Rette sich, wer kann

Bratwurst - sxc.hu

Mütter, passt auf eure Töchter auf – die Deutschen kommen!
Sie kommen in unglaublichen Massen und jagen der Bevölkerung Angstschauer über den Rücken…

So ähnlich kommt zumindest eine Geschichte in der U-Bahn-Zeitung Stockholm City vom letzten Freitag (ebenso in den Göteborger und Malmöer Schwesterblättern) daher, die Rainer entdeckt hat. Eine selbst für City-Verhältnisse extrem bescheuerte Überschrift hat man sich dann auch noch für die Zeitungsboxen ausgedacht, so dass man auch ja eine Ausgabe mitnimmt – dort wird geradezu ein Einfall der Deutschen suggeriert.

Im Text gibt man sich deutlich moderater. Der Grund für die Geschichte ist aber offensichtlich – der Redaktion ist wieder einmal überhaupt gar nichts eingefallen, und so bequatschte wohl ein Redakteur seine deutsche Bekannte, um daraus notdürftig eine Titelstory zu basteln.

Die vermeintliche Invasion der Deutschen mag im Bereich Tourismus ja noch stimmen – in der Altstadt wimmelt es in der Tat nur so. Eine allgemeine Wanderungsbewegung kann man aber nicht direkt attestieren. Laut dem statistischen Jahrbuch der Stadt Stockholm ist die Zahl der Deutschen von 1670 im Jahr 1990 auf 2153 im Jahr 2005 gestiegen. Das entspricht einem Anstieg von 13%. Damit sind gerade einmal 3,1 % der Ausländer in Stockholm Deutsche. Dieser Anteil ist zwar gestiegen, aber die Gruppe EU25 (also alle Mitgliedsländer bis einschließlich 2006) hat im gleichen Zeitraum einen Anstieg von rund 25% zu verzeichnen. Dazu sollte man auch nicht vernachlässigen, dass 405 der aktuell 2153 Teutonen schon in Schweden geboren wurden. Das werden also zumeist doppelte Staatsbürger sein.

Auch gehört Deutschland nicht zu den stärksten Herkunftsländern bei Einwanderern, die nach Schweden kommen. So stehen 1908 im Jahr 2006 eingewanderten Deutschen stolze 5922 eingewanderte Polen und 3764 eingewanderten Serben gegenüber. Von den Irakern gar nicht zu sprechen – hier sind es über 10000.

Die Story ist also einmal wieder nichts anderes als heiße Luft. Weder ist ein gewaltiger Anstieg zu erkennen, noch läuft Stockholm Gefahr, einer Germanisierung zum Opfer zu fallen.

Fast schon possierlich ist der Text der Geschichte. So erfährt man, dass die präsentierte Beispieldeutsche – Nicole Gläser ist ihr Name – frische Bratwurst vermisst und ihre Freunde damit erfreut hat, dass sie schon lebende Elche gesehen hat. Nächste Abfahrt Klischeestadt.

Die Sache mit der Bratwurst ist insofern seltsam, als dass Bratwurst gerade eines der wenigen deutschen Produkte ist, das man in jedem größeren Supermarkt erwerben kann. Über Qualität lässt sich natürlich streiten, aber immerhin ist es verfügbar. Zudem ist Bratwurst meiner Einschätzung auch nicht gerade ein Bestandteil der täglichen Ernährung, sondern eher im Bereich Imbiss und (Grill-)Fest anzusiedeln. Brot wäre da ein besseres Beispiel gewesen.

Bei meinen Recherchen habe ich übrigens eine interessante Entdeckung gemacht. In der Statistik wird auch gezeigt, welche Gemeinden in Stockholm und Umland am schnellsten wachsen. Zu meinem Erstaunen ist dies ausgerechnet Vaxholm, das Ferien- und Sommerdomizil für neureiche Städter. Am langsamsten wachsen hingegen Norrtälje und Upplands-Väsby. Das wiederum kann ich verstehen.

Arbeiter- und Künstlerviertel

Der SPIEGEL hat heute offenbar einen Bericht über den „Kultautor“ Klas Östergren, der laut DN der beste Autor Schwedens sein soll. Mag sein.

