Und es gibt sie doch…

Feinstaubplakette auf einem schwedischen Auto

Der überragende Erfolg der deutschen Feinstaubplakette hat nun auch Schweden erreicht. Ganz korrekt hat der Besitzer dieses Fahrzeugs eine solche erworben, um die Umweltzonen deutscher Städte vollkommen legal befahren zu dürfen. Millionen Schweden werden ihm bestimmt folgen.

In Schweden hat man sich so etwas wie die Plakette noch nicht ausgedacht. Dafür ist aber in Teilen einiger Städte die Verwendung von Spikereifen verboten. Ich nehme an, das Verbot funktioniert ähnlich gut wie die Plakette.

Wunderlauf

Es ist schon erstaunlich: vor einigen Wochen kämpfte ich mich bei einem 5-Kilometer-Lauf auf recht flacher Strecke auf 28:35 Minuten. Nun schaffe ich einen sogar leicht besseren Schnitt auf der doppelten Strecke: 57:25 Minuten beim Hässelbyloppet.
Die Strecke in Hässelby ist wohl so ziemlich die flachste der ganzen Region, aber es ist doch bemerkenswert, wie hier jedes Jahr spielend die Jahresbestzeit aufgestellt wird. Und es scheint nicht nur mir so zu gehen.

Meine Zeit ist sogar leicht besser als die von 2007, was auf der einen Seite erfreulich ist, denn es ist ausnahmsweise mal kein neuer Tiefpunkt meiner Läuferkarriere. Allerdings muss ich auch sagen, dass ich 2007 kurz danach den Åland-Halbmarathon in äußerst schwachen 2:28 Stunden lief. Ich hoffe, das wird dieses Mal nicht so schlimm.

Aus aktuellem Anlass

Google-Logo heute zum 70. Geburtstag von John Lennon (Ausriss: google.se)

Früher durfte ich berufsbedingt die Trauerbekundungen für Kurt Cobain von Teenagern lesen, die zum Zeitpunkt dessen Todes fast noch flüssig waren und vermutlich außer „Smells like teen spirit“ keinen einzigen Titel von Nirvana kannten. Das hielt sie aber nicht davon ab, bei jeder Gelegenheit, wo es um den Tod des Musikers ging, Rotz und Wasser über der Tastatur auszugießen und über die unglaubliche Bedeutung dieses Mannes für ihr Dasein zu philosophieren.

Rockmusikkenner werden mich des Banausentums bezichtigen, aber wo die außergewöhnliche Bedeutung dieses Mannes liegt, ist mir bis heute schleierhaft. Es werden sich doch noch andere Bands finden lassen, die ein paar ordentliche Alben produziert und erfolgreich in einem Musiksender die Gitarren ausgestöpselt haben. Der Musikstil Grunge ist genauso dem Orkus des Vergessens anheim gefallen wie Batik-T-Shirts. Für letzteres muss man aber definitiv dankbarer sein.

Vielleicht bin ich für so etwas einfach nicht zugänglich. Ich stand und stehe dem Phänomen mit Unverständnis gegenüber.

Heute jährt sich der Geburtstag John Lennons zum 70. Mal. Ich weiß, dass ich nach dem Vergrätzen der Cobain-Fans und Rockmusikkenner durch diesen Themensprung nun auch noch einen erregten Mob Lennon- und Beatles-Fans an den Fersen habe. Aber, soviel Ehrlichkeit muss sein: der Kult um Cobain und Lennon ähnelt sich schon irgendwie – nur dass es bei letzterem bei der Zielgruppe aufgrund des schon etwas fortgeschrittenen Alters etwas abgeklärter zugehen dürfte.

