Gute 6 Wochen nachdem ein Bus bei Slussen auf einen belebten Platz gerast ist und einige Menschen verletzt hat, ist der technische Bericht der Polizei erschienen. Das ist jetzt zwar auch schon drei Tage her, aber ich wollte es noch nachreichen.
Der Befund ist recht simpel: keine relevanten Sicherheitsmängel konnten an dem 15 Jahre alten Bus gefunden werden. Meine leise Vermutung, dass es nicht der zunächst vielgescholtene und mit seinen 15 Jahren vermeintlich viel zu alte Bus war, sondern leider die Busfahrerin, ist damit erheblich wahrscheinlicher geworden.
Leider deswegen, weil man natürlich niemandem wünscht, so einen Fehler zu machen – immerhin hätte mir auch ein Fehler mit tragischen Konsequenzen jederzeit passieren können. Wenn aber Lenkung und Bremsen versagt haben sollen, der Bus jedoch einwandfrei war, dann kann es eigentlich nur menschliches Versagen gewesen sein.
Während in aller Friedlichkeit der Stockholm-Marathon (Bilder kommen noch) abgehalten wurde, bot sich gleich um die Ecke ein Bild des Grauens.
Das meine ich ernst. Am Samstag geriet bei Slussen ein Bus außer Kontrolle und fuhr auf einen gut frequentierten Platz. Ein Mann wurde schwer verletzt, zwei weitere Frauen leicht. Ein Kinderwagen wurde angefahren und das darin liegende 17 Monate alte Kind herausgeschleudert. Das Kind kam zum Glück mit kleineren Verletzungen davon. In manchen Berichten ist von bis zu 6 Verletzten die Rede.
Um dem geneigten Leser ein Bild der Örtlichkeiten zu geben:
Oder, um es noch etwas deutlicher zu machen:
Der im Hintergrund zu sehende Platz ist der Södermalmstorg, auf dem mehrere Buslinien halten, u.a. auch die Linie 55, die hier involviert war. Soweit ich das rekonstruieren kann, trug sich die Sache folgendermaßen zu: die Linie 55 hatte an diesem Tag auf dem Södermalmstorg ihre Endhaltestelle, denn der weitere Linienverlauf Richtung Altstadt war aufgrund des Marathons gesperrt. Der Bus hatte also vermutlich an der Haltestelle Richtung Hjorthagen (hier zu sehen) oder um die Ecke Aufenthalt bis zu seiner nächsten Abfahrt. Die Haltestelle in der anderen Richtung, wo der Bus neue Passagiere hätte aufnehmen sollen, ist auf dem verlinkten Bild von Hecken verdeckt. Dass die Runde also noch nicht begonnen hatte, war ein großes Glück: es waren keine Passagiere an Bord. Tragisch ist die ganze Sache für die Busfahrerin, die über 10 Jahre Erfahrung verfügt und den Bus gerade übernommen hatte. Die Fahrt endete schon nach wenigen Sekunden. Sie bog wohl rechts ab, um den Platz zu umrunden, und hätte daher gleich wieder rechts abbiegen sollen (wie hier zu sehen bei diesem Bus kurz vor der Kurve).
Das misslang aber offenkundig. Der Bus ging geradeaus die Treppe (siehe oben im Bild) hinunter und kam erst ein Stück später zum Stehen.
Ich habe weder die Linie 55 gefahren noch jemals in der dafür zuständigen Südgarage gearbeitet. Ich habe die Wartung der Busse auch in meiner eigenen Garage immer nur fragmentarisch erlebt. Aber ich kann durchaus etwas zu diesem Bustyp und einigen anderen allgemeinen Dingen sagen:
Er mag zwar nicht mehr so hübsch aussehen, aber der hier verunglückte Bustyp gehört zu den zuverlässigsten. Die meisten dieser Busse haben weit über 500.000 km auf dem Buckel, aber machen weitaus weniger Probleme als neuere Busmodelle. Natürlich haben auch sie ihre Macken, aber keine davon ist sicherheitsrelevant oder beeinträchtigt den Betrieb nennenswert. Das kann man von vielen neueren Bussen wirklich nicht behaupten. Beispielsweise sind die neueren Scania-Gelenkbusse mit solchen Mängeln behaftet, dass es in kritischen Zeiten (z.B. extrem heiße Tage) schwer fällt, überhaupt genügend Rollmaterial auf der Straße zu halten. Deswegen sind die alten Scania-Busse bei den Busfahrern auch erheblich beliebter als die neuen Modelle.
SL hat die Belastungsgrenze dieser Busse selbst gewählt. Der Nahverkehrsverbund schreibt eine Höchstbetriebsdauer von 16 Jahren vor. Man kann den beuftragten Firmen wohl nicht vorwerfen, dass sie den im Regelwerk vorgegebenen Spielraum ausnutzen. Das Alter der Busse halte ich also für zweitrangig, solange kein Befund vorliegt, dass diese Busse tickende Zeitbomben sind.
Nie, ich wiederhole, nie musste ich einen Bus übernehmen, der offenkundige Sicherheitsmängel hatte. Solche waren zu jedem Zeitpunkt ein hinreichender Grund, einen Fahrzeugtausch zu verlangen. Natürlich kann es sein, dass in der Werkstatt geschludert wurde. Dass dies in großem Umfang geschieht, wäre mir aber neu.
Interessant ist auch, dass sich jetzt bei allen möglichen Medien Busfahrer melden, die sich über Qualitäts- und Sicherheitsmängel auslassen. Das mag ja alles stimmen, aber es ist noch lange keine Beweisführung für systematische Fehler. Als die Gorch Fock in die Schlagzeilen kam, meldeten sich plötzlich allerlei Leute, die von schrecklichen Zuständen auf dem Schiff berichteten. Der Kommandant wurde demontiert und dann abserviert. Der Untersuchungsbericht kam hingegen klar zum Schluss, dass dies alles unhaltbar war. Ich hoffe, man kommt nun nach diesem Unglück nicht auf die Idee, die allgemeine Qualität anhand der Aussagen Unzufriedener zu beurteilen, die sich im Schutz der Anonymität aus der Deckung wagen.
Auch wenn ich mich in die arme Busfahrerin sehr gut hineindenken kann, kann man menschliches Versagen nicht ausschließen.
