Noch 2 Stunden


Noch einmal genau hinsehen: so gewinnt man

Während Stefan Niggemeier und Lukas Heinser ihr unglaublich exzellentes Videoblog aus Oslo machen, koche ich u.a. Chili Con Carne, denn wir haben zum Grand-Prix-Abend geladen, um dieses Großereignis gemeinsam zu zelebrieren. Die Tatsache, dass wir das erste Mal seit geraumer Zeit einen Beitrag aufzubieten haben, für den man sich nicht peinlich berührt fühlen muss, ist das allemal wert.

In Schweden scheint die Stimmung über die Enttäuschung hinweg zu sein.

Die Dagens Nyheter versucht es mit einer Prise Trotz und brachte heute morgen einen einseitigen Artikel über die „Big Four“. Im Wesentlichen ging es darum, wieso diese ins Finale dürfen und Schweden – das natürlich unausgesprochenerweise jedes Jahr das beste Lied des Universums ins Rennen schickt – hingegen nicht. Ein Absatz versucht zaghaft ins Spiel zu bringen, dass Schweden schließlich auch eine Menge Geld an die EBU zahle. Nämlich mehr als die Ukraine, die schließlich mehr als viermal so viele Einwohner hat. Botschaft durch die Hintertür: ein Land, das soviel Geld bezahlt, gehört eigentlich auch sofort ins Finale.

Der schwedische Rundfunk SVT wählt einen anderen Ansatz: wenn die Leute in Schweden offenkundig keinen Schimmer haben, was der Rest Europas gut findet, dann fragt man sie besser nicht mehr so viel und stattdessen die internationale Jury. Ob das so kommen wird, ist natürlich fraglich. Das Aftonbladet geht jedenfalls mit schwerem Geschütz an die Sache heran und sorgt sich um die Zukunft von Melodifestivalen, dem schwedischen Vorentscheid. Und konstatiert, dass ein schwedischer Wettbewerb ohne internationale Perspektive nicht interessant sei. Im schwedischen Fußball scheint genau dieses Konzept aber hervorragend zu funktionieren…

Svenska Dagbladet fragt jemanden, der sich auskennt und der sogar seine Doktorarbeit über Melodifestivalen geschrieben hat. Der meint: das war kein Fiasko – Schweden ist einfach von guten Leistungen verwöhnt.


Oder so auch…

Insgesamt setzt man nun auf seine Ersatzpferde im Rennen. Insgesamt 7 Beiträge entstanden unter schwedischer Beteiligung, und mit denen versucht man sich ein bisschen mitzufreuen. Gespannt wird aber dennoch das Ergebnis heute nacht erwartet, denn man möchte natürlich wissen, ob Anna Bergendahl nur knapp oder gar deutlich gescheitert ist.

Meine Vermutung ist: sehr knapp, den schlecht war das Lied nicht und die Begeisterung auch anderorten recht groß.

Jetzt muss es aber erst einmal darum gehen, wer heute abend gewinnt. DN sieht Lena im guten Mittelfeld, wie es scheint, und auch bei Aftonbladet ist das so.

Alles weitere liegt in der Hand der Jurys und Abermillionen Zuschauer. Ich bin gespannt.

Nochmal Zäune oder wie austauschbar doch alles ist

Mit etwas scharfer Polemik zum Verhältnis Deutsche-Schweden habe ich offenbar einen Nerv getroffen – zumindest, was die Ausführungen zum Buch von Sandra Eichinger angeht. Vielleicht hätte ich etwas mehr abwägen sollen beim Schreiben, denn wie man in den Kommentaren sieht, hat es nicht an Missverständnissen gemangelt. Vielleicht verstehe ich auch Frau Eichinger falsch und bewerte den von mir kritisierten (und mittlerweile leider nicht mehr frei verfügbaren) Abschnitt ihres Buches über.

Um zum Thema zu kommen: Linda war bei einem Treffen von vier schwedischen Frauen, die in Deutschland leben. Die Ausführungen dazu sind hochinteressant. Ich habe beim Lesen das Gefühl, dass man nur „Schweden“ mit „Deutsche“ und „Messmör“ mit „ungesüßtes Brot“ vertauschen müsste, und schon hätte man eine treffende Beschreibung von dem, was viele Deutsche in Schweden so umtreibt.

Hier ein Satz in Übersetzung, um das mal zu illustrieren:

Man nutzt alles aus, was in Deutschland besser ist als in Schweden, aber man klagt trotzdem darüber wieviel besser es doch in Schweden ist, und man verkehrt nur mit anderen Schweden.