Interessant fand ich jedenfall, dass Södermalm das „Arbeiter- und Künstlerviertel“ Stockholms sein soll. Ich würde sagen: Künstler vielleicht, aber Arbeiter wahrscheinlich nicht mehr. Zum Fertiglesen habe ich aber leider keine Zeit mehr – ich muss schon um 6 los.

Peter Antoine

Unbedarfterweise habe ich ja bislang angenommen, dass der von Media Markt seit längerem eingesetzte WerbeträgerPeter Antoineeine Kunstfigur ist, die einen Deutschen darstellen soll.

Nach einem Hinweis in den Kommentaren zu meinem letzten Beitrag habe ich doch noch einmal genauer nachgeschaut. Ich lag ziemlich daneben.

Durch quasi nichtexistenten Fernsehkonsum war mir beispielsweise nicht bewusst, dass Peter Antoine eine kleine Berühmtheit ist in Schweden. Eine Kunstfigur ist er auch nicht.

Der Mann ist Fußballtrainer. Nun mag man sich fragen, ob man von ihm trainiert werden will, aber eine seiner Stationen als Trainer war die „Assyriska Föreningen Södertälje„, ursprünglich ein Einwandererfußballverein, der es vor zwei Jahren sogar in die oberste Liga schaffte. Ich konnte auf die Schnelle nicht herausfinden, unter wessen Anleitung dieser Erfolg gelang, aber ich vermute einmal, dass es nicht Peter Antoine war.

Das alles hat ausgereicht, um ihn zum Fußballexperten bei TV4 und TV5 (in der Sendung „Tipsextra“) zu machen – ersteres ist sozusagen das RTL Schwedens. Dort gab er anscheinend Bewertungen und Prognosen zum europäischen Spitzenfußball zum besten. Wie es auch mit Jürgen Klopp war, war es wohl auch mit Peter Antoine: man hat ihn nicht eingeladen, weil er schon so wahnsinnig bekannt war, sondern er wurde erst durch seine Originalität richtig bekannt.

Für das sorgte wohl alleine schon sein Äußeres – Schnauzbart und getönte Brille sind in dem Fall wohl das Pendant zu Günter Netzers Haarpracht.

Viel mehr trug allerdings sein Redestil bei. Zum Einen klingt er wohl nicht richtig schwedisch, zum Anderen verwendet er inflationär viele Wörter, die man im Fernsehen eigentlich vermeiden sollte. Dies muss so ausgeprägt sein, dass seine Imitatoren jeden Satz mit „jävel“ (verdammt), „förbannad“ (sauer, erbost), „skit“ (scheiße) und „fan“ (eigentlich „Teufel“, aber im Wesentlich ein Fluchwort) ausschmücken.

Einer seiner notorischen Auftritte war in einer Debatte darum, ob man wegen der ganzen Prostitution die WM in Deutschland boykottieren solle. Er wurde gegenüber dem Gleichstellungsbeauftragten des schwedischen Reichstags ausfällig, benutzte Schimpfwörter und befürwortete stark die Legalisierung von Prostitution in Schweden. Das kam vermutlich nicht so wahnsinnig gut an.

Man kann sich grob vorstellen, wie er als Fußballexperte auftritt: selten positiv – eine weitere Parallele zu Netzer – nur dass er niemals so gut gespielt wie dieser und natürlich jenseits jeder Höflichkeit. Vielleicht sollte ich mir das doch einmal anschauen.

Das alles dürfte einigermaßen erklären, wieso man bei Mediamarkt einen solchen Werbeträger haben wollte. Er macht einfach genug Krawall, um entsprechende Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Offenbar ist die Schmerzgrenze auch dann nicht überschritten, wenn man ihm einen Professorenhut aufsetzt und ihn dümmliche IQ-Tests präsentieren lässt.

Die finale Frage bleibt aber: wieso verkörpert er Deutschenklischees?

