Studentenschwund – die Folgen der Studiengebühren in Schweden (2)

Helsinki

Als ich noch Masterstudent war, bezahlte mir die KTH einmal eine Fahrt nach Helsinki samt Übernachtung. Das war in der Tat sehr großzügig, aber nicht ganz so großzügig wie in den Jahren zuvor – da fuhr der ganze Kurs Reaktorphysik nach Belgien. Der Grund dafür war schlicht, dass man einen entsprechenden Reaktor für die Experimente in Schweden nicht mehr hat.

Eine kleine Geschichte zwischen Finnland, Schweden, Pakistan und einem Forschungsreaktor

In meiner Gruppe waren zwei pakistanische Studenten, die ich in dem Rahmen etwas kennenlernen durfte. Ich zeigte ihnen das bisschen von Helsinki, das ich kannte. Die beiden waren sehr nett, zurückhaltend und bescheiden. Es war recht offensichtlich, dass sie mit sehr begrenzten Mitteln wirtschafteten. Wohl nicht nur aus religiösen Gründen hatten sie etwas Toastbrot und Brotaufstrich dabei, um ein paar Mahlzeiten zu ersetzen. Bei politischen Fragen wollte ich nicht allzu tief bohren, aber es war schon interessant zu hören, dass sie unumwunden sagten, es lohne sich bei ihnen nicht, zur Wahl zu gehen, weil sie sowieso nicht sauber verlaufe. Die Aussage, dass die Taliban es immerhin geschafft hätten, Afghanistan einigermaßen stabil zu regieren, konnte ich zwar bestätigen – freilich aus einem anderen Blickwinkel. Vor einem Sex-Shop in Helsinkis Innenstadt fragten sie, ob sie denn da reingehen dürften. Ich antwortete, dass sie das natürlich dürften. Ausprobiert haben sie es nicht. Schade eigentlich, denn das hätte dieser interkulturellen Begegnungsreise noch einiges hinzugefügt.

Wir führten allerlei kleine Experimente an einem Forschungsreaktor in Helsinki durch, die wir anschließend auswerten und in einem Bericht zusammenfassen sollten. Frisch vom blauen Tscherenkow-Licht angestrahlt kehrten wir nach Stockholm zurück. Ab dem Zeitpunkt ging es bergab. Wir einigten uns darauf, dass ich den Bericht zusammenstellen sollte und jeder ein Drittel der Aufgaben bearbeiten würde. Die Stücke, die meine Mailbox erreichten, waren weitaus schlimmer als erwartet.
Nicht dass ich ein perfektes Englisch erwarten würde – wir sind alle keine Muttersprachler – aber dass die Texte auch einmal gelesen werden schien nicht zuviel verlangt. Stattdessen erhielt ich Texte, die mit Fehlern übersät waren. Die Analysen waren weitgehend nicht nachvollziehbar gemacht, die Resultate unvollständig.

Als wir das einreichten, war das Urteil wenig überraschend: nicht akzeptiert. Man musste sich also zusammensetzen und alles noch einmal überarbeiten. Das scheiterte schon daran, dass einer der beiden im Sommer nach Pakistan gereist und seither nicht mehr erreichbar war. Es musste angenommen werden, dass er nicht mehr zurückkehren würde. Das Ende kann man erahnen: der andere zeigte immerhin noch etwas Interesse, aber das allermeiste blieb an mir hängen. Das Gemachte konnte man wegen Unverständlich- und Unbrauchbarkeit in die Tonne treten. Stattdessen machte ich die Aufgaben selbst.

Die Situation war schon grotesk: ich hatte den Kurs nur spaßeshalber belegt und brauchte die Punkte nicht. Die beiden hingegen machten einen Reaktorphysik-Master, bei dem dies natürlich ein Pflichtkurs war. Wichtigkeit und Engagement standen in deutlichem Widerspruch. Ich beschloss, in diesem Fall einmal unsolidarisch zu sein und den Tutoren zu empfehlen, dem entschwundenen Kommilitonen den Kurs nicht anzurechnen – physische Anwesenheit war schon irgendwo vorauszusetzen, fand ich. Es ist nicht ganz ohne Unbehagen, wenn ich mir überlege, dass er vielleicht mit seiner halbfertigen Ausbildung und derart offenkundigen fachlichen Mängeln in Pakistan an den Reglern eines dortigen Kernkraftwerkes sitzen könnte.

Etwas aus dem Fenster gelehnt: was die beiden hierher brachte

Was hat diese Anekdote mit dem Thema zu tun? Mehr als man denkt.

Die beiden Kollegen scheinen mir nicht untypisch zu sein. Bei beiden hatte die Familie schon eine Ehe arrangiert. Sie lebten in bescheidenen Verhältnissen dicht gepackt in einem Zimmer. Sie verdienten sich etwas Geld durch das Verteilen von U-Bahn-Zeitungen hinzu.

Ich glaube nicht, dass der Grund ihrer Anwesenheit in Schweden akademische Bildung oder gar Exzellenz war, ja nicht einmal die Ausbildung an sich. Sie waren eher Vertreter der pakistanischen gehobenen Mittelschicht, die mit den Mitteln der Familie ins Ausland geschickt wurden, um dort irgendetwas zu studieren, auf dass man einen vorzeigbaren Sohnemann habe. In Schweden zu bleiben war zu keinem Zeitpunkt eine Option, und die Wahl fiel auf das Land nur, weil man hier eine englischsprachige Ausbildung ohne Studiengebühren erhalten konnte.

Die Frage ist, ob dies wirklich so typisch ist. Dazu habe ich morgen einen recht authentischen Erfahrungsbericht eines ehemaligen pakistanischen Studenten.

