Budgetpromenaden

Eine interessante politische Tradition in Schweden ist Budgetpromenaden, der „Haushaltsspaziergang“. Jedes Mal, wenn die amtierende Regierung ihren Haushalt vorliegt, geht der Finanzminister vom Finanzministerium aus die Drottninggatan hinunter zum Reichstag. Meist ist es ein Bündel Papiere, das hübsch mit einer blau-gelben Schleife zusammengebunden ist. In der Vergangenheit gab man sich modern mit CD-ROM oder USB-Sticks statt Papier. Ab 2006 kehrte die damals neue bürgerliche Regierung zum Papier zurück.

Die neue Finanzministerin Magdalena Andersson von den Sozialdemokraten scheint dabei geblieben zu sein, als sie heute ihren ersten Spaziergang unternahm:

Ungewöhnlich war eher, dass es sehr eng zu ging und anscheinend auch ein Fotograf zu Boden fiel.

Ich glaube allerdings nicht, dass das mit der Spannung zu tun hat, die mit diesem Haushalt verbunden ist. Er ist nicht nur der erste der neuen Regierung. Er wurde auch von der Linkspartei mit abgesegnet, obwohl diese nicht an der Regierung beteiligt ist. Die drei Parteien (Sozialdemokraten, Umweltpartei die Grünen, Linkspartei) sind jedoch weit von einer eigenen Mehrheit entfernt.

Die braucht man in Schweden streng genommen auch nicht unbedingt. Es genügt, wenn es keinen anderen Vorschlag gibt, für den mehr stimmen. Sollten die rechtspopulistischen Schwedendemokraten also einen gemeinsamen Oppositionsvorschlag unterstützen, hätte die Regierung also ein Problem. Genauer gesagt wäre sie dann erledigt, und es käme schon im Dezember zu Neuwahlen.

Das erscheint nicht übermäßig wahrscheinlich. Auch haben sich in den letzten Tagen schon erste Risse in der vormaligen Regierungskoalitionen aufgetan, als der ehemalige Bildungsminister Jan Björklund von der liberalen Volkspartei den Schwarzen Peter für die Niederlage der vorigen Regierung gleich mal dem größten Koalitionspartner, den Moderaten, zuschob.

Schneechaos

So sah es gestern abend vor unserem Haus aus: 50 cm Schnee, der in den letzten 24 Stunden gefallen ist. Heute morgen hatte sich daran nichts geändert. Die Schneepflüge werden woanders mehr gebraucht.

Winter in Schweden ist nun wahrlich keine Überraschung, auch wenn er meistens erst so richtig im Januar kommt.

Was gestern los war, sprengte aber so ziemlich alles, was ich in 7 Jahren in diesem Land so erlebt habe. Am eigentlich gut auf den Winter vorbereiteten Flughafen Arlanda waren zeitweis beide Startbahnen dicht. Als man eine wieder offen hatte, zog man Abflüge vor, so dass kaum jemand landen konnte. Besonders schlecht für eine gute Freundin, die zu Besuch kommen wollte. Sie musste schon im Sommer ihren geplanten Trip wegen Organisationschaos (Radarausfall etc.) am deutschen Flughafen abbrechen. Gestern wurde sie dann erneut Opfer höherer Gewalt, wenn auch dieses Mal einer anderen: das Flugzeug wurde von den Planungsgenies bei SAS zwar Richtung Frankfurt losgeschickt, aber aus dem geplanten Abflug um 12:15 Uhr wurde dann nach und nach 21 Uhr, bis der Flug endgültig abgesagt wurde. So musste die Freundin wieder unverrichteter Dinge abziehen und kommt irgendwann einmal wieder nach Stockholm, aber nicht dieses Wochenende. Das ist auch der Unterschied zwischen SAS und Ryanair: letztere hätten das Flugzeug erst gar nicht losgeschickt, weil eine lange Standzeit an einem fremden Flughafen teuer ist und den Flugplan noch mehr durcheinanderbringt als sowieso schon. Ryanair fährt dicke Gewinne ein, SAS ist fast pleite. An solchen Tagen fragt man sich nicht, wieso. Ich selbst frage mich höchstens, welcher Teufel mich dereinst geritten hat, SAS-Aktien zu kaufen – derzeit bin ich bei rund 90% Wertverlust.

