Leider nicht

Vor 6 Jahren: mein Platz beim Nobelbankett.

Vor 6 Jahren hatte ich das Vergnügen, einmal beim Nobelbankett dabei zu sein. Wie sich mittlerweile herausgestellt hat, voraussichtlich das einzige Mal. Ich habe wieder einmal in der Nobellotterie nicht gewonnen, und das war dann so ziemlich die letzte Gelegenheit, noch einmal zum Nobelbankett zu kommen.

Das Nobelbankett findet im Anschluss an die Nobelpreisverleihung statt. Der Veranstaltungsort ist das Stadshuset. Alle sind äußerst schick gekleidet, die königliche Familie ist dabei und die Preisträger natürlich auch. Es gibt Essen vom Feinsten und ein minutiös arrangiertes Unterhaltungsprogramm. Das Ganze wird im Fernsehen gezeigt.

Als Normalsterblicher kommt man dort kaum rein, denn es sind nur gut 1000 Gäste zugelassen. Für sich genommen schon eine erstaunliche Zahl, denn wer schon einmal im Stadshuset war, wird Schwierigkeiten haben, sich so viele Leute in diesem kleinen Saal vorzustellen. Es geht bemerkenswert gut, aber es ist an der Grenze. Daher muss man auch knallhart einschränken wer kommen, darf: die Ehrengäste, zu denen auch die Vertreter der Länder zählen, aus denen die Preisträger kommen – meist Botschafter, aber auch Westerwelle hat sich das nicht entgehen lassen. Hinzu kommen Mitglieder der Akademien, die den Preis vergeben, sowie natürlich Angehörige der Preisträger.

Dann ist der Saal auch fast schon voll. Aber nur fast, denn 100 Plätze gehen traditionell an Studenten. Diese werden per Lotterie als 50 Paartickets verlost, wobei man aber nur das Recht gewinnt, die Tickets zu kaufen. Neben den Aufwendungen für Lose müssen dann die Tickets selbst bezahlt werden (1800 kr pro Person). Die Party danach kostet nochmal 500 kr, und die Kosten für die Kleidung darf man natürlich auch tragen, denn für Männer ist z.B. ein Frack verpflichtend. Letzten Endes ist eine Monatsmiete pro Person weg. Aber wann macht man das schonmal?

Ein Los kostet 50 kr, also gut 5 €. 2005 hatte ich 5 Stück oder so gekauft und prompt gewonnen. Was mir damals nicht so ganz bewusst war: ich hatte großes Glück. Man kann soviele Lose kaufen, wie man möchte. Dieses Jahr wurden 3354 Lose verkauft, also für jeden Platz rund 67 Lose. Die reale Gewinnchance ist freilich höher, denn jeder Teilnehmer darf nur einmal gewinnen. 607 Studenten haben Lose gekauft, also rund 5,5 Lose pro Teilnehmer. Es verfallen also mit fast jedem Gewinner eine Reihe Lose, was natürlich die Chancen der anderen erhöht.

Gering sind sie trotzdem, und so konnte ich auch dieses Jahr trotz des Kaufs von deutlich mehr als 5 Losen nicht gewinnen. Ob es nächstes Jahr nochmal eine Möglichkeit geben wird, weiß ich nicht, aber ich halte es eher für unwahrscheinlich. Schade.

Studentenschwund in Schweden – Hochschulvertreter äußern sich

Thomas hat auf einen Debattenbeitrag hingewiesen, der gestern in der DN erschien.

Dort äußern sich zwei Uni-Vertreter, einer von der KTH hier in Stockholm und einer aus Göteborg, zu den Studiengebühren und den Effekten. Sie sind sehr kritisch gegenüber den Studiengebühren und meinen, man müsse die beiden Hauptargumente für die Gebühren – zuviele (und damit teure) Studenten sowie Qualität statt Billigheimer – noch einmal überprüfen.

Leider bleibt es dabei aber auch. Es kommen keine weiteren handfesten Fakten, welche die Argumentationslinie, dass die außereuropäischen Studenten Schweden auch etwas brachten, unterstützen würden. Allenfalls den naheliegenden Effekt, dass viele Kurse einfach ganz eingestellt werden, benennen sie konkret.

Sie stellen u.a. fest, dass die schwedische Wirtschaft und Gesellschaft die Absolventen bräuchten. Das ist alles wohl wahr, aber beantwortet nicht die Frage, inwieweit Wirtschaft und Gesellschaft diese auch bekommen haben, solange das Studium kostenlos war. Ich hoffe, dass es hierzu konkreteres geben wird.

Die Fernseheiche

TV-Eken, die Fernseheiche (Bild: Holger.Ellgaard, CC BY-SA 3.0)

In der letzten Woche durfte ich per Dagens Nyheter eine Stockholmer Institution kennenlernen: die Fernseheiche. Den Baum habe ich in meiner Busfahrerzeit zigmal gesehen, aber keine weitere Beachtung geschenkt. Dabei ist das nicht irgendein Gewächs: seit rund 2 Wochen hat sie sogar einen eigenen Wikipedia-Artikel, denn sie ist bis zu 1000 Jahre alt und damit eine der ältesten Eichen in Stockholm.

Ihren Namen erhielt sie, weil sie heute direkt vor dem Hauptgebäude des schwedischen öffentlich-rechtlichen Fernsehens steht. Früher hieß anscheinend auch schon Radioeiche, denn das öffentlich-rechtliche Radio hat seinen Sitz gleich daneben. Dass sie heute dort noch steht, hat sie dem Architekten Holger Blom zu verdanken, der in den 1960er Jahren dafür sorgte, dass die Straße in der Mitte eine große Verkehrsinsel bekam, die dem Baum Platz gab. Leider war das nicht allzu erfolgreich. Die Wurzeln sind schwer angegriffen. Obwohl die Krone gestutzt wurde, gibt es ein erhebliches Risiko, dass Äste herunterfallen. Der Druck durch die Straße und das Beschneiden der Äste führte letztendlich zum Befall und dem langsamen Sterben des Baums.

Sie ist also kaum mehr zu retten. Eigentlich wäre ihr langes Leben letzte Woche Montag zu Ende gegangen, aber eine beherzte Aktion von Freunden der Eiche konnte dies verhindern: sie tanzten um den Baum herum. Sie waren zu allem entschlossen, und einige übernachteten sogar im Geäst.

