Kein Hallo mehr

Am Sonntag ging ein Stück schwedische Fernsehgeschichte zu Ende: im öffentlich-rechtlichen Fernsehen SVT trat Justine Kirk als letzte Fernsehprogrammansagerin auf. Nach einem Zusammenschnitt ihrer zahlreichen Vorgänger in mehreren Jahrzehnten dankte sie augenscheinlich etwas gerührt für all die Jahre und kündigte an, dass die SVT-Programme ab dem folgenden Tag, also gestern, je ihr eigenes Erscheinungsbild haben würden und die Programmankündigungen künftig nur noch aus dem Off erfolgen würden. Ein letztes Mal in die Kamera gewinkt, und dann war es vorbei.

Solche Momente tragen immer eine gewisse Wehmut in sich. Jedoch erschien mir Schwedisches Fernsehen, ganz besonders die Kanäle von SVT, in mancher Hinsicht etwas altmodisch, zumindest wenn man es aus deutscher Sicht nimmt. Fernsehansager sind für mich in erster Linie Kindheitserinnerungen. Ankündigungen aus dem Off werden in meiner Erinnerung heutzutage auch nur noch schnell in irgendeinen Abspann eingespielt. Der Trailer ist das Maß der Dinge. Den letzten Sendeschluss hat es im deutschen Fernsehen vor 15 Jahren oder so gegeben. Auf SVT2 war bis vor einiger Zeit nachts und morgens überhaupt nichts los – es gab eine automatisierte Programmtafel, das Testbild oder gar nur Rauschen. Da ich selten nachts schaue, habe ich das nicht näher verfolgt, aber wie ein kurzer Blick ins Fernsehprogramm ergab, sendet SVT1 nun praktisch rund um die Uhr und SVT2 immerhin von 8-2 Uhr.

Es scheint sich also etwas zu bewegen, und dass Hallåorna (also die „Halloer“ und „Halloerinnen“), wie die Ansager genannt werden, nun auch verschweden, ist ein weiteres Zeichen davon. Ob das Fernsehen dadurch besser wird, sei dahingestellt. Einen großen kulturellen Beitrag kann man nächtlichen Füllprogrammen wie „die schönsten Bahnstrecken Deutschlands“ oder dem legendären Super-RTL-Kaminfeuer nun wirklich nicht attestieren. Dennoch wirkt jemand, der das opulente Programm der versammelten Zuschauerschaft vorstellt, in einer Zeit, in der alles immer und überall verfügbar sein soll, etwas deplatziert.

Für Leute, die den Wandel nicht ganz mitgehen wollen, gibt es eine Alternative: auf TV4 sind immer noch Ansager zu sehen.

Alles, was ich habe

Dieser Blogeintrag auf PetaPixel kam mir kürzlich unter. Die Fotografin Sannah Kvist hat in den 1980er Jahren geborene Schweden gebeten, alle ihre Habseligketen in eine Ecke ihrer Wohnung zu räumen, und sie daneben fotografiert.

Es ist ein interessanter Einblick in diese Generation von Schweden. Neben der Variation in den Räumlichkeiten und der Art der Besitztümer – da hat einer tatsächlich noch einen Röhrenmonitor – finde ich v.a. die Menge interessant. Es kommt mir nicht als sonderlich viel vor, v.a. in Anbetracht der Mengen, die wir bei meinem letzten Umzug transportieren mussten.

Nachtrag 17:23 Uhr: Ich hatte übersehen, dass es dazu auch in Interview in der Zeit gibt. Die geringe Menge der Habseligkeiten ist demnach kein Zufall, sondern soll zeigen, dass die junge Generation die erste ist, der es schlechter geht als ihren Eltern. Sannah Kvist deutet auch an, dass es sich bei den gezeigten Leuten um solche handelt, die in untervermieteten Wohnungen leben und daher oft umziehen müssen.

Breaking News: Victoria auf der Geburtsstation

6:40 Uhr: Ich bin jetzt kein besonderer Royalist, aber das verfolge ich doch gerne. Wie ich gerade in den Nachrichten gehört habe, ist Kronprinzessin Victoria mittlerweile in der Geburtsstation des Karolinska-Krankenhauses. So wie es aussieht, hat Schweden eine neue Nummer zwei in der Thronfolge. Prinz Daniel wird um 7 Uhr vor die Presse treten und mehr bekanntgeben.

