Der Sommer ist da – ich holte mir gestern beim Ausflug prompt einen Sonnenbrand. Ziel war Trosa, eine Stadt am Meer, knapp südlich der Region Stockholm in Sörmland, die sich den etwas seltsamen Slogan „Världens Ände“ („Das Ende der Welt“) angeeignet hat und sogar auf dem Ortsschild präsentiert. Es ist eine typische schwedische Stadt, wenn man Inga-Lindström-Tauglichkeit als Kriterium anlegt. Die Geschäfte sind freilich auf den Tourismus ausgerichtet. Einen Sonntagsausflug kann man aber auf alle Fälle einmal dorthin machen.
Kategorie: Schweden
Cat Stevens in Stockholm
Das Schöne daran, in einer Hauptstadt zu leben, ist, dass so gut wie jeder interessante internationale Gast hier Halt macht. Man braucht eigentlich nur mit wachen Augen durch die Straßen zu gehen und wird früher oder später ein Plakat entdecken, das ein vielversprechendes Event anpreist. Ich wäre neulich z.B. gerne zu den Söhnen Mannheims gegangen. Nicht weil ich sie besonders mag, aber wann verirren sich schon einmal mittelmäßig bekannte deutsche Künstler nach Schweden?
An internationaler Bekanntheit dürfte es Cat Stevens freilich nicht mangeln. Aber diese kommt frei Haus mit dem Wissen, dass er seit 30 Jahren Yusuf Islam heißt und sich mehr der religiösen Erleuchtung als der Musik widmet. Daher zögerte ich nicht, als ich die Anzeige für sein Konzert auf einer Werbefläche eines Parkscheinautomaten sah: da muss ich hin.
Plätze waren nicht leicht zu bekommen, was aber nicht zuletzt an der grottenschlechten Platzsuchesoftware von Ticnet liegt. So wurden es sündhaft teure Tickets mit guter Sicht am linken Rand.
Stimme: immer noch so gut – Konzept: vielleicht nicht ganz so
Der Mann ist zwar gealtert – 62 ist er mittlerweile, und er wirkt mit Sicherheit keinen Tag jünger – aber seine Stimme ist so gut wie vor 35 Jahren. Das Konzept des Konzerts war allenfalls etwas durcheinander: erst begann er autobiographisch über seine Anfänge zu erzählen. Dabei erwähnte er auch zur Freude des Publikums, dass er in Gävle einmal zur Schule ging – seine Mutter war Schwedin – aber leider kaum noch schwedisch spricht. Er streute aber immer wieder kleine Fetzen schwedisch ein. Er wechselte thematisch dann zu einem Musical, das er anscheinend gerade schreibt und neue wie alte Lieder kombiniert. Die Bühne füllte sich nach und nach, beginnend mit seinem alten Weggefährten Alun Davies. Zur Pause standen 8 Musiker auf der Bühne.
Bis dahin waren von den richtig bekannten Titeln nur „Matthew & Son“ und „The First Cut is the deepest“ gekommen – er stachelte das Publikum etwas an, indem er auf die Titel „Moonshadow“ und „Father & Son“ hin leitete, sie anspielte und dann abrupt sagte, dass er das für später aufhob. Zwischendrin begannen schon einige Zuschauer nach bekannten Titeln zu rufen, worauf Yusuf sie zu vertrösten suchte.
Das Musical wurde in Teilen präsentiert, aber es blieb bei einer Art Vorschau. Es folgte eine 30-minütige Pause, nach der ich eigentlich einen Gassenhauer nach dem anderen erwartete.
Das Warten auf „Wild World“
Daraus wurde leider erstmal nichts. Für meinen Geschmack dauerte das zu lange – aber es ist auch irgendwo verständlich, denn wie jeder Altkünstler hat Stevens das Problem, dass alle nur kommen, um die bekannten Uralthits zu hören. Zwar verfügt Cat Stevens über ein beachtliches Œuvre, aber die bekannten Titel füllen eben keinen Abend. Trotzdem hätte ich mir gewünscht, er hätte wie in der ersten Hälfte mehr Hits eingestreut. Indem er die Spannung bis zum Schluss aufhob, war das Publikum dann aber auch schlagartig begeistert, als er „Morning Has Broken“ spielte, gefolgt von „Wild World“ – da standen die Leute schon – und „Father & Son“. Die Zugabe enthielt dann auch noch „Moonshadow“ und „Peace Train“.
