3. Spieltag

Die Begeisterung kennt keine Grenzen. So eine FIFA-U20-Frauenfußball-WM ist schließlich nur alle zwei Jahre, und dann ist diese auch noch im (mehr oder weniger) eigenen Land!
Mittlerweile habe ich auch Nordkorea einen Wikipedia-Artikel verpasst, und er steht ihnen gut. Weiß jemand, wo man einen Schal der Sportgruppe 25. April bekommen kann? Der Verein scheint nämlich in jeder Hinsicht der Spitzenverein in Nordkorea zu sein. Dem geliebten Führer wird’s gefallen.

Ich habe zwar keine Ahnung, aber das hat bisher wenige Menschen davon abgehalten, sich über Fußball zu äußern. Daher ist es Zeit, auf die morgigen Spiele zu blicken:

  • Frankreich -Deutschland (Dienstag, 11:30 Uhr): Die Französinnen können mit einem Sieg den Einzug ins Viertelfinale klar machen. Dummerweise treten sie gegen unsere Mädels an, die das schon vor einem Spiel erledigt haben. Ich sehe da auch schlechte Chancen für die Nachbarinnen aus dem Westen, denn Aktionen wie diese deuten doch erhebliche Schwächen in der Verteidigung an

    Da dürfen sie Alexandra Popp nicht vor das Tor kommen lassen.
    Weitere Details kann man sich in den FIFA-Spielzusammenfassungen der Spiele gegen Kolumbien und Costa Rica anschauen. Ich tippe jedenfalls ganz klar auf einen dritten deutschen Sieg.
  • Costa Rica – Kolumbien (Dienstag, 11:30 Uhr): die Mädels aus Costa Rica (Costaricanerinnen? Costa-Ricinen?) haben ihre Koffer schon gepackt. Ihre kolumbianischen Konkurrentinnen haben damit noch gewartet, aber das kann man als Zweckoptimismus betrachten. Denn auch wenn die Französinnen noch eine Chance aufs Ausscheiden haben: sie ist klein. Kolumbien müsste beim letzten Spiel vier Tore gut machen. Insofern müsste schon einiges passieren, dass sich da noch etwas dreht. Ich tippe mal auf Costa Rica – die wollen doch bestimmt auch mal gewinnen.
  • Neuseeland – Brasilien (Dienstag, 14:30 Uhr): die Verhältnisse in Gruppe B sind punktemäßig identisch, aber tormäßig nicht. Wenn die Schwedinnen verlieren, hat Brasilien eine gute Chance, ins Viertelfinale zu kommen. Der Sieg muss aber hoch ausfallen, denn bei gleicher Tordifferenz haben die Schwedinnen die Nase vorn, weil sie mehr Tore geschossen haben. Bei dem Aufwärtstrend der Brasilianerinnen nach deren schwachem Auftakt ist das denkbar. Mein Tipp: klarer Sieg Brasiliens.
  • Nordkorea – Schweden (Dienstag, 14:30 Uhr): die Nordkoreanerinnen sind sicher nicht so gut versichert wie der Herr hier.

    Also werden sie so spielen wie zuletzt: geschlossen als Mannschaft, effektiv aber nicht spektakulär (soweit ich das beurteilen kann). Die Schwedinnen müssen da über ihre bisherigen Leistungen hinausgehen, denn weder das Spiel gegen Neuseeland noch das gegen Brasilien war sonderlich überzeugend. Ich hoffe auf einen schwedischen Sieg, schon weil ohne diesen schon das Viertelfinalduell vermutlich Deutschland-Schweden lauten würde.

