Vintern är långt ifrån över

Ausriss: Google Desktop

Ich habe heute morgen gleich ein Foto von unserem Thermometer gemacht, das aber zuhause geblieben ist. -22°C zeigte es. Das ist der bislang kälteste Tag in 4,5 Jahren Schweden.

Es gilt heute die Empfehlung, zuhause zu bleiben, wenn man kann. Ich kann nicht, und so habe ich mich herausgewagt. Die südliche Querspange Södra Länken war gesperrt. In Gegenrichtung war eine Schilderbrücke heruntergekommen, weswegen eine Totalsperrung bestand. Der Bus war trotzdem einigermaßen pünktlich, bis er sich zwei Haltestellen vor dem Ziel festfuhr. Irgendwie kam es mir so vor, als würde die Fahrerin gegen die Handbremse anfahren, aber das wäre so dämlich, dass es unwahrscheinlich ist, und düpieren wollte ich sie schon zweimal nicht. Also durften wir in einen folgenden Bus umsteigen. Die U-Bahn war voll, aber es ging.

Dennoch ist die Situation extrem. Nahezu alle oberirdischen Teile der U-Bahn sind komplett wegen Vereisung eingestellt. Die Innenstadtbusse wurden für den Schienenersatzverkehr abgezogen. Ähnliches gilt für einige andere Bahnen.

Da mutet es schon fast wie Realsatire an, dass ich gestern Verstärkungsverkehr für die Linie 47 fahren durfte, auf der naturgemäß wenig Bedarf bestand, denn an einem solchen Wochenende verirren sich nicht viele Leute nach Djurgården. So fuhr ich oft fast leer. Meine wahre Freude hatte ich mit den Bussen. Der erste, ein nagelneuer Bus mit weniger als 40.000 km (= gar nichts) hatte ein fast schon bizarres Türenproblem, das ich neulich schon einmal in einem solchen Gefährt hatte – offenkundig verträgt die Elektronik die Kälte nicht. Ich konnte die Türen nur öffnen, nachdem ich den Motor abgestellt hatte. Erst nach zweimaligem Neustart des Motors konnte ich wieder losfahren. Dafür bekam ich einen Ersatzbus, dessen Traktionskontrolle mich in den Wahnsinn trieb.

Immerhin bin ich bei der ganzen Sache unfallfrei geblieben – und das ist eine Menge wert in diesen Tagen.

Ganz in weiß

Ausriss: DN

Selten lassen mich Fotos in der Zeitung kurz innehalten. Dieses jedoch schon – man kann wohl kaum anschaulicher machen, wie weiß Skandinavien derzeit ist. Dummerweise wird das in Deutschland keinen Eindruck schinden können. Man bedenke aber: so ähnlich sieht es hier jedes Jahr über zwei Monate lang aus.

Bisschen frisch

Thomas hat schon vor einigen Tagen vollkommen korrekt angemerkt: es ist ein bisschen frisch draußen. Meine Temperaturanzeige im Browser verkündet -17°C, was immer noch etwas über den kältesten Tagen der letzten Zeit liegt.

Mein Auto findet das nicht gut. Nicht nur, dass die Türen nicht mehr so richtig aufgehen wollen. Auch die Batterie streikte am Tag vor Silvester. Nicht einmal die Kilometerstandsanzeige funktionierte noch. Und mein nagelneues Ladegerät auch nicht, weswegen ich mit dem Taxi kurz vor Ladenschluss noch zu Biltema hetzte, um ein anderes zu kaufen. Das tat dann seinen Dienst, und die Batterie erholte sich auch wieder.

Trotz dieser Beschwerlichkeiten ist dies irgendwie eine tolle Jahreszeit. Der Schnee ist frisch, und beim Neujahrsspaziergang schienen sich ausnahmsweise alle Schwedenklischees zu erfüllen (siehe oben). Die Kälte macht auch bemerkenswert wenig aus. Ob -5°C oder -15°C macht im trockenen Klima hier kaum einen Unterschied.

Dummerweise weiß man, dass dieser Schnee lange liegen bleiben wird und es bald bei weitem nicht mehr so schön sein wird.

Interessanterweise friere ich in der Wohnung mehr als draußen, was vielleicht auch daran liegen könnte, dass ich versucht habe, mich den ganzen Herbst für die Kälte etwas abzuhärten.

