls etwas für ihre Downloads bezahlen wollen. Diese wollen aber auch keinen Aufwand betreiben, und so hatte man nicht plötzlich Scharen von Aktivisten, die Plakate klebten, demonstrierten und Flyer verteilten, sondern ein Mitgliederdatenbank voller Karteileichen.

Die schwedischen Gepflogenheiten in Sachen Parteienmitgliedschaft tun ihr übriges. Eintrittsanträge muss man nämlich genauso wenig stellen wie Austrittsanträge. Wer Mitglied werden bzw. bleiben will, zahlt, wer nicht, eben nicht. Die schwedischen Piraten machen dies ähnlich: die Mitgliedschaft gilt immer 365 Tage. Wer sie nicht erneuert, fliegt automatisch raus – und genau das ist offenkundig tausendfach passiert.

Es handelte sich also nicht um einen Massenexodus, sondern um eine geplatzte Scheinmitgliederblase.

Man braucht eben mehr als ein Thema, mehr als nur einen vielbeachteten Gerichtsprozess. Zum Zeitpunkt der Reichstagswahl 2010 waren die Leute von der Pirate Bay schon lange verurteilt. Das kurz danach verkündigte Ergebnis der Revision (schuldig) fand so gut wie kein Interesse mehr. Dummes Geschwätz des Vorsitzenden hatte auf den Untergang wenig Einfluss, denn die Wähler, die sie gebraucht hätten, waren da schon lange entschwunden.

Der Unterschied zu den deutschen Piraten

Genau diese Gemengelage macht auch den Unterschied zu den deutschen Piraten aus. Ich gebe gerne zu, dass ich den Piraten noch vor kurzem nicht viel zugetraut habe. Mir erschien es unwahrscheinlich, dass eine Partei mit so einem seltsamen Namen und für den Normalbürger so exotischen Themen wie der Netzpolitik punkten kann. Zudem galten sie als ziemlich zerstritten.

Doch passen sie sehr gut in die Zeit von Stuttgart 21 und dem Wutbürger, der sich von der Politik nicht mehr hinreichend repräsentiert fühlt. Die deutschen Piraten kommen daher mit ihren Zielen an. Genau dies fehlt den schwedischen Piraten aber. Der schwedische Bürger empfindet zumindest noch nicht eine so große Kluft zu seinen Politikern, und mangelnde Transparenz kann auch nur wenig beklagt werden, nicht zuletzt wegen des Öffentlichkeitsprinzips. Die schwedische Allgemeinheit – wohl auch dank der umfänglichen Auswahl von ganzen 8 Parteien – hat anscheinend nicht das Bedürfnis nach noch einer Partei. Solange die schwedischen Piraten nicht irgendein nachhaltig relevantes Thema finden, haben sie keine Chance.

Der oben gezeigte Artikel aus Dagens Nyheter – leider anscheinend nicht online – zeigte nun auch die schwedische Sicht auf die deutschen Piraten. Die fällt nüchtern aus: sympathisch, aber ohne richtiges Programm und wahrscheinlich auch nicht mit dem Potenzial, sich dauerhaft zu etablieren. Ich bezweifle, dass die schwedischen Wähler ihre Piraten da wiedererkennen werden.

Denn das ist der Punkt: der Vergleich zwischen deutschen und schwedischen Piraten ist einer zwischen Äpfel und Birnen. Außer den gemeinsamen Wurzeln haben sie nichts miteinander gemein. Die schwedische Öffentlichkeit schaffte für kurze Zeit ein höchst fragiles Biotop für das zarte Pflänzchen – als dieses vorteilhafte Klima schnell zusammenbrach, war es vorbei. Die deutsche Piraten hingegen wuchsen unter kühlen Bedingungen langsam heran, um dann bei der nun schon etwas länger anhaltenden Wärme zu gedeihen.

Ob sie danach genügend Kraft haben werden, auch den Winter zu überstehen, wird sich freilich noch zeigen.

Och nö, lass mal…

Irgendwie hat man schon das Gefühl, dass schwedische Politiker „ehrlicher“ oder zumindest nicht so machtbesessen sind. Während man in Deutschland Abgänge wie die von Koch oder von Beust als außergewöhnliches Ereignis wahrnimmt, gibt es in Schweden Politiker, die sich nicht um jede Machtperspektive prügeln.

Da ist Schwedens größte Partei, die sich die meiste Zeit ihrer Geschichte in Dauerregierung befand, führungslos, und keiner will den Posten haben, der mit etwas Geschick ein Ticket für den Regierungschef ist.
Mona Sahlin ist ja bekanntermaßen zurückgetreten. Nun wirkt es so, dass keiner der potenziellen Nachfolger sich um den Job reißt. Vielmehr haben einige potenzielle Kandidaten gleich gesagt, dass sie keine Lust haben.