In der Uni. Selbst in solchen engen Durchgängen stand der Schnee hoch.

Aber auch sonst stand gestern alles. Morgens musste ich schon die Tür gegen den Schnee aufschieben. Der Direktbus kam nicht, was aber schon einmal sonst passieren kann. Andere und ich stapften durch den Schnee ins Zentrum, wo eine der Hauptlinien fuhr. Der Weg zur Arbeit dauerte länger, aber es ging. In den folgenden Stunden spitzte sich die Situation zu. Die S-Bahn Pendeltåg brach fast vollständig zusammen. Menschen saßen stundenlang in Zügen fest. Auf Lidingö entgleiste der Nahverkehrszug Lidingöbanan. Ersatzbusse kamen keine, denn woher hätten die denn kommen sollen? Der Busverkehr wurde ja auch reduziert. Ab spätestens 13 Uhr war auch bei uns auf Värmdö Schluss mit Nahverkehr. Am späteren Nachmittag fuhren praktisch nirgends Busse.

Schwere Unfälle gab es en masse. Lastwagen, die in den Graben gerutscht waren und aufgegebene Autos sollen in weiten Teilen der Region vorgekommen sein. Zwei Verkehrstote wurden gestern vermeldet.
Die Menschen hier nehmen die Situation recht stoisch hin, und das sollte man auch, denn es kann gar nicht genügend Schneepflüge für diese Massen geben. Manche gingen eben 15 km nach Hause oder übernachteten bei Freunden.

Unser Zentrum: schwer mit Schnee belastet

In Gedanken spielte ich schon die Option durch, die Nacht in der Stadt zu verbringen. Ich hatte aber wiederum Glück, auch auf dem Heimweg. Die U-Bahnen fuhren, und den hochgefährlich eingeschneiten Stationseingang konnte man mittels Aufzug umgehen. Die Hauptlinien der Busse gingen gegen 17 Uhr wieder unregelmäßig, und so schaffte ich es auch direkt zurück – und ich kann nicht einmal sagen, dass im Busterminal bei Slussen viel los gewesen wäre. Die Bilder in unserem Viertel machten aber das Ausmaß deutlich. Leute versuchten, ihre Autos vom Schnee freizuschaufeln. Viele hatten die Autos gleich auf der Straße geparkt weil sie auf dem Parkplatz steckengeblieben wären. Unser eigenes Gefährt ist auf der vorderen Hälfte unter einem Berg von Schnee begraben. Ohne Freischaufeln wird man da nicht mehr rauskommen. Der Fußweg zu unserem Haus, der in der Regel jede Nacht geräumt wird, ist immer noch knietief mit Schnee bedeckt.

Zu meinem Erstaunen kam der Bus heute morgen noch, als ich schon loslaufen wollte. Mit einiger Verspätung freilich, und auch einige Haltestellen mussten ausgelassen werden, weil der Bus es da nicht durchgeschafft hätte. Aber: nach 85 Minuten war ich auf Arbeit. Die Normalität gewinnt schnell wieder Oberhand.

Aber es wird wohl noch einige Tage dauern, bis alles wieder im Lot ist.

Da lacht der König

Große Freunde bei Königs auf Drottningholm: Tochter Madeleine, derzeit tätig als gutaussehende Mitarbeiterin der World Childhood Foundation, steht nicht nur mit beiden Beinen im Arbeitsleben, sondern hat sich jetzt auch noch verlobt. Zugegebenermaßen handelt es sich um den zweiten Anlauf, denn das erste Mal ging schief, als der geschniegelte Verlobte, seines Zeichens Jurist aus nobler Ecke von Stockholm, mit einer norwegischen Handballerin in die Kiste sprang.

Der Neue Chris O’Neill, als New Yorker Finanzmann auch nicht gerade Unterschicht, ist zwar ebenso geschniegelt, aber macht doch einen treuherzigen Eindruck:

Förlovning / Engagement from Kungahuset on Vimeo.

Interessant ist die Medienarbeit des Königshauses: während zu Victorias Verlobung vor gut 3 Jahren ein etwas improvisiert wirkendes Video auf Youtube gestellt wurde, bei dem man dann auch noch vergaß, die Kommentarfunktion abzuschalten – mit erwartbarem Effekt – geht es nun eine ganze Ecke hipper zu. Man postet nicht mehr auf Youtube, sondern bei Vimeo. Die Produktion wirkt professioneller, die beiden sehen blendend aus. Dazu radebrecht er erfolgreich zwei Sätze auf schwedisch heraus („Ich lerne schwedisch. Aber das ist schwer.“). Und zum Abschluss kichert sie noch wie ein Schulmädchen.

