Hochzeitsnachlese

Eine Woche sind sie nun verheiratet – wer, das braucht wohl nicht dazu gesagt zu werden. Es ist sehr schnell Normalität eingekehrt, auch wenn natürlich viel darüber gesprochen wurde.

Noch in der Nacht türmte das Brautpaar in einem Privatjet eines befreundeten Multimillionär Richtung Tahiti. So wird Öland dieses Jahr ohne den traditionellen Besuch Victorias zu deren Geburtstag auskommen müssen.

Neben dieser Nachricht ging es in den letzten Tagen um zwei Dinge: die Rede von Prinz Daniel und der Streit des schwedischen Fernsehens mit verschiedenen internationalen Nachrichtenagenturen.

Für die Rede wird Daniel hochgelobt, nicht nur für deren rhetorische Qualität und romantische Note, sondern auch für den fliegenden Wechsel von Englisch zu Schwedisch und zurück. Er hatte sich in den letzten Jahren für solche Aufgaben vorbereitet und wird dies wohl auch noch eine Weile weiter tun.

Dem kann ich eigentlich nur zustimmen. Die Rede war souverän, romantisch und sympathisch, womit er auch Zweifel an seiner Eignung als Repräsentant des Landes ausgeräumt haben dürfte.

Der Streit mit den Nachrichtenagenturen ist ein Nebenschauplatz, wenn auch nicht ein unwichtiger. Es war keine Übereinkunft über die Verwendung der Videoaufnahmen gefunden worden, so dass die Agenturen knallhart die Berichterstattung boykottierten, was mal eben so die umfangreichste PR-Veranstaltung für Schweden in der Welt seit langem torpedierte. So offen schrieben es teilweise auch die Kommentatoren. Das schwedische Fernsehen SVT ging in die Offensive und veröffentlichte die Vertragsbedingungen. Danach schien die Sache im Sande zu verlaufen.

Anschauen kann man die ganzen Videos auch so, wenn auch zeitlich begrenzt.

Seither ist offiziell Monarchiejubelstimmung angesagt. Ich hatte auch einen Popularitätsschub erwartet, aber habe mittlerweile so meine Zweifel. Eine Sache, die mich jedenfalls etwas stutzig macht, ist die Tatsache, dass die Einschaltquoten geringer waren als bei den alljährlichen TV-Hochämtern, der Donald-Duck-Weihnachtsfolge am Heiligabend und dem Finale des Melodifestivalen. Wenn das erste derartige Ereignis seit über 30 Jahren weniger Leute vor den Fernseher bringt als diese beiden Sendungen, dann ist das schon irgendwie seltsam. Möglich, dass die Sache die Kluft zwischen Monarchiegegnern und -befürwortern nur noch weiter vertieft hat.

Heute habe ich auch mal in die Berichterstattung der deutschen Sender hineingesehen, die natürlich vom royalen Fachsender ZDF federführend, sekundiert von längeren Übertragungen im NDR, durchgeführt wurde. Meine schlimmsten Befürchtungen scheinen sich zu bestätigen. Hanns-Joachim Friedrichs hat ja einmal folgenden Satz gesagt, den jeder Journalistikstudent seither hundertmal in sein Poesiealbum schreiben muss, bevor er ins zweite Semester darf:

Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache – auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazu gehört.

Daran gemessen scheinen die Sendungen ziemlich zweifelhaft zu sein. Es wimmelt nur so von Royal-Experten, die natürlich alle immer wiederholen, wie toll das doch alles sei. Stundenlange Dauerschwärmerei bis hin zu Äußerungen in der Art, das sei doch alles gar nicht so pompös gewesen und überhaupt waren die 2 Millionen Euro ein Schnäppchen, lassen dann doch die Distanz etwas vermissen. Wenn das nicht pompös gewesen sein soll, dann frage ich mich, was pompös ist. Ich kann mir auch nicht so ganz vorstellen, dass die Summe von 2 Millionen Euro alle direkten und indirekten Kosten abgedeckt haben soll, denn immerhin war das mit dem größten Polizeieinsatz der schwedischen Geschichte verbunden. Das mag ja trotzdem alles angemessen sein, aber derart unreflektiert daherzuschwärmen wird dem Thema nicht gerecht. Ich bin mir auch recht sicher, dass in all den Stunden Liveübertragung kein einziges Mal erwähnt wurde, dass die Popularität des Königshauses seit Jahren permanent sinkt. Das würde die schon durch einen Inga-Lindström-Film eingeleitete Schweden-Idylle ja nur trüben.