Studentenschwund – die Folgen der Studiengebühren in Schweden (1)

Meine Kurse sind erledigt. Ich bewege mich nicht mehr so viel in den Korridoren dieses Gebäudes. Es fiel mir nicht so richtig auf: es ist ruhiger geworden. Es muss zumindest, denn die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Es gibt weit weniger internationale Studenten als noch vor einem Jahr.

Der Grund dafür ist simpel: Studiengebühren.

Als EU-Bürger, Bürger von Liechtenstein, Norwegen, Island oder der Schweiz muss man diese nicht bezahlen. Alle anderen trifft es größtenteils, und zwar oft nicht sanft.
So darf man beispielsweise bei der KTH mittlerweile mindestens 145.000 schwedische Kronen (knapp 16.000 Euro) pro Studienjahr bezahlen.

Das ist teuer, und auch wenn einige schwedische Hochschulen sicherlich hohes Ansehen genießen – Harvard, Cambridge, Princeton, Oxford und Yale sind nicht in Schweden. Und deswegen sind nicht nur wenige in der Lage, solche Summen aufzubringen. Von denen, die es können, sind auch nur wenige bereit, es wirklich zu tun. Die Effekte sind gravierend. Von 2010 auf 2011 ist die Anzahl der neuen Masterstudenten in Schweden um um 58 Prozent gesunken.

Wer bewirbt sich?

Bewerber für Masterstudienplätze in Schweden nach Ländern. Aufgeführt sind die zehn Länder, die 2010 am meisten Bewerber stellten, und die entsprechenden Bewerberzahlen für 2011 (Quelle: VHS.se)

Diese Grafik zeigt die Anzahl der Bewerbungen für die Top 10 des Jahres 2010. Man sieht es deutlich: die Bewerberzahlen sind massiv gesunken, mit Ausnahme von Äthiopien um jeweils über 70%. Pakistan und Kamerun haben mit jeweils über 90% die größten Rückgänge. Mittlerweile ist Äthiopien das Land, aus dem die meisten Bewerbungen kommen. Schaut man hingegen auf die EU-Länder, wuchs das Interesse eher leicht.

Wer sich nun noch bewirbt, ist schwer festzustellen. Denn in der nächsten Stufe werden die offenkundig untauglichen Bewerber aussortiert, und an deren Anteil hat sich nicht viel geändert. So erfüllten letztes Jahr 58% der chinesischen Bewerber die formalen Anforderungen, heute sind 54%. Einsame „Spitze“ ist Nigeria – rund 95% der Bewerbungen von dort fallen durch, 2010 wie 2011. Es sieht also so aus, als sei die Qualität der Bewerber gleichbleibend gut oder schlecht. Angesichts der hohen Gebühren sollte man erwarten, dass vermehrt Kinder aus reichem Hause, die bei den ganz Großen in der akademischen Welt nicht landen konnten, es in Schweden versuchen sowie große Talente, die durch ihre Exzellenz auf gebührenmildernde Stipendien hoffen können. Sollte dem so sein, so scheinen sich die Effekte in weiten Teilen auszugleichen.

In anderen Worten: die stark reduzierte Zahl der Bewerber wirkt sich auch proportional auf die Zahl der tauglichen Bewerber aus. Letzten Endes ist aber nun die Frage, wer denn angenommen wurde.

Wer kommt rein?

Länder, die 2010 und/oder 2011 die meisten Studenten stellte, die in Schweden zu einem Masterprogramm angenommen wurden, und die entsprechenden Studentenzahlen dazu. (Quelle: vhs.se).

Dabei stellt man etwas vermeintlich Selbstverständliches fest: die Schweden stellen doch tatsächlich die größte Fraktion. Das war zuvor nie so. In absoluten Zahlen hat sich zwar nicht all zu viel geändert – der Anstieg von rund 2000 auf rund 3000 wäre bei den vorherigen Verhältnissen nicht so aufgefallen – aber durch den massiven Einbruch der vorherigen Spitzenreiter wie Pakistan, Indien etc. rücken sie nun auf, und mit ihnen Studenten aus der EU, die nun auf weit weniger Konkurrenz treffen. Der Anteil aus den gebührenbefreiten Ländern ist von 13% auf 41% gestiegen, so dass Großbritannien, wo man in der Regel zahlen darf, und Deutschland nun in der Spitzengruppe sind.

Ein Blick auf die einzelnen Universitäten ist auch interessant. Mit Ausnahme der Chalmers-Hochschule in Göteborg, die die Zahl der Masterstudenten um 18% steigern konnte, haben alle Hochschulen mindestens 27% verloren. Meine Annahme, dass v.a. Hochschulen im ländlichen Raum Einbußen hinnehmen müssen, bestätigt sich nicht ganz. Zwar konnten sich fast alle Großstadthochschulen ganz gut behaupten, aber auch Jönköping (45% Verlust) und Luleå (47%) schlagen sich ganz gut, während die großstadtnahe Södertörns Högskola (im Süden Stockholms) noch ganze 12 Masterstudenten hat. Letztes Jahr waren es 249, was einem Rückgang von 95% entspricht und damit das Schlusslicht macht.

Dass Chalmers so erfolgreich ist, liegt vermutlich auch an den vergleichsweise niedrigen Studiengebühren von 70.000 SEK im Jahr. Das ist zwar immer noch ein Batzen, aber eine renommierte Universität kann sich das wohl eher erlauben als eine vergleichsweise unbekannte junge Hochschule wie Södertörns, die ab 85.000 SEK verlangt. Der etwas niedrigere Preis hat vielleicht auch etwas damit zu tun, dass Chalmers eine private Hochschule in Stiftungsbesitz ist. Die Hochschulen sind nämlich anscheinend dazu angehalten, mit den Studiengebühren die realen Kosten zu decken, wobei eine Privatuniversität vermutlich leichter Bilanzschiebereien unternehmen kann als eine öffentliche Hochschule.