Hier die weltbewegende Nachricht im Volltext:

Madeleine:
„Heute freuen ich und Chris uns sehr, erzählen zu können, dass wir uns verlobt haben. Chris hat Anfang Oktober in New York um meine Hand angehalten und wir sind sehr glücklich.“
Chris O’Neill:
„Madeleine und ich kennen uns seit zwei Jahren. Neulich habe ich meinen Mut zusammengenommen und sie gefragt, ob sie mich heiraten will. Glücklicherweise hat sie ja gesagt. Ich lerne auch etwas schwedisch:“Jag lär mig svenska. Men det är svårt“.
Madeleine:
„Wir können ebenfalls erzählen, dass die Hochzeit im Sommer stattfinden wird, worauf wir uns sehr freuen.

Da wird einem warm um’s Herz. Ich freue mich schon auf das Statement des Königs.

Angesichts der Diskussionen um Victorias Hochzeit würde ich annehmen, dass die ganze Veranstaltung etwas kleiner gefahren wird. Von Chris wird vermutlich auch erwartet werden, seine Geschäftstätigkeit aufzugeben und in die Wohltätigkeit zu wechseln. Mich würde aber überraschen, wenn die beiden nach Schweden zurückkehren. Sie ist nur Nummer vier in der Thronfolge, und das halbanonyme Leben in Manhattan scheint ihr zuzusagen. Geeignete Immobilien in Schweden zum Wohnen wie z.B. die nicht so umstrittene, aber auch nicht so schöne Villa Solbacken, gäbe es durchaus. Aber warum sollten sie das wollen? Dem schwedischen Steuerzahler kann es ohnehin egal sein: billig ist es so oder so nicht.

Der Nobelpreis und ich im Radio

Wer mich vermisst, kann mich immerhin hören: letzte Woche war ich einer von drei Gästen zum Thema Nobelpreis bei der Sendung „Redaktionskonferenz“ von dradio Wissen.

Das Thema ist seit jeher ein Steckenpferd von mir, und die Sendung eine wunderbare Gelegenheit, auch jenseits von 1:30-Beschränkungen mal etwas zu einem Thema zu erzählen. Zu Gast waren außerdem Tim Krohn, ARD-Hörfunkkorrespondent in Stockholm, und Holger Motzkau, der wie ich Physikdoktorand sowie Wikipedianer ist und der sich in letzterer Eigenschaft stark engagiert, so dass er bei allerlei Nobelevents anwesend ist. Auf der Seite der Sendung sieht man auch unser kleines improvisiertes Studio, in dem Holger und ich saßen. Moderiert wurde der ganze Spaß von Thilo Jahn.

Die Nobelpreise in diesem Jahr waren eher unspektakulär. Es setzte sich auch der bemerkenswerte Trend fort, dass die Presse im Vorfeld die Preisträger richtig rät. So hatte Karin Bojs von Dagens Nyheter den richtigen Riecher in Sachen Medizinpreis und hatte die beiden Preisträger auf ihrer Shortlist stehen. Auch der Literaturpreis war ja vorhergesagt worden, wobei man sich immer fragen kann, wie es kommt, dass Schriftsteller, die seit Jahrzehnten schreiben und in den letzten Jahren nicht einmal erwähnt wurden, plötzlich zum selbstverständlichen Favoriten werden.

Der Preis an die Europäische Union hat mich ein bisschen überrascht, aber ich fand ihn überaus passend. Wie erwartet wimmelte es in den Kommentaren und Foren nur so von kleingeistigen Kommentaren zum Thema. Man ist leider nicht in der Lage, einer Organisation Respekt zu zollen, die einen jahrhundertelang von Kriegen heimgesuchten Kontinent zu einem eng verwobenen Konglomerat gemacht hat, das Probleme gemeinsam löst statt sie zu einem Anlass für Feindseligkeiten zu nutzen. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass Geld die historische Vision trübt. Bedauerlich, und daher auch umso besser, dass zumindest das Komitee in Oslo die Erfolge würdigt, statt immer nur auf die Schwächen einzudreschen.