Derzeit könnte ich zur Abhilfe einen Heizlüfter anschließen, denn noch zahle ich meine Miete warm. Anscheinend in einem Anflug von sozialistischem Idealismus plante man vor rund 40 Jahren Wohnung noch ohne eigene Stromzähler. Die Solidaritätsgemeinschaft der Mieter sollte die Stromkosten wohl gemeinsam decken, und das soll sie bis heute.

Leider haben sich auf der Welt aber nicht alle lieb, und die Großzügigkeit der Gemeinschaft befördert vielfach den Egoismus des Einzelnen. Bislang kann jeder alle Elektrogeräte nach Belieben laufen lassen, denn die Gemeinschaft trägt ja dieses Verhalten mit.

Offenbar hat man die Schwäche dieses Konzepts eingesehen. Vor einem Jahr, als ich hier einzog, fand eine Mieterversammlung statt, in der über die bald anstehende Installation von Stromzählern berichtet wurde. Groteskerweise machten sich die meisten Mieter Sorgen darüber, dass jemand illegal ihren Strom anzapfen könnte und dann auf ihre Kosten lebt. Keinem schien einzufallen, dass dies manche vielleicht jetzt auch schon tun, nur vollkommen legal und zum Schaden aller.

Ganz so bald war dann der Wechsel dann doch nicht. Nächste Woche, also 13 Monate später, soll der Stromzähler kommen, und so kommt im Winter auch der Teilwechsel von Warm- zu Kaltmiete.

Teilweise deswegen, weil die Heizung davon unabhängig bleibt. In den Häusern dieser Generation scheint es üblich zu sein, dass der Vermieter bestimmt, welche Temperatur zu herrschen hat. Immerhin ist darin wenig Missbrauchspotential seitens der Mieter enthalten. Wir haben die Heizung immer auf 100% stehen, was im Allgemeinen genau Zimmertemperatur entspricht.

Mit der Einführung des Stromzählers wird die Miete natürlich gesenkt – und wir sind vorbereitet. Stromsparlampen haben wir schon in den meisten Teilen der Wohnung. Gestern habe ich die verbleibenden Geräte überprüft. Der Fernseher verbraucht überraschend nur 60 Watt. Die unscheinbare Stehlampe hingegen unglaubliche 140 Watt, was immer noch 10 Watt unter dem ist, was die Birne verkündet. Ähnlich dreist ist auch der Digitalreceiver fürs Kabelfernsehen: 6 Watt im Standby, 7 Watt im Betrieb. Nicht viel, aber man muss sich schon fragen, für was dann ein Standby-Modus gut sein soll. Insbesondere, weil der Receiver trotzdem mehrere Sekunden braucht, um anzuspringen.

Die letzten Optimierungen sind vorgenommen.

Die Frage ist nur: werden wir irgendwas sparen?

Schwedischer Schilderklassiker

Spiegel Online hat entdeckt, dass es in Schweden auch noch andere Schilder gibt außer den berühmten, die auf Elche hinweisen. Letztere sind übrigens dafür bekannt, dass sie gerne von deutschen Touristen geklaut werden. Ersteren wird dies hoffentlich erspart bleiben, auch wenn mir die Wahrscheinlichkeit, wirklich auf diese Art in einem Aufzug zu sterben, geringer scheint als die, bei einer Kollision mit einem Elch umzukommen. Allerdings habe ich auch nach 4 Jahren in diesem Land immer noch keinen in freier Natur gesehen.

Aus und vorbei – der gestrige Målkalas

Der Stadionsprecher bemühte sich erst gar nicht, falsche Hoffnungen zu wecken. Das wäre auch gegenüber 25000 Zuschauern, die sich engagiert den Hintern abfroren, nicht fair gewesen.

Schweden war draußen, und dass ausgerechnet Malta (0 Tore, ein Unentschieden) bei dem Spiel gegen Portugal das Glück mit einem Unentschieden oder gar einem Sieg noch wenden würde, war doch sehr unwahrscheinlich. Trotzdem sollte man nichts unversucht lassen, d.h. gegen Albanien gewinnen.

Und das taten die Zlatan & Co. mit einem Målkalas, also einem Schützenfest. 4:1 sagen die Statistiken. Im Stadio sah das etwas anders aus – zwei der Tore waren mehr Glück als spielerisches Können. Die Schweden standen mehr als ein halbes dutzend mal im Abseits, und wie kläglich da zahlreiche Angriffe wegen gravierender Mängel im Passspiel sowie unnötigen und zeitraubenden Querpässen scheiterte, sagen die Zahlen auch nicht.