Vielleicht ist das ein Zeichen dafür, dass wir uns doch viel ähnlicher sind, als wir wahrhaben wollen.

Wer hat, der Hatz – vom Niedergang einer Brauerei

In meiner Heimat schlagen die Wogen hoch: das seit 1863 in Rastatt ansässige Hofbrauhaus Hatz fusioniert mit der Brauerei Moninger und zieht komplett nach Karlsruhe um.

Das ist schon irgendwo etwas betrüblich, denn nach fast 150 Jahren wird eine Brauerei faktisch aufgekauft, womit auch eine Traditionseinrichtung verschwindet. Der Chef der Brauerei Hatz, Thomas Hatz, begründete den wirtschaftlichen Niedergang der Firma mit

Nichtraucherschutzgesetz, „falsch verstandenes Gesundheitsbewusstsein“ und der demografische Wandel.

Mir erscheint eine andere Begründung plausibel: falsche Produktpalette und mittelmäßiges Bier.

Wenn ich mir die Internetseite der Brauerei anschaue, frage ich mich nämlich, wieso eine Provinzbrauerei drei Limonadengetränke (das Radler nicht mitgerechnet) produzieren muss, obwohl es in dem Bereich wirklich mehr als genug Konkurrenz gibt.

Bemerkenswerterweise sind „Hatz Red“ und „Hatz Grün“, dereinst die ersten Biermischgetränke der Region, mittlerweile verschwunden. Da war Hatz wohl zu früh am Markt und wurde später von ihm überrollt.

Freilich ist es Geschmackssache, aber auch der Kernbereich Bier scheint mir schwach besetzt zu sein. Pils und Export sind ja anzunehmenderweise die wichtigsten Produkte des Hauses – beides für mich weitgehend charakterlose Biere, die kaum bei einem Neukunden in Erinnerung bleiben dürften.
Vom Pils gibt es zudem zwei Sorten in verschiedenen Flaschen, und der Verdacht liegt nahe, dass sich nur die Verpackung unterscheidet. Welchen Sinn soll das haben?
Ich bezweifle irgendwie auch stark, dass sich das Weizenbier jemals gut verkauft hat. Für mich ist das Hatz Weizen ein Bier, bei dem ich nach dem ersten keine Lust mehr auf ein zweites habe.

Die einzigen Sorten, die interessant klingen, sind „Hatz Privat“ in der markanten Bügelflasche und das „Hofbräu Dunkel“ nach einem alten Rezept.

Die konnten den Niedergang wohl auch nicht mehr aufhalten. Es bleibt nur die Privatbrauerei Franz in Rastatt, die immer als die kleinere galt, aber mit einer markanteren Produktpalette anscheinend besser aufgestellt ist.

Vielen badischen Bierfreunden tut wohl auch weh, dass mit Moninger zwar immerhin eine badische Brauerei Hatz übernimmt – ich kenne allerdings keinen, der das Bier gut findet. Vermutlich könnten die Leute mit einer Übernahme durch Hoepfner besser leben.

Also ist es aus mit dem Hofbrauhaus – es bleibt nur Hatz. Schade. Immerhin konnten Arbeitsplätze gesichert werden.

Auf der anderen Seite des Zauns

Ein Deutscher, der in Schweden lebt, schreibt natürlich über die Schweden, den Blick der Schweden auf Deutsche, den Blick der Deutschen auf Schweden und den Blick beider auf jeden und überhaupt und sowieso.

Es wäre auch nicht das erste Mal, dass ich mich mit diesem Thema auseinandersetze.

Dennoch gibt es noch einige weitere interessante Fundstücke, die ich hier präsentieren möchte:.

  • Besonderen Eindruck hat irgendwie dieses Buch von Sandra Eichinger (inkl. umfänglicher Leseprobe) (hier auch mit Leseprobe der ersten Seiten) auf mich gemacht – besonders ja, aber deswegen nicht unbedingt gut.
    Ich habe mir das Buch nur anhand der Onlinequellen durchgeschmökert und wenig Lust, es käuflich zu erwerben. Der Ansatz dieses Werks erscheint mir nämlich höchst suspekt. Schon der Klappentext verrät, dass das Ganze „subjektiv geprägt“ ist, was gepaart mit dem Ansinnen, „untersuchen“ zu wollen, „welchen Realitäten sich der ausgewanderte Deutsche gegenüber sieht“, schon einmal die Frage aufwirft, ob eine subjektive Untersuchung irgendein objektives Ergebnis erbringen kann. Daran ist aber noch nichts schlimmes, zumal ich hier ja auch subjektiv gefärbt über dieses Land schreibe. Wo es anmaßend und bigott wird, ist, wenn im letzten Kapital „Rückwanderung nach Deutschland“ stellvertretend für „den Deutschen“ festgestellt werden muss, warum dieser zurückwandert – trotz des Fakts, dass Deutsche die sechstgrößte schwedische Einwanderergruppe sind. Geradezu entlarvend ist dieser Satz:

    Was soll man in einem Land, mit dessen Menschen man nicht wirklich vertraut wird, und für deren Verhalten man kein Verständnis entwickeln kann, da man selbst so anders ist?