Mit dem Wirtschaftspreis vorgestern kam der erwartete Abschluss. Wie immer waren es Amerikaner, die gewonnen haben. Leider für mich auch wieder einmal ein Anlass, zu sagen, dass dieser Preis noch nie eine gute Idee war und es auch nach über 40 Jahren immer noch nicht ist. Ein Preis, der flüchtige soziale Theorien belohnt und schon durch die Verhältnisse in diesem Bereich immer an dieselben Kreise geht, ist von der ganzen Konstruktion her leider keinem der von Nobel gestifteten Preise ebenbürtig.

Auf der anderen Seite gehört genau dies auch zu der Faszination dieses Preis, von dem immer Perfektion erwartet wird, der sich aber darum nicht kümmert und einfach jedes Jahr neue Preisträger liefert, die viel Ehre erhalten, aber auch viel geschmäht werden. Wie oft wurde gerade dem Literatur- und Friedenspreis bescheinigt, er verliere seine Bedeutung, obwohl er jedes Jahr aufs Neue genauso heftig diskutiert wird.

Darum ging es auch in der Sendung: das Event Nobelpreis mit seinen kleinen Geschichten außenherum. Ich wünsche viel Spaß beim anhören.

Hier der Link: dradio Wissen – Nobelpreis:Zeremonielles Brimborium

Studienjahrbeginn

Heute morgen: diese fünf Herren stehen an der Straßenseite

Das Leben in Schweden kehrt zurück. Gestern sah ich die ersten Führungen der KTH für die neuen Studenten. Wieder einmal bin ich erstaunt über diesen Teil der Studentenkultur in Schweden, insbesondere an der KTH. Viele Studenten tragen Overalls, deren Farbe je nach Fachrichtung verschieden ist, und Mützen, die auch die fünf Herren auf dem Bild tragen. Dieses Quintett zeigt auch die alternative Uniform: Frack, Sonnenbrille, Studentenmütze und nach Möglichkeit ein Bart. Um das Ganze noch beeindruckender zu machen, stellen sie sich wie hier in Pose und bewegungslos irgendwohin oder marschieren in Formation. Die Kleidung wird oft mit allen möglichen Aufnähern dekoriert.

Einen tieferen Sinn hinter solchen Studententraditionen vermag ich nicht zu erkennen, und man sollte ihn wohl auch nicht vermuten.

Dass die Fünf sich genau dort aufgestellt haben – die Anlage rechts neben ihnen war übrigens nicht angeschaltet – liegt wohl darin, dass sie etwas Eindruck auf die zahlreichen zur KTH strömenden Studenten machen wollen. Oder sie warten auf jemanden bestimmten. Auf jeden Fall traute sich niemand, mich eingeschlossen, direkt an ihnen vorbeizugehen,

Ich habe großen Respekt für die vielfältige und kreative Studentenaktivität an der KTH. Jedes Jahr findet ein sogenannte Studentenkarneval statt: jedes dritte Jahr mit einer großen Parade durch die Stadt (Quarnevalen), und die übrigen Jahre durch eine Bootparade, bei der Gruppen ihre Boote selber bauen müssen (Squvalp). An letzterem habe ich sogar selbst schon einmal teilgenommen. Die Studentenschaft hat ein eigenes Ferienhaus (Osqvik), macht massig Partys in seinem Haupthaus, und auch die mittlerweile zur unabhängigen Studentenradiostation Studentradi08 umgewidmete Radiostation THSRadio, Heim meiner einst geliebten Hello-Everybody-Show, war Teil der Organisation.

An anderen schwedischen Universitäten wie Uppsala scheinen solche Aktivitäten auch üblich zu sein. Weil ich nun an der Universität Stockholm bin und es dort so etwas schlicht nicht gibt, fällt es mir umso mehr auf. So oder so ist es mein letzter Studienjahrbeginn an der Universität – nächstes Jahr ist meine akademische Karriere beendet.

Schwerverbrecher wider Willen

Hinter Gittern – naja, fast. (Foto: Flickr-User possan, CC-BY 2.0)

Gestern erwartete mich ein Brief von meiner lokalen Tankstelle, als ich nach Hause kam.