Besser oder schlechter?

Das Bild ist eindeutig: die Gebühren haben die Bewerber in Scharen davongejagt, was die Studentenzahlen aus außereuropäischen Ländern stark reduziert hat. Den EU-Bürgern erleichtert es etwas den Einstieg, aber faktisch sind sie nur deswegen plötzlich eine große Gruppe, weil die anderen weggeblieben sind.

Ich bin mir auch nicht ganz sicher, wieviele von den Angenommenen wirklich dann aufkreuzen. Vielleicht haben viele von ihnen woanders ein besseres (d.h. billigeres) Angebot erhalten und verzichten auf den Platz, was wahrscheinlich in dieser Statistik gar nicht berücksichtigt werden kann.

Auf den ersten Blick wirkt die Politik also gnadenlos gescheitert. Zuvor sehr beliebt beim internationalen Publikum, ist Schweden massiv abgestürzt.

So einfach ist das Ganze aber nicht. Denn die Frage bleibt, ob sich Schweden überhaupt einen Gefallen damit getan hatte, diese Angebote zu machen. Mit anderen Worten: hat man eine Art Bildungsblase geschaffen, die zwar die Studentenzahlen spektakulär anschwellen ließ, die aber letzten Endes Schweden wenig gebracht hat?

Wenn man davon absieht, dass man im Sinne einer Entwicklungshilfe vielleicht Ausbildungen kostenlos anbieten will, so kann es eigentlich nur zwei Motivationen geben: zum Einen möchte man junge Leute mit Potenzial anwerben, die dann möglicherweise hier bleiben und damit die schwedische Wissenschaft und Wirtschaft unterstützen. Zum Anderen würden Rückkehrer ein positives Bild von Schweden verbreiten und schwedischen Unternehmen und Hochschulen attraktive Kooperationen verschaffen.

Ich kann hierzu freilich keine tragfähige Untersuchung anbieten, aber etwas aus dem Nähkästchen plaudern. Dazu aber morgen mehr.

Wieder da

Lange ist hier nichts passiert, und seit Dienstag erhielt ich sogar besorgte Mails, was denn mit der Seite los sei. Sie war nämlich down. Danke der Nachfragen, aber es sollte kein Abschied vom Bloggerleben werden. Es war vielmehr ein Betriebsunfall.

Deutsche Domains müssen regelmäßig verlängert werden. Eigentlich sollte das bei mir automatisch passieren, aber das vorab eingezahlte Guthaben reichte nicht für ein weiteres Jahr aus. Wenn man die Domain nicht verlängert, aber auch nicht löschen lässt, wird sie an die Denic gegeben, die Verwaltung für deutsche Domains. Diese kontaktiert den Domainbesitzer per Post.

Das ist ein wunderbares Verfahren gegen Domainklau – aber in dem Fall ein Problem, denn der Brief von Deutschland nach Schweden braucht eben seine drei Tage. Heute kam er endlich an. Das Guthaben ist freilich schon längst aufgestockt. Jetzt müssen sich nur die DNS-Daten herumsprechen und gut ist.

Auch sonst ist freilich nicht viel hier passiert in letzter Zeit. Das war teilweise urlaubs-, teilweise berufsbedingt. Der Urlaub führte erst nach Deutschland – nicht gerade spektakulär, ich weiß – und dann nach Istanbul, was man schon eher spektakulär. Vielleicht kommen noch ein paar Bilder dazu.

Wenn ich wieder den Kopf etwas frei habe, werden auch neue Beiträge mit weniger banalem Inhalt kommen.

10 Jahre

Dan Rather brachte es noch am selben Abend auf den Punkt:

You will remember this day as long as you live.

Heute vor 10 Jahren war ich zum ersten Mal in Schweden. Ich stand in einem Souvenirgeschäft in Kiruna, und der Verkäufer erzählte mir entgeistert, dass es in New York einen Terroranschlag gegeben habe. Es waren mehrere Leute im Laden, und alle hörten gebannt dem Radio zu. Es schien surreal. Ich war perplex. In der Jugendherberge gab es kein internationales Fernsehen, und die schwedischen Kanäle zeigten immer wieder dieselben Abschnitte. Ich fühlte mich sehr weit weg von allem.

Es gäbe noch mehr zu erzählen, und jeder hat so eine Geschichte. Sie heute zu erzählen ist aber fast schon Folklore. Es macht etwas traurig, wie banal dieses Ereignis geworden scheint. Manche instrumentalisieren es für krude Verschwörungstheorien, die die Opfer verhöhnen unter dem Deckmantel einer angeblichen Suche nach der Wahrheit. Für andere ist es kaum mehr als ein Anlass, auf die Dinge abzuheben, die nach dem 11. September falsch gelaufen sind.

Wie tief es uns alle getroffen hat, wollen wir uns dabei nicht eingestehen. Wir vergessen, wie unvorstellbar, wie unfassbar dieses Ereignis war. Wir können heute fast nicht verstehen, wie wir damals so naiv sein konnten, zu glauben, niemand würde ein Flugzeug unter Aufopferung seines Lebens zerstören oder gar als Waffe einsetzen wollen. Jede Tragödie, und sei sie auch noch so schrecklich, wird danach ein bisschen Normalität. Könnte ein neues Winnenden, ein neuer Breivik uns noch einmal derart schockieren? Ich glaube nicht.

Auch wenn wir es verdrängen, so ist der 11. September eine Zäsur. Und wir haben immer noch keine Antworten für die Zeit danach.

