Eine interessante politische Tradition in Schweden ist Budgetpromenaden, der „Haushaltsspaziergang“. Jedes Mal, wenn die amtierende Regierung ihren Haushalt vorliegt, geht der Finanzminister vom Finanzministerium aus die Drottninggatan hinunter zum Reichstag. Meist ist es ein Bündel Papiere, das hübsch mit einer blau-gelben Schleife zusammengebunden ist. In der Vergangenheit gab man sich modern mit CD-ROM oder USB-Sticks statt Papier. Ab 2006 kehrte die damals neue bürgerliche Regierung zum Papier zurück.
Die neue Finanzministerin Magdalena Andersson von den Sozialdemokraten scheint dabei geblieben zu sein, als sie heute ihren ersten Spaziergang unternahm:
Ungewöhnlich war eher, dass es sehr eng zu ging und anscheinend auch ein Fotograf zu Boden fiel.
Ich glaube allerdings nicht, dass das mit der Spannung zu tun hat, die mit diesem Haushalt verbunden ist. Er ist nicht nur der erste der neuen Regierung. Er wurde auch von der Linkspartei mit abgesegnet, obwohl diese nicht an der Regierung beteiligt ist. Die drei Parteien (Sozialdemokraten, Umweltpartei die Grünen, Linkspartei) sind jedoch weit von einer eigenen Mehrheit entfernt.
Die braucht man in Schweden streng genommen auch nicht unbedingt. Es genügt, wenn es keinen anderen Vorschlag gibt, für den mehr stimmen. Sollten die rechtspopulistischen Schwedendemokraten also einen gemeinsamen Oppositionsvorschlag unterstützen, hätte die Regierung also ein Problem. Genauer gesagt wäre sie dann erledigt, und es käme schon im Dezember zu Neuwahlen.
Vier Wochen sind seit dem durchwachsenen Hässelbyloppet vergangen. Meine Ziele versuchte ich daher realistisch zu halten:
Ankommen (versteht sich eigentlich von selbst
Weniger als eine Stunde. Das hatte ich ja schon in Hässelby vergeblich versucht
Weniger als 57:52 Minuten – das war meine Zeit letztes Jahr bei Kungsholmen Runt, gleichzeitig Jahresbestzeit 2012 und in einer guten Zwischenphase aufgestellt. Das zu schlagen würde die gute Entwicklung der letzten Zeit unterstreichen, denn die Strecke bei Kungsholmen Runt ist relativ flach.
Weniger als 57:15 Minuten – das war meine Bestzeit auf der Strecke von 2008.
Das war trotz allem ambitioniert, denn die Strecke ist nicht ohne und geht mitten durchs Grüne. Nach einem Kilometer geht es steil hoch auf einem Trampelpfad, und bei Kilometer vier nochmal – da man zwei Runden durchläuft, trifft das gleich doppelt.
Wie sich herausstellen sollte, ist erstere Stelle ausgerechnet in diesem Jahr zu einem Problem geworden, denn die Teilnehmerzahlenentwicklung der letzten Jahre sieht so aus:
Seit meiner letzten Teilnahme im Jahr 2008 sind die Zahlen gestiegen, aber dieses Jahr machten sie einen ziemlichen Sprung. Am Ende des Trampelpfades nach Kilometer 1 ist ein enger Durchgang, und dort bildete sich eine Schlange. Viel Zeit hat es nicht gekostet – vielleicht 10 Sekunden – aber ich gehe davon aus, dass dies bei weniger Läufern nicht passiert wäre und die Strecke daher eigentlich nicht für so viele Läufer geeignet ist.
Ich will es jedoch nicht darauf schieben, dass ich nur zwei meiner vier Ziele erreichen konnte. Ab Kilometer 3 bekam ich Seitenstechen und musste einen Gang runterschalten. Erst gegen Kilometer 8 hatte ich mich etwas erholt und konnte wieder schneller werden. Vielleicht war es Alkohol am Vorabend, vielleicht auch nur einfach etwas zu hohe Erwartungen, die das verursachten.
Am Ende wurden es 58:05 Minuten, also knapp unter dem Erreichen des dritten Ziels, aber immer noch in Ordnung. Sollte die Strecke so bleiben, wie sie ist, werde ich die Tömilen in den nächsten Jahren wohl kaum noch laufen.