Ich maße mir nicht an, mich als Beatles-Kenner zu bezeichnen. Umfänglich informiert habe ich mich jedoch schon, und so leid es mir tut: nach den Beatles kam nach meinem Eindruck nicht mehr so wahnsinnig viel, und das heute geradezu ikonische „Imagine“ erreichte seinen Status erst, als Lennon schon tot war. Vor einiger Zeit sah ich die Dokumentation „Death of a Beatle“, und da fabulierte (zumindest in meiner Erinnerung) jemand etwas davon, dass Lennon der Anführer einer großen Bewegung geworden wäre, wenn er nicht ermordet worden wäre. Ein schöner Gedanke, aber die eigentliche Bewegung entstand erst danach und war nur in Trauer vereint.

Vor allem ist aber offensichtlich, dass Lennon hierzu vermutlich nie getaugt hätte. Nach allem, was ich über ihn weiß, scheint er ein Mensch mit vielen Ecken und vor allem Kanten gewesen zu sein.

Dass Google heute Lennon mit obigem Doodle ehrt, nehme ich daher lieber als einen Tribut an einen der brillantesten Musiker des 20. Jahrhunderts, der mit seinen Werken Millionen von Menschen berührte. Träume sollten immer einen Platz haben, auch wenn sie zu unberechtigen Hoffnungen führen. Seinen Platz als Ausnahmekünstler mit Visionen konnte seither keiner mehr ausfüllen, wie mir scheint.

Mich über Musik, von der ich (offenkundig) nicht sonderlich viel verstehe, auszulassen ist nicht gerade typisch für mich. Warum also diese Ausnahme?

Sie ist in gewisser Hinsicht etwas egoistisch. Die allermeisten Menschen werden an einem Tag geboren, an dem nichts besonderes passiert. Ich bin genau an dem Tag geboren, an dem ein Irrer namens Mark David Chapman vor dem Dakota-Building lauerte und später am Tag Lennon erschoss. Das bedingt nicht nur, dass ich in 2 Monaten indirekt auf meinen 30. Geburtstag hingewiesen werde. Auch wenn ich das Träumerische nicht so sehr teilen kann, so erzeugt dieser Zufall irgendwie eine Verbundenheit mit diesem Mann aus Liverpool (und mit seinen drei ehemaligen Kumpels). Die Strawberry Fields in New York haben soviel Eindruck hinterlassen, dass ich mehrmals dort war. Und auf dem Schottland-Trip vor zwei Jahren blieb mir besonders Durness im Gedächtnis, wo eine Gedenkstätte daran erinnert, dass Lennon in diesem winzigen Nest im äußersten Norden des Landes Verwandtschaft hatte, als Kind oft dort war und auch Yoko Ono einmal dorthin nahm.

So bin ich heute auch irgendwie in der Gemeinde der vielen Menschen, die dieses Mannes gedenken. In diesem Sinne. Requiescat in pace John Lennon

[via Nikke Index, Kids and me 2.0]

Investmentgenie

Ich bin bislang derart erfolglos als Aktienhändler, dass eine Bank mich eigentlich schon deswegen anstellen sollte, weil ich ihnen garantiert sagen kann, welche Aktien man nicht kaufen sollte: nämlich die, die ich kaufen würde.

Ein Blick in mein Aktiendepot:

Mein Aktienportfolio

Ich habe mich also ausgerechnet für zwei Firmen entschieden, die vor sich hin darben.
Zum Einen SAS, eine Airline, die keiner kaufen will und jetzt einen neuen Chef hat, der den Karren aus dem Dreck ziehen soll. Ich hatte die Aktie ursprünglich erworben, weil die Asche alle Airlines gedrückt hatte und ich annahm, dass eine angeschlagene Staatsairline keinesfalls untergeht. Bislang fliegen sie noch, aber das es nicht allzu rosig sein kann, merkt man schon daran, dass an Bord wie bei einem Billigflieger Erfrischungen nur gegen Bezahlung angeboten werden.

Zum Anderen aber und noch viel schlimmer Eniro – eine Firma, die die meisten ihrer Dienste gratis und werbefrei anbietet, was freilich nicht gerade zum Umsatz beiträgt. Ursprünglich war sie als Auslagerung des Telefonbuchvertriebs des schwedischen Telekom-Pendants gegründet worden. Manche werden sich noch daran erinnern können, dass die Firma in Baden-Württemberg Werbung machte mit dem Slogan „Baden-Württemberg hat die höchste Zebradichte Deutschlands“ oder so ähnlich. Die Telefonbücher hatten nämlich ein Zebra-Layout. Das haben viele wohl nicht verstanden. Vielleicht wollte auch einfach keiner die Telefonbücher haben. Jedenfalls hat sich die Firma in Deutschland anscheinend nie etabliert.