Als solche rechne ich nicht, die alternativen Bremsmöglichkeiten nicht zu verwenden. Wenn man nämlich die Handbremse zieht oder die Türen öffnet, blockieren die Hinterräder. Jedoch ist man als Busfahrer dazu trainiert, eben diese Bremsen im Verkehr sehr vorsichtig einzusetzen, denn sie wirken sehr abrupt und sind daher normalerweise eine Gefahr für alle Insassen. Also kann man nicht erwarten, dass die Fahrerin diese Bremsen sofort betätigt.
Für den Unfall hätten zwei zentrale Systeme auf einmal versagen müssen: Lenkung und Bremsen. Laut der Aussage der Fahrerin merkte sie nämlich, dass der Bus aus der Spur lief, und versuchte zu bremsen, was aber nicht ging. Dass beides zusammenfällt, ist extrem unwahrscheinlich. Es ist also durchaus denkbar, dass hier noch eine menschliche Komponente mitgewirkt hat.
Die Vermutung in der Presse, die Fahrerin habe Gas und Bremse verwechselt, ist jedoch wenig plausibel. Diese Busse rühren sich ohne Druck auf das Gaspedal kaum von der Stelle. Die Fahrerin muss also schon auf dem Gas gestanden haben, um den Bus überhaupt zu beschleunigen. Möglich, wenn auch angesichts der Kürze der Strecke unwahrscheinlich, erscheint mir, dass sie den Fuß von den Pedalen nahm – was man eigentlich nicht machen soll, aber natürlich trotzdem ab und zu tut – und vor der nächsten Kurve bremsen wollte, aber stattdessen Gas gab. Der Bus wäre in dem Fall fast zwangsläufig auf die Treppe zu geschossen, denn dieser Bustyp ist im Leerzustand doch recht flott und wäre kaum um die Kurve zu bringen gewesen. Ein unwahrscheinlicher Hergang,der sich zudem nicht mit den Aussagen der Fahrerin deckt.
Wahrscheinlicher erscheint mir da doch die Möglichkeit, dass die Lenkung wirklich versagte und die Fahrerin einfach nicht mehr rechtzeitig reagieren konnte. Dass die Bremsen dann wirkungslos erschienen, kann in der Paniksituation durchaus so erschienen sein.
Bis man aber definitive Ergebnisse hat, wird man abwarten müssen. Es hat jedenfalls keinen Sinn, schon einmal die Wartung der Busse und alle daran Beteiligten in Sippenhaft zu nehmen. Man kann nur hoffen, dass die ganze Sache für die Verletzten glimpflich abgeht.
Es traf mich unerwartet: Randy Cohen hört auf. Noch nie von ihm gehört? Schade eigentlich, denn er war 12 Jahre lang der Autor der Kolumne „The Ethicist“ in der New York Times. Wie der Name schon andeutet, geht es dort um ethische Fragen, oder vereinfacht darum, in Zweifelssituationen das moralisch richtige zu tun.
Oft habe ich die Kolumne auf dem MP3-Player während meiner Arbeit als Busfahrer gehört. Es ist nicht nur von rein akademischem Interesse. Gerade das Busfahren und insbesondere der Umgang mit den Fahrgästen hat mich öfters in Zweifel gestürzt, ob ich denn richtig gehandelt habe. Meistens musste ich feststellen, dass ich es zumindest hätte besser machen können. Meist ging es um den Umgang mit dem Konflikt – aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen sind Schwarzfahrer uneinsichtige Menschen – denn im Unrecht in der Sache war ich nur selten.
Ironischerweise ereilte mich die Kunde von Cohens Abgang zu dem Zeitpunkt, an dem ich selbst dabei war, meinen Hut zu nehmen. Es war mein vorletzter Arbeitstag als Busfahrer. Heute läuft mein Vertrag aus. Nach 3 Jahren und 8 Monaten endet meine Karriere in diesem Beruf.
Vernunft und Arbeitgeberregularien – oft ein Widerspruch
Eigentlich mochte ich den Job immer. Ich wollte Aktivitäten, die ich schätzte, in meinem Leben halten, auch wenn man eben nicht alles gleichzeitig machen kann. Lange Zeit war es eine willkommene zusätzliche Einnahmequelle. Aber auch eine, die ihren Tribut forderte. Meine Chefs bzw. die Firma Busslink bestanden darauf, dass ich mindestens 20% einer Vollzeitstelle leistete, was auf ca. 4 Tage im Monat hinauslief. Das neben meiner Haupttätigkeit zu bringen bedeutete im letzten Jahr nicht selten, dass ich zwei Wochenenden im Monat aufgab, was wiederum mit sich brachte, dass ich über zwei Wochen (und mehr) keinen freien Tag hatte. Hatte man etwas vor, so legte man die Arbeitstage außen herum. Letzten Endes gab es nur zwei Arten von Wochenenden: solche, an denen etwas geplant war, und solche, an denen man arbeitete. Erst in letzter Zeit fiel mir auf, wie schön es ist, wirklich frei zu haben an diesen Tagen.
Die Idee, dass man neben seinem 20%-Job vielleicht noch einen 80%- oder gar 100%-Job haben könnte, der nicht so flexibel ist, kam bei meinen Chefs nie ganz durch und dementsprechend auch nicht gewürdigt. Obwohl anscheinend ständiger Personalmangel herrschte – ich wurde über lange Zeit mehrmals pro Woche angerufen – war die unumstößliche Grenze von 20 Prozent wichtiger als die Deckung des Bedarfs. Jedes Mal, wenn die Vertragsverlängerung anstand – und das war meist alle 6 Monate – schrammte ich knapp an diesem Limit entlang. Ich konnte noch so glaubwürdig vorrechnen, dass ich gerne auch 20 Prozent des Urlaubs hätte, mir also auch mal erlauben wollte, frei zu haben, aber verfangen hat dies selten. Ich musste mich rechtfertigen, dass ich nicht noch mehr brachte.
Letzten Endes transportierte dies auch die Botschaft, dass ich für die Firma nicht wichtig bin. Gerade in letzter Zeit wurde mir bewusst, dass es im Grunde egal ist, ob ich meinen Job gut mache. Nie hatte ich ein Mitarbeitergespräch, das den Namen verdient hätte. Nie gab es Lob oder Tadel. Selbst wenn es Beschwerden über mich gegeben haben sollte – und die gab es bestimmt – habe ich davon nie erfahren.