Die Mannschaft scheint mir zu alt, und schon bei den letzten beiden Meisterschaften waren die Ergebnisse nur mittelprächtig. Zudem wäre es in der Relegation gegen Russland, Frankreich, Griechenland oder die Ukraine gegangen, was auch nur mit einigem Glück geklappt hätte.

So gerne ich nächstes Jahr auch für Schweden mitgefiebert hätte – die Auszeit ist wohl notwendig und verdient. Spaß gemacht hat das gestern abend trotzdem irgendwie.

Herbst

Heute morgen sah ich die ersten freigekratzten Scheiben. Vor wenigen Tagen konnte ich noch kurze Hosen tragen. Dies ist nun auch vorbei. Viele Bäume sind noch grün, aber eine Tendenz Richtung braun ist nicht mehr zu verleugnen.

Der Herbst ist da, ein goldener zwar, aber schon bald wird hier die Nacht dominieren.

Passend dazu habe ich das Herbstdesign für die Seite aktiviert.

A ferry tale

Man kann es erahnen: ich war im Urlaub.

Wie ich vor einiger Zeit erfahren musste, stirbt man früher, wenn man nicht vier Wochen am Stück Urlaub im Jahr hat. Dreißig Prozent der Einwohner Schwedens müssen unter solchen vermeintlich unwürdigen Umständen leben. Aus deutscher Sicht wirkt sie grotesk.

Nun, auch ich muss mit einem frühen Tod rechnen, denn ich habe nur zwei Wochen Urlaub gehabt, und erholsam waren sie nicht unbedingt – aber gut.

Wegen einer wichtigen Familienfeier, zu der meine Freundin nach Leipzig musste, hatten wir ein großes Programm zusammengestellt, das wir komplett mit dem Auto bzw. Fähre absolvierten:

  • Nach Nynäshamn, einer Stadt am südlichsten Ende der Region Stockholm (73 km). Ab dort fährt eine Fähre der polnischen Gesellschaft Polferries nach Danzig. Das hatte schlicht den Vorteil, dass wir zu Beginn wenig fahren mussten. Von der Fähre hatte ich mir nicht viel versprochen – die Baltivia ist nicht gerade das neueste Schiff, und schnell wurde auch klar, wer das Stammklientel darstellt: zuallererst polnische Gastarbeiter in Schweden und Lkw-Fahrer. Dementsprechend gab es an Bord wenige Familien und das Ambiente war schlicht. Uns hatte man mit dem Hinweis, Zwei-Bett-Kabinen seien ausgebucht, eine teurere Drei-Bett-Kabine gegeben. Allerdings musste ich feststellen, dass es Zwei-Bett-Kabinen entweder gar nicht oder nur in sehr geringer Zahl gab. Etwas ärgerlich war auch, dass man trotz noch an Land erhaltener Bordkarte nochmals an der Rezeption an Bord einchecken musste, um in die Kabine zu gelangen. Zudem roch das Bad dort ziemlich streng. Die Freizeitangebote an Bord waren ausgesprochen bescheiden. Der Bordshop war klein und hatte nur wenige Stunden am Morgen geöffnet. Die Cafeteria war das einzige Restaurant an Bord und servierte reichlich matschige und fettige Speisen. Das Frühstück war allerdings in Ordnung. Wir verbrachten die meiste Zeit der 19 Stunden an Bord mit Lesen und Schlafen, denn viele Alternativen hätte es ohnehin nicht gegeben. Einzig die weite Strecke rechtfertigte den Fahrtpreis von gut 300 €. In Danzig checkten wir nach einer kleinen Irrfahrt (Navi hielt Fußgängerbrücke für Straße) ins Hotel ein und gingen in die Stadt. Sehr schön. Eine Schiffsfahrt zur Westerplatte und zurück gönnten wir uns auch noch. Das Hotel La Petite kann man nur empfehlen – freundliches Personal, guter Preis, gutes Frühstück, saubere moderne Zimmer mit Fernseher, großes Bad, ein kleiner Parkplatz draußen und die Innenstadt ca. 30 Minuten zu Fuß weg.
  • Am nächsten Morgen dann weiter von Danzig nach Bad Muskau (548 km). Wir wussten vorher schon, dass das eine lange Fahrt werden würde, denn Polen hat praktisch keine Autobahnen. Unser neues Navigationssystem (Garmin Nüvi 205T) interpretierte das wohl so, dass alle Landstraßen ja gleich sind und folglich der kürzeste Weg der beste sein müsse. Wir landeten teilweise in der tiefsten Provinz, weitab von den größeren Verkehrswegen, die wir normalerweise genommen hätten. So haben wir viel von Polen gesehn, u.a. zahlreiche Störche, aber auch das waghalsige Verhalten polnischer Autofahrer. Wenn man in einem Land mit Landstraßen lebt, hat man offenkundig viel Zeit, Überholmanöver zu üben. Bad Muskau liegt direkt an der polnischen Grenze und ist nahezu umgeben vom Fürst-Pückler-Park, der mittlerweile zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört und durch dessen Mitte die Neiße fließt, wodurch der Park halb in Polen, halb in Deutschland liegt. Neben den schönen Parkanlagen fand ich vor allem diese Grenze interessant. Nicht nur, weil man sie unkontrolliert überqueren kann, sondern der annähernd orientalische Markt auf der polnischen Seite. Da werden in Wellblechhütten unter Beschallung mit billigstem deutschen Schlager allerlei Waren angeboten, an deren Qualität man zweifeln kann, die aber auf alle Fälle in harten Euros ausgezeichnet sind. Das Ganze ist so eng bebaut, dass dort permanenter Verkehrsstau, insbesondere vor der Tankstelle, zu herrschen scheint.
  • Weiter nach Leipzig (236 km). Dort schöne 4 Tage mit Bowling, Familienfesten und Stadtführung.
  • Über das malerische Städtchen Greiz in Thüringen zu meinen Eltern nach Rastatt (592 km). Dort dann ein paar Tage in der Umgebung verbracht, wobei die Schwarzwälder Kirschtorte am Mummelsee eine herbe Enttäuschung war – Boden angebrannt, Sahne alt. Da das vormalige Mummelsee-Hotel vor einem Jahr abgebrannt ist, muss man das wohl den Umständen der provisorischen Bewirtung zuschreiben. Die Tage nutzten wir auch, das Auto auf Vordermann zu bringen – es hat jetzt einen neuen Kotflügel und eine neue Tür. Insofern war die Abwrackprämie ausnahmsweise zu irgendwas gut.
  • Dann weiter nach Norderstedt (676 km) – wobei die Streckenangabe hier reine Makulatur ist. Die anvisierten 6 Stunden Fahrt verdoppelten sich staubedingt auf 12 Stunden, was in erster Linie einer Vollsperrung der A7 bei Göttingen geschuldet war. Deren Ursache bleibt im Dunkeln, denn sie schien vorbereitet gewesen zu sein. Mangels Vertrauen in unser Navigationssystem fuhren wir zu früh wieder auf die Autobahn, was mehrere Stunden kostete. Immerhin konnten wir noch einen guten halben Tag in Hamburg verbringen.
  • Zur Fähre nach Lübeck-Travemünde (82 km) – wir hatten im Vorfeld beschlossen, auch auf dem Rückweg eine der größeren Fähren zu nehmen, da wir so noch länger in Hamburg bleiben konnten. Die Nacht würde zwar kurz sein, denn Abfahrt ist um 22 Uhr und Ankunft schon um 7 Uhr. Die Fährgesellschaft Nordö-Link meinte, wir sollten spätestens 2 Stunden vor Abfahrt dort sein. Nach den Erfahrungen vom Vortag planten wir großzügige Reserven ein – umso ärgerlicher, dass der Check-In 2 Stunden vor Abfahrt noch nicht einmal begonnen hatte, und als er dann begann, doch sehr gemächlich vor sich ging. An Bord war das Unterhaltungsangebot auch nicht viel größer als auf der ersten Fähre, was aber angesichts der späten Abfahrt kaum eine Rolle spielte. Das Erstaunlichste war jedoch unsere Kabine – die hatte ca. 20 Quadratmeter und 4 Betten, obwohl wir nur zu zweit waren. Den im Informationsmaterial erwähnten Fernseher gab es nicht, aber interessanter- und eigentlich auch unnötigerweise eine Minibar. Das Frühstück hatten wir dazu gebucht – man musste freilich schon um 6 Uhr morgens beginnen, denn die Fähre kam pünktlich an. Sollte ich das nochmal machen, werde ich dazu eine Kamera mitnehmen, denn man fährt währenddessen unter der Öresundbrücke hindurch. Die 200 € für die Fahrt sind nur auf den ersten Blick teuer, denn die Fähre Puttgarden-Rödby und die Öresundbrücke hätten zusammen rund 100 € gekostet. Wenn man dann noch Spritkosten und den Service einer Nacht mit Frühstück an Bord einrechnet, dann schmilzt der Preisunterschied stark zusammen – dass man ausgeruht in Schweden ankommt, wiegt es letztendlich ganz auf.
  • Nach einem Brotkauf in der deutschen Bäckerei im Hauptbahnhof von Malmö (hatten wir in Deutschland vergessen) ging es auf den letzten Abschnitt nach Hause (632 km).