Ulrica Messing, ehemalige Infrastrukturministerin, hat kein Interesse. Sie hat eine eigene Firma gegründet und wird dabei bleiben. Pär Nuder, ehemaliger Finanzminister, bleibt auch lieber in der Wirtschaft. Margot Wallström, ehemalige EU-Kommissarin und heute im Auftrag der UN unterwegs, hat ihrer Meinung nach etwas besseres zu tun. Schade, denn sie hätte ich mir ganz gut vorstellen können. Sie bringt aber auch das nachvollziehbare Argument vor, dass sie seit 12 Jahren nicht mehr in Schweden lebt – auf der anderen Seite könnte genau das eine zweite Perspektive einbringen, die momentan bei den schwedischen Sozis fehlt. Thomas Bodström, dem ich auch nicht ganz abgeneigt gewesen wäre, hat auch gleich gesagt, dass er es nicht machen wird. Das ist nicht ganz so überraschend, denn er hatte erst vor kurzem seinen Abschied aus der Politik verkündet.

Damit sind also einige große Namen herausgfeallen, und es bleibt noch einiges für die Kandidatenfindungskommission zu tun.

Jag avgår som partiordförande

… war der Titel einer Mail, die ich gestern abend erhielt.

Das bedeutet zu deutsch: „Ich trete als Parteivorsitzende zurück“ und Absender war Mona Sahlin, Parteivorsitzende der Sozialdemokraten. Ausnahmsweise kein Spam, denn es stimmt wirklich.

Ich kann Thomas nur zustimmen: es ist erstaunlich, dass es so lange gedauert hat. Ich war ja schon recht enttäuscht nach der Wahl, als es kaum Diskussionen deswegen gab. Immerhin hatte sie das Kunststück fertiggebracht, das Ergebnis von 2006, welches schon das schlechteste seit 1914 war, noch einmal um 5% zu untertreffen und damit nur knapp an einer genauso historischen Schmach vorbeizuschrammen, nicht stärkste Partei zu werden.
Der Ablauf dieses Abgangs ist mir aber trotzdem schleierhaft. Vor einer Woche überraschte Sahlin damit, dass sie die Meinung vertrat, die ganze Parteiführung müsse nach dem Debakel seine Ämter zur Verfügung stellen. Dass sie auch Teil der Parteiführung ist, hätte ihr eigentlich klar sein müssen.

Ich kann nur punktuell die Stimmung in der Partei sehen, auf Facebook zum Beispiel. Ein Genosse schreibt über Nudeln, ein anderer ist deswegen im Radio eingeladen – ok, er ist aber auch Redakteur bei einer parteinahen Zeitung. Eine Genossin schreibt etwas wehmütig, dass ihre Stimmung nun gedrückt sei. Eine andere scheint eher wütend und findet, jetzt müssten die Reihen einmal aufgeräumt werden. Und dass Sahlin „gezwungen“ worden sei, abzutreten, auch weil sie eine Frau sei.

Letztere Aussage überrascht mich ehrlich gesagt nicht – weite Teile der Partei, oder zumindest die Kreise, die ich kenne, sind vom Feminismus beseelt und betrachten die Ereignisse sehr gerne aus dieser Perspektive. Soweit ich das beurteilen kann, war das auch der Grund, wieso man vor vier Jahren meinte, nun müsse unbedingt eine Frau ran. Dass Mona Sahlin nicht gerade die tauglichste Person für den Job ist, fand ich schon damals.

Ob ihr Geschlecht mit diesem Ende etwas zu tun hat, vermag ich aber nicht so recht zu beurteilen. Man kann sich durchaus vorstellen, dass ein Mann als Kandidat mehr dazu geführt hätte, das Duell mit Reinfeldt mehr zu einem archaischen Kampf zwischen zwei Alpha-Tieren zu stilisieren. Es fällt mir aber schwer, dies als zentralen Faktor für den Wahlausgang zu sehen.

Die eigentlich spannende Frage ist aber nun: was oder vielmehr wer kommt danach?

Wo Amerikaner gerne leben würden

Die folgenden zwei Videos sind ein alter Hut, so dass ich sie nur der Vollständigkeit halber hier präsentiere (und allen, die sie noch nicht gesehen haben, das Anschauen wärmstens ans Herz lege):

The Daily Show With Jon Stewart Mon – Thurs 11p / 10c
The Stockholm Syndrome Pt. 1
www.thedailyshow.com
Daily Show Full Episodes Political Humor Rally to Restore Sanity
The Daily Show With Jon Stewart Mon – Thurs 11p / 10c
The Stockholm Syndrome Pt. 2
www.thedailyshow.com
Daily Show Full Episodes Political Humor Rally to Restore Sanity

Damit wissen wir schon nach rund der Hälfte: die Schweden (und ich) leben in einem sozialistischen Alptraum.

Und Sozialismus ist etwas, das die Amerikaner gar nicht mögen, selbst wenn sie keine Ahnung haben, was das eigentlich ist.

Demonstrant am 12. September 2009 in Washington, DC (Foto: Andrew Aliferis, Lizenz: CC Attribution-NoDerivs 2.0 Generic)

Was passiert, wenn man zu Dingen, von denen man keine Ahnung, aber zu denen man selbstverständlich eine Meinung hat, haben wir vorgestern bei den Midterms vortrefflich gesehen.

Daher ist es auch nicht so wirklich überraschend, dass wenn man einmal nicht nur fragt, welchen Marktschreier man denn hinterher läuft, sondern wirklich mal eine sachliche Frage untersucht, ganz andere Ergebnisse herauskommen.