    Ja, wie unverschämt doch alle sind, anders zu sein als wir, und dann noch so anders, dass wir sie gar nicht verstehen können. Wie kann ein Land so dreist sein, sich nicht voll auf deutsche Befindlichkeiten anzupassen?

    Das Fragezeichen im Titel scheint in Wirklichkeit ein Ausrufezeichen zu sein.
    Das Buch mag in einigen Teilen gut recherchiert sein, aber es ist mitnichten eine „Untersuchung“. Da werden Einzeläußerungen mit Nebensächlichkeiten versponnen, was den Verdacht, es handele sich um mehr als nur Meinung, schon ziemlich zerstreut.
    Es ist eine Abrechnung mit einem Land, in dem man nicht klargekommen ist und dem man deswegen die Schuld am eigenen Scheitern gibt. Die Verbitterung hat offenkundig ausgereicht, ein Buch zu schreiben und es auf eigene Kosten im Selbstverlag herauszubringen.

    Der geneigte Leser kann sich das Machwerk ja einmal ansehen – weite Teile sind schließlich online – und sich eine Meinung bilden. Ich würde sie gerne in den Kommentaren lesen.

  • Zaunseitenwechsel: diesen schon etwas älteren Blogeintrag zu den Inga-Lindström-Filmen habe ich gefunden. Ein Schwede äußert seine Gedanken zu einem der Filme – sehr interessant, aber man muss leider schwedisch können.

    Hier aber ein paar Highlights:

    Die Fotografie und die Ästhetik sind die eines Reklamefilms.[…] In jedem Fall wartet man die ganze Zeit darauf, dass jemand die stilvolle Umgebung […] kommentiert. […] Unsere Heldin […] betreibt ein Käsegeschäft in Stockholm, wo sie Besuch von einem Mann […] bekommt, der erzählt, dass er Elchwurst herstellt und sich fragt, ob die Heldin nicht vielleicht interessiert ist, diese in ihr Sortiment zu nehmen. […] Sie essen in einem Fischrestaurant […] und sind sich einig, für ein paar Urlaubstage in der Nähe ein Haus zu mieten […]. Sie fahren um die Ecke, um zu dem Haus zu kommen und finden sich direkt in den Schären von Söderköping, wo es ihnen gefällt. […] Es erweist sich natürlich, dass der Elchwurstfabrikant einen Garten mit einem kleinen Elchgehege hat. Ich glaube, man sieht mich mehr als vier Elche darin […] Wenn sie den Käse exklusiv nennen, ist das eine Untertreibung. […] Lasst uns übrigens eine Sache klar machen, bevor wir das ganze deutsche Volk zu Idioten erkären: soweit ich das verstehe, ist es keine Unmöglichkeit, Käse aus Elchmilch zu machen.

    Ich musste einige Male lachen beim Lesen.

  • Kurz über den Zaun gesprungen: angeblich scheint es in Schweden weit verbreitet zu sein, dass die Deutschen „allgemein, immer und überall“ von den „dummen Schweden“ sprechen. Wie dieses Blog darlegt, basiert das aber nur auf einer Satire aus dem Jahr 1864. Mir ist dies bislang aber noch nie untergekommen.
  • Und nochmal drüber: Linda Karlsson lebt seit 2001 in Deutschland und bloggt auf schwedisch über ihr leben dort. Inga Lindström hat sie auch schon in einem Beitrag behandelt. Auf alle Fälle einen Blick wert.

Asche zu Asche

Letzten Freitag wurde ich gefragt, ob denn schon die Vulkanasche runterkäme. In der Tat konnte man solche Witze zu dem Zeitpunkt noch machen. Man wusste ja nicht, dass kurz darauf ganz Europa erfasst werden würde.

Meine Reisegeschichte ist daher auch nur eine von vielen in diesen Tagen. Dementsprechend abgedroschen ist auch die Überschrift dieses Artikels.

Von den meisten unterscheiden dürfte sich meine Reise nur darin, dass ich trotz der Wolke losfuhr.