Bei meinem Kauf hatte ich nur auf den Börsenkurs geschielt: der war zum Zeitpunkt meines ersten Kaufs schon um über 70% gesunken, woraus ich schloss, dass die Talfahrt auch mal beendet sein müsse. Die ging aber noch ein gutes Stück weiter. Bei einer Kapitalerhöhung machte ich dann auch noch mit. Das alles half aber nichts. Zwischenzeitlich war die Aktie so eine Art Hot Stock: sehr billig, so dass viele Leute schnell investieren, ihr Geld aber auch schnell wieder abziehen, um den Gewinn sofort mitzunehmen.

Bei mir gab es aber nichts mitzunehmen. Also hielt ich – wenn ich schon Kostolanys Rat, mich über die Firma intensiv zu informieren, nicht befolgt hatte, so wollte ich wenigstens dem Rat folgen, Aktien lange liegen zu lassen. Außerdem: was will ich mit 8 Euro, die mir nach Abzug aller Gebühren noch blieben? Im Mai hatte ich mir überlegt, auf die Hauptversammlung zu gehen und zumindest das kulinarische Angebot dort zu plündern.

Die Situation scheint aber so dramatisch zu sein, dass es da nichts zu plündern gegeben hätte. 6,4 Milliarden Kronen Schulden hat der Laden – und das bei einem Börsenwert von 1,2 Milliarden. Vor einem Monat flog deswegen auch der Chef raus. Kurz darauf wurden große Teile des Finnlandgeschäfts verkauft. Zwischenzeitlich ging es hoch und runter. Am Mittwoch wurde dann sogar der Handel mit der Aktie ausgesetzt. Heute steht nun in der Zeitung, dass keiner Eniro kaufen will (nichtmal ich).

Womöglich ist es bald zu Ende mit der Firma, die sich erst kürzlich ein neues Logo gab. Wenn sich kein Investor findet, wird man höchstens noch die Reste plündern können – Google hätte sicher großes Interesse an den Karten- und Street-View-Funktionen des Ladens. Der Rest wird aber wohl in der Versenkung veschwinden.

Reales und anfassbares Wertpapier (Quelle: Wikipedia, gemeinfrei)

Ich habe gehört, man kann sich Wertpapiere auch zum Anfassen ausliefern lassen – also so ein schönes Stück wie das hier dargestellte. Wenn das geht, würde ich das glatt machen. Das Papier ist dann ohnehin wahrscheinlich mehr wert als die Aktie.

Bröd

Sauerteigbrotschweden im Überblick (Ausriss: surdegskartan.se)

Eigentlich sollte man keine solchen Pauschalurteile machen, aber in dem Fall scheint eines geboten: Deutsche hassen schwedisches Brot.

Warum? Es ist weich wie Toastbrot und stets gesüßt. Da das Lebensmittelhandwerk im heutigen Schweden ein Schattendasein fristet, sind Supermärkte der Hauptlieferant für das beliebte Grundnahrungsmittel. Das Angebot dort besteht zu guten Teilen aus Kastenbroten, die schon geschnitten sind und somit gleich Toastform habe. Es gibt zwar verschiedene Sorten, die teilweise sogar Körner und solche exotischen Dinge beinhalten, aber an der Grundproblematik nichts ändern. Größere Supermarkte backen auch selbst, aber auch wenn diese anders aussehen – es ist meist Weißbrot, und selbst wenn nicht: viel zu weich, viel zu süß.