Ein öffentlich-rechtlicher Sender kann so ein Ereignis ja gerne begleiten, aber sollte sich dabei weniger vereinnahmen lassen.

My wedding day

Ach, was war das rührend gestern. Alle haben sich lieb, und so eine 11-stöckige Torte hat natürlich etwas. Ich konnte nur die Trauung live verfolgen. Danach ging es auf Arbeit.

Ich hatte eigentlich nur zwei Extreme erwartet: entweder würde die Stadt vollkommen leer oder total überfüllt sein. Aus meiner Sicht war es ersteres. Als ich gegen Ende der Kutschenfahrt des Brautpaares durch die Innenstadt auf dem Weg zu meinem Startpunkt war, präsentierte sich die U-Bahn, die für den Tag kostenlos war, um die Massen besser zu bewältigen, als weitgehend leer. Natürlich kann es auch sein, dass die Massen erst später gekommen wären. Aber auch auf meinen anschließenden Fahrten durch die Innenstadt blieb das Gedränge aus. Ein paar Familien mit Kindern, die Flaggen dabei oder eine Krone, war schon alles irgendwie.

Meine erste Linie, die 42, war einfach gekappt worden. Zwei Mädels fragten, ob die Busse heute auch kostenlos seien. Waren sie nicht, aber in dem Fall hätte ich das nicht so eng gesehen. Sie fuhren trotzdem nicht. Einen Fahrgast hatte ich trotzdem noch – er fragte mich, ob ich Däne bin (was ich als Kompliment betrachtete) und sprach über seinen Aufenthalt in Österreich. Er blieb dann aber auch der einzige.

Nachdem ich eine Runde auf einer nicht betroffenen Linie absolviert hatte, waren die Straßensperren weg. Vermutlich hätte man ab diesem Zeitpunkt schon wieder freigeben können. Die Fahrpläne waren aber ganztägig umgestellt worden.

So bestand die Hauptherausforderung in etwas Fahrgastberatung und der manuellen Einstellung der Linienschilder das einzige, denn die Computer hatte man für den einen Tag nicht umgestellt. Spät am abend durfte ich dann noch einige Zeit die Linie 62 mit meinen Diensten beglücken. Die führt fast direkt am Schloss vorbei, so dass man sie großzügig zweigeteilt hatte. Ich hatte den Abschnitt im Stadtteil Östermalm, und zwar schon mitten in der Nacht. Ganze 6 Minuten war der lang, und dementsprechend interessant war es, mitzufahren – das half wirklich nur Leuten, die nicht laufen können, und die waren um die Zeit schon lange zuhause. Trotzdem entschloss sich eine betrunkene Gruppe Jugendliche, 50 Meter mitzufahren. Sollte mir recht sein.

So unspektakulär war dieses pompöse Fest also von der Perspektive, wobei der Abend dann doch noch etwas unerwartet endete. Am Ende südlichen Querspange Södra Länken hatte es einen Unfall gegeben, bei dem sich ein Auto überschlagen hatte. Anscheinend gab es aber keine schwer Verletzten, denn der Sanitäter saß sehr entspannt am Fahrbahnrand. Kein Bedarf für Hilfe also – nur an dem Auto, das mitten auf der Straße lag, musste man vorbei.

Der Preis für die beste Aktion des Tages geht übrigens klar an Steffen und Franzi, die ihre Glückwünsche persönlich mit einem Strauß Blumen beim schwedischen Generalkonsulat in Istanbul überbrachten. Ich bin gespannt auf weitere Details.