Genau dies hat die Harvard Business School getan. Sie hat Amerikaner in einer Studie gefragt, welche Wohlstandsverteilung in den USA ihrer Ansicht nach herrscht und welche Verteilung ihrer Meinung nach herrschen sollte. Um das zu sortieren, haben sie die Gesamtbevölkerung in 5 Teile (á 20% logischerweise) aufgeteilt. Es ging also darum, zu bestimmen, wieviel die oberen 20%, die untersten 20% und die drei Gruppen dazwischen besitzen sollten. Die Ergebnisse sind hochinteressant.

Eine Aufgabe war nämlich, dass die Teilnehmer zwischen drei möglichen Verteilungen die ihrer Ansicht nach beste wählen sollten. Zur Wahl standen:

  • Die reale Verteilung des Besitzes in Schweden
  • Eine gleichmäßige Verteilung, d.h. jede der 5 Gruppen besitzt genau 20%
  • Die reale Verteilung des Besitzes in den USA

Das Ergebnis: im direkten Vergleich hätten 92% gerne eine Verteilung wie in Schweden. Das überrascht mich nicht wirklich, denn die Verteilung in den USA ist sehr ungleich: die oberen 20% besitzen über 80% des Wohlstandes. Das werden wohl auch die herzlosesten Turbokapitalisten nur mit Einschränkungen unterstützen. Interessanterweise würden aber auch 77% die vollkommen gleiche Verteilung gegenüber der realen Verteilung in den USA vorziehen. Das ist deswegen etwas überraschend, denn mit etwas Hirnschmalz kann man sich schnell ausrechnen, dass das bedeutet, drei Viertel der Befragten hätten gerne eine Gesellschaft, in der jeder praktisch gleich viel besitzt und damit, wenn man das noch weiter spinnt, auch gleich viel Einkommen hat.

Mit anderen Worten: Sozialismus!

Ein bisschen beliebter als der Sozialismus ist aber: Schweden. Die Amerikaner wollen also im Grunde eigentlich gar nicht dort, sondern hier leben. Wer hätte das gedacht?

[via The Baseline Scenario und Fiket]

Ausgezählt

Heute, also 12 Tage nach der Wahl, ist die Auszählung der Stimmen endlich beendet. Die Stimmenzähler hier im Län, die als letzte fertig wurden, werden wahrscheinlich Freudestänze aufgeführt haben.

Zur Stunde warten einige Ergebnisse noch auf ein genehmigtes Protokoll, so dass die endgültige Sitzeinteilung vorläufig oder noch nicht bekanntgegeben ist. Diese ist z.B. für den Landsting in Stockholms Län noch nicht bekannt.

Jedoch ist klar, dass die Moderaterna dazugewonnen haben, aber damit nicht die Verluste der anderen bürgerlichen Parteien ausgleichen konnten. Der linke Block hat allerdings gewonnen, wenn auch nur dank der Stimmengewinne bei den Grünen. Eine gute Nachricht ist auch, dass die Schwedendemokraten mit 2,83% an der für den Landsting gültigen 3-Prozent-Hürde gescheitert sind. Im Wesentlichen bleibt alles beim alten: die Bürgerlichen haben trotz Verlusten noch eine Mehrheit. Die Verluste gehen praktisch direkt an die Grünen.

Auch beim Stadtrat Stockholms ist noch keine Sitzzuteilung gemacht. Hier stellt sich die Sache etwas anders dar: die Moderaterna haben 2,86% eingebüßt, während die Zentrumspartei und Volkspartei (liberal) zugelegt haben. Insgesamt hat aber auch hier der bürgerliche Block rund 2% verloren, was wiederum die Mehrheit auch nicht gefährdet – laut vorläufigem Protokoll reicht es für 52 bürgerliche Mandate bei insgesamt 101 Stadträten. Auf der linken Seite sind wiederum die Grünen die Gewinner. Sie haben 4,67% zugelegt und gewinnen 6 Mandate hinzu. Ich sollte mich eigentlich auch hier freuen, dass die Schwedendemokraten nicht hineingekommen sind. Das Ergebnis verwundert mich aber etwas. In den Kommunen gibt es nämlich keine Prozent-Hürden, und so müssten die 2,62%, die die Schwedendemokraten bekommen haben, eigentlich für mindestens 2, wenn nicht 3 Mandate reichen. Bislang wird ihnen aber keines zugewiesen.

In meiner Wohnsitzgemeinde Värmdö haben sie hingegen zwei Gemeinderäte, was natürlich betrüblich ist. Auch für einen wunderhaften Sieg meines Favoriten Börge Hellström hat es nicht gereicht. Die Sozialdemokraten haben 2 Sitze verloren und stellen nun nur noch 15 Räte. Börge stand sowieso nur auf Listenplatz 19, und so musste er in jedem Fall direkt gewählt werden, um hinein zu kommen. Dafür hätte er 5% der Stimmen in einem der beiden Wahlkreis bekommen müssen. Da er als lokaler Kandidat natürlich nicht in dem anderen Wahlkreis Werbung machte, erhielt er dort so gut wie nichts. Aber auch in meinem Wahlkreis reichte es nur für 2,79% der Stimmen. Schade irgendwie.