Wir schreiben Ihnen aus dem Grund, dass ein Fahrzeug der Marke […] mit dem Kennzeichen […] bei OKQ8 in […] am […]. Juli 2012 um 17:00 Uhr mit 44,88 Litern Oktan 95 Benzin [Anm. also Superbenzin] mit einem Wert von 665,57 kr betankt wurde.
Eine Zahlung ist hierfür nicht geleistet wurden

Hoppla! Habe ich wirklich getankt ohne zu bezahlen? Kann das sein? In der Tat weisen meine Kontoauszüge im betreffenden Zeitraum keine Zahlung bei der Tankstelle aus. Intensives Überlegen ergibt: an dem Tag wollte ich das Auto waschen, und als dort „Außer Funktion“ stand, habe ich getankt und drinnen nachgefragt, ob man denn gar nicht waschen könne. Ich erhielt zur Antwort, dass die Anlage getauscht würde, da die bestehende ein paar Kratzer in Autos gemacht habe. Und bei all dem habe ich doch tatsächlich vergessen (!), zu bezahlen.

Unglaublich und peinlich.

Fast noch mehr konsterniert war ich aber über dieses Schreiben. Es ist auf sehr seltsame Weise höflich. Es fehlt zwar eine Begrüßungsformel, aber ich werde in dem Brief doch tatsächlich gesiezt – eine Form, die es in Schweden fast gar nicht mehr gibt.

Von mir um die Zeche geprellt: OKQ8-Tankstelle – natürlich nicht die gezeigte Filiale. (Bild: Flickr-User Gustav H/hejgustav, CC-BY 2.0)

Noch unglaublicher aber, wie es danach weitergeht:

Wir gehen davon aus, dass der Fahrer durch ein Versehen vergessen hat, für diese Betankung zu bezahlen.

Laut den Angaben im Fahrzeugregister sind Sie Besitzer dieses Fahrzeugs.
Wir sehen der Einzahlung auf Konto […] entgegen. Die Bezahlung kann auch bei OKQ8 […] geleistet werden. […]

Sollten die obenstehenden Angaben fehlerhaft sein oder Sie Kenntnissen von einem Umstand haben, der uns behilflich sein kann, bitten wir Sie freundlich, uns schnellstmöglich zu kontaktieren.

Mit freundlichem Gruß

Das war alles. Keine Drohung, keine Frist. Unglaublich.

Natürlich ist das Fahrzeugregister öffentlich, so dass sie mich ohne Gang zu den Behörden ausfindig machen konnten. In Deutschland und anderswo wäre da größerer Aufwand vonnöten gewesen. Aber der Ton ist doch bemerkenswert. Nicht nur wagt man es nicht einmal, eventuelle böse Absichten meinerseits anzudeuten und ggf. härtere Konsequenzen anzudrohen. Man bittet sozusagen den Ladendieb freundlich (aber immerhin bestimmt) darum, doch bitte die Waren zu bezahlen, um ihn nicht als Kunde zu verlieren.

In Deutschland hingegen dürfte Tankbetrug wohl kurz hinter Kapitalverbrechen rangieren. Man hätte mir vermutlich einen Brief geschrieben, der ungefähr folgendes gesagt hätte: Wir haben dich angezeigt, und wenn du nicht pronto mit saftigem Strafzuschlag bezahlst, ziehen wir dich und deinen gut betankten Hintern vor den Kadi, was dich soviel kosten wird, dass du bis zum St. Nimmerleinstag bei uns das Regal mit den Sexheftchen abstauben darfst.

Und die Strafzahlung wäre in dem Fall dreistellig ausgefallen.

Stattdessen zahle ich keine Öre extra, obwohl die nicht nur Portokosten, sondern sicher auf Arbeitsaufwand hatten, um mich ausfindig zu machen. Netter kann man zu Zechprellern wohl kaum sein.

Ich habe das Geld natürlich sofort überwiesen. Ich entschuldigte mich schonmal im Betreff, und habe heute morgen auch angerufen. Antwort: Kein Problem, kann ja mal passieren.

Wenn es nicht so peinlich wäre, müsste ich fast sagen: kann man nur weiterempfehlen.

Nyckelviken

In Schweden können die verschiedenen Provinzen und Kommunen Naturreservate bestimmen. Das trifft sich gut, denn an Natur gibt es eine Menge.