Hochzeitsfieber steigt

Zwei Tage vorher kann auch ich, der die Boulevardpresse meidet, mich nicht mehr ganz der sich aufbauenden Welle entziehen. Falls ich Leser hinter dem Mond haben sollte: am Samstag heiratet Ihre Königliche Hoheit Victoria Ingrid Alice Désirée Kronprinzessin von Schweden und Herzogin von Västergötland den weit weniger blaublütigen Herrn Daniel Westling aus dem schönen Städtchen Ockelbo, der nach der Hochzeit Prinz Daniel von Schweden wird, nebenbei auch noch Herzog von Västergötland.

Das ist natürlich eine große Veranstaltung. Die Dimensionen übertreffen alles, was Schweden in jüngerer Geschichte so erlebt hat. Schon vor Wochen nahm das Brautpaar Geschenke entgegen. Es laufen Dokumentationen im Fernsehen und jedes Detail läuft sofort durch alle Medien. Für die Allgemeinheit gibt es schon seit einiger Zeit spezielle Hochzeitsschokolade mit dazu passenden Hochzeitsservietten zu kaufen.

Die Hochzeit selbst läuft dabei eigentlich recht einfach ab: 15:30 Uhr ist die Trauung in der Storkyrkan direkt neben dem Schloss. Danach geht es auf eine Kutschenfahrt durch die Innenstadt. Diese endet irgendwo beim Vasamuseum, wo die beiden in ein Boot steigen werden, das sie dann, von 18 Ruderern angetrieben, zurück zum Schloss bringen wird.

Das drumherum macht es freilich erst so pompös. Damit das Paar es auch schon gemütlich hat, wird die Prinzessin bei Mutti aus deren Einfamilienhaus ausziehen und die beiden werden zusammen ein frisch renoviertes Häuschen bewohnen. Die damit einhergehende Renovierung (insbesondere deren Kosten) samt der damit verbunden erweiterten Absperrung der Umgebung, welche zuvor ein öffentlich zugängliches Parkgelände war, sorgt für etwas Unmut.

Aber auch für das gemeine Volk wird einiges geboten. Seit über einer Woche läuft schon das Festival „Love Stockholm 2010“ mit zahlreichen Konzerten. Letztes Wochenende ließ man es richtig krachen: es gab die Möglichkeit der Drop-In-Hochzeit – wie in Las Vegas, nur ohne Elvis. Gut 350 Paare nahmen teil, was schon beachtlich ist – vielleicht ein Ausdruck davon, welches nüchterne Verhältnis viele Schweden zur Institution Ehe haben.

Mangels Zeit bin ich bislang nur mit dem Fahrrad an dem Festivalgelände vorbeigefahren. Gestern habe ich das nun genutzt, um ein paar Fotos zu machen.

Man sieht klar darauf, dass die Fernsehsender sich schon gut eingerichtet haben für die Hochzeit. Es wird die größte Fernsehübertragung der schwedischen Geschichte werden. Die Sponsoren haben sich auch nicht lumpen lassen und sind zahlreich und mit großen Ständen vertreten.

Das wird letzten Endes wohl auch der Grund sein, wieso ich schwer davon ausgehe, dass die schwedische Monarchie ab der nächsten Woche einen gewaltigen Popuralitätsaufschwung erleben wird. Schweden sind zwar im Allgemeinen nicht so leicht zu beeindrucken, aber so eine Traumhochzeit wird sie wohl auch weich machen. Bessere Umfragewerte kann das Königshaus auch gut gebrauchen. Laute einer aktuellen Umfrage ist weniger als die Hälfte für die Monarchie, und die Unterstützung des Königshauses an sich ist noch schlechter. Das mag an den exorbitanten Kosten dieser Hochzeit liegen, vielleicht auch an den Querelen um Prinzessin Madeleine, die von ihrem Verlobten mutmaßlich betrogen wurde, was ihn prompt zum Ex-Verlobten machte. Madde, wie sie auch gerne genannt wird, ist dieser Tage aus ihrem Kurzzeitexil in den USA zurückgekehrt, weil sie natürlich trotz dieser schwierigen persönlichen Situation bei der Hochzeit zugegen sein wird.

Allgemein ist der Andrang bei der Hochzeit aber nicht so groß wie erwartet (oder befürchtet). Ein Sonderzug aus Malmö wurde eingestellt, da es nicht genügend Interessenten gab – dafür wurde ein Zusatzug aus Göteborg bestellt.