Ich wollte mir den Workshop, den ich betreuen sollte, nicht entgehen lassen – schließlich wollte ich meine Kollegin nicht hängen lass und seit von der ersten Überlegung bis zur endgültigen Realisierung war auch weit über ein Jahr vergangen.

Der Hinweg ging dann auch glatt. Ein netter Abend in Lund mit fettigem Essen und Bier – man merkt, dass man weiter nach Süden kommt. Dann eine gemütliche Nacht im Zug. Überraschenderweise war das Bett unter mir leer, was mich mal wieder schmerzlich darauf aufmerksam machte, dass man bei Buchung von Nachtzügen zur Vermeidung von Akrobatik immer nach den unteren Betten fragen sollte. Kurz nach Abfahrt bekam ich dann doch noch Gesellschaft. Ein Geschäftsreisener auf dem Weg nach Stuttgart hatte den Schaffner gefragt, ob noch etwas frei sei. Eine Dame aus Köln hatte mit derselben Methode Glück. Bemerkenswert war die Zahlung: es kam eines dieser Kreditkartenbretter zum Einsatz, das man aus amerikanischen Filmen der 80er Jahre kennt.

So war ich einigermaßen ausgeruht pünktlich zum Frühstück im Hotel in Berlin-Lichtenberg.

Der Weg zurück sollte sich als weitaus schwieriger erweisen. Noch während des Seminars hatte ich meinen Rückflug von Montag auf Dienstag umgebucht. Ich fand schon erstaunlich, dass überhaupt noch etwas frei war. Meine Annahme ist, dass Ryanair vergleichsweise wenige Geschäftsreisende transportiert und daher die meisten Wochenendurlauber lieber ihr Geld zurück haben wollten als umzubuchen.

Am Sonntag stand fest: der Flug am Dienstag fällt aus, und der am Mittwoch gleich mit.

Den Donnerstag wollte ich mich nicht abwarten. Als Ersatzlösung wurde mir telefonisch eine Fahrt nach Danzig mit anschließender Fährfahrt nach Nynäshamn ca. 60 km südlich von Stockholm vorgeschlagen.

Eine gute Idee – spannend und nicht allzu unbequem. Und bezahlbar dazu, denn die Bahn kostete nur knapp 50 €, die Fähre weitere 100 €.

Nur einen Haken hatte die Sache: ich hatte mich im Datum vertan. Bei Polferries muss man mindestens 24 Stunden vor Abfahrt buchen, somit fiel der Montag schonmal aus, und mir wurde der Dienstag als erstes angeboten. Der war aber auch schon voll, weswegen ich eins weiterklickte. Blind annehmend, ich buche den Dienstag, war es in Wirklichkeit schon der Mittwoch. Da hätte ich gleich fliegen können. Glücklicherweise merkte das meine Kollegin, die mir bei der ganzen Aktion zur Seite stand (Danke!).

Also fiel Danzig aus. Es blieb nur die ultimative Ochsentour: mit dem Zug nach Rostock, weiter mit der Fähre nach Trelleborg, und der Bus nach Malmö. Übernachtung auf der Fähre wäre zu teuer. Also blieb nur die Tagfahrt und eine Übernachtung in einer Jugendherberge in Malmö. Die letzte Etappe verlief dann mit dem Fernbus, denn Züge waren samt und sonders ausgebucht.

Das lief alles mehr oder weniger auch so. Außer dass ich in Rostock das Taxi nahm, weil ich mich im Vorfeld besser mit dem Nahverkehr hätte auseinandersetzen sollen. Die Fähre hatte weit mehr Fußpassagierverkehr als üblich, wie mir die Busfahrerin sagte. Wenig überraschend war auch die Zusammensetzung der Busreisenden. Eine Schulklasse oder Jugendgruppe aus Deutschland auf dem Weg nach Stockholm und eine Gruppe finnischer Schüler, die anscheinend gerade Deutschland besucht hatte und der nach einem Hotelaufenthalt in Kopenhagen nun die Weiterreise nach Stockholm sowie anzunehmenderweise die anschließende Fährfahrt nach Finnland bevorstand.

So kam ich in Stockholm an – 35 Stunden nach Abreise in Berlin. Das muss man wohl unter Abenteuer verbuchen.

Einigermaßen grotesk ist aber das, was mir Scandlines heute als Werbung zugeschickt hat:

Lämna landet och njut av våren i Tyskland istället!

Übersetzt:

Verlassen Sie das Land und genießen Sie stattdessen den Frühling in Deutschland!

Nicht dass mir der deutsche Frühling nicht lieber wäre – hier hat es heute nochmal geschneit.

Aber mit der Fähre? Nö, fürs erste nicht mehr.