Deutlich machte mir das aber erst die Episode mit meinem Strafzettel im November. Ich bin immer noch überzeugt, dass die Firma diesen unsinnigen Strafzettel hätte annullieren lassen können, wenn nur jemand mit der beauftragten Parkfirma Q-Park gesprochen hätte. Schließlich war es Busslink (bzw. jetzt Keolis) selbst, die den Parkplatz besitzt, und einen Mitarbeiter wegen einer kleinen Nachlässigkeit um fast seinen ganzen Nettotageslohn zu bringen ist wohl in niemandes Interesse. Die Unwilligkeit meines Chefs, irgendetwas zu unternehmen, warf die Frage auf, wieso ich mich für die Firma einsetze, wenn die Firma dies nie für mich tut.
Ich kündigte an, meinen Vertrag nach Ablauf nicht mehr zu verlängern, worauf man mir die Standardformel „wir respektieren deinen Entschluss“ entgegnete. Die Sache wurde abgerundet durch ein letztes Telefongespräch mit meinem Chef in der Woche, in der ich meinen letzten Arbeitstag hatte. Er hielt mir wieder einmal vor, ich hätte nur 18% gearbeitet, was so kaum stimmen kann, da ich letztes Jahr im Sommer teilweise 6 Tage pro Monate gearbeitet habe und nach dem Urlaub im Dezember meinen 4-Tage-Schnitt konstant hielt. Ich sagte ihm, dass ich das nicht so sehe, aber es nun egal sei, weil ich aufhöre. Da meinte er, er wisse dies schon, aber er müsse nochmal nachfragen. Wenn ich das richtig verstanden habe, war das also eine Pflichtschuldigkeit, bevor er mich los ist. Zu guter Letzt wollte er, dass ich meine Arbeitssachen noch vor Ablauf des Vertrages einreichen solle. Das werde ich nicht, schon aus terminlichen Gründen, was er dann auch hinnahm – immerhin.
In den drei Jahren meiner Tätigkeit hatte ich vier Chefs – es gab beträchtliche Umwälzungen in dieser Zeit. An den Namen meiner ersten Chefin erinnere ich mich nicht mehr, weil sie direkt danach aufhörte. Dann kam Mats, der nett war, aber den ich nur ein- oder zweimal getroffen habe. Es folgte Milton, den ich schon von seiner Tätigkeit als Chef vom Dienst kannte, wo er die Busse verteilte und schaute, dass alle Dienste gedeckt sind. Er machte mir es mit der 20%-Regel nicht einfach, aber man konnte mit ihm reden. Sein Nachfolger Efrem kommt definitiv am schlechtesten weg, denn es ist er, der mir nicht helfen wollte, und der auch ganz froh zu sein schien, dass ich aufhöre.
Es ist also nicht ohne Bitterkeit, dass ich meinen Hut nehme. Die Wehmut bezieht sich denn auch nicht auf eine Firma, von der ich zwar viel hatte in Form von zusätzlichem Einkommen, eines Versicherungspakets und einer Dienstfahrkarte (ich war selbstverständlich immer im Dienst). Sie bezieht sich vielmehr darauf, dass es schon cool war, so ein Riesengefährt durch die Stadt zu steuern, und dass ich es in absehbarer Zeit nie wieder tun werde. Ich werde es bald wohl weitgehend verlernt haben.
Ein ambivalentes Verhältnis zum gemeinen Passagier
Zurück bleiben die Erinnerungen an Erlebnisse, positive wie negative, auch wenn man konstatieren muss, dass letztere überwiegen. Konflikte mit Fahrgästen waren häufig, vor allem, weil ich es mit dem Tickets sehr genau nahm, wenn ich Schwarzfahrer erwischte. Die gelegentliche Genugtuung, richtig gehandelt zu haben, die Freude daran jemandem geholfen zu haben, und seltene nette Gespräche verzuckerten die Arbeit ein bisschen.
Manchmal kam dies sogar zusammen. Einmal hatten vier Jungs versucht, hinten einzusteigen, um der Fahrkartenkontrolle zu entkommen. Ich schaltete den Motor ab und sagte, wenn sie nicht nach vorne kommen, um die Tickets zu zeigen, bleiben wir solange stehen, bis der Wachdienst kommt. Als sie merkten, dass ich es ernst meinte, und ausstiegen, kam eine Frau nach vorne und bedankte sich. Positiv war die Sache auch deswegen, weil ich damit die Methode gefunden hatte, die ich künftig in solchen Fällen immer anwenden würde. Zuvor hatte ich meine Fahrerkabine verlassen und den Schwarzfahrer direkt konfrontiert. Damit begab ich mich aber in eine Position der Schwäche, was den Konflikt manchmal nur verschärfte und mich als nicht ernstzunehmen darstellte. Einmal war einer sogar so dreist, mir zu sagen, er verstünde mein schwedisch nicht. In der Situation sah ich nicht gut aus, und wertvolle Minuten gingen verloren. Manchmal war es aber auch lustig. Vor einiger Zeit kam ein Paar herein. Er ging mit seinem Hund vorbei, sie hielt ihr Ticket an die Maschine. Ich fragte, was mit seinem Ticket sei. Da lehnte sie sich zu mir vor und drückte mir fast ihren Ausschnitt in Gesicht und sagte „das ist mein Mann, der ist betrunken. Kannst du nicht eine Ausnahme machen?“ Sie war übrigens auch betrunken, und so eine Masche zieht bei mir nicht. Ich schätzte immer Ehrlichkeit: wenn jemand sagte, dass er kein Ticket habe, aber ein paar Stationen mitfahren wolle, dann ließ ich das durchgehen, auch wenn ich das strenggenommen nicht dürfte – schaute aber auch, dass sich die Gegenseite an den Deal hielt. Wer aber versuchte, sich an mir vorbeizustehlen oder mir irgendwelche Uralttickets vor die Nase hielt, hatte nicht viel zu erwarten. Letzten Endes war ich dafür verantwortlich, dass alle ein Ticket hatten. Im Lichte der weiter oben erwähnten Probleme mit meiner Firma ist es fast ein Witz, dass ich das so ernst nahm, obwohl die Wahrscheinlichkeit einer Fahrkartenkontrolle selbst in der Innenstadt annähernd Null ist – in den drei Jahren hatte ich vielleicht drei- oder viermal Kontrolleure an Bord.