Ich für meinen Teil hatte mich fast schon darauf gefreut, das Spektakel am Fernseher mitverfolgen zu können. Das werde ich nun auch, aber mit Einschränkungen. Ab frühem Abend darf ich nämlich Busfahren, was ein interessantes Erlebnis zu werden verspricht: Linien, die die Sperrzone in der Innenstadt berühren, werden einfach gekappt. Man sieht jetzt schon die Straßensperren, und die Polizei, die hier den bislang größten Einsatz ihrer Geschichte machen wird, hat keine Missverständnisse aufkommen lassen, dass weite Teile der Innenstadt eine No-Go-Area sein werden. So wird eine Linie, die ich fahre, nur 6 Minuten lang sein. Ich bin jedenfalls schon sehr darauf gespannt.

Noch lieber wäre ich freilich einer der Busfahrer gewesen, die die Hochzeitsgäste transportieren dürfen.

Deutsche arbeiten weniger…

Heute morgen fand ich auf dem Frühstückstisch folgenden Artikel in der Zeitung Dagens Nyheter (DN) vor:

Ausriss: Dagens Nyheter

Die Deutschen arbeiten laut dieser Schlagzeile also am wenigsten in der EU. 38,1 freie Tage soll der gemeine Deutsche so haben, während es der EU-Durchschnitt lediglich auf 33 Tage bringe. Die Schweden liegen mit 36 Tagen auf Platz 4. Hier die ganze Liste (Angaben in Tagen):

  • Deutschland: 38,1
  • Italien: 37,1
  • Luxemburg: 37,1
  • Dänemark: 37,0
  • Schweden: 36,0
  • Portugal: 35,8
  • Malta: 35,0
  • Österreich: 34,9
  • Spanien: 34,5
  • Slowakei: 33,8
  • Tschechien: 33,3
  • EU-Durchschnitt: 33,0
  • Litauen: 33,0
  • Griechenland: 33,0
  • Finnland: 32,8
  • Irland: 32,2
  • Lettland: 32,0
  • Norwegen: 31,9
  • Frankreich: 31,5
  • Zypern: 31,4
  • Slowenien: 31,0
  • Bulgarien: 31,0
  • Großbritannien: 30,5
  • Polen: 30,0
  • Ungarn: 30,0
  • Niederlande: 29,6
  • Estland: 29,0
  • Belgien: 28,2
  • Rumänien: 28,0

Da frage ich mich natürlich: wie kommt man denn auf diese Idee? Das nicht nur, weil es zum deutschen Selbstverständnis gehört, dass man arbeitet bis man nicht mehr kriechen kann, was sich natürlich hervorragend in die große Nachkriegssaga vom Wirtschaftswunderland einfügt. Vielmehr bin ich überrascht, weil ich Schweden an der Spitze erwartet hätte. Schließlich nehmen die Schweden nicht selten über einen Monat am Stück im Sommer frei. An Brückentagen oder Tagen vor hohen Feiertagen wird wenn überhaupt nur eingeschränkt gearbeitet.

Eine wahrscheinliche Erklärung gibt der Bericht selbst. Eurofound, das diese genaue Statistik (die Genauigkeit wird sehr deutlich hervorgehoben) erstellt hat, hat die Zahl der Feiertage im Kalender genommen und den gewerkschaftlich ausgehandelten Urlaubsansprich hinzugefügt. Vermutlich hat man sich hier die Feiertagsstruktur genau angesehen – so ist Mittsommer immer an einem Samstag, und 1. Mai und Nationalfeiertag können durchaus auch mal am Wochenende liegen. Fronleichnam und Pfingstmontag hingegen sind eben immer unter der Woche. So gibt es in Deutschland bis zu 6 wochentagssichere Feiertage, in Schweden hingegen nur 4. Aber auch hier sollte man die Kirche im Dorf lassen. Schweden hat nämlich 10 gesetzliche Feiertage. 9 der 16 Bundesländer haben aber auch nur 9 oder 10 Feiertage. Selbst wenn man nach Bevölkerungsmengen gewichtet, kommt man auf im Schnitt 10,9 Feiertage in Deutschland.