Das stark durchwachsene Fazit von Anders Dahlbom von Expressen würde ich jedenfalls nicht teilen. Man kriegte im Endeffekt das, für das man bezahlt hatte, wenn auch etwas später als erwartet. Die Rezension in DN war auch freundlicher, ist aber leider nicht online.
Da ich mich vor dem Konzert damit nicht beschäftigt hatte, erfuhr ich erst jetzt, dass es sich um das erste Konzert der ersten Europa-Turnee seit 30 Jahren handelt. Ab Morgen ist er übrigens in Deutschland, später auch noch in Rotterdam, Paris, Wien und Brüssel. Das sollte man nicht verpassen – es könnte das letzte Mal sein.
Nachtrag: Die Rezension von Dagens Nyheter ist mittlerweile auch online.
Eine unabhängige Meinung zu Eric Saade
Wer es noch nicht gemerkt hat, sei darauf hingewiesen: in weniger als einer Woche startet der Eurovision Song Contest, und zwar in Düsseldorf – eine Folge der fast für unmöglich gehaltenen Tatsache, dass Deutschland diesen Wettbewerb im letzten Jahr gewann, obwohl damit in den nächsten 5000 Jahren nicht mehr zu rechnen war.
Der streitbare Medienjournalist Stefan Niggemeier und sein Kollege Lukas Heinser sind nach ihrer grandiosen Oslo-Reportageserie im letzten Jahr nach Düsseldorf gepilgert, um zwei Wochen lang das ganze Elend in Ton und Bild der Menschheit zu bringen. Das Resultat ist wie immer unterhaltsam.
Besonders auffällig ist in der gestrigen Folge das ausgiebige Bashing des schwedischen Teilnehmers Eric Saade. Das beginnt eher harmlos mit einer Frage eines Journalisten, der nahelegt, dass sein Beitrag nicht nur Frauen-, sondern auch bestimmte Männerherzen höher schlagen lässt, und sich erkundigt, ob dies denn Absicht oder Zufall sei.
Zufall, versichert Saade, was mich nicht verwundert, denn in Schweden schwärmen die Mädels für ihn. So sieht er aus:
Das ist auch wohl der Hauptgrund seines Sieges beim nationalen Vorentscheid. Der Junge wurde ziemlich hochgejubelt, und als die Glasscheiben zersplitterten, hatte er den Sieg in der Tasche.
Mein Favorit war übrigens dieser Titel hier:
Wenn die Schweden aber mal einen Titel gewählt haben, dann stehen sie zu ihm und glauben, es sei der beste Titel des Jahrhunderts – mindestens. Da erfreut es fast schon, das eher mittelmäßig vernichtende Urteil der beiden aus Düsseldorf zu hören, um nicht allzu hohe Erwartungen zu haben.
Gut möglich, dass es wirklich ein Debakel gibt und sich ganz Schweden wieder einmal fragt, wie das nur passieren konnte. Aber vielleicht liegen die beiden auch falsch – in diesem Wettbewerb ist schließlich alles möglich.
In jedem Fall lohnt es sich, als Einstimmung auf das Spektakel täglich Duslog.tv anzuschauen.
Feuer in der Architekturhochschule
Über Großbrände zu berichten ist zwar nicht gerade mein Metier, aber in dem Fall ist das Feuer keine 1,5 Kilometer von hier entfernt: die Architekturschule der KTH brennt, und zwar mächtig. Glücklicherweise kam niemand zu Schaden, aber das Dach wurde schon gesprengt, und zur Stunde ist der Brand noch nicht unter Kontrolle.
Das Ganze hat vor allem eine gewisse Ironie, weil die Architekturschule ein ausnehmend hässliches Gebäude ist. Als ich es vor gut 5 Jahren zum ersten Mal sah, dachte ich, es handele sich um ein Parkhaus oder etwas anderes wenig heimeliges. Dass darin ausgerechnet Architekten ausgebildet werden, wäre mir nicht in den Sinn gekommen.
Besonders witzig ist irgendwie, dass das Feuer noch nicht einmal aus und schon die ersten Spekulationen im Umlauf sind, ob man das Gebäude denn nicht lieber abreißen und durch etwas ansehnlicheres ersetzen sollte. Worüber wir hier im Büro diesen Morgen noch scherzten, ist jetzt schon schlagzeilentauglich. Spontan wäre ich dafür – das bisherige ist nun wirklich keine Zierde für Stadt und Hochschule.
