Der Nobelpreis und ich im Radio

Wer mich vermisst, kann mich immerhin hören: letzte Woche war ich einer von drei Gästen zum Thema Nobelpreis bei der Sendung „Redaktionskonferenz“ von dradio Wissen.

Das Thema ist seit jeher ein Steckenpferd von mir, und die Sendung eine wunderbare Gelegenheit, auch jenseits von 1:30-Beschränkungen mal etwas zu einem Thema zu erzählen. Zu Gast waren außerdem Tim Krohn, ARD-Hörfunkkorrespondent in Stockholm, und Holger Motzkau, der wie ich Physikdoktorand sowie Wikipedianer ist und der sich in letzterer Eigenschaft stark engagiert, so dass er bei allerlei Nobelevents anwesend ist. Auf der Seite der Sendung sieht man auch unser kleines improvisiertes Studio, in dem Holger und ich saßen. Moderiert wurde der ganze Spaß von Thilo Jahn.

Die Nobelpreise in diesem Jahr waren eher unspektakulär. Es setzte sich auch der bemerkenswerte Trend fort, dass die Presse im Vorfeld die Preisträger richtig rät. So hatte Karin Bojs von Dagens Nyheter den richtigen Riecher in Sachen Medizinpreis und hatte die beiden Preisträger auf ihrer Shortlist stehen. Auch der Literaturpreis war ja vorhergesagt worden, wobei man sich immer fragen kann, wie es kommt, dass Schriftsteller, die seit Jahrzehnten schreiben und in den letzten Jahren nicht einmal erwähnt wurden, plötzlich zum selbstverständlichen Favoriten werden.

Der Preis an die Europäische Union hat mich ein bisschen überrascht, aber ich fand ihn überaus passend. Wie erwartet wimmelte es in den Kommentaren und Foren nur so von kleingeistigen Kommentaren zum Thema. Man ist leider nicht in der Lage, einer Organisation Respekt zu zollen, die einen jahrhundertelang von Kriegen heimgesuchten Kontinent zu einem eng verwobenen Konglomerat gemacht hat, das Probleme gemeinsam löst statt sie zu einem Anlass für Feindseligkeiten zu nutzen. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass Geld die historische Vision trübt. Bedauerlich, und daher auch umso besser, dass zumindest das Komitee in Oslo die Erfolge würdigt, statt immer nur auf die Schwächen einzudreschen.

Mit dem Wirtschaftspreis vorgestern kam der erwartete Abschluss. Wie immer waren es Amerikaner, die gewonnen haben. Leider für mich auch wieder einmal ein Anlass, zu sagen, dass dieser Preis noch nie eine gute Idee war und es auch nach über 40 Jahren immer noch nicht ist. Ein Preis, der flüchtige soziale Theorien belohnt und schon durch die Verhältnisse in diesem Bereich immer an dieselben Kreise geht, ist von der ganzen Konstruktion her leider keinem der von Nobel gestifteten Preise ebenbürtig.

Auf der anderen Seite gehört genau dies auch zu der Faszination dieses Preis, von dem immer Perfektion erwartet wird, der sich aber darum nicht kümmert und einfach jedes Jahr neue Preisträger liefert, die viel Ehre erhalten, aber auch viel geschmäht werden. Wie oft wurde gerade dem Literatur- und Friedenspreis bescheinigt, er verliere seine Bedeutung, obwohl er jedes Jahr aufs Neue genauso heftig diskutiert wird.

Darum ging es auch in der Sendung: das Event Nobelpreis mit seinen kleinen Geschichten außenherum. Ich wünsche viel Spaß beim anhören.

Hier der Link: dradio Wissen – Nobelpreis:Zeremonielles Brimborium

Stille

Lange ist hier nichts mehr passiert. Es ist nicht so, dass ich das hier aufgesteckt hätte. Aber ich muss auch so realistisch sein, dass ich weder die Zeit noch den Enthusiasmus habe, wie früher fünf Beiträge pro Woche zu verfassen, die nicht nur schnell zusammengetippt sind – sie enthalten schon so genügend Schnellschüsse und Tippfehler – sondern auch etwas Recherche und Aufwand erfordern. Von solchen Artikeln habe ich mehrere in Vorbereitung. Es ist mir aber noch nicht gelungen, sie veröffentlichungsreif zu machen.