Das Schlimme daran ist – auch ein Grund für die Kündigung – dass man letzten Endes den Glauben an das Gute im Menschen verliert. Wenn man gelernt hat, dass vom Kleinkind bis zum Greis jeder ein Schwarzfahrer sein kann, fällt es schwer, noch irgendjemandem zu glauben.
Im Fall mit dem betrunkenen Pärchen erklärte er mir jedenfalls, dass er seine Jacke zuhause liegen habe lassen, und da sei seine Karte drin. Ja, ja, deine Mudder, dachte ich nur. Ich ließ es nicht durchgehen, und wurde dafür von ihm als Idiot beschimpft. Ich hätte mich eher als Idiot gefühlt, wenn ich diese Nummer hätte durchgehen lassen. Ich nahm es mit Humor.
Im Grunde habe ich aber ein Bedürfnis, die Gegenseite zur Einsicht zu bringen. Nur gerade das ist selten möglich, wenn ein Konflikt entsteht. Wie er auch endet: das Ergebnis ist unbefriedigend. Solche Dinge lassen mich nicht kalt. Einmal habe ich fast einen Radfahrer umgefahren, weil ich beim Losfahren kurz unaufmerksam war. Dem vorangegangen war ein Disput mit einer Frau, die nicht einsah, dass ich schon wegen des Verletzungsrisikos die Vordertüren nicht mehr öffnen kann, wenn der Bus übervoll ist, und dass ich von vorne auch nicht sehen kann, wieviel Platz es hinten noch gibt.
Die wirklich erinnernswerten Momente: Schönes und Amüsantes
Die wirklich schönen Momente sind eigentlich diejenigen, die man bewahren müsste. Aber von denen verblassen leider nur allzuviele. In einer der letzten Fahrten ließ ich drei Frauen zwischen zwei Haltestellen aussteigen, weil sie im Gespräch mit mir doch zum Schluss gekommen waren, dass sie zu einem nahegelegenen Museum doch besser zu Fuß kämen. Sie waren sehr begeistert, aber hätte ich den Job weitergeführt, hätte ich das vermutlich schon längst wieder vergessen.. Herausragende Erlebnisse wie der Dank einer Norwegerin, deren Tasche ich im Bus wiedergefunden hatte, und die mich dafür umarmte, sind selten.
Jenseits der Kategorien Gut und Schlecht gibt es noch die grotesken Dinge, die immer mal wieder vorfielen. Unvergessen ist mir ein Vorfall beim Karolinska-Krankenhaus. Ein Pärchen stieg ein, und er war so betrunken, dass er es schon kaum in den Bus schaffte. Der Ausstieg klappte immerhin einigermaßen, aber gerade als ich losfahren wollte, hörte ich hinten etwas gegen den Bus schlagen. Der Mann war hinter dem Bus hingefallen und lag nun wie ein Käfer auf dem Rücken auf der Straße und strampelte mit allen Vieren. Er bekam es koordinatorisch nicht mehr hin, sich umzudrehen und auf den Bürgersteig zu „retten“. Ich fasste meine Fahrgäste grundsätzlich nicht an. Liegen lassen konnte ich ihn aber auch nicht. Also sagte ich, dass man dann wohl den Wachdienst oder die Polizei rufen müsse, wenn er nicht da weg kann. Seine Begleitung wandte sich aber nicht gegen mich oder versuchte, ihn aufzuheben. Sondern sie rief „Mensch, jetzt steh‘ doch auf. Der ruft sonst die Polizei.“ Und trat ihn. Es war ein höchst interessantes Schauspiel. Ich wartete etwas und rief dann die Zentrale ein, und sie sagten, ich könne weiterfahren – sie würden jemanden hinschicken. Bis dahin hatte er Mann endlich den Bürgersteig erklommen. Nun am rettenden Ufer gelandet war auch ich beruhigt. Offensichtlich ging auch sonst alles glatt. In der nächsten Runde waren sie nicht mehr da.
Leider wurden aber auch solche Geschichten in letzter Zeit selten. Ticketärgernisse schienen eine immer größere Rolle zu spielen. Auch musste ich mich der Realität stellen, dass Busfahrer nun nicht gerade eine Karriereoption ist. Manchmal denke ich mir auch, dass ich zu spät aufgehört habe und schon längst andere Dinge hätte machen können, die mich in meiner echten Karriere mehr voranbringen. Das werde ich aber wohl erst in fernerer Zukunft wirklich beurteilen können.
Dabei ist nicht einmal ausgeschlossen, dass es nicht doch ein Comeback gibt. Wenn ich mit meiner Doktorandenstelle fertig bin, kann es vielleicht eine Lücke geben, und bevor ich gar nichts mache, klemme ich mich gerne nochmal hinters Steuer – dann aber mit einem anderen Chef und vermutlich näher gelegen in Nacka und Värmdö. Wahrscheinlich ist das alles jedoch nicht, und das ist wohl auch gut so.
Auch für Randy Cohen geht es weiter. Er wurde zwar im Gegensatz zu mir gefeuert, aber bereitet schon eine neue Sendung bei NPR vor.
Nachtrag 8. April 2011: vorgestern habe ich meine Klamotten und sonstigen Dinge (Stempel etc.) abgegeben. Mein Chef war ausgenommen freundlich, bot mir auch sogleich an, mich wieder zu melden, wenn ich wieder fahren wollte, und wünschte mir alles Gute. Das relativiert zumindest die vorangegangenen Verstimmungen und macht den Abschluss weit versöhnlicher als gedacht.
Das Sahnehäubchen war aber, dass ich 10 Minuten später bei einem Kurzeinkauf bei LIDL Peter traf. Er ist auch Deutscher und hatte 2007 gemeinsam mit mir den Einführungskurs gemacht. Er fährt immer noch – mittlerweile sogar Vollzeit – und beförderte kürzlich Freunde von mir nach Skeppsholmen in der Linie 65.