  • Japan – England und Nigeria – Mexiko (Mittwoch, 15 Uhr): die Gruppe C ist offen, und zwar sowas von offen. Das ist auch so ziemlich das einzige, was ich darüber weiß. Die Torverhältnisse sind so knapp, dass beide Spiele eine Art Achtelfinale darstellen. Die Engländerinnen liegen zwar im Moment formal noch hinten, aber die Torwartleistung beim Gegentor von Nigeria war doch nicht ganz so englisch, wie ich es in Erinnerung hatte, und da kann sich noch einiges bewegen. Zumindest England – Japan dürfte spannend werden, denn bei einem Unentschieden sind beide raus. Tippen lasse ich hier lieber bleiben.
  • Südkorea – USA (Mittwoch, 18 Uhr): hier werden die beiden Gruppenersten ausgespielt, was angesichts dessen, dass man gegen den Sieger der Gruppe C (offen, weit offen!), eher etwas von Würfeln hat. Dem Sieger winkt aber die exklusive Möglichkeit, erst im Finale gegen Deutschland verlieren zu müssen. Irgendwie bezweifle ich aber, dass das in deren Kalkül eine Rolle spielt. Mein Tipp ist dennoch Südkorea. Warum? Keine Ahnung.
  • Ghana – Schweiz (Mittwoch, 18 Uhr): Vermutlich hat der Schweizer Trainer eine Theoriesitzung abgehalten und erklärt, dass der Zweck dieses Spiels das Schießen von Toren ist, bevorzugterweise von mehr Toren als der Gegner. Bislang hat das nämlich so ziemlich exakt überhaupt gar nicht funktioniert, wie man hier sehen kann. 9 Kisten in zwei Spielen reingekriegt, und nach mehrmaligem Nachrechnen noch keines geschossen. Das ist eine dürftige Bilanz. Ausgeschieden sind de facto beide Mannschaften, denn Ghana müsste 7 Tore Differenz gutmachen, um noch eine Chance auf das Weiterkommen zu haben. Not gonna happen. Mein Tipp: die Eidgenössinnen berappeln sich und verabschieden sich mit einem würdigen Sieg aus dem Turnier.

Wer die Spiele sehen will: alle Spiele laufen live auf fifa.com – man muss nur ein bisschen suchen.

In normalen Fernsehen ist das Angebot weitgehend auf Eurosport 2 verschoben, denn in Frankreich wird nicht nur Rad gefahren, sondern auch die UEFA U19-Europameisterschaft der Männer ausgetragen.

Hier die Termine, die ich finden konnte:

  • Frankreich -Deutschland: live um 11:30 Uhr auf Eurosport 2, und als Aufzeichnung 17:30 Uhr und 23:30 Uhr auf Eurosport sowie um 21:00 Uhr auf Eurosport 2. Am Mittwoch dann nochmal auf Eurosport um 8:30 Uhr und 13:45 Uhr.
  • Costa Rica – Kolumbien: als Aufzeichnung um 13:30 Uhr auf Eurosport 2
  • Neuseeland – Brasilien: als Aufzeichnung um 16:30 Uhr und 22 Uhr auf Eurosport 2. Am Mittwoch dann nochmal um 12:45 Uhr auf Eurosport.
  • Nordkorea – Schweden: live um 14:30 Uhr auf Eurosport 2. Am Mittwoch dann als Aufzeichnung um 11:30 Uhr in Eurosport.
  • Japan – England: live um 15 Uhr auf Eurosport 2 und als Aufzeichnung um 17 Uhr auf Eurosport.
  • Nigeria – Mexiko: als Aufzeichnung um 17 Uhr auf Eurosport 2. Am Donnerstag dann nochmal um 11:30 Uhr auf Eurosport 2.
  • Südkorea – USA: erst am Donnerstag um 15:30 auf Eurosport 2.
  • Ghana – Schweiz: live um 18 Uhr auf Eurosport 2.

Die Aufzeichnungen sind meist gekürzt. Immerhin die Hälfte der Spiele läuft also live, aber es ist schon irgendwo schade, dass so ziemlich allem anderen mehr Bedeutung zugemessen wird. Wenn ich mir anschaue, dass das ehemalige DSF – jetzt als Sport1 bekannt – sein Programm mit Dauerwerbesendungen füllt, muss man aber froh sein, dass auf Eurosport immerhin noch so etwas wie Programm kommt.

Ich werde mir jedenfalls einige Teile ansehen und bin gespannt.

Deutschland – Kolumbien 3:1

Fast eine Woche, ohne ein Deutschlandspiel anzuschauen. Kaum auszuhalten. Im Rahmen meiner Plötzliche-Begeisterung-für-U20-Frauenfußball-Kampagne habe ich mich etwas ausstaffiert. Das Zeug lag schließlich noch herum. Nach 2 Minuten wurde mir zu warm, aber immerhin die Flagge hängt noch. Gerne hätte ich ja den Artikel mit einer Buntstiftehommage an Frédéric Valins brillante WM-Spielberichte begonnen, was aber schon an akutem Buntstiftemangel scheiterte. Also müsst ihr mit obigem grottigen Foto vorlieb nehmen. Deal with it!