7:08 Uhr: Schweden hat um 4:26 Uhr eine neue Prinzessin bekommen. 55 cm lang, 3280 g schwer. Der Name wird erst später bekanntgegeben.

7:56 Uhr: ich korrigiere, es sind nur 51 cm Prinzessin heute angekommen.

Sechs Leben gerettet, 168 Narkoleptiker

Die Schweinegrippe ist nun zwei Jahre her. Grund für das Svenska Dagbladet, den Versuch einer Bilanz zu machen. Dort kommt eine Mutter zu Wort, die wegen ihres „Bauchgefühls“ sich und ihre Kinder nicht impfen lassen, gepaart mit den damals weit verbreiteten Halbwahrheiten über die Impfung.

Interessanter ist ein Informationsartikel, der dazu gestellt wurde und mit einer schönen Infografik aufwartet. Leider sind die Daten nicht gerade so aufbereitet, dass man daraus direkte Schlüsse ziehen kann. Die (relative) Impfquote der (absoluten) Zahl der Narkolepsiefälle gegenüberzustellen verschleiert massiv, dass die Bevölkerungszahlen der Länder stark unterschiedlich sind.

Wenn man das mit einbezieht und einmal ausrechnet, wieviele Geimpfte auf einen Narkolepsifall kommen, ist das Ergebnis gelinde gesagt merkwürdig:

Die Anzahl der Narkolepter pro geimpfter Person, berechnet auf der Basis der SvD-Daten und der Bevölkerungszahl der Länder

Wie kann es sein, dass in Spanien gut 12 Mio. Geimpfte auf einen Narkolepsifall kommen, während dieselbe Impfung in anderen Ländern für eine 30fach höhere Quote gesorgt haben soll?

Auch in den kaum sichtbaren Balken im oberen Diagramm gibt es enorme Differenzen:

Die Länder mit geringeren Erkrankungsquoten - auch hier zeigen sich gewaltige Unterschiede

Dort zeigt sich, dass Schweden und Finnland nicht nur absolut die höchsten Zahlen haben, sondern auch die relativ höchsten Zahlen. Mehr noch: rechnet man die 8% der in Deutschland Geimpften auf die absoluten Impfzahlen um, so wurden in Deutschland mehr Impfungen (rund 6,5 Mio.) durchgeführt als in Schweden, aber die Zahl der Narkolepsiekranken beträgt weniger als ein Fünftel der schwedischen Fälle.

Daraus gibt es nur zwei mögliche Schlüsse:

  1. Die Zahlen sind glaubwürdig, d.h. sie wurden mit vergleichbaren Standards erhoben und geben ein repräsentatives Bild ab. In dem Fall kann es keinen Zusammenhang zwischen Impfung und Narkolepsie geben.
  2. Die Zahlen sind in der Form nicht glaubwürdig, vermutlich wegen unterschiedlicher Informationsstandards und Meldefreudigkeit.

Ich tendiere stark zu letzterem, denn innerhalb Schwedens wurden signifikante Unterschiede bei den Narkolepsiefällen zwischen Geimpften und Ungeimpften gemessen. Das hätten die Macher von Svenska Dagbladet auch wissen müssen, und es ist bedauerlich, dass sie das so überhaupt publizieren.

Ebenfalls mit Vorsicht zu genießen ist die Zahl der Todesfälle. Diese werden am unteren Ende der Grafik dargestellt. Angesichts der extrem unterschiedlichen Meldedaten in der Narkolepsie ist auch hier anzuzweifeln, dass die Zahl der Todesfälle nach vergleichbaren Standards festgestellt und übermittelt wurde.

Glaubt man den Daten, dann gibt es keinen ersichtlichen Zusammenhang zwischen der Impfung und den Todesfällen. Das lässt doch mehr Verwirrung als Klarheit zurück.

Für Schweden sagt das Smittskyddsinstitutet, das schwedische Pendant zum Robert-Koch-Institut, nach einer Analyse, dass ca. 6 Menschen gerettet wurden.

Nun kann man die 6 Menschen mit den Narkolepsiefällen und dem ganzen Geld aufwiegen, das ausgegeben wurde. Ethisch ist das schwierig. Aber ich sage auch hier gerne noch einmal: es im Nachhinein besser zu wissen ist immer leicht. Wäre die Grippe schwerer ausgefallen, würden nun stattdessen Artikel publiziert, in denen dargestellt würde, wieviele man durch mehr Impfungen hätte retten können.