Für’s Erste hat der Baum eine Gnadenfrist bekommen. Schnell wurde das Thema zu einer politischen Frage. Ein Vorschlag war, die Eiche umfänglich (siehe hier) zu sichern und das Ganze mit der ohnehin in der Ecke geplanten Straßenbahn zu kombinieren. Das könnte sogar eine Touristenattraktion werden. Eine schöne Idee, wie ich finde, wenn auch die Praktikabilität bezweifelt werden kann.
Als botanisch Uninformierter frage ich mich auch, ob das nicht dazu führen wird, dass irgendwann nur noch ein kahler Stumpf übrig bleiben wird.

Erfreulich wäre es in jedem Fall, wenn ein hunderte Jahre altes Lebewesen nicht von 40 Jahren Stadtplanung dahingerafft würde.

Winzer und ehemalige Sperrgebiete – die Stockholmer Schären in Reisereportagen

Landsort am südlichsten Ende der Schären (Foto: Flickr-User Let Ideas Compete, CC BY-NC-ND 2.0)

Die Stockholmer Schären sind schön. Ich habe sogar das Privileg, auf einer Schäreninsel zu wohnen – obwohl diese natürlich so groß ist, dass man es eigentlich nur bei der Fahrt über die Brücken merkt. Ausflüge auf richtige Schäreninseln sind leider viel zu selten.

Als reisejournalistisches Subjekt sind sie auch nicht uninteressant. So war vor einiger Zeit dieser Bericht im Spiegel und Manager-Magazin über einen 90-jährigen Winzer zu lesen, der auf dem von mir nicht weit entfernten Tynningö doch tatsächlich einigermaßen erfolgreich Wein anbaut.

Nun kam kürzlich auch noch eine Reportage über Landsort, der südlichsten Schäre im Großraum Stockholm, im Merian-Magazin.

Auf beiden Inseln war ich leider noch nie – aber vielleicht sollte man einmal hinfahren. Viel Spaß beim Lesen.

Studentenschwund – die Folgen der Studiengebühren in Schweden (3)

Mein Zimmer im Container aus dem Jahr 2005 - manche Studenten schafften es, in so einem winzigen Zimmer zu zweit zu wohnen.

Die letzten beiden Tage habe ich Statistiken bemüht und aus dem Nähkästchen geplaudert, um ein bisschen darzulegen, wie es vor der Einführung von Studiengebühren war, die seit 2011 für Masterstudiengänge für Studenten erhoben werden, die nicht aus der EU, dem EWR oder der Schweiz stammen.

Um das Ganze etwas zu unterstreichen, habe ich hier einen Bericht aus erster Hand, auf den mich Holger dankenswerterweise hingewiesen hat. Dieser Text wurde bei Wikinews von einem Benutzer aus Islamabad in Pakistan eingetragen (er steht unter CC-BY-Lizenz):

In 2008 i left my Government job on contract and went to Sweden for higher studies. I got admission at The royal institute of technology – KTH, Stockholm, Sweden which is ranked in top 200 universities among the world. I was in the batch of 2008-2010 enrolled in the degree of Masters in Information and communication Systems security. There were lots of Pakistani in our class. As some of our courses were common in other degree courses. So we have a chance of meeting our Pakistani fellow from the degree of Engineering and management of Information Systems and Software Engineering in Distributed systems. Coming from our homeland to a new place was not that easy. The temperature start getting down from September. The days were getting shorter and long nights in winter. Surviving on our own savings made us to share room with other guys. Soon in about two months we were looking for most available source of income which were odd jobs. In Stockholm we found the newspaper job as almost the only available option. My first day was most horrible. Reaching the office at 8 o clock in the morning. There were other people sitting on the chairs. There were carts on side with two tires. A Russian lady was busy giving instructions and doing paper work. After an hour wait i was called and given a paper with a street map. The lady told me where to pick the newspaper and where to distribute it . I take the cart and pushing it went to the destination. It was snowing and pushing the cart took more power. finally i reach there and found a very big pile of newspapers there.unpacking the wrapping and putting the load in cart , soon my fingers got very cold and blue. I have to go inside buildings to keep them warm. During distribution it was hard to find the building , finding different key for them and go inside. So it took me almost 7 hours to complete the jobs. I got extremely tired. I guess i earned 200 Kr for that work . This work was once a week. I was able to pay my food expense from this work. Study was quite tough in KTH. We have to study hard and took daily classes to manage with the pace of studies. We have to complete 30 Credits in one semester which was for about 4 months. I took 2 extra courses to finish the studies more quickly. Sweden is quite cold and dark in winters. At times the temperature drops to -25. It has affect on moods of people .With the passage of times i did lots of jobs to survive along with doing studies. These odd jobs include Newspaper distribution on foot and car, Shoveling snow, distributing ads on cars, looking after special kids, moving house items, working in cinema, grass cutting and unlocking mobile phones.
Summer is enjoyable time for swedes. They go for summer vacations. The long sunny day is a treat. we feel more energetic. There is a break from studies during this time. Although before coming from Pakistan i had 4 years of work experience which includes one year professional work experience in Hongkong ,still me and many of my friends like me were not able to find professional jobs. In my last semester i took thesis with my University professor along with my class fellow, which was later published as a paper. I used to distribute newspaper daily from 2:00 Am night to 6:00 Am. then i would go for thesis work at around 11 Am till 5 pm. It was tough but i was hopeful to complete studies and go back home . Soon i got another paid internship in a professional company. The pay was however modest and keeping in mind to have savings for going back to Pakistan, i continued my other two routines of thesis and job at night. These activities gave me hardly 5 hours of sleep and really hard next 5 months. By June 2010 i was able to successfully complete my masters Degree and internship. So i did Europe tour of few countries , and went back to Pakistan for good after 2 years with high hopes. From my class of 2008 masters session around 4 other Pakistani including my thesis fellow completed their degree and 3 of them went back home.I started applying for jobs in Pakistan after 2 week rest. In the resume along with 4 years experience now adding a foreign masters degree along with experience of working in a Swedish company. The response for jobs was quite slow. Initially through friends request i was able to go for some interviews. The interviewers seems not interested in my qualification and asking questions from their own perspective. Judging the kind of interviews i face, i have to buy the fundamental books that i studies in bachelors back in early 2000’s. But interviews results keep on coming in negative. Wat ever i learned and gained from Sweden seems to be , of no interest. I checked my other friends who came back to Pakistan from Sweden surprisingly they were all struggling to get job. Finally after 18 job interviews in different companies and 7 months later i was able to land in a job for merely Rs 20,000 or 232$ per month. I accept it as i see no other choice. After 2 weeks i got another better offer and switched to that job. Meanwhile my thesis fellow also came back to Pakistan, and start looking fro jobs as well. Interestingly from our specialization we didn’t got any response from any private or government organizations ,so me my friends have to find other related work of teaching etc. A month back my thesis fellow went back to Sweden after vain search of jobs in Pakistan for about 8 months.
Its been around a year and half but i still have those memories come back again and again. Dark cold nights and i am pushing a very heavy cart full of newspaper in the snow.Remembering the A grade i got in my master thesis and then searching for jobs for 7 long months. My good friend went back hopeless. It comes to my mind a lot of time that had i knew about all this situation i would have never went to Sweden. As in my country there is not much value for ones own talent and education , it is combination of some other factors which solves the purpose.