In Sachen Blondheit steht das deutsche Team weit hinter dem schwedischen zurück. In sonst aber nichts. Man fühlte sich ein bisschen an die letzte WM vor einer Woche erinnert: schnelle Konter, schnelle Pässe nach vorne. So soll das sein.

Auch das erste Tor sollte sein – Alexandra Popp mit einer erstklassigen Aktion in die Ecke gezirkelt. Miro Klose und seinen Torinstinkt würde es freuen, wenn sie (anzunehmenderweise) nicht gerade am Strand herumsitzen würden.

Danach ging es aber schleppend weiter. Die Kolumbianerinnen hatten sogar mehr Ballbesitz. Etwas enttäuschend sind jedoch die Fans. Das Stadion war vielleicht zu 30% gefüllt – eine Menge bei so einem Grillwetter. Dass man aber trotz deutscher Übermacht nur die Kolumbianer „Colombia“ skandieren hörte und die Deutschen nur ein paar verirrte Vuvuzelas (vermutlich gerade am Krabbeltisch zu kriegen) entgegensetzen konnten: peinlich!

Nach der Pause ging es aber mit vollem Tempo weiter. Und zu jubeln gab es auch gleich – stark abseitsverdächtig, das Tor, aber die Fahne war unten. „Difficult to see from this angle“ sagt der Kommentator, der anscheinend fast alle Spiele kommentiert und dabei nur Aktionen bewertet, aber bei Aussprache der Spielernamen und Detailkenntnis der Mannschaften gewisse Schwächen zeigt. Der Satz zeigt einem aber mal, wie verwöhnt man mittlerweile ist: wie, nur ein Kamerawinkel?

Über Gerechtigkeit braucht man aber nicht zu streiten: wenige später kriegt Popp einen elfmeterreifen Ellbogencheck. Ungeahndet.

Eine Minute später war der Fall klar: Huth (Svenja, nicht Robert) macht das 3:0. Und da haben auch die Zuschauer begriffen, dass sie zum Krach machen da sind. Die Kolumbianerinnen schienen etwas hilflos, woran auch die Stürmerin mit dem tagesbesten Namen erstmals nichts ändern konnte: Lady.

Dann aber doch: in der 82. Minute schoss Melissa M. ein Tor.

Dabei blieb es auch. Nur eins fehlte: der Einwurfsalto.

Autokorso? Ne, ich mach mal lieber ein Bier auf.

Zweiter Spieltag

Ich habe heute beschlossen, mich ab sofort Frauenfußball zu interessieren, zumindest bis die U-20-WM der Frauen vorbei ist.

Es gibt nämlich einige schlagkräftige Gründe dafür:

  • Sowohl Deutschland als auch Schweden sind dabei, und wenn sie es nicht allzu blöd anstellen, treffen sie auch nicht vor dem Finale aufeinander.
  • Deutschland gewinnt meistens, aber nicht immer. Das erzeugt Spannung und verspricht Jubelmomente.
  • Die Stadien sind praktisch frei von Vuvuzelas (allerdings auch praktisch frei von Zuschauern).
  • Die Brasilianerinnen haben auch so lustige Namen wie ihre männlichen Kollegen, darunter solche wie Estergiane, aber auch unerwartete wie Ludmila.
  • Es gibt öfters spektakuläre Siege. Zumindest haben die Schweizerinnen mit einem 0:4 eine ziemliche Packung bekommen beim ersten Spieltag.
  • Wenn das Spiel schlecht ist, kann man sich immerhin noch am Anblick der Spielerinnen erfreuen.

Jedenfalls habe ich das Turnier zum Anlass genommen, die Wikipedia-Mannschaftsseiten zur WM für die Schwedinnen und die Schweizerinnen zu erstellen
Letztere sind irgendwie eine seltsame Truppe, denn die Mannschaft scheint weder oft zu spielen noch hat eine der Mädels mehr als ein Länderspiel absolviert, wenn man der Homepage des Schweizerischen Fussballverbandes Glauben schenken darf.

Ich fiebere jetzt bei Schweden gegen Brasilien (seit 15 Uhr) mit. Die können nämlich sich ins Viertelfinale und die Brasilianerinnen nach Hause schicken. Dass eine schwedische Fußballnationalmannschaft jemanden nach Hause schickt außer sich selbst kam jetzt in der letzten Zeit auch nicht oft vor.