Damit wäre also mindestens die Hälfte der 2,1 Tage Differenz erklärt. Und die andere Hälfte? Hier wird es schwammig, denn Schweden hat anscheinend keinen gesetzlich vorgeschriebenen Mindesturlaubsanspruch. Meine Erklärung ist, dass die in deutschen Tarifverträgen ausgehandelten Urlaubsansprüche wohl leicht umfänglicher sind als die in den schwedischen.

Bei der geradezu unheimlichen Stärke der schwedischen Gewerkschaften ein überraschender Schluss, der aber nicht einer gewissen Logik entbehrt. Denn ich sehe bei der ganzen Sache zwei Knackpunkte:

  1. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist in Deutschland anzunehmenderweise weit geringer als in Schweden. Während hier selbst jede Imbissbude mit geradezu erpressungsartigen Methoden in die Tarifverträge gezwungen werden, sind weite Teile des deutschen Mittelstandes bestenfalls in Form eines Betriebsrats organisiert. Tarifverträge dürfte dort nur eine untergeordnete Rolle spielen.
  2. Arbeitstag ist nicht gleich Arbeitszeit. Das allgemein übliche Kaffeetrinken hierzulande („fika“), das sich anscheinend am Tag gerne mal auf 2×30 Minuten summiert, würde einen deutschen Chef auf die Palme bringen. Zudem sind Arbeitszeiteinschränkungen, um z.B. Kinder vom Kindergarten abzuholen, hierzulande weitaus üblicher als in Deutschland, wie mir scheint.

Die Verallgemeinerung von tariflich festgelegten Arbeitstagen zur allgemeinen Arbeitszeit der Bevölkerung scheint mir also nur bedingt möglich.

Die Fakten des Artikels scheinen also zu stimmen – die Überschrift hingegen ist irreführend.

Nachtrag 14:13 Uhr: Ich habe mich an die Autorin des Artikels gewandt und meine Einwände gegenüber der Überschrift dargelegt. Sie hat mittlerweile geantwortet und ist meiner Meinung. Sie hat sich schon beim Redakteur beschwert, der die Überschrift ausgewählt hat.
Nachtrag 15:25 Uhr: Wie ich gerade vernommen habe, sagt Eurofound, dass die Zahlen von letztem Jahr sind und nur sagen, wieviele Tage frei sind, nicht wieviele Stunden wirklich gearbeitet werden. Ein neuer Bericht mit mehr Details soll in den nächsten Wochen kommen.

Schwedisches Sonnensystem

Kleines Fundstück zum Sonntag: das schwedische Sonnensystem. Eigentlich ist es ein alter Hut, astronomische Abstände auf begreifbare Länger herunterzuskalieren, um dann zu illustrieren, dass der nächste Stern trotzdem noch ewig weit weg ist. Ein kleiner Unterschied ist hier aber, dass Schweden einfach eine Menge Platz zu bieten hat. Da kann man das ganze Sonnensystem unterbringen und dessen Objekte trotzdem noch einzelnen Ortschaften zuweisen.

Ganz in 08-Selbstherrlichkeit ist die Sonne nach Stockholm gelegt worden.
Wenig schmeichelhaft dürfte hingegen sein, dass Kiruna als Ort für den Termination Shock ausgewählt wurde. Übermäßig stören dürfte es die Einwohner aber nicht, denn die dürften gewohnt sein, dass die Leute über ihre Stadt nicht ins Schwärmen geraten.

Es musste ja so kommen

Der SPIEGEL hat das schöne schwedische Wort „ficka“ (Tasche) entdeckt. Hier natürlich als Präfix für das Wort „Fickdata“ (Taschendaten, wenn man es direkt übersetzt).

Es gibt übrigens auch noch „fika“ (omnipräsentes gemeinschaftliches Kaffeetrinken) und „fick“ (Vergangenheitsform von „få“, je nach Kontext u.a. „bekommen“ oder „dürfen“).