Zwar ist das Fazit letzten Endes, dass sich Bildung im Ausland in Pakistan nicht auszahlt. Aber als Botschafter Schwedens kann dieser Mann sicherlich auch nicht herhalten. Denn in der Breite, in der er über seinen vermeintlich unerträglichen Zeitungsjob spricht, kann wohl kaum ein positiver Eindruck entstehen.

Ich sehe in dem Text auch eine gewisse Naivität und übersteigerte Erwartungen. Der Autor hatte anscheinend erwartet, dass man ihm trotz anzunehmenderweise nichtexistenten Schwedischkenntnissen direkt einen gut bezahlten Job zu Füßen legen werde. Stattdessen musste er in der Kälte Zeitungen austragen – etwas, das er für unangemessen hielt. Bei so hohen Erwartungen ist die Enttäuschung natürlich groß.

Das wirft die Frage auf, ob die ganze Masterstudiengeschichte nicht schon alleine daran gescheitert ist, dass die Unis falsche Erwartungen von den Studenten hatte und die Studenten falsche Erwartungen von Schweden. Die Unis klammerten sich an die Hoffnung, damit einen positiven Effekt zu erreichen. Die Studenten klammerten sich in dem fremden Land aneinander und blieben fremd.

Verallgemeinerbar?

Sind diese beiden Beispiele typisch? Es ist zwar hart, dies zu sagen, aber mir erscheint es so, und es ist analog durchaus auch auf China übertragbar.

Ich habe in den 6 Jahren hier keinen pakistanischen und nur wenige chinesische Masterstudenten erlebt, die ernsthaft beabsichtigten, schwedisch zu lernen. Sie lebten größtenteils in einer Parallelwelt, in überfüllten Zimmern zusammengepackt.

Das Ziel des Unternehmens war also wohl, so schnell und so billig wie möglich irgendeinen Abschluss an einer westlichen Universität zu erwerben. Schweden kam da gerade recht, denn es machte das ultimative Angebot: eine europäische Ausbildung zum Nulltarif, und das auch noch auf englisch. So etwas gibt es woanders kaum.

Was hat Schweden davon?

Die Frage bleibt aber, ob Schweden sich einen Gefallen damit tat, es so zu machen – und ob sie jetzt besser fahren.

Erstere Frage muss ich zumindest im Wesentlichen mit Nein beantworten. Nach den obigen Betrachtungen habe ich wenig Zweifel daran, dass das Kosten-Nutzen-Verhältnis für den schwedischen Staat sehr bescheiden war. Viele, wenn nicht die meisten dieser Studenten nahmen die Ausbildung gerne und gingen dann weg, ohne jemals einen Nutzen für Wissenschaft und Wirtschaft in Schweden zu erbringen.
Zwar suchte man die Exzellenz durch Englisch-Nachweise in Form des TOEFL-Tests und zwingend erforderliche Empfehlungsschreiben zu sichern. Dass dies aber nicht immer fruchtete, zeigt meine kleine Helsinki-Anekdote. Eine Flut von hoffnungsvollen Nachwuchsakademikern in Schweden scheint jedenfalls ausgeblieben zu sein.

Der schwedische Steuerzahler, der das ganze Unternehmen finanzierte, hatte letztlich wenig bis gar nichts davon.

Das Ganze war auch kein Beitrag zur Imagepflege. Sogar das Minimalziel, vielleicht durch das Angebot solcher Studiengänge eine Art Entwicklungshilfe zu leisten, wurde möglicherweise nicht erreicht, wenn die Absolventen nachher die hoffentlich erworbenen Kenntnisse nicht zum Einsatz bringen können.

Ich kann daher die Regierung verstehen, dass sie der ganzen Sache einen Riegel vorgeschoben hat. Zwar ist es immer etwas schade, wenn eine solche weltoffen daherkommende Einrichtung zu Grabe getragen wird, aber die Gründe sind nur allzu verständlich.

Fährt man jetzt besser?

Vielleicht ist die jetzige Rückkehr zu kleineren Studentenzahlen auch irgendwo eine Gesundschrumpfung, denn 18.000 Masterstudenten pro Jahr nahmen sich gegenüber den 180.000 insgesamt angenommenen Studenten nicht unerheblich aus. Es ist anzunehmen, dass dies doch einige Herausforderungen an die schwedische Hochschullandschaft stellte.

Die Zahlen spiegeln auch wieder, dass die schwedischen Universitäten im Ansehen eben nicht in einer Liga mit Harvard spielen. Allein Anziehungspunkt zu sein, weil es so billig war, konnte kaum ein erstrebenswerter Zustand sein.

Jedoch empfinde ich den jetzigen Zustand auch nicht wirklich befriedigend. Dass man kostendeckende Studiengebühren verlangen will, erscheint durchaus nachvollziehbar. Jedoch bleibt dies nicht ohne Folgen für das Kursangebot. Wenn statt 20 nur noch 3 Anmeldungen für einen Kurs kommen, dann findet dieser vielleicht gar nicht statt.

Veranstaltet man ihn dennoch, so hat man in einigen Bereichen weniger Kosten, aber die Lohnkosten für die Vorlesungen reduzieren sich nicht, und auch bei den Raummieten kann man nicht immer sparen. 75% weniger Studenten bedeutet also nicht unbedingt 75% weniger Kosten.

Zudem nahm man dieses Jahr 85% der tauglichen Bewerber an, letztes Jahr nur 63% – es ist anzunehmen, dass man in einigen Bereichen Leute angenommen hat, um das Masterprogramm zu erhalten, obwohl man über die Bewerber nicht glücklich war. Das kann auch keine Lösung sein.

Die Universitäten sollten die Studiengebühren nach ihrem Marktwert festlegen können, d.h. so, dass die Kurse voll werden, aber immer noch genug Einkünfte entstehen, um den Betrieb zumindest zu unterstützen. Vielleicht müsste man auch noch mehr tun – z.B. durch großzügige Stipendien – um besonders gute Studenten anzuziehen.

Das Fazit ist also: vorher gab man viel Geld für zuwenig aus. Jetzt spart man zwar, aber tut sich damit auch keinen Gefallen.