Schweden eilt ja der Ruf voraus, ein sozialdemokratisches Paradies zu sein, ja sogar ein bisschen sozialistisch angehaucht. Das mag auf manche Bereiche zutreffen, aber schon lange vor der jetzigen Regierung wurden einige Bereiche in den freien Markt verabschiedet, die meines Erachtens nicht unbedingt dorthin gehören. Vor allem, wenn es um die Abgabe von Hoheitsrechten geht, bin ich skeptisch.
Die privatisierte Polizei
Ein Beispiel ist die blühende Branche der Sicherheitsunternehmen. Man hat das Gefühl, diese bewachten jede Hundehütte dieses Landes. Nicht dass Schweden sonderlich gefährlich wäre, aber das hält nicht davon ab, an jeder Haustür ein Codeschloss anzubringen. Eine Standardfrage bei vielen Lieferungen ist, ob es denn einen Türcode gebe. Die Sicherheitsleute sind oft mit einer Plakette ausgestattet, die ihnen so etwas wie einen offiziellen Status gibt. Es entsteht der Eindruck, es handele sich um eine Art privatisierte Hilfspolizei. Nun sollen sie sogar polizeiähnliche Uniformen bekommen, was anscheinend sogar gut gefunden wird.
Ein anderer Bereich sind die Parkplätze des Landes. Diese wurden praktisch vollständig in die Hände von Privatfirmen gelegt, die seither ihr Geschäft damit machen, Parksünder sofort zu stellen. Das gelingt ihnen auch äußerst oft. Als wir einmal Besuch von Freunden hatten, wurde ihnen schon wenige Minuten nach Ablauf ihres Parkscheins das Knöllchen an die Scheibe geheftet.
Und ein solches ist nicht billig: unter 300 kr, also gut 30 €, geht nichts.
Danach sieht es dieses Mal leider nicht aus. Vor knapp 3 Wochen parkte ich auf dem Weg zur Arbeit als Busfahrer auf dem Firmenparkplatz. Meine Parkgenehmigung liegt immer irgendwo auf dem Armaturenbrett, aber ich vergaß, sie so herauszulegen, dass sie gut in der Windschutzscheibe zu sehen ist. Bei meiner Rückkehr erwartete mich ein gelber Streifen mit einem Bußgeld von 550 kr, also rund 60 €.
Ich ging natürlich in Widerspruch, denn ich war schließlich berechtigt, dort zu stehen.
Heute kam nun die Antwort:
Laut der Beschilderung wird eine gültige Parkgenehmigung für das Abstellen auf dem Platz benötigt. Diese Genehmigung soll sich im Fahrzeug befinden und laut den Vorschriften während der ganzen Parkzeit gut sichtbar und von außen voll lesbar an Windschutzscheibe platziert sein. Laut unserem Personal wurde die Kontrollabgabe [Anm. das ist die euphemistische Bezeichnung für dieses Bußgeld] verhängt, weil keine solche Genehmigung gut sichtbar zur Kontrolle platziert war.
Das ist bedauerlich, dass deine Genehmigung bei der Kontrolle nicht sichtbar war. Dass du im Nachhinein eine gültige Genehmigung vorweisen kannst, ist jedoch kein Grund, die Angelegenheit abzuschreiben.
Es bleibt also bei den 550 kr.
Strafe und Verhältnismäßigkeit
Es ist nicht so, dass ich gar kein Bußgeld bezahlen wollte. Ein Fehler kann bestraft werden, denn durch ihn ist der Firma schließlich ein Aufwand angefallen. Jedoch steht der Betrag in keinem Verhältnis dazu. Um mal etwas Küchenrechtsphilosophie auszupacken: der Zweck eines Verbotes ist, im Interesse der Allgemeinheit unerwünschtes Verhalten zu verhindern. Man belegt es mit einer Strafe, um es durchzusetzen, sei es durch vorangehende Abschreckung oder nachfolgender Ahndung, um Wiederholungen zu verhinden und Buße zu erreichen.
Die Strafe muss dem Vergehen angemessen sein.
Der Zweck dieser Parkregelung ist, nur denen Zugang zum Parkplatz zu gewähren, die eine Berechtigung haben. Eine Parkgenehmigung zu besitzen und diese nicht ordnungsgemäß zu zeigen ist jedoch ein anderes, weniger schweres Vergehen als Parken ohne jegliche Berechtigung.
Welchen Sinn hat es also, in diesem Fall mich genauso zu bestrafen wie einen, der dort einfach falschparkt?
Ganz einfach: keinen außer der Gewinnsteigerung der Firma. Der Auftraggeber, also mein Arbeitgeber, hat schließlich kein Interesse daran, die eigenen Mitarbeiter verknacken zu lassen.
Die beschönigende Bezeichnung „Kontrollabgabe“ (kontrollavgift) verschleiert zudem, dass es sich um eine Strafe handelt. Vermutlich würde die betreffende Firma Q-Park argumentieren, dass es sich nicht um eine Strafe handelt, sondern um eine Abgabe zur Durchführung der Kontrollen – wobei man sich dann fragen müsste, wieso nur diejenigen, die dort nicht parken dürfen, zahlen müssen. Ein fragwürdiges Konstrukt ist das Ganze schon alleine deswegen, weil die eintreibende Firma gleichzeitig auch die Berufungsinstanz ist, in deren Interesse es natürlich nicht liegt, auch die Position des Delinquenten nachzuvollziehen.
Wie geht es weiter?
De facto bleibt für mich das Problem, dass ich mehr als die Hälfte des entsprechenden Tageslohns dafür abgeben muss – und dass ich, wenn überhaupt, nur unter erheblichem Risiko und geringen Erfolgsaussichten die Sache gerichtlich klären lassen kann. Ein Prozesshansel nennt man sowas, wenn der Streitaufwand den Streitwert um ein Vielfaches übersteigt.
Das oben zitierte Schreiben ist natürlich eine Standardvorlage. Diese Art von Einspruch kriegen die wahrscheinlich pro Tag im Dutzend. Und einige sind wohl so verärgert, dass die Bearbeiter lieber anonym bleiben: das Schreiben ist mit „Ewa H“ unterzeichnet.