Noch 100 Tage bis zur Wahl

In exakt 100 Tagen öffnen die Wahllokale zur Reichstagswahl in Schweden. Und nicht nur das: die Parlamente der Provinzen und Kommunen, die auch von Ausländern (EU und einige andere) mitgewählt werden dürfen, stehen gleichzeitig zur Wahl. Dies macht den Tag zum Höhepunkt des politischen Lebens in diesem Lande, denn bis 2014 steht dann keine einzige Wahl mehr an.

Richtig los geht es freilich erst im Sommer, wenn überall die Hütten (sogenannte valstugor) an zentralen Punkten der Orte stehen, um den Wähler nahezukommen.

Debattiert wird aber jetzt schon im Fernsehen, und die Demoskopen sind auch fleißig. Letztere haben Zahlen erhoben, die vor allem dies sagen: es wird eng und es wird spannend. Die Blöcke sind in den Umfragen der letzten Zeit teilweise gleichauf, und das praktisch zum ersten Mal in dieser Legislaturperiode. Die „Allianz“, eine Koalition aus 4 bürgerlich-konservativen Parteien, hat nämlich gehalten und funktionierte so geräuscharm wie es sich Angela Merkel derzeit in ihren Träumen ausmalen dürfte. Daher stehen auch die Blöcke geschlossen gegeneinander: die Allianz auf der einen Seite, die „Rotgrünen“ mit den Sozialdemokraten, den Grünen und der Linkspartei auf der anderen Seite. Daran wird sich wohl nichts mehr ändern.

Eine Minderheitsregierung scheint ausgeschlossen, denn die Sozialdemokraten haben sich nach ihrem Wahldebakel 2006t nie ganz gefangen und suchten den Schulterschluss mit den anderen beiden linken Parteien. Es ging zwar aufwärts, aber die Zeiten, als sie wie gottgegeben jede andere Partei mit großem Abstand abhängten, scheinen vorbei: nach aktuellen Umfragen ist nicht einmal gesichert, dass sie stärkste Partei werden.

Hoffnung kann man sich aber machen, denn die gestern veröffentlichten Daten der schwedischen Statistikbehörde, die in der Vergangenheit immer richtig lag, sieht Rotgrün vorne.

Wie ich mich selbst entscheiden werde, muss ich noch mit mir ausmachen. Zum Reichstag bin ich ohnehin nicht wahlberechtigt. Egal kann es mir aber natürlich nicht sein. Aber auch wenn ich wählen dürfte, wäre nicht klar, wen. Zwar bin ich nach wie vor Sozi, aber ich sehe trotzdem nicht so ganz, was sie so viel besser machen würden als die bestehende Regierung. Das Angebot, das über das reine Zurückdrehen der Reformen der letzten Jahre hinausgeht, sehe ich (noch) nicht ganz. Vielleicht liegt es aber auch an der Spitzenkandidatin Mona Sahlin, mit der ich einfach nie richtig warm geworden bin. Zudem muss ich sagen, dass ich zwar nicht mit allem in den letzten Jahren einverstanden war, aber die aktuelle Regierung hat ihren Job ganz passabel gemacht.

Ähnlich zwiespältig ist es bei den Parlamenten, die ich wählen darf. Auf Provinzebene, wo es in erster Linie um Nahverkehrsfragen und das Gesundheitswesen geht, bin ich mit der Verkehrspolitik beider Blöcke nicht so ganz glücklich. Die Umgehungsstraße Förbifart wird von linker Seite in Zweifel gezogen und soll einer seltsam konstruierten Volksabstimmung unterzogen werden. Ich halte sie für zwingend nötig und frage mich, welche Alternative es da geben soll. Auf rechter Seite ist man jedoch ziemlich lethargisch, was den Ausbau des Nahverkehrs auf Schienen angeht. Ein paar Straßenbahnprojekte hier und da, aber die U-Bahn ist für die fertig. Ich tendiere klar zu meiner Partei in diesem Fall, aber ich werde mich eingehend mit den Programmen auseinandersetzen. Ein ähnliches Dilemma habe ich in meiner Kommune. Das einzige Thema, bei dem meine Genossen bisher hier in Erscheinung getreten sind, ist der Protest gegen die gewählte Lösung zum Neubau einer Brücke von der Insel herunter. Die konservative Mehrheit will eine neue Brücke schnell bauen und sie über eine Maut refinanzieren. Meine Partei ist dagegen, soweit ich das mitbekommen habe. Dumm nur, dass ich ausgerechnet dabei stark zur Mautlösung tendiere, denn die bestehende Brücke ist jetzt schon jeden Werktag überlastet. Allerdings könnte ich aber auch sagen, dass sie meine Unterstützung gut gebrauchen können, denn Värmdö ist ohnehin sehr konservativ.