Im Grunde ist das die Klage jedes Auslandsdeutschen, denn das übliche Angebot in deutschen Bäckereien ist um einiges größer als in praktisch jedem anderen Land der Welt. Überall anders gibt es wenige Sorten Brot, flankiert von etwas Süßkram. An Brezeln oder ähnlich exotisches darf man gar nicht erst denken.

Was tut man also in der Backwarendiaspora? Eine Lösung ist selbst backen. Lidl hat beispielsweise ganz passable Backmischungen. Trotzdem ist das natürlich ein bescheidener Ersatz, weil selten so wie vom Profi und zudem aufwändig, besonders wenn man backtechnisch alle Register zieht und nicht nur die Backmischung nimmt.

Glücklicherweise gibt es auch in Schweden Sauerteigenthusiasten, die ihr Brot gerne weniger süß haben. Ein herausragendes Beisspiel ist Per Åström, der sich der Auffindung dieses Produkts verschrieben und dafür die Seite Surdegskartan.se (Sauerteigkarte) ins Leben gerufen hat.

Hier sind, komfortabel auf einer Google-Maps-Karte durchsuchbar, zahlreiche Bäckereien und Konditoreien aufgeführt. Natürlich gibt es auch Links, sofern vorhanden. Noch besser ist, dass man sogar Tipps einreichen kann, wo sich Sauerteigerzeugnisvertriebsstätten befinden. Das habe ich gleich getan, und so hat die Karte nun zwei neue Einträge.

Wie man an obigem Screenshot sehen kann, sind es gar nicht mal so wenige Bäckereien, zumindest in den drei Großstadtregionen. Als kleinen Tipp für die Stockholmer möchte ich zusätzlich noch etwas anmerken, was diese Karte nicht abdecken kann: das Brothaus Moberg verkauft sein Brot nicht nur in eigenen Filialen in Åkersberga und Stockholm, sondern auch in vielen Supermärkten der Region. Ein Blick in die Liste auf der Homepage kann also ein kleines unerwartetes Sauerteigparadies ganz in der Nähe auftun.

[danke an Holger für den Tipp]

Hare Krishna am Fridhemsplan

In einer Großstadt wie Stockholm rechnet man mit so einigem. Heute abend lief auf dem Ringvägen eine desorientierte wirkende Frau herum, die ihre Überquerung der Straße abbrach und stattdessen vor dem Bus trotz Fernlicht und Hupe stehen blieb. Als sie sich langsam Richtung Straßenrand bewegte, kam sie auch noch zur Tür und wollte mitfahren – darauf verzichtete ich doch gerne. Sie zog dann auf der weit sichereren Wiese ab.

Mit diesem kleinen Festumzug hatte ich jedoch nicht so ganz gerechnet.

Unter dem Pausenlokal der Busfahrer ist ein vegetarisches Restaurant – leider kantinenmäßig angelegt und nur eingeschränkt geöffnet, aber recht lecker – das zur Hare-Krishna-Bewegung gehört und gleich ein entsprechendes Zentrum angeschlossen hat. Der Fridhemsplan muss alternative Religionen anziehen, denn gegenüber hängt regelmäßig ein Banner der „New Life Church“.

Kleinere, Hare Krishna singende Gruppen habe ich dort schon öfters erspäht, aber dieser fröhliche Tanz im Kreis war mir dann doch neu. Die Frau am Imbiss war hingegen überrascht, dass ich die noch nie gesehen hatte.

Ich glaube, der allsonntägliche Umzug fällt dennoch recht bescheiden aus – mehr als einmal um den Block herum scheint er nicht zu gehen.

Ausgezählt

Heute, also 12 Tage nach der Wahl, ist die Auszählung der Stimmen endlich beendet. Die Stimmenzähler hier im Län, die als letzte fertig wurden, werden wahrscheinlich Freudestänze aufgeführt haben.

Zur Stunde warten einige Ergebnisse noch auf ein genehmigtes Protokoll, so dass die endgültige Sitzeinteilung vorläufig oder noch nicht bekanntgegeben ist. Diese ist z.B. für den Landsting in Stockholms Län noch nicht bekannt.