Die deutsche Bedrohung

Nachtrag: anscheinend mag man Youtube bei Brainpool nicht so. Hier gibt es das Lied direkt vom Anbieter.

Der gemeine Schwede mag vieles gegenüber den Deutschen empfinden – bedroht dürfte er sich nicht fühlen. Das liegt nicht nur daran, dass das Land einigermaßen unbeschadet durch die Zeiten gekommen ist, als man vor Deutschen noch wirklich Angst hätte haben müssen.

Doch Ungemach droht aus dem Lande der Teutonen. Die DN titelt „Det tyska hotet“ („Die deutsche Bedrohung“), und gemeint ist die Gefahr aus deutschen Landen in der für Schweden wichtigsten Auslandsvergleichsdisziplin: Lena Meyer-Landrut.

Ja, nachdem in Deutschland nach langen Jahren endlich versucht hat, einen Teilnehmer für den ESC zu finden, bei dem die Blamage nicht schon vorprogrammiert ist, horcht sogar das erfolgsverwöhnte Skandinavien auf. Denn die Ergebnisse der schwedischen Beiträge der letzten Jahre haben zwar etwas am Selbstvertrauen genagt, aber nüchtern betrachtet ist Schweden immer noch eines der wenigen Länder, das seit über 30 Jahren keinen letzten Platz mehr belegt hat und, wenn schon nicht mehr unter den Spitzenplätzen, letzten Endes nie den Finaleinzug verpasst hat.

Schweden selbst hält es jedoch mit Adenauer und wagt keine Experimente: man schickt eine blonde Frau, anfangs mit Gitarre, später ohne.

Zahlenspiele am Wochenende: die 40-Punkte-Faustregel

Bundesliga-Experten sagen nicht nur, dass der Ball rund ist und das Spiel 90 Minuten dauert, sondern sie postulieren auch, dass 40 Punkte für den Klassenerhalt reichen.

Diese Weisheit wird so oft kolportiert, dass ich mich schon öfters gefragt habe, ob das eine fundamentale mathematische Gewissheit ist oder eine simple Faustregel. Sprich: reichen die 40 Punkte immer oder einfach nur üblicherweise.

Rechnerisch ist das nicht so leicht zu bewerkstelligen – ein Mathematiker in dem Bereich kann das sicherlich ohne Probleme, aber ich jedenfalls nicht. Zudem kann man bei solchen Dingen schnell in falschen logischen Schlüssen landen. Aber man kann es immer mit etwas simplem Ausprobieren angehen.
Da ich heute ausnahmsweise etwas Zeit habe, dachte ich mir, ich lasse das einfach von einem simplen Programm machen.

Wie simpel es sein darf, ist dabei schwer zu beurteilen. Schließlich ist die Bundesliga nicht die Ziehung der Lottozahlen – bestimmte Spielausgänge sind wahrscheinlicher als andere. So wird eine Mannschaft, die eine halbe Saison nur verloren hat, nicht plötzlich anfangen, jedes Spiel zu gewinnen. Heimspiele werden eher gewonnen als Auswärtsspiele.

Dennoch wollte ich es erst einmal mit dem simpelstmöglichen Modell versuchen. Dieses sieht so aus:

  • Das Torverhältnis wird nicht beachtet. Schon alleine mit den drei Spielausgängen Gewonnen-Unentschieden-Verloren ist die Zahl der möglichen Saisonverläufe enorm. Eine Bundesligasaison hat 306 Spiele. Mit nur drei Spielausgängen landet man schon bei 3306 Möglichkeiten. Das entspricht ca. 10146
  • Bei Punktgleichheit bestimmt der Zufall die Platzierung.
  • Heimsieg, Auswärtssieg und Unentschieden sind gleich wahrscheinlich.

Ich ließ eine Million Saisons generieren mit einem recht guten Zufallsgenerator (für Programmierer: der libc-Zufallsgenerator stieß schon nach 8192 Saisons an seine Grenzen). Das dürfte auch in der Nähe dessen sein, was bei meiner technischen Lösung (PHP mit einer MySQL-Datenbank) überhaupt noch Sinn macht, denn alleine die Aufzeichnung der Endstände frisst so fast 1 Gigabyte Speicher. Zudem veränderten sich die Zahlen zum Schluss nur noch minimal – es müsste also eine ausreichende Stichprobe sein.

Das Ergebnis: in 80,7 % der Fälle reichten 40 Punkte für den Klassenerhalt. In diesem Szenario hat eine solche Leistung also eine sehr gute Chance – jedoch ist es keine Garantie, denn in knapp 20% der Fälle war mehr erforderlich. Es konnten sogar zwei Fälle gefunden werden, in denen 46 Punkte benötigt wurden. Diese zeichnet sich jedoch dadurch aus, dass die ganze Liga sehr ausgeglichen war und eben nur drei Mannschaften deutlich schlechter aussahen.