Im kommenden Jahr gibt es auch schon eine attraktive Alternative: der Stockholm Tunnel Run 2014 wird nächsten November zur Eröffnung der Norra Länken, der neuen nördlichen Querspange im Stockholmer Straßennetz, stattfinden. Da es sich wahrscheinlich um eine einmalige Sache handeln wird, bin ich da gerne dabei. Hügel sind keine zu erwarten, und dank Tunnel ist man auch wetterunabhängig.
Vorher liegt aber freilich noch einiges an: zunächst einmal der Halbmarathon an Silvester.
Es gibt nicht viele Dinge, die ich Pamela Anderson nachmachen möchte. Ich strebe keine Rolle in einer seichten Rettungsschwimmerserie an, will mit Sicherheit nicht das Big-Brother-Haus, habe keinen Bedarf an kurzlebigen destruktiven Ehen mit Rockstars, und einen akuten Bedarf an Brustimplatanten habe ich auch nicht.
Aber eine Sache hätte ich ihr gerne nachgetan: gestern den New-York-City-Marathon zu laufen. Gerade in diesem ersten Jahr nach dem Hurrikan, der erstmal den Marathon in seiner Geschichte stoppte, und nach dem Attentat von Boston wohnt dem Ganzen ein besonderer Zauber inne. Zwar gab es viel Kritik, aber mit garantierten Startplätzen für alle letztjährigen Teilnehmer und anderem Engagement für die Opfer dürfte der Lauf in den Herzen der New Yorker immer noch seinen besonderen Platz haben.
Nächstes Jahr werden es zehn Jahre sein, dass ich diesen Lauf gemacht habe. Dass ich seit kurzem wieder laufe, um mehr zu erreichen als nur anzukommen, hat auch mit dem Wunsch zu tun, nicht nur irgendeinen Marathon, sonder nach Möglichkeit genau diesen Marathon noch einmal zu machen. Die Faszination für diese Stadt hat mich nie losgelassen, und jedes Jahr im November schaue ich wehmütig zurück.
Dieser Lauf ist etwas besonderes, und auch wenn ich ihn machen will: in einem Punkt möchte ich es Pamela Anderson mit einer Finisherzeit von 5:41 nicht nachtun. Eine Rakete werde ich nie werden, aber unter 5 Stunden sollten hoffentlich drin sein, wenn ich mich im Gegensatz zum letzten Mal (Finisherzeit 6:11 Stunden) ordentlich darauf vorbereite.
Also trainiere ich auf dieses Ziel zu, verliere Gewicht. Und hoffe, denn mehr als dies kann ich kaum.
Wer nicht Tausende von Euro an Spendengeldern zu wohltätigen Zwecken oder für einen Reiseagenturplatz übrig hat, wer nicht ein Spitzenläufer ist, wer nicht die jetzt auslaufenden Optionen von mindestens 15-malige Teilnahme oder dreifaches Pech bei der Ergatterung eines Platzes in Folge für sich in Anspruch nehmen kann, wer nicht massenhaft Läufe in New York macht und mal als Freiwilliger bei einem hilft, dem bleibt kaum mehr übrig, als ein Los in der Lotterie zu kaufen. Diese ist mittlerweile dreigeteilt: ein Drittel der Plätze geht in den Großraum New York, ein Drittel in den Rest der USA, ein Drittel in den Rest der Welt. Dementsprechend mager sind die Chancen.
Ich werde mir mein Los kaufen und gespannt den Mai 2014 abwarten. Vielleicht wird meines gezogen und ich bin dabei. Wenn nicht, werde ich woanders laufen – und ein Los für 2015 kaufen.
Vor über 10 Jahren eröffnete das erste Dunkelrestaurant in Zürich, bald danach gab es das erste in Deutschland. Das Konzept ist simpel und faszinierend: es ist stockdunkel, so dass man nicht auf das Ambiente achtet, sondern auf Geräusche und den Geschmack. Und man kann sich die Welt der Blinden begeben. Die Kellner sind üblicherweise auch blind, was wiederum für diese eine tolle Erfahrung ist, denn ausnahmsweise sind sie diejenigen, die den sensorischen Vorteil haben.
Mich hat so etwas schon seit langem mal interessiert, aber leider hat es sich nie ergeben. Das liegt schon alleine daran, dass sich das Konzept zwar erfolgreich zu behaupten scheint, aber deswegen noch lange kein Flächenphänomen ist. In Deutschland gibt es eine Reihe solcher Lokale, vornehmlich in größeren Städten. In Schweden gibt es (nach eigener Aussage) jedoch nur eines: den Svartkrogen.