Die Antwort ist einfach, denn er wurde (laut seines schwedischen Wikipedia-Artikels) 1944 in Essen geboren, ist mit Åsa Antoine (dem Vornamen nach zu urteilen ursprünglich von hier) verheiratet und lebt heute im südschwedischen Sölvesborg. Wie lange er oder ob er überhaupt jemals längere Zeit in Deutschland gelebt hat, geht aus dem Artikel leider nicht hervor.
Tja, liebe Landsleute, manche unserer eigenen Promis kennen wir selbst nicht. Irgendwie können wir da auch ganz froh sein.

PS: Um den Herren Klopp und Netzer kein Unrecht zu tun, möchte ich noch anmerken, dass die beiden ausschließlich bei Länderspielen zum Einsatz kommen. Peter Antoine hingegen ist anscheinend da im Privatfernsehen präsent, wo man ihn gerne haben möchte. So hat er beispielsweise auch bei der Reality-TV-Sendung „FC Z“ mitgemacht, in der es darum ging, aus 15 Nerds eine Fußballmannschaft zu zimmern.

License to drive

Körkortsremsa

Heute morgen, 8 Uhr – Vägverket, die schwedische Straßenverkehrsbehörde, hat ihre Abteilung für Busfahrprüfungen ziemlich weit draußen, nämlich auf einem Flugplatz. Dort hat man mehr oder weniger auf der grünen Wiese ein paar Container (links im Bild) hingestellt. Mein Fahrprüfer ist schon da, kontrolliert meinen Führerschein, und schon geht es los. Die mühsam eingeübte Sicherheitskontrolle wird von ihm kaum betrachtet. Er steht nämlich draußen, raucht eine und unterhält sich mit dem Vertreter meiner Fahrschule. Danach die „Funktionsprüfung“, einem kurzen Gespräch über bestimmte technische Details des Busses. Er will etwas über die Parkbremse wissen – meine Paradedisziplin.
Das Fahren lief auch gut. Der Prüfer meinte allerdings, ich wäre zu schnell von der Autobahn abgefahren. Das ist insofern seltsam, als dass ich in den Fahrstunden einen kleinen Anschiss kassierte, als ich es genau so machte, wie er es heute gerne gehabt hätte. Der Vertreter meiner Fahrschule war zudem der Meinung, ich wäre insofern zu schnell unterwegs gewesen, dass das Einbremsen vor Ampeln und Kreisverkehren für die Fahrgäste ungemütlich würde. Das erstaunte mich insofern, als dass ich solche Kritik seit mindestens 10 Fahrstunden nicht mehr gehört hatte und zudem das Gefühl hatte, in der Prüfung eher langsam gefahren zu sein.

Wie dem auch sei: ich habe den Führerschein. Der oben abgebildete Abrissstreifen gilt maximal ein Jahr lang als Führerscheinersatz innerhalb Schwedens, bis mein neuer Führerschein ausgestellt wurde. Das ist weiter aber kein Problem, denn das dauert normalerweise nur eine Woche.

Montag geht es dann mit der Ausbildung zum Linienverkehr weiter.

Platt-TV

Media Markt

Media Markt beglückt die Schweden einmal wieder mit ihrem nicht gerade sonderlich fotogenen Pseudodeutschen „Peter Antoine“. Da man sich bei der Firma traditionell der Volksverblödung verpflichtet fühlt, lautet die Frage auch:

Schaffst du Peter Antoines IQ-test?

Was ist mehr Unterhaltung?

A. Ein Bauchredner
B. Ein Flachbildfernseher

Gefolgt ist das Ganze natürlich von allerlei Angeboten zur Antwort B. Der Slogan der Firma ist übrigens „Plötsligt känns allt annat ganska puckat“. Leider konnte ein Blick ins Wörterbuch nicht klären, was „puckat“ heißt, aber der Rest bedeutet „Plötzlich wirkt alles andere ziemlich …“

Wenigstens haben sie die Werbung mit dumpfen Deutschenklischees eingestellt. Das ändert aber nichts daran, dass die erwähnten Produkte natürlich nicht immer wirklich so billig sind, wie Media Markt behauptet. Eine interessante Statistik zum Thema Verbraucherpreise hat übrigens Thomas entdeckt. Dort sieht man deutlich, dass Schweden zwar für skandinavische Verhältnisse moderate Preise hat, die aber trotzdem alle deutlich über dem EU-Schnitt liegen – das widerlegt in weiten Teilen auch die sich breit machende Ansicht, dass in Schweden die Preise kaum höher wären als in Deutschland. Schon die 25% Mehrwertsteuer sorgen dafür, dass das nur selten der Fall ist.