Umgekehrt reichten im Schnitt 59,1 Punkte für die Meisterschaft aus. Ab 50,3 Punkte gab es einen UEFA-Cup-Platz, wobei aber bis zu 60 Punkte benötigt werden können.

Während die Durchschnitte und Wahrscheinlichkeiten eine Aussagekraft haben, sind die anderen Angaben nicht absolut. So mag es sein, dass unter den unzähligen Saisonverläufen auch einer ist, der mehr als 46 Punkte für den Klassenerhalt benötigt. Es ist sogar relativ einfach, so einen zu konstruieren: wenn jeder Verein der Liga jeweils 17 Spiele gewinnt und 17 verliert, dann haben alle Vereine der Liga 51 Punkte. Hier wären also nicht einmal 51 Punkte eine Garantie für den Nichtabstieg. Freilich ein rein theoretisches Beispiel.

Um etwas realistischere Werte zu bekommen, habe ich das Verfahren so abgeändert, dass 50% aller Spiele mit Heimsiegen enden, 25% mit Auswärtssiegen und 25% mit Unentschieden. Das ist nicht abwegig, denn laut Wikipedia waren in der Saison 07/08 ganze 46,7% aller Spiele Heimsiege, während jeweils rund ein Viertel der Spiele auf Auswärtssiege und Unentschieden entfielen.

Wenn man diese Verteilung berücksichtigt, sollte die Simulation also etwas realistischer werden. Allerdings lässt sie nach wie vor außer Acht, dass nicht jede Mannschaft eine gleich große Chance hat, einen Auswärtssieg zu erringen.

Wahrscheinlichkeit, mindestens Platz 15 zu erreichen in Abhängigkeit von der Punktzahl.

Dennoch sind die Ergebnisse interessant. Zum Einen steigen die jeweiligen Punktzahlen für die Plätze um einen Punkt an – was kein Wunder ist, weil Unentschieden erheblich seltener werden. Das betrifft auch die 40 Punkte. Sie reichen hier gerade einmal zu einer gut 50%igen Chance auf Klassenerhalt.

Dies widerspricht wiederum den Erfahrungen aus der Realität, die eher weniger als 40 Punkte nahelegen. Um solche Korrekturen anzubringen, braucht man also vermutlich mehr Details über Details und die Dynamik einer Bundesligasaison.

Der Schluss lautet also, dass 40 Punkte keineswegs eine Versicherung sind, aber in jedem Falle eine gute Chance geben.

Wie groß diese ist, ist freilich schwer zu bestimmen. Bis die Bundesliga 1 Million Saisons gespielt haben wird, kann man sich darüber Gedanken machen.

Raabs Melodifestivalen

Lernfähigkeit kommt manchmal unerwartet. Nachdem man beim NDR 5 Jahre lang zugeschaut hat, wie Deutschland jedes Mal in der unteren Hälfte des Feldes beim Eurovision Song Contest gelandet ist, sind nun alle voll des Lobes angesichts des derzeitig laufenden Versuches mit Stefan Raab.

Nicht nur, dass man doch tatsächlich den Leuten eine echte Wahl geben will, wer nach Oslo geschickt werden soll. Die Daten wirken sogar im Vergleich zu Schweden beeindrucken: 3 Tage länger für die Auswahl und 2 Shows mehr.

Das Konzept ist freilich ein anderes, und die geradezu utopischen Einschaltquoten in Schweden (30% der Gesamtbevölkerung) wird „Unser Star für Oslo“ nie im Leben erreichen. In jedem Fall aber ist es ein vielversprechender Ansatz.

Man kann wohl annehmen, dass Raabs Leute einen Blick nach Schweden geworfen haben. Vielleicht nehmen sie ja noch etwas anderes aus Schweden: wie ich gerade gelesen haben, hat eine schwedische Musikfirma einige Titel eingeschickt, von denen es vielleicht einer unter die 20 Titel in die Endrunde schafft.

Übrigens: diesen Samstag beginnt das diesjährige Melodifestivalen.

Tobias Registret – die schwedische Knochenmarkspenderdatei

68% aller Deutschen kennen die Deutsche Knochenmarkspenderdatei, kurz DKMS.

Ich weiß nicht, wieviele das schwedische Pendant Tobias Register kennen. Viele können es nicht sein, denn während die DKMS mittlerweile rund 2 Millionen Einträge hat, kommt das Tobiasregister auf bescheidene 40.000. Selbst wenn man die kleinere Bevölkerung in Betracht zieht, ist die DKMS ca. fünfmal so erfolgreich.