Svart ist unschwer als das Wort „Schwarz“ zu erkennen. „Krog“ (gesprochen „Krug“) ist fast unübersetzbar, da es von der Landgaststätte über das schicke Restaurant bis zum Nachtclub anscheinend nahezu alles gastronomische sein kann.
Leider handelt es sich beim Svartkrogen um keine ständige Einrichtung. Es gibt vielleicht ein oder zwei Öffnungstage im Monat. Man muss den Besuch also langfristig planen. Das Ganze hat auch mehr einen Eventcharakter: alle gehen gemeinsam rein und auch wieder raus. Der Preis ist auch nicht von schlechten Eltern: 895 Kronen (derzeit ca. 100 €) kostet es pro Person, und angesichts dessen musste man die Buchung auch schriftlich bestätigen. Ich habe es geschenkt bekommen und konnte insofern vollkommen unbeschwert genießen.
Dafür bekommt man auch etwas geboten. Das Restaurant ist nämlich nicht mitten in der Stadt, sondern ist ein klein wenig idyllischer gelegen:
Es befindet sich im Konferenzzentrum Almåsa, gut 30 Kilometer südlich von Stockholm in der Gemeinde Haninge. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln unerreichbar, bleibt nur das eigene Auto oder ein Taxi – hier hat man ein Abkommen mit einem lokalen Taxiunternehmen, das besonderen Rabatt gibt. Es liegt direkt am Wasser mit Blick auf die südlichen Schären von Stockholm und wurde in den 1950er Jahren von Sehbehinderten aufgebaut. Es ist daher auf deren Bedürfnisse eingerichtet. Alles ist auch in Braille markiert, und an bestimmten Punkten stehen Lautsprecher, die in regelmäßigen Abständen einen bestimmten Ton oder ein bestimmtes Geräusch abgeben, um die Orientierung zu erleichtern. Die vier Sterne an der Tür machen deutlich, dass es sich hier für Sehende und Nichtsehende um höchsten Standard handelt.
Wer schon vorher Zeit hat, darf auch Sauna, Pool etc. nutzen, bevor es losgeht. Der Abend beginnt mit einem Sektempfang und einer Einführung durch (in unserem Fall) Joakim, der sozusagen der Conferencier ist. Man wird gebeten, bitte alle Lichtquellen abzuschalten oder zu verstecken – viele vergessen gerne, dass viele Uhren leuchten. Im Alltag ist das unbedeutend, in vollkommener Dunkelheit aber merkbar. Doch die will man hier erreichen.
Daher wies man uns auch noch darauf hin: wer besondere Essenswünsche hat, solle diese bitte – falls noch nicht geschehen – sofort anmelden, denn es ist nicht so, dass man als Allergiker oder Vegetarier in völliger Dunkelheit Teile des Essens aussortieren könnte, die man nicht zu sich nehmen kann oder möchte. Das Drei-Gänge-Menü war zudem geheim, denn es ging um das Geschmackserlebnis ohne die sonst so wichtigen optischen Sinneseindrücke.
Der weitere Ablauf war simpel: in einem Nebengebäude gab es einen Vorraum, von dem aus es in den Speisesaal ging. Ein Gang, bei dem man nach zwei Windungen schon keinerlei Licht mehr hatte, führte hinein. Man sollte eine Hand immer an der Wand halten, um nicht vollkommen die Orientierung zu verlieren. Die Wand war als kleines Extra mit Dingen zum Ertasten ausgestattet. Am Ende wartete ein Kellner auf uns, der uns zum Tisch führte.
Natürlich gab es die Möglichkeit, zwischendrin auf die Toilette zu gehen – und diese hatte sogar Licht! Dazu musste man aber jedes Mal wieder heraus ins Vorzimmer. Ich verzichtete darauf, was dazu beitrug, dass ich bis zum Schluss nur wenig Ahnung hatte, wo der Ausgang ist und wie der Raum aufgebaut ist. Ich wusste nicht einmal, wer neben uns saß und hätte unsere Nachbarn auch draußen nicht wiedererkannt.