Studentenschwund – die Folgen der Studiengebühren in Schweden (2)

Helsinki

Als ich noch Masterstudent war, bezahlte mir die KTH einmal eine Fahrt nach Helsinki samt Übernachtung. Das war in der Tat sehr großzügig, aber nicht ganz so großzügig wie in den Jahren zuvor – da fuhr der ganze Kurs Reaktorphysik nach Belgien. Der Grund dafür war schlicht, dass man einen entsprechenden Reaktor für die Experimente in Schweden nicht mehr hat.

Eine kleine Geschichte zwischen Finnland, Schweden, Pakistan und einem Forschungsreaktor

In meiner Gruppe waren zwei pakistanische Studenten, die ich in dem Rahmen etwas kennenlernen durfte. Ich zeigte ihnen das bisschen von Helsinki, das ich kannte. Die beiden waren sehr nett, zurückhaltend und bescheiden. Es war recht offensichtlich, dass sie mit sehr begrenzten Mitteln wirtschafteten. Wohl nicht nur aus religiösen Gründen hatten sie etwas Toastbrot und Brotaufstrich dabei, um ein paar Mahlzeiten zu ersetzen. Bei politischen Fragen wollte ich nicht allzu tief bohren, aber es war schon interessant zu hören, dass sie unumwunden sagten, es lohne sich bei ihnen nicht, zur Wahl zu gehen, weil sie sowieso nicht sauber verlaufe. Die Aussage, dass die Taliban es immerhin geschafft hätten, Afghanistan einigermaßen stabil zu regieren, konnte ich zwar bestätigen – freilich aus einem anderen Blickwinkel. Vor einem Sex-Shop in Helsinkis Innenstadt fragten sie, ob sie denn da reingehen dürften. Ich antwortete, dass sie das natürlich dürften. Ausprobiert haben sie es nicht. Schade eigentlich, denn das hätte dieser interkulturellen Begegnungsreise noch einiges hinzugefügt.

Wir führten allerlei kleine Experimente an einem Forschungsreaktor in Helsinki durch, die wir anschließend auswerten und in einem Bericht zusammenfassen sollten. Frisch vom blauen Tscherenkow-Licht angestrahlt kehrten wir nach Stockholm zurück. Ab dem Zeitpunkt ging es bergab. Wir einigten uns darauf, dass ich den Bericht zusammenstellen sollte und jeder ein Drittel der Aufgaben bearbeiten würde. Die Stücke, die meine Mailbox erreichten, waren weitaus schlimmer als erwartet.
Nicht dass ich ein perfektes Englisch erwarten würde – wir sind alle keine Muttersprachler – aber dass die Texte auch einmal gelesen werden schien nicht zuviel verlangt. Stattdessen erhielt ich Texte, die mit Fehlern übersät waren. Die Analysen waren weitgehend nicht nachvollziehbar gemacht, die Resultate unvollständig.

Als wir das einreichten, war das Urteil wenig überraschend: nicht akzeptiert. Man musste sich also zusammensetzen und alles noch einmal überarbeiten. Das scheiterte schon daran, dass einer der beiden im Sommer nach Pakistan gereist und seither nicht mehr erreichbar war. Es musste angenommen werden, dass er nicht mehr zurückkehren würde. Das Ende kann man erahnen: der andere zeigte immerhin noch etwas Interesse, aber das allermeiste blieb an mir hängen. Das Gemachte konnte man wegen Unverständlich- und Unbrauchbarkeit in die Tonne treten. Stattdessen machte ich die Aufgaben selbst.

Die Situation war schon grotesk: ich hatte den Kurs nur spaßeshalber belegt und brauchte die Punkte nicht. Die beiden hingegen machten einen Reaktorphysik-Master, bei dem dies natürlich ein Pflichtkurs war. Wichtigkeit und Engagement standen in deutlichem Widerspruch. Ich beschloss, in diesem Fall einmal unsolidarisch zu sein und den Tutoren zu empfehlen, dem entschwundenen Kommilitonen den Kurs nicht anzurechnen – physische Anwesenheit war schon irgendwo vorauszusetzen, fand ich. Es ist nicht ganz ohne Unbehagen, wenn ich mir überlege, dass er vielleicht mit seiner halbfertigen Ausbildung und derart offenkundigen fachlichen Mängeln in Pakistan an den Reglern eines dortigen Kernkraftwerkes sitzen könnte.

Etwas aus dem Fenster gelehnt: was die beiden hierher brachte

Was hat diese Anekdote mit dem Thema zu tun? Mehr als man denkt.

Die beiden Kollegen scheinen mir nicht untypisch zu sein. Bei beiden hatte die Familie schon eine Ehe arrangiert. Sie lebten in bescheidenen Verhältnissen dicht gepackt in einem Zimmer. Sie verdienten sich etwas Geld durch das Verteilen von U-Bahn-Zeitungen hinzu.

Ich glaube nicht, dass der Grund ihrer Anwesenheit in Schweden akademische Bildung oder gar Exzellenz war, ja nicht einmal die Ausbildung an sich. Sie waren eher Vertreter der pakistanischen gehobenen Mittelschicht, die mit den Mitteln der Familie ins Ausland geschickt wurden, um dort irgendetwas zu studieren, auf dass man einen vorzeigbaren Sohnemann habe. In Schweden zu bleiben war zu keinem Zeitpunkt eine Option, und die Wahl fiel auf das Land nur, weil man hier eine englischsprachige Ausbildung ohne Studiengebühren erhalten konnte.

Die Frage ist, ob dies wirklich so typisch ist. Dazu habe ich morgen einen recht authentischen Erfahrungsbericht eines ehemaligen pakistanischen Studenten.

Studentenschwund – die Folgen der Studiengebühren in Schweden (1)

Meine Kurse sind erledigt. Ich bewege mich nicht mehr so viel in den Korridoren dieses Gebäudes. Es fiel mir nicht so richtig auf: es ist ruhiger geworden. Es muss zumindest, denn die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Es gibt weit weniger internationale Studenten als noch vor einem Jahr.

Der Grund dafür ist simpel: Studiengebühren.

Als EU-Bürger, Bürger von Liechtenstein, Norwegen, Island oder der Schweiz muss man diese nicht bezahlen. Alle anderen trifft es größtenteils, und zwar oft nicht sanft.
So darf man beispielsweise bei der KTH mittlerweile mindestens 145.000 schwedische Kronen (knapp 16.000 Euro) pro Studienjahr bezahlen.