Unsere Nachbargemeinde Nacka hat die Möglichkeit, eigene Reservate einzurichten, weidlich ausgenutzt: um die 10 Stück (je nach Rechnung) gibt es, die beträchtliche Teile der Landfläche der Kommune ausmachen.

Ich war neulich in Nyckelviken. Neben ein paar Wanderpfaden gibt es schöne Wiesen und einen alten Herrgård (eine Art Landhof, der sowohl der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung als auch der noblen Behausung des jeweiligen Herrn diente). Bei dem gibt es nicht nur ein Café. Jeden Sonntag um die Mittagszeit wird dort der Grill angeworfen, auf dem dann mitgebrachte Sachen gegrillt werden können. Dazu gibt es Pferdereiten für Kinder, und wie gesagt: eine Menge Natur. Durchaus einen Besuch wert.

Pedal to the metal – der ultimative Freischein im schwedischen Straßenverkehr

Geschwindigkeitsüberwachungskamera in Schweden (Foto: Riggwelter, CC-BY-SA 2.5)

Der deutsche Autofahrer kann einem schon leid tun. Nicht nur soll man künftig nicht mehr 18 Punkte anhäufen dürfen, sondern nur noch acht. Diese verjähren jetzt sogar noch schneller. Und wenn man mal 20 km/h zu schnell fährt, muss man horrende 35 € (innerorts) / 30 € (außerorts) zahlen. Wie glücklich sind da doch die Schweden: sie bezahlen nur 2400 schwedische Kronen, also schlappe 281 €.

OK, das ist natürlich ironisch. Die schwedischen Behörden scheinen das Konzept zu verfolgen, wenig zu kontrollieren, aber bei einer festgestellten Regelüberschreitung drakonisch zu strafen. Denn kontrolliert wird nur auf zwei Arten:

  1. Die Polizei erwischt einen mit der Laserpistole. Abkassiert wird dann anscheinend sofort. So wahnsinnig oft kommt das aber nicht vor.
  2. Es sind Verkehrsüberwachungskameras (siehe Bild) aufgestellt, die einen Blitzer integriert haben. Das Lustige an diesen Geräten ist, dass sie mit einem Schild (siehe Bild) angekündigt werden müssen.
Informationsschild auf schwedischen Straßen: gleich kommt ein Blitzer.

Es gibt also keine unangekündigten Blitzer, und wer in einem der angekündigten erwischt wird, ist dann irgendwo auch selbst schuld.

Das passiert trotzdem auf einigen Strecken nicht allzu selten: laut einer Liste des schwedischen Fernsehen sind auf der E20 zwischen Hassle und Holmestad in diesem Jahr schon 1637 eilige Zeitgenossen erwischt worden. Stockholm ist in der Top Ten mit Ausnahme von Platz 3, wo zwischen Ladvik und Vaxholm auf Landstraße 274 immerhin 1385 Schnellfahrer geblitzt wurden, bemerkenswert abwesend.

Umgekehrt gibt es aber auch eine Reihe Kameras, wo in den annähernd 200 Tagen dieses Jahres noch kein einziger erwischt wurde.

Die Polizei hat nebenbei in dem Bericht auch ein anderes Detail preisgegeben. Der Knaller ist nämlich folgendes:

[Der stellvertretende Leiter der Verkehrskameraabteilung der Polizei] Urban Widell weist auch darauf hin, dass die Polizei nur in nordischen Ländern registrierte Fahrzeuge weiter ermittelt. „Wir ermitteln keine außernordischen Fahrzeuge; kommt ein Deutscher oder ein Franzose, ermitteln wir nicht gegen sie“ [, sagt er.]

Für die Zukunft hofft man, Zusammenarbeit auch mit anderen ausländischen Polizeibehörden aufzubauen, weil die schwedische Polizei laut Urban Widell derzeit nicht weiß, an wen man sich in den übrigen europäischen Ländern wenden soll.

Unglaublich. Zusammengefasst bedeutet dies also, dass mit einem deutschen (oder anderem nichtnordischen Kennzeichen) einen Freischein hat. Mehr noch: da die Polizei offenkundig auch keinen Schimmer davon hat, wie gültige ausländische Kennzeichen aussehen – erst kürzlich sah ich ein sündhaft teures Auto mit ebenso dreist wie dilettantisch gefälschtem deutschen Kennzeichen – kann man sich hierzulande kosten- und sorgenfrei durch den Straßenverkehr bewegen. Freundlicherweise ist es nämlich auch keine Pflicht, den Fahrzeugschein mitzuführen.