Einfachste Dinge geraten zur geraten Herausforderung. Die Wasserflaschen hatten Kronkorken. Also musste man erst einmal herausfinden, wo der Öffner am Tisch war. Wenn man einschenkte, hatte man zudem keine Ahnung, wie voll das Glas war. Ich behalf mir damit, einen Finger in das Glas zu halten, um rechtzeitig den kritischen Wasserstand zu bemerken. Ähnlich schwierig war das Essen. Ich benutzte das Besteck, soweit es ging, aber man schiebt viel auf den Rand (und darüber hinaus). Letzten Endes helfen nur die Finger bei der Erfassung der Lage. Manche aßen gleich ohne Besteck – gesehen hat es schließlich keiner. Wenn man nicht weiß, was man da auf dem Teller hat, ist es schwer, Tischmanieren aufrecht zu erhalten.
Man versteht schnell, mit welchen Schwierigkeiten Sehbehinderte konfrontiert sind, wenn es darum geht, solche alltäglichen Dinge zu meistern und dabei auch noch gesellschaftlichen Normen zu entsprechen. Für die Kellner muss es eine ebenso spannende Erfahrung sein, hier einmal Rollentausch spielen zu können.
Apropos Kellner: was man vorher nicht geahnt hatte und dem ganzen das Sahnehäubchen aufsetzte, war die „Nebenbeschäftigung“ der Kellner. Sie waren nämlich nicht nur Personal, sondern auch die Comedy- und Musikgruppe „De synliga“ („Die Sichtbaren“), die mehrere ihrer selbstgeschriebenen Stücke zum besten gaben. In diesen setzten sie sich auf fröhliche und hintersinnige Art mit ihrer Behinderung auseinander. Die Ansagen der Lieder hatten schon Kabarettqualität.
Das machte den Abend kurzweilig, und da konnte ich nur dankbar dafür sein. Das Netzhautflimmern hört zwar nicht auf, aber wenn man länger in absoluter Dunkelheit sitzt, verliert man jedes Zeitgefühl. Und mit der Abwesenheit von Licht assoziert mal vor allem eines: Schlaf. Ohne die Musik wäre ich zwischendrin bestimmt einmal weggedöst.
Nach einer tollen „Show“ (absurdes Wort in diesem Zusammenhang) und einem opulenten Essen ging es dann wieder ins Licht. Es waren drei Stunden vergangen. Ich hätte zu gerne den Raum einmal im Licht gesehen. Es muss chaotisch ausgesehen haben.
Der Abend klang aus bei Kaffee und Tee.
Das alles war den Preis wert. Es ist sicherlich nichts, was man öfter machen kann, und auch nicht gerade etwas, das man einfach so verschenken kann. Aber es ist definitiv ein spannendes Erlebnis, das man jedem, der nicht gerade panische Angst vor dem Dunkeln hat, ans Herz legen kann.
Ende August dachte ich mir, dass ich endlich meinen Hintern hochkriegen muss. Das habe ich im Grunde eigentlich auch schon die 5 Jahre davor gedacht. Es ist aber nie passiert.
Nachdem ich Mitte August beim Midnattsloppet erneut ohne jegliches Training angetreten war und ebenso erneut eine äußerst mäßige Zeit, nämlich die drittschlechteste meiner Läuferkarriere, einfuhr, war ich doch irgendwie angefixt. Entscheidend ist aber letztendlich folgender Gedankengang: im Jahr 2004 habe ich meinen ersten und einzigen Marathon bislang gemacht. Das ist folglich nächstes Jahr genau 10 Jahre her, und wenn man zu so einem Jubiläum dann doch nicht mal anfängt, dann kann man es im Grunde gleich bleiben lassen.
Mit so einer Attitüde kommt man denn auch sehr schnell sehr weit: seither habe ich 10 kg verloren und mache im Training zum ersten Mal seit vielen Jahren auch mal 10 km pro Einheit. Die Anfänge waren vielversprechend wie im Frühjahr 2012.
Der Plan sah in etwas so aus: im Herbst mache ich mit Hässelbyloppet und Tömilen zwei 10-km-Läufe, ab dann einige Halbmarathons, und im Herbst 2014 schließlich einen Marathon. Schnell träumte ich davon, mal eben schon zu Beginn die beste Zeit der letzten drei Jahre einzufahren.
Hat aber nicht so ganz geklappt, denn Herbst ist auch Erkältungszeit. Wenn man erst so kurz wieder trainiert, sind offenbar knapp zwei trainingsfreie Wochen fatal – insbesondere, da die Erkältung heute noch nicht ganz durch war.