Meine 5 Cent zu Stuttgart 21

Ich sage ganz offen: mir ist Stuttgart 21 egal.

Es ist ein tolles Projekt, aber irrsinnig teuer. Man kann es machen, aber es bleibt jedem selbst überlassen, zu beurteilen, ob sich das Geschäft lohnt.
Das Ganze riecht nach der Art Größenwahnsinn, die auch die Bayern beseelt hat, als sie den Transrapid in München haben wollten. Wenn man schon hinnehmen muss, dass Nauru ein souveräner Staat ist und man selbst nicht. Dass Berlin weit weg ist und man von dem Rest der Republik als putzig-bieder belächelt wird. Dann muss man eben auf anderem Gebiet zeigen, dass man in Wirklichkeit der Größte ist.

Die Gegner wurden erst dann laut, als die Bagger schon rollten. Dabei hätten zahlreiche Bedenken wie die Gefährdung der Heilwasserquellen und die vermeintlich mangelnde Kapazität des neuen Bahnhofs schon vor Jahren geäußert werden können. Man kann es nicht nur auf die Finanzen schieben, die nun aus scheinbar heiterem Himmel aus dem Ruder liefen. Die Befürworter haben sich aber auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert durch die Ignoranz, mit der man dies alles nun durchpeitschen will.

Ich habe gestern mit an Entsetzen grenzenden Erstaunen die Räumungsaktion bei Twitter und entsprechenden Livestreams verfolgt. Auf die dort oft verwendete Hausbesetzerargumentation lasse ich mich nicht ein. Ein Projekt ist nicht erst dann demokratisch legitimiert, bis man auch den letzten Sitzblockadler überzeugt hat, aufzustehen. Demokratie ist nicht, dass der Wille des Einzelnen geschieht, sondern der der Mehrheit. Rechtstaat ist nicht, dass es immer gerecht zugeht, sondern dass ein Staat sich an die Spielregeln hält.

Wie Baden-Württemberg regiert wird

Deswegen gilt meine Kritik auch nicht der Polizei, sondern denen, die dies angeordnet haben, denn über die sagt der ganze Vorgang sehr viel aus. Nämlich, dass Baden-Württemberg von einer Gruppe selbstgefälliger Politiker regiert wird, die glaubt, sie hätte die Macht gepachtet.

Die CDU passt in ihrer Biederkeit erschreckend gut zum Ländle, und so regiert sie seit 1953 ununterbrochen. Das Ergebnis ist, dass jeder, der politisch etwas auf dem Kasten hat, früher oder später nach Berlin geht. In Stuttgart bleiben übermäßig wohl genährte Politbürokraten zurück, die nicht einmal den Anschein erwecken wollen, sie seien einst wegen idealistischer Ziele zur Politik gekommen. Ob Teufel, Oettinger oder Mappus: sie würden es in den USA nichtmal zum Kleinstadtbürgermeister bringen.

In BaWü saßen bzw. sitzen sie aber fest im Sattel, denn das Volk wählt „ihre“ CDU aus Gewohnheit immer wieder. Die Situation ist derart deprimierend, dass bei SPD und Grünen die Talente auch nach Berlin geflohen sind und sich im Landtag die gleiche Sorte provinzieller Langeweile als immerwährende Opposition eingerichtet hat.

Wenn man wie Stefan Mappus 25 Jahre lang erlebt hat, dass eigentlich immer das gemacht wird, was CDU (und ggf. FDP) untereinander ausgekungelt haben, dann ist das absolute Unverständnis über die aktuelle Entwicklung kein Wunder. So etwas hat man in diesen Kreisen noch nicht erlebt und man ist auch nicht darauf vorbereitet.

Desillusionierte Jugend

Der eklatante Mangel an Feingespür wird tiefe Spuren hinterlassen, denn nun hat auch das konservative CDU-freundliche Milieu gemerkt, dass es der Partei und v.a. ihrer Führung ziemlich egal ist, was die Leute über ihre Vorhaben denken. Wäre es anders, hätte man gewusst, dass das Vertreiben weitgehend friedlicher Demonstranten – zu guten Teilen Kinder und Jugendliche – unter Einsatz solcher Mittel nur kontraproduktiv sein kann.

Wie haben diese Leute sich das vorgestellt? Unsummen in Polizei und Sicherheitsdienste stecken, um zehn Jahre lang unter Hochsicherheitsbedingungen zu bauen?

Die derzeitigen Ereignisse haben und werden tiefe Wunden reißen, die lange nicht verheilen werden. Man schafft sich eine Zeitbombe, indem man jungen idealistischen Menschen vermittelt, dass ihre Meinung nichts zählt und sie das im Fall der Fälle auch mit Gewalt zu spüren bekommen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie nach Hause gekommen sind mit dem Gefühl, in einer Demokratie zu leben. Sie tun es trotz allem – aber werden sie sich künftig an ihr beteiligen?

Die Landesregierung hat mit ihrem Vorgehen offenbart, wie es wirklich steht um die Landespolitik im Ländle. Ich hoffe, die Wähler werden am 27. März dafür die Quittung präsentieren.