Jedoch ist klar, dass die Moderaterna dazugewonnen haben, aber damit nicht die Verluste der anderen bürgerlichen Parteien ausgleichen konnten. Der linke Block hat allerdings gewonnen, wenn auch nur dank der Stimmengewinne bei den Grünen. Eine gute Nachricht ist auch, dass die Schwedendemokraten mit 2,83% an der für den Landsting gültigen 3-Prozent-Hürde gescheitert sind. Im Wesentlichen bleibt alles beim alten: die Bürgerlichen haben trotz Verlusten noch eine Mehrheit. Die Verluste gehen praktisch direkt an die Grünen.

Auch beim Stadtrat Stockholms ist noch keine Sitzzuteilung gemacht. Hier stellt sich die Sache etwas anders dar: die Moderaterna haben 2,86% eingebüßt, während die Zentrumspartei und Volkspartei (liberal) zugelegt haben. Insgesamt hat aber auch hier der bürgerliche Block rund 2% verloren, was wiederum die Mehrheit auch nicht gefährdet – laut vorläufigem Protokoll reicht es für 52 bürgerliche Mandate bei insgesamt 101 Stadträten. Auf der linken Seite sind wiederum die Grünen die Gewinner. Sie haben 4,67% zugelegt und gewinnen 6 Mandate hinzu. Ich sollte mich eigentlich auch hier freuen, dass die Schwedendemokraten nicht hineingekommen sind. Das Ergebnis verwundert mich aber etwas. In den Kommunen gibt es nämlich keine Prozent-Hürden, und so müssten die 2,62%, die die Schwedendemokraten bekommen haben, eigentlich für mindestens 2, wenn nicht 3 Mandate reichen. Bislang wird ihnen aber keines zugewiesen.

In meiner Wohnsitzgemeinde Värmdö haben sie hingegen zwei Gemeinderäte, was natürlich betrüblich ist. Auch für einen wunderhaften Sieg meines Favoriten Börge Hellström hat es nicht gereicht. Die Sozialdemokraten haben 2 Sitze verloren und stellen nun nur noch 15 Räte. Börge stand sowieso nur auf Listenplatz 19, und so musste er in jedem Fall direkt gewählt werden, um hinein zu kommen. Dafür hätte er 5% der Stimmen in einem der beiden Wahlkreis bekommen müssen. Da er als lokaler Kandidat natürlich nicht in dem anderen Wahlkreis Werbung machte, erhielt er dort so gut wie nichts. Aber auch in meinem Wahlkreis reichte es nur für 2,79% der Stimmen. Schade irgendwie.

Meine 5 Cent zu Stuttgart 21

Ich sage ganz offen: mir ist Stuttgart 21 egal.

Es ist ein tolles Projekt, aber irrsinnig teuer. Man kann es machen, aber es bleibt jedem selbst überlassen, zu beurteilen, ob sich das Geschäft lohnt.
Das Ganze riecht nach der Art Größenwahnsinn, die auch die Bayern beseelt hat, als sie den Transrapid in München haben wollten. Wenn man schon hinnehmen muss, dass Nauru ein souveräner Staat ist und man selbst nicht. Dass Berlin weit weg ist und man von dem Rest der Republik als putzig-bieder belächelt wird. Dann muss man eben auf anderem Gebiet zeigen, dass man in Wirklichkeit der Größte ist.

Die Gegner wurden erst dann laut, als die Bagger schon rollten. Dabei hätten zahlreiche Bedenken wie die Gefährdung der Heilwasserquellen und die vermeintlich mangelnde Kapazität des neuen Bahnhofs schon vor Jahren geäußert werden können. Man kann es nicht nur auf die Finanzen schieben, die nun aus scheinbar heiterem Himmel aus dem Ruder liefen. Die Befürworter haben sich aber auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert durch die Ignoranz, mit der man dies alles nun durchpeitschen will.