Also habe ich den Beschluss gefasst, ab heute morgen wieder gesund zu sein, und bin in Hässelby losgelaufen. Das Wetter war sonnig und warm, mein Handydisplay in Folge praktisch unlesbar. Die elektronische Dame, die mir sonst immer erzählt, wie langsam ich denn laufe, hatte ich gleich mal deaktiviert. Daher wusste ich auch nicht, wie schnell ich lief.
Bei Kilometer 5 stand Holger, der nicht nur netterweise zum Lauf vorbeigeschaut hat, sondern gleich auch noch Fotos von dem epochalen Ereignis geschossen hat:
Bei Kilometer 5 war auch der einzige Messpunkt der Strecke, und dort wurde mir klar, dass es nicht nur mit der neuen Spitzenzeit nichts wird, sondern dass auch in Frage steht, ob ich es unter einer Stunde schaffe. Ich lief kurz vor der 30-Minuten-Marke durch.
Um Kilometer 7 hatte ich schon ein bisschen zu kämpfen. Von der erhofften Leichtigkeit war nichts zu spüren. Dazu trug der in Grün im obigen Foto auch etwas bei. Nicht dass ich ihm irgendeinen Vorwurf machte. Im Gegenteil: Er war mächtig am Niesen und Stöhnen, blieb aber immer dicht hinter mir – was für seine große Hartnäckigkeit oder für meine schlechte Leistung spricht, womöglich für beides. Dass ich mich nicht von ihm absetzen konnte, war dann auch die Bestätigung, dass es nicht allzu gut laufen kann. Auf den letzten zwei Kilometern vorm Ziel sah ich ihn plötzlich vor mir.
Da war klar: mit einer tollen Bestzeit wird es nichts. Die Uhr sagte letzten Endes 1:00:58.
Ich twitterte folgendes:
Es ist die Sonne, nicht Verbitterung. Medaille um den Hals, 1.00.58 beim Hässelbyloppet. OK aber ausbaufähig. pic.twitter.com/tH1bo6ubYw
Aber soll man jetzt nun wirklich mit so etwas zufrieden sein? Eigentlich war es ja ganz gut: ich bin trotz einer auslaufenden Erkältung 10 km in einem Stück in einem für meine aktuellen Verhältnisse hohen Tempo durchgelaufen. Da dies mein 8. Hässelbyloppet war, kann man sogar die Statistik bemühen und konstatieren, dass ich schonmal schlechter war und dass ich noch nie zuvor vom Midnattsloppet bis zum Hässelbyloppet eine derartige Leistungssteigerung hatte (immerhin über 10 Minuten besser).
So recht glücklich sein kann ich jedoch nicht. Wozu habe ich 10 km auf härterem Terrain im Training gemacht, wenn ich am Schluss trotzdem um eine eher mäßige Zeit kämpfe? Zwar konnte ich nie auf die Uhr schauen, aber selbst wenn, so hatte ich keine Reserven nach oben.
Wunder im Laufsport sind selten, und so kann der einzige Schluss nur sein, das Training baldmöglichst neu zu starten. Noch 34 Tage zur Tömilen. Ich bin wieder da.
Winter in Schweden ist nun wahrlich keine Überraschung, auch wenn er meistens erst so richtig im Januar kommt.
Was gestern los war, sprengte aber so ziemlich alles, was ich in 7 Jahren in diesem Land so erlebt habe. Am eigentlich gut auf den Winter vorbereiteten Flughafen Arlanda waren zeitweis beide Startbahnen dicht. Als man eine wieder offen hatte, zog man Abflüge vor, so dass kaum jemand landen konnte. Besonders schlecht für eine gute Freundin, die zu Besuch kommen wollte. Sie musste schon im Sommer ihren geplanten Trip wegen Organisationschaos (Radarausfall etc.) am deutschen Flughafen abbrechen. Gestern wurde sie dann erneut Opfer höherer Gewalt, wenn auch dieses Mal einer anderen: das Flugzeug wurde von den Planungsgenies bei SAS zwar Richtung Frankfurt losgeschickt, aber aus dem geplanten Abflug um 12:15 Uhr wurde dann nach und nach 21 Uhr, bis der Flug endgültig abgesagt wurde. So musste die Freundin wieder unverrichteter Dinge abziehen und kommt irgendwann einmal wieder nach Stockholm, aber nicht dieses Wochenende. Das ist auch der Unterschied zwischen SAS und Ryanair: letztere hätten das Flugzeug erst gar nicht losgeschickt, weil eine lange Standzeit an einem fremden Flughafen teuer ist und den Flugplan noch mehr durcheinanderbringt als sowieso schon. Ryanair fährt dicke Gewinne ein, SAS ist fast pleite. An solchen Tagen fragt man sich nicht, wieso. Ich selbst frage mich höchstens, welcher Teufel mich dereinst geritten hat, SAS-Aktien zu kaufen – derzeit bin ich bei rund 90% Wertverlust.