Der Artikel bemerkt zurecht, dass endgültige Daten fehlen, ja nicht einmal bekannt ist, wann sie denn vorliegen werden. Angesichts der hier gezeigten Daten und deren zweifelhaften Qualität ist aus meiner Sicht vollkommen unklar, wie die Impfung schlussendlich zu bewerten ist.

Landvetter und Krakosien

Hat einen ständigen Bewohner: der Flughafen Göteborg-Landvetter (Foto: Daniel Hausner)

Im Flughafen Göteborg-Landvetter sieht man in letzter Zeit anscheinend regelmäßig einen Mann. Er ist freundlich und stört niemanden. Das ist auch gut für ihn, denn er lebt auf dem Flughafen.

Als ich von der Geschichte las, dachte ich sofort an den Film „Terminal“ mit Tom Hanks, in dem die Hauptperson wegen politischer Unruhen in seinem fiktiven Heimatland Krakosien im Flughafen JFK in New York festsitzt. Er kann nicht einreisen, aber auch sonst nirgendwohin. Also richtet er sich in dem Flughafen häuslich ein. Es gibt einige reale derartige Fälle. Der bekannteste ist wohl Mehran Karimi Nasseri, der fast zwanzig Jahre im Terminal 1 des Pariser Flughafen Charles de Gaulle verbrachte. Der Film basiert auch lose auf dem Fall, wobei der fundamentale Unterschied sein dürfte, dass Nasseri nach all der Zeit gar nicht mehr weg wollte. Was umso seltsamer aus meiner Sicht ist, denn wenn ich einen Flughafen zu meiner Wohnung machen müsste, dann wäre der Pariser Flughafen ganz weit hinten auf der Liste, insbesondere Terminal 1 mit seinem Mangel an Geschäften, der höchst seltsamen und ungemütlichen Architektur.

Der Grund, warum ich hier von dem Mann in Göteborg spreche, ist aber recht banal: er kommt aus Deutschland, und er ist Einwanderer. Oder so etwas in der Art. Da enden also die Parallelen zu den vorgenannten Fällen, denn er müsste keineswegs dort bleiben. Als der 27-jährige vor rund zwei Monaten nach Göteborg kam, wollte er nicht mehr nach Hause. Er schläft meistens im Gebetsraum und hat kein Geld. Er lebt davon, was ihm die Cafés im Flughafen zustecken, und wenn ihm jemand ein paar Kronen aus Mitleid zusteckt, fährt er in die Stadt. Bislang kam er aber immer wieder zurück.

Gefragt von Aftonbladet sagt er

Ich schäme mich. Ich habe ein schlechtes Leben gehabt. Ich kann nirgends hin.

Das Konsulat und die Kirche haben versucht, ihm zu helfen, und auch der Grenzschutz ist um ihn besorgt. Es gibt derzeit keine Pläne, ihn zu vertreiben. Laut dem Bericht will er in Schweden wohnen und leben.

Eine merkwürdige Geschichte irgendwie. Es ist ja nicht so, dass es keine staatliche Unterstützung für europäische Arbeitssuchende gäbe. Keiner ist gezwungen, ohne Geld auf einem schwedischen Flughafen auszuharren, und in Deutschland hätte er Anspruch auf Sozialleistungen. Er will aber anscheinend genau dort bleiben. Aus den spärlichen Informationen ist kaum herauszulesen, ob es sich hier um eine gescheiterte Auswanderung handelt, um eine Verzweiflungstat oder den Entschluss eines verwirrten Mannes.

Ich wünsche ihm jedenfalls viel Glück – ob nun in Schweden oder Deutschland.

85 Jahre Palme

Vor wenigen Tagen wäre Olof Palme 85 Jahre alt geworden – wenn er nicht 1986 ermordet worden wäre. Zu diesem Anlass brachte eine meiner Lieblingsradiosendungen, WDR Zeitzeichen, ein Porträt des Politikers, das erfreulicherweise nicht nur auf seinen tragischen Tod eingeht, sondern auch auf das Leben davor.

Hier kann man es per Mediathek abrufen, hier direkt.