Darum heute einen sehr interessanten Dokumentarfilm, den ich noch nicht kannt und der etwas die menschliche Dimension zeigt:

Aus der Serengeti

Zeit, die Safari zu beenden – waren jetzt auch schon neun Monate.
Wir begannen den letzten Tag früher. Man sieht die Tiere ganz früh am Morgen einfach besser. So konnten wir zwei Löwinnen beobachten, die gerade ein erlegtes Tier gefrühstückt hatten.
Auf dem langen staubigen Rückweg konnten wir dann etwas schlafen. Ich hatte auf dem Hinweg gesehen, dass sich am Wegesrand eine Art Grabstein für Bernhard Grzimek befindet. Dessen Sohn Michael war nach den Dreharbeiten zu „Serengeti darf nicht sterben“ am Ngorongoro-Krater verunglückt, weswegen sich Bernhard Grzimek dort auch beerdigen ließ.
Am Ende des Tagestrips waren wir nicht nur zurück in der Zivilisation. Wir konnten sogar einen Blick auf das nächste (und letzte) Tagesziel werfen: Lake Manyare, ein kleiner Nationalpark. Den See dazu gibt es zwar noch, aber er wird in den kommenden Jahrzehnten verschwinden, so dass es sich eher um einen Wald handelt.

Die Nacht verbrachten wir auf einem „Luxus“-Campingplatz. Über den Luxus der sanitären Anlagen kann man sich streiten, aber der Pool sah ganz angenehm aus. Ein Vorteil war auch nicht zu verachten: man konnte nachts auf Klo gehen, ohne ein Zusammentreffen mit gefährlichen Tieren zu riskieren.

Hyresgäst ohne Förening – Mieter ohne Bund

Vorgestern, 20:50 Uhr: es klingelt an der Tür. Das kommt nicht so oft vor, schon gar nicht um diese Zeit. Vor der Tür steht ein Mann mit einer Liste. Er ist von der Hyresgästföreningen, und daher ist das eigentlich ein Besuch, den ich schon vor längerem erwartet habe. Ich bin nämlich vor einiger Zeit aus dem Verein ausgetreten.

Der schwedischer Mieterverband – eine eigenwillige Konstruktion

Die Hyresgästföreningen (Hyresgäst = Mieter) ist sozusagen der schwedische Mieterverband. Die Mitgliedschaft ist keine Pflicht, aber üblich. De facto verhandelt der Verein nahezu alle Mieten in Schweden. Der Vermieter schließt eine Art Tarifvertrag ab, dass die Hyresgästförening die Mieter vertritt, egal ob der Mieter nun Mitglied ist oder nicht.

Das ist für den Vermieter bequem, denn er könnte durchaus mit dem Mieter direkt verhandeln, was aber sicher mehr Aufwand darstellt. Im schwedischen System ist es nachvollziehbar, einen professionellen Verhandlungsführer zu haben, denn die Mieten sind streng reguliert. Würde der Mieter selbst verhandeln, würde er sich wohl über den Tisch ziehen lassen und müsste die Miete bei einem Disput von der Mietbehörde Hyresnämnden prüfen lassen. Die Hyresgästföreningen lässt es dazu erst gar nicht kommen, weil sie Gesetze und Fakten kennen.

Ein prinzipielles Problem, das ich damit habe, ist die Art der Vertretung. Nicht nur, dass ich mir nicht aussuchen kann, von wem ich vertreten werde. Die Hyresgästföreningen betreibt ihre interne Demokratie so, dass einmal im Jahr Hauptversammlung ist. Verpasst man sie, erhält man nur Briefe und Magazine, die Lobeshymnen auf die Heldentaten des Vereins singen. Das ist schon ein höchst fragwürdiges Vertretungsmodell, zumal ich davon ausgehe, dass die Wahlen bei der Hauptversammlung auf typisch schwedische Art laufen: von einem Wahlkomitee vorgelegte Vorschläge werden durch gemeinsames „JA!“-Rufen bestätigt. So kann auch eine Minderheit einen Kandidaten wählen, und was das Wahlkomitee vorschlägt, ist letzten Endes Gesetz.

Auf diese Art gibt es natürlich auch kaum eine Möglichkeit, über irgendwelche Sachfragen zu entscheiden. Was der Vorstand beschlossen hat, wird gemacht. Das erinnert mich sehr an die Gewerkschaft, der ich als Busfahrer angehörte. Dort wurde man auch nicht gefragt, ob man nun streiken will. Man hatte gefälligst zu streiken.

Das eigentliche Problem: Lobbyismus

Das ist aber nicht der Grund, weswegen ich ausgetreten bin, denn gewohnt bin ich diese Verhältnisse schon aus anderen Zusammenhängen.

Es ist vielmehr das Selbstverständnis und die Politik der Vereinigung: die meisten Mieter treten nicht aus Idealismus für eine bestmögliche Vertretung bei. Sie wollen schlicht eine Absicherung für den Fall, dass es Ärger mit dem Vermieter gibt. Die Hyresgästföreningen ist sozusagen eine Rechtsschutzversicherung für Mieterprobleme.

Das Problem entsteht dadurch, dass die Hyresgästförening sich auf dieser fragwürdigen Basis die Legitimation nimmt, in der Wohnungspolitik als Vertreter der Mieter zu agieren. So formuliert der Verband mit seinen 500.000 Mitgliedern im Rücken Forderungen an die Politik, was nun zu tun sei. Das erinnert mich an den ADAC, der nie um eine verkehrspolitische Forderung verlegen ist, obwohl die allermeisten Mitglieder nur wegen Pannenschutz, Versicherung, Reisen und derlei Dingen dabei sind.