Ich stehe schon seit 1999 in der DKMS. Eine junge Frau aus meiner Heimatgegend war an Leukämie erkrankt, und wie bei der DKMS üblich startete die Aktionswelle: eine Schule öffnete einen Tag ihre Räume, damit dort Blutproben genommen werden konnten. Im Gegensatz zu der Darstellung in einer immer noch in der Welt da draußen herumschwirrenden Kettenbriefmail ist nämlich nicht die Blutgruppe entscheidend für die Eignung als Spender, sondern einige andere Merkmale des Bluts. Diese werden in der Datenbank registriert, so dass man diese Daten nur mit den Anforderungen des jeweiligen Leukämiekranken abgleichen muss.

Ich rief also meinen Abiturjahrgang auf, hinzugehen – und eine Menge gingen, ob nun des Aufrufs wegen, sei dahingestellt.

In den folgenden Jahren habe ich mich über die DKMS mehrfach geärgert. Man erhält unnötige Werbung, die auch noch mit dem Hinweis versehen war, dass diese Werbung nicht aus meinen Spenden finanziert worden sei, sondern aus Krankenkassenbeiträgen – na dankeschön. Ohne Frage ist die DKMS aber eine sinnvolle Sache, weswegen man über so etwas wohl hinwegsehen muss.

Dass man als registrierter Spendewilliger in die engere Auswahl für eine Spende kommt, ist nicht übermäßig wahrscheinlich. Nur rund 5% aller Registrierten werden innerhalb von 10 Jahren zur Spende gebeten.

Mir ist es nun schon zweimal passiert.

Vor zweieinhalb Jahren meldete sich die DKMS bei meinen Eltern, dass ich als Spender in Frage käme. Ich dachte, man würde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um herauszufinden, ob ich geeignet bin. Zu meiner Überraschung nahm das Interesse aber schlagartig ab, als ich verkündete, mittlerweile in Schweden zu leben. Man meinte, da könne man mich ja streichen.

Es kam etwas anders. Man übersandte mir meinen Datenbankauszug per Brief mit der Bitte, es an das Tobias Register weiterzureichen. So gelangte ich also in diese Datenbank. Die Anfrage der DKMS schien sich aber erledigt zu haben. Ich hoffe, sie haben jemanden gefunden.

Gestern meldete sich das Tobias Register erneut bei mir. Ich komme wieder als Spender in Frage und solle mich baldmöglichst melden. Beigelegt war ein Fragebogen, bei dem man sich nach jeder Frage etwas kränker fühlt.

Ob ich schon einmal Rückenprobleme hatte; mit wem ich Sex oder auch nicht; ob ich schonmal in England war und wann…. Genügend Fragen sind darunter, die auch bei der Blutspende in Schweden gestellt werden, weswegen ich hier nicht spende.

Aber hier mache ich natürlich gerne eine Ausnahme, denn im Falle, dass ich ein passender Spender bin, ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Datenbank noch einen weiteren geeigneten Kandidaten enthält.

Die Dame am Telefon freute sich sehr über meine Spendenbereitschaft. Donnerstag geht es zur Blutabnahme.

Ich bin gespannt, wie es weitergeht.

Gelesen: Volksparteien ohne Volk

Seit knapp einem Jahr verbringe ich fast an jedem Werktag eine Stunde in einem Direktbus nach Slussen. Das ist bequem. Insbesondere erlaubt es mir, viel zu lesen. Etwas, das ich in den letzten Jahren sträflich vernachlässigt habe.

Bis vor kurzem las ich „Volksparteien ohne Volk. Das Versagen der Demokratie“ von Hans-Herbert von Arnim.

Da steht wohl auch viel Wahres darin. Gut recherchiert ist es allemal.

Jedoch gibt es einige Dinge, die schon alleine vom Stil her auffallen. Der Autor pflegt gerne die Selbstreferenzierung. Da heißt es, der Autor habe dies oder jenes gemacht. Das alles mit dem Unterton, dass schon ein Beitrag seinerseits eine öffentliche Debatte erzeuge.
Ähnlich unschön ist die ausgeprägte Redundanz des Buches. So wird oft innerhalb von 20 Seiten der gleiche Fakt mehrfach aufgetischt – als könne man damit einen Effekt erzielen. Es ließe sich ja mutmaßen, dass dieses Buch noch vor der Bundestagswahl erscheinen sollte und deswegen etwas nachlässig lektoriert wurde. Aber daran kann die ständige Wiederholung nicht liegen, denn sie wird meist mit dem Hinweise „siehe Seite XX“ versehen. Ich habe es daher auch gegen Ende weggelegt, weil ich wusste, dass auf den letzten 30 Seiten nichts mehr kommen wird.