Ich habe gestern mit an Entsetzen grenzenden Erstaunen die Räumungsaktion bei Twitter und entsprechenden Livestreams verfolgt. Auf die dort oft verwendete Hausbesetzerargumentation lasse ich mich nicht ein. Ein Projekt ist nicht erst dann demokratisch legitimiert, bis man auch den letzten Sitzblockadler überzeugt hat, aufzustehen. Demokratie ist nicht, dass der Wille des Einzelnen geschieht, sondern der der Mehrheit. Rechtstaat ist nicht, dass es immer gerecht zugeht, sondern dass ein Staat sich an die Spielregeln hält.

Wie Baden-Württemberg regiert wird

Deswegen gilt meine Kritik auch nicht der Polizei, sondern denen, die dies angeordnet haben, denn über die sagt der ganze Vorgang sehr viel aus. Nämlich, dass Baden-Württemberg von einer Gruppe selbstgefälliger Politiker regiert wird, die glaubt, sie hätte die Macht gepachtet.

Die CDU passt in ihrer Biederkeit erschreckend gut zum Ländle, und so regiert sie seit 1953 ununterbrochen. Das Ergebnis ist, dass jeder, der politisch etwas auf dem Kasten hat, früher oder später nach Berlin geht. In Stuttgart bleiben übermäßig wohl genährte Politbürokraten zurück, die nicht einmal den Anschein erwecken wollen, sie seien einst wegen idealistischer Ziele zur Politik gekommen. Ob Teufel, Oettinger oder Mappus: sie würden es in den USA nichtmal zum Kleinstadtbürgermeister bringen.

In BaWü saßen bzw. sitzen sie aber fest im Sattel, denn das Volk wählt „ihre“ CDU aus Gewohnheit immer wieder. Die Situation ist derart deprimierend, dass bei SPD und Grünen die Talente auch nach Berlin geflohen sind und sich im Landtag die gleiche Sorte provinzieller Langeweile als immerwährende Opposition eingerichtet hat.

Wenn man wie Stefan Mappus 25 Jahre lang erlebt hat, dass eigentlich immer das gemacht wird, was CDU (und ggf. FDP) untereinander ausgekungelt haben, dann ist das absolute Unverständnis über die aktuelle Entwicklung kein Wunder. So etwas hat man in diesen Kreisen noch nicht erlebt und man ist auch nicht darauf vorbereitet.

Desillusionierte Jugend

Der eklatante Mangel an Feingespür wird tiefe Spuren hinterlassen, denn nun hat auch das konservative CDU-freundliche Milieu gemerkt, dass es der Partei und v.a. ihrer Führung ziemlich egal ist, was die Leute über ihre Vorhaben denken. Wäre es anders, hätte man gewusst, dass das Vertreiben weitgehend friedlicher Demonstranten – zu guten Teilen Kinder und Jugendliche – unter Einsatz solcher Mittel nur kontraproduktiv sein kann.

Wie haben diese Leute sich das vorgestellt? Unsummen in Polizei und Sicherheitsdienste stecken, um zehn Jahre lang unter Hochsicherheitsbedingungen zu bauen?

Die derzeitigen Ereignisse haben und werden tiefe Wunden reißen, die lange nicht verheilen werden. Man schafft sich eine Zeitbombe, indem man jungen idealistischen Menschen vermittelt, dass ihre Meinung nichts zählt und sie das im Fall der Fälle auch mit Gewalt zu spüren bekommen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie nach Hause gekommen sind mit dem Gefühl, in einer Demokratie zu leben. Sie tun es trotz allem – aber werden sie sich künftig an ihr beteiligen?

Die Landesregierung hat mit ihrem Vorgehen offenbart, wie es wirklich steht um die Landespolitik im Ländle. Ich hoffe, die Wähler werden am 27. März dafür die Quittung präsentieren.

Wer die Öre nicht ehrt, …

Meine Restbestände im Geldbeutel: ab morgen kein Zahlungsmittel mehr

Selbst wenn es ein solches Sprichwort im Schwedischen gäbe: ab Morgen wäre es obsolet.

