Deutsche arbeiten weniger…

Heute morgen fand ich auf dem Frühstückstisch folgenden Artikel in der Zeitung Dagens Nyheter (DN) vor:

Ausriss: Dagens Nyheter

Die Deutschen arbeiten laut dieser Schlagzeile also am wenigsten in der EU. 38,1 freie Tage soll der gemeine Deutsche so haben, während es der EU-Durchschnitt lediglich auf 33 Tage bringe. Die Schweden liegen mit 36 Tagen auf Platz 4. Hier die ganze Liste (Angaben in Tagen):

  • Deutschland: 38,1
  • Italien: 37,1
  • Luxemburg: 37,1
  • Dänemark: 37,0
  • Schweden: 36,0
  • Portugal: 35,8
  • Malta: 35,0
  • Österreich: 34,9
  • Spanien: 34,5
  • Slowakei: 33,8
  • Tschechien: 33,3
  • EU-Durchschnitt: 33,0
  • Litauen: 33,0
  • Griechenland: 33,0
  • Finnland: 32,8
  • Irland: 32,2
  • Lettland: 32,0
  • Norwegen: 31,9
  • Frankreich: 31,5
  • Zypern: 31,4
  • Slowenien: 31,0
  • Bulgarien: 31,0
  • Großbritannien: 30,5
  • Polen: 30,0
  • Ungarn: 30,0
  • Niederlande: 29,6
  • Estland: 29,0
  • Belgien: 28,2
  • Rumänien: 28,0

Da frage ich mich natürlich: wie kommt man denn auf diese Idee? Das nicht nur, weil es zum deutschen Selbstverständnis gehört, dass man arbeitet bis man nicht mehr kriechen kann, was sich natürlich hervorragend in die große Nachkriegssaga vom Wirtschaftswunderland einfügt. Vielmehr bin ich überrascht, weil ich Schweden an der Spitze erwartet hätte. Schließlich nehmen die Schweden nicht selten über einen Monat am Stück im Sommer frei. An Brückentagen oder Tagen vor hohen Feiertagen wird wenn überhaupt nur eingeschränkt gearbeitet.

Eine wahrscheinliche Erklärung gibt der Bericht selbst. Eurofound, das diese genaue Statistik (die Genauigkeit wird sehr deutlich hervorgehoben) erstellt hat, hat die Zahl der Feiertage im Kalender genommen und den gewerkschaftlich ausgehandelten Urlaubsansprich hinzugefügt. Vermutlich hat man sich hier die Feiertagsstruktur genau angesehen – so ist Mittsommer immer an einem Samstag, und 1. Mai und Nationalfeiertag können durchaus auch mal am Wochenende liegen. Fronleichnam und Pfingstmontag hingegen sind eben immer unter der Woche. So gibt es in Deutschland bis zu 6 wochentagssichere Feiertage, in Schweden hingegen nur 4. Aber auch hier sollte man die Kirche im Dorf lassen. Schweden hat nämlich 10 gesetzliche Feiertage. 9 der 16 Bundesländer haben aber auch nur 9 oder 10 Feiertage. Selbst wenn man nach Bevölkerungsmengen gewichtet, kommt man auf im Schnitt 10,9 Feiertage in Deutschland.

Damit wäre also mindestens die Hälfte der 2,1 Tage Differenz erklärt. Und die andere Hälfte? Hier wird es schwammig, denn Schweden hat anscheinend keinen gesetzlich vorgeschriebenen Mindesturlaubsanspruch. Meine Erklärung ist, dass die in deutschen Tarifverträgen ausgehandelten Urlaubsansprüche wohl leicht umfänglicher sind als die in den schwedischen.

Bei der geradezu unheimlichen Stärke der schwedischen Gewerkschaften ein überraschender Schluss, der aber nicht einer gewissen Logik entbehrt. Denn ich sehe bei der ganzen Sache zwei Knackpunkte:

  1. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist in Deutschland anzunehmenderweise weit geringer als in Schweden. Während hier selbst jede Imbissbude mit geradezu erpressungsartigen Methoden in die Tarifverträge gezwungen werden, sind weite Teile des deutschen Mittelstandes bestenfalls in Form eines Betriebsrats organisiert. Tarifverträge dürfte dort nur eine untergeordnete Rolle spielen.
  2. Arbeitstag ist nicht gleich Arbeitszeit. Das allgemein übliche Kaffeetrinken hierzulande („fika“), das sich anscheinend am Tag gerne mal auf 2×30 Minuten summiert, würde einen deutschen Chef auf die Palme bringen. Zudem sind Arbeitszeiteinschränkungen, um z.B. Kinder vom Kindergarten abzuholen, hierzulande weitaus üblicher als in Deutschland, wie mir scheint.

Die Verallgemeinerung von tariflich festgelegten Arbeitstagen zur allgemeinen Arbeitszeit der Bevölkerung scheint mir also nur bedingt möglich.

Die Fakten des Artikels scheinen also zu stimmen – die Überschrift hingegen ist irreführend.

Nachtrag 14:13 Uhr: Ich habe mich an die Autorin des Artikels gewandt und meine Einwände gegenüber der Überschrift dargelegt. Sie hat mittlerweile geantwortet und ist meiner Meinung. Sie hat sich schon beim Redakteur beschwert, der die Überschrift ausgewählt hat.
Nachtrag 15:25 Uhr: Wie ich gerade vernommen habe, sagt Eurofound, dass die Zahlen von letztem Jahr sind und nur sagen, wieviele Tage frei sind, nicht wieviele Stunden wirklich gearbeitet werden. Ein neuer Bericht mit mehr Details soll in den nächsten Wochen kommen.

Frohe Pfingsten

Am Freitag wurde mir von einer Freundin Frohe Pfingsten gewünscht. Ich war überrascht – nicht wegen des Wunsches, sondern von der Tatsache, dass Pfingsten ist.

Schweden hat den Pfingstmontag als Feiertag im Jahr 2005 abgeschafft. Seither ist stattdessen der Nationalfeiertag am 6. Juni arbeitsfrei.

Dementsprechend ist dieses Fest im schwedischen öffentlichen Leben ähnlich bedeutend wie der „Schnitzel und Blowjob Tag“. Hätte man mich nicht darauf hingewiesen, wäre es mir vermutlich gar nicht aufgefallen.

Einen Nachteil hat diese Feiertagsumstrukturierung: der Pfingstmontag fällt mit ziemlich großer Sicherheit auf einen Montag. Der 6. Juni hingegen landet durchaus auch mal auf einem Sonntag – so auch dieses Jahr.

Mein Furor ob dieser Arbeitszeitverlängerung hält sich aber in Grenzen. Hand aufs Herz: wer weiß schon, um was es bei Pfingsten eigentlich geht? Ich selbst wüsste auf Anhieb auch nur, dass es irgendwas mit Aposteln zu tun hat. Meine spirituelle Beeinträchtigung kann ich hier also gerade noch so verkraften.

Zudem wurde damals bei der Umstellung die Arbeitgeber angehalten, die im Schnitt 2 Stunden 17 Minuten längere Arbeitszeit anderweitig auszugleichen. Schweden pflegt ohnehin einen recht legeren Umgang mit Feiertagen. Brückentage sind oft ganz frei, und an Tagen vor Feiertagen wird auch meist nur eingeschränkt gearbeitet, wenn überhaupt. Da kommt es auf den einen Tag, der gelegentlich ausfällt, auch nicht mehr wirklich an.

Trotzdem: allen Lesern noch ein schönes Restpfingsten.