So einleuchtend viele seiner Argumente sein mögen, so ambivalent sind sie oft bei näherem Hinsehen.
Das erklärt sich schon alleine an dem, was als seine innere Überzeugung durchscheint. Für ihn ist ein Parteienstaat anscheinend untauglich, die Interessen der Bürger zu vertreten.

Für ihn ist daher ein Wahlrecht automatisch undemokratisch, bei dem der Bürger nicht direkten Einfluss darauf hat, wer ihn vertritt. Sein Argumentationslinie ist dabei, der „politischen Klasse“, wie er sie gerne nennt, vorzuwerfen, sie würde systematisch darauf achten, dass die allermeisten von ihnen wieder im nächsten Bundestag sitzen würden. In der Tat gibt es dazu allerlei kritikwürdige Instrumente. In der Realität bestimmen die Parteien Listen- und Wahlkreiskandidaten, und da die viele Wahlkreise fest in der Hand einer Partei sind, ist eine Nominierung dort mit einer Wahl gleichzusetzen. Genauso ist es mit der Liste, auf deren Zusammensetzung der Wähler keinen Einfluss hat.

Dass aber die feste Belegung vieler Bundestagsplätze mit der kompletten Vorentscheidung durch die Parteien gleichgesetzt wird, ist fragwürdig. Dabei übersieht er, dass auch in ganz anders gestrickten Wahlsystemen die meisten gewählten Repräsentanten viele Jahre ihr Mandat behalten. Im Senat der Vereinigten Staaten haben mehr als die Hälfte der Abgeordneten ihr Mandat schon mehr als zwei Wahlperioden.

Auch wiederholt er mehrfach den Vorwurf, dass viele über die Liste eingezogene Kandidaten einen Wahlkreis vertreten, in dem sie selbst erfolglos als Kandidat für das Direktmandat angetreten waren. Von Arnim argumentiert also, diese Leute hätten gar keinen Anspruch, die Menschen dieses Wahlkreises zu vertreten. Jedoch wäre vermutlich er unter den ersten Kritikern, wenn Listenkandidaten gar keinen Wahlkreis vertreten würden, denn dies würde die vermeintliche Abgehobenheit der Abgeordneten noch weiter zementieren. Man kann es einem Listenkandidaten wohl kaum verdenken, dass er den Wahlkreis vertreten möchte, in dem er selbst angetreten ist, denn diesen kennt er auch am besten. Es ist ja auch keineswegs so, dass dies in allen Wahlkreisen so wäre.

Immer wieder legt er dar, wie ungeheuerlich sich die Politiker seiner Ansicht bei den Diäten bedienen. Er setzt blind voraus, dass Diäten unangemessen sind, wenn er sie dafür hält. Sein Hauptvorwurf ist, dass eine Entscheidung, die in eigener Sache getroffen wird, tendenziös sein muss. Folglich kann ein Politiker, der über sein eigenes Gehalt zu bestimmen hat, gar nicht objektiv handeln. Ein schlüssiger Punkt – jedoch bleibt unklar, wer denn sonst die Diäten festlegen soll. Eine genaue Festlegung schreibt das Bundesverfassungsgericht vor, und man kann wohl schwerlich den Verfassungsorganen ein Gremium vorsetzen, das über die Diäten zu bestimmen hat. Die Entscheidung in eigener Sache ist also ein notwendiges Übel. An Alternativvorschlage aus dem Buch kann ich mich nicht erinnern.

In vielen Dingen hat er allerdings recht. Wie kann es sein, dass die oberen Parteigremien praktisch alleine bestimmen, welche Personen in den Bundestag überhaupt einziehen können, während dem Bürger und selbst dem einfachen Parteimitglied nur tendenzielle Mitbestimmung gewährt wird?
Sollte der Bürger nicht auch die Möglichkeit haben, eine Partei zu unterstützen, ohne deren Personalauswahl widerspruchslos hinnehmen zu müssen?

Das sind wichtige Fragen, auf die von Arnim Antworten gibt, die vor allem in den Bereich des Mehrheitswahlrechts gehen.

Man muss mit seinen Lösungsvorschlägen nicht konform gehen, auch ich tue es nicht. Aber die Punkte, die er vorträgt, sollten diskutiert werden.

Allerdings ist fraglich, ob man dies am besten auf die Art tut, indem man über Hunderte von Seiten immer wieder die gleichen Argumente wiederholt.