Da stelle ich mir die Frage: mit welchem Recht eigentlich? Mit keinem, für meine Begriffe. Zwar kann man die Hyresgästföreningen nicht mit einem sehr industriefreundlichen konzernartigen Gebilde wie dem ADAC gleichsetzen, aber das ändert nichts am Problem. Die Mitglieder werden schön aus dem Blickwinkel des Vereins informiert und dürfen dann einmal im Jahr zu allem Ja und Amen sagen. Eine solche Organisation mag ja noch einigermaßen legitimiert sein, anständige Mieten auszuhandeln. Aber eine politische Vertretung ihrer Mitglieder ist sie mitnichten.

Wenn wenigstens die Richtung stimmen würde

Wenn die Politik des Verbandes wenigstens irgendwie mit meinen Ansichten übereinstimmen würde. Aber das ist natürlich nicht zu erwarten. Sie zielt nur darauf ab, ein System, das seit 40 Jahren permanent scheitert, zu zementieren. Es soll am besten alles so bleiben, wie es war – und natürlich müssen mehr Mietwohnungen gebaut werden. Als ob das jemals den Bedarf decken würde.

Daher habe ich mir die Frage gestellt, ob ich allen Ernstes dem größten Lobbyverband gegen alles, was ich in der Wohnungspolitik für richtig halte, angehören soll.

Ansichten, die man selten hört

Der Mann an der Tür rechnet damit natürlich nicht. Er fragt nach, ob ich mit den Leistungen unzufrieden gewesen sei. Das verneine ich, denn ich habe die Hilfe des Verbandes ja nie gebraucht. Auf Nachfrage sage ich ihm dann, dass ich mit der Politik nicht einverstanden bin und das ganze System mit stark regulierten Mieten für eine sehr schlechte Idee halte.

Er ist sehr überrascht, denn so eine Ansicht hört er von Schweden natürlich so gut wie nie. Den Schweden wird seit vielen Jahren das Horrorszenario vorgehalten, dass die Mieten in enorme Höhen steigen werden, wenn man das System auch nur irgendwie ändert. Ich erkläre ihm kurz das deutsche System: Marktmieten, aber mit umfänglichen Mieterrechten und Schutz vor horrenden Mieterhöhungen. Seine Antwort ist bezeichnend: „Also nicht so wie in den USA, wo der Vermieter die Mieten beliebig erhöht?“

Nein, so nicht. Aus irgendeinem Grund scheinen das die beiden einzigen Optionen zu sein, die die Schweden kennen: entweder purer Sozialismus wie hierzulande, der die Mieten niedrig hält, aber bei der Bedarfsdeckung vollkommen versagt und einen Schwarzmarkt erzeugt. Oder purer Kapitalismus, wo nur der Reichste eine Wohnung kriegt. Wenn man in solchen Schubladen denkt, ist es kein Wunder, dass jede Diskussion über einen vernünftig regulierten Mietmarkt ein Tabu ist.

Vielleicht irgendwann einmal wieder

Er will keine lange Diskussion haben, aber mir scheint, dass das für ihn doch einmal ein interessanter Denkanstoß war. Er lässt mir seine Visitenkarte und ein paar Infos mit den Forderungen des Verbandes da.

Darin steht, dass 150.000 Wohnungen in den nächsten 10 Jahren gebaut werden sollen. Was sinnvoll ist, aber vollkommen unglaubwürdig, weil es in den vergangenen Jahrzehnten nie gelungen ist, ausreichend Wohnungen zu bauen. Wenn also 150.000 genügen würden, so ist wirklich nicht damit zu rechnen, dass auch nur etwas in der Nähe dieser Größenordnung gebaut wird.

Weiterhin heißt es dort, dass man Steuervergünstigungen für Mieter einführen soll, um die mangelnde wirtschaftliche Attraktivität für Vermieter zu beheben. Mit anderen Worten sollen die Abzugsmöglichkeiten, die schon bei Eigentumswohnungen einen vollkommen verzerrten Markt geschaffen haben, nun auch noch auf die Mietwohnungen ausgedehnt werden. Dass man mit Miethäusern keinen Gewinn machen kann, soll der Staat durch Steuersenkungen ausbügeln. Bravo!

Ich fühle mich in meiner Entscheidung bestätigt.

Dabei will ich eine neuerliche Mitgliedschaft gar nicht ausschließen, wenn ich den Verband einmal für das brauchen sollte, was meiner Ansicht nach seine Hauptaufgabe sein sollte: als Dienstleister in Mietrechtsfragen.

Laufshirtparade

Beim Sortieren der Wäsche kam mir eine Idee: jedes Jahr mache ich den Midnattsloppet, jedes Jahr gibt es dort ein Shirt. Also habe ich alle mal herausgekramt und fotografiert – gleichsam eine Schau meiner Fitness in 6 Jahren Schweden.

Man sieht den Shirts auch etwas die Entwicklung des Laufes an: die Shirts werden schicker und werbereicher, dafür aber wird z.B. gespart, indem man die Startgruppe nicht mehr aufdruckt. In den letzten beiden Jahren fehlt sogar die Jahreszahl auf dem Shirt – ich habe mal vorgeschlagen, das wieder einzuführen.

Die Zeit von letztem Samstag sagt eigentlich alles: 1:19:00 – schlimm vor allem deswegen, weil ich im Training auf ähnlichem Terrain Zeiten laufe, die mich zumindest auf das schwache Vorjahresniveau bringen würden.

Ich habe noch viel vor in den nächsten Monaten. Beim Hässelbyloppet werde ich testen können, wie gut es wirklich läuft.