Das Endergebnis der Wahl zum schwedischen Reichstag

Es hat gedauert, weil man wegen der Stimmknappheit mehrfach nachzählte. Diesen Nachmittag wurde nun das Ergebnis des letzten der 6063 Wahlbezirke fertiggestellt.

Hier die Angaben, in Klammern die vorläufigen Ergebnisse vom Sonntag und die Ergebnisse von 2006:

  • Moderate (Moderata Samlingspartiet): 30,03 % (Sonntag: 30,0 %, 2006: 26,1 %)
  • Zentrumspartei (Centerpartiet): 6,55 % (Sonntag: 6,6 %, 2006: 7,88 %)
  • Volkspartei die Liberalen (Folkpartiet liberalerna): 7,05 % (Sonntag: 7,1 %, 2006: 7,54 %)
  • Christdemokraten (Kristdemokraterna): 5,60 % (Sonntag: 5,6 %, 2006: 6,59 %)
  • Sozialdemokraten (Arbetarepartiet-Socialdemokraterna): 30,69 % (Sonntag: 30,9 %, 2006: 34,99 %)
  • Linkspartei (Vänsterpartiet): 5,61 % (Sonntag: 5,6 %, 2006: 5,85 %)
  • Umweltpartei die Grünen (Miljöpartiet de gröna): 7,34 % (Sonntag: 7,2 %, 2006: 5,24 %)
  • Schwedendemokraten (Sverigedemokraterna): 5,70 % (Sonntag: 5,7 %, 2006: 2,93%)
  • Piratenpartei (Piratpartiet): 0,65 % (Sonntag: als „Sonstige“ gezählt, 2006: 0,63 %)
  • Feministische Initiative (Feministiskt initiativ): 0,40 % (Sonntag: als „Sonstige“ gezählt, 2006: 0,63 %)

Wie man sieht, haben die Auslandsstimmen und andere später gezählte Stimmen das Ergebnis nur insofern beeinflusst, als dass die Moderaten etwas dazu gewonnen haben. Die letzten beiden Parteien habe ich hinzugefügt, weil sie erhebliche Aufmerksamkeit genossen haben und die beiden größten nicht in den Reichstag eingezogen sind.

Die konkrete Mandatverteilung wurde zur Stunde noch nicht bekanntgegeben. Jedoch wird nur mit minimalen Zugewinnen auf der bürgerlichen Seite gerechnet. Die drei Mandate Rückstand werden nicht auszugleichen sein. Damit hat die bürgerliche Koalition weiterhin keine Mehrheit und die Schwedendemokraten die Blockaderolle inne. Allerdings ist diese Verteilung auch gerecht, so unschön die aktuelle Situation auch sein mag. Die vier bürgerlichen Parteien haben rund 1900 Stimmen weniger erhalten als die gesamte Opposition. Eine Mehrheit wäre also nicht gerechtfertigt, sondern immer mit dem Makel behaftet, aufgrund eines unzulänglichen Wahlrechts zustande gekommen zu sein.
Dennoch ist es seltsam, dass die bürgerliche Koalition ihren Stimmenanteil steigern konnte und trotzdem keine Mehrheit hat – hier merkt man, dass eine Prozentsperre unter Umständen erhebliche Stimmanteile ausschließen kann.

Während man noch auf die weiteren Details wartet, kann man wie immer einen Blick auf die sonstigen Parteien richten, die gewählt wurden. Das ist immer recht spaßig, denn man darf in Schweden nach Lust und Laune irgendjemanden aufschreiben, was zu allerlei kreativen Auswüchsen führt.

Zunächst die Parteien, die sich im Vorfeld registriert haben:

  • Spritpartiet (Schnapspartei oder auch Alkoholpartei): ein Blick auf deren Homepage machte mir nicht auf den ersten Blick klar, ob sie denn nun für oder gegen Alkoholgenuss sind. Sie sind dagegen und wollen den Konsum halbieren. Immerhin 236 Stimmen haben sie dafür bekommen, wohl auch dank etwas Medienaufmerksamkeit.
  • Europeiska Arbetarpartiet-EAP (Europäische Arbeiterpartei): unter diesem verwirrenden Namen verbirgt sich die Schwesterpartei der deutschen BüSo, die beide in der sogenannten LaRouche-Bewegung vereint sind. Die Inhalte sind im Wesentlichen die gleichen. Wirr ist auch sonst allerlei, was die Partei plant. Sie sagt seit jeher den Zusammenbruch des Finanzsystems voraus, was sich natürlich gut trifft, wenn es ausnahmsweise wirklich mal schwächelt. Die Wähler kamen in Scharen: 187 Stimmen gab es dafür und damit 104 mehr als letztes Mal.
  • Alexander’s Lista (Deppenapostroph beachten) und Li Yu Chen Anderssonpartiet haben zwei Dinge gemeinsam: sie haben 4 Stimmen erhalten und traten beide in Gävleborgs Län. Bei beiden ist der Name Programm – zumindest bei letzterer weiß man das. Die Li Yu Chen Anderssonpartiet hat wirklich nur einen Kandidaten: Li Yu Chen Andersson, 44 Jahre, Übersetzer. Alexander’s Lista hingegen stellt vermutlich auch nur den Alexander auf, aber deren Wahlzettel glänzt mit Leere.