Einen Flachbildfernseher hat übrigens auch Kronprinzessin Victoria zu ihrem gestrigen 30. Geburtstag von der schwedischen Regierung geschenkt bekommen. Etwas größeres wäre wohl als Verschwendung angesehen worden.

Schwarzwaldbröd

Schwarzwaldbröd

Eine Sache, die fast alle Deutschen in Schweden vermissen, ist deutsches Brot. Schwedisches ist nämlich süß und irgendwie anders – nur wenige Teutonen können sich voll damit anfreunden. Eine echte deutsche Bäckerei wie die in Malmö gibt es in Stockholm zwar nicht, aber einige Stellen, wo man angeblich deutsches Brot kaufen kann. Von einer wurde mir schon mehrfach berichtet: die Delikatessläden in den Hötorgshallen. Heute war ich dann endlich einmal dort, um danach zu schauen. Ich war begeistert. In einer Metzgerei gab es Thüringer Bratwürste. An dem Brotstand gab es dann aber tatsächlich Brezeln, die sich als ziemlich authentisch herausstellten und auch mit denen von einigen Karlsruher Bäckereien konkurrieren könnten. Unter anderem gab es auch verschiedene Brotsorten aus Deutschland. Ich erwarb natürlich das „Schwarzwaldbröd“, das zwar etwas zu weich ist, aber ansonsten recht authentisch schmeckt. Ich probiere bei Gelegenheit auch einmal die anderen Sorten aus.

Weniger authentisch ist allerdings der Preis. 5 kr (ca. 60 Cent) für eine Brezel ist ja noch annehmbar, aber 25 kr (ca. 2,75 €) erscheint mir doch schon recht teuer.

Uppkörning

Wenn man in Schweden zur praktischen Fahrprüfung antritt, dann nennt man das „Uppkörning“, sehr frei übersetzt „auffahren“. Das darf ich in Kürze auch machen, nämlich am 27. Juli. Drückt mir die Daumen!

Weitere Highlights:

  • Gestern hatte ich wegen des starken Regens einen Fahrgast, da er mit dem Fahrrad zur Fahrschule gekommen war und wir in dann besser mitnahmen. Das Erstaunlich war jedoch, dass er ein Deutscher im gesetzteren Alter ist und damit ein noch unwahrscheinlicherer Kandidat für eine Arbeit als Busfahrer. Wie sich herausstellte, hat er sogar mal ein halbes Jahr lang in Rastatt gewohnt und ist nun wegen Familie seit 5 Jahren in Schweden.
  • Heute morgen hatte ich einen Erste-Hilfe-Kurs. Der war mit insgesamt 3 Stunden Umfang noch lächerlicher als der deutsche Kurs für den Führerschein. Leider hatte er trotzdem zwei Beatmungspuppen dabei.
  • Nachmittags dann ein Brandschutzkurs, der mich als ehemaliger Feuerwehrmann auch nicht wirklich beeindrucken konnten. Dass wir selbst einmal Schaum- und Kohlendioxidfeuerlöscher ausprobieren durften, war allerdings nicht schlecht. Mit einer Brandschutzdecke auf eine Puppe springen hätte allerdings nicht unbedingt sein müssen.
  • Hier noch etwas anderes zum Thema Führerschein in Schweden.

Neue Urlaubsziele

Für all diejenigen, denen die Stockholmer Innenstadt, die Schären, die großen Seen usw. zu voll werden, hat Anne Petersson von der schwedischen Nachrichtenagentur TT recherchiert, wo in Schweden kaum jemand Urlaub machen möchte. Weil die Redaktionen der Zeitungen sommerbedingt unterbesetzt sind, haben sowohl Svenska Dagbladet als auch Dagens Nyheter den Artikel praktisch 1:1 abgeschrieben.