Pippi Langstrumpf und das Rassismusdilemma

Obsolet? Die Villa Kunterbunt (Foto: Christian Koehn/ CC-BY-SA 2.0)

Meine Eltern sind early adopter – zumindest im Falle des Videorecorders. Im Grunde auch meine Großeltern, denn auch sie hatten früh so ein Gerät. Nur hatten sie auf das vermeintlich zukunftsweisende Video 2000 gesetzt, das sich aber als nicht sonderlich langlebig erwies. Wir hingegen hatten mit einem erstklassigen VHS-Videorecorder auf das richtige Pferd gesetzt: zwar konnte der die Länge der Kassetten nicht automatisch lesen und kannte auch keine 300er-Kassetten, aber dafür konnte er – man lese und staune – Zweikanalton getrennt einspielen, womit ich schon frühzeitig in den Genuss von Filmen in Originalsprache kommen konnte.

De Facto war ich bald der einzige Nutzer des Geräts. Die ersten Kassetten jedoch waren mit Kinderfilmen bespielt, die wir im ZDF aufgenommen hatten. Einen dieser Filme hatten wir halb verpasst, so dass wir nur die letzten zwei Drittel hatten. Wir schauten ihn trotzdem unzählige Male.

Pippi in Taka-Tuka-Land – Kindheitserinnerungen mit ungeahntem Beigeschmack

Die Rede ist von Pippi in Taka-Tuka-Land, bei dem ich daher bis heute nicht so recht weiß, was vor der Szene mit dem selbstgebauten Flugzeug passiert. Ich muss auch ganz offen gestehen, dass die Filme meine einzigen Kindheitskontakte mit Astrid Lindgren waren. Bis heute habe ich – von Auszügen aus Ronja Räubertochter abgesehen – keines ihrer Bücher gelesen.

Trotzdem stellten Lindgrens Werke für mich eigentlich immer einen Meilenstein der Kinderliteratur dar. Als ich kürzlich Anatol Stefanowitschs Blogeinträge zu just diesen Büchern las, war ich daher auch etwas überrascht über einen Aspekt: just in Pippi in Taka-Tuka-Land (dem Buch, nicht dem Film) ist an zahlreichen Stellen von „Negern“ die Rede, was anscheinend synonym für ferne Kulturen in der Südsee stehen soll.

Kann man das Problem beheben?

Als die Bücher in den 1940er Jahren entstanden, war dies noch ein vollkommen legitimes Wort für Schwarze. Was aber nun tun, wenn man als vorlesendes Elternteil an solchen Stellen ankommt? Man kann versuchen, sich durch Ad-hoc-Übersetzungen zu retten, aber eine wirklich nachhaltige Lösung ist das wohl nicht.

Der naheliegendste Weg wäre freilich, die Übersetzung des Textes so anzupassen, dass die Wortwahl zeitgemäß ist. Der Oetinger-Verlag, der die Bücher Lindgrens im deutschen Sprachraum herausgebt, entschloss sich zu einer Neuausgabe mit entsprechender Wortwahl. Begründet wurde dies mit dem fraglos toleranten und offenen Wesen der Autorin, die bestimmt keine rassistischen Absichten gehabt hat. Daran kann man auch kaum zweifeln.

Stefanowitsch sieht dennoch ein Problem: es ist nicht nur eine Frage der Wortwahl, sondern auch eine des Inhalts. Der Text ist von einem unterschwelligen Rassismus durchzogen, den er moniert:

Das Problem […] ist tatsächlich gar nicht die Sprache. Es ist die Idee, dass es sinnvoll ist, Menschen nach ihrer Hautfarbe zu kategorisieren, dass man Menschen (mit bestimmten Hautfarben) besitzen kann, dass man Hautfarben mit der Einfärbung durch Schuhcreme vergleichen kann. Diese Ideen bleiben auch bei einer guten Übersetzung Teil des Textes.

Das lässt sich nicht beheben, außer man ist bereit, die Bücher umzuschreiben. Es hat auch keinen Zweck, eine kommentierte Ausgabe zu erstellen, denn die ist trotzdem nicht kindertauglicher. Stefanowitsch kommt in einem späteren Blogeintrag zum Schluss: die beste Art, damit umzugehen, ist wohl, Pippi in Rente zu schicken. Sie habe ihre Zeit gehabt, und die geht nun zu Ende.

Das Dilemma: richtig, aber sehr schade

An diesem Punkt muss ich sagen: es fällt mir schwer, da mitzugehen. Natürlich ist es nicht erstrebenswert, schon Kleinkindern irgendwelche Stereotypen einzutrichtern. Antirassismus ist ein so fundamentales Prinzip, dass er über jeden Zeitgeist hinaus unverrückbar bleibt. Auch wenn Kinder es nicht merken und vielleicht auch gar nicht sofort verstehen, erschiene es mir schon als Verharmlosung, wenn man über dieses Menschenbild einfach so hinwegsieht, weil die Geschichten so schön sind.

Trotzdem gefällt mir der Gedanke, man könne Literatur einfach durch etwas „moderneres“ austauschen, überhaupt nicht. Die Werke eines Kinderbuchautoren hätten dann nicht für sich irgendeinen literarischen Wert, sondern wären nur in einem gewissen kulturellen Kontext überhaupt von Relevanz. Entspricht das Werk nicht mehr den Werten der Gesellschaft, so hat das Werk ausgedient.

Stefanowitsch schreibt:

Es ist ja nicht so, als ob eine Welt ohne Pippi Langstrumpf unvorstellbar oder eine literarische Dystopie wäre.

Nein, unvorstellbar ist sie nicht. Aber auch ärmer, wie mir scheint, denn die Abenteuer Pippi Langstrumpfs sind auch Geschichten, die man nicht nach Belieben austauschen kann. Der Verzicht darauf, an bestimmten Stellen ein unerwünschtes Menschenbild zu vermitteln, wird an anderen Punkten durch den Verzicht auf ein positives Rollenbild – das Pippi Langstrumpf auch darstellt – und spannende, einzigartige Geschichten teuer erkauft.

