Schwedisches Sonnensystem

Kleines Fundstück zum Sonntag: das schwedische Sonnensystem. Eigentlich ist es ein alter Hut, astronomische Abstände auf begreifbare Länger herunterzuskalieren, um dann zu illustrieren, dass der nächste Stern trotzdem noch ewig weit weg ist. Ein kleiner Unterschied ist hier aber, dass Schweden einfach eine Menge Platz zu bieten hat. Da kann man das ganze Sonnensystem unterbringen und dessen Objekte trotzdem noch einzelnen Ortschaften zuweisen.

Ganz in 08-Selbstherrlichkeit ist die Sonne nach Stockholm gelegt worden.
Wenig schmeichelhaft dürfte hingegen sein, dass Kiruna als Ort für den Termination Shock ausgewählt wurde. Übermäßig stören dürfte es die Einwohner aber nicht, denn die dürften gewohnt sein, dass die Leute über ihre Stadt nicht ins Schwärmen geraten.

Djurgården gegen GAIS 1:1

Es ist fast genau drei Jahre her, dass ich im Stockholmer Olympiastadion mein erstes Spiel der höchsten schwedischen Fußballliga, der Allsvenskan, sah. Damals ging es gegen Halmstads BK.

In der Zwischenzeit bin ich fremd gegangen und schaute ein Match von AIK gegen IF Elfsborg im letzten Jahr. Ein langweiliges Spiel mit dem Ergebnis 0:0.

Heute ging es gegen GAIS, einen Klub im guten Mittelfeld der Liga. Gut ist aber in Schweden sehr relativ. Selbst die besten Mannschaften schaffen es weder in der Champions League noch in der Europa League durch die Qualifikationsphasen. Bei dem AIK-Spiel schafften es die Torhüter mehrfach, den Ball beim Abschlag ins Aus zu schießen. Die Kader der Mannschaften enthalten kaum Ausländer, und die paar, die es gibt, sind anscheinend entweder zweite Wahl von anderswo oder hoffen, in Europa von einem Talentscout gesehen zu werden.

Meine Erwartungen waren deswegen auch nicht sonderlich hoch.

Das eher geringe Niveau und der mangelnde internationale Erfolg hat aber keinen Effekt auf den Fanatismus der Anhänger. Auch hier gibt es Ultras, und das Stadion war auch an einem Donnerstagabend einigermaßen gefüllt, auch wenn das Spiel mit 6900 Besuchern weit unter dem Verfassungsvermögen blieb. Sogar eine versprengte Gruppe auswärtiger Fans schaffte es ins Stadion.

Das Spiel selbst war das aufregendste bislang, was aber nicht schwer war. GAIS war meines Erachtens etwas besser, aber nicht deutlich. Nach einer lethargischen Anfangsphase ging Djurgården durch ein sehr glückliches Tor in Führung. Bald nach der Pause konnte GAIS ausgleichen – glauben wir zumindest, denn wirklich sehen konnte man das Tor von unserer Seite nicht. Ich nahm zuerst an, dass der Ball hinter dem Tor gelandet wäre.

Die zweite Halbzeit war deutlich lebhafter und hatte auch ein paar bemerkenswerte Dinge zu bieten.

Der Schiedsrichter hat wahrlich nicht mit Pappe gespart – ein halbes Dutzend gelbe Karten dürften es am Ende gewesen sein. Eine rote wurde es am Ende dann auch noch, aber erst, nachdem ein Linienrichter und der vierte Offizielle den Schiedsrichter überzeugt hatten, dass ein Delinquent nun schon zwei gelbe Karten haben. Das kommt aber bekanntermaßen in den besten Schiri-Familien vor, wie wir seit der letzten WM wissen.

Trotz der gelben Karten gab es kaum Spielunterbrechungen, was den vierten Offiziellen nicht davon abhielt, 5 Minuten Nachspielzeit (!) zu empfehlen. Nach der Rote-Karten-Diskussion waren es dann stolze 7 Minuten.

Bemerkenswert waren mich vor allem aber zwei Fankulturerscheinungen. Die Fans stimmten doch tatsächlich „Voulez-Vous“ von Abba an – freilich nur den Refrain. Ein ungewohntes Geräusch war auch das Geklimper von Geld: Jugendlich liefen mit Eimern durch die Reihen und sammelten Geld für…, ja für irgendetwas. Keine Ahnung wofür, aber ich habe auch eine Kleinigkeit hineingeworfen.

Opfer der Plattentektonik

Eigentlich bin ich jetzt schon seit 2 Stunden in Berlin.

Eigentlich. Stattdessen sitze ich noch zuhause.

Wer noch Zweifel an der Plattentektonik hatte, wird eines besseren belehrt.
Sie ist so real, um den ganzen Flugverkehr lahmzulegen.

Dabei war alles so schön geplant: Übernachtung im Hotel am Flughafen, Flug morgens um halb sieben nach Berlin, Wein kaufen am Ostkreuz.

Und dann ab 12 Uhr wäre ich einer der Leiter eines Workshops über so neumodisches Internetgedöns gewesen.

Nun wird das bis morgen um 6 Uhr warten müssen. Dann bin ich nämlich mit dem Berlin Night Express in der deutschen Hauptstadt angekommen.

Wohnungsmisere in Stockholm

Jeder weiß davon, aber kaum einer sagt es jemals öffentlich: die Verhältnisse auf den Mietmärkten schwedischer Großstädte sind grotesk verzerrt.

Was ich im Auswandererguide aus etwas Marktbeobachtung und etwas Logik beschrieben habe, wurde heute morgen einmal mit festen Zahlen belegt.

Zur Erinnerung: die Mietpreise in Schweden sind gesetzlich eng begrenzt, weswegen es kaum interessant ist, zu vermieten. Das begrenzt das Mietangebot. Man vergibt Wohnungen nach einem Wartezeitsysten. Weil aber keiner seine ergatterte Wohnung mehr hergeben will, gelangt nur ein Teil der Wohnungen wieder in den Kreislauf, was die Wartezeiten stark erhöht. Stattdessen werden die Wohnungen schwarz untervermietet – zu entsprechenden Preisen versteht sich.

Nun war heute morgen in der DN zu lesen, dass zwei große Stockholmer Wohnungsvermietungen überprüft haben, wieviele Wohnungen illegal vermietet sind.

Das Ergebnis ist erschreckend. Bei Stockholmshem war jede zweite (!) Wohnung nicht vertragskonform belegt, sprich schwarz untervermietet. Bei Familjebostäder ist es ähnlich: rund 40% der Wohnungen sind nicht legal vermietet.

Die offensichtlichste Frage stellt sich dabei anscheinend keiner: welchen Sinn hat ein System der Mietpreisregulierung, in dem fast die Hälfte der Wohnungen nicht regelkonform, sprich illegal und zu Marktpreisen, vermietet werden?

Dass dies kein Stück besser ist als die Einführung marktbasierter Mieten scheint keiner verstanden zu haben, wie man an den Kommentaren zu dem Zeitungsartikel sieht. Und es betrifft nicht nur Stockholm, sondern auch Malmö. Göteborg hingegen scheint das Problem nur in kleinem Umfang zu haben.

Nicht einmal die konservativen Parteien scheinen diese heilige Kuh schlachten zu wollen – ein Trauerspiel, wie ich finde. Die Hyresreglering sollte abgeschafft werden.

Tunnelbana mit neuem Betreiber – Kurzbilanz

Die Hongkonger MTR hat den Betrieb der Stockholmer U-Bahn übernommen. Das ist nichts neues, denn es geschah schon Anfang November.

Jedoch ist nach gut zwei Monaten Betrieb Zeit, ein kleines Resümee zu ziehen. Es fällt gut aus, denn die U-Bahn fährt genauso gut wie vorher, und das ist ja schonmal was, insbesondere nach dem Wetter der letzten Wochen.

MTR hat auch viel versprochen. So sollten die ganzen Bahnsteige gereinigt werden, was wohl auch passiert sein soll. Einen nennenswerten Unterschied macht dies bei meiner täglichen U-Bahn-Fahrt jedoch nicht.

Was aber seither auffällt, sind die „tågvärdar“. Das ist in diesem Fall zusätzliches Betreuungspersonal, dessen Aufgabe darin besteht, auf dem Bahnsteig herumzustehen und nichts zu tun. Das machen sie dafür aber sehr professionell.

Manche von ihnen stehen auch am Eingang und versuchen, hilfsbereit auszusehen. Ich sah auch schon einen, der dem Fahrkartenkontrolleur und -verkäufer in der Verkaufsbude etwas die Arbeit abnahm und Tickets stempelte. Gelegentlich schauen auch diejenigen, die auf dem Bahnsteig herumstehen, dass alle im Zug sind.

Nicht nur, dass der bisherige Betrieb genauso gut und sicher ohne funktioniert hat. Man muss sich auch fragen, wie MTR zum gleichen Preis wie andere Mitbewerber dieses ganze Personal finanziert. Vielleicht gefällt auch der soziale Anstrich, dass man jetzt mehr Leuten eine Arbeit gibt. Jedoch muss ich mich da fragen, ob es nicht eher einer Erniedrigung gleichkommt, Leuten solche offenkundig sinnlose Jobs zu geben. Es ist schon schlimm genug, dass die Leute in den Verkaufsbuden seit jeher ihre Erfüllung in einem Job suchen müssen, den theoretisch ein Fahrkartenautomat genauso gut erledigen könnte. Dass man nun Leute zum offensichtlichen Nichtstun anstellt, ist aber ein Hohn.

Irgendwie scheint mir, dass dieses Konzept nicht den ganzen Vertragszeitraum von MTR wird überstehen können. Schon jetzt scheint mir die Zahl der Tåvärdar abzunehmen.

Feinstaub, Spikereifen und eine kleine Änderung nebenbei

Der Feinstaub treibt auch die Schweden um. Hierzulande macht man sich aber weniger Sorgen um das, was aus dem Auspuff kommt. Dementsprechend hat auch noch keiner vorgeschlagen, ein etwas undurchdachtes Plakettensystem einzuführen, das nachher weitgehend nutzlos ist.

Auch von schmutzigen Heizungen soll er nicht kommen. Nein, er kommt von den Autoreifen.

Ja, richtig gelesen, denn in Schweden sind Spikereifen, so genannte Dubbdäck, erlaubt. Während diese im Norden unverzichtbar sind, bringen sie in den Großstädten nicht wirklich viel. Im Gegenteil schaden sie sogar, und zwar nicht nur der Straßendecke, sondern auch den Menschen. Denn die Staubpartikel, die die kleinen Metallstifte aus dem Asphalt schleudern, sind schädlich. Plakativ heißt es, in Stockholm sterbe jedes Jahr ein Mensch deswegen, um dem statistisch unbedarften den Eindruck zu geben, man könne diese eine Person auch wirklich finden.

Das regt zu Aktionismus an, denn in Stockholm gibt es eine Straße, auf der, könnte man eben diese eine Person finden, bestimmt dahinscheiden würde: die Hornsgatan mitten im Stadtteil Södermalm. Dort sind die Feinstaubwerte ständig zu hoch.

Daher wurde schon monatelang darüber gesprochen, ein Spikereifenverbot auf dieser Straße einzuführen.

Da gibt es nur zwei Probleme:
1. Was passiert, wenn jemand mit Spikereifen diese Straße kreuzen will bzw. gar nicht mehr umkehren kann? Lösung: ganz Södermalm soll spikereifenfrei gemacht werden.
2. Was ist, wenn es gar keine Gesetz für so etwas gibt?

Letzteres ist nämlich der Fall, und so hat die Regierung heute beschlossen:

  • Die Kommunen dürfen auf bestimmten Straßen Spikereifen verbieten.
  • Spikereifen sind von 16. April bis 30. September generell verboten.
  • Schwedische und ausländische Autos unterliegen auf Reisen von und nach dem Ausland den gleichen Bestimmungen wie schwedische Autos. Das heißt nichts anderes, als dass künftig alle Autos in Schweden von 1. Dezember bis 31. März Winterreifen mit mindestens 3mm Profiltiefe haben müssen.

Das ist ein interessanter Maßnahmenkatalog. Nicht, weil er schon ab 15. November gelten soll – es ist in Schweden nicht selten, dass Entscheidungen sehr kurzfristig umgesetzt werden. Interessant ist die Zusammenstellung, denn das generelle Verbot für Spikereifen war vorher 2 Wochen länger und galt schon ab 1. April. Auch war von ausländischen Autos in meiner Wahrnehmung in der Debatte nie die Rede. Über die Beweggründe ist in der Pressemeldung nichts zu lesen.

Man kann sie sich aber denken. Am 1. April ist schon Tauwetter in Stockholm, aber in Nordschweden noch lange nicht. Auch die Winterreifenpflicht für Ausländer hat ihren Zweck. Ursprünglich war das wohl dafür gedacht, dass jemand über die Grenze kommt und dann entsetzt feststellt, dass er keine Winterreifen hat. Das wiederum spricht nicht gerade für die Vernunft des Fahrers und rechtfertigt eigentlich keine Ausnahme.

So nebensächlich letztere Änderung wirkt: für Touristen und auch für Auslandsdeutsche ist dies künftig Grund genug, sich darauf einzurichten. Ich selbst hatte anfangs auch nur Sommerreifen hier.

So werden also die Dubbdäck in Stockholm teilweise verboten werden – und ich finde es gut. In dieser Region gibt es wirklich keine Notwendigkeit für sie. Die Straßen sind normalerweise frei, und dass jemand, der sie wirklich braucht, auch unbedingt in einen zentralen Stadtteil fahren muss, ist doch recht unwahrscheinlich.

Nicht ganz im Zusammenhang sei auch noch auf diesen Gesetzesentwurf hingewiesen. Nachdem die Regierung nun Absolut Vodka verkauft hat, das Apothekenmonopol abschafft, muss nun noch ein weiteres Monopol dran glauben: Bilprovningen, die schwedische Entsprechung des TÜV, soll mit diesem Entwurf private Konkurrenz bekommen.

Kreuze machen – in doppelter Hinsicht

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Der Wahlschein zur Kirchenwahl

Thomas war wieder einmal schneller: am Sonntag ist Kirchenwahl.

Dieses Ereignis ist schon etwas kurios hier in Schweden, denn die schwedische Kirche war bis 1999 eine Staatskirche, was sich u.a. dadurch ausdrückte, dass sie bis in die frühen 1990er Jahre für das Meldewesen zuständig war. Bis heute gibt es in Schweden keine Trennung zwischen kirchlicher und standesamtlicher Trauung – dir kirchliche Trauung ist gleichzeitig auch die zivile Trauung.

Die Kirchenwahl ist bis heute davon geprägt, denn sie kommt daher wie eine „normale“ Wahl: es wird einem ein hochoffizieller Wahlschein zugestellt. Zudem darf man gleich in drei Wahlen mitstimmen: analog zu den staatlichen Strukturen Kommune, Län (eine Art Bundesland), Königreich gibt es bei der Kirche Församling (Gemeinde), Stift (Bistum) und Kirche als gesamtes. Jede dieser Ebenen wird von einem demokratisch gewählten Rat geleitet.

Das Kuriosum besteht eigentlich darin, dass nicht etwa Einzelpersonen antreten, sondern Listen, die zudem größtenteils von den Parteien aufgestellt werden. Konkret: zu jeder der etablierten Parteien gibt es auch eine Kirchenliste, was irgendwie nicht so wahnsinnig viel Sinn macht, weil es dort ja nicht um Parteipolitik geht und die Linkspartei z.B. mit der Kirche nicht viel am Hut haben dürfte.

Ich bin Mitglied in der deutschen Kirche, die eine sogenannte nicht-territoriale Gemeinde ist. Soll heißen, man kann in dieser Kirche auch Mitglied sein, wenn man nicht in deren Bezirk wohnt. Ansonsten funktioniert das nämlich wie in Deutschland: dort, wo man wohnt, wird man automatisch Gemeindemitglied. Im Gegenzug kann man nur Mitglied werden, wenn man besondere Anforderungen erfüllt. Man qualifiziert sich z.B. durch die deutsche Staatsbürgerschaft oder dadurch, dass man Angehöriger eines Gemeindemitglieds ist. Evangelisch muss man natürlich auch sein.

Da ich derzeit 0,78% meines gesamten Einkommens an die Kirche gebe, wollte ich da natürlich nicht fehlen, wenn schonmal gewählt wird. Da ich am Sonntag nicht wählen kann, bestellte ich ein Briefwahlpaket, das leider nie angekommen ist.

Heute ist der letzte Tag gewesen, im Voraus zu wählen – sowohl durch Vorbeischauen bei der Gemeinde als auch durch Briefwahl. Dummerweise hatte ich die Wahlbenachrichtigung zuhause gelassen.

Die Frau bei der Gemeinde war aber so nett, herauszufinden, dass sie mir eine Ersatzkarte ausstellen kann. Also bin ich heute nachmittag hin und habe gewählt.

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Innen taten sich bemerkenswerte Parallelen zu den allgemeinen Wahlen auf. Wahlkabine, Wahlkuverts und Stimmzettel sind praktisch identisch. Einziger Unterschied war, dass man bei der Kirchenratswahl meiner Gemeinde drei Kandidaten wählen durfte. Es gab zwei Kandidatenlisten. Panaschieren, also die Wahl von Bewerbern mehrerer Listen, war aber nicht erlaubt.

Ich bin ehrlich gesagt weitgehend uninformiert und ahnungslos in diese Wahl gegangen. Daher wollte ich bei den regionalen und nationalen Wahlen auch meine eigene Partei wählen. Dummerweise war diese die einzige, die keine Stimmzettel ausliegen hatte. Also habe ich von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Partei einfach auf einen leeren Zettel zu schreiben.
Ich hätte auch nicht gewusst, wen ich sonst hätte wählen sollen. Neben den Parteilisten gab es nämlich noch so Listen wie „Kyrkans Bästa“ („Die Besten der Kirche“), von denen ich noch weniger Ahnung habe als von den etablierten Parteien. Der Knüller ist aber „Öppen Kyrka“ („Offene Kirche“), die es nur auf drei Kandidatinnen bringt. Die drei Mädels sind 65, 70 und 71 Jahre alt, und zwar genau in dieser Reihenfolge auf der Liste. Das Motto lautet also: der Jugend eine Chance geben. Die 70-jährige ist Tänzerin und studiert, um Pastorin zu werden, was in dem Alter doch etwas, ähm, ungewöhnlich ist. Die beiden anderen sind schon Pastorinnen, aber das macht es auch nicht wirklich leichter, diese Liste ernst zu nehmen.

Auf lokaler Ebene habe ich mehr oder weniger spontan entschieden – auf der einen Liste („Samverkan“, zu deutsch „Zusammenarbeit“) waren Zusatzinformationen zu den Kandidaten abgedruckt und ein Name kam mir aus dem deutschen Programm des schwedischen Rundfunks bekannt vor.

Nun fällt mir allerdings auf, dass die andere Liste („Församlingens Röst“, zu deutsch „Stimme der Gemeinde“) anscheinend eine Protestgründung ist, die sich für Erneuerung einsetzt. Konkret hat diese Erneuerung wohl etwas damit zu tun, dass es auch bei den Christen nicht immer so nett zugeht und so der ehemalige Pfarrer anscheinend etwas unsanft hinauskomplimentiert wurde.

So ein Anliegen erscheint unterstützenswert, aber: who am I to judge? Vielleicht gab es gute Gründe dafür, von denen ich schlicht nichts weiß.

Die Kirchenwahl ist irgendwo eine Farce. Man wählt Personen und Parteien, die man bestenfalls oberflächlich kennt. Die Programme, so sie denn deutlich werden, scheinen sich auf Allgemeinplätze zu reduzieren, an denen man kaum echte Unterschiede sehen kann. Die Parteien betreiben ihre Wahlwerbung halbherzig und sehen das eher als Stimmungstest für die große Wahl im nächsten Jahr. Mir scheint, der eigentliche Zweck der Wahlwerbung meiner eigenen Partei besteht mehr darin, die Leute überhaupt zu den Urnen zu locken. Die Wahlbeteiligung ist so mies (letztes Mal: 12%), dass man nur Stammwähler zu mobilisieren braucht, um einen großartigen Wahlsieg feiern zu können.

Das nächste Mal werde ich versuchen, mich zu informieren – aber für dieses Mal blieb mir nur noch, meine unqualifizierte Stimmabgabe zu bezeugen, als meine drei Wahlzettel in den Briefwahlumschlag getan und in eine versiegelte Urne geworfen wurden.

Vorbeifahren

Vor einiger Zeit gab es eine Werbekampagne hier in Stockholm. Dort war auf schwarzem Grund groß zu lesen:

Es gibt nur zwei europäische Länder, deren Hauptstadt keine Umgehungsstraße hat.

Und darunter klein:

Albanien ist das eine.

Womit sich jeder denken, welches das andere ist: Schweden.

In der Tat gibt es derzeit genau drei Möglichkeiten, die Region Stockholm zu umfahren – und von denen sind zwei so abwegig, dass sie nie jemand dafür benutzen würde.
De facto gibt es also nur einen Weg, nämlich den Essingeleden, eine Autobahn über Kungsholmen, auf der trotz vierspurigen Ausbaus jeden Morgen Stau ist.

Die Schaffung einer Alternative tut also not. Diese soll die „Förbifart Stockholm“ werden, also die Vorbeifahrt an Stockholm. Eine Autobahn, größtenteils unterirdisch verlegt wird – 17 der 21 km werden Tunnel sein – soll einen Bogen im Westen über die Inseln der Gemeinde Ekerö schlagen und dann im Nordwesten die Anbindung an die großen Straßen E4 und E18 schaffen. Bis 2020 „kann“ der Bau fertig sein, was soviel heißt, dass er bis dahin nicht fertig sein wird.

Kritik wird laut von einigen Seiten. Man fürchtet um den Umwelt- und vor allem den Klimaschutz. Auch die Bewohner der Insel Lovö, unter der ein Teil des Tunnels verlaufen und die auch eine Autobahnabfahrt bekommen soll, sind nicht begeistert.

Die Argumente dieser Gegner sind mir doch einigermaßen schleierhaft. Ein Tunnel schadet ja wohl kaum der Natur. Wenig stichhaltig erscheint mir das Argument, der CO2-Ausstoß werde dadurch erhöht, denn dies beruht auf der Annahme, der Verkehr werde weniger wachsen, wenn man einfach keine Straßen für ihn baut. Diejenigen, die so argumentieren, verweisen auch auf die Stadtmaut, die man dafür benutzen könne, den Verkehr fernzuhalten.

Dabei hat gerade die Trängselskatt gezeigt, dass eine solche Maßnahme bestenfalls lenken kann – fernhalten kann es den Verkehr aber nicht wirklich. Die Straßen Stockholms sind mittlerweile genauso verstopft wie vor Einführung der Maut. Man hat sie seit 2007 nicht mehr angehoben, was einen starken Gewöhnungseffekt erzeugt.

Der Bau der Förbifart ist mehr als überfällig und ich kann sie eigentlich nur unterstützen. Außerdem erscheinen mir Klagen aus Ekerö übertreiben, weil Ekerö eine der Kommunen ist, die die schlechteste Verkehrsanbindung haben – die meisten werden wohl froh darum sein, wenn sie keine Fähre mehr nehmen oder den endlosen Umweg über Bromma fahren müssen.

Der Ablauf der Planung scheint mir aber symptomatisch zu sein für Verkehrsplanung im Raum Stockholm.

Slussen baut man erst um, nachdem es zu einem heruntergekommenen und nach Urin stinkenden Schandfleck geworden ist. Die Citybanan, ein S-Bahn-Tunnel unter Stockholm zur Entlastung des südwärts gerichteten Schienennetzes, wird in Angriff angenommen, nachdem die S-Bahn Pendeltåg schon seit vielen Jahren ein Synonym für Unzuverlässigkeit und Störungsanfälligkeit ist. Die am schnellsten wachsenden Kommunen sind nur durch Busse angebunden und haben nichtmal in Aussicht, Schienenverkehr zu erhalten. Zu der Insel, auf der ich wohne, gibt es nur eine altersschwache und überlastete Brücke, aber eine neue Brücke soll es erst in 15 Jahren geben – von einer Anbindung an den Schienenverkehr wird erst gar nicht gesprochen, obwohl jetzt schon die Busse in kurzen Takten fahren und trotzdem voll sind.

Wenn man von dem zukunftsweisenden Projekt der Tvärbanan absieht, baut man immer erst dann, wenn die Situation eine Zumutung geworden ist. Man repariert einen Schaden erst, wenn er eingetreten ist, aber versucht nicht, ihn vorsorglich zu verhindern.

Insofern kann ich der Förbifart eigentlich nur einen Kritikpunkt entgegen bringen, nämlich den, warum das Projekt nicht gleich durch eine Erweiterung des Nahverkehrs ergänzt hat. Eine direkte S-Bahn von Södertälje nach Akalla und Hjulsta wäre der Region sehr zuträglich.

Wohnungsprobleme

Wie ich neulich schon angemerkt habe, ist die Wohnungssuche für Studenten in Stockholm derzeit äußerst problematisch.

Heute morgen hat Dagens Nyheter nun eine Übersicht der Wohnungssituation für Studenten in ganz Schweden publiziert. In den drei Großstädten Stockholm, Göteborg und Malmö, aber auch in kleineren Städten wie Lund ist es demnach äußerst schwer im Moment. Thomas fasst auf Fiket die Ursachen treffend zusammen.

In Lund hat man nun sogar Armeezelte als vorübergehende Bleibe aufgestellt. In dem Zusammenhang frage ich mich, wieso man eigentlich meinen ehemals heißgeliebten Container leerstehen lässt. Er ist zwar hässlich, überteuert und laut, aber immerhin hat man ein Dach über dem Kopf. Besser als ein Armeezelt ist er allemal.