Hölle, Hölle, Hölle

Schon gehört? Turku ist Kulturhauptstadt Europas 2011, zusammen mit Tallinn, und damit Nachfolger von Essen und dem Ruhrgebiet.

Ich hätte es auch nicht gehört, wenn ich gestern nicht zufällig dort gewesen wäre. Es ist nicht mein erster Besuch der Stadt. 2001 unternahm ich meine erste Reise durch Skandinavien, und die zweite Station war die ehemalige Hauptstadt Finnlands, Turku. Viel ist nicht von dem Besuch hängengeblieben, außer dass ich meinen Begriff von einer Jugendherberge erheblich erweitern musste: meine Zimmergenossen waren im Rentenalter. Und dass ich Shrek sehen wollte, aber beim Anblick des demographischen Profils der Warteschlange (alles Kinder) messerscharf schloss, dass der Film wohl synchronisiert war und sich ein Besuch für mich daher nicht lohnte.

Die Tatsache, dass Turku den Titel Kulturhauptstadt 2011 einheimsen konnte, lässt mich an die gescheiterte Bewerbung Karlsruhes denken. Eine Parallelen findet sich. Wie Karlsruhe auch war Turku früher einmal eine Landeshauptstadt, was in beiden Städten bis heute eine feurige Angelegenheit ist. In Turku blickt man eifersüchtig auf den Emporkömmling Helsinki, in Karlsruhe fühlt man sich durch Stuttgart übervorteilt. In Karlsruhe wurde daher der Slogan „Karlsruhe muss Hauptstadt werden“ sehr positiv aufgenommen. Genützt hat es nichts. Essen wurde Kulturhauptstadt 2010, und Turku ist es nun dieses Jahr.

Jetzt also der zweite Besuch dort. Die eigentlichen Gründe haben aber mit der Kulturhauptstadt wenig zu tun, sondern ganz profan mit einer Einladung, auf einem Freiticket mitzureisen. Da sage ich nicht natürlich nicht nein.

Die Fahrt hin war bemerkenswert unspektakulär. Das Schiff war regelrecht ausgestorben, und das Unterhaltungsprogramm bot nicht einmal die übliche Alibi-Tanzshow, die dann gemacht wird, wenn sonst nichts anliegt. Auf der anderen Seite auch natürlich sehr angenehm, wenn die Zahl der Betrunkenen sich in Grenzen hält.

Auch beim zweiten Blick ist Turku ein hübsches Städtchen, v.a. um den Fluss Aura herum. Kulturell beschränkten wir uns aber im Wesentlichen auf einen Besuch in der Kathedrale und die Eröffnungsshow für die Kulturhauptstadt. Der Grund ist ganz simpel: es war elendig kalt in Turku. Tagsüber hatte es -14°C, und am Abend fiel die Temperatur laut Google auf -22 °C. Das ist genau die bislang kälteste Temperatur, die ich hier in Stockholm erlebt habe. Mit dem Unterschied, dass ich mich an jenem Tag kaum draußen aufhielt. Und lange Unterhosen zur Verfügung hatte.

So froren wir uns tapfer durch den Tag und wärmten uns zwischendrin auf: in der gut geheizten Kathedrale, der Touristeninformation, bei einem tollen Buffet im Schiff Svarte Rudolf und in der Turkuer Burg.

Die Eröffnungsveranstaltung der Kulturhauptstadt war praktischerweise in der Nähe des Hafens und kostenlos. Der Haken: sie fand im Freien statt. Auch die Finnen froren kräftig.

Die Show, die von der britischen Gruppe „Walk the Plank“ kreiert wurde, enthielt anscheinend eine Liebesgeschichte und nahm auf einen der zahlreichen Brände bezug, die Turku im Laufe seiner Geschichte verwüstet haben. Für mehr taugte unser Finnisch leider nicht. Da hatte ich mir offen gestanden etwas mehr erhofft, denn Turku ist ursprünglich ein Zentrum schwedischsprachiger Kultur in Finnland, und da es sich ja um eine europäische Veranstaltung handelt, wären umfangreichere mehrsprachige Elemente nicht von Schaden gewesen.

Das Event wurde in unserer Broschüre etwas großspurig als größte Vorstellung, die jemals in Finnland gezeigt wurde, angekündigt. 20.000 Menschen wurden erwartet. Ganz so viele waren wohl der Temperaturen wegen nicht da – vermutlich lief das alles auch im Fernsehen, und vor dem Gerät war es sicher wärmer. Spektakulär war diese Sache aber trotzdem, denn an Pyrotechnik auf beiden Seiten des Flusses wurde nicht gespart.