Es steht also noch einiges bevor. Den ersten Wahl-O-Mat-Test habe ich schon einmal beim Svenska Dagbladet gemacht. Das Ergebnis finde ich allerdings wenig erbaulich:

Ausriss: svd.se

Bargeld ade?

Der SPIEGEL hat heute einen interessanten Bericht über die vermeintliche Abschaffung von Bargeld in Schweden. Einen aktuellen Bezug scheint es nicht zu geben. Für mich als Einwohner des Landes erscheint der Artikel aber schon einigermaßen seltsam.

Ironischerweise stand nämlich heute morgen in der Zeitung, welche Beschlüsse der Reichstag in Sachen Scheine und Münzen gefällt hat. Diese sind:

  • Der 20-Kronen-Schein mit Selma Lagerlöf (weswegen er oft auch einfach „Selma“ genannt wird) bleibt trotz der Empfehlung der Reichsbank im Verkehr.
  • Eine Zwei-Kronen-Münze wird eingeführt.
  • Außerdem wird ein 200-Kronen-Schein eingeführt.

Von wegen Schluss mit Bargeld.

Der SPIEGEL-Bericht scheint in erster Linie die Ansichten bestimmter (kleiner) Interessengruppen darzustellen, verzichtet aber fast vollständig darauf, darüber zu schreiben, wie sich schon jetzt der Bargeldalltag in Schweden darstellt. Dieser sieht nämlich so aus, dass der größte Schein, der 1000-Kronen-Schein (ca. 100 €), im normalen Zahlungsverkehr praktisch nichtexistent ist. Der 500-Kronen-Schein ist also der größte wirklich im Umlauf befindliche Schein.

Ich selbst laufe oft mit annähernd null Bargeld herum. Hier eine kurze Erhebung meines aktuellen Barbestandes:

  • Zwei 20-Kronen-Scheine
  • Eine 10-Kronen-Münze
  • Drei 5-Kronen-Münzen
  • Sechs 1-Kronen-Münzen
  • Zwei 50-Öre-Münzen (die ab November aus dem Zahlungsverkehr genommen werden)
  • Ein 2-Euro-Stück, das sich irgendwie da hinein verirrt hat.

Macht als 2*20 + 10 + 3*5 + 6*1 + 2*0,50 = 72 Kronen Bargeld, was nach aktuellem Stand 7,56 € sind. Das ist übrigens seit gut einer Woche so. An meinen letzten Geldautomatenbesuch kann ich mich jedenfalls nicht mehr erinnern. Ich denke, so untypisch bin ich damit nicht.

Und das Ganze wohlgemerkt trotz der Tatsache, dass Bargeld in diesem Land erheblich leichter verfügbar ist als in Deutschland. Es gibt Geldautomaten zuhauf, und im Gegensatz zu Deutschland zahlt man keine Gebühren, weil es ein standardisiertes System der Banken gibt. Außerdem ist es vollkommen normal in vielen Geschäften, bei der Zahlung einer Ware einfach eine bestimmte Summe draufzulegen und sich diesen Überschuss dann in bar auszahlen zu lassen.

Warum ist das so? Weil man in diesem Land alles mit Karte bezahlen kann. In Supermärkten wird die Karte sogar bei Kleinstbeträgen akzeptiert. Sobald der Betrag 5 € übersteigt, wird die Karte anstandslos angenommen, und auch darunter ist Kartenzahlung häufig möglich, wenn auch oft gegen eine kleine Gebühr.