Ab 1. Oktober 2010 ist die kleinste schwedische Münze im offiziellen Zahlungsverkehr das 1-Kronen-Stück. Ab dann wird es also die Öre nur noch als theoretische Einheit geben, ohne dass es eine reale Münze hierzu gibt. Bei Barzahlungen wird einfach auf ganze Kronen gerundet. Bis Ende März kann man die Münzstücke noch bei der Bank eintauschen. Danach haben die Münzen nur noch Sammler- und Materialwert, und auch davon jeweils nicht viel.

Untersuchungen haben ergeben, dass die meisten Schweden die 50-Öre-Münze kaum noch verwenden. Das kann ich nur bestätigen: man erhält sie ab und zu als Wechselgeld, aber wird sie dann kaum noch los, weil sie zu wenig wert sind und die meisten Automaten sie nicht nehmen. Als Beispiel obige Münzen, die wohl schon seit geraumer Zeit in meiner Tasche herumlungern. Ein guter Grund für eine Abschaffung also.

Diese Runderei hat übrigens schon eine längere Tradition, wie mir scheint. 1-Öre- und 2-Öre-Stücke wurden schon ab 1971 nicht mehr geprägt. 5-Öre-Münzen und 25-Öre-Münzen folgten 1984, während sich die 10-Öre-Münzen noch bis 1991 hielten. Letztere wurden dann 1993 aus dem Verkehr gezogen, und seither wird auf 50 Öre genau gerundet. Mit der Praxis der Rundung ist Schweden allerdings nicht alleine. Finnland und die Niederlande verwenden die 1-Cent- und 2-Cent-Münzen nicht und runden daher auf 5 Cent. Allerdings sind sie per EU-Regelung dazu verpflichtet, die nicht gebräuchlichen Münzen anzunehmen, was dazu führt, dass sie in Finnland nicht selten auf dem Müll landen. Schweden dürfte mit der Ein-Kronen-Rundung (also auf ca. 10 Cent genau) nun aber das gröbste Raster Europas, wenn nicht der Welt einführen. Während so etwas in Deutschland vielleicht den Volkszorn erregen würde, weil man mal wieder befürchtet, übers Ohr gehauen zu werden, nimmt der weitgehend bargeldlose Schwede das gelassen hin. Ich auch.

Interessant finde ich die schwedische Bargeldpolitik allerdings schon. So erlebe ich nun in meinen fünf Jahren hier schon die zweite nennenswerte Umstellung. Als ich hierher kam, gab es nämlich noch silberfarbene 50-Öre-Münzen und 20-Kronen-Scheine, die einen bläulicheren Farbton als die jetzigen hatten und etwas größer waren. Diese wurden 2006 ungültig mitsamt älteren Versionen größerer Scheine, die noch keine neueren Sicherheitsmerkmale hatten.

Man sollte also annehmen, dass die Riksbank sehr konsequent alte Scheine und Münzen aus dem Verkehr zieht. Das ist aber keineswegs so. Die 2-Kronen-Münze, die bis 1971 noch mit dem Konterfei des damaligen Königs Gustav VI. Adolf geprägt wurde, ist bis heute gültig, obwohl sie natürlich seit geraumer Zeit nicht mehr im Alltag anzutreffen ist. Bei der 1-Kronen-Münze ist es gar so, dass sämtliche seit 1875 geprägten Stücke noch gültiges Zahlungsmittel sind. Münzen sind hartnäckig und überleben lange im Zahlungsverkehr. Genauso wie es in Deutschland bis 2002 noch viele 10-Pfennig- und 50-Pfennig-Stücke aus dem Jahr 1949 („Bank Deutscher Länder“) und dem Jahr 1950 gab, sind die 1-Kronen-Stücke in älteren Varianten im Umlauf.