Winter auf Djurgården, betrachtet durch ein Stück Plastik

Sonntagmorgen zeigte das Thermometer in der Küche knackige -22°C. Das ist sogar für mich ein bisschen kalt. Ich musste aber raus, und so packte ich mich warm ein und zog los. Später am Morgen hatte ich Zeit für einen ausgiebigen Spaziergang – und für das Ausprobieren eines neuen Spielzeugs. Wer sich nämlich wundert, dass die Fotos in der Galerie noch unschärfer und schlechter sind als normalerweise: ich habe ein ganz besonderes Objektiv verwendet.

Die Kameras der Marke „Holga“ kommen aus China und werden seit 30 Jahren als erschwingliche Volkskamera für den chinesischen Markt produziert. Um den niedrigen Preis zu erreichen, ist daran auch alles billig: sie ist aus Plastik, auch die Linse. Die Fotos haben daher allerlei Fehler. Die Abbildung ist nicht sonderlich scharf, die Farben sind oft verfälscht und zum Rand hin wird es erheblich dunkler. Gerade diese Schwächen machen sie zum Kult – angeblich wurden damit schon Fotopreise gewonnen.

Kürzlich entdeckte ich, dass es von der Firma auch Objektive gibt, die man auf modernen DSLR-Kameras anbringen kann. Ich bestellte mir das Objektiv „HL-C“ für meine Canon-Kamera, ein 60 mm-Objektiv mit einer Öffnung von f/8. Damit lässt sich auch eine teure moderne Kamera in eine Holga verwandeln. Autofokus und anderen Schnickschnack gibt es nicht – fokusieren ist ohnehin Glückssache. Ich kaufte mir gleich noch zwei Extras hinzu: ein Weitwinkelobjektiv und ein Teleobjektiv. Beides sind freilich nur Aufsteckplastiklinsen, die die Brennweite modifizieren. Zu beiden gibt es übrigens schicke Köcher und eine Anleitung, die eher zum Amüsement beiträgt. Alles drei kostete bei Ebay zusammen 36 € inkl. Versandkosten.

Die HL-C ist sehr dunkel – in Innenräumen lässt sich damit nur schwerlich fotografieren. Da ich normalerweise ein Weitwinkelonjektiv verwende, blieb die Telelinse gleich in der Tasche, weil mir so schon zu wenig auf das Bild passte. Stattdessen nahm ich meist das Weitwinkelobjektiv. Da natürlich weder Fokus noch Öffnung automatisch einstellbar sind – mit den Aufstecklinsen soll man ohnehin den Fokus auf unendlich setzen – bleibt nur noch ISO und Belichtungsdauer als relevante Einstellungen. Die automatische Bestimmung der Belichtungsdauer versagte auch völlig. Ich landete bei ISO 200 und einer Belichtungsdauer von 1/320s bis 1/30s, je nach Lichtverhältnissen.

Das Ganze ist wie Hipstamatic oder Instagram, nur eben ohne irgendwelche Filter.

Ich startete von Waldermarsudde auf Djurgården aus Richtung Blockhusudden am östlichen Ende der Insel – obwohl man natürlich ab und zu immer wieder nach Djurgården kommt, war das ein Teil der Insel, den ich selbst noch nie erkundet hatte. Schade eigentlich, denn es ist sehr schön dort. Traurig ist einzig, dass das Restaurant bei Biskopsudden im Jahr 2009 abgebrannt ist und die Ruine, mittlerweile aller intakter Glasscheiben beraubt, praktisch unverändert dort steht, nur notdürftig durch einen Bauzaun abgesperrt.

Die Tour endete bei Blockhusudden, Endhaltestelle der einst von mir geschätzten Linie 69, die ich früher öfters fahren durfte. Es sollte mehr solcher Sonntage geben – wenn auch nicht unbedingt immer mit derartigen Fotos.

Schwedens neue Tarnboote

Als ich das hier eben sah, dachte ich mir, dass ich da dem geneigten Leser nicht vorenthalten kann.

Die Seite psdisasters.com sammelt offensichtlich stark verunglückte Ergebnisse, die zumindest anzunehmenderweise mit dem Marktführer unter den Bildbearbeitungsprogrammen, Adobe Photoshop, fabriziert wurden.

Dieses Mal ist eine Anzeige für die Bootmesse in Stockholm im Blickpunkt. Irgendwie fehlt jedoch etwas auf dem Bild: das Boot ist abwesend. Die gezeigte Familie hat wohl ein Wunderwerk der Tarntechnik erworben.