Um 18 Uhr dann zuhause mit den deutschen Mädels, die Kolumbien zeigen werden, wo der Hammer hängt. Den Treffpunkt für den Autokorso gebe ich dann später durch.

Buchtipp: Christoph Borchelt – Überall ist Lönneberga

Mit Buchhinweisen habe ich bislang gemischte Erfahrungen. Davon lasse ich mich aber nicht abhalten, ab und zu einen neuen zu versuchen.

Gestern bin ich hierauf gestoßen: Christoph Borchelt hat ein Haus auf Öland, das er jedes Jahr besuchen muss, was er auch brav seit vielen Jahren tut. Er hat darüber ein Buch geschrieben, das „Überall ist Lönneberga“ heißt, vor gut einem Monat erschienen ist und dessen Beschreibung vielversprechend klingt.

Ob wirklich tiefere Einblicke in die schwedische Realität zu erhalten sind, wird nur der geneigte Leser herausfinden.

Sehr unterhaltsam ist es aber anscheinend, wie zumindest dieser Bericht von einer Lesung nahelegt.

Nach der WM ist während der WM

Es ist schon traurig. Da richtet der fraglos beliebteste, sympathischste und bescheidenste Weltfußballverband der Welt direkt nach der „großen“ Fußball-WM noch eine Weltmeisterschaft aus. Nein, nicht die im Sackhüpfen, sondern die U-20-Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen 2010. Und keiner guckt hin, obwohl sie optisch sogar noch mehr hermacht. Ich kann mir jedenfalls unangenehmeres vorstellen, als 22 Mädels unter 20 beim Fußballspielen zuzugucken.

Immerhin kommen die Spiele auf Eurosport, aber die Stadien sind praktisch leer. Eigentlich schade, dass sich bei Ticketpreisen ab teilweise 2,50€ kaum jemand findet, der ins Stadion kommt. Viel Hoffnung für die Frauen-WM nächstes Jahr macht mir das nicht.

Einen Ein-Mann-Autokorso werde ich wohl kaum veranstalten, aber ein bisschen reingucken schon. Immerhin machen die Mädels es ja wie die großen. Die Engländerinnern haben beim 1:1 gegen Nigeria das Gegentor jedenfalls durch einen grandiosen Torwartfehler bekommen.

Hochzeitsnachlese

Eine Woche sind sie nun verheiratet – wer, das braucht wohl nicht dazu gesagt zu werden. Es ist sehr schnell Normalität eingekehrt, auch wenn natürlich viel darüber gesprochen wurde.

Noch in der Nacht türmte das Brautpaar in einem Privatjet eines befreundeten Multimillionär Richtung Tahiti. So wird Öland dieses Jahr ohne den traditionellen Besuch Victorias zu deren Geburtstag auskommen müssen.

Neben dieser Nachricht ging es in den letzten Tagen um zwei Dinge: die Rede von Prinz Daniel und der Streit des schwedischen Fernsehens mit verschiedenen internationalen Nachrichtenagenturen.

Für die Rede wird Daniel hochgelobt, nicht nur für deren rhetorische Qualität und romantische Note, sondern auch für den fliegenden Wechsel von Englisch zu Schwedisch und zurück. Er hatte sich in den letzten Jahren für solche Aufgaben vorbereitet und wird dies wohl auch noch eine Weile weiter tun.

Dem kann ich eigentlich nur zustimmen. Die Rede war souverän, romantisch und sympathisch, womit er auch Zweifel an seiner Eignung als Repräsentant des Landes ausgeräumt haben dürfte.

Der Streit mit den Nachrichtenagenturen ist ein Nebenschauplatz, wenn auch nicht ein unwichtiger. Es war keine Übereinkunft über die Verwendung der Videoaufnahmen gefunden worden, so dass die Agenturen knallhart die Berichterstattung boykottierten, was mal eben so die umfangreichste PR-Veranstaltung für Schweden in der Welt seit langem torpedierte. So offen schrieben es teilweise auch die Kommentatoren. Das schwedische Fernsehen SVT ging in die Offensive und veröffentlichte die Vertragsbedingungen. Danach schien die Sache im Sande zu verlaufen.