Schweden ist also der Abschaffung des Bargeldes weit näher als Deutschland, wo man in Restaurants und Kneipen immer noch zu hören bekommt, dass nur Bargeld genommen wird.

Insofern erscheint mir der Bericht eher wie eine Parade von kleineren Lobbygruppen, die Probleme beheben wollen, die ohnehin nur in vergleichsweise geringem Umfang vorhanden sind. Gegen die Abschaffung der 1000-Kronen-Scheine hätte ich nichts einzuwenden, aber in einem annähernd bargeldlosen Land zum Kampf gegen die Scheine und Münzen zu blasen ist irgendwo schon grotesk.

Raider heißt jetzt Twix

Alle paar Monate (oder noch öfter) spielt der schwedische Staat das Spiel „Behördchen wechsel dich“: bestehende Behörden werden aufgelöst, neue Behörden gegründet und Kompetenzen zwischen den bestehenden Behörden umverteilt.
Das ist durchaus nicht unwichtig. Die schwedischen Behörden sind nämlich nur an die Gesetze gebunden, aber an keine Weisungen eines Ministeriums. Wie diese Behörden strukturiert sind hat also viel damit zu tun, wie gut der Staatsapparat als Gesamtes funktioniert. Auch für den Bürger muss ersichtlich sein, wer für was zuständig ist und wie man am besten an die entsprechende Person herankommt. Das funktioniert nach meiner Erfahrung meist auch recht gut.

Bei derzeit 471 Behörden ist das ein sich permanent veränderndes System, ein interessantes wie seltsames Schauspiel. So wurden seit Beginn dieses Jahres 9 Behörden neu gegründet und 17 aufgelöst. Im Jahr 2008 waren es gar 26 neue und 22 aufgelöste. Insgesamt sinkt aber die Zahl der Behörden, wie es scheint.

Besonders augenfällig ist das Trafikverket, eine neue Verkehrsbehörde. In dem Bereich geht es nämlich Schlag auf Schlag. Erst Anfang 2009 war das Transportstyrelsen gegründet worden, das Aufgaben zweier gleichzeitig aufgelöster Behörden übernahm – darunter die des Järnvägsstyrelsen (Eisenbahnbehörde), welchem zuvor nur eine 4jährige Lebensdauer beschieden war. Das Transportstyrelsen kümmert sich nun u.a. um die Führerscheine, die zuvor im Bereich des Vägverket lagen. Dieses gibt es aber wiederum auch nicht mehr, denn trotz einer bis ins Jahr 1841 zurückgehenden Tradition wurde es wenig humorig am 1. April 2010 abgewickelt und ging zusammen mit dem 23 Jahre alten Banverket (noch eine Bahnbehörde) in besagtem Trafikverket auf.

Ob dabei wirklich etwas effizienter wird, ist für mich bei diesem munteren Spielchen kaum zu erkennen. Man kann es pragmatisch als permanente Weiterentwicklung des Staatswesens sehen. Vielleicht ist es aber wie damals bei einem bekannten Schokoriegel: Raider heißt jetzt Twix – sonst ändert sich nix.

Etwas skeptisch bin ich auch, was die Kosten dieser Umstruktierung angeht.

Der Trafikverketaufbau ist nämlich deswegen so augenfällig, weil innerhalb weniger Wochen praktisch sämtliche Schilder, die den blauen Schriftzug des Vägverket trugen, durch die neuen Schilder des Trafikverket getauscht. Man fühlt sich an die Wirtschaft erinnert, wo jeder Wechsel des Namens oder des Designs mit sich führt, jegliche Spuren der vormaligen Firmenstrukturen zu vernichten. So ist es auch hier. Es genügt nicht, zu sagen, dass es das Vägverket nicht mehr gibt, und beim Neudruck von Schildern den neuen Namen zu verwenden. Man muss gleich den Eindruck erwecken, es habe den Vorgänger nie gegeben.

Dass bei diesen ganzen Änderungen Mitarbeiter betroffen sind, umziehen müssen und die interne Infrastruktur für teures Geld umgebaut werden muss, steht dabei wohl auch außer Frage.

Es bleibt zu hoffen, dass die Kosten den Nutzen wirklich rechtfertigen.