Hier drei der üblichsten:

Übliche 1-Kronen-Münzen. v.l.n.r. Variante aus den Jahren 1968-1973 mit dem Bildnis Gustav VI. Adolfs, Variante aus den Jahren 1976-2000 mit dem Bildnis von Karl XVI. Gustav, neuere Variante seit 2001

Dazu gab es noch im Jahr 2000 eine Milleniumsausgabe in etwas anderem Stil, die mir persönlich aber noch nie untergekommen ist, und letztes Jahr zum zweihundertjährigen Juiläum der Trennung von Schweden und Finnland. Letztere sah sehr ungewöhnlich aus, da die Vorderseite Wellen als Stilisierung des Meeres zeigte und damit zunächst nicht klar als gültiges Zahlungsmittel zu erkennen war.

Trotz der mittelfristig zwangsläufigen Euro-Einführung wird man bei der Riksbank aber nicht müde, das bisherige Geld weiterzuentwickeln. So wurde mittlerweile der Beschluss gefasst, ein neues Zwei-Kronen-Stück und einen 200-Kronen-Schein einzuführen. Wann das passieren wird und wie diese aussehen sollen, ist aber noch nicht klar. Man kann sogar Vorschläge einreichen.

Während ich diese Umwälzungen abwarte, sortiere ich schonmal meine 50-Öre-Stücke aus. Da ich früher mal Münzsammler war, behalte ich gerne die paar, die mir geblieben sind.

Schweden, abends um 9

Das Telefon klingelt.

Ich: Hallo.
Sie: Hallo. Ich rufe von Comhem an. [Anm.: mein Kabelfernsehanbieter] Du bist doch Fabian, oder?
Ich: Ja, der bin ich.
Sie: Ich rufe an, weil ich gerne mit dir darüber sprechen würde, wie wir deine Monatskosten mit Internet und Telefonie senken können. Du hast bislang nur TV small [Anm. kleinstmögliches TV-Paket dieses Anbieters] gebucht, oder?

Diesen Gesprächsverlauf hatte ich schon erahnt. Es gibt in Schweden ein Register namens NIX-Telefon, in das man sich eintragen kann und dann nicht mehr mit Werbeanrufen belästigt wird. Ausnahme: Firmen, bei denen man schon Kunde ist, dürfen trotzdem anrufen als vermeintlichen Kundenservice. In Wirklichkeit dienen diese Anrufe aber nur dazu, dem Kunden noch mehr der eigenen Produkte anzudrehen. Nach zahlreichen dieser Gespräche habe ich beschlossen, ab sofort konfrontativ mit Kündigung zu drohen.

Ich: Ja, habe ich. Hör mir zu, ich sage das nur einmal. Wenn ich noch einmal so einen Anruf erhalte, kündige ich sofort.
Sie: Du bist aber nicht nett zu mir. Ich mache hier nur meinen Job.
Ich: Das hat auch nichts mit dir zu tun. Ich bezahle jeden Monat dafür und will keine solchen Anrufe bekommen.
Sie: Stehst du vielleicht nicht im NIX-Register? Den Eintrag muss man jährlich erneuern.
Ich: Das habe ich. Ich stehe im NIX-Register. Tschüss.
Aufgelegt.

Dass ich meinen Eintrag erneuert habe, stimmt nicht, aber ich konnte da keinen Rückzieher machen. Dass man eine jährliche Erneuerung machen muss, ist zudem glatt gelogen, wie ein Anruf bei NIX kurz darauf ergibt. Ich vermute, das ist eine Schutzbehauptung, um solche renitenten Kunden wie mich in die Defensive zu treiben, die sich abends um 9 am Telefon nicht irgendwelchen Mist aufschwatzen lassen wollen, weil sie eine eventuelle Kaufentscheidung auf Basis von Informationen treffen wollen.

Ich habe das Comhem auch gleich noch per Mail mitgeteilt.

Wahrscheinlich haben sie mich sowieso als Kunden verloren. Wir zahlen für den Empfang des ZDF jeden Monat rund 6 € – alles andere ist sowieso in unserer Miete enthalten. Angesichts der Dicke unserer Internetleitung und den umfänglichen Livestream- und Mediathekangeboten bietet es sich eher an, einen alten Computer an den Fernseher anzuschließen und die Geschäftsbeziehung mit Comhem zu beenden. Einen entsprechenden Adapter habe ich mir gerade gekauft.