Ein schöner Abschluss, auch wenn wir danach fast zu Eisblöcken erstarrt waren und dankbar das warme Fährenterminal aufsuchten. Dort wurde es bald recht voll. So erklärte sich auch langsam, wieso auf dem Hinweg so wenig los gewesen war. Die Route Stockholm-Turku unterscheidet sich erheblich von z.B. der Route Stockholm-Helsinki. Nach Turku fahren zwei Schiffe: eines (bei uns die Amorella) fährt über Nacht Richtung Finnland und tagsüber zurück. Das andere (die Isabella) macht es genau umgekehrt. Die Schiffe liegen jeweils nur kurz im Hafen und fahren dann gleich wieder los. So sind die Schiffe fast ständig auf See. Für eine Übernachtungskreuzfahrt von Stockholm aus, wie wir es gemacht haben, heißt das: spät abends losfahren, sehr früh morgens ankommen, runter vom Schiff, abends wieder auf das andere Schiff und nach einer kurzen Nacht ist man in Stockholm. Man hat also zwei sehr kurze Nächte an Bord und einen sehr langen Tag (7:30 Uhr bis 20:30 Uhr) in Turku. Das ist natürlich weit weniger entspannt als eine Fahrt mit der Cinderella nach Mariehamn, wo man gar nicht erst von Bord geht, oder eine Fahrt nach Helsinki, wo man lange ausschlafen kann, das Gepäck in der Kabine lässt und trotzdem in Ruhe die Stadt erkunden kann. Kein Wunder also, dass das schwedische partyinteressierte Klientel die Turku-Route ignoriert und die Amorella relativ schwach frequentiert ist. Ganz anders von finnischer Seite: da fährt man abends los, feiert die ganze Nacht, und wenn man aufwacht, ist man schon wieder auf dem Heimweg.

Dementsprechend begegneten wir auch den Partygängern vom Abend, als wir morgens um 6:30 Uhr in Stockholm ausstiegen. Das ist auch ein bisschen der Wermutstropfen bei so einer Fahrt: Viking Line fängt mit der Kabinenreinigung schon vor Ankunft an, weswegen schon um 5:15 Uhr das erste Personal die Tür öffnete und uns einen guten Morgen wünschte. Wir blieben trotzdem liegen, bis Svens Handy uns mit dem wunderschönen Lied „Wahnsinn“ von Wolfgang Petry weckte. Er hatte nämlich Petrys gesammelte Werke auf dem Handy, was man im Allgemeinen eher peinlich finden könnte, aber in dem Kontext recht spaßig war. Das weckte Erinnerungen an Teenagerzeiten – Hölle, Hölle, Hölle.

Wer mit solchen unchristlichen Zeiten leben kann, dem sei ein Besuch in Turku aber durchaus angeraten. Die Fahrt ist nicht teuer, und das Kulturhauptstadtjahr bringt sicher noch weitere interessante Veranstaltungen.

Åland Halbmarathon 2009

Die Strecke des Åland Halb-/marathon ist nach wie vor die langweiligste, die man sich denken kann: 10 km hin, wenden und dann zurück. Das alles wie immer im åländischen Herbswetter, d.h. Nieselregen bei ein paar Grad über Null.

Man könnte sich fragen, wieso man überhaupt zu einer solchen Veranstaltung reisen möchte. Für mich ist der Hauptgrund nach wie vor die Exotik des ganzen. Dort hinzufahren ist auch ein preiswerter Wochenendausflug – mit dem Marathonpaket der Eckerölinjen gibt es Startgebühr, Fährfahrt, Übernachtung und Pasta-Dinner zum Preis von 90 €. Normalerweise würde man nämlich kaum auf die Inseln fahren. Weder ist das touristische Angebot so groß noch unterscheidet sich die Landschaft so stark von den Schären vor Stockholm, als dass man den Weg dorthin unbedingt auf sich nehmen müsste.

Leider hat das Marathonpaket nicht viel mehr Menschen angelockt. Zwar ist der Lauf seit 2006 deutlich größer als in den Jahren davor, aber in diesem Jahr lag die Teilnehmerzahl beim Marathon zum ersten Mal seither wieder unter 200. Beim Halbmarathon nahmen dieses Jahr zum ersten Mal mehr Menschen teil als beim Marathon.