Slussen in Farbe (und bunt)
Seit gestern darf man im Sjömanshemmet (Seemansheim) an Peter Myndes Backe 3 auf Södermalm – direkt neben dem Stadtmuseum bei Slussen – eine Ausstellung zur Neugestaltung von Slussen begutachten. Das geht bis zum 19. Juni und zeigt hoffentlich die definitiv endgültige Version der Umbaupläne.
Heute morgen war der Leserbrief einer Frau aus Solna in der Zeitung, die meinte: was beschweren sich die Leute aus Nacka denn über die Situation? Immerhin sind es vom Bus zur U-Bahn nur wenige Schritte. Man sollte Slussen behutsam erneuern.
Da hat die Frau nicht ganz unrecht, lässt aber außer Acht, dass das jetzige Busterminal im Winter schweinekalt ist, was sich auch durch einen noch so guten Umbau kaum beheben lässt, denn es ist auf zwei Seiten offen. Außerdem müssen die Passagiere bis zu zwei Busspuren kreuzen, was weder für Busfahrer noch für Pendler angenehm ist und die Unfallgefahr erhöht. Mir ist kein Busterminal vergleichbarer Größe im Großraum Stockholm bekannt, wo ein derartiger Zustand Realität ist: weder Gullmarsplan noch Danderyds Sjukhus oder Liljeholmen verlangen das Überqueren von Fahrspuren.
Nebenbei bemerkt ist das Slussenterminal schon jetzt an der Grenze seiner Belastbarkeit. Viel mehr Busse als jetzt kann man bei der Anlage dort nicht durchschicken, und die beiden hierüber angeschlossenen Kommunen Nacka und Värmdö wachsen schnell. Auch ein Art Stuttgart-21-Argument kann man hier anbringen: der Plan ist schon so weit fortgeschritten, dass jeder Schwenk wiederum mehrere Jahre Verzögerung brächte, die das alternde bestehende Bauwerk beim besten Willen nicht hat.
Freilich bedeutet das nicht, dass das neue Terminal bessere Kapazitäten haben wird – aber hoffen kann man, dass hier vernünftig geplant wird.
Ich war jedenfalls einmal so frei, die Bilder, die man auf der Stadthomepage nur nach Download betrachten kann, hier einmal auszustellen. Vielleicht möchte sich auch jemand die Präsentation im Sjömanshemmet ansehen – ich werde es bei Gelegenheit tun.
Endlich Schnee!
Spräng Slussen Nu!
Am Samstag – wenn ich mich recht erinnere – war ein Leserbrief in meiner Tageszeitung Dagens Nyheter. Der Titel war „Spräng Slussen Nu!“ („Sprengt Slussen jetzt!“).
Der Inhalt (sehr frei wiedergegeben): derjenige, der Slussen in dem Leserbrief vor kurzem so toll fand, sollte sich das Elend mal anschauen. Alle, die so wie ich jeden Tag durch diese Station müssen, finden dieses Bauwerk widerlich. Es ist eine nach Urin stinkende, mit Graffitis übersäte Müllkippe. Der Putz bröckelt von den Wänden. Man sollte es sofort sprengen.
Zugegebenermaßen: ich habe hier auch meine eigene Meinung eingebracht, aber der Mann sprach mir aus dem Herzen. Slussen ist die zweitwichtigste Station im Stockholmer U-Bahn-Netz: 79.000 Menschen gehen hier jeden Tag hindurch. Jeder Bus, der Richtung Nacka und Värmdö nach Osten fährt, beginnt seine Fahrt im Busterminal im Untergeschoss. Daneben beginnt die mittlerweile fast als Museumsbahn anmutende Saltsjöbanan. Darüber befindet sich ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt der Stadt.
Es muss einmal der Stolz der Stadt gewesen sein. Komplex geschwungene Fahrwege verteilten den Autoverkehr auf seine Bahn. Und unter Brücke ist von alters her die Schleuse – daher der Name „Slussen“ – zwischen Mälarensee und Meer. Nichts könnte Modernität und Tradition in Stockholm besser symbolisieren als dieses Bauwerk – wenn heute noch 1950 wäre.