Einen echten Kompromiss kann es leider nicht geben: man kann zumindest beim Originalbuch den schönen Kern nicht von den fauligen Verwachsungen trennen, ohne das Gesamtwerk zu beschädigen.

Vielleicht ist es in der Tat auch eine Generationenfrage, dass ich mir irgendwo wünsche, die Lindgren-Erzählungen seien zeitlos. Man kann sich nur schwer vorstellen, dass Kinder nicht mehr diese Geschichten mit auf den Weg bekommen. Vermutlich wird aber genau dies passieren. Ich selbst habe noch Winnetou gelesen. Wieviele Kinder und Jugendliche tun dies heute noch?
Vielleicht sollte man es einfach so machen wie ich: die Filme gucken und andere Bücher lesen, denn die Pippi-Filme sind meines Wissens nicht „kontaminiert“.

Wenn es einmal so weit sein wird, werde ich mich vielleicht auch fragen, ob die Pippi-Bücher etwas für die Kinder sind. Bis dahin ist aber noch etwas Zeit.

Royale Umstände

Vielleicht schon ab März: neue Prinzessin (Foto: alexrudd, CC-BY-SA 2.0)

Breaking News sind es freilich nicht mehr: Kronprinzessin Victoria ist schwanger.

Das Theater, das wieder einmal darum gemacht wird, ist leider wieder einmal typisch. Es kommt einem so vor, als hätte die ganze Nation auf nichts anderes gewartet. Dabei war das Königshaus seit der Hochzeit letztes Jahr mit allem in der Öffentlichkeit gewesen, aber bestimmt nicht mit diesem Thema.

Man kann sich freilich fragen, wieso man derart früh – sie dürfte im zweiten Monat sein – an die Öffentlichkeit ging und nicht die kritischen ersten 12 Wochen abwartete. Meine Annahme ist, dass bei heutigen Nachrichtenflüssen es ohnehin nicht lange geheim hätte bleiben können. Da wollte man wohl handeln, bevor der Boulevard seine Paparazzi losschickt.

Die Reaktionen sind vorhersagbar. Die Royalisten finden es toll, die Republikaner auch, aber betonen, dass das Kind nicht auf einen Thron gehöre. Den besten Dreh hat das dänische Ekstrabladet gefunden:

Stripperkönig wird Großvater

Soviel Mut hätte ich den im Vergleich zu den Schweden sehr royalistischen Dänen gar nicht zugetraut.

Oder doch ein Prinz? (Foto: Timo_Beil, CC-BY-SA 2.0)

Die große Frage, die sich nun „alle“ stellen, ist: wie wird das Kind heißen, wenn es im März Teil der Thronfolge wird? Die Wettbüros nehmen schon Vorschläge an, und wenn auch noch nichts feststeht, so ist zumindest zu erwarten, dass es nach Familientradition vier Vornamen sein werden und mindestens einer davon von Daniels Seite kommen wird.

Die bisherigen Vorschläge sind nicht nur sehr traditionell, sondern stimmen erstaunlicherweise auch mit den aktuellen Namenstrends in Schweden gar nicht mal so schlecht überein. Einer der plausiblen Topfavoriten bei den Jungennamen, Oscar, war 2010 auch auf Platz 1 der Namenscharts in ganz Schweden, und auch der derzeitige Wettspitzenreiter Gustav schaffte es zumindest in die Top 20. Olof, Erik, Karl uns Carl-Johan liegen derzeit aber kaum im Trend.

Bei den Mädchen dominiert ganz klar Désirée, gefolgt von Kristina und Ingrid. Alle drei Namen haben sozusagen das royale Siegel, denn eine Königin Kristina gab es schon mal und die beiden anderen Namen trägt Victoria sogar selbst. Sinnigerweise ist Alice – der einzige von Victorias Vornamen, der nicht in den Wettfavoriten auftaucht – einer der Favoriten in Schweden im Allgemeinen: letztes Jahr der derzeit zweitbeliebteste Mädchenname im Land. Die anderen genannten Namen sind aber nicht gerade so der Burner.

Vielleicht gehen die beiden aber in den exotischen Bereich. Sie könnten ihr Kind wie andere Promis ja nach dem Ort der Zeugung benennen, was der Bild-Zeitung nach zu urteilen auf den schönen Namen „Berlin“ hinauslaufen könnte. Wenn das so wäre, könnte man natürlich ganz froh sein, dass die beiden nicht in Castrop-Rauxel abgestiegen sind.

Sie könnten aber auch den Einwanderern die Hand ausstrecken, denn schließlich ist Daniel das erste Mitglied im Königshaus schwedischer Herkunft. Wie das gehen soll, weiß ich abr nicht: erkennbar fremdländische Namen hinterlassen in der schwedischen Namensstatistik erstaunlich wenige Spuren. Lediglich Mohammed, auf Platz 65 bei den Jungs, fiel mir ins Auge.

Mein Tipp: Bernd oder Lucia, zwei bekanntermaßen urschwedische Namen. Und welches Volk hätte nicht gerne einen König Bernd?

Einem Namen traue ich jedoch keine Chancen zu: William, derzeit auf Platz 2 bei den Jungs. Ich meine: Welcher Prinz heißt schon William?