Was tun? Ein neuerlicher Einspruch ist vermutlich zwecklos, wobei ein Versuch kaum schaden kann. Herunterhandeln ist besser als in voller Höhe zu bezahlen. Ich ziehe sogar eine Art von zivilem Ungehorsam in Betracht. Ich könnte beispielsweise etwas weniger bezahlen und abwarten, ob sie den letzten Kronen wirklich hinterherrennen wollen. Die Frage ist natürlich, wieviel ich dabei riskiere, denn die Schufa-Abfrage ist in Schweden so üblich wie die Frage nach dem Wetter.
Fürs erste habe ich aber den naheliegenderen Weg gewählt und meinen Chef bei Busslink kontaktiert – wie meine Erfahrungen vor 5 Jahren zeigten, sind die Forderungen nämlich schnell hinfällig, wenn der Auftraggeber nicht möchte, dass das Geld eingetrieben wird.
Nachtrag 13:30 Uhr: Q-Park hat auf seiner Homepage netterweise das Gesetz, nach dem dieses Bußgeld erhoben wird. Die Bezeichnung „Kontrollavgift“ stammt also vom Gesetzgeber. Laut diesem darf das Bußgeld die entsprechenden kommunalen Tarife nicht überschreiten. Ich tippe mal darauf, dass dieser Tarif genau 550 kr beträgt.
Die im Schreiben genannten Vorschriften zur Platzierung der Parkgenehmigung suche ich jedoch vergebens. Ggf. werde ich mal nachfragen, wer diese gemacht hat und wo sie einzusehen sind. Am Parkplatz selbst steht nämlich nur „P-tillstånd erfordras“ (Parkgenehmigung erforderlich) oder ähnliches, nicht jedoch die genauen Konditionen.
Eine beliebte Frage zu meiner grandiosen Busfahrerei ist, ob man den ganzen Tag dieselbe Linie oder denselben Bus fährt.
Das tut man glücklicherweise nicht, wenn man von seltenen Ausnahmen absieht – ansonsten wäre der Job sehr sehr dröge. Die Busse sollen eigentlich soviel in Bewegung sein wie möglich, weil das Geld spart. Deswegen übergibt man den Bus in der Regel an einen Kollegen. Nach der Pause löst man selbst wiederum einen anderen Kollegen ab. An Wochenendschichten, wie ich sie in der Regel habe, kommt es aber schonmal vor, dass man den Bus einfach abstellen kann – schlicht und ergreifend weil man z.B. an einem Sonntagabend wenig anderes mit dem Gefährt anstellen könnte, denn das Angebot im Nahverkehr ist natürlich stark reduziert um diese Zeit.
Obige Karte zeigt einen Arbeitstag von der ersten Übernahme bis zum Abstellen des letzten Busses in der Garage. Darin enthalten sind:
Die Linie 40 – der ganze nördliche Ableger der Route stammt von ihr
Eine U-Bahnfahrt zum Odenplan, um dort den nächsten Bus zu übernehmen. Die Strecke ist zu erkennen an dem kerzengeraden Strich in der Mitte, wo keine Straße entlanggeht.
Die Linie 4 – fast der ganze südliche Ablege gehört zu ihr
Die Linie 62 – am ehesten zu erkennen, weil sie am Schloss entlanggeht. Auch eine Pause mit Abstellen des Busses ist drin, aber kaum zu erkennen.
Die Linie 1 – diese geht rechts oben zum Hafen und endet links auf Stora Essinge. Danach geht es zurück zur Garage, wie man auch ganz gut erkennen kann. Die Garage liegt nämlich direkt unter der Autobahn.
Das Programm hat für das alles eine Strecke von 133 km errechnet, wobei die U-Bahn und wilde Sprünge während der Pausen wegen schlechten Empfangs abgezogen werden müssten. Es dürften also gut 120 km gewesen sein. Mehr als ich dachte, um ehrlich zu sein.
Ich sage Euch, liebe Leser: Woodstock war langweilig im Vergleich zu meinem Leben.
Gestern beispielsweise habe ich zwei Wagenheber gekauft. Ja: zwei. Das Wetter ist schon winterlich, und da wollte ich nicht mehr mit Sommerreifen herumfahren, auch wenn ich nächste Woche schon einen Termin zum Reifenwechseln ausgemacht hatte. Mit meinem familiären Hintergrund ist das eigentlich schon eine Frage des Stolzes. Daher traf es sich ganz gut, dass die Tankstelle einen Wagenheber (bis 3 Tonnen!) im Angebot für 30 € hatte. Da griff ich zu und fing an. Problem: das Gerät ist zu hoch. Kaum zu glauben, dass allen Ernstes ein Wagenheber verkauft wird, der nicht unter einen stinknormalen Golf passen will. Der Wagen stand etwas schräg – hinten ging es scheinbar besser, und so versuche ich es. Ergebnis: ein gewechseltes Rad, eine große Delle. Peinlich, und ein weiteres Problem: so konnte ich jetzt natürlich schlecht fahren. Also habe ich bei Biltema einen weiteren Wagenheber besorgt, Kostenpunkt 18 €. Der war zwar wiederum fast zu klein, aber es ging. Nun muss ich nur noch die Delle versorgen, was aber heute durch permanenten Regen vereitelt wird.
Dieser wiederum sorgt dafür, dass der Schnee wegschmilzt. Was die ganze Aktion ins Absurde führt.
Als wäre das noch nicht Aufregung genug, durfte ich gestern abend zum ersten Mal seit langem eine neue Linie fahren: die 53 mit prächtiger Aussicht zwischendrin. Wicked.
Und jetzt dieser verregnete Sonntag. Braucht jemand noch einen ziemlich hohen Wagenheber?
In einer Großstadt wie Stockholm rechnet man mit so einigem. Heute abend lief auf dem Ringvägen eine desorientierte wirkende Frau herum, die ihre Überquerung der Straße abbrach und stattdessen vor dem Bus trotz Fernlicht und Hupe stehen blieb. Als sie sich langsam Richtung Straßenrand bewegte, kam sie auch noch zur Tür und wollte mitfahren – darauf verzichtete ich doch gerne. Sie zog dann auf der weit sichereren Wiese ab.
Mit diesem kleinen Festumzug hatte ich jedoch nicht so ganz gerechnet.