Im Jahr 2011 ist Slussen jedoch nur noch ein heruntergekommener Schandfleck. Ich habe auch jeden Tag das zweifelhafte Vergnügen, dort umzusteigen, und was man sieht, kann einem nicht gefallen. Das Bauwerk ist in seinen schönen Teilen ungemütlich, überall sonst eine Zumutung. Wo der Beton herausbröckelt, werden notdürftig Stahlnetze angebracht, damit sich niemand verletzt wird. Graffiti und Aufkleber überall – vom Geruch will ich gar nicht reden.
Wenn man sich die Bilder von 1935 anschaut, fragt man sich, ob sich seither irgendetwas geändert hat – wenn man einmal von der Umstellung auf Rechtsverkehr im Jahr 1967 absieht. Es sieht alles noch genauso aus, nur viel viel zerfallener.
Doch Rettung naht, oder vielmehr will die Stockholmer Politik, dass man es glaubt. Denn seit Jahren versucht man im Nachgang eines Architekturwettbewerbs einen Vorschlag zu finden, den man doch tatsächlich umsetzen will. Es wundert mich nicht, dass viele Stockholmer – mich eingeschlossen – die Schnauze voll haben. Es kommt einem so vor, als würde man in dieser Stadt noch über das Design der Arche diskutieren, wenn einem das Wasser der Sintflut schon bis zur Brust steht.
Hier ein paar Beispiele:
Ich würde gerne sehen, wie sich die ganzen 60-jährigen Spaßbremsen am Betonfundament festketten […]
(Herr_hur in den Kommentaren zu diesem Artikel)
Gestern oder heute […] wurde ich zu einem Treffen eingeladen, um über Slussens Zukunft zu diskutieren. Die haben auch eine Webseite […] http://slussensframtid.se/.
Da sitzen die Leute und quatschen darüber, dass Slussen einer der schönste Europas und so weiter wäre.
Bitte, was? Slussen ist ein verdammtes Dreckloch! Ich bin dort aufgewachsen. […] Und ich sage: Slussen stinkt, Slussen ist eklig, Slussen ist verfallen und unangenehm wie noch was.
Die Straßen sind kurvig, dunkel und kompliziert. Die Luft ist eingeschlossen und stinkt nach Müll. Nachts gibt es keinen anderen Ort in Stockholm, wo ich genauso viel Angst hätte […].
Sprengt Slussen in die Luft.
Es gibt nichts, absolut überhaupt nichts, was Slussen schlimmer machen könnte als heute. Reißt es ab, und zwar schnell!
Ich habe keinerlei Verständnis für Leute, die Slussen bewahren wollen.
(Hanna Fridén in ihrem Blog)
Auch eine Facebook-Gruppe „Slussen – spräng skiten omedelbart“ („Slussen – sprengt den Scheiß sofort“) existiert, wenn auch mit nur wenigen Mitgliedern.
Es gibt sogar eine Internetseite, die Buttons und T-Shirts „Riv Slussen“ (Reißt Slussen ab) verkauft.
Das klingt alles krass, aber mir geht es sehr ähnlich. Die Leute, die Slussen erhalten wollen, können mir ehrlich gesagt gestohlen bleiben – wo waren sie denn, als Slussen zu dieser Katastrophe zerfiel? Man hätte erhalten müssen, als es noch etwas erhaltenswertes gab. Slussen ist keine gotische Kirche, sondern ein verrottender Betonklotz.
Die Stockholmer Verkehrspolitik ist gekennzeichnet durch verschlafenes Vorgehen. Es wird etwas getan, wenn es eigentlich schon zu spät ist. Slussen hatte schon längst umgebaut werden müssen, nicht erst jetzt. Jeden Tag stauen sich die Autos auf der Essingeleden, aber die Umgehungsstraße um Stockholm ist noch nicht einmal im Bau. Weite Teile der Region sind nur über Busse angebunden und wachsen schnell, aber ein S-Bahn-Netz, das diesen Namen verdienen würde, ist noch nicht einmal in Planung.
Ich hoffe, die Stockholmer Politik ist bald so gnädig, endlich mal Gas zu geben und den Umbau zu beschließen. Heute wird jedenfalls ein neuer Vorschlag vorgelegt, der den Hauptkritikpunkt der eingeschränkten Aussicht auf das Wasser beheben soll. Der ganz große Wurf wird das alles vielleicht nicht werden. Hauptsache, es passiert endlich etwas.