Alles in allem also alleine auf diesen Wegen über 2800 km. Mit den ganzen Fahrten dazwischen landeten wir bei weit über 3000 km. Das kann man nicht jedes Jahr machen – dementsprechend war das Auto mit deutschen Leckereien beladen.

Neues im Auswandererguide

Lange versprochen und geplant, laufen heute endlich wieder ein paar neue Folgen des Auswandererguides vom Stapel. Dieses Mal geht es um das Studium in Schweden: Anerkennung, Schulsystem, Finanzierung etc. Aus den Erfahrungen der vorangegangenen Teile habe ich nicht versucht, alles auf eine Seite zu packen.

Stattdessen sind es fünf Teile geworden:

Wie immer sind Kommentare, Ergänzungen und Korrekturen herzlich willkommen.

Von Zensurursala und den Schwächen der Polemik

Vieles ist in der Blogosphäre über die Internetsperren in Deutschland geschrieben worden. Dementsprechend möchte ich nicht mehr die schon geschlagene Schlacht schlagen, aber vielleicht etwas einen schwedischen Blickwinkel einfließen lassen. Hierzulande gibt es nämlich solche Sperren schon seit einigen Jahren. Aus meiner Sicht bringen sich nichts, aber schaden auch nicht – da ersteres weit schwerer wiegt, sollte man sie abschaffen.

Ein Argument der Sperrengegner ist ja, dass die meisten gesperrten Seiten im Ausland gar keine Kinderpornographie enthielten – ja dass sogar politisch missliebiges gesperrt werde. Hier ist beispielsweise die Liste aus Finnland, und die enthält in der Tat kaum nachweisliche Kinderpornographie. Jedoch vergessen die Gegner dabei eines vollkommen: nur weil dort heute keine Kinderpornographie zu sehen ist, heißt das noch lange nicht, dass dies zum Zeitpunkt der Sperrung auch so war. Zudem unterstellen sie hier indirekt, dass man Kinderpornographie und „normale“ Pornographie klar unterscheiden könne. Dies ist jedoch nicht der Fall, denn das Alter einer Person lässt sich an einer Abbildung nicht eindeutig ersehen – was besonders ein Problem darstellt, wenn eine Branche von der pornographischen Darstellung junger Frauen als unschuldigen Mädchen lebt. Die Grenzen sind hierbei fließend, insbesondere bei den Massen amateurhaft produzierten Materials.
Die finnische Liste mag also derzeit 84% „normale“ Pornographie enthalten, was aber nicht automatisch heißt, dass dies immer so war. Die Behauptung, es sei ein Beweis dafür, dass man willkürlich Seiten sperre, ist auf dieser Datenbasis zumindest irreführend. Zudem ist die Hauptbefürchtung nicht bewiesen, denn politisch brisantes Material konnte ich auf der Liste nicht finden. Aber: es illustriert, dass ein solches System ohne sehr häufige Kontrollen der Listen nicht akkurat sperren kann. Wenn wie in Deutschland nur alle 3 Monate eine vom Bundesdatenschutzbeauftragten eingesetztes Expertengremium über die Listen urteilt, wird es so sein, dass zahlreiche Seiten ungerechtfertigt über Wochen und Monate gesperrt sind. Das ganze Verfahren steht bedenklich außerhalb der rechtsstaatlichen Strukturen.

In diesem Zeit-Streitgespräch sagt Ursula von der Leyen:

Aus den skandinavischen Ländern wissen wir, dass in Norwegen am Tag rund 15.000 Klicks auf diese Seiten geblockt werden; in Schweden sind es rund 50.000 Klicks. Ich glaube, es ist eine müßige Diskussion, hier zu behaupten, es gäbe keinen Bedarf, Kinderpornografie im Internet zu bekämpfen.

Sie unterstellt also diesen 50.000 schwedischen Klickern, dass sie in die Sperre geraten sind, weil sie auf der Suche nach Kinderpornographie waren. Da ein erheblicher Anteil der gesperrten Seiten solche Inhalte „regulär“ nicht verbreitet, ist eher anzunehmen, dass die Suchenden nicht auf Kinderpornographie aus waren. „Normale“ Pornographie dürfte unverändert zu den gefragtesten Internetangeboten überhaupt gehören, und dass sich dann ein paar zehntausend Klicks auf solche zu Unrecht gesperrten Seiten verirren, dann ist das noch kein Beweis dafür, dass genauso viele Leute nach Kinderpornographie suchen. Außerdem hat dieses Argument etwas davon, dass man Straßen verbieten sollte, weil darauf jemand nach Drogendealern suchen könnte.