Unter dem Pausenlokal der Busfahrer ist ein vegetarisches Restaurant – leider kantinenmäßig angelegt und nur eingeschränkt geöffnet, aber recht lecker – das zur Hare-Krishna-Bewegung gehört und gleich ein entsprechendes Zentrum angeschlossen hat. Der Fridhemsplan muss alternative Religionen anziehen, denn gegenüber hängt regelmäßig ein Banner der „New Life Church“.
Kleinere, Hare Krishna singende Gruppen habe ich dort schon öfters erspäht, aber dieser fröhliche Tanz im Kreis war mir dann doch neu. Die Frau am Imbiss war hingegen überrascht, dass ich die noch nie gesehen hatte.
Ich glaube, der allsonntägliche Umzug fällt dennoch recht bescheiden aus – mehr als einmal um den Block herum scheint er nicht zu gehen.
Da die heutigen Themen kaum unter einen Hut zu kriegen sind, reaktiviere ich diese uralte Rubrik:
Heute war, wie im letzten Beitrag vergeblich angekündigt (Import funktionierte nicht), die Prideparade in Stockholm. Fast schon traditionell war ich als Busfahrer unterwegs und hatte so meinen Spaß mit umgelegten Fahrstrecken. Spaß kann man wirklich so sehen, denn es ist nicht nur eine angenehme Abweichung vom Alltäglichen, sondern auch eine schöne Gelegenheit, als Dienstleister zu fungieren – die Passagiere sind dankbar für jede Hilfestellung. Nur einer nicht, der nicht nur reichlich betrunken, sondern der Meinung war, seit 30 Minuten sei kein Bus mehr gekommen (was eigentlich angesichts der Straßenverhältnisse nicht sein kann), und dies auch in entsprechendem Ton von sich gab. Dummerweise gilt da für mich die goldene Regel: wer mir blöd kommt, dem komme ich auch blöd. Ohne Ticket ging nichts.
Das andere Extrem zu Pride fand in Duisburg statt. Ich hatte das Beben in Hannelores Kraft Stimme ja erst dem Livestream angekreidet, aber die Presse schreibt einhellig, dass sie wirklich den Tränen sehr nahe war. Wie ich auch gelesen habe in meinen heutigen Pausen, waren die öffentlichen Übertragungen der Trauerfeier nicht gut besucht. Vielleicht ist es bezeichnend, im Stillen und privat über eine Tragödie zu trauern, die so öffentlich war und ist.
Wie schon beim Liveblogging-Beitrag angemerkt: wirklich funktioniert hat auch dieses System nicht. Ein literarischer Hochgenuss war es sowieso nicht. Das Spiel war auch nicht direkt schön, weil es oft nicht ganz fair zuging. Jedoch ist das Ergebnis berechtigt. Die Südkoreanerinnen haben durch schwere Abwehrfehler jegliche Chancen auf den Sieg verschenkt. Geradezu kurios war das letzte Tor: ein Schuss von Alexandra Popp prallt an der Latte ab und fliegt nach oben. Der Ball verlässt aber nie den Spielraum, was der im Strafraum stehenden koreanischen Abwehrspielerin nicht klar gewesen zu sein scheint. Sie nimmt den Ball einfach in die Hand, was natürlich vollkommen korrekt als Handspiel gewertet wurde, wie auch die Schiedsrichterin nach Absprache mit der Linienrichter so sah. Popp verwandelte den Elfmeter – eine Demütigung für die Koreanerinnen. So bleibt an diesem Punkt des Turniers festzuhalten, dass die Unterschiede doch noch viel größer sind als erwartet. Einzig die Nordkoreanerinnen schienen unserem Team einigermaßen gewachsen zu sein. Deswegen ist schon mehr oder weniger klar, wer morgen Weltmeister wird. Die Nigerianerinnen, die sich schon gegen die USA erst im Elfmeterschießen durchsetzten, gewannen gegen Kolumbien auch nur durch ein glückliches sehr frühes Tor. Da ich das Spiel nicht live werde sehen können, kommt eine Nachlese später.
Ach, was war das rührend gestern. Alle haben sich lieb, und so eine 11-stöckige Torte hat natürlich etwas. Ich konnte nur die Trauung live verfolgen. Danach ging es auf Arbeit.
Ich hatte eigentlich nur zwei Extreme erwartet: entweder würde die Stadt vollkommen leer oder total überfüllt sein. Aus meiner Sicht war es ersteres. Als ich gegen Ende der Kutschenfahrt des Brautpaares durch die Innenstadt auf dem Weg zu meinem Startpunkt war, präsentierte sich die U-Bahn, die für den Tag kostenlos war, um die Massen besser zu bewältigen, als weitgehend leer. Natürlich kann es auch sein, dass die Massen erst später gekommen wären. Aber auch auf meinen anschließenden Fahrten durch die Innenstadt blieb das Gedränge aus. Ein paar Familien mit Kindern, die Flaggen dabei oder eine Krone, war schon alles irgendwie.
Meine erste Linie, die 42, war einfach gekappt worden. Zwei Mädels fragten, ob die Busse heute auch kostenlos seien. Waren sie nicht, aber in dem Fall hätte ich das nicht so eng gesehen. Sie fuhren trotzdem nicht. Einen Fahrgast hatte ich trotzdem noch – er fragte mich, ob ich Däne bin (was ich als Kompliment betrachtete) und sprach über seinen Aufenthalt in Österreich. Er blieb dann aber auch der einzige.
Nachdem ich eine Runde auf einer nicht betroffenen Linie absolviert hatte, waren die Straßensperren weg. Vermutlich hätte man ab diesem Zeitpunkt schon wieder freigeben können. Die Fahrpläne waren aber ganztägig umgestellt worden.
So bestand die Hauptherausforderung in etwas Fahrgastberatung und der manuellen Einstellung der Linienschilder das einzige, denn die Computer hatte man für den einen Tag nicht umgestellt. Spät am abend durfte ich dann noch einige Zeit die Linie 62 mit meinen Diensten beglücken. Die führt fast direkt am Schloss vorbei, so dass man sie großzügig zweigeteilt hatte. Ich hatte den Abschnitt im Stadtteil Östermalm, und zwar schon mitten in der Nacht. Ganze 6 Minuten war der lang, und dementsprechend interessant war es, mitzufahren – das half wirklich nur Leuten, die nicht laufen können, und die waren um die Zeit schon lange zuhause. Trotzdem entschloss sich eine betrunkene Gruppe Jugendliche, 50 Meter mitzufahren. Sollte mir recht sein.