Aber auch sonst stand gestern alles. Morgens musste ich schon die Tür gegen den Schnee aufschieben. Der Direktbus kam nicht, was aber schon einmal sonst passieren kann. Andere und ich stapften durch den Schnee ins Zentrum, wo eine der Hauptlinien fuhr. Der Weg zur Arbeit dauerte länger, aber es ging. In den folgenden Stunden spitzte sich die Situation zu. Die S-Bahn Pendeltåg brach fast vollständig zusammen. Menschen saßen stundenlang in Zügen fest. Auf Lidingö entgleiste der Nahverkehrszug Lidingöbanan. Ersatzbusse kamen keine, denn woher hätten die denn kommen sollen? Der Busverkehr wurde ja auch reduziert. Ab spätestens 13 Uhr war auch bei uns auf Värmdö Schluss mit Nahverkehr. Am späteren Nachmittag fuhren praktisch nirgends Busse.
Schwere Unfälle gab es en masse. Lastwagen, die in den Graben gerutscht waren und aufgegebene Autos sollen in weiten Teilen der Region vorgekommen sein. Zwei Verkehrstote wurden gestern vermeldet.
Die Menschen hier nehmen die Situation recht stoisch hin, und das sollte man auch, denn es kann gar nicht genügend Schneepflüge für diese Massen geben. Manche gingen eben 15 km nach Hause oder übernachteten bei Freunden.
In Gedanken spielte ich schon die Option durch, die Nacht in der Stadt zu verbringen. Ich hatte aber wiederum Glück, auch auf dem Heimweg. Die U-Bahnen fuhren, und den hochgefährlich eingeschneiten Stationseingang konnte man mittels Aufzug umgehen. Die Hauptlinien der Busse gingen gegen 17 Uhr wieder unregelmäßig, und so schaffte ich es auch direkt zurück – und ich kann nicht einmal sagen, dass im Busterminal bei Slussen viel los gewesen wäre. Die Bilder in unserem Viertel machten aber das Ausmaß deutlich. Leute versuchten, ihre Autos vom Schnee freizuschaufeln. Viele hatten die Autos gleich auf der Straße geparkt weil sie auf dem Parkplatz steckengeblieben wären. Unser eigenes Gefährt ist auf der vorderen Hälfte unter einem Berg von Schnee begraben. Ohne Freischaufeln wird man da nicht mehr rauskommen. Der Fußweg zu unserem Haus, der in der Regel jede Nacht geräumt wird, ist immer noch knietief mit Schnee bedeckt.
Zu meinem Erstaunen kam der Bus heute morgen noch, als ich schon loslaufen wollte. Mit einiger Verspätung freilich, und auch einige Haltestellen mussten ausgelassen werden, weil der Bus es da nicht durchgeschafft hätte. Aber: nach 85 Minuten war ich auf Arbeit. Die Normalität gewinnt schnell wieder Oberhand.
Aber es wird wohl noch einige Tage dauern, bis alles wieder im Lot ist.
Die Juristerei ist nicht so einfach, auch wenn es bisweilen punktuell so erscheinen mag. Vor nicht allzu langer Zeit habe ich hier begeistert darüber berichtet, dass das Bundesverfassungsgericht die bisherige Wahlrechtsregelung für Auslandsdeutsche als verfassungswidrig gekippt habe. Diese hatte vorgeschrieben, dass man mindestens drei Monate in Deutschland gelebt haben muss, um wählen zu dürfen. Das Gericht befand dieses Kriterium als untauglich.