Man kann nur hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht die ganze Sache gerade rückt.

Etwas angewidert bin ich von Jörg Tauss (hier der Anlass dieser Anmerkung). Er hat in vielem ja recht, sehr recht sogar. In der Tat ist der Internetverständnis der Abgeordneten doch eher gering. An den Reaktionen auf Onlinepetitionen kann man sehen, dass die Politik vielfach glaubt, solche Partizipationsmöglichkeiten seien bestenfalls noch ein Anlass mehr, dass man dem Bürger die eigene Position erklären, aber sie nicht ändern muss.

Aber seien wir mal realistisch: Jörg Tauss ist ein gefallener Polit-Star. Seinen bombensicheren Listenplatz für die Bundestagswahl ist er los, seit in seinem Computer Kinderpornos gefunden wurden – was er auch zugegeben hat. Der Mann hätte dem nächsten Bundestag ohnehin nicht mehr angehört und hat nichts mehr zu verlieren. Er kann sich nun als Politiker mit Rückgrat präsentieren, der aus Geradlinigkeit seinen Hut genommen hat. Die Linie war vorher aber schon so gerade Richtung politisches Aus gerichtet, dass die ganze Veranstaltung als Heuchelei daherkommt, die ihm manche abkaufen mögen – ich nicht. Die anderen Abgeordneten der Koalition, die dagegen gestimmt haben, ziehen deswegen keine solche Show ab. Sie verdienen genauso viel Respekt für ihre Entscheidung, werden aber bei so einer Schmierenkomödie nicht wahrgenommen.

Tage der Erkenntnis

Für uns heißt das: Wir müssen beim Eurovision Song Contest radikal neue Wege gehen.

sagte Thomas Schreiber, der ARD-Koordinator Unterhaltung, im Anschluss an das schwache Abschneiden Deutschlands.

Damit ist eigentlich schon fast alles gesagt. Die weitere Entfernung demokratischer Elemente im Eurovision Song Contest ist spektakulär gescheitert. Der NDR als Deutschlands Vertretung bei der Veranstaltung hat immer noch nicht begriffen, dass man mit dem, was in den letzten Jahren beschlossen hat, niemals Erfolg haben wird. Der ESC findet mittlerweile ohne jeglichen Enthusiasmus statt – der Beitrag wird intern ausgewählt, die alljährliche Alibi-Party auf der Reeperbahn wird gepaart mit minimaler Medienpräsenz. So liefen die beiden Halbfinals praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit auf Spartenkanälen.

Es muss sich in der Tat etwas ändern, wenn der ESC künftig mehr werden soll als die erfolglose Verwendung von Rundfunkgebühren. Dieser Wettbewerb hat viel mehr Potential, als ihm oft zugestanden wird. Insofern hoffe ich auf bessere Zeiten und kann nur noch einmal wiederholen, was ich schon letztes Jahr schrieb: weg mit der Big-Four-Regel und ein großer nationaler Vorentscheid anstatt einer bescheidenen Kleinveranstaltung bzw. einer internen Auswahl.

Einige sehr richtige Beobachtungen zum Thema macht auch Irving Wolther auf SPIEGEL Online.

Zu Schwedens Abschneiden kann ich nur sagen, dass das Ergebnis nicht ganz nachvollziehbar ist. Der Titel hatte im Halbfinale auf einem passablen fünften Platz gelegen und war so souverän ins Finale eingezogen. In den nächsten Tagen wird wohl wieder der Katzenjammer darüber beginnen, wie denn so ein schlechtes Abschneiden sein konnte. Man kann wohl schon Wetten abschließen, wieviele Geigen im nächstjährigen Vorentscheid vorkommen werden. Malena Ernman selbst sagt, dass sie zufrieden ist und das für sie nur eine Zwischenepisode war – ihr Hauptberuf ist schließlich Opernsängerin.

Schweden hat aus meiner Sicht kaum etwas falsch gemacht, sondern hat schlicht nicht den Geschmack der Zuschauer und Jurys getroffen. Hier kann es eigentlich nur einen Schluss geben: abhaken und nächstes Jahr wieder einen neuen Kandidaten suchen.