Bravo.

Schade eigentlich: ESC 2013 findet in Malmö statt

Die Malmö Arena, Veranstaltungsort des Eurovision Song Contest 2013 (Bild: Jorchr, CC-BY-SA 3.0)

Statt wie ursprünglich angekündigt im Herbst ist die Entscheidung jetzt schon gefallen: der Eurovision Song Contest 2013 findet in Malmö statt.

Auf der einen Seite finde ich die Entscheidung respektabel, gegen die beim ESC um sich greifende Gigantomanie vorzugehen. Die Halle ist modern und gut gelegen, aber nicht übergroß für das Ereignis. Auf der anderen Seite hätte ich mich natürlich auch gefreut, den ESC 2013 in der Gastgeberstadt mitzuerleben. Stockholm hätte daraus wohl ein stadtweites Fest gemacht, zumal man hier ja verrückt nach diesem Wettbewerb ist. Zudem hat die Friends Arena derart viele Plätze, dass man vielleicht sogar einen hätte ergattern können.

Naja, es ist nicht unmöglich, dass Schweden in den kommenden Jahren noch einmal gewinnen wird.

Der künstliche Schwede: Take a chance on Stephen

Ein kleiner Nachfolgebericht zum Versuch des amerikanischen Komikers Stephen Colbert, als Nicht-Schwede die Bestückung des Twitterkontos @Sweden eine Woche lang übernehmen zu dürfen. An dem Tag, als ich zuletzt darüber schrieb, war es nur ein Vermerk auf dessen Internetseite.

Aber der Colbert Report belässt es natürlich nicht dabei. Die Redaktion fädelt solche Kampagnen geschickt ein und betreibt sie dann über Wochen mit voller Energie – um sie letzten Endes meist ohne ein Wort zu beerdigen.

So kam es noch am selben Abend zum ersten Sketch über die Aktion ein:

The Colbert Report Mon – Thurs 11:30pm / 10:30c
Operation Artificial Swedener
www.colbertnation.com
Colbert Report Full Episodes Political Humor & Satire Blog Video Archive

Und die Colbert-Zuschauer zwitscherten, was das Zeug hielt. Bald sah sich VisitSweden dazu veranlasst, zu antworten: die Warteliste ist lang, und solange so viele Schweden warteten, kommt Colbert nicht zum Zug.

Das war natürlich eine Steilvorlage für die Autoren der Show.

The Colbert Report Mon – Thurs 11:30pm / 10:30c
Operation Artificial Swedener – Sweden’s Response
www.colbertnation.com
Colbert Report Full Episodes Political Humor & Satire Blog Video Archive

Als nun VisitSweden erneut einen draufsetzte und sich für die Aufmerksamkeit bedankte, aber bei seiner Entscheidung blieb, setzte Stephen Colbert noch eine seiner wunderbaren Musikeinlagen drauf.

The Colbert Report Mon – Thurs 11:30pm / 10:30c
Operation Artificial Swedener – C’mon Sweden, Take a Chance on Stephen
www.colbertnation.com
Colbert Report Full Episodes Political Humor & Satire Blog Video Archive

Auch wenn es nicht jeder nachvollziehen wird, so halte ich die Show im Allgemeinen für das Brillanteste, was die USA in Sachen Comedy zu bieten hat – und was nebenbei bemerkt in Europa bestenfalls halb so gut kopiert wird. Solche Stücke wie diese hier sind auch ein Grund hierfür. Sie sind lustig und bleiben in dem Rahmen der Parodie der rechtskonservativen US-amerikanischen Fernsehmeinungsmacher, schaffen es aber gleichzeitig, nicht respektlos zu sein. Es gibt auch keine Geschädigten bei der Sache: wie in einem der Stücke angemerkt wird, ist die Zahl der Follower von @Sweden beträchtlich gestiegen.

Wenn es wirklich Colberts Absicht gewesen sein sollte, Twitterer der Woche zu werden, dann ist er freilich der Verlierer bei der Sache. Das ist aber kaum anzunehmen – um den 4. Juli herum macht die Show zwei Wochen Pause, und danach werden die Beziehungen zwischen Colbert Nation und Schweden sich auf wundersame Weise normalisiert haben.