Insofern wollte ich hier nur einmal ein kleines Lebenszeichen geben und sagen: es kommt wieder etwas, aber nicht mehr so oft und umfänglich wie früher.

Midnattsloppet 2012

In Blau durch die Nacht: Midnattsloppet 2012

Ich muss den Organisatoren ein Kompliment machen: der diesjährige Midnattsloppet hat endlich einmal wieder das in den Vordergrund gestellt, was diesen Lauf so attraktiv macht.
Nicht dass der Kommerz weniger geworden wären.

Dass man die Zahl der Anmeldungen von 20.000 auf 30.000 erhöht hat, obwohl vor 2 Jahren zwei Läufer umgekommen waren und das Wasser nicht reichte, machte mich gelinde gesagt skeptisch, ob man hier nicht ein Desaster heraufbeschwört. Hierzu musste man nämlich Startgruppen in Nebenstraßen verlegen, weil auch der breite Ringvägen hierfür nicht genügend Fläche hat. Das Wuchern der Veranstaltung ist schon etwas bedenklich: ich war eine gute halbe Stunde vor dem Start vor Ort, und zu dem Zeitpunkt waren die ersten Startgruppen schon unterwegs. Bis man nämlich alle im 5-Minuten-Takt auf die Strecke geschickt hat, sind alleine schon 75 Minuten vergangen. Oder anders gesagt: wenn die ersten auf dem Weg nach Hause sind, haben die letzten ihren Lauf noch lange nicht begonnen.

Der Weg zur Startgruppe war auch schon sehr dicht gedrängt, und es ging kaum voran. Es mag zwar übertrieben klingen, aber vielleicht sollte man bei der Gelegenheit den Zaun der Schule an der Ecke abbauen, um das Vorankommen zu beschleunigen. Ich war denn auch etwas zu spät in meiner Startgruppe, aber da man ohnehin Verspätung beim Start hatte, war dies auch egal.

Bei der Läuferzahl wenig überraschend war es die ganzen 10 Kilometer dicht gedrängt. Auch wenn es mir manchmal etwas zu langsam ging, bin ich doch so realistisch zu wissen, dass für das Springen von Lücke zu Lücke keine Kondition da war. Sportlich hatte man also wie eigentlich schon immer nicht so viel zu erwarten, aber dafür stimmte dieses Jahr das Erlebnis wieder: im Schnitt war ca. alle 200 Meter Musik aufgebaut. Das Publikum stand fast auf dem ganzen Kurs, während es in den letzten Jahren in bestimmten Abschnitten doch eher still war.

Ich schaffte es, durchzulaufen, und schaute kein einziges Mal auf die Uhr – sehr ungewöhnlich für mich. Was eigentlich positiv ist, hatte freilich den Nachteil, dass meine Zeit nicht ganz so gut ausfiel wie erhofft: 1:05:21. Das ist zwar rund 4 Minuten schneller als letztes Jahr, aber eben auch ziemlich weit weg von der 60-Minuten-Marke.

Dennoch: es hat Spaß gemacht, auch dank meiner persönlichen Unterstützung. Die Abfertigung nach dem Ziel und die Gepäckrückgabe klappte auch sehr ordentlich. Wenn die Organisatoren nicht auf die Idee kommen, den Lauf nochmals gewaltig zu erweitern, dann bin ich nächstes Jahr wieder, dann zum 9. Mal, am Start.

Studienjahrbeginn

Heute morgen: diese fünf Herren stehen an der Straßenseite

Das Leben in Schweden kehrt zurück. Gestern sah ich die ersten Führungen der KTH für die neuen Studenten. Wieder einmal bin ich erstaunt über diesen Teil der Studentenkultur in Schweden, insbesondere an der KTH. Viele Studenten tragen Overalls, deren Farbe je nach Fachrichtung verschieden ist, und Mützen, die auch die fünf Herren auf dem Bild tragen. Dieses Quintett zeigt auch die alternative Uniform: Frack, Sonnenbrille, Studentenmütze und nach Möglichkeit ein Bart. Um das Ganze noch beeindruckender zu machen, stellen sie sich wie hier in Pose und bewegungslos irgendwohin oder marschieren in Formation. Die Kleidung wird oft mit allen möglichen Aufnähern dekoriert.

