Wahlkampfthema: Jugendarbeitslosigkeit in Schweden

Jugendarbeitslosigkeit in der EU, Eurozone, Dänemark, Finnland, Schweden und Deutschland
Jugendarbeitslosigkeit in der EU, Eurozone, Dänemark, Finnland, Schweden und Deutschland

Einige der zentralen Fragen dieser Wahl ist die Jugendarbeitslosigkeit. Ich sehe von ihr im Alltag natürlich nichts, weswegen ich einmal die Zahlen von Eurostat herausgesucht haben – siehe Grafik. Das Bild ist natürlich erschreckend, wenn man den Vergleich mit Dänemark oder Deutschland bemüht. Auch gegenüber der EU als Gesamtes sehen die schwedischen Zahlen wenig erbaulich aus. Hinzu kommt, dass die Jahrgänge erheblich größer sind – die Zahl der 19-jährigen ist seit 2002 um rund 30% gestiegen.

Die bürgerliche Regierung hat in den letzten Jahren verschiedene Programme dazu aufgesetzt, darunter sogenannte Einstiegsjobs für junge Einwanderer, deren Anstellung zu erheblichen Teilen subventioniert wurde. Außerdem gibt es ein Förderprogramm, das vollmundig eine Jobgarantie verspricht. Sonderlich gefruchtet scheint das nicht zu haben, wenn man sich die Zahlen oben anschaut. Die Regierung schlägt deswegen vor, junge Erwachsene, die kein Abitur gemacht haben, also ohne Abschluss von der Schule gingen, eine höhere finanzielle Förderung zur Weiterführung ihrer Ausbildung zukommen zu lassen. Außerdem will sie eine sogenannte Lehrlingsprobeanstellung einführen, bei der junge Erwachsene für ein geringeres Gehalt eine Anstellung bekommen können sollen.

Die Sozialdemokraten und Gewerkschaften gefällt vor allem letzterer Vorschlag nicht. Die rot-grüne Opposition wirft der Regierung hier vor, sie hätte durch Kürzungen im Bereich der Erwachsenenbildung die Situation verschlimmert. Sie schlägt vor, die Jobgarantie mit einem Programm „Jobstart für Junge“ zu ersetzen, bei dem mir aber die Unterschiede im Detail zu liegen scheinen. Für das Ausbildungsproblem will sie ein eigenes Ausbildungsprogramm ins Leben rufen, bei dem die jungen Arbeitslosen, die aktiv an ihrer Weiterbildung haben, mehr Geld erhalten. Auch hier scheinen die Unterschiede eher im Detail zu liegen. Die übrigen Maßnahmen schlagen in die gleiche Kerbe: finanzielle Anreize und Weiterbildungsförderung.

So weit voneinander weg scheint mir das alles nicht zu liegen. Allerdings bin ich nicht so tief in der Materie drin, dass ich das mit endgültiger Gewissheit sagen könnte. Wer hier eine bessere Einsicht hat, kann gerne in den Kommentaren etwas dazu sagen.

Glücklicherweise trommelt sich keine auf die Brust, denn versagt haben anscheinend beide Seiten: die Sozialdemokraten mit dem Unvermögen, den Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit zu bremsen, die Regierung mit den vergeblichen Versuchen, sie nennenswert zu senken.

Einen interessanten Beitrag aus dem frühen Sommer habe ich beim Schweizer Radio gefunden. Hier kann man sich einmal aus einem anderen Blickwinkel einen Überblick verschaffen. Lediglich eine Sache scheint mittlerweile veraltet: leider sind die rechtspopulistischen Schwedendemokraten nicht so chancenlos wie dort dargestellt.

Man kann ja mal fragen

Heute morgen stellt ein Freund die Frage, ob ich denn nun auch Schwede werden wollen. Daran hatte ich schon seit einiger Zeit nicht mehr gedacht, aber im Grunde hat er recht: 5 Jahre ständiger Aufenthalt in Schweden sind die übliche Voraussetzung für den Erwerb der schwedischen Staatsbürgerschaft.

Gegen ihren Erwerb spricht wenig. Deutschland hat schließlich auch sein Staatsbürgerschaftsrecht reformiert und lässt Deutsche nun auch eine andere EU-Staatsbürgerschaft oder die schweizerische Staatsbürgerschaft erwerben, ohne dass hier für die deutsche Staatsbürgerschaft aufgegeben werden oder man eine Genehmigung einholen muss. Zudem hat Schweden vor kurzem die Wehrpflicht abgeschafft, so dass man sich nicht auch noch das an die Backe holt.

Ich rechnete trotzdem nicht damit, Schwede werden zu können. Soweit ich das nämlich mitbekommen habe, werden Studienzeiten in den 5 Jahren nicht mit angerechnet.

Aber: man kann ja mal fragen. Also rief ich an, denn das Migrationsverket hat einen ziemlichen Rückstau bei schriftlichen Anfragen. Keine 10 Minuten später hatte ich den Kundendienst an der (drahtlosen) Strippe. Ich schilderte meinen Fall: 5 Jahre in Schweden, anfangs nur Studien und später dann Arbeit. Er bat mich, zu warten, und hatte die Antwort bald parat: ich kann (noch) kein Schwede werden.

Der Grund ist aber ein anderer, als ich erwartet hatte. Als ich 2005 hierher kam, musste ich noch eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen. Diese galt für ein Jahr. Als es zur Verlängerung ging, war dann auch in Schweden neues europäisches Recht umgesetzt worden. Ich erhielt deshalb im Herbst 2006 die Registrierung für das Aufenthaltsrecht, das dann bis auf weiteres gilt, solange man die Anforderungen für den Aufenthalt erfüllt.

Nun wird, so wurde mir gesagt, das erste Jahr der zeitlich befristeten Aufenthaltsgenehmigung nicht zu den 5 Jahren hinzugerechnet. Also ist im Herbst 2011 Stichtag. Das ergibt auch irgendwo Sinn, denn nach 5 Jahren Aufenthaltsrecht geht dieses in das permanente Aufenthaltsrecht über, mit dem in jedem Fall bleiben darf. Dies ist aber auch eine Vorbedingung für die Erteilung der schwedischen Staatsbürgerschaft.

Folglich kann ich noch kein Schwede werden. Aber interessant zu wissen, wann ich es werde könnte.

Ausländer bei Studienplatzsuche benachteiligt

Es war ja schon länger zu ahnen, aber erst jetzt zeigen sich die Schnitzer in der Reform der Studienplatzvergabe, die von der aktuellen Regierung vorgenommen wurde. Kurzum: sie benachteiligen Studienbewerber, die ein älteres Abitur haben oder aus dem Ausland kommen. Diese Woche waren schon zwei Artikel in der DN über diese Probleme, und ich nehme stark an, dass es nicht die letzten gewesen sein werden.

Bislang wurden folgende Auswahlgruppen für Studienbewerber genutzt:

  • BG (Gymnasiumsnote): auf einer Skala von 10 bis 20 hat der Bewerber je nach Gymnasiumsleistungen eine Note, mit der er in die Konkurrenz um einen Studienplatz geht. Ausländische Gymnasiumsnoten wurden umgerechnet und gingen ebenso ins Rennen.
  • BF (Folkshögskola): die Folkhögskola erlaubt den nachträglichen Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung und verwendet ein eigenes Bewertungssystem.
  • HP (Högskoleprovet): der Plan B für alle. Wer zwar alle Qualifikationen hat, es aber an den Noten hapert, kann in einer Art Fertigkeitentest zeigen, dass er doch das Zeug zum Studenten hat.

Das ist aber ab diesem Wintersemester passé. Nun gibt es folgende Gruppen:

  • BI: Bewerber mit einer normalen Gymnasiumsnote
  • BII: Bewerber mit einer normalen Gymnasiumsnote, die nachträglich noch einige Kurse belegt haben, um die für den Studiengang nötige Qualifikation zu erreichen.
  • BIII: Bewerber mit ausländischen Gymnasiumsnoten (Ausgenommen sind Åländer sowie gewisse internationale Gymnasien), wobei es hier ein neues Bewertungssystem für die ausländischen Noten gibt, in dessen Details ich leider noch nicht bewandert bin.
  • BIV: Folkhögskola-Absolventen
  • HP: Högskoleprovet
  • SA: Späte Anmeldungen

Sieht auf den ersten Blick gerecht aus, hat aber zwei massive Haken:

  1. Wer vor 2003 sein Abitur in Schweden gemacht hat, kann trotz Spitzennoten nicht mehr voll konkurrieren. Alle, die danach kamen, erhalten nämlich Bonuspunkte, wenn sie bestimmte „harte“ Fächer (z.B. Mathe) belegt haben. Es ist natürlich unfair, wenn jemand mit einem Abi von 2002 nur 20,0 Punkte erreichen kann, während die nachfolgenden sich mit bis zu 22,5 Punkten an die Spitze setzen können.
  2. Ausländer haben nur geringe Chancen, über ihre Gymnasiumsnote erfolgreich zu sein. Die Quote in dieser Auswahlgruppe ist so klein, dass in vielen Programmen kein einziger Bewerber hierüber hereinkommt. In solchen Programmen sind die Chancen auf einen Studienplatz also praktisch Null. Auch in großen Programmen ist die Zahl gering, vor allem in gut gefragten Studiengängen. Um das mal anhand des gefragtesten Programms überhaupt, dem Medizinstudium zu illustrieren:
    • Göteborgs Universitet: 1 Platz, 125 Bewerber auf den Nachrückerplätzen
    • Karolinska Institutet: 1 Platz, 144 Bewerber auf den Nachrückerplätzen
    • Linköpings Universitet: 1 Platz, 113 Bewerber auf den Nachrückerplätzen
    • Lunds Universitet: 2 Plätze, 102 Bewerber auf den Nachrückerplätzen
    • Umeå Universitet: 0 Plätze, 130 Bewerber auf den Nachrückerplätzen
    • Uppsala Universitet: 1 Platz, 135 Bewerber auf den Nachrückerplätzen

    Bei den 4 Universitäten, bei denen es jeweils nur einen Platz gab, hat also schon der 2. oder 3. Nachrücker de facto keine Chance mehr, weil hier sämtliche Leute in der Warteliste den Platz verschmähen müssten. Das kann, muss aber keine Benachteiligung gegenüber den „großen“ Auswahlgruppen sein, wenn es nur einen Platz gibt, denn in den großen Gruppen gibt es zwar 30 Plätze und mehr, so dass bei ein paar Absagen doch noch einige Wartelistenleute zum Zug kommen, aber dafür ist die Warteliste auch über 3500 Personen lang. Die Benachteiligung ist aber augenfällig in Umeå – da warten 130 Leute auf einen Platz, den es gar nicht gibt. Dieses Verfahren ist wahrscheinlich ein Verstoß gegen EU-Recht, denn EU-Bürger in eine eigene Kategorie mit geringeren Annahmechancen zu stecken widerspricht dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Das hat vor allem in den nordischen Ländern für Unmut gesorgt, denn die nordischen Nachbarn kommen bestimmt gerne angesichts der niedrigen Sprachbarriere.

Da kann man nur sagen: schnellstens nachbessern! Immerhin scheint schon etwas im Gange zu sein.

Deutsche arbeiten weniger…

Heute morgen fand ich auf dem Frühstückstisch folgenden Artikel in der Zeitung Dagens Nyheter (DN) vor:

Ausriss: Dagens Nyheter

Die Deutschen arbeiten laut dieser Schlagzeile also am wenigsten in der EU. 38,1 freie Tage soll der gemeine Deutsche so haben, während es der EU-Durchschnitt lediglich auf 33 Tage bringe. Die Schweden liegen mit 36 Tagen auf Platz 4. Hier die ganze Liste (Angaben in Tagen):

  • Deutschland: 38,1
  • Italien: 37,1
  • Luxemburg: 37,1
  • Dänemark: 37,0
  • Schweden: 36,0
  • Portugal: 35,8
  • Malta: 35,0
  • Österreich: 34,9
  • Spanien: 34,5
  • Slowakei: 33,8
  • Tschechien: 33,3
  • EU-Durchschnitt: 33,0
  • Litauen: 33,0
  • Griechenland: 33,0
  • Finnland: 32,8
  • Irland: 32,2
  • Lettland: 32,0
  • Norwegen: 31,9
  • Frankreich: 31,5
  • Zypern: 31,4
  • Slowenien: 31,0
  • Bulgarien: 31,0
  • Großbritannien: 30,5
  • Polen: 30,0
  • Ungarn: 30,0
  • Niederlande: 29,6
  • Estland: 29,0
  • Belgien: 28,2
  • Rumänien: 28,0

Da frage ich mich natürlich: wie kommt man denn auf diese Idee? Das nicht nur, weil es zum deutschen Selbstverständnis gehört, dass man arbeitet bis man nicht mehr kriechen kann, was sich natürlich hervorragend in die große Nachkriegssaga vom Wirtschaftswunderland einfügt. Vielmehr bin ich überrascht, weil ich Schweden an der Spitze erwartet hätte. Schließlich nehmen die Schweden nicht selten über einen Monat am Stück im Sommer frei. An Brückentagen oder Tagen vor hohen Feiertagen wird wenn überhaupt nur eingeschränkt gearbeitet.

Eine wahrscheinliche Erklärung gibt der Bericht selbst. Eurofound, das diese genaue Statistik (die Genauigkeit wird sehr deutlich hervorgehoben) erstellt hat, hat die Zahl der Feiertage im Kalender genommen und den gewerkschaftlich ausgehandelten Urlaubsansprich hinzugefügt. Vermutlich hat man sich hier die Feiertagsstruktur genau angesehen – so ist Mittsommer immer an einem Samstag, und 1. Mai und Nationalfeiertag können durchaus auch mal am Wochenende liegen. Fronleichnam und Pfingstmontag hingegen sind eben immer unter der Woche. So gibt es in Deutschland bis zu 6 wochentagssichere Feiertage, in Schweden hingegen nur 4. Aber auch hier sollte man die Kirche im Dorf lassen. Schweden hat nämlich 10 gesetzliche Feiertage. 9 der 16 Bundesländer haben aber auch nur 9 oder 10 Feiertage. Selbst wenn man nach Bevölkerungsmengen gewichtet, kommt man auf im Schnitt 10,9 Feiertage in Deutschland.

Damit wäre also mindestens die Hälfte der 2,1 Tage Differenz erklärt. Und die andere Hälfte? Hier wird es schwammig, denn Schweden hat anscheinend keinen gesetzlich vorgeschriebenen Mindesturlaubsanspruch. Meine Erklärung ist, dass die in deutschen Tarifverträgen ausgehandelten Urlaubsansprüche wohl leicht umfänglicher sind als die in den schwedischen.

Bei der geradezu unheimlichen Stärke der schwedischen Gewerkschaften ein überraschender Schluss, der aber nicht einer gewissen Logik entbehrt. Denn ich sehe bei der ganzen Sache zwei Knackpunkte:

  1. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist in Deutschland anzunehmenderweise weit geringer als in Schweden. Während hier selbst jede Imbissbude mit geradezu erpressungsartigen Methoden in die Tarifverträge gezwungen werden, sind weite Teile des deutschen Mittelstandes bestenfalls in Form eines Betriebsrats organisiert. Tarifverträge dürfte dort nur eine untergeordnete Rolle spielen.
  2. Arbeitstag ist nicht gleich Arbeitszeit. Das allgemein übliche Kaffeetrinken hierzulande („fika“), das sich anscheinend am Tag gerne mal auf 2×30 Minuten summiert, würde einen deutschen Chef auf die Palme bringen. Zudem sind Arbeitszeiteinschränkungen, um z.B. Kinder vom Kindergarten abzuholen, hierzulande weitaus üblicher als in Deutschland, wie mir scheint.

Die Verallgemeinerung von tariflich festgelegten Arbeitstagen zur allgemeinen Arbeitszeit der Bevölkerung scheint mir also nur bedingt möglich.

Die Fakten des Artikels scheinen also zu stimmen – die Überschrift hingegen ist irreführend.

Nachtrag 14:13 Uhr: Ich habe mich an die Autorin des Artikels gewandt und meine Einwände gegenüber der Überschrift dargelegt. Sie hat mittlerweile geantwortet und ist meiner Meinung. Sie hat sich schon beim Redakteur beschwert, der die Überschrift ausgewählt hat.
Nachtrag 15:25 Uhr: Wie ich gerade vernommen habe, sagt Eurofound, dass die Zahlen von letztem Jahr sind und nur sagen, wieviele Tage frei sind, nicht wieviele Stunden wirklich gearbeitet werden. Ein neuer Bericht mit mehr Details soll in den nächsten Wochen kommen.

Noch 100 Tage bis zur Wahl

In exakt 100 Tagen öffnen die Wahllokale zur Reichstagswahl in Schweden. Und nicht nur das: die Parlamente der Provinzen und Kommunen, die auch von Ausländern (EU und einige andere) mitgewählt werden dürfen, stehen gleichzeitig zur Wahl. Dies macht den Tag zum Höhepunkt des politischen Lebens in diesem Lande, denn bis 2014 steht dann keine einzige Wahl mehr an.

Richtig los geht es freilich erst im Sommer, wenn überall die Hütten (sogenannte valstugor) an zentralen Punkten der Orte stehen, um den Wähler nahezukommen.

Debattiert wird aber jetzt schon im Fernsehen, und die Demoskopen sind auch fleißig. Letztere haben Zahlen erhoben, die vor allem dies sagen: es wird eng und es wird spannend. Die Blöcke sind in den Umfragen der letzten Zeit teilweise gleichauf, und das praktisch zum ersten Mal in dieser Legislaturperiode. Die „Allianz“, eine Koalition aus 4 bürgerlich-konservativen Parteien, hat nämlich gehalten und funktionierte so geräuscharm wie es sich Angela Merkel derzeit in ihren Träumen ausmalen dürfte. Daher stehen auch die Blöcke geschlossen gegeneinander: die Allianz auf der einen Seite, die „Rotgrünen“ mit den Sozialdemokraten, den Grünen und der Linkspartei auf der anderen Seite. Daran wird sich wohl nichts mehr ändern.

Eine Minderheitsregierung scheint ausgeschlossen, denn die Sozialdemokraten haben sich nach ihrem Wahldebakel 2006t nie ganz gefangen und suchten den Schulterschluss mit den anderen beiden linken Parteien. Es ging zwar aufwärts, aber die Zeiten, als sie wie gottgegeben jede andere Partei mit großem Abstand abhängten, scheinen vorbei: nach aktuellen Umfragen ist nicht einmal gesichert, dass sie stärkste Partei werden.

Hoffnung kann man sich aber machen, denn die gestern veröffentlichten Daten der schwedischen Statistikbehörde, die in der Vergangenheit immer richtig lag, sieht Rotgrün vorne.

Wie ich mich selbst entscheiden werde, muss ich noch mit mir ausmachen. Zum Reichstag bin ich ohnehin nicht wahlberechtigt. Egal kann es mir aber natürlich nicht sein. Aber auch wenn ich wählen dürfte, wäre nicht klar, wen. Zwar bin ich nach wie vor Sozi, aber ich sehe trotzdem nicht so ganz, was sie so viel besser machen würden als die bestehende Regierung. Das Angebot, das über das reine Zurückdrehen der Reformen der letzten Jahre hinausgeht, sehe ich (noch) nicht ganz. Vielleicht liegt es aber auch an der Spitzenkandidatin Mona Sahlin, mit der ich einfach nie richtig warm geworden bin. Zudem muss ich sagen, dass ich zwar nicht mit allem in den letzten Jahren einverstanden war, aber die aktuelle Regierung hat ihren Job ganz passabel gemacht.

Ähnlich zwiespältig ist es bei den Parlamenten, die ich wählen darf. Auf Provinzebene, wo es in erster Linie um Nahverkehrsfragen und das Gesundheitswesen geht, bin ich mit der Verkehrspolitik beider Blöcke nicht so ganz glücklich. Die Umgehungsstraße Förbifart wird von linker Seite in Zweifel gezogen und soll einer seltsam konstruierten Volksabstimmung unterzogen werden. Ich halte sie für zwingend nötig und frage mich, welche Alternative es da geben soll. Auf rechter Seite ist man jedoch ziemlich lethargisch, was den Ausbau des Nahverkehrs auf Schienen angeht. Ein paar Straßenbahnprojekte hier und da, aber die U-Bahn ist für die fertig. Ich tendiere klar zu meiner Partei in diesem Fall, aber ich werde mich eingehend mit den Programmen auseinandersetzen. Ein ähnliches Dilemma habe ich in meiner Kommune. Das einzige Thema, bei dem meine Genossen bisher hier in Erscheinung getreten sind, ist der Protest gegen die gewählte Lösung zum Neubau einer Brücke von der Insel herunter. Die konservative Mehrheit will eine neue Brücke schnell bauen und sie über eine Maut refinanzieren. Meine Partei ist dagegen, soweit ich das mitbekommen habe. Dumm nur, dass ich ausgerechnet dabei stark zur Mautlösung tendiere, denn die bestehende Brücke ist jetzt schon jeden Werktag überlastet. Allerdings könnte ich aber auch sagen, dass sie meine Unterstützung gut gebrauchen können, denn Värmdö ist ohnehin sehr konservativ.

Es steht also noch einiges bevor. Den ersten Wahl-O-Mat-Test habe ich schon einmal beim Svenska Dagbladet gemacht. Das Ergebnis finde ich allerdings wenig erbaulich:

Ausriss: svd.se

Schock

Der Wahl-O-Mat ist mittlerweile auch in Schweden angekommen. Zwar ist dieses Instrument der Wahlentscheidungsfindung noch nicht so nachhaltig etabliert wie in Deutschland, aber zumindest die Dagens Nyheter hat ein solches System eingerichtet.

Ich mache solche Testes gerne, denn ich möchte auch wissen, ob meine Ansichten einigermaßen mit meiner generellen Parteipräferenz übereinstimmen.

25 Fragen sind es also. Einige Themen sind darunter, die zwar Europa betreffen, aber im Grund gar nicht vom Europaparlament beeinflusst werden können wie beispielsweise die Einführung des Euro in Schweden und die Mitgliedschaft Schwedens in der EU.

Das Ergebnis:
versuch1

Ich war schockiert – sollte ich etwa mit meinen Ansichten am nähesten an einer Partei liegen, die für mich eigentlich eher ein Anachronismus der schwedischen Politik ist.

Also versuchte ich es noch einmal:
versuch1

Noch schlimmer, aber immerhin mehr als 50% Zustimmung zu den Sozialdemokraten. Anscheinend ist es aber so, dass Tendenzen nicht berücksichtig wird. Wenn also eine Partei teilweise einer Aussage zustimmt, man selbst aber voll dafür ist, dann wird das anscheinend trotzdem als nicht übereinstimmend gerechnet.

Es geht aber erheblich detaillierter: der EU Profiler stellt 30 Fragen, die man abgestuft beantworten und auch gewichten kann. Der Unterschied in den Fragen ist, dass sie zu guten Teilen recht allgemein gehalten sind. Das Ziel des Testes ist also nicht nur, herauszufinden, ob man in aktuellen Sachfragen mit einer Partei übereinstimmt, sondern ob man auch deren Wertekanon teilt. Das mag zwar etwas unnötig wirken, ist aber irgendwo sinnvoll, weil ein EU-Parlamentarier schließlich auf vielerlei politische Fragen eine Antwort haben muss.

Das ist das Ergebnis:

2tertest

Ich bin also entweder ein ziemlich linker Zentrist (konservativ, grün) bzw. Folkpartist (liberal), oder eben ein sehr EU-freundlicher Sozialdemokrat. Ein Kristdemokrat bin ich da aber mal gar nicht, und auch die Moderaterna liegen mir nicht viel näher. Damit kann ich schon eher leben.

Bei einem prozentualen Matching gefällt mir das Ergebnis auch recht gut:

euprofiler2

Einen weiteren Test habe ich auch noch gefunden, nämlich den auf makthavare.se.

Dort war das Ergebnis so mittelprächtig:
3tertest

Hier bin ich also am ehesten ein Liberaler.

Das Problem ist im Grunde, dass in Sachen EU keine perfekt passende Partei für mich geben kann. Ich bin für schwedische Verhältnisse extrem pro-EU, innerhalb der Sozialdemokraten eher rechts, im Gesamtspektrum aber leicht links, und eine liberale Komponente gibt es da auch noch.

So ist es wie für jeden anderen Wähler auch – man muss den besten Kompromiss, die größte Schnittmenge finden. Letzten Endes bedeutet das in meinem Fall, zu schauen, ob es Positionen der Sozialdemokraten gibt, mit denen ich nicht leben kann.

Es gibt bislang so einiges, was mir nicht übermäßig behagt. An der von der Piratenpartei aufgeworfenen Frage der Informationsfreiheit und Urheberrecht ist die Partei nicht sonderlich interessiert – gerade hier könnte man sich künftig ein Profil schaffen. Die etwas zögerliche Position zum Euro würde ich auch gerne anders sehen.

Ob solche Dinge genügen, mich zu einer anderen Partei zu ziehen, wird sich aber noch entscheiden. Ich habe ja noch Zeit, zu überlegen.

Gesundheit

Wenn sich Schweden über etwas aufregen können, dann ist es Ungleichheit – die zwischen arm und reich, ganz besonders aber zwischen Mann und Frau.

Darüber kann man sich so sehr aufregen, dass man sich anscheinend nicht mehr über ein Gesundheitssystem, das Leute monatelang auf notwendige Behandlungen warten lässt, aufregen will. Ab und zu kommt es aber zu einem Aufbäumen. So wurde kürzlich bekannt, dass ein kleiner Junge in Stockholm gestorben ist, weil der Mutter am Telefon mehrfach gesagt wurde, die Bauchschmerzen seien nur eine normale Magen-Darm-Grippe, selbst als der Junge schon in sehr schlechtem Zustand war. Nach den anschließenden Untersuchungen handelt es sich um eine Kette von Fehlbeurteilungen, also menschlichem Versagen – allerdings gab auch eine der Krankenschwestern an, sie habe unter großem Zeitdruck gestanden. Mittlerweile ist herausgekommen, dass die Krankenschwestern, die bei einer privaten Telefonzentrale angestellt sind, einen Bonus dafür erhalten, wenn sie Gespräche in weniger als 3:48 Minuten abwickeln. So etwas sorgt immerhin für etwas Empörung, mehr aber auch nicht.

Ab und zu kommt aber beides zusammen. So wurde gestern bekannt, dass in Schweden die Qualität der Gesundheitsversorgung vom sozialen Status abhängig ist. Das sagt Lars-Erik Holm, und der muss es wissen, denn der ist Generaldirektor der schwedischen Gesundheitsbehörde Socialstyrelsen.

Der Anlass des ganzen ist der Jahresbericht des Socialstyrelsen, der tiefen Einblick in die hiesige Gesundheitsversorgung gibt:

  • Schon im Jahr 2006 waren 19 Prozent aller Ärzte Ausländer. Dass man einen Ärztemangel hat und dringend mehr von ihnen ausbilden sollte, scheint aber niemanden vordringlich zu interessieren.
  • In Stockholm gibt es 430 Ärzte pro 100.000 Einwohner, und damit weit mehr als die 350, die es im Landesschnitt sind. Ich frage mich da, wieso man trotzdem so lange warten muss.
  • Mit den Krankenhäusern sind die Schweden hochzufrieden. 90% sagten das – in Deutschland waren es nur 79%, und der EU-Durchschnitt liegt bei 71%.
  • Dafür ist die Verfügbarkeit von Allgemeinmedizinern umso schlechter. Gerade einmal 63% der Schweden sagen, sie hätten leichten Zugang zu einem Allgemeinarzt. Das ist der letzte Platz in der EU. Das einzige andere Land unter 70% ist Portugal. Österreich und Deutschland erreichen über 90%.
  • Im Sommer beträgt die Wartezeit auf Spezialistenbehandlungen in mehr als 40% der Fälle mehr als 90 Tage. Die Quote sinkt selbst in Herbst und Frühjahr nicht unter 25%.
  • Die Anti-Klamydiakampagnen kommen nicht von ungefähr, denn die Zahl der Fälle hat sich in den letzten 15 Jahren in der jungen Altersgruppe verdreifacht.

Der Bericht enthält sicher noch viel mehr interessantes.

Das Schlimme ist nur, dass sich alle auf die plakativen und tragischen Einzelfälle stürzen, aber die grundlegenden Probleme letzten Endes ungelöst bleiben.

Schade irgendwie

Ich wollte eigentlich schon begeistert von der zugegebenermaßen etwas obskuren Meldung berichten, das EU-Parlament wolle die Synchronisation von Filmen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk verbieten. Zwar halte ich die Abschaffung der Synchronisation für eine ausgesprochen sinnvolle Sache, da hierdurch falsche Übersetzungen reduziert, Lesefähigkeiten gefördert, Fremdsprachenkenntnisse erweitert und Verbrechen am Kunstwerk Film verhindert werden. Ein hartes Verbot ist aber wohl kaum eine vermittelbare Lösung. Dennoch ist es irgendwie schade, dass es sich nur um eine Ente handelte. Peinlich ist allerdings, dass mir selbst mir bei der schnellen Nachrichtensuche dazu die ausgesprochen dünne Quellenlage auffiel, aber dies vielen gut bezahlten Journalisten nicht genügte, einen zweiten Blick darauf zu werfen.

Euroisiert

Euro - sxc.hu

Meine Freunde kennen mich als großen Fan der EU und des Euro. Umso betrüblicher ist es für mich, dass mein Wohnland sich so zurückhaltend in Sachen EU verhält. Bei den Schweden geht es immer ums Prinzip, und bei einem Bürokratiemonster mit oft nicht mehr wirklich durchschaubaren Strukturen, wie es die EU heutzutage ist, halten sie lieber Abstand.

Es ist dennoch erstaunlich, dass sich in der letzten Zeit das Thema Euro hierzulande wieder mehr zu bewegen scheint. Die bürgerliche Koalition nähert sich nämlich langsam dem Thema an: die Zentrumspartei, bei der Volksabstimmung 2003 noch klar ablehnend gegenüber dem Euro, ließ durchblicken, dass man zumindest über eine Kursänderung nachdenken könnte. Aus der liberalen Volkspartei kamen kürzlich sogar Vorschläge, man könne schon 2010 wieder eine Volksabstimmung durchführen.

Kurz zu den Fakten: der Euro geht bekanntermaßen auf den Vertrag von Maastricht aus dem Jahr 1992 zurück. Alle Länder, die danach der EU beigetreten sind, haben damit gleichzeitig die Einführung zugesichert. Die Länder, die vorher schon Mitglied waren, haben ein Ausstiegsricht (sogenanntes Opt-Out). Da Schweden erst seit 1995 in der EU ist, muss der Euro also eigentlich eingeführt werden. Man behilft sich allerdings mit einem Trick: für die Euro-Einführung muss die eigene Währung erst einmal 2 Jahre lang im sogenannten Wechselkursmechanismus II (WKM II) fest an den Euro gekoppelt werden. Die Älteren werden sich erinnern: ein Euro war mal 1,95583 DM. Schweden geht aber nicht in den WKM II und kann somit den Euro nicht einführen. Eine Volksabstimmung im Jahr 2003 brachte eine Ablehnung von 56% – das nächste Mal wollte man eigentlich erst 2013 abstimmen lassen. Die schwedische Währung bewegt sich also nach wie vor frei, wobei man natürlich versucht, allzu große Schwankungen zu vermeiden. Normalerweise pendelt die Krone irgendwo um 9,20 kr pro Euro, momentan ist sie aber bei fast 9,40 kr pro Euro, was sich auf den Import durchaus auswirken dürfte.

Die Reichsbank hat reagiert und den Zinssatz von 3,25 % auf 3,5 % angehoben. Der Markt reagierte nicht sonderlich begeistert darauf. Da ich kein Wirtschaftsexperte bin, kann ich hierzu kaum qualifizierte Kommentare abgeben. Manchmal frage ich mich allerdings, ob Schweden mit dem „Euro light“, wie ihn die Dänen haben, nicht besser fahren würde. Dort hat man die Währung früher an die D-Mark und heute an den Euro gekoppelt. Die Währung hängt also fest am europäischen Markt – und sollte man sich irgendwann doch zur Einführung des Euro-Bargelds entscheiden, könnte man das schneller machen als hier in Schweden. Das einzige, was dagegen spricht, ist der Druck der EU, wenn man die Konvergenzkriterien alle erfüllen sollte und trotzdem den Euro nicht einführt.

Gestern ging übrigens diese Meldung herum: 54% der Schweden sind laut der Umfrage gegen den Euro. Das bemerkenswerte daran ist, dass 2007 sicher nicht als Jahr der Euro-Euphorie in die Geschichte eingehen wird und dennoch 26% der Befragten nicht wussten, ob sie dafür oder dagegen sind. Wenn man dieser fragwürdigen Stichprobe glaubt, dann hat man einen erheblichen Anteil der Bevölkerung, die sich noch vom Euro überzeugen lassen würden. Sollten wieder bessere Zeiten für die EU kommen, wird auch die Mehrheit dagegen etwas abschmelzen. Ob es aber für eine Mehrheit dafür reichen wird, steht noch in den Sternen. Zweifel an einem neuen Referendum gibt es jedenfalls genügend. Ich bin der Ansicht, dass sich in zwei bis drei Jahren aber auch einiges verändern kann.

Meine größte Hoffnung ist, dass die baltischen Länder den Ausschlag geben werden. Wenn diese auch den Euro einführen, vereinsamt Schweden langsam aber sicher als Ostseeanrainer ohne Euro-Anbindung.