Das ist teuer, und auch wenn einige schwedische Hochschulen sicherlich hohes Ansehen genießen – Harvard, Cambridge, Princeton, Oxford und Yale sind nicht in Schweden. Und deswegen sind nicht nur wenige in der Lage, solche Summen aufzubringen. Von denen, die es können, sind auch nur wenige bereit, es wirklich zu tun. Die Effekte sind gravierend. Von 2010 auf 2011 ist die Anzahl der neuen Masterstudenten in Schweden um um 58 Prozent gesunken.

Wer bewirbt sich?

Bewerber für Masterstudienplätze in Schweden nach Ländern. Aufgeführt sind die zehn Länder, die 2010 am meisten Bewerber stellten, und die entsprechenden Bewerberzahlen für 2011 (Quelle: VHS.se)

Diese Grafik zeigt die Anzahl der Bewerbungen für die Top 10 des Jahres 2010. Man sieht es deutlich: die Bewerberzahlen sind massiv gesunken, mit Ausnahme von Äthiopien um jeweils über 70%. Pakistan und Kamerun haben mit jeweils über 90% die größten Rückgänge. Mittlerweile ist Äthiopien das Land, aus dem die meisten Bewerbungen kommen. Schaut man hingegen auf die EU-Länder, wuchs das Interesse eher leicht.

Wer sich nun noch bewirbt, ist schwer festzustellen. Denn in der nächsten Stufe werden die offenkundig untauglichen Bewerber aussortiert, und an deren Anteil hat sich nicht viel geändert. So erfüllten letztes Jahr 58% der chinesischen Bewerber die formalen Anforderungen, heute sind 54%. Einsame „Spitze“ ist Nigeria – rund 95% der Bewerbungen von dort fallen durch, 2010 wie 2011. Es sieht also so aus, als sei die Qualität der Bewerber gleichbleibend gut oder schlecht. Angesichts der hohen Gebühren sollte man erwarten, dass vermehrt Kinder aus reichem Hause, die bei den ganz Großen in der akademischen Welt nicht landen konnten, es in Schweden versuchen sowie große Talente, die durch ihre Exzellenz auf gebührenmildernde Stipendien hoffen können. Sollte dem so sein, so scheinen sich die Effekte in weiten Teilen auszugleichen.

In anderen Worten: die stark reduzierte Zahl der Bewerber wirkt sich auch proportional auf die Zahl der tauglichen Bewerber aus. Letzten Endes ist aber nun die Frage, wer denn angenommen wurde.

Wer kommt rein?

Länder, die 2010 und/oder 2011 die meisten Studenten stellte, die in Schweden zu einem Masterprogramm angenommen wurden, und die entsprechenden Studentenzahlen dazu. (Quelle: vhs.se).

Dabei stellt man etwas vermeintlich Selbstverständliches fest: die Schweden stellen doch tatsächlich die größte Fraktion. Das war zuvor nie so. In absoluten Zahlen hat sich zwar nicht all zu viel geändert – der Anstieg von rund 2000 auf rund 3000 wäre bei den vorherigen Verhältnissen nicht so aufgefallen – aber durch den massiven Einbruch der vorherigen Spitzenreiter wie Pakistan, Indien etc. rücken sie nun auf, und mit ihnen Studenten aus der EU, die nun auf weit weniger Konkurrenz treffen. Der Anteil aus den gebührenbefreiten Ländern ist von 13% auf 41% gestiegen, so dass Großbritannien, wo man in der Regel zahlen darf, und Deutschland nun in der Spitzengruppe sind.

Ein Blick auf die einzelnen Universitäten ist auch interessant. Mit Ausnahme der Chalmers-Hochschule in Göteborg, die die Zahl der Masterstudenten um 18% steigern konnte, haben alle Hochschulen mindestens 27% verloren. Meine Annahme, dass v.a. Hochschulen im ländlichen Raum Einbußen hinnehmen müssen, bestätigt sich nicht ganz. Zwar konnten sich fast alle Großstadthochschulen ganz gut behaupten, aber auch Jönköping (45% Verlust) und Luleå (47%) schlagen sich ganz gut, während die großstadtnahe Södertörns Högskola (im Süden Stockholms) noch ganze 12 Masterstudenten hat. Letztes Jahr waren es 249, was einem Rückgang von 95% entspricht und damit das Schlusslicht macht.

Dass Chalmers so erfolgreich ist, liegt vermutlich auch an den vergleichsweise niedrigen Studiengebühren von 70.000 SEK im Jahr. Das ist zwar immer noch ein Batzen, aber eine renommierte Universität kann sich das wohl eher erlauben als eine vergleichsweise unbekannte junge Hochschule wie Södertörns, die ab 85.000 SEK verlangt. Der etwas niedrigere Preis hat vielleicht auch etwas damit zu tun, dass Chalmers eine private Hochschule in Stiftungsbesitz ist. Die Hochschulen sind nämlich anscheinend dazu angehalten, mit den Studiengebühren die realen Kosten zu decken, wobei eine Privatuniversität vermutlich leichter Bilanzschiebereien unternehmen kann als eine öffentliche Hochschule.

Besser oder schlechter?

Das Bild ist eindeutig: die Gebühren haben die Bewerber in Scharen davongejagt, was die Studentenzahlen aus außereuropäischen Ländern stark reduziert hat. Den EU-Bürgern erleichtert es etwas den Einstieg, aber faktisch sind sie nur deswegen plötzlich eine große Gruppe, weil die anderen weggeblieben sind.

Ich bin mir auch nicht ganz sicher, wieviele von den Angenommenen wirklich dann aufkreuzen. Vielleicht haben viele von ihnen woanders ein besseres (d.h. billigeres) Angebot erhalten und verzichten auf den Platz, was wahrscheinlich in dieser Statistik gar nicht berücksichtigt werden kann.

Auf den ersten Blick wirkt die Politik also gnadenlos gescheitert. Zuvor sehr beliebt beim internationalen Publikum, ist Schweden massiv abgestürzt.

So einfach ist das Ganze aber nicht. Denn die Frage bleibt, ob sich Schweden überhaupt einen Gefallen damit getan hatte, diese Angebote zu machen. Mit anderen Worten: hat man eine Art Bildungsblase geschaffen, die zwar die Studentenzahlen spektakulär anschwellen ließ, die aber letzten Endes Schweden wenig gebracht hat?

Wenn man davon absieht, dass man im Sinne einer Entwicklungshilfe vielleicht Ausbildungen kostenlos anbieten will, so kann es eigentlich nur zwei Motivationen geben: zum Einen möchte man junge Leute mit Potenzial anwerben, die dann möglicherweise hier bleiben und damit die schwedische Wissenschaft und Wirtschaft unterstützen. Zum Anderen würden Rückkehrer ein positives Bild von Schweden verbreiten und schwedischen Unternehmen und Hochschulen attraktive Kooperationen verschaffen.