Einen tieferen Sinn hinter solchen Studententraditionen vermag ich nicht zu erkennen, und man sollte ihn wohl auch nicht vermuten.

Dass die Fünf sich genau dort aufgestellt haben – die Anlage rechts neben ihnen war übrigens nicht angeschaltet – liegt wohl darin, dass sie etwas Eindruck auf die zahlreichen zur KTH strömenden Studenten machen wollen. Oder sie warten auf jemanden bestimmten. Auf jeden Fall traute sich niemand, mich eingeschlossen, direkt an ihnen vorbeizugehen,

Ich habe großen Respekt für die vielfältige und kreative Studentenaktivität an der KTH. Jedes Jahr findet ein sogenannte Studentenkarneval statt: jedes dritte Jahr mit einer großen Parade durch die Stadt (Quarnevalen), und die übrigen Jahre durch eine Bootparade, bei der Gruppen ihre Boote selber bauen müssen (Squvalp). An letzterem habe ich sogar selbst schon einmal teilgenommen. Die Studentenschaft hat ein eigenes Ferienhaus (Osqvik), macht massig Partys in seinem Haupthaus, und auch die mittlerweile zur unabhängigen Studentenradiostation Studentradi08 umgewidmete Radiostation THSRadio, Heim meiner einst geliebten Hello-Everybody-Show, war Teil der Organisation.

An anderen schwedischen Universitäten wie Uppsala scheinen solche Aktivitäten auch üblich zu sein. Weil ich nun an der Universität Stockholm bin und es dort so etwas schlicht nicht gibt, fällt es mir umso mehr auf. So oder so ist es mein letzter Studienjahrbeginn an der Universität – nächstes Jahr ist meine akademische Karriere beendet.

Sie haben die Wahl – alle Auslandsdeutschen haben Wahlrecht zum Bundestag

Bei dieser Wahl war die Stimmabgabe unzulässig beschränkt, findet das BVerfG.

Hinweis 19. November 2012: die ganze Prämisse des Artikels beruht auf einer Fehlinterpretation des Urteils meinerseits. Auslandsdeutsche haben im Moment überhaupt kein Wahlrecht. Siehe mehr dazu hier.

Von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, hat das Bundesverfassungsgericht ein Urteil gefällt, das für Auslandsdeutsche aber durchaus von Interesse sein dürfte.

Kurz gefasst sagt es folgendes aus: Die Vorschrift, dass Deutsche, die den Bundestag mitwählen dürfen, mindestens drei Monate ihres Lebens in Deutschland gelebt haben müssen, ist verfassungswidrig und damit nichtig.

Der Zugang Auslandsdeutscher zur Wahl ist seit jeher begrenzt. Früher durfte man nur für einen bestimmten Zeitraum nach Wegzug aus Deutschland wählen. Das waren einmal 10 Jahre. Später galten 25 Jahre, aber nur für Deutsche, die nicht in Ländern des Europarates (EU plus der ganze Rest Europas mit Ausnahme von Weißrussland) lebten. Mit der letzten Änderung machte man nun den vermeintlich ganz großen Wurf: einzige Anforderung war nun, auch wirklich einmal in Deutschland gelebt zu haben.

Doch genau diese Vorschrift landet jetzt im Papierkorb. Das ist auch richtig so, finde ich.

Ich kann den Bundestag ja verstehen, dass er die Regelung so traf. Auslandsdeutsche wählen nämlich in dem Wahlkreis, in dem sie zuletzt gemeldet waren. Da trifft es sich also gut, die drei Monate, die auch innerhalb Deutschlands bei der Erstellung der Wahllisten als Frist verwendet werden, einfach zum allgemeinen Standard zu erheben. Damit ist die Sache praktisch geregelt: jeder hat einen Wahlkreis und fügt sich als Briefwähler ins System ein. Zudem ist wenig Betrugspotenzial gegeben, denn die Abmeldung ist im betreffenden Wahlkreis aktenkundig.