Anschauen kann man die ganzen Videos auch so, wenn auch zeitlich begrenzt.

Seither ist offiziell Monarchiejubelstimmung angesagt. Ich hatte auch einen Popularitätsschub erwartet, aber habe mittlerweile so meine Zweifel. Eine Sache, die mich jedenfalls etwas stutzig macht, ist die Tatsache, dass die Einschaltquoten geringer waren als bei den alljährlichen TV-Hochämtern, der Donald-Duck-Weihnachtsfolge am Heiligabend und dem Finale des Melodifestivalen. Wenn das erste derartige Ereignis seit über 30 Jahren weniger Leute vor den Fernseher bringt als diese beiden Sendungen, dann ist das schon irgendwie seltsam. Möglich, dass die Sache die Kluft zwischen Monarchiegegnern und -befürwortern nur noch weiter vertieft hat.

Heute habe ich auch mal in die Berichterstattung der deutschen Sender hineingesehen, die natürlich vom royalen Fachsender ZDF federführend, sekundiert von längeren Übertragungen im NDR, durchgeführt wurde. Meine schlimmsten Befürchtungen scheinen sich zu bestätigen. Hanns-Joachim Friedrichs hat ja einmal folgenden Satz gesagt, den jeder Journalistikstudent seither hundertmal in sein Poesiealbum schreiben muss, bevor er ins zweite Semester darf:

Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache – auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazu gehört.

Daran gemessen scheinen die Sendungen ziemlich zweifelhaft zu sein. Es wimmelt nur so von Royal-Experten, die natürlich alle immer wiederholen, wie toll das doch alles sei. Stundenlange Dauerschwärmerei bis hin zu Äußerungen in der Art, das sei doch alles gar nicht so pompös gewesen und überhaupt waren die 2 Millionen Euro ein Schnäppchen, lassen dann doch die Distanz etwas vermissen. Wenn das nicht pompös gewesen sein soll, dann frage ich mich, was pompös ist. Ich kann mir auch nicht so ganz vorstellen, dass die Summe von 2 Millionen Euro alle direkten und indirekten Kosten abgedeckt haben soll, denn immerhin war das mit dem größten Polizeieinsatz der schwedischen Geschichte verbunden. Das mag ja trotzdem alles angemessen sein, aber derart unreflektiert daherzuschwärmen wird dem Thema nicht gerecht. Ich bin mir auch recht sicher, dass in all den Stunden Liveübertragung kein einziges Mal erwähnt wurde, dass die Popularität des Königshauses seit Jahren permanent sinkt. Das würde die schon durch einen Inga-Lindström-Film eingeleitete Schweden-Idylle ja nur trüben.

Ein öffentlich-rechtlicher Sender kann so ein Ereignis ja gerne begleiten, aber sollte sich dabei weniger vereinnahmen lassen.

WM-Gucken auf Schwedisch


Ausschnitt: TV4
Ich habe mich getäuscht: die WM findet in Schweden Aufmerksamkeit, und gar nicht mal wenig davon. Alle Partien werden frei empfangbar übertragen, und zwar auch per Livestream. Die Zeitungen kommentieren die Spiele zudem nicht zu knapp.

Es ist mittlerweile meine zweite WM hierzulande, und das dritte große Fußballturnier insgesamt. Schwedisches Fußballvokabular ist also nicht mehr vollkommen fremd, und auch nicht, dass die Kommentatoren mit großer Begeisterung jedes Tor bejubeln, obwohl ihr eigentliches Team in der Qualifikation gegen Dänemark und Portugal scheiterte.

Ein paar Besonderheiten fallen aber doch ins Auge. So lässt sich die Werbeindustrie durch nichts beirren und zeigt – wie vermutlich überall auf diesem Planeten – stark verstärkt Fußballwerbung, wobei man die (zwangsläufig in Südafrika abwesenden) schwedischen Fans gerne trotzdem zeigt. Als alter Media-Markt-Nerd ist für mich jedoch noch interessanter, dass „Media Markt“ den deutschstämmigen Fußballtrainer Peter Antoine reaktiviert hat und das erste Mal seit geraumer Zeit wieder eine Kampagne mit ihm fährt. Wie immer ist mit feinsinniger Kunst nicht zu rechnen, was ich dieses Mal sogar durch obiges Video illustrieren kann. Ich sollte unbedingt seine weiteren Werbespots sehen.