Ich kann hierzu freilich keine tragfähige Untersuchung anbieten, aber etwas aus dem Nähkästchen plaudern. Dazu aber morgen mehr.

Hyresgäst ohne Förening – Mieter ohne Bund

Vorgestern, 20:50 Uhr: es klingelt an der Tür. Das kommt nicht so oft vor, schon gar nicht um diese Zeit. Vor der Tür steht ein Mann mit einer Liste. Er ist von der Hyresgästföreningen, und daher ist das eigentlich ein Besuch, den ich schon vor längerem erwartet habe. Ich bin nämlich vor einiger Zeit aus dem Verein ausgetreten.

Der schwedischer Mieterverband – eine eigenwillige Konstruktion

Die Hyresgästföreningen (Hyresgäst = Mieter) ist sozusagen der schwedische Mieterverband. Die Mitgliedschaft ist keine Pflicht, aber üblich. De facto verhandelt der Verein nahezu alle Mieten in Schweden. Der Vermieter schließt eine Art Tarifvertrag ab, dass die Hyresgästförening die Mieter vertritt, egal ob der Mieter nun Mitglied ist oder nicht.

Das ist für den Vermieter bequem, denn er könnte durchaus mit dem Mieter direkt verhandeln, was aber sicher mehr Aufwand darstellt. Im schwedischen System ist es nachvollziehbar, einen professionellen Verhandlungsführer zu haben, denn die Mieten sind streng reguliert. Würde der Mieter selbst verhandeln, würde er sich wohl über den Tisch ziehen lassen und müsste die Miete bei einem Disput von der Mietbehörde Hyresnämnden prüfen lassen. Die Hyresgästföreningen lässt es dazu erst gar nicht kommen, weil sie Gesetze und Fakten kennen.

Ein prinzipielles Problem, das ich damit habe, ist die Art der Vertretung. Nicht nur, dass ich mir nicht aussuchen kann, von wem ich vertreten werde. Die Hyresgästföreningen betreibt ihre interne Demokratie so, dass einmal im Jahr Hauptversammlung ist. Verpasst man sie, erhält man nur Briefe und Magazine, die Lobeshymnen auf die Heldentaten des Vereins singen. Das ist schon ein höchst fragwürdiges Vertretungsmodell, zumal ich davon ausgehe, dass die Wahlen bei der Hauptversammlung auf typisch schwedische Art laufen: von einem Wahlkomitee vorgelegte Vorschläge werden durch gemeinsames „JA!“-Rufen bestätigt. So kann auch eine Minderheit einen Kandidaten wählen, und was das Wahlkomitee vorschlägt, ist letzten Endes Gesetz.

Auf diese Art gibt es natürlich auch kaum eine Möglichkeit, über irgendwelche Sachfragen zu entscheiden. Was der Vorstand beschlossen hat, wird gemacht. Das erinnert mich sehr an die Gewerkschaft, der ich als Busfahrer angehörte. Dort wurde man auch nicht gefragt, ob man nun streiken will. Man hatte gefälligst zu streiken.

Das eigentliche Problem: Lobbyismus

Das ist aber nicht der Grund, weswegen ich ausgetreten bin, denn gewohnt bin ich diese Verhältnisse schon aus anderen Zusammenhängen.

Es ist vielmehr das Selbstverständnis und die Politik der Vereinigung: die meisten Mieter treten nicht aus Idealismus für eine bestmögliche Vertretung bei. Sie wollen schlicht eine Absicherung für den Fall, dass es Ärger mit dem Vermieter gibt. Die Hyresgästföreningen ist sozusagen eine Rechtsschutzversicherung für Mieterprobleme.

Das Problem entsteht dadurch, dass die Hyresgästförening sich auf dieser fragwürdigen Basis die Legitimation nimmt, in der Wohnungspolitik als Vertreter der Mieter zu agieren. So formuliert der Verband mit seinen 500.000 Mitgliedern im Rücken Forderungen an die Politik, was nun zu tun sei. Das erinnert mich an den ADAC, der nie um eine verkehrspolitische Forderung verlegen ist, obwohl die allermeisten Mitglieder nur wegen Pannenschutz, Versicherung, Reisen und derlei Dingen dabei sind.

Da stelle ich mir die Frage: mit welchem Recht eigentlich? Mit keinem, für meine Begriffe. Zwar kann man die Hyresgästföreningen nicht mit einem sehr industriefreundlichen konzernartigen Gebilde wie dem ADAC gleichsetzen, aber das ändert nichts am Problem. Die Mitglieder werden schön aus dem Blickwinkel des Vereins informiert und dürfen dann einmal im Jahr zu allem Ja und Amen sagen. Eine solche Organisation mag ja noch einigermaßen legitimiert sein, anständige Mieten auszuhandeln. Aber eine politische Vertretung ihrer Mitglieder ist sie mitnichten.

Wenn wenigstens die Richtung stimmen würde

Wenn die Politik des Verbandes wenigstens irgendwie mit meinen Ansichten übereinstimmen würde. Aber das ist natürlich nicht zu erwarten. Sie zielt nur darauf ab, ein System, das seit 40 Jahren permanent scheitert, zu zementieren. Es soll am besten alles so bleiben, wie es war – und natürlich müssen mehr Mietwohnungen gebaut werden. Als ob das jemals den Bedarf decken würde.

Daher habe ich mir die Frage gestellt, ob ich allen Ernstes dem größten Lobbyverband gegen alles, was ich in der Wohnungspolitik für richtig halte, angehören soll.

Ansichten, die man selten hört

Der Mann an der Tür rechnet damit natürlich nicht. Er fragt nach, ob ich mit den Leistungen unzufrieden gewesen sei. Das verneine ich, denn ich habe die Hilfe des Verbandes ja nie gebraucht. Auf Nachfrage sage ich ihm dann, dass ich mit der Politik nicht einverstanden bin und das ganze System mit stark regulierten Mieten für eine sehr schlechte Idee halte.

Er ist sehr überrascht, denn so eine Ansicht hört er von Schweden natürlich so gut wie nie. Den Schweden wird seit vielen Jahren das Horrorszenario vorgehalten, dass die Mieten in enorme Höhen steigen werden, wenn man das System auch nur irgendwie ändert. Ich erkläre ihm kurz das deutsche System: Marktmieten, aber mit umfänglichen Mieterrechten und Schutz vor horrenden Mieterhöhungen. Seine Antwort ist bezeichnend: „Also nicht so wie in den USA, wo der Vermieter die Mieten beliebig erhöht?“

Nein, so nicht. Aus irgendeinem Grund scheinen das die beiden einzigen Optionen zu sein, die die Schweden kennen: entweder purer Sozialismus wie hierzulande, der die Mieten niedrig hält, aber bei der Bedarfsdeckung vollkommen versagt und einen Schwarzmarkt erzeugt. Oder purer Kapitalismus, wo nur der Reichste eine Wohnung kriegt. Wenn man in solchen Schubladen denkt, ist es kein Wunder, dass jede Diskussion über einen vernünftig regulierten Mietmarkt ein Tabu ist.