Aber Praxistauglichkeit ist nunmal kein verfassungsrechtlich relevantes Argument. Das Grundgesetz gesteht allen Staatsbürgern über 18 das Wahlrecht zu. Ausnahmen im Detail müssen gut begründet sein und sind eng begrenzt.

Bislang war das entscheidende Argument offenbar, dass Wahlen den Willen des Volkes ausdrücken sollen. Hierfür muss der Wähler aber auch in der Lage sein, sich hinreichend zu informieren und an den Entwicklungen teilzuhaben. So argumentiert auch das Gericht, wobei es jedoch nicht erwähnt, dass gerade dieser Punkt dem technischen Wandel unterworfen ist. Dank Satellitenfernsehen und natürlich des Internets ist es nun möglich, genauso im Bilde zu sein als wäre man im Inland.

Ich finde das Argument allgemein fragwürdig. Wenn Ahnungslosigkeit und Gleichgültigkeit hinreichende Gründe für den Wahlausschluss sind, dann müsste man wohl weite Teile der deutschen Bevölkerung von der Wahl ausschließen. Nachvollziehbarer fände ich vielmehr eine Bindung an Deutschland – nur stellt sich da wieder die Frage, ob das verfassungsrechtlich relevant ist.

Gertrude Lübbe-Wolff, die einzige Richterin, die gegen das Urteil stimmte, bringt genau diese Punkte vor. Die Gesetzgebung folge zwar der kommunikationstechnischen Entwicklung, aber das sei gar nicht die Kernfrage. Sie spricht von einem Verantwortungszusammenhang, d.h. dass der Wähler auch die Bedeutung seiner Wahl einsieht und entsprechend handelt. Denn wer von den Ergebnissen seiner Wahlentscheidung nicht unmittelbar betroffen ist, wie das bei Auslandsdeutschen fraglos der Fall ist, wird eher leichtfertig wählen. Dass sie aber diesen Zusammenhang schon nach drei Monaten erfüllt sieht, ist doch fragwürdig.

Wie man es auch dreht und wendet: die Drei-Monats-Regel ist willkürlich. Sie kann die gewünschten Eigenschaften des Wählers weder sicherstellen, noch kann bei Nichterfüllung davon ausgegangen werden, dass diese nicht vorhanden sind.
Die Beschwerdeführerinnen sind dafür ein Musterbeispiel. Sie sind 1982 geboren und leben in Belgien nahe der belgisch-deutschen Grenze. Dort wird zumeist deutsch gesprochen. Sie haben also Bindungen und Einblick in das nahe Nachbarland. Dennoch dürfen sie nicht wählen. Ein Deutscher, der als Kleinkind Deutschland verlassen hat, in einem anderen Erdteil lebt und keinerlei Bindungen zu Deutschland hat, dürfte es. Das geht am Ziel der Regelung vollkommen vorbei.

Das Urteil ist daher auch gut und eindeutig. Bei der nächsten Wahl dürften also alle Auslandsdeutschen wählen. Damit wird eine neue Baustelle in Sachen Wahlrecht aufgemacht, denn wie die Wahlteilnahme praktisch umzusetzen ist, ist momentan unklar.

Es muss also baldmöglichst etwas passieren. Die Frage ist nun, was. Das Gericht war sehr deutlich, dass ein Aufenthalt in Deutschland kein Kriterium für den sogenannten Kommunikationszusammenhang ist. In jeder denkbaren künftigen Regelung wird es so eine Vorschrift nicht mehr geben können.

Es bleiben im Grunde nur zwei Möglichkeiten: entweder man gesteht jedem Auslandsdeutschen das Wahlrecht zu. Oder man hebt auf den Verantwortungszusammenhang, den die Richterin Lübbe-Wolff in ihrer abweichenden Meinung anführte, ab. Dies würde bedeuten, man müsste irgendwie testen, dass die Person eine Bindung zu Deutschland hat.