Bei mir lief es bis Kilometer 15 wieder recht gut. Ich wollte eine Zeit unter 2:15. Jedoch kamen bei Kilometer 19 wieder Krämpfe, was Zeit kostete. Es wurde dann doch fast 2:18.

Mittlerweile steht auch fast, dass dies der letzte Halbmarathon für dieses Jahr war. Insgesamt denke ich, dass ich mein Laufprogramm etwas reduzieren muss. Am Ende dieses Jahres werden es 10 Läufe sein, an denen ich teilgenommen haben werde. Das wäre vollkommen in Ordnung, wenn der Trainingsaufwand dazu in einem vernünftigen Verhältnis stehen würde.

Tut er aber nicht. Das Training durch die Teilnahme an Läufen zu ersetzen bringt nicht nur bescheidene Ergebnisse. Es bereitet vor allem unzureichend auf alles vor, das länger als 10 km ist. Wenn ich nächstes Jahr eine Chance auf einen halbwegs würdigen Marathon haben will, muss ich die Prioritäten künftig anders setzen.

Dennoch muss ich hier anmerken, dass der Lauf der beste Halbmarathon in einem insgesamt ziemlich schwachen Jahr war.

Wir nutzten den Rest des Tages für eine Rundfahrt über die Inseln, in deren Rahmen wir kurz bei der Festung Bomarsund (bzw. das, was davon fertiggestellt wurde) und der Burg Kastellholm gehalten haben. Da es vom einen bis zum anderen Ende gerade mal so 60 km sind, gelang es uns, von den 4 Landsvägar (sozusagen die Bundesstraßen) die Nr. 1, 3 und große Teile der 2 abzufahren. Nächstes Mal ist also definitiv die 4 dran.

Gegen den Wind

Da sage nochmal einer, es wäre etwas für Weicheier, die Brustwarzen abzukleben.

Wie schnell kann man sich steigern? Dieser Sommer ist definitiv vorbei, und von über 100 kg Kampfgewicht bin ich auf unter 90 kg gekommen. Jetzt stehen die letzten Läufe an, und nachdem ich mich schon beim Lidingöloppet bemerkenswert geschlagen hatte, war nun doch fraglich, was bei einem Halbmarathon auf flacher Strecke drin sein würde.

Nach dem spaßigen Wochenende im Vorjahr wollte ich auch dieses Jahr den Åland-Halbmarathon nicht verpassen. Das Event glänzt nach wie vor mit einer extrem langweiligen Laufstrecke, die nicht für den Straßenverkehr gesperrt wird. Überrascht war ich dennoch darüber, dass die Teilnehmerzahl niedriger war als im Vorjahr, denn das Marathonpaket von Eckerölinjen war schon ausgebucht, so dass wir mit einem anderen Hotel ohne Pastadinner vorlieb nehmen mussten.

Andreas und Arne konnten dieses Jahr nicht, aber dafür Marcus. Das Hotel war schlicht, aber vollkommen in Ordnung, und das Abendessen auf extrem niedrigen Preisniveau – Essen mit Getränk gerade einmal 11,50 €.

Der von mir angekündigte Inga-Lindström-Abend auf SVT2 entpuppte sich als eine ganze deutsch-schwedische Breitseite. Neben zwei Lindström-Filmen die angesprochene Schären-Dokumentation und abschließend „Brottsplats: Kiel“.

Der Lindström-Film, den wir anschauten, war nicht ganz so zum Fremdschämen wie befürchtet. Die Dialoge waren bis auf die letzten 20 Minuten nicht so dick aufgetragen, so dass es sich in Grenzen hielt. Jedoch hätte ich gerne live mitgebloggt, den offenkundige „Fehler“ – Dinge, die es in Schweden einfach nicht gibt – fanden sich im Minutentakt. Da gab es allein praktizierende Ärzte, die nicht nach der Personnummer fragen, und eine florierende Bäckerei. Der dazugehörige Bäcker ist nicht nur Bürgermeister – ein in Schweden in der gezeigten Form nicht mehr existentes Amt – sondern auch offenkundig der reichste Vertreter seiner Zunft auf der Nordhalbkugel. Er hat zwei Boote, fährt einen Mercedes, und hat ein traumhaftes Haus mit Bootssteg. Die Aufzählung ließe sich noch fortsetzen.

Die folgende Dokumentation war nicht schlecht, aber die Macher hatten sich vorwiegend auf Utö herumgetrieben, das nur noch im weiteren Sinne vor Stockholm liegt. Zwar ist die Insel durchaus touristisch erschlossen, aber mit den Massen, die nach Grinda, Finnhamn und v.a. nach Vaxholm fahren, ist das aber wohl kaum ein Vergleich.

Der Knüller war allerdings „Brottsplats“, was nichts anderes als „Tatort“ heißt. Die Tatort-Reihe wird auch ansonsten in Schweden ausgestrahlt, wenn auch nicht als feste Institution am Sonntagabend. Zu dieser Gelegenheit haben die SVT-Oberen eine besondere Folge ausgewählt. In dieser geht Axel Milberg als Kieler Kommisar dem seltsamen Verschwinden des Kapitäns der Fähre nach Göteborg nach. Der Film hat alles, was Inga Lindström eben nicht hat: echte Schweden, die mit echten schwedischen Akzenten sprechen. Großartig.

So wurde es doch spät abends, bis wir zur Ruhe kamen. Glücklicherweise findet der Åland-Marathon immer am Wochenende der Zeitumstellung statt, was einem eine Stunde extra gibt.

Wettermäßig mussten wir mit dem schlimmsten rechnen. Regen, 10 °C. Das Positive: der Regen blieb weitgehend aus. Das Negative: dafür gab es Böen mit annähernd Orkanstärke. Das lag mir gar nicht, wie ich bald feststellen musste – dann doch lieber Hügel wie beim Lidingöloppet. Meinen ursprünglichen Plan, auf meine Wunschzeit von 2 Stunden einen Vorsprung herauszulaufen, von dem ich dann in der zweiten Hälfte zehren kann, musste ich bald aufgeben. Beim Wendepunkt war ich gerade mal schnell genug wie der gewünschte Schnitt. Natürlich fiel ich ab da immer weiter zurück. Letztendlich ging ich nach 2:06:23 übers Ziel, und damit gerade noch rechtzeitig vor den 2:06:36, die einen Schnitt von 6 Minuten pro Kilometer repräsentieren.
Nicht perfekt also, aber unter den Gegebenheiten vollkommen akzeptabel – und ganz nebenbei wieder einmal mein zweitbester Halbmarathon.

Schmerzhaft wurde es im Nachhinein – auf dem Weg zum Hotel wies mich Marcus darauf hin, dass ich blute. Das war mir echt noch nie passiert, obwohl ich die Startnummer immer mit Sicherheitsnadeln anbringe. Mir war es nicht einmal aufgefallen bis auf ein leichtes Ziehen, was aber bei solchen langen Läufen echt nicht ungewöhnlich ist. Nächstes Mal passe ich sicher mehr auf, denn das Duschen danach war echt kein Spaß.

Nach der Rückkehr ging es direkt ins Bett, und Montagmorgen dann nach Frankreich – aber davon ein anderes Mal.

Åland-Nachschlag

Wer es noch nicht kennt, hier die Kurzfassung:

Åland ist eine Inselgruppe, die zu Finnland gehört, aber auf der man schwedisch spricht. Daher haben sie einen sehr speziellen Autonomiestatus. Dieser gibt ihnen auch innerhalb der EU ein besonderes Recht: auf Fahrten von und nach Åland ist der steuerfreie Verkauf von Alkohol und Tabak erlaubt.
Das nutzen die Schweden gerne aus, da der Alkohol hierzulande steuerbedingt sehr teuer ist.
Daher gibt es Rundfahrten („Kryssning“), die alleine dem Verkauf und Verzehr von Alkohol dienen. Diese fahren abends um 18 Uhr in Stockholm los, legen morgens um 7 Uhr in der åländischen Hauptstadt Mariehamn an, fahren um 9 Uhr wieder ab, um dann um 15:30 Uhr wieder zurück in Stockhom zu sein. Von Bord geht da in Åland kaum jemand, und so ist der Weg das Ziel.
Der Alkohol an Bord ist nicht wirklich billig, aber eben deutlich billiger als in Schweden, was je nach anwesendem Publikum zu Exzessen führt.
Wir durften auch dieses Mal eingeschlafene und umgefallene Betrunkene betrachten. Da tun sich schon menschliche Abgründe auf, denn selbst Rentner geben sich an Bord die Kante. Am Morgen danach kann man dann die furchtlosesten sehen, die noch einmal nachtanken. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass solche Fahrten für Leute mit Alkoholproblem eine regelmäßige Freizeitbeschäftigung sind.

Leider gab es an Bord keinerlei besonderes Programm, so dass es in der Hinsich unspektakulär blieb. Lediglich ein peinlicher Entertainer namens Tony Irving führte am Morgen mit englischem Akzent durch einen nicht minder peinlichenTanzwettbewerb.

Hier ein paar Fotos:

Åland sehen und sterben

Eine neue Öllåda (Bierpalette) steht in meinem Zimmer – ja, ich bin gerade aus Åland zurück.


Mariehamn am frühen Montagmorgen – da geht einiges

Kurz die harten Fakten: Alkohol in Schweden ist teuer wegen exorbitanter Steuern. Schweden betrachten Alkohol meist rein ökonomisch. Da es teuer ist, muss es sich auch lohnen – konkret heißt das, dass so lange getrunken wird, bis nichts mehr hineingeht, da ja sonst das Geld verschwendet wäre. So sieht man jedes Wochenende Leute in die U-Bahn kotzen, die ein oder zwei Getränke zu spät aufgehört haben.
Die Åland-Inseln sind schwedischsprachig, gehören aber zu Finnland. Geographisch liegen sie ungefähr auf halbem Weg zwischen Helsinki und Stockholm. Wegen dieser besonderen Rolle gelten für die Inseln (26.500 Einwohner) auch besondere Regeln. Sie haben weitgehende Autonomie, was sich vor allem daran zeigt, dass sie eigene Autokennzeichen haben. Auf der Fahrt von und nach Åland darf zudem steuerfrei eingekauft werden. Letzteres machen sich Fährlinien zunutze, die die Strecke von Stockholm nach Mariehamn (Hauptstadt der Inseln) bedienen. Da man in nur wenigen Stunden dort hinfahren kann, gibt es Rundfahrten, die „Kryssning“ genannt werden. Man steigt in Stockholm am späten Nachmittag ein, fährt über Nacht nach Åland, und nach zweistündigem Aufenthalt fährt man direkt wieder zurück. Sinn und Zweck der Veranstaltung ist nicht etwa, zu den Inseln zu fahren. Nein, vielmehr ist es der steuerfrei Einkauf von Spirituosen und Kosmetika. Kurzum ist es ein Saufdampfer. Niemand will nach Åland, alle wollen trinken, feiern, einkaufen. die Fährlinie Viking Line setzt hierzu auch noch Ryanair-artige Methoden ein. Die Fahrt selbst ist in der Regel kostenfrei. Meist muss man nur das Buffet an Bord bezahlen, was aber keinen stört, da man sich dort für 24 € exzellent den Bauch vollschlagen kann. Um die Kundschaft auch bald wieder zu einer Reise zu bringen, gibt es beim Einkauf an Bord gleich wieder Gutscheine, die 3 Monate gelten und zu einer neuerlichen Buchung einer kostenlosen Kabine berechtigen. Das führt dazu, dass eine Fähre mit einer Kapazität von gut 800 Passagieren täglich zu guten Teilen besetzt nach Åland fährt, und zwar mit lauter Leuten, die eigentlich gar nicht nach Åland möchten. Dementsprechend ist das Schiff voll mit Menschen, die eigentlich nur saufen (andere Bezeichnungen wären hier unpassend) wollen und durch dieses Konsumverhalten das Überleben der Fährgesellschaft sichern. Derartige Extreme hatten wir zwar nicht vor, aber da wir im September schon so eine Fahrt gemacht hatten, musste der Gutschein natürlich noch weg, bevor er verfällt. Also wurde daraus eine Fahrt von Christine und mir nach Åland.

Eine Sonntagskryssning unterscheidet sich auf jeden Fall beträchtlich von dem, was wir kannten. Anscheinend fahren junge Leute vorwiegend auf das Wochenende zu, was dazu führte, dass wir weit unter dem Altersdurchschnitt lagen. Es gab nur eine handvoll Passagiere unter dreißig.

Senioren sieht man in Deutschland vergleichsweise wenig Alkohol trinken – zumindest in meiner Erinnerung. Auf der Cinderella hingegen – so heißt das Schiff – trinken Senioren sogar Cocktails.

Nach dem Buffet begaben wir uns in den „Fun Club“, um der großen Weihnachtsshow beizuwohnen. Wir setzen uns an einen Tisch, auf dem zwei halbleere Gläser standen und eine Zigarettenschachtel lag. Weiterhin deutete aber nichts darauf hin, dass dort jemand saß. Christine brachte 10 Minuten später die Gläser zurück. Kurz darauf kamen diejenigen zurück, die vorher dort gesessen waren. Wir hatten aus deutscher Sicht heraus angenommen, dass die Plätze unbesetzt waren. Ein Schwede würde aber nie einen halbvollen Drink stehen lassen (lohnt sich sonst ja nicht). Nach einem etwas unfreundlichen Anfang übernahm Christine den entstandenen Schaden. Bei einer weiteren Diskussion wurde den beiden aber auch klar, dass es uns nicht darum gegangen war, sie zu verarschen. Damit war die Sache bereinigt und später spendierten sie uns sogar noch einen Drink.


Panorama vom Schiff aus

Unangenehmer war hingegen ein Mann mittleren Alters, der schon um 19 Uhr sturzbetrunken war und mit fragwürdigem Charme Christine Avancen machte, indem er Komplimente über ihre schönen Augen zum Besten gab. Zum Glück können wir in solchen Fällen darauf zurückgreifen, so zu tun, als ob wir kein Schwedisch verstünden. In seinem Zustand war er leider auch noch in der Lage, ein paar Fetzen auf englisch zu lallen. Ich solle ihm bescheid geben, wenn wir ein Bier trinken wollten. Er würde es dann bezahlen. Ein echter Gentleman…
Natürlich haben wir das nicht in Anspruch genommen und später waren wir ihn auch los.
Später in der Disco trafen wir auf einen ähnlichen (aber deutlich jüngeren) Helden, der Christine unbedingt ein Bier zahlen wollte. Dumm nur, dass seine Freundin in Sichtweite stand und dementsprechend wenig begeistert war. Manchmal kann man doch auch froh sein, ein Mann zu sein – sowas dürfte einem selten passieren. Christine war natürlich dadurch unverschuldet im Eifersuchtszielgebiet gelandet. Was sich zum Glück aber dann auch gleich geklärt hat.
Nach etwas Zeit in der Disco hatten wir beide gut einen sitzen und ließen es dabei bewenden.


Stadtplan von Mariehamn – nun ja, sagen wir mal, übersichtlich…

Nun wollte ich nicht zweimal nach Åland gefahren sein, ohne die Inseln auch zu betreten. Also ging ich zwanzig Minuten vor der Abfahrt von Bord und fotografierte das reichlich verschlafene Mariehamn. Beim Verlassen des Schiffs kamen mir ganze drei Passagiere entgegen. Die Frau am Check-In schien sogar überrascht, dass es noch jemanden gibt, der das Schiff verlassen hat und nun zurück will. Jedenfalls bin ich jetzt einmal dort gewesen. Die allermeisten Passagiere gehen natürlich nicht von Bord, sondern schlafen ihren Rausch aus.


Mariehamn – I was here

Nicht wenige starten Tag aber gleich mit etwas Konteralkohol, oder haben erst gar nicht aufgehört zu trinken. So auch ein Herr, den wir Mr. Absturz tauften. Der war schon kurz nach 12 Uhr derart betrunken, dass er sich überall festhalten musste. Wir hätten zu gerne gesehen, wie er später das Schiff verlässt. Sonderlich schnell kann das nämlich nicht gegangen sein.

Auch sehr drollig ein Ehepaar (zumindest ist das anzunehmen) im reichlich fortgeschrittenen Alter, das sich im „Admiral Hornblower’s Pub“ die Kante gab. Er schaute griesgrämig drein, sie guckte belämmert und hatte ihre Gehhilfe neben sich stehen. Ich hatte zunächst vermutet, dass es da wohl schon erhebliche Artikulationsschwierigkeiten geben müsste, aber beim Vorbeigehen durften wir einen Teil ihrer Konversation belauschen:

Sie: nuschel…lall…nuschel…
Er: „Håll käften!“ („Halt’s Maul!“)

Das muss Liebe sein.

Ja, das war sie, die Fahrt nach Åland. Beim Bingo konnten wir leider nicht abräumen, aber lustig war’s.

PS: Das habe ich im Tax-Free-Shop gesehen:


Da stellt sich die Frage, was sich der Marketingmensch wohl gedacht haben mag, als er einen Frauenrasierer „Vibrance“ nannte…