Das royale Großereignis morgen: Grattis Kungen – Carl XVI. Gustaf wird 65
Es wird ihm nicht ganz unrecht sein: es schauen alle nach London und keiner zu ihm. König Carl XVI. Gustaf wird morgen 65, und im Gegensatz zu 2006 erzeugt das nicht viel Interesse bislang.
Das wird sich vielleicht noch ändern, aber man kann auch ahnen, dass er angesichts der aktuellen Situation auch nicht allzu große Wellen machen will. Denn im Gegensatz zur britischen Monarchie haben die schwedischen Royals nach wie vor ein Popularitätsproblem. Die Popularität nach dem Skandalbuch im letzten Jahr sind die Umfragewerte noch schlechter als nach dem peinlichen Ausrutscher 2004 in Brunei. Der Schub letztes Jahr nach der Hochzeit war wohl nur ein Zwischenhoch.
In der jetzigen Lage scheint es so, dass die schwedische diejenige unter den europäischen Monarchien ist, deren Abschaffung zu unseren Lebzeiten Realität werden kann. Die stark säkularisierte und prinzipientreue Gesellschaft wird den Spagat zwischen eigenem Anspruch und Wirklichkeit nicht beliebig lange aushalten können.
Das mag sich alles ändern, wenn der König einmal abtritt. Das hat er nicht vor, auch wenn er morgen das Pensionsalter erreicht hat. Die Dagens Nyheter waren zumindest so nett und haben den Artikel zum Thema heute nicht online gestellt. Eine Diskussion darum kann dem Königshaus nicht wirklich recht sein. Sie wird früher oder später trotzdem kommen.
Und vorerst im Hochzeitsfieber des heutigen Tages untergehen – gleich geht es schließlich los.
Der Sommer ist da: Guter Wein, Vaxholm und übersäuerte Waden
Das schwedische Wetter ist wie ein Lichtschalter: es gibt nur an und aus, nichts dazwischen. War hier vor 4 Wochen noch Winter, hat man heute hochsommerliche Gefühle. Strahlender Sonnenschein und wolkenfreier Himmel.
Wir haben die Saison mit unseren neuen Sitzgarnitur auf dem bislang ungenutzten Balkon begonnen. Zwar ist der weder groß noch sonderlich schön, aber der Ausblick ganz in Ordnung. Mit leckerem Essen und einem Gläschen Wein lässt es sich gut aushalten.
Für unseren einzigen richtig freien Tag gestern haben wir uns für eine Radtour nach Vaxholm entschlossen. Dorthin sind es eigentlich nur ca. 15 km, aber dazwischen liegt Wasser, was den kürzesten Weg mit dem Auto ca. 60 km lang macht. Als Fahrradfahrer hat man freilich nichts von der Autobahn, so dass man den geografisch kürzesten Weg wählt: die 222 bis zum Strand nach Grisslinge, dann weiter auf der 274 Richtung Stenslätten. Das ist das nordwestliche Ende der Insel, auf der wir wohnen, gut 20 km von hier entfernt.
Ab dort fährt dann eine Autofähre nach Rindö, eine Insel, die schon zu Vaxholm gehört und die historisch bedeutend ist, weil sich dort Festungsanlagen befanden. Auch heute kann man noch eine Festung besichtigen. Die Insel ist aber auch sonst ungewöhnlich. Obwohl sie auch im Westen nur über eine Autofähre angebunden ist, wohnen rund 1000 Menschen auf ihr. Es gibt eine Buslinie, die einige Male am Tag fährt, eine Schule, einen kleinen Supermarkt und zwei Restaurants. Die Hauptstraße in der Mitte ist gut ausgebaut und verfügt sogar über weite Teile über einen Radweg. Die Westfähre verkehrt fast rund um die Uhr. Ein ziemlicher Kontrast zu vielen Schäreninseln, wo nur eine Handvoll Leute leben, Schotterpisten die Regel sind und ohne Boot fast nichts zu machen ist.
Kein Wunder also, dass man dort Ausbaupläne für eine Art Schärenstadt hat. Nebenan auf Vaxholm ist es auch schon ziemlich voll. Allerdings ist anscheinend kein Bau einer festen Straßenverbindung in Sicht.