Nun wäre die logische Schlussfolgerung, dass eben alle Deutsche bis auf weiteres wählen dürfen, wie es auch die Intention der Klägerinnen war. Dabei habe ich aber die technischen Details außer Acht gelassen. Folgender Satz aus §12 des Bundeswahlgesetzes ist nämlich laut dem Urteil nichtig:
Wahlberechtigt sind bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen auch diejenigen Deutschen im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes, die am Wahltag außerhalb der Bundesrepublik Deutschland leben, sofern sie nach dem 23. Mai 1949 und vor ihrem Fortzug mindestens drei Monate ununterbrochen in der Bundesrepublik Deutschland eine Wohnung innegehabt oder sich sonst gewöhnlich aufgehalten haben.
Da nicht nur der Nebensatz ab „sofern“ verfassungswidrig ist, sondern der ganze Satz, gibt es derzeit keine Rechtsgrundlage für ein Wahlrecht der Auslandsdeutschen.
Also ist das Ergebnis des Klageerfolgs der beide Klägerinnen nicht, dass jetzt alle Auslandsdeutschen wählen dürfen, sondern dass fürs erste überhaupt keine Auslandsdeutschen wählen dürfen. Damit ist ihre Intention ins Gegenteil verkehrt. Das ist natürlich unschön, aber dürfte sich in Wohlgefallen auflösen, da der Bundestag das Wahlrecht wegen der Probleme mit den Überhangmandaten ohnehin schnellstens überarbeiten muss.
Große Freunde bei Königs auf Drottningholm: Tochter Madeleine, derzeit tätig als gutaussehende Mitarbeiterin der World Childhood Foundation, steht nicht nur mit beiden Beinen im Arbeitsleben, sondern hat sich jetzt auch noch verlobt. Zugegebenermaßen handelt es sich um den zweiten Anlauf, denn das erste Mal ging schief, als der geschniegelte Verlobte, seines Zeichens Jurist aus nobler Ecke von Stockholm, mit einer norwegischen Handballerin in die Kiste sprang.
Der Neue Chris O’Neill, als New Yorker Finanzmann auch nicht gerade Unterschicht, ist zwar ebenso geschniegelt, aber macht doch einen treuherzigen Eindruck:
Interessant ist die Medienarbeit des Königshauses: während zu Victorias Verlobung vor gut 3 Jahren ein etwas improvisiert wirkendes Video auf Youtube gestellt wurde, bei dem man dann auch noch vergaß, die Kommentarfunktion abzuschalten – mit erwartbarem Effekt – geht es nun eine ganze Ecke hipper zu. Man postet nicht mehr auf Youtube, sondern bei Vimeo. Die Produktion wirkt professioneller, die beiden sehen blendend aus. Dazu radebrecht er erfolgreich zwei Sätze auf schwedisch heraus („Ich lerne schwedisch. Aber das ist schwer.“). Und zum Abschluss kichert sie noch wie ein Schulmädchen.
Hier die weltbewegende Nachricht im Volltext:
Madeleine:
„Heute freuen ich und Chris uns sehr, erzählen zu können, dass wir uns verlobt haben. Chris hat Anfang Oktober in New York um meine Hand angehalten und wir sind sehr glücklich.“
Chris O’Neill:
„Madeleine und ich kennen uns seit zwei Jahren. Neulich habe ich meinen Mut zusammengenommen und sie gefragt, ob sie mich heiraten will. Glücklicherweise hat sie ja gesagt. Ich lerne auch etwas schwedisch:“Jag lär mig svenska. Men det är svårt“.
Madeleine:
„Wir können ebenfalls erzählen, dass die Hochzeit im Sommer stattfinden wird, worauf wir uns sehr freuen.
Da wird einem warm um’s Herz. Ich freue mich schon auf das Statement des Königs.
Angesichts der Diskussionen um Victorias Hochzeit würde ich annehmen, dass die ganze Veranstaltung etwas kleiner gefahren wird. Von Chris wird vermutlich auch erwartet werden, seine Geschäftstätigkeit aufzugeben und in die Wohltätigkeit zu wechseln. Mich würde aber überraschen, wenn die beiden nach Schweden zurückkehren. Sie ist nur Nummer vier in der Thronfolge, und das halbanonyme Leben in Manhattan scheint ihr zuzusagen. Geeignete Immobilien in Schweden zum Wohnen wie z.B. die nicht so umstrittene, aber auch nicht so schöne Villa Solbacken, gäbe es durchaus. Aber warum sollten sie das wollen? Dem schwedischen Steuerzahler kann es ohnehin egal sein: billig ist es so oder so nicht.