Nun die unregistrierten Parteien:

  • Kalle Anka Partiet (Donald-Duck-Partei): Der Klassiker unter den satirischen Scherzparteien, die seit jeher für freie Alkoholausgabe und breitere Bürgersteige steht. 123 Stimmen gab es für dieses Programm, was obige Ergebnisse ziemlich relativiert.
  • Junilistan (Juniliste): 30 Stimmen gab es von ganz hartnäckigen Wählern für diese „EU-kritische“ (eher EU-feindliche) Partei, die 2004 mit 14,5 % der Stimmen in das Europaparlament einzog und fünf Jahre darauf mit 0,47 % wieder auszog.
  • Jesus Kristus (bzw. nur Jesus): 4 Wähler haben dem Heiland persönlich die Stimme gegeben. Soviel Hingabe ist löblich, aber mir scheint zweifelhaft, dass er die Wahl angenommen hätte.
  • Mig Själv (mich selbst): zwei Wähler trauen offenkundig nur einem Menschen in der Welt zu, die Geschicke Schwedens zu leiten.
  • Tomma Stolar (leere Stühle): diese zwei Wähler haben nicht mal zu sich selbst Vertrauen und wollen den Reichstag gleich ganz leer lassen.
  • Älska mer! (Liebe mehr!): diese positive Aufforderung brachten weitere zwei Wähler vor.

451 „Parteien“ wurden nur von einem Wähler gewählt. Viel ist purer Politikfrust und Verschwörungstheorie. Darunter sind aber auch Knaller wie „All makt åt kungen“ (Alle Macht dem König) oder „Jan Lennartssons röda byxparti“ (Jan Lennartssons Rote-Hosenpartei). Man kann die Daten hier als Excel-Datei herunterladen. Eigentlich schade, dass Deutschland kein so humoriges Wahlsystem hat. Bei so vielen Wählern käme da noch allerlei mehr lustiges Zeugs heraus.
Update (18:40 Uhr): Nun ist auch die Mandatverteilung fertig. Gegenüber der Wahlnacht haben sich kleinere Veränderungen ergeben. Obwohl die bürgerlichen Parteien auf 173 Sitze erhöhen konnten, fehlen natürlich immer noch zwei zur Mehrheit. Die Zentrumspartei hat nun 23 statt 22 Abgeordneten. Die Sozialdemokraten verlieren eben diesen Abgeordneten.

Insgesamt 59 Abgeordnete wurden per Direktwahl in den Reichstag gewählt. D.h. sie wurden auf dem Wahlzettel ihrer Partei von den Wählern so oft angekreuzt, dass dies mindestens 8% der Stimmen der jeweiligen Partei im jeweiligen Wahlkreis ausmachte. Allerdings wären viele von diesen direkt gewählten Kandidaten ohnehin in den Reichstag eingezogen – so auch Reinfeldt und Sahlin.

Die Zählerei ist damit aber noch lange nicht abgeschlossen. Schließlich fanden zeitglich Wahlen für die Kommunen und die Län statt. Anscheinend machen die Zählhelfer erst einmal bei den Kommunen weiter. Dort sind derzeit aber erst knapp 2500 der 6063 Wahlkreise ausgezählt. Nur in Norrbotten, wo es naturgemäß nicht so viel zu zählen gibt, hat man schon mit der Auszählung der Wahlen im Län begonnen.

Nach der Wahl ist während der Auszählung

Das internationale Echo auf das vorgestrige Wahlergebnis war bemerkenswert. Aber, und daran habe ich auch nicht gedacht (aber dafür Thomas): die eigentliche Zählarbeit beginnt in Schweden erst am Montag. Das offizielle Endergebnis wird nach einer kompletten Neuzählung der Stimmen erstellt. Das vorläufige Wahlergebnis des Wahlabends ist nämlich bei weitem nicht komplett. Da man in Schweden nicht nur Parteilisten wählt, sondern auch einen einzelnen Kandidaten auf der Liste ankreuzen kann, müssen alle Stimmen genau erfasst werden. Überspringt der Kandidat dabei eine gewisse Hürde, kann er in das jeweilige Parlament einziehen, obwohl er einen zu schlechten Listenplatz hat. Hier kann man die Auszählung live verfolgen.

Ein Teil der Stimmen wird aber erst morgen in der sogenannten Onsdagsräkning (Mittwochsrechnung) gezählt.
Dort kommen Stimmen auf den Tisch, die über die Möglichkeit der vorzeitigen Wahl in fremden Wahllokalen abgegeben wurden. Diese Möglichkeit bestand bis zum Wahltag. Solche Stimmen kamen eventuell nicht mehr rechtzeitig zum Ziel und werden nachträglich gezählt. Weiterhin werden als ungültig gezählte Stimmen noch einmal angesehen und die Briefwahlstimmen aus dem Ausland – u.a. von 7213 in Deutschland lebenden Schweden – erst dann gerechnet. Rund 100.000 Stimmen warten also noch auf Behandlung.