Ebenso augenfällig, aber sicherlich etwas mehr augengefällig ist die Expertenrunde des schwedischen Fernsehens. Die sieht nämlich öfters mal so aus:


Ausschnitt: SVT

Da müssen die Damen also nicht irgendwas von Reichsparteitagen daherfabulieren, um mal wahrgenommen zu werden. Sie werden sogar nach ihrer (Expertinnen-)Meinung gefragt. Man traut ihnen also zu, nicht nur Fußballer zu befragen, sondern sogar selbst etwas von Fußball zu verstehen. Das nenne ich mal Fortschritt. Demnächst dürfen Frauen vielleicht sogar wählen.

Das Spiel heute wird übrigens mittels modernster Technik in der Uni betrachtet. DVB-Stick an Verstärkerantenne gekoppelt, durch den Laptop an den Projektor angeschlossen – und als Backup Livestream über das WLAN. Vor 4 Jahren noch schwierig bis undenkbar.

Deutsche arbeiten weniger…

Heute morgen fand ich auf dem Frühstückstisch folgenden Artikel in der Zeitung Dagens Nyheter (DN) vor:

Ausriss: Dagens Nyheter

Die Deutschen arbeiten laut dieser Schlagzeile also am wenigsten in der EU. 38,1 freie Tage soll der gemeine Deutsche so haben, während es der EU-Durchschnitt lediglich auf 33 Tage bringe. Die Schweden liegen mit 36 Tagen auf Platz 4. Hier die ganze Liste (Angaben in Tagen):

  • Deutschland: 38,1
  • Italien: 37,1
  • Luxemburg: 37,1
  • Dänemark: 37,0
  • Schweden: 36,0
  • Portugal: 35,8
  • Malta: 35,0
  • Österreich: 34,9
  • Spanien: 34,5
  • Slowakei: 33,8
  • Tschechien: 33,3
  • EU-Durchschnitt: 33,0
  • Litauen: 33,0
  • Griechenland: 33,0
  • Finnland: 32,8
  • Irland: 32,2
  • Lettland: 32,0
  • Norwegen: 31,9
  • Frankreich: 31,5
  • Zypern: 31,4
  • Slowenien: 31,0
  • Bulgarien: 31,0
  • Großbritannien: 30,5
  • Polen: 30,0
  • Ungarn: 30,0
  • Niederlande: 29,6
  • Estland: 29,0
  • Belgien: 28,2
  • Rumänien: 28,0

Da frage ich mich natürlich: wie kommt man denn auf diese Idee? Das nicht nur, weil es zum deutschen Selbstverständnis gehört, dass man arbeitet bis man nicht mehr kriechen kann, was sich natürlich hervorragend in die große Nachkriegssaga vom Wirtschaftswunderland einfügt. Vielmehr bin ich überrascht, weil ich Schweden an der Spitze erwartet hätte. Schließlich nehmen die Schweden nicht selten über einen Monat am Stück im Sommer frei. An Brückentagen oder Tagen vor hohen Feiertagen wird wenn überhaupt nur eingeschränkt gearbeitet.

Eine wahrscheinliche Erklärung gibt der Bericht selbst. Eurofound, das diese genaue Statistik (die Genauigkeit wird sehr deutlich hervorgehoben) erstellt hat, hat die Zahl der Feiertage im Kalender genommen und den gewerkschaftlich ausgehandelten Urlaubsansprich hinzugefügt. Vermutlich hat man sich hier die Feiertagsstruktur genau angesehen – so ist Mittsommer immer an einem Samstag, und 1. Mai und Nationalfeiertag können durchaus auch mal am Wochenende liegen. Fronleichnam und Pfingstmontag hingegen sind eben immer unter der Woche. So gibt es in Deutschland bis zu 6 wochentagssichere Feiertage, in Schweden hingegen nur 4. Aber auch hier sollte man die Kirche im Dorf lassen. Schweden hat nämlich 10 gesetzliche Feiertage. 9 der 16 Bundesländer haben aber auch nur 9 oder 10 Feiertage. Selbst wenn man nach Bevölkerungsmengen gewichtet, kommt man auf im Schnitt 10,9 Feiertage in Deutschland.