So unspektakulär war dieses pompöse Fest also von der Perspektive, wobei der Abend dann doch noch etwas unerwartet endete. Am Ende südlichen Querspange Södra Länken hatte es einen Unfall gegeben, bei dem sich ein Auto überschlagen hatte. Anscheinend gab es aber keine schwer Verletzten, denn der Sanitäter saß sehr entspannt am Fahrbahnrand. Kein Bedarf für Hilfe also – nur an dem Auto, das mitten auf der Straße lag, musste man vorbei.
Der Preis für die beste Aktion des Tages geht übrigens klar an Steffen und Franzi, die ihre Glückwünsche persönlich mit einem Strauß Blumen beim schwedischen Generalkonsulat in Istanbul überbrachten. Ich bin gespannt auf weitere Details.
Zwei Tage vorher kann auch ich, der die Boulevardpresse meidet, mich nicht mehr ganz der sich aufbauenden Welle entziehen. Falls ich Leser hinter dem Mond haben sollte: am Samstag heiratet Ihre Königliche Hoheit Victoria Ingrid Alice Désirée Kronprinzessin von Schweden und Herzogin von Västergötland den weit weniger blaublütigen Herrn Daniel Westling aus dem schönen Städtchen Ockelbo, der nach der Hochzeit Prinz Daniel von Schweden wird, nebenbei auch noch Herzog von Västergötland.
Das ist natürlich eine große Veranstaltung. Die Dimensionen übertreffen alles, was Schweden in jüngerer Geschichte so erlebt hat. Schon vor Wochen nahm das Brautpaar Geschenke entgegen. Es laufen Dokumentationen im Fernsehen und jedes Detail läuft sofort durch alle Medien. Für die Allgemeinheit gibt es schon seit einiger Zeit spezielle Hochzeitsschokolade mit dazu passenden Hochzeitsservietten zu kaufen.
Die Hochzeit selbst läuft dabei eigentlich recht einfach ab: 15:30 Uhr ist die Trauung in der Storkyrkan direkt neben dem Schloss. Danach geht es auf eine Kutschenfahrt durch die Innenstadt. Diese endet irgendwo beim Vasamuseum, wo die beiden in ein Boot steigen werden, das sie dann, von 18 Ruderern angetrieben, zurück zum Schloss bringen wird.
Das drumherum macht es freilich erst so pompös. Damit das Paar es auch schon gemütlich hat, wird die Prinzessin bei Mutti aus deren Einfamilienhaus ausziehen und die beiden werden zusammen ein frisch renoviertes Häuschen bewohnen. Die damit einhergehende Renovierung (insbesondere deren Kosten) samt der damit verbunden erweiterten Absperrung der Umgebung, welche zuvor ein öffentlich zugängliches Parkgelände war, sorgt für etwas Unmut.
Aber auch für das gemeine Volk wird einiges geboten. Seit über einer Woche läuft schon das Festival „Love Stockholm 2010“ mit zahlreichen Konzerten. Letztes Wochenende ließ man es richtig krachen: es gab die Möglichkeit der Drop-In-Hochzeit – wie in Las Vegas, nur ohne Elvis. Gut 350 Paare nahmen teil, was schon beachtlich ist – vielleicht ein Ausdruck davon, welches nüchterne Verhältnis viele Schweden zur Institution Ehe haben.
Mangels Zeit bin ich bislang nur mit dem Fahrrad an dem Festivalgelände vorbeigefahren. Gestern habe ich das nun genutzt, um ein paar Fotos zu machen.
Man sieht klar darauf, dass die Fernsehsender sich schon gut eingerichtet haben für die Hochzeit. Es wird die größte Fernsehübertragung der schwedischen Geschichte werden. Die Sponsoren haben sich auch nicht lumpen lassen und sind zahlreich und mit großen Ständen vertreten.
Das wird letzten Endes wohl auch der Grund sein, wieso ich schwer davon ausgehe, dass die schwedische Monarchie ab der nächsten Woche einen gewaltigen Popuralitätsaufschwung erleben wird. Schweden sind zwar im Allgemeinen nicht so leicht zu beeindrucken, aber so eine Traumhochzeit wird sie wohl auch weich machen. Bessere Umfragewerte kann das Königshaus auch gut gebrauchen. Laute einer aktuellen Umfrage ist weniger als die Hälfte für die Monarchie, und die Unterstützung des Königshauses an sich ist noch schlechter. Das mag an den exorbitanten Kosten dieser Hochzeit liegen, vielleicht auch an den Querelen um Prinzessin Madeleine, die von ihrem Verlobten mutmaßlich betrogen wurde, was ihn prompt zum Ex-Verlobten machte. Madde, wie sie auch gerne genannt wird, ist dieser Tage aus ihrem Kurzzeitexil in den USA zurückgekehrt, weil sie natürlich trotz dieser schwierigen persönlichen Situation bei der Hochzeit zugegen sein wird.
Allgemein ist der Andrang bei der Hochzeit aber nicht so groß wie erwartet (oder befürchtet). Ein Sonderzug aus Malmö wurde eingestellt, da es nicht genügend Interessenten gab – dafür wurde ein Zusatzug aus Göteborg bestellt.
Ich für meinen Teil hatte mich fast schon darauf gefreut, das Spektakel am Fernseher mitverfolgen zu können. Das werde ich nun auch, aber mit Einschränkungen. Ab frühem Abend darf ich nämlich Busfahren, was ein interessantes Erlebnis zu werden verspricht: Linien, die die Sperrzone in der Innenstadt berühren, werden einfach gekappt. Man sieht jetzt schon die Straßensperren, und die Polizei, die hier den bislang größten Einsatz ihrer Geschichte machen wird, hat keine Missverständnisse aufkommen lassen, dass weite Teile der Innenstadt eine No-Go-Area sein werden. So wird eine Linie, die ich fahre, nur 6 Minuten lang sein. Ich bin jedenfalls schon sehr darauf gespannt.
Noch lieber wäre ich freilich einer der Busfahrer gewesen, die die Hochzeitsgäste transportieren dürfen.