Hier also die am wenigsten besuchten Orte Schwedens:

  • Ockelbo: das erfrischend leere Ferienparadies (2800 Einwohner) rund zwei Stunden nördlich von Stockholm. Things to see: das Industriemuseum „Wij valsverk“
  • Kumla: dieser Ort hat mehr zu bieten, als man denkt: den Drittligaverein IFK Kumla samt Schwedens größtes Gefängnis „Kumlaanstalten“. Wenn man den Trubel nicht mehr aushält, kann man zum Entspannen ins 15 km entfernte Örebro fahren.
  • Nässjö: der Ort hat einen Bahnhof, und zwar der einzige Schwedens, an dem sechs Eisenbahnlinien zusammenlaufen. Wer aus dem Staunen wieder heraus ist, kann sich ein kühles Blondes in der örtlichen Brauerei „Nässjö bryggeri“ genehmigen. Prost!
  • Kungsör: weil auch die Wikipedia zu diesem Ort nicht viel hergibt, sei gesagt, dass es das örtliche Museum Kungsudden gibt. Wenn man das alles gesehen hat, kann man sich mit einem oder zwei der 5610 Einwohner anfreunden oder die Landschaft genießen. Viel mehr gibt die Homepage des Ortes nämlich auch nicht her.
  • Hjo: der Name des Ortes ist zwar kürzer, aber hat ungefähr genausoviele Einwohner. Sehenswert ist die Altstadt und die größte Schwarz-Erle Schwedens. Wer noch nicht genug hat kann auf eine „öringsafari“ gehen. Ein „öring“ ist anscheinend eine Lachsart – laut Wikipedia eine Forelle. Das Ganze muss so beliebt sein, dass man sich den Namen „öringsafari“ sogar als Markenname schützen ließ.
  • Åtvidaberg: mir ist ein Rätsel, warum dieser Ort nichtmal einen englischen oder deutschen Wikipedia-Artikel hat. Immerhin habe ich den Artikel zum lokalen Fußballgiganten Åtvidabergs FF (zweite Liga) geschrieben. Das ist wohl auch das einzig spannende im Ort.
  • Sälen und Åre im Sommer: das wiederum ist weniger verwunderlich. Es sind schließlich Wintersportorte.

Bemerkenswert an der Liste ist, dass bis auf Åre alle Orte nicht wirklich im Norden des Landes liegen und damit leicht zu erreichen wären. Es mag allerdings auch an der Bettenkapazität und den lokalen Gegebenheiten liegen, dass nicht so viele in diese Orte fahren.

Ein Geheimtipp ist übrigens Hässleholm ganz im Süden Schwedens. Dort sind im Juli gerade mal 21 Prozent der Betten belegt. Trelleborg, Örebro und Växjö kommen aber auch auf weniger als 40 Prozent. Dabei sind alle drei Orte für schwedische Verhältnisse nicht gerade klein.

Kinoelend

Vor knapp 2 Jahren hatten wir anlässlich des Stockholmer Filmfestivals zwei deren Mitarbeiter bei uns in der Radioshow. In einer Musikpause sagte ich zu einem der beiden, dass ich den Eindruck habe, dass SF Bio, eine Kinokette, den Markt in Stockholm schon sehr kontrolliert. Peinlich war nur, dass der eine Cheftechniker oder so bei SF in Stockholm ist.

Der einzige große Konkurrent von SF, Astoria Cinemas, ist jetzt in Konkurs gegangen. Erst im Mai hatte Astoria einen Teil seiner Kinos an SF verkauft und vollmundig verkündet, dass man nun seine Finanzen gesichert habe. Dem war wohl nicht so.

Das Schlimme ist, dass ich auch ohnedies schon mit meinem Eindruck richtig lag: SFs Übermacht im Kinomarkt ist erdrückend.

Eine kleine Statistik über die Verteilung in Groß-Stockholm:

  • 15 Kinos der Kette SF Bio
  • 7 Kinos der Kette Astoria Cinemas
  • 38 andere Kinos

Auf den ersten Blick ist das also weniger dramatisch. Zu den 15 Kinos von SF Bio gehören jedoch auch 6 Multiplexe wie das sehr zentral gelegene Filmstaden Söder, während die anderen teilweise Besenkammern sind.
Die 38 anderen Kinos bestehen zudem zu Großteilen aus kommunalen Kinos, die wenn überhaupt nur unregelmäßig Filme zeigen. Zwei Museumskinos, eines davon ein IMAX, gehören auch dazu.