Vielleicht irgendwann einmal wieder

Er will keine lange Diskussion haben, aber mir scheint, dass das für ihn doch einmal ein interessanter Denkanstoß war. Er lässt mir seine Visitenkarte und ein paar Infos mit den Forderungen des Verbandes da.

Darin steht, dass 150.000 Wohnungen in den nächsten 10 Jahren gebaut werden sollen. Was sinnvoll ist, aber vollkommen unglaubwürdig, weil es in den vergangenen Jahrzehnten nie gelungen ist, ausreichend Wohnungen zu bauen. Wenn also 150.000 genügen würden, so ist wirklich nicht damit zu rechnen, dass auch nur etwas in der Nähe dieser Größenordnung gebaut wird.

Weiterhin heißt es dort, dass man Steuervergünstigungen für Mieter einführen soll, um die mangelnde wirtschaftliche Attraktivität für Vermieter zu beheben. Mit anderen Worten sollen die Abzugsmöglichkeiten, die schon bei Eigentumswohnungen einen vollkommen verzerrten Markt geschaffen haben, nun auch noch auf die Mietwohnungen ausgedehnt werden. Dass man mit Miethäusern keinen Gewinn machen kann, soll der Staat durch Steuersenkungen ausbügeln. Bravo!

Ich fühle mich in meiner Entscheidung bestätigt.

Dabei will ich eine neuerliche Mitgliedschaft gar nicht ausschließen, wenn ich den Verband einmal für das brauchen sollte, was meiner Ansicht nach seine Hauptaufgabe sein sollte: als Dienstleister in Mietrechtsfragen.

Pippi Langstrumpf und das Rassismusdilemma

Obsolet? Die Villa Kunterbunt (Foto: Christian Koehn/ CC-BY-SA 2.0)

Meine Eltern sind early adopter – zumindest im Falle des Videorecorders. Im Grunde auch meine Großeltern, denn auch sie hatten früh so ein Gerät. Nur hatten sie auf das vermeintlich zukunftsweisende Video 2000 gesetzt, das sich aber als nicht sonderlich langlebig erwies. Wir hingegen hatten mit einem erstklassigen VHS-Videorecorder auf das richtige Pferd gesetzt: zwar konnte der die Länge der Kassetten nicht automatisch lesen und kannte auch keine 300er-Kassetten, aber dafür konnte er – man lese und staune – Zweikanalton getrennt einspielen, womit ich schon frühzeitig in den Genuss von Filmen in Originalsprache kommen konnte.

De Facto war ich bald der einzige Nutzer des Geräts. Die ersten Kassetten jedoch waren mit Kinderfilmen bespielt, die wir im ZDF aufgenommen hatten. Einen dieser Filme hatten wir halb verpasst, so dass wir nur die letzten zwei Drittel hatten. Wir schauten ihn trotzdem unzählige Male.

Pippi in Taka-Tuka-Land – Kindheitserinnerungen mit ungeahntem Beigeschmack

Die Rede ist von Pippi in Taka-Tuka-Land, bei dem ich daher bis heute nicht so recht weiß, was vor der Szene mit dem selbstgebauten Flugzeug passiert. Ich muss auch ganz offen gestehen, dass die Filme meine einzigen Kindheitskontakte mit Astrid Lindgren waren. Bis heute habe ich – von Auszügen aus Ronja Räubertochter abgesehen – keines ihrer Bücher gelesen.

Trotzdem stellten Lindgrens Werke für mich eigentlich immer einen Meilenstein der Kinderliteratur dar. Als ich kürzlich Anatol Stefanowitschs Blogeinträge zu just diesen Büchern las, war ich daher auch etwas überrascht über einen Aspekt: just in Pippi in Taka-Tuka-Land (dem Buch, nicht dem Film) ist an zahlreichen Stellen von „Negern“ die Rede, was anscheinend synonym für ferne Kulturen in der Südsee stehen soll.

Kann man das Problem beheben?

Als die Bücher in den 1940er Jahren entstanden, war dies noch ein vollkommen legitimes Wort für Schwarze. Was aber nun tun, wenn man als vorlesendes Elternteil an solchen Stellen ankommt? Man kann versuchen, sich durch Ad-hoc-Übersetzungen zu retten, aber eine wirklich nachhaltige Lösung ist das wohl nicht.

Der naheliegendste Weg wäre freilich, die Übersetzung des Textes so anzupassen, dass die Wortwahl zeitgemäß ist. Der Oetinger-Verlag, der die Bücher Lindgrens im deutschen Sprachraum herausgebt, entschloss sich zu einer Neuausgabe mit entsprechender Wortwahl. Begründet wurde dies mit dem fraglos toleranten und offenen Wesen der Autorin, die bestimmt keine rassistischen Absichten gehabt hat. Daran kann man auch kaum zweifeln.

Stefanowitsch sieht dennoch ein Problem: es ist nicht nur eine Frage der Wortwahl, sondern auch eine des Inhalts. Der Text ist von einem unterschwelligen Rassismus durchzogen, den er moniert:

Das Problem […] ist tatsächlich gar nicht die Sprache. Es ist die Idee, dass es sinnvoll ist, Menschen nach ihrer Hautfarbe zu kategorisieren, dass man Menschen (mit bestimmten Hautfarben) besitzen kann, dass man Hautfarben mit der Einfärbung durch Schuhcreme vergleichen kann. Diese Ideen bleiben auch bei einer guten Übersetzung Teil des Textes.

Das lässt sich nicht beheben, außer man ist bereit, die Bücher umzuschreiben. Es hat auch keinen Zweck, eine kommentierte Ausgabe zu erstellen, denn die ist trotzdem nicht kindertauglicher. Stefanowitsch kommt in einem späteren Blogeintrag zum Schluss: die beste Art, damit umzugehen, ist wohl, Pippi in Rente zu schicken. Sie habe ihre Zeit gehabt, und die geht nun zu Ende.

Das Dilemma: richtig, aber sehr schade

An diesem Punkt muss ich sagen: es fällt mir schwer, da mitzugehen. Natürlich ist es nicht erstrebenswert, schon Kleinkindern irgendwelche Stereotypen einzutrichtern. Antirassismus ist ein so fundamentales Prinzip, dass er über jeden Zeitgeist hinaus unverrückbar bleibt. Auch wenn Kinder es nicht merken und vielleicht auch gar nicht sofort verstehen, erschiene es mir schon als Verharmlosung, wenn man über dieses Menschenbild einfach so hinwegsieht, weil die Geschichten so schön sind.

Trotzdem gefällt mir der Gedanke, man könne Literatur einfach durch etwas „moderneres“ austauschen, überhaupt nicht. Die Werke eines Kinderbuchautoren hätten dann nicht für sich irgendeinen literarischen Wert, sondern wären nur in einem gewissen kulturellen Kontext überhaupt von Relevanz. Entspricht das Werk nicht mehr den Werten der Gesellschaft, so hat das Werk ausgedient.

Stefanowitsch schreibt:

Es ist ja nicht so, als ob eine Welt ohne Pippi Langstrumpf unvorstellbar oder eine literarische Dystopie wäre.

Nein, unvorstellbar ist sie nicht. Aber auch ärmer, wie mir scheint, denn die Abenteuer Pippi Langstrumpfs sind auch Geschichten, die man nicht nach Belieben austauschen kann. Der Verzicht darauf, an bestimmten Stellen ein unerwünschtes Menschenbild zu vermitteln, wird an anderen Punkten durch den Verzicht auf ein positives Rollenbild – das Pippi Langstrumpf auch darstellt – und spannende, einzigartige Geschichten teuer erkauft.

Einen echten Kompromiss kann es leider nicht geben: man kann zumindest beim Originalbuch den schönen Kern nicht von den fauligen Verwachsungen trennen, ohne das Gesamtwerk zu beschädigen.

Vielleicht ist es in der Tat auch eine Generationenfrage, dass ich mir irgendwo wünsche, die Lindgren-Erzählungen seien zeitlos. Man kann sich nur schwer vorstellen, dass Kinder nicht mehr diese Geschichten mit auf den Weg bekommen. Vermutlich wird aber genau dies passieren. Ich selbst habe noch Winnetou gelesen. Wieviele Kinder und Jugendliche tun dies heute noch?
Vielleicht sollte man es einfach so machen wie ich: die Filme gucken und andere Bücher lesen, denn die Pippi-Filme sind meines Wissens nicht „kontaminiert“.

Wenn es einmal so weit sein wird, werde ich mich vielleicht auch fragen, ob die Pippi-Bücher etwas für die Kinder sind. Bis dahin ist aber noch etwas Zeit.

Royale Umstände

Vielleicht schon ab März: neue Prinzessin (Foto: alexrudd, CC-BY-SA 2.0)

Breaking News sind es freilich nicht mehr: Kronprinzessin Victoria ist schwanger.

Das Theater, das wieder einmal darum gemacht wird, ist leider wieder einmal typisch. Es kommt einem so vor, als hätte die ganze Nation auf nichts anderes gewartet. Dabei war das Königshaus seit der Hochzeit letztes Jahr mit allem in der Öffentlichkeit gewesen, aber bestimmt nicht mit diesem Thema.

Man kann sich freilich fragen, wieso man derart früh – sie dürfte im zweiten Monat sein – an die Öffentlichkeit ging und nicht die kritischen ersten 12 Wochen abwartete. Meine Annahme ist, dass bei heutigen Nachrichtenflüssen es ohnehin nicht lange geheim hätte bleiben können. Da wollte man wohl handeln, bevor der Boulevard seine Paparazzi losschickt.

Die Reaktionen sind vorhersagbar. Die Royalisten finden es toll, die Republikaner auch, aber betonen, dass das Kind nicht auf einen Thron gehöre. Den besten Dreh hat das dänische Ekstrabladet gefunden:

Stripperkönig wird Großvater

Soviel Mut hätte ich den im Vergleich zu den Schweden sehr royalistischen Dänen gar nicht zugetraut.

Oder doch ein Prinz? (Foto: Timo_Beil, CC-BY-SA 2.0)

Die große Frage, die sich nun „alle“ stellen, ist: wie wird das Kind heißen, wenn es im März Teil der Thronfolge wird? Die Wettbüros nehmen schon Vorschläge an, und wenn auch noch nichts feststeht, so ist zumindest zu erwarten, dass es nach Familientradition vier Vornamen sein werden und mindestens einer davon von Daniels Seite kommen wird.

Die bisherigen Vorschläge sind nicht nur sehr traditionell, sondern stimmen erstaunlicherweise auch mit den aktuellen Namenstrends in Schweden gar nicht mal so schlecht überein. Einer der plausiblen Topfavoriten bei den Jungennamen, Oscar, war 2010 auch auf Platz 1 der Namenscharts in ganz Schweden, und auch der derzeitige Wettspitzenreiter Gustav schaffte es zumindest in die Top 20. Olof, Erik, Karl uns Carl-Johan liegen derzeit aber kaum im Trend.

Bei den Mädchen dominiert ganz klar Désirée, gefolgt von Kristina und Ingrid. Alle drei Namen haben sozusagen das royale Siegel, denn eine Königin Kristina gab es schon mal und die beiden anderen Namen trägt Victoria sogar selbst. Sinnigerweise ist Alice – der einzige von Victorias Vornamen, der nicht in den Wettfavoriten auftaucht – einer der Favoriten in Schweden im Allgemeinen: letztes Jahr der derzeit zweitbeliebteste Mädchenname im Land. Die anderen genannten Namen sind aber nicht gerade so der Burner.

Vielleicht gehen die beiden aber in den exotischen Bereich. Sie könnten ihr Kind wie andere Promis ja nach dem Ort der Zeugung benennen, was der Bild-Zeitung nach zu urteilen auf den schönen Namen „Berlin“ hinauslaufen könnte. Wenn das so wäre, könnte man natürlich ganz froh sein, dass die beiden nicht in Castrop-Rauxel abgestiegen sind.

Sie könnten aber auch den Einwanderern die Hand ausstrecken, denn schließlich ist Daniel das erste Mitglied im Königshaus schwedischer Herkunft. Wie das gehen soll, weiß ich abr nicht: erkennbar fremdländische Namen hinterlassen in der schwedischen Namensstatistik erstaunlich wenige Spuren. Lediglich Mohammed, auf Platz 65 bei den Jungs, fiel mir ins Auge.

Mein Tipp: Bernd oder Lucia, zwei bekanntermaßen urschwedische Namen. Und welches Volk hätte nicht gerne einen König Bernd?

Einem Namen traue ich jedoch keine Chancen zu: William, derzeit auf Platz 2 bei den Jungs. Ich meine: Welcher Prinz heißt schon William?