Kann das noch etwas drehen? Ja, denn Auslandswähler wählen tendenziell bürgerlich (und wohl nur ganz selten Schwedendemokraten), und da die linke Seite nach aktuellem Stand bei der Mandatzuteilung etwas überbewertet ist, können rein rechnerisch schon 7108 Stimmen reichen, um doch noch eine Mehrheit zu erhalten. Letztes Mal erhielten die Bürgerlichen ein Plus von rund 6000 Stimmen auf diesem Weg. Vielleicht gibt es also eine Sensation.

Nicht nur das internationale, sondern auch das nationale Echo war übrigens bemerkenswert. Viele Schweden sind bestürzt über diesen Wahlausgang.

Der Umgang mit den Schwedendemokraten ist interessant. Eben sind mir diese beiden Beiträge von Nikke Lindqvist aufgefallen. Im ersten erwähnt er sein eigenes Projekt sverigedemokraterna.de vor, das die Politik der Partei beleuchtet und offenkundig darauf spekuliert, dass so mancher beim Tippen das S verfehlt und beim D landet. Jedenfalls hatte die Seite sehr viele Besucher, auch wenn sie den Wahlerfolg nicht verhindern konnte.

Weniger schön ist hingegen die Aktion sverigedemokrater.se, die ich nicht verlinke. Offenkundig wurde die Webseite der Partei gehackt und nun wird die dortige Personendatenbank frei im Internet verbreitet, auch über die genannte Seite. Dass es sich wirklich um das Mitgliederverzeichnis handelt, darf aber bezweifelt werden, denn da sind auch einige seltsame Datensätze dabei. Das ist natürlich eine Art von Mobbing, die ich nicht so sehr schätze. Nikke fand heraus, dass die Domain auf den Namen des Hackers Per Gottfrid Svartholm Warg ist. Dessen Mittäterschaft darf bezweifelt werden, denn ein Profi wäre wohl kaum so dämlich. Humorig ist hingegen, dass der Provider der Internetseite, PRQ, von Mikal Viborg geleitet wird, der juristischer Berater der Schwedendemokraten ist.

Ich bin mir nicht so sicher, ob die Schwedendemokratenwähler sich bewusst waren, was für Leute sie da gewählt haben. Vorraussichtlich wird beispielsweise der Parteisekretär Björn Söder im Reichstag sitzen, der die Färöer-Inseln für eine ideale Gesellschaft hält (weil man da auch mal Trachten trägt) und alle Kultursubventionen streichen bis auf die zum Erhalt des schwedischen Kulturerbes (Wikingerdörfer z.B. nach seinem Verständnis).
Ich hoffe, die Wähler haben aus Unwissenheit diesen Verein in den Reichstag gebracht.

Blue Monday

„Vad blir det? Rött eller blått?“, fragte der Kollege – was wird es? rot oder blau?

Blau natürlich – die Farbe der Moderaterna und damit der Regierungskoalition. Die Umfragen hatten im Wesentlichen recht und die Zeitungen überschlagen sich: zum ersten Mal ist es einem bürgerlichen Regierungschef gelungen, wiedergewählt zu werden. Das ist aber geschönt – Reinfeldts Leistung zeichnet sich nur dadurch aus, dass er es geschafft hat, die Regierung zusammenzuhalten. Die Bürgerlichen hatten nämlich schon in den 1970er Jahren zwei Wahlperioden in Folge die Mehrheit, und hätten sie sich nicht über die Kernkraft gezofft, wäre Thorbjörn Fälldin auch die direkte Wiederwahl gelungen.

Das eigentlich Historische: der Abstieg der Sozialdemokraten

Viel schwerer wiegt etwas anderes: den Sozialdemokraten ist es nicht gelungen, Wähler zurück zu gewinnen. Hier liegt die eigentliche historische Dimension. Über Jahrzehnte war es so, dass die Sozialdemokraten eine Art Staatspartei waren. Sie stellten im Normalfall die Regierung, und nur wenn die Wähler einmal richtig unzufrieden waren, übernahm vorübergehend die Konkurrenz die Macht. Diese Epoche schwedischer Politik endete gestern abend, vermutlich für immer. 30,9% – das letzte derart schlechte Ergebnis stammt vom März 1914, nicht einmal drei Jahre nach Einführung allgemeiner Wahlen.

Die Ursachen wird man noch eine Weile analysieren. Entgegen meinen Erwartungen deutete gestern einiges darauf hin, dass die Unbeliebtheit von Mona Sahlin, Vorsitzende der Sozialdemokraten, nicht der Hauptfaktor war. Ihr rot-rot-grünes Bündnis fiel beim Wähler wohl auch durch, weil eine tiefe Abneigung gegenüber der Linkspartei besteht. Aber auch die Inhalte zogen nicht. Alleine das bürgerliche Schreckgespenst an die Wand zu malen hat jahrzehntelang die Wähler bei der Stange gehalten, aber das schwedische Modell ist ebenso im Wandel begriffen wie der Rest der Welt. Die bürgerlichen Parteien haben gelernt, auf die Wähler zuzugehen. Nun ist es Zeit für die Sozialdemokraten, ebenso einen solchen Prozess zu starten.

Die Bündnisbildung hat noch zu einem weiteren, beklagenswerten Zustand geführt: obwohl sieben Parteien im Reichstag sind, gab es nur zwei Regierungsoptionen. Genau diese Absage an jegliche Flexibilität erzeugt nun einen Patt.