Nennenswert sind eigentlich nur:

  • Zita: Alternatives Kino in der Stockholmer Innenstadt
  • Biografen Sture: In der Nähe von Zita, auch alternativ. Hatte vor 2 Jahren sogar mal ein deutsches Filmfestival.
  • Tellus Bio: Anscheinend recht alternatives Kino in Midsommarkransen im Süden Stockholms
  • Bäckmans Bio: Zwei Kinos, die von einem Filmenthusiasten betrieben werden und hauptsächlich Mainstream-Filme zeigen.
  • Bio Forellen: von einem Filmverein in Tyresö betriebenes Kino. Programm ist mir nicht bekannt. Erstaunlich ehrlich sind sie über ihre Besucherzahlen. Laut der Liste auf der Homepage hatten sie im ganzen Jahr 2006 insgesamt 6956 Besucher. Auf der Startseite warnen sie auch gleich, dass der Film nicht gezeigt wird, wenn weniger als 5 Besucher kommen.
  • Eurostar: Kinokette mit insgesamt 15 Kinos, davon 5 in Stockholm. Meist laufen aber nur ein oder zwei Vorstellungen pro Woche in den Kinos.

Also selbst im großen Stockholmer Kinomarkt gibt es abseits der beiden großen Ketten nur ein paar kleine Konkurrenten, die entweder Alternativkino machen oder sich mit dem Konzept eines kommunalen Kinos durchschlagen.

Sollte SF auch den Rest Astorias übernehmen, wäre die Kette Quasimonopolist. Zwar möchte ich mich nicht über SF beschweren – die Preise sind akzeptabel, das Programm ok. Jedoch die Vielfalt wird mittelfristig sicher leiden. Ohne echten Preisdruck wird SF sich sicherlich nicht mehr so sehr um die Kunden bemühen müssen. In Deutschland ist der Kinomarkt zwar auch großkettendominiert, aber es gibt wenigstens mehrere davon und zudem auch erfolgreiche Einzelkinos.

Meine Hoffnungen auf etwas alternativeres Kino, Filmnächte, Open-Air-Kino, billigere Preise und vielleicht die Einführung von Spätvorstellungen schwinden in jedem Fall.

Ja, richtig gelesen: von einem Open-Air-Kino habe ich noch nichts gehört hier, obwohl es der schwedische Sommer – wenn man mal vom diesjährigen absieht – durchaus erlauben würde. Spätvorstellungen scheinen zudem eine deutsche Spezialität zu sein. In ganz Stockholm gibt es jedenfalls nur ein Kino, das Filmstarts ab 22 Uhr und später hat: das Rigoletto – und das gehört ironischerweise zu SF.

Verschiedenes

Weil ich momentan irgendwie wenig zum Schreiben finde, mal wieder einer meiner etwas uninspirierten Posts:

  • Das Wetter ist mittelmäßig bis schlecht. Der schwedische Sommer ist bislang stark reklamationsbedürftig. Ich bin dabei, die entsprechende Beschwerdestelle zu suchen.
  • Die schwedische Steuerbehörde „Skatteverket“ hat mir ein Formular zukommen lassen, mit dem ich meine Einkünfte aus Deutschland korrekt versteuern kann. Irgendwas sagt mir, dass ich dabei ungefähr genauso viel Spaß haben werde wie bei einer Zahnwurzelbehandlung. Allem Anschein nach werde ich bis Ende des Jahres monatlich einen mehr als nur grob abgeschätzten Beitrag versteuern, um dann nächstes Jahr konkrete Zahlen vorzulegen. Die Steuerbehörde kann wohl froh sein, dass mein Fall ausgesprochen selten ist – ansonsten wäre das nämlich ein erstklassiger Anreiz zur Steuerhinterziehung, denn das Verfahren beruht natürlich zu guten Teilen auf der Ehrlichkeit des Lohnempfängers. Ich werde jedenfalls alles korrekt angeben. Im Gegensatz zur Schweiz ist Steuerhinterziehung nämlich auch hierzulande ein Verbrechen.
  • Ähnlich freudig ist, dass meine praktische Prüfung wohl frühestens am 27. Juli stattfinden können wird, weil Prüfungstermine knapp sind. Das ist ärgerlich, aber nicht zu ändern. Bis dahin kann ich jedenfalls sehr gut fahren, so dass die Prüfung nur bei sehr viel Pech danebengehen dürfte.
  • Da genügend Zeit ist, werden nun eher ungewöhnliche Fahrstunden eingeschoben. So durfte ich heute morgen testweise die Linie 62 fahren, die von Fredhäll nach Storängsbotten geht – beides Stadtteile, in denen ich zuvor noch nie gewesen war. Spannend wurde es dann in der Innenstadt, wo nicht nur unzählige Touristen und die Marschkapelle des Wachwechsels am Schloss herummarschierten, sondern auch viel Verkehr ist und die Straßen häufig mehr als eng sind.
  • Am Freitag und am Montag werde ich dann alles über Fahrkarten und Brandschutz lernen. Ich bin gespannt.
  • Das Auswendiglernen der Linien ist wohl weniger wild, als ich ursprünglich dachte. Die Garage, in der ich fahren werde, bedient ungefähr 18 bis 20 Linien – das sollte also bald überschaubar sein.
  • Interessant wird übrigens ein anderes Mobilitätsthema – die Frage, was mit dem Auto, das ich hier habe, geschehen soll, ist immer noch nicht geklärt. Sicher ist jedoch, dass ein Ölwechsel fällig ist, den ich auch selbst vornehmen werde. Ansonsten bleibt mir aber wohl nur, eventuelle Mängel – sofern mir möglich – festzustellen, denn das einzige, was ich sonst noch in Eigenregie wechseln würde, sind Lampen und Zündkerzen. An Bremsen wage ich mich jedenfalls nicht heran – zuviel Fehlerpotenzial. Zudem muss ich auch eine Werkstatt finden. Glücklicherweise gibt es so genannte „Gör-det-själv-hallar“ (also „Mach-es-selbst-Hallen“), wo man die Werkstatt stundenweise anmieten kann. Manches Werkzeug gibt es da auch, so dass zumindest einem erfolgreichen Ölwechsel nichts im Wege stehen sollte. Sollte ich das Auto nach Schweden ummelden, folgt zu Anfang eine Art TÜV, bei dem dann ohnehin alles herauskommen wird. Das System ist aber recht gut durchdacht: jeder Autobesitzer bekommt einmal jährlich einen Termin beim schwedischen TÜV zugewiesen. Ist alles ok, bekommt man die neue Plakette. Wenn nicht, muss man es bei einer autorisierten Werkstatt reparieren lassen und bekommt dann die Plakette. Der schwedische Staat nimmt also Inspektionsfaulen zwangsweise etwas ab, denn so ist ein jährlicher Check garantiert.
  • Letzten Freitag war deutscher Stammtisch. Dort wurde etwas belustigt über die Inga-Lindström-Filmreihe im ZDF gesprochen. Christine hat sich neulich am Telefon auch darüber aufgeregt. Kurz gesagt, in Filmen wie „Sehnsucht nach Marielund“, „Im Sommerhaus“, „Sprung ins Glück“ und „Vickerby für immer“ werden Schwedenklischees meterdick aufgetragen und mit allerlei grob falschem vermischt. Zu den Mängeln kam mir bisher unter:
    • Schon in den Bildern ist offenkundig, dass dort wohl so gut wie alle in Häusern wohnen, die so ähnlich aussehen wie das von Michel aus Lönneberga.
    • Auf den Schäreninseln vor Stockholm wimmelt es laut den Filmen nur so von Elchen. Ich weiß zwar nicht, ob die Elche begeisterte Schwimmer sind, aber auf den doch meist sehr kleinen Schäreninseln ist mir noch nie einer begegnet. Das will aber für sich genommen noch nichts heißen, denn nach knapp 2 Jahren in diesem Land ist mir überhaupt noch nie ein Elch begegnet.
    • Fahrräder sind zu erstaunlichen Geschwindigkeiten fähig. Anscheinend kommen in den Filmen mehrere Szenen vor, wo jemand von den Schäreninseln ebenso mal schnell in einer Viertelstunde nach Sigtuna fährt. Da Sigtuna rund 50 km Luftlinie von den Schären entfernt liegt, kommt man da also grob geschätzt auf eine Geschwindigkeit von 200 km/h. Es geht aber erstaunlicher. Offenkundig liegt auch ein Ort namens Sundsvall nur 15 Minuten von den Schären entfernt. Das echte Sundsvall ist jedoch stolze 340 km von Stockholm entfernt. Allen Radfahrern in den Filmen ist daher dringend zu empfehlen, ihre Fahrräder zum Patent anzumelden und geeignete Schutzkleidung zu tragen.
    • Midsommarszenen wurden anscheinend im Winter gedreht, weswegen diverse Akteure offenbar ausgesprochen dick eingepackt waren für Ende Juni.