Boiron, C200 und der Streisand-Effekt

Pietro Longhi: Der Scharlatan (1757)

Ich halte nicht viel von Online-Prangern, aber selbst wenn dies einer wäre: in dem Fall hätte ich wenige Hemmungen angesichts dessen, was die Firma Boiron da vorhat. Das Portal Esowatch ruft dazu auf, den aktuellen Blogeintrag wiederzugeben:

Wieder ist ein Blogger unter Beschuss, diesmal von der multinationalen Firma Boiron, dem weltweit größten Hersteller homöopathischer Produkte. Dieser hat den Blogger mit Klage bedroht. Es wird Zeit, dass auch Boiron den Streisand Effekt kennenlernt um davon zu profitieren.

Der italienische Blogger Samuele Riva hat im Juli zwei Artikel (1 und 2) online gestellt, in denen er die Zuckerkügelchen mit dem Namen Oscillococcinum C200 auf die Schippe nimmt. Oscillococcinum wird als Grippemittel beworben und ist in den USA das meistverkaufte homöopathische Mittelchen. Und jetzt haltet euch fest, das Zeug, das einen Umsatz von 20 Millionen Dollar macht, wird aus Entenleber hergestellt. Also wenn das nicht Quack, Quack, Quacksalberei in Hochpotenz ist …

Naja, das Schöne ist, bei C200 musste vermutlich nicht einmal eine Ente dran glauben. Man nimmt einfach ein Tröpfchen aus einem See, über den mal eine Ente geflogen ist. Im Mittelalter oder so.

Nun, jedenfalls witzelte Samuele darüber, dass kein einziges Molekül von der Ursprungssubstanz mehr drin sein könne. Zur Erinnerung: C200 bedeutet, in einer Verdünnung von 1:10^400. Das sind 400 Nullen! Unser ganzes Universum besteht schätzungsweise aus 10^78 Molekülen. Selbst wenn man kein Stück Leber, sondern unser ganzes Universum verdünnt hätte, wäre schon ganz lange nichts mehr übrig gewesen.

Ist ungefähr so, als wollte man 1 Bonbon unter 10 Leuten aufteilen. Nur sind es nicht 10 Leute oder 100 oder gar 6 Millarden (6*10^9), sondern viel, viel mehr. Selbst wenn man jedes Sonnensystem und jeden Planeten im ganzen Universum mit Milliarden Menschen besiedeln würde, würde dieses Bonbon noch immer reichen müssen.

Boiron reagierte nicht sehr amüsiert darüber, dass jemand Fakten über ihr Produkt schreibt und drohte sofort mit Klage. Ein Brief ging an den Internetprovider mit der Beschwerde, dass die Artikel und Überschriften “untrue and derogatory both of homeopathy and [the] company” seien und den Ruf der Firma beschädigen.

Nun, damit haben sie jedenfalls eines erreicht: Zu den 150 Leuten, die den Blogbeitrag in den ersten 56 Stunden gelesen haben, haben sich nun einige mehr gesellt und mit diesem Blog hier hoffentlich noch weitere! Über 100 Seiten im Internet, darunter auch das British Medical Journal haben schon berichtet. Je mehr Support dieser Blogger erhält, je mehr Wellen das ganze schlägt desto besser.

Wir von Esowatch bitten daher alle, die dies lesen, sich schamlos bei uns zu bedienen! Bloggt das auch, nehmt die Info von uns, zitiert uns oder zitiert uns nicht, uns ist eines wichtig: Dieser Angriff auf die Redefreiheit und Wissenschaft, auf Wahrheit und Fakten darf nicht durchgehen!

Und gleichzeitig möchten wir Cheerleader für die kommende Klage gegen Boiron spielen und hoffen, dass dieser Prozess verhandelt wird!

Nun muss man Esowatch nicht mögen. Das Portal bleibt unter dem Deckmantel der Anonymität und geht agressiv vor. Nur: während andere ihre Tiraden mit logischen Fehlschlüssen und Falschbehauptungen spicken, stellt sich Esowatch auf den Boden von nachprüfbaren (und nachgeprüften) Fakten, was es schlecht angreifbar macht.

Ich bin des Italienischen nicht mächtig, aber eine Firma, die homöopathische Arzneimittel herstellt und Leute wegen Rufschädigung vor Gericht bringen will, muss sich schon sehr warm anziehen. Also entweder hat der Blogger da etwas vollkommen ungeheuerliches behauptet – was ich nicht glaube – oder die Firma schickt sich an, gegen die Behauptung zu klagen, Homöopathie sei Humbug.

Und das ist eine verdammt schwere Beweisführung, um es mal vorsichtig auszudrücken. Zwar bin ich kein Freund des Arguments, Homöopathie wirke wegen der starken Verdünnung nicht. Es ist zwar physikalisch und chemisch plausibel, aber man kann eine Methode, die Verdünnung als Basis hat, nicht dadurch widerlegen, dass sie Verdünnung verwendet.

Die ganze Sache ist viel simpler: wenn Homöopathie tatsächlich so stark wirken würde wie die Unterstützer behaupten, dann muss es auch eine Methode geben, mit der sich das nachweisen lässt.

Bislang kommt da aber nur, dass die Methoden, die die Wissenschaft verwendet, in dem Fall nicht anwendbar seien. Schön und gut, aber welche Methoden könnte man denn dann verwenden? Man kann sich nicht hinstellen und behaupten, man habe einen Geist gesehen. „Wo?“ – „Der ist immer da, wenn du nicht da bist“.
Oder das Standardargument „Bei mir wirkt es aber“. Das haben die Leute, die den Aderlass überlebten, auch gesagt. Subjektive Wahrnehmung kann nicht einfach als objektiver Beweis herhalten.

Insofern beteilige ich mich gerne, hier einen kleinen Streisand-Effekt aufzubauen, wie es andere schon getan haben.

Wer das Kilo Zucker für über 200 € verkauft, muss das ertragen.