Internationaler Medienmagnet: die Schwedendemokraten

Denn mit den Schwedendemokraten ist eine fremdenfeindliche Partei in den Reichstag eingezogen. Nach dem vorläufigen Ergebnis liegen sie knapp vor den Linken und den Christdemokraten, was ihnen auch einen Sitz mehr beschert. Die internationale Presse hat sich auf diese Meldung mit Begeisterung gestürzt – wenig verwunderlich.

So spektakulär und überraschend ist das alles aber nicht. Ich erinnere mich noch vage an einen Artikel, den ich vor vier Jahren in der Zeitschrift der sozialdemokratischen Studenten auf englisch schrieb. Da prophezeite ich, dass die so nett erscheinenden Schwedendemokraten – sie sind immer bestens angezogen und haben eine Blume als Symbol – noch lange nicht gestoppt sind und man sie erst nehmen müsse. Und wie es aussieht, hatte ich damit ziemlich recht. Einfach nur ignorieren und verabscheuen ist zu wenig.

Viel wird spekuliert werden über die Ursachen für den Erfolg. Ist es nur Protestwählertum gegen das Establishment? Die Umfragen zeigen v.a. eine Abwanderung von den beiden großen Parteien. Oder brennt den Leuten das Thema Einwanderung so unter den Nägeln? Wahrscheinlich ist es beides. Vor allem aber ist es eines nicht: ein Strohfeuer. Die Schwedendemokraten haben seit 1991 einen kontinuierlichen Aufstieg geschafft. Heute erreichen sie in 24 der 29 Reichstagswahlkreise mehr als 4% der Stimmen. Ihre Hochburgen haben sie nach wie vor in Skåne, aber sie sind kein regional begrenztes Phänomen. Das ist eine allgemein Stimmung in Teilen des Volkes, und damit sehr ernst zu nehmen.

Daher wäre es auch der größte Fehler aller anderen Parteien, zu versuchen, einfach an den Schwedendemokraten vorbeizuregieren. Nyamko Sabuni, die Integrationsministerin, sprach gestern von einer „missglückten Integration“. Das konterkariert natürlich deutlich Artikel wie diesen. Hier muss etwas geschehen.

Völlig unklar: wer wird Schweden künftig regieren?

Die Regierungsbildung ist in jedem Fall eine spannende Frage. Mona Sahlin, die Vorsitzende der Sozialdemokraten, hat es schlau gemacht: die Niederlage eingestanden und Reinfeldt die Regierungsbildung überlassen. Die Wähler haben ihr schließlich klar gesagt, dass sie keinen Anspruch darauf hat, auch wenn die Sozialdemokraten gerade so noch stärkste Partei sind.

In Schweden ist es anscheinend so, dass der Regierungschef im Amt bleibt, bis er zurücktritt, stirbt oder vom Reichstag per Misstrauensvotum abgewählt wird. Reinfeldt wird also nicht zurücktreten, und die Abwahl wird nur mit Hilfe der Schwedendemokraten möglich sein, auf deren Hilfe die linke Opposition nicht angewiesen sein will.

Minderheitsregierungen haben eine lange Tradition in diesem Land, und sogar welche mit mehreren Parteien hat es gegeben. Man muss trotzdem Partner finden, mit denen man Mehrheiten erzielen kann. Beide Seiten haben schon vor der Wahl ausgeschlossen, dass dies die Schwedendemokraten sein können. Ein Abweichen davon könnte Reinfeldts Karriere innerhalb kürzester Zeit pulverisieren.

Also hat er schon gestern abend durchblicken lassen, er wolle mit den Grünen reden. Diese erteilte gleich eine Absage an diese Überlegungen. Sie würden gerne Gespräche mit allen Parteien haben.

Das kann nur Taktik sein. Es ist fast zu hoffen, dass die Grünen einfach an der Regierung beteiligt sein wollen und dafür die Blöcke aufbrechen wollen. Die Geschlossenheit der vier Regierungsparteien, die in der letzten Wahlperiode viele Beobachter erstaunt hat, beruhte möglicherweise nur auf der klaren eigenen Mehrheit. Sie könnte schon bald bröckeln, wenn man einen Regierungskompromiss auch noch irgendjemandem in der Opposition schmackhaft machen muss.

Die Bildung einer neuen Regierung mit einer neuen Kombination von Regierungsparteien ist daher mehr als wünschenswert. Nur, ist das realistisch? Rein rechnerisch würde es schon genügen, die Zentrumspartei oder die Christdemokraten in die Opposition zu schicken und stattdessen die Grünen ins Boot zu holen. Doch es bliebe in jedem Fall eine Vier-Parteien-Koalition und würde viel Kompromissfindung erfordern, insbesondere im Bereich Kernkraft.

Eine Minderheitsregierung nur mit den Moderaterna vielleicht? Auch nicht unbedingt realistisch, denn sie sind nicht die größte Partei, und die derzeitigen Partner werden hierfür wohl kaum ihre schönen Pöstchen abgeben wollen.

Bleibt am Ende nur die Große Koalition – für die müssten aber beide Seiten über mächtig große Schatten springen, denn das gab es in der schwedischen Politik wirklich noch nie.

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