    Ich bin mir nicht so sicher, ob ich einen dieser Filme sehen möchte.

  • Interessante Meldung am Rande, die mich stark an eien Geschichte im SPIEGEL erinnert hat: Diplomaten zahlen ihre Strafzettel für Falschparken nicht. Das müssen sie auch nicht, denn sie sind ja immun. In der SPIEGEL-Geschichte ging es um einen interessanten Zusammenhang zwischen Strafzetteln und Korruption – zwei Wissenschaftler haben die Menge der unbezahlten Strafzettel von in New York stationierten Diplomaten untersucht und mit der Korruption im entsprechenden Land verglichen. Im dortigen Ranking sind zwischen den Listen wenige Ähnlichkeiten zu erkennen. Dies liegt aber daran, dass Tickets pro Diplomat gerechnet wurden. In absoluten Zahlen sieht die Sache schon ähnlicher aus: Russland führt in beiden Listen dann klar, und auch China bekleckert sich nicht mit Ruhm. Deutschland allerdings peinlicherweise auch nicht. Eine Methode der New Yorker war übrigens in den Berichten hier nicht zu lesen: Dort hat man einfach zur Bestrafung die Anzahl der vergebenen Diplomatenkennzeichen auf ein Minimum reduziert. Wer kein Auto hat, kann auch nicht falsch parken.
  • Hier ein Blog-Artikel über Prostitution. Ich habe mich ja hier zum Thema schon ein paar Mal ausgelassen. Kurz gesagt: in Schweden macht sich der Freier strafbar, die Prostituierte jedoch nicht. Der Autor scheint die Politik hierzulande gut zu finden – obwohl der Artikel durchaus die Problematik anspricht, dass die Straffreiheit der Werbung dazu führt, dass etwas versteckter im Internet um Freier geworben wird anstatt auf der Straße. Eine besonders seltsame Werbungsmethode ist das Bekleben von Ampelpfosten mit Telefonnummern und dem Wort „Massage“ oder auch „Erotische Massage“. Dann weiß jeder bescheid, und da Handynummern in Schweden im Gegensatz zu ziemlich allem anderen anonym sein können, fällt es leicht, Spuren zu verwischen. Der Artikel erweckt leider etwas den Eindruck, Prostitution ginge einfach unvermindet im Hinterzimmer weiter. Dem ist nicht so – wenn hier in Schweden einmal ein großes Bordell auffliegt, hat dieses weniger als 10 Angestellte. Im Vergleich zu den regelrechten Bordellburgen in anderen Teilen Europas ist das so gut wie nichts. Hinzu kommt, dass einfach auch sehr wenig geduldet wird. Keine Zeitungsanzeigen unter der nebulösen Überschrift „Kontakte“, kein Straßenstrich, keine roten Lampen – die Werbung erfolgt vergleichsweise versteckt und wird daher nur wenige anziehen. Die Abschaffung der Prostitution bleibt natürlich eine Utopie, aber man kommt ihr in Schweden schon recht nahe, denke ich.
  • Zum Abschluss etwas Amüsantes: Yvonne über einige seltsame Dinge hier in Schweden und die schwedische Alternative zum Sommerfest der Volksmusik