Wer mich vermisst, kann mich immerhin hören: letzte Woche war ich einer von drei Gästen zum Thema Nobelpreis bei der Sendung „Redaktionskonferenz“ von dradio Wissen.
Das Thema ist seit jeher ein Steckenpferd von mir, und die Sendung eine wunderbare Gelegenheit, auch jenseits von 1:30-Beschränkungen mal etwas zu einem Thema zu erzählen. Zu Gast waren außerdem Tim Krohn, ARD-Hörfunkkorrespondent in Stockholm, und Holger Motzkau, der wie ich Physikdoktorand sowie Wikipedianer ist und der sich in letzterer Eigenschaft stark engagiert, so dass er bei allerlei Nobelevents anwesend ist. Auf der Seite der Sendung sieht man auch unser kleines improvisiertes Studio, in dem Holger und ich saßen. Moderiert wurde der ganze Spaß von Thilo Jahn.
Die Nobelpreise in diesem Jahr waren eher unspektakulär. Es setzte sich auch der bemerkenswerte Trend fort, dass die Presse im Vorfeld die Preisträger richtig rät. So hatte Karin Bojs von Dagens Nyheter den richtigen Riecher in Sachen Medizinpreis und hatte die beiden Preisträger auf ihrer Shortlist stehen. Auch der Literaturpreis war ja vorhergesagt worden, wobei man sich immer fragen kann, wie es kommt, dass Schriftsteller, die seit Jahrzehnten schreiben und in den letzten Jahren nicht einmal erwähnt wurden, plötzlich zum selbstverständlichen Favoriten werden.
Der Preis an die Europäische Union hat mich ein bisschen überrascht, aber ich fand ihn überaus passend. Wie erwartet wimmelte es in den Kommentaren und Foren nur so von kleingeistigen Kommentaren zum Thema. Man ist leider nicht in der Lage, einer Organisation Respekt zu zollen, die einen jahrhundertelang von Kriegen heimgesuchten Kontinent zu einem eng verwobenen Konglomerat gemacht hat, das Probleme gemeinsam löst statt sie zu einem Anlass für Feindseligkeiten zu nutzen. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass Geld die historische Vision trübt. Bedauerlich, und daher auch umso besser, dass zumindest das Komitee in Oslo die Erfolge würdigt, statt immer nur auf die Schwächen einzudreschen.
Mit dem Wirtschaftspreis vorgestern kam der erwartete Abschluss. Wie immer waren es Amerikaner, die gewonnen haben. Leider für mich auch wieder einmal ein Anlass, zu sagen, dass dieser Preis noch nie eine gute Idee war und es auch nach über 40 Jahren immer noch nicht ist. Ein Preis, der flüchtige soziale Theorien belohnt und schon durch die Verhältnisse in diesem Bereich immer an dieselben Kreise geht, ist von der ganzen Konstruktion her leider keinem der von Nobel gestifteten Preise ebenbürtig.
Auf der anderen Seite gehört genau dies auch zu der Faszination dieses Preis, von dem immer Perfektion erwartet wird, der sich aber darum nicht kümmert und einfach jedes Jahr neue Preisträger liefert, die viel Ehre erhalten, aber auch viel geschmäht werden. Wie oft wurde gerade dem Literatur- und Friedenspreis bescheinigt, er verliere seine Bedeutung, obwohl er jedes Jahr aufs Neue genauso heftig diskutiert wird.
Darum ging es auch in der Sendung: das Event Nobelpreis mit seinen kleinen Geschichten außenherum. Ich wünsche viel Spaß beim anhören.
Lange ist hier nichts mehr passiert. Es ist nicht so, dass ich das hier aufgesteckt hätte. Aber ich muss auch so realistisch sein, dass ich weder die Zeit noch den Enthusiasmus habe, wie früher fünf Beiträge pro Woche zu verfassen, die nicht nur schnell zusammengetippt sind – sie enthalten schon so genügend Schnellschüsse und Tippfehler – sondern auch etwas Recherche und Aufwand erfordern. Von solchen Artikeln habe ich mehrere in Vorbereitung. Es ist mir aber noch nicht gelungen, sie veröffentlichungsreif zu machen.
Insofern wollte ich hier nur einmal ein kleines Lebenszeichen geben und sagen: es kommt wieder etwas, aber nicht mehr so oft und umfänglich wie früher.