Es ist offenkundig, dass letzteres in der Praxis kaum machbar ist. Es wird also darauf hinauslaufen, dass einfach alle Schranken fallen werden. Das ist auch gut so, denke ich, denn der Schutz vor der verschwindend geringen Gruppe der ahnungs- und verantwortungslosen wählenden Auslandsdeutschen kann keine Priorität vor dem fundamentaleren Grundsatz des allgemeinen Wahlrechts haben. Zudem sind die daraus erwachsenden Probleme mehr oder weniger konstruiert. Auslandsdeutsche, die nach 1999 im Ausland geboren wurden, geben die deutsche Staatsangehörigkeit nämlich nur dann an ihre Kinder weiter, wenn sie dies innerhalb eines Jahres anmelden oder die Kinder andernfalls staatenlos würden. Es ist also anzunehmen, dass die deutsche Staatsbürgerschaft nicht über mehrere Generationen im Ausland weiter gegeben wird, wenn keine Bindung mehr zum Land besteht. Damit wird es auch keine wuchernde Gruppe Auslandsdeutscher geben, die den Interessen Deutschlands zuwider Wahlen beeinflusst.

Für den Gesetzgeber stellt sich nun das Problem, dass hier eventuell neue Regelungen gefunden werden müssen, in welchem Wahlkreis die neuen Wähler denn nun wählen sollen und wie man Missbrauch verhindert. Die Abgeordneten, die derzeit schon mit den immer noch verfassungswidrigen Regelungen zu den Überhangmandaten zu kämpfen haben, werden sich über das neuerliche Urteil nicht gefreut haben.

(Danke an Holger für den Hinweis auf das Urteil)

Schwerverbrecher wider Willen

Hinter Gittern – naja, fast. (Foto: Flickr-User possan, CC-BY 2.0)

Gestern erwartete mich ein Brief von meiner lokalen Tankstelle, als ich nach Hause kam.

Wir schreiben Ihnen aus dem Grund, dass ein Fahrzeug der Marke […] mit dem Kennzeichen […] bei OKQ8 in […] am […]. Juli 2012 um 17:00 Uhr mit 44,88 Litern Oktan 95 Benzin [Anm. also Superbenzin] mit einem Wert von 665,57 kr betankt wurde.
Eine Zahlung ist hierfür nicht geleistet wurden

Hoppla! Habe ich wirklich getankt ohne zu bezahlen? Kann das sein? In der Tat weisen meine Kontoauszüge im betreffenden Zeitraum keine Zahlung bei der Tankstelle aus. Intensives Überlegen ergibt: an dem Tag wollte ich das Auto waschen, und als dort „Außer Funktion“ stand, habe ich getankt und drinnen nachgefragt, ob man denn gar nicht waschen könne. Ich erhielt zur Antwort, dass die Anlage getauscht würde, da die bestehende ein paar Kratzer in Autos gemacht habe. Und bei all dem habe ich doch tatsächlich vergessen (!), zu bezahlen.

Unglaublich und peinlich.

Fast noch mehr konsterniert war ich aber über dieses Schreiben. Es ist auf sehr seltsame Weise höflich. Es fehlt zwar eine Begrüßungsformel, aber ich werde in dem Brief doch tatsächlich gesiezt – eine Form, die es in Schweden fast gar nicht mehr gibt.

Von mir um die Zeche geprellt: OKQ8-Tankstelle – natürlich nicht die gezeigte Filiale. (Bild: Flickr-User Gustav H/hejgustav, CC-BY 2.0)

Noch unglaublicher aber, wie es danach weitergeht:

Wir gehen davon aus, dass der Fahrer durch ein Versehen vergessen hat, für diese Betankung zu bezahlen.

Laut den Angaben im Fahrzeugregister sind Sie Besitzer dieses Fahrzeugs.
Wir sehen der Einzahlung auf Konto […] entgegen. Die Bezahlung kann auch bei OKQ8 […] geleistet werden. […]

Sollten die obenstehenden Angaben fehlerhaft sein oder Sie Kenntnissen von einem Umstand haben, der uns behilflich sein kann, bitten wir Sie freundlich, uns schnellstmöglich zu kontaktieren.

Mit freundlichem Gruß

Das war alles. Keine Drohung, keine Frist. Unglaublich.

Natürlich ist das Fahrzeugregister öffentlich, so dass sie mich ohne Gang zu den Behörden ausfindig machen konnten. In Deutschland und anderswo wäre da größerer Aufwand vonnöten gewesen. Aber der Ton ist doch bemerkenswert. Nicht nur wagt man es nicht einmal, eventuelle böse Absichten meinerseits anzudeuten und ggf. härtere Konsequenzen anzudrohen. Man bittet sozusagen den Ladendieb freundlich (aber immerhin bestimmt) darum, doch bitte die Waren zu bezahlen, um ihn nicht als Kunde zu verlieren.

In Deutschland hingegen dürfte Tankbetrug wohl kurz hinter Kapitalverbrechen rangieren. Man hätte mir vermutlich einen Brief geschrieben, der ungefähr folgendes gesagt hätte: Wir haben dich angezeigt, und wenn du nicht pronto mit saftigem Strafzuschlag bezahlst, ziehen wir dich und deinen gut betankten Hintern vor den Kadi, was dich soviel kosten wird, dass du bis zum St. Nimmerleinstag bei uns das Regal mit den Sexheftchen abstauben darfst.

Und die Strafzahlung wäre in dem Fall dreistellig ausgefallen.

Stattdessen zahle ich keine Öre extra, obwohl die nicht nur Portokosten, sondern sicher auf Arbeitsaufwand hatten, um mich ausfindig zu machen. Netter kann man zu Zechprellern wohl kaum sein.

Ich habe das Geld natürlich sofort überwiesen. Ich entschuldigte mich schonmal im Betreff, und habe heute morgen auch angerufen. Antwort: Kein Problem, kann ja mal passieren.

Wenn es nicht so peinlich wäre, müsste ich fast sagen: kann man nur weiterempfehlen.

Irgendwann komme ich nochmal ganz groß raus

Peter Wide – Artificial Human Sensors; der Autor ist ein schwedischer Professor aus Örebro

Meine Bekanntheit als Fotograf ist beschränkt, was vermutlich vor allem dran liegt, dass ich kein übermäßig guter bin. In letzter Zeit bin ich zunehmend unzufrieden. Dass jemand meine Machwerke drucken will, hätte ich aber auch vorher schon nicht erwartet.

Doch es kam anders. Im Februar 2010 meldete sich das Verlagshaus Pan Stanford Publishing bei mir. Man wolle ein Foto von mir verwenden, und zwar dieses:

Mein Platz beim Nobelbankett 2005 – Bild aufgenommen mit einer grottenschlechten Billigkamera und für die Wikipedia bereitgestellt.

Dieses prächtige Bild zeigt das Service, welches sich mir am Nobelbankett 2005 präsentierte. Ich hatte die Lotterie für Studenten gewonnen und durfte teilnehmen. Als Kamera diente eine ND-4020, die ich bei Lidl erworben hatte. Man kann das wohl als Beleg dafür sehen, dass man auch mit einer schlechten Kamera mal etwas Glück haben kann.

Das Foto sollte in dem Buch „Artificial Human Sensors“ von Peter Wide, der an der Universität Örebro lehrt, erscheinen. Die Bedingungen für den Deal waren: Namensnennung und ein Probeexemplar. Mit Geld hätte ich ohnehin nicht gerechnet, und so stimmte ich zu.

Man bedankte sich, und dann geschah erstmal nichts mehr. Gelegentlich schaute ich, ob das Buch denn erschienen war. Das zog sich noch eine ganze Weile hin, nämlich bis in den März dieses Jahres. Von Pan Stanford hörte ich freilich auch danach nichts. 80€ und mehr wollte ich nicht ausgeben, um mein Foto in einem Buch zu bewundern. Also fragte ich beim Verlag nochmal an.

Mit etwas Verzögerung erhielt ich also mein Probeexemplar:

Mein kleiner Beitrag zum Buch: ein Bild vom Nobelbankett 2005

Da ist es also, schwarz-weiß mit dieser etwas allgemein gehaltenen Bildunterschrift versehen. Nicht nur deswegen habe ich auch nicht verstanden, wieso das Bild in dem Buch drin sein soll. Auch die anderen Bilder erscheinen mir eher als Methode zur Vermeidung einer Textwüste, weniger als inhaltlicher Beitrag. Trotzdem diene ich natürlich gerne auf diese Art der Wissenschaft. Bei Gelegenheit werde ich das Buch mal durchschmökern.

Der Witz bei der ganzen Sache ist aber letztendlich: der „Courtesy“, das Bild abdrucken zu dürfen, hätte es gar nicht bedurft. Ich hatte das Foto ka schon in der Wikipedia unter eine Creative-Commons-Lizenz bereitgestellt, die eine Weiterverwendung erlaubt hätte. Man hätte mich also gar nicht nach Erlaubnis fragen müssen. Es hätte genügt, die Lizenz und meinen Namen irgendwo im Impressum zu nennen. Bei einem Verlagshaus müsste man das eigentlich wissen, aber vielleicht wollten sie einfach die ausdrückliche Genehmigung.

Mir soll es recht sein – schließlich wird einem nicht jeden Tag eine solche Ehre zuteil.

Ein Viertel

Die Strecke des Kvartsmarathon: einmal um den Årstaviken herum. (Karte: Openstreetmap, CC-BY-SA 2.0)

Juli ist Urlaubszeit in Schweden. Die Busse und Bahnen sind weitgehend leer. Alle sind ausgeflogen, das öffentliche Leben ruht. Deswegen gibt es normalerweise auch eines nicht in Stockholm: Läufe.

Es würde ganz einfach niemand teilnehmen, könnte man zumindest meinen. Aber Spårvägens FK, der unter anderem für den Stockholm Marathon und die Tjejmilen verantwortlich ist, wollte wohl eine Probe aufs Exempel machen.

So wurde dieses Jahr der Stockholm Kvartsmarathon ins Leben gerufen, also ein Viertelmarathon. Eine ungewöhnliche Distanz, besonders für schwedische Verhältnisse. Denn nominell sind das 10,54875 km, also nahe an den 10 km, die in Schweden die Standarddistanz schlechthin sind. Es ist nicht so, dass es der erste in Schweden wäre. Es gibt schon seit 1999 den Halbmarathon in Gävle, der die Distanz Viertelmarathon anbietet. Auch in Leksand und Värnamo gibt es solche Läufe. Doch keiner scheint größere Teilnehmerzahlen anzuziehen.

Um die Sache schmackhaft zu machen, gab es für Voranmeldungen ein Laufshirt inklusive. Die Laufstrecke (siehe oben) hat auch ihre Reize: nicht nur, dass ich die Årstabro noch nie zu Fuß überquert hatte und die Strecke Teile meiner alten Laufrunde enthielt. Es gibt meines Wissens keinen Lauf, der so weit entlang des Årstaviken führt. Das ist natürlich reizvoll. Man wollte sich mit der Organisation aber nicht übernehmen: 1000 Läufer waren das Limit.

Man kam letzten Endes nicht einmal in die Nähe davon: 348 Läufer gingen an den Start, was zwar wohl immer noch als größter Viertelmarathon der schwedischen Geschichte durchgehen dürfte, aber natürlich sehr überschaubar. Trotzdem gab es zwischendrin immer wieder Leute die anfeuern.

Für mich selbst war es ein Debakel. Es war sehr schwül und hatte aus verschiedenen Gründen seit Wochen nicht mehr trainiert, so dass ich bald eine Gehpause einlegen musste. Meine Beine waren zum Ende hin auch nur noch Matsch. Ich kam erst nach 1:16:33 ins Ziel, was für einen souveränen drittletzten Platz bei den Männern reichte. Immerhin durfte ich so einmal die Solidarität der besseren erleben, die mich auf den nervigen letzten 500 Metern – man hatte die 48,5 Meter unter den Tisch fallen lassen und ganz praktisch 10,5 km daraus gemacht – anfeuerten.

Ich muss also noch eine Menge Schippen drauflegen, um im Herbst wieder an die vielversprechenden Frühjahrsresultate anzuknüpfen. Eigentlich muss ich mich nächstes Jahr wieder anmelden, um zumindest das diesjährige Ergebnis etwas zu relativieren.

Nyckelviken

In Schweden können die verschiedenen Provinzen und Kommunen Naturreservate bestimmen. Das trifft sich gut, denn an Natur gibt es eine Menge.

Unsere Nachbargemeinde Nacka hat die Möglichkeit, eigene Reservate einzurichten, weidlich ausgenutzt: um die 10 Stück (je nach Rechnung) gibt es, die beträchtliche Teile der Landfläche der Kommune ausmachen.

Ich war neulich in Nyckelviken. Neben ein paar Wanderpfaden gibt es schöne Wiesen und einen alten Herrgård (eine Art Landhof, der sowohl der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung als auch der noblen Behausung des jeweiligen Herrn diente). Bei dem gibt es nicht nur ein Café. Jeden Sonntag um die Mittagszeit wird dort der Grill angeworfen, auf dem dann mitgebrachte Sachen gegrillt werden können. Dazu gibt es Pferdereiten für Kinder, und wie gesagt: eine Menge Natur. Durchaus einen Besuch wert.

Pedal to the metal – der ultimative Freischein im schwedischen Straßenverkehr

Geschwindigkeitsüberwachungskamera in Schweden (Foto: Riggwelter, CC-BY-SA 2.5)

Der deutsche Autofahrer kann einem schon leid tun. Nicht nur soll man künftig nicht mehr 18 Punkte anhäufen dürfen, sondern nur noch acht. Diese verjähren jetzt sogar noch schneller. Und wenn man mal 20 km/h zu schnell fährt, muss man horrende 35 € (innerorts) / 30 € (außerorts) zahlen. Wie glücklich sind da doch die Schweden: sie bezahlen nur 2400 schwedische Kronen, also schlappe 281 €.

OK, das ist natürlich ironisch. Die schwedischen Behörden scheinen das Konzept zu verfolgen, wenig zu kontrollieren, aber bei einer festgestellten Regelüberschreitung drakonisch zu strafen. Denn kontrolliert wird nur auf zwei Arten:

  1. Die Polizei erwischt einen mit der Laserpistole. Abkassiert wird dann anscheinend sofort. So wahnsinnig oft kommt das aber nicht vor.
  2. Es sind Verkehrsüberwachungskameras (siehe Bild) aufgestellt, die einen Blitzer integriert haben. Das Lustige an diesen Geräten ist, dass sie mit einem Schild (siehe Bild) angekündigt werden müssen.
Informationsschild auf schwedischen Straßen: gleich kommt ein Blitzer.

Es gibt also keine unangekündigten Blitzer, und wer in einem der angekündigten erwischt wird, ist dann irgendwo auch selbst schuld.

Das passiert trotzdem auf einigen Strecken nicht allzu selten: laut einer Liste des schwedischen Fernsehen sind auf der E20 zwischen Hassle und Holmestad in diesem Jahr schon 1637 eilige Zeitgenossen erwischt worden. Stockholm ist in der Top Ten mit Ausnahme von Platz 3, wo zwischen Ladvik und Vaxholm auf Landstraße 274 immerhin 1385 Schnellfahrer geblitzt wurden, bemerkenswert abwesend.

Umgekehrt gibt es aber auch eine Reihe Kameras, wo in den annähernd 200 Tagen dieses Jahres noch kein einziger erwischt wurde.

Die Polizei hat nebenbei in dem Bericht auch ein anderes Detail preisgegeben. Der Knaller ist nämlich folgendes:

[Der stellvertretende Leiter der Verkehrskameraabteilung der Polizei] Urban Widell weist auch darauf hin, dass die Polizei nur in nordischen Ländern registrierte Fahrzeuge weiter ermittelt. „Wir ermitteln keine außernordischen Fahrzeuge; kommt ein Deutscher oder ein Franzose, ermitteln wir nicht gegen sie“ [, sagt er.]

Für die Zukunft hofft man, Zusammenarbeit auch mit anderen ausländischen Polizeibehörden aufzubauen, weil die schwedische Polizei laut Urban Widell derzeit nicht weiß, an wen man sich in den übrigen europäischen Ländern wenden soll.

Unglaublich. Zusammengefasst bedeutet dies also, dass mit einem deutschen (oder anderem nichtnordischen Kennzeichen) einen Freischein hat. Mehr noch: da die Polizei offenkundig auch keinen Schimmer davon hat, wie gültige ausländische Kennzeichen aussehen – erst kürzlich sah ich ein sündhaft teures Auto mit ebenso dreist wie dilettantisch gefälschtem deutschen Kennzeichen – kann man sich hierzulande kosten- und sorgenfrei durch den Straßenverkehr bewegen. Freundlicherweise ist es nämlich auch keine Pflicht, den Fahrzeugschein mitzuführen.

Bravo.