Damit wäre also mindestens die Hälfte der 2,1 Tage Differenz erklärt. Und die andere Hälfte? Hier wird es schwammig, denn Schweden hat anscheinend keinen gesetzlich vorgeschriebenen Mindesturlaubsanspruch. Meine Erklärung ist, dass die in deutschen Tarifverträgen ausgehandelten Urlaubsansprüche wohl leicht umfänglicher sind als die in den schwedischen.

Bei der geradezu unheimlichen Stärke der schwedischen Gewerkschaften ein überraschender Schluss, der aber nicht einer gewissen Logik entbehrt. Denn ich sehe bei der ganzen Sache zwei Knackpunkte:

  1. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist in Deutschland anzunehmenderweise weit geringer als in Schweden. Während hier selbst jede Imbissbude mit geradezu erpressungsartigen Methoden in die Tarifverträge gezwungen werden, sind weite Teile des deutschen Mittelstandes bestenfalls in Form eines Betriebsrats organisiert. Tarifverträge dürfte dort nur eine untergeordnete Rolle spielen.
  2. Arbeitstag ist nicht gleich Arbeitszeit. Das allgemein übliche Kaffeetrinken hierzulande („fika“), das sich anscheinend am Tag gerne mal auf 2×30 Minuten summiert, würde einen deutschen Chef auf die Palme bringen. Zudem sind Arbeitszeiteinschränkungen, um z.B. Kinder vom Kindergarten abzuholen, hierzulande weitaus üblicher als in Deutschland, wie mir scheint.

Die Verallgemeinerung von tariflich festgelegten Arbeitstagen zur allgemeinen Arbeitszeit der Bevölkerung scheint mir also nur bedingt möglich.

Die Fakten des Artikels scheinen also zu stimmen – die Überschrift hingegen ist irreführend.

Nachtrag 14:13 Uhr: Ich habe mich an die Autorin des Artikels gewandt und meine Einwände gegenüber der Überschrift dargelegt. Sie hat mittlerweile geantwortet und ist meiner Meinung. Sie hat sich schon beim Redakteur beschwert, der die Überschrift ausgewählt hat.
Nachtrag 15:25 Uhr: Wie ich gerade vernommen habe, sagt Eurofound, dass die Zahlen von letztem Jahr sind und nur sagen, wieviele Tage frei sind, nicht wieviele Stunden wirklich gearbeitet werden. Ein neuer Bericht mit mehr Details soll in den nächsten Wochen kommen.

Baden-Württemberg hat gewählt…

Wie weite Teile der Nation lässt auch mich der Abgang von Bundespräsident Köhler nicht kalt. Und schon gar nicht die Wahl seines Nachfolgers.

Ob Rau, Schipanski, Herzog oder Schwan war mir eigentlich ziemlich Banane – die haben bzw. hätten alle passable Amtsinhaber abgegeben. Dieses Mal jedoch ist recht klar, dass der Favorit der schlechtere Kandidat ist. Ein 100%iger Parteimann soll es werden anstatt eines honorigen Bürgerrechtlers, der für alle Seiten wählbar wäre. Das dazu noch in Zeiten allgemeiner Parteienverdrossenheit.

Deswegen bin ich natürlich auch begeistert davon, dass sich im Netz eine Bewegung formiert, um vielleicht ein paar Wahlmänner zu bewegen.

Gestern hat der Landtag von Baden-Württemberg seine Wahlmänner für die Bundesversammlung gewählt. Es ist wieder einmal ein Armutszeugnis für die Internetarbeit von Fraktionen und Landtag, denn nur zwei der vier Fraktionen haben ihre Kandidatenlisten im Netz veröffentlicht. Der Landtag selbst hält es auch nicht für nötig, die Listen zu publizieren.

Also habe ich selbst gewühlt, und hier ist das, was ich bislang gefunden habe (werde ich fortlaufend aktualisieren):

Wem die Frage auch am Herzen liegt, kann ja gerne einen oder mehrere der Wahlmänner anschreiben und ihnen mitteilen, was er als einfacher Bürger gerne für einen Präsidenten hätte und warum.

Nachtrag 11:56 Uhr: Anscheinend wurden bislang nur die Kandidatenlisten aufgestellt. Die formelle Wahl wird erst morgen sein. Vielleicht werden dann auch noch die restlichen Kandidaten veröffentlicht.
Nachtrag 20:52 Uhr: Mittlerweile haben auch CDU und Grüne ihre Listen veröffentlicht.