Also fuhren wir Fähre an der Festung vorbei nach Vaxholm hinüber. Rund 33 km betrug die ganze Strecke (ein Weg, wohlgemerkt). Nach kurzem Spaziergang, Mittagessen und Eis ging es wieder zurück. Der Rückweg war freilich anstrengender, weil man schon spürt, wenn man solche Strecken nicht öfters fährt. Wir waren auch die einzigen, die auf die Idee kamen. Zwischen Grisslinge und Stenslätten begegneten wir praktisch keinen Radfahrern. Schade eigentlich, denn die Tour wäre es wert.
Nach insgesamt 8 Stunden waren wir wieder zurück. Hintern wund, Waden strapaziert – aber es hat sich gelohnt.
Die Wohnungsmarktrallye im Bild
Derzeit treiben mich die schwedischen Finanzen etwas um. Eine gute Gelegenheit, eine meiner Thesen zu überprüfen.
Mir erscheint der Crash deswegen annähernd unausweichlich, weil die Immobilienpreise schneller steigen als die Löhne. Irgendwann muss also der Punkt kommen, an dem sich der Bürger mit normalem Einkommen keine Immobilien mehr leisten kann. Immobilien finden keine Käufer mehr und der Markt kollabiert.
Das ist deswegen auch so kritisch, weil viele Leute in Schweden ihre Immobilien als eine Art Anlage mit Gewinngarantie kaufen. Sie gehen davon aus, dass der Wert ihrer Immobilien immer weiter steigt. Wenn man sie verkauft, streicht man also in jedem Fall einen Gewinn ein, ohne dass man mehr tun muss als die Zinsen zu bezahlen. Auf das Tilgen kann man verzichten. Wenn man so kalkuliert, kann man also viel höhere Kredite aufnehmen, denn es kommt ja nicht auf die Rückzahlung an. Die Banken tragen dieses Modell anscheinend auch mit. Nur wenn einmal der Verkaufswert sinken sollte, wird es problematisch.
Nun kann ich schlecht den genauen Bruchpunkt eines eventuellen Crashs vorhersagen. Aber einen Blick in das Verhältnis zwischen Löhnen und Immobilienpreisen wollte ich einmal werfen. Also habe ich die Verkaufspreisdaten von Mäklarstatik.segenommen und diese mit den Lohnangaben von ekonomifakta.se abgeglichen.
Das Ergebnis:
Hier sieht man die Entwicklung der Löhne im Zeitraum 1996 bis 2009. Um einen Vergleich zu ermöglichen, habe ich einen Index verwendet, d.h. das Jahr 1996 hat bei allen Kurven den Wert 100. Wie man sieht, wachsen die Preise für Immobilien erheblich schneller. Vor allem bei Eigentumswohnungen gingen die Preise zwischen 2003 und 2007 durch die Decke.
Es bleiben für den Arbeitnehmer drei Möglichkeiten:
- Mehr arbeiten
- Mehr Kredit aufnehmen
- Kleinere Immobilien kaufen
Es wird wohl eine Mischung aus allem drei gewesen sein. Da man aber nicht in einer Schuhschachtel wohnen kann und auch nicht viermal soviel arbeiten, bietet der höhere Kredit den größten Spielarum. Glücklicherweise scheint die Kurve langsam abzuflachen, aber dass sie so lange stagniert, bis die Lohnentwicklung einigermaßen nachgezogen hat, scheint mir doch unwahrscheinlich.
Für mich bedeutet das letztendlich, dass ich extrem lange Zeiträume werde warten müssen, um einen Kredit unter Bedingungen aufnehmen zu können, wie ich sie mir wünsche.
PS: Wer sich fragt, was „K/T“ sein soll: das ist die Kaufsumme pro Taxierungswert. In Schweden wird für die steuerliche Veranlagung der Wert eines Haus taxiert. Der Taxierungswert (Taxeringsvärde) soll dabei 75% des Marktpreises betragen – allerdings werden Durchschnittspreise verwendet, die schon etwas älter sind. Der Wert ist also relativ stabil gegenüber kurzfristigen Ausreißern, wächst jedoch mittelfristig mit dem Markt mit. Ich würde daher annehmen, dass der Preisanstieg in der Grafik eher unterbewertet ist.