Das schwedische Du (und sein vermeintlicher Niedergang)

Werden noch gesiezt: König Carl XVI. Gustaf und seine Frau Silvia (Foto: Holger Motzkau 2010, Wikipedia/Wikimedia Commons, CC-BY-SA 3.0)

Gerade kam mir dieser Artikel in der FAZ unter. Dort schreibt Sebastian Balzter darüber, dass die schwedische formelle Anrede, vergleichbar mit dem deutschen Siezen, wieder etwas in Mode käme.

Er beginnt mit einem Klischee, das aber meiner Erfahrung nach stimmt: viele Deutsche, die in Schweden Urlaub machen, finden es so schön, unkompliziert und freundlich, dass man sich in Schweden gemeinhin duzt. Mit Ausnahme der königlichen Familie gilt das Duzen hier schließlich für alle.

Aber dann:

Seit einigen Jahren aber greift unter den jungen Schweden eine Unsicherheit um sich, die diese positiven Vorurteile in Frage stellt. Gesiezt wird zwar auch weiterhin niemand zwischen Malmö und Kiruna. Das Nizen aber macht dem Duzen zusehends Konkurrenz. „Wenn wir darüber reden, gibt es immer Streit“, berichtet die Stilratgeberin Magdalena Ribbing, die in der Tageszeitung „Dagens Nyheter“ eine Kolumne über gute Manieren schreibt.

Vor allem im Geschäftsleben, in Restaurants und Kaufhäusern, gebrauchen nach ihrer Erfahrung jüngere Angestellte gegenüber älteren Kunden oder Gästen zunehmend die altertümliche Anredeform „Ni“. Dazu werden sie bisweilen sogar von ihren Vorgesetzten aufgefordert.

Ich war doch einigermaßen verwirrt – das „Ni“ hielt ich für eine vollkommen abgeschaffte Anrede, und im Alltag ist sie mir in den letzten Jahren noch nicht bewusst begegnet. Allerdings bin ich wohl noch nicht alt genug, dass man mir so begegnen würde.

Nach einer Recherchen ist mir der Begriff des „Ny-Niandet“ („Neusiezen“) untergekommen. Besonders im Dienstleistungsbereich sei das so. In der Kolumne der erwähnten Magdalena Ribbing ging es auch schon öfters darum. Soweit stimmt das also.

Jedoch denke ich, dass Balzter ein bisschen über das Ziel hinausgeschossen ist. Eine „Debatte“, wie sie die FAZ erkannt haben will, würde ich das nicht nennen. Dahingehende Blogeinträge sind teilweise über 5 Jahre alt, und für mich ist nicht ersichtlich, was nun plötzlich eine „Unsicherheit“ hervorrufen sollte. Es mag sein, dass der Sprachrat, der im Artikel erwähnt, irgendwann langsam tätig werden musste und das vielleicht irgendeine nachrichtenrelevante Rolle spielt – aber bei dem wurde ich auch nicht fündig.

Es ist aus meiner Sicht eine Randerscheinung, ein vorübergehender Trend – da hat der Artikel wiederum recht – aber keine Sache, die an den Fundamenten rüttelt, die Ende der 1960er Jahre gelegt wurden. Es fehlt schlicht der Neuigkeitswert, und auch der gesellschaftliche Disput, der da suggeriert wird.

Ein Punkt stellt der Artikel auch leider nicht richtig, was sehr bedauerlich ist. Ich konnte immer nur mit Kopfschütteln auf die deutsche Interpretation des schwedischen Du reagieren. Die Begeisterung der Deutschen für diesen schwedischen Brauch rührt beruht meines Erachtens nämlich auf einem grundlegenden Missverständnis.

Das deutsche Sie drückt zwar auch Respekt gegenüber Mitmenschen aus, insbesondere älteren. Jedoch ist ein weiterer wichtiger Aspekt die Schaffung eines Abstands zwischen einem selbst und der gesiezten Person. Das Sie drückt aus, dass man der angesprochenen Person nicht nahesteht. Das Du hat hingegen einen jovialen Charakter und findet bei einer Begegnung auf Augenhöhe zwischen jüngeren Menschen Anwendung.

Die Deutschen, die sich über das schwedische Du so freuen, glauben, es sei dasselbe wie das Deutsche. Ist es nicht. Wenn buchstäblich jeder mit Du angesprochen wird, dann hat es keine Bedeutung mehr. Der Polizist spricht einen Mörder bei der Verhaftung genauso mit Du an wie die Braut ihren Ehemann bei den Flitterwochen. Es ist vollkommen wertungsneutral. Wenn man also in Schweden geduzt wird, dann ist das vielleicht ein Bekenntnis zu geschwundenen Klassenunterschieden, aber es wohnt dem im Prinzip nichts joviales oder freundliches inne. Es geht nicht darum, eine Nähe zu schaffen, und wenn man glaubt, dem wäre so, dann ist das die Interpretation des Empfängers, nicht die Absicht des Senders.

Im Umkehrschluss würde ich auch davon ausgehen, dass das schwedische „Ni“ – übrigens die zweite Person Plural, nicht die dritte wie im Deutschen – eine prinzipiell eher untertänige und respektvolle Haltung transportiert. Ich möchte bezweifeln, dass einem schwedischen Polizisten einfallen würde, einen Mordverdächtigen mit Ni anzusprechen, denn Respekt hat er für den sicherlich nicht.

Das Problem, das einige der verlinkten Webseiten ausdrücken, ist, dass das Ni von älteren Menschen auch falsch als kränkend empfunden werden kann – wohl in dem Sinne, dass junge Menschen ironisch Ni verwenden und sich der angesprochene veralbert fühlt. Interessanterweise hat sich daher noch eine weitere Form herausgebildet, nämlich die Anrede in der dritten Person Singular mit Titeln. Das habe ich schon bei Interviews mit dem König gesehen, dem dann statt z.B. statt der dann statt z.B.

Was sagen Sie dazu?

gefragt wurde

Was sagt der König dazu?

Klingt seltsam, aber hat sich anscheinend etabliert.

Jenseits aller Missverständnisse und Feinheiten muss aber auch eines gesagt werden: die schwedische Lösung ist mir deutlich lieber als die deutsche. Dieses Herumrätseln, ob man nun schon Du sagen darf, weil man es mal angeboten bekommen hat, oder eben nicht, fand ich immer schwierig. Man hat im Schwedischen immer eine Lösung, ohne überlegen zu müssen. Zudem finde ich diese Konsequenz, mit der man versucht hat, eine gleichgestellte Gesellschaft zu erreichen, beachtlich. Zwar wird eine Gesellschaft dadurch nicht automatisch gleicher, aber es kann als Symbol durchaus dienen. Ich sehe auch nicht, wieso man das in Deutschland nicht könnte. Immerhin hat man es geschafft, das Fräulein abzuschaffen. Dann sollte es doch auch möglich sein, das Siezen loszuwerden.

Update 5.2.: Asche auf mein schnellschreibendes Haupt. Der letzte Aspekt des missverstandenen Du seitens der Deutschen wird in dem Artikel am Ende durchaus noch angesprochen.

So einfach ist das also

Ich und meine Frau haben jeweils eine Wohnung für unsere Kinder gekauft. Das können alle Eltern machen. Unsere Kinder sind sehr zufrieden

Der ehemalige Wohnungsminister Mats Odell, zitiert in „Hem & Hyra“, dem Mitgliedermagazin der Hyresgästföreningen

Bei meinen gestrigen Überlegungen fehlte freilich ein wichtiger Aspekt: dass die Leute ihr Heil auf dem Immobilienmarkt und in unvernünftigen Krediten suchen, ist zu guten Teilen natürlich der allgemeinen Wohnungsknappheit geschuldet, mehr noch der Mietwohnungsknappheit. Deswegen sprang die Opposition auch gleich mit der Gegenforderung zu Nordin hervor, man solle doch mehr Mietwohnungen bauen.

Recht haben sie, aber das Problem löst das alles nicht. Solange es finanziell nicht attraktiv ist, Mietwohnungen zu bauen, wird es nie genug davon geben. Beide Maßnahmen zusammen könnten helfen, sofern man sich bequemen würde, die fehlgeleitete Mietpreisregulierung zu ändern.

Müsste, könnte, sollte – am Ende wird wahrscheinlich gar nichts passieren, und obiges Bonmot ist